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Nr. 33 - Mai / Juni 2011

Die 10 schönsten Naturwunder Frankreichs Le mans: unerwartet anders Drôme: Palais Idéal du Facteur Cheval die Kraft eines Traumes Provence: die provenzalische Idylle von Saint-Rémy Saint-Denis: Ruhestätte der Könige Nord-Pas-de-Calais: Jardin Mosaïc, ein Spaziergang wird zur Reise Rezept: Quiche Lorraine Wein: A.O.C. Fitou

Die 10 schönsten Naturwunder Frankreichs
Le mans: unerwartet anders
Drôme: Palais Idéal du Facteur Cheval die Kraft eines Traumes
Provence: die provenzalische Idylle von Saint-Rémy
Saint-Denis: Ruhestätte der Könige
Nord-Pas-de-Calais: Jardin Mosaïc, ein Spaziergang wird zur Reise
Rezept: Quiche Lorraine
Wein: A.O.C. Fitou

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Unterwegs in Frankreich Drôme<br />

Das Grabmal von Ferdinand Cheval auf dem Friedhof von<br />

Hauterives. Rechte Seite: Impressionen von der Bautätigkeit.<br />

Die Schubkarre war der treue Begleiter des Postboten.<br />

Da man damals noch ohne amtliche Baugenehmigung<br />

bauen darf, kann der Briefträger und Hobby-Architekt seiner<br />

eigenen Fantasie freien Lauf lassen. Es entsteht ein Stil,<br />

der bisher nirgends gesehen wurde. Dabei weiß Ferdinand<br />

Cheval selbst nicht, woher er die Inspiration genau nimmt.<br />

« Kommt sie aus Indien, aus China, dem Orient oder der<br />

Schweiz, keine Ahnung », schreibt er 1911 dazu. « Denn<br />

Stile aus allen Ländern und allen Epochen sind miteinander<br />

vermischt. » Wie wahr, alles scheint bunt zusammengewürfelt<br />

zu sein. Man findet Elemente, die an die Gärten<br />

und Herrenhäuser erinnern, die Ferdinand Cheval während<br />

seiner täglichen Touren passiert. Aber auch solche, die an<br />

Architekturtraditionen auf anderen Kontinenten angelehnt<br />

sind. Denn unter der Post, die Ferdinand Cheval jeden Tag<br />

verteilt, befinden sich auch immer wieder Magazine und<br />

Broschüren mit Architekturbeispielen aus fernen Ländern<br />

und Kolonien.<br />

In die Wände des Palastes graviert Ferdinand Cheval<br />

zahlreiche Sätze und Zeichnungen oder befestigt Muscheln<br />

an ihnen. An einige Stellen bohrt er Löcher in die Wände<br />

oder baut Hohlräume und platziert riesige Steine oder Statuen<br />

darin, etwa von unbekannten Göttern, deren Bedeutung<br />

nur er kennt. So wird aus dem Postboten, den viele am<br />

Anfang als verrückt halten, ein Künstler und Architekt, den<br />

man nicht unbedingt versteht, dessen Bau aber neugierig<br />

macht.<br />

Am Ende seines Wirkens, nach mehr als 30 Jahren Bautätigkeit,<br />

steht ein eigentümliches Bauwerk mit einer Länge<br />

von 26, einer Tiefe von 14 und einer Höhe von zehn Metern.<br />

Dafür waren nach den eigenen Aufzeichnungen von Ferdinand<br />

Cheval 65.000 Arbeitsstunden und 4.000 Kalk- und<br />

Zementsäcke notwendig. An der Innenseite der westlichen<br />

Fassade meißelt Ferdinand Cheval den Spruch « Das Ende<br />

eines Traumes » in den Stein. In einer Ecke des Palastes<br />

mauert er zudem seine legendäre Schubkarre ein, um sicher<br />

zu sein, dass sie nicht in fremde Hände gelangen kann. Es<br />

ist der Moment, in dem für den Postboten die Arbeiten zu<br />

Ende sind und er sich endlich ausruhen kann. Für die Besichtigungen<br />

seines Palastes stellt er eine Dienerin ein.<br />

Doch ein endgültiger Abschied von der Arbeit ist es am<br />

Ende doch nicht. Denn 1914 holt der Briefträger die Werkzeuge<br />

wieder hervor und beginnt damit, ein Grab für sich<br />

zu errichten, das im gleichen Stil wie der Palast entstehen<br />

soll. Es befindet sich auf dem Friedhof des Dorfes, etwa einen<br />

Kilometer von seinem Anwesen entfernt. Die Arbeiten<br />

dauern acht Jahre an. Ferdinand Cheval schafft es trotz seines<br />

hohen Alters, das Bauwerk alleine zu Ende zu führen.<br />

Zwei Jahre später stirbt er am 19. August 1924.<br />

Seitdem beeindruckt sein Erbe die Menschen. Der<br />

Postbote, der anfangs keinerlei künstlerischen Hintergrund<br />

hatte, wurde ein Wegbereiter der Art Brut. Sein Palast inspirierte<br />

Künstler wie Max Ernst und Pablo Picasso, die<br />

gerne dorthin pilgerten. Allerdings ist selbst mit etwas zeitlichem<br />

Abstand nicht ganz klar, welchen Nutzen Ferdinand<br />

Cheval wirklich seinem Werk geben wollte. Auf jeden Fall<br />

träumte er davon, dass es bekannt werden würde. Er wollte<br />

sogar eine Broschüre darüber anfertigen und posierte für<br />

eine Postkartenserie.<br />

Manche sehen aber auch einen gewissen Größenwahn<br />

hinter diesem Bauwerk, der sich in einigen Schriften des<br />

Briefträgers widerspiegelt, beispielsweise: « Wenn man mit<br />

dieser immensen Arbeit beschäftigt ist, bei der man von der<br />

Fantasie beflügelt wird, dann fragt man sich, ob man nicht<br />

in eine andere Hemisphäre, in der alles übermenschlich,<br />

phänomenal und großartig ist, transportiert wird. Man<br />

kann sich nicht vorstellen, dass das ein einzelner Mann<br />

ohne Hilfe alles erschaffen hat. »<br />

Was auch immer die wirkliche Motivation des Briefträgers<br />

Cheval war, eine Sache ist unstrittig: Hinter der Realisierung<br />

dieses Bauwerks steckt eine Entschlossenheit, die<br />

als außergewöhnlich gelten kann. Die Kraft eines Traumes,<br />

der Realität geworden ist und der Kinder und Erwachsene<br />

gleichermaßen fasziniert.<br />

42 · Frankreich erleben · <strong>Mai</strong> / <strong>Juni</strong> <strong>2011</strong>

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