(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />
A11041<br />
Aufsätze<br />
Geldwäsche und Verfassung (Wittig) <strong>193</strong><br />
Geldwäsche und wirtschaftsanwaltliche Beratung<br />
(Burmeister/Uwer) 199<br />
Kommentar<br />
Nein zu Vertrauensschadensfonds (Streck) 212<br />
Thema<br />
Zukunft des Berufsrechts (Hellwig) 213<br />
Anwaltsausbildung<br />
Streitgespräch zur Finanzierung der<br />
Juristenausbildung 224<br />
DAV-Forum Mediation<br />
Nachholbedarf für die Anwaltschaft 227<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Gründung AG Anwältinnen 236<br />
Rechtsprechung<br />
BFH: Gewerbesteuerpflicht der Anwalts-GmbH 249<br />
4/2004<br />
April <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag
EDITORIAL<br />
Das Übel hinter<br />
dem Ideal<br />
� Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />
Herausgeber des <strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />
Die Freiberufler stehen politisch<br />
mit dem Rücken zur Wand. Ihr auf<br />
eine lange Tradition bis hin zu den artes<br />
liberales der Antike zurückgehender<br />
Sonderstatus befindet sich unter<br />
massivem gerichtlichem und politischem<br />
Beschuss. Globalisierung, Harmonisierung,<br />
Wettbewerbsfreiheit oder<br />
Terrorismusbekämpfung sind die<br />
Stichworte, mit denen versucht wird,<br />
die Bastion der Freiberuflichkeit zu<br />
schleifen. Ein zentraler Angriffspunkt<br />
ist dabei die kardinale freiberufliche<br />
Verschwiegenheitspflicht. Ohnehin<br />
schon – wenn auch weitgehend unbemerkt<br />
– in der Vergangenheit erheblich<br />
ausgehöhlt, droht ihr durch das neue<br />
Geldwäschebekämpfungsgesetz vollends<br />
der Garaus gemacht zu werden.<br />
Eigentlich sollte dieses Gesetz mit<br />
seinen diversen Pflichten bei Rechtsanwälten<br />
völlig bedeutungslos sein.<br />
Dies gilt zumindest bei Zugrundelegung<br />
des bei dieser Berufsgruppe dominierenden<br />
idealistischen Selbstverständnisses.<br />
Schließlich wird bis in die<br />
jüngste Zeit auf Festveranstaltungen<br />
und in Festbeiträgen der Unterschied<br />
zum Gewerbetreibenden betont. Während<br />
Letzterer letztlich allein durch die<br />
Absicht der Gewinnerzielung geprägt<br />
sein soll, streicht der Rechtsanwalt<br />
gerne die altruistische Seite seines<br />
Tuns heraus. Zu ihr soll auch gehören,<br />
dass er an Geld eigentlich überhaupt<br />
nicht interessiert ist, soll ihm doch allenfalls<br />
ein „Honorar“ – also eine Art<br />
Ehrensold – gezahlt werden.<br />
Würde dieses Ideal der Wirklichkeit<br />
entsprechen, dann hätte der Gesetzgeber<br />
in der Tat keinen Anlass gehabt,<br />
auch die Anwälte dem Regime<br />
des Geldwäschegesetzes zu unterwerfen.<br />
Doch hinter dem Ideal verbirgt<br />
sich bekanntlich nicht selten das Übel.<br />
Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie<br />
nicht nur der Frankfurter Geldkoffer-<br />
Fall gezeigt hat. Auch Rechtsanwälte<br />
sind fragwürdigen Angeboten zur eigenen<br />
Einkommenssteigerung nicht<br />
mehr abgeneigt. Vor allem straf-, wirtschafts-<br />
und steuerrechtlich ausgerichtete<br />
Anwaltskanzleien werden nicht<br />
selten in der Versuchung stehen, sich<br />
von Mandanten gegen „angemessene<br />
Beteiligung“ missbrauchen oder zumindest<br />
ihr Honorar aus dubiosen<br />
Quellen finanzieren zu lassen. Wenn<br />
aber das Geld auch ihr Handeln maßgeblich<br />
bestimmen kann, sie vor allem<br />
vielfach und mit erheblichen Honorareinnahmen<br />
im Bereiche der wirtschaftlichen<br />
Beratung tätig sind, dann war es<br />
I<br />
MN<br />
im Prinzip konsequent, auch sie den<br />
Pflichten des Geldwäschegesetzes zu<br />
unterwerfen.<br />
Rechtspolitisch und verfassungsrechtlich<br />
stellt sich jedoch die Frage,<br />
ob die EU sowie der nationale Gesetzgeber<br />
bei ihren Regelungen nicht zu<br />
weit gegangen sind. Mit derartigen<br />
Grundsatzproblemen befasst sich der<br />
Beitrag von Petra Wittig. Er stellt<br />
nach einem Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte<br />
sowie der für<br />
Rechtsanwälte wichtigsten Regelungen<br />
die kritischen Punkte zusammen und<br />
befasst sich dann im Einzelnen mit der<br />
verfassungsrechtlichen Bewertung.<br />
Die praxisrelevanten Auswirkungen<br />
des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />
und der Novellierung der §§ 370 a AO,<br />
261 I 3 StGB erörtert der Aufsatz von<br />
Burmeister und Uwer. Übersichtlich<br />
und ausführlich legen die Autoren dar,<br />
welche Konsequenzen die neuen Regelungen<br />
vor allem für die wirtschaftsanwaltliche<br />
Beratung haben. Behandelt<br />
werden die umfangreichen<br />
Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und<br />
Aufbewahrungspflichten wie die Verdachtsmeldepflicht<br />
einschließlich der<br />
Sanktionen bei Pflichtverletzungen.<br />
Die gesetzlich geforderten internen Sicherungsmaßnahmen<br />
vom Geldwäschebeauftragten,<br />
über die Entwicklung<br />
interner Grundsätze bis hin zu<br />
den Anforderungen an ein Sicherungssystem<br />
werden ebenso erläutert wie<br />
die Anforderungen an die Buchhaltung.<br />
Weiter befassen sich die Autoren<br />
mit der Problematik der Geldwäsche<br />
durch Rechtsanwälte bei gewerbsmäßiger<br />
Steuerhinterziehung als Vortat.<br />
Sie legen dar, dass die Annahme<br />
von Honorar, das aus bemakeltem<br />
Vermögen stammt, den Tatbestand des<br />
Verschleierns des § 261 StGB erfüllen<br />
kann und ein neuer Verbrechenstatbestand<br />
der schweren Steuerhinterziehung<br />
mit § 370 a AO geschaffen<br />
wurde.<br />
Wenn die Rechtsanwälte verhindern<br />
wollen, dass sie nicht selbst zum Opfer<br />
der neuen Regelungen und damit ein<br />
Fall für den Staatsanwalt und die Justiz<br />
werden wollen, dann sollten sie sorgfältig<br />
die Beiträge studieren und die erforderlichen<br />
Maßnahmen für ihre<br />
Kanzlei ergreifen.
Editorial<br />
I Das Übel hinter dem Ideal<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />
Herausgeber des <strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />
Bericht aus Berlin<br />
IV RVG: Gerade noch gutgegangen<br />
Bettina Mävers, Berlin<br />
Aufsätze<br />
<strong>193</strong> Die staatliche Inanspruchnahme des Rechtsanwalts<br />
durch das neue Geldwäschegesetz<br />
Rechtsanwältin und Privat-Dozentin Dr. Petra<br />
Wittig, München<br />
199 Auswirkungen des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />
auf die wirtschaftsanwaltliche Beratung.<br />
Auch ein Beitrag zur Novellierung<br />
der §§ 370 a AO, 261 Abs. 1 Satz 3 StGB<br />
Rechtsanwälte Dr. Frank Burmeister, Frankfurt am<br />
Main, und Dr. Dirk Uwer, Mag. rer. publ., Düsseldorf<br />
208 Die Zukunft des Marktes für Rechtsberatung<br />
Prof. Dr. Barbara Grunewald, Köln<br />
Kommentar<br />
212 Vertrauensschadensfonds der Rechtsanwälte für<br />
kriminelle Kollegen?<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Mitglied des<br />
Präsidiums des Deutschen Anwaltsvereins<br />
Thema<br />
213 Der Rechtsanwalt – Organ der Rechtspflege oder<br />
Kaufmann?<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Hellwig, Frankfurt am Main, Präsident des Rates<br />
der Europäischen Anwaltschaften (CCBE)<br />
Gastkommentar<br />
223 „Bild“ lügt<br />
Christian Bommarius, Berliner Zeitung<br />
Anwaltsausbildung<br />
224 Anwaltsorientierte Juristenausbildung – wer zahlt<br />
dafür?<br />
Streitgespräch zwischen der Geschäftsführerin der<br />
Rechtsanwaltskammer Köln und dem<br />
DAV-Hauptgeschäftsführer zur Mitfinanzierung der<br />
Juristenausbildung durch die Anwaltschaft<br />
DAV-Forum Mediation<br />
227 Justiz treibt die Mediation voran: Anwaltschaft hat<br />
Nachholbedarf<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
228 Was plant die EU-Kommission?<br />
Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
229 Berliner Pilotprojekt: Gerichtsmediation<br />
Interview mit Prof. Karsten-Michael Ortloff<br />
230 Normen für die Mediation – Die Vorschläge des DAV<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
231 Parlamentarischer Abend: Rechtspolitiker setzen sich<br />
für das Gebührenrecht ein<br />
232 Alte Klage: „Bedenkliche Überfüllung des<br />
Juristenberufes“ – Der Deutsche Anwaltstag in<br />
Hamburg 1929 und 75 Jahre später<br />
Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin<br />
235 DAV-Rednerwettstreit auf dem Deutschen Anwaltstag<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
235 Pressemitteilungen: Lob und Tadel für<br />
Bundesverfassungsgericht (Sicherungsverwahrung) /<br />
Anwälte lehnen EU-Asylverfahrensrichtlinie ab /<br />
DAV begrüßt Überlegungen für eine Reform des<br />
Strafverfahrens<br />
236 Neue Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen: Die Ziele<br />
der neuen Arbeitsgemeinschaft<br />
Rechtsanwältin Ute Stattler, Berlin<br />
Einladung zur Gründungsversammlung der<br />
AG Anwältinnen<br />
237 AG Sportrecht: Einladung zur Mitgliederversammlung<br />
Forum Junge Anwaltschaft: Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung<br />
AG Ausländer- und Asylrecht: Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung<br />
Personalien: Georg Greißinger 70<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Auszeichnung von Anwälten<br />
Europa<br />
238 Montis Bericht über den Wettbewerb bei<br />
freiberuflichen Dienstleistungen<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL. M., Berlin<br />
Meinung & Kritik<br />
239 Gedanken zur Zusammenlegung von<br />
Gerichtszweigen<br />
Rechtsanwalt Hans Arno Petzold, Hamburg<br />
Mitteilungen<br />
Berufsrecht<br />
240 Freigabe der Fachanwaltschaften – Durchbruch oder<br />
Chaos?<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
Steuerrecht<br />
241 Verbleibendes Restrisiko: Gewerblichkeit des<br />
Rechtsanwalts<br />
Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht<br />
Dr. Klaus Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, Berlin
Anwaltsrecht<br />
244 Bücherschau<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
Haftpflichtfragen<br />
246 Anforderungen im Rahmen der vorläufigen<br />
Vollstreckbarkeit<br />
Assessorin Jacqueline Bräuer<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Rechtsprechung<br />
Anwaltsrecht<br />
249 BFH, Beschl. v. 3.12.2003 – IV B 192/03:<br />
Gewerbesteuerpflicht der Rechtsanwalts-GmbH<br />
Rechtsberatungsgesetz<br />
249 BGH, Urt. v. 20.11.2003 – I ZR 104/01:<br />
Rechtsberatung durch Automobilclub und<br />
Klagebefugnis eines örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Gebührenrecht<br />
251 BGH, Urt. v. 5.1.2004 – II ZR 22/02:<br />
Keine Erhöhungsgebühr bei Honorarklage einer<br />
Sozietät<br />
251 BGH, Urt. v. 11.12.2003 – IX ZR 109/00:<br />
Trennung und Zusammenfassung von<br />
Angelegenheiten/Vorschuss für Rahmengebühr<br />
Berufsrecht<br />
254 OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.9.2003 – I-20 U 49/03:<br />
Auswärtiger Sprechtag eines Anwalts<br />
Prozessrecht<br />
<strong>256</strong> BGH, Urt. v. 5.11.2003 – VIII ZR 380/02:<br />
Hinweis des Gerichts und Wiedereröffnung der<br />
mündlichen Verhandlung<br />
<strong>256</strong> Fotonachweis, Impressum<br />
Auf dem Umschlag<br />
VI, VIII Informationen<br />
XVIII <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag aktuell<br />
XX Bücher<br />
XXII Internet<br />
XXVI, XXVII Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />
XXVIII DAV-Service<br />
Jahrgang 54<br />
April 2004<br />
Im nächsten Heft:<br />
9 Bundesverfassungsgericht und Anwaltshaftung<br />
(Medicus)<br />
9 Meine Anwältin – Wem gehört der Anwalt (Streck)<br />
9 Zukunft der Anwaltschaft (Themenschwerpunkt auf<br />
dem Deutschen Anwaltstag)
IV<br />
MN<br />
BERICHT AUS BERLIN<br />
RVG: Gerade noch<br />
gutgegangen<br />
� Die Autorin: Bettina Mävers war als<br />
Journalistin u. a. für das Handelsblatt tätig<br />
und erhielt 2001 den DAV-Pressepreis.<br />
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />
Alles schien in trockenen Tüchern:<br />
Einstimmig verabschiedete der Bundestag<br />
im Februar das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz,<br />
nachdem Bundesjustizministerin<br />
Brigitte Zypries in letzter<br />
Minute noch einen Kompromiss mit ihren<br />
Ministerkollegen aus den Bundesländern<br />
erzielt hatte. Doch eine Woche<br />
später kam die Ernüchterung: Anders<br />
als der federführende Rechtsausschuss<br />
empfahl der Finanzausschuss des Bundesrats,<br />
den Vermittlungsausschuss anzurufen.<br />
Den Finanzministern ging es<br />
natürlich um’s Geld: Sie waren der Ansicht,<br />
dass die Änderungen im Gerichtskostengesetz<br />
trotz der Zugeständnisse,<br />
die die Bundesjustizministerin noch gemacht<br />
hatte – weiterer Anstieg der<br />
Mahngebühren ab 1.7.2006 und Erhöhung<br />
der Gebühren im einstweiligen<br />
Rechtsschutz – die befürchteten Belastungen<br />
der Landesjustizhaushalte vor allem<br />
durch die Reform der Rechtsanwaltsvergütung<br />
nicht auskömmlich<br />
kompensierten. Sie forderten deshalb,<br />
die Gebühren für das Mahnverfahren<br />
sofort auf 23 E anzuheben und die Gerichtsgebühren<br />
für nahezu alle Berufungsverfahren<br />
jeweils um 0,5 zu erhöhen.<br />
Alle Versuche, die Finanzminister<br />
doch noch zu einem Einlenken zu bewegen,<br />
scheiterten zunächst – das Vermittlungsverfahren<br />
schien programmiert.<br />
Entwarnung gab es erst kurz vor<br />
der entscheidenden Sitzung des Bundesrates:<br />
Nach internen Beratungen in<br />
den Kabinetten der Landesregierungen<br />
waren es nur noch drei Länder, die für<br />
ein Vermittlungsverfahren plädierten,<br />
und damit war die erforderliche Mehrheit<br />
nicht erreicht. Nun ist es „durch“,<br />
das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />
– die Seminare zum RVG können<br />
stattfinden, die Kommentare geschrieben<br />
werden.<br />
Kräftemessen mit den Ländern<br />
Die Hiobsbotschaft aus dem Bundesrat<br />
hatte nicht nur in der Anwaltschaft<br />
für Aufregung gesorgt. Sie<br />
wurde auch von den Bundespolitikern<br />
diskutiert und kritisiert. Denn die Finanzminister<br />
der Länder hatten mit ihrem<br />
Ansinnen, den Vermittlungsausschuss<br />
einzuberufen, den Kompromiss<br />
torpediert, den ihre Ministerkollegen<br />
aus den Justizressorts mit dem Bundesjustizministerium<br />
ausgehandelt hatten.<br />
Ein Vermittlungsverfahren hätte<br />
das Inkrafttreten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes<br />
zumindest<br />
verzögert, möglicherweise sogar verhindert.<br />
Denn ob man bei den Gerichtsgebühren<br />
noch einmal etwas hätte<br />
draufpacken können, ist fraglich: Justizpolitik<br />
kann nicht allein fiskalisch<br />
gesehen werden. Effektiver Rechtsschutz<br />
für den Bürger muss auch<br />
bezahlbar sein. Den damit auch verfassungsrechtlich<br />
vorgegebenen kostenrechtlichen<br />
Spielraum, bei dem die prozentuale<br />
Erhöhung gegenüber dem<br />
bisherigen Recht, also auch die Zumutbarkeit<br />
für den Bürger berücksichtigt<br />
werden muss, hat das Gesetz bereits<br />
ausgereizt. Eine sofortige Anhebung<br />
der Mahngebühren auf 23 E, wie von<br />
den Ländern gefordert, bedeutete eine<br />
Steigerung von mehr als 50% für das<br />
Verfahren, das oft als „Rechtsschutz für<br />
den kleinen Mann“ bezeichnet wird.<br />
Auch die diskutierte Möglichkeit,<br />
das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />
noch einmal einzubringen und es<br />
durch Streichung einiger Bestimmungen<br />
der Zustimmung durch den Bundesrat<br />
zu entziehen, hätte das Verfahren<br />
auf jeden Fall verzögert. Ob die<br />
Bundesregierung allerdings bereit gewesen<br />
wäre, es gerade beim Kostenrecht<br />
auf ein Kräftemessen mit den<br />
Ländern ankommen zu lassen?<br />
Ein solches Kräftemessen ist<br />
schließlich auch an anderer Stelle bereits<br />
programmiert: Zum Beispiel beim<br />
Betreuungsrecht, das für viele Anwälte<br />
von großem Interesse ist. Die Bundesländer<br />
wollen – wiederum aus fiskalischen<br />
Erwägungen – in ihrem über den<br />
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf<br />
unter anderem die Vergütung und<br />
den Aufwendungsersatz durch eine<br />
festgelegte Zahl der monatlichen Betreuungsstunden<br />
pauschalieren. Bei der<br />
ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag<br />
wurde bereits deutlich, dass die<br />
Bundestagsabgeordneten dieses Vorhaben<br />
eher ablehnend beurteilen.<br />
So zeigt sich bei vielen Gesetzgebungsvorhaben,<br />
die in der breiten<br />
Öffentlichkeit kaum registriert werden,<br />
wie wichtig die Arbeit der so genannten<br />
Föderalismuskommission ist,<br />
die zurzeit an der Reform der bundesstaatlichen<br />
Ordnung arbeitet. Dass die<br />
Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze<br />
verringert werden muss, darüber<br />
wurde bereits ein Konsens erzielt.<br />
Welche originären Gesetzgebungskompetenzen<br />
der Bund jedoch als Gegenleistung<br />
den Ländern überlassen wird,<br />
ist immer noch heftig umstritten.<br />
Korrektur der Schuldrechtsreform<br />
Unbehelligt von Länderinteressen<br />
wird der Bundesgesetzgeber eine<br />
kleine, zustimmungsfreie Änderung im<br />
BGB vornehmen können. Es sind die<br />
Bestimmungen der §§ 444 und 639,<br />
die seit der Schuldrechtsreform die Beschränkung<br />
oder den Ausschluss der<br />
Garantie in den Fällen verbietet, in denen<br />
der Verkäufer eine Garantie für<br />
die Beschaffenheit der Sache übernommen<br />
hat. Vor allem die kaufrechtliche<br />
Bestimmung wurde kritisiert,<br />
weil sie das Haftungssystem bei Unternehmenskäufen<br />
in Frage stellt, die sich<br />
in jahrelanger Praxis als sachgerecht<br />
erwiesen hat. Die CDU/CSU-Fraktion<br />
hat bereits im Sommer vergangenen<br />
Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht,<br />
nach dem vier Bestimmungen<br />
dahingehend geändert werden sollen,<br />
das das Verbot des Haftungsausschlusses<br />
nur auf den konkreten Inhalt der<br />
Garantie beschränken. Die Bundesregierung<br />
hatte eine gesetzliche Klarstellung<br />
bislang nicht für notwendig erachtet.<br />
Positive Reaktionen in der<br />
Fachpresse auf den Gesetzentwurf der<br />
Unionsfraktion bewirkten jedoch offensichtlich<br />
ein Umdenken im Bundesjustizminsterium:<br />
Das Wörtchen<br />
„wenn“ in den §§ 444 und 639 BGB<br />
soll nun durch „soweit“ ausgetauscht<br />
werden. Einen eigenen Gesetzentwurf<br />
will das Ministerium für diese marginale<br />
Änderung allerdings nicht entwerfen.<br />
Sie soll als Formulierungshilfe einem<br />
Gesetz hinzugefügt werden, das<br />
sich bereits im Gesetzgebungsverfahren<br />
befindet. Ob sich der umfassendere<br />
Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion<br />
zum Haftungsausschlussrecht durchsetzt,<br />
ist fraglich – eine „kleine Lösung“<br />
wird es aber wohl noch vor der<br />
Sommerpause des Parlaments geben.
VI<br />
MN<br />
INFORMATIONEN<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />
Keine Abschaffung der<br />
Arbeitsgerichtsbarkeit<br />
Der DAV spricht sich entschieden<br />
gegen die Abschaffung der Arbeitsgerichtsbarkeit<br />
als eigenständigen<br />
Gerichtszweig und gegen ihre Eingliederung<br />
in die allgemeine Ziviljustiz<br />
aus. Eine entsprechende Stellungnahme<br />
(Nr. 8/2004 von Februar 2004) hat der<br />
DAV durch den Ausschuss Arbeitsrecht<br />
formuliert und publiziert. Die Stellungnahme<br />
findet sich auf der Website des<br />
DAV unter www.anwaltverein.de/03/05/<br />
index.html.<br />
Humboldt-Universität Berlin<br />
Institut für Notarrecht<br />
gegründet<br />
Das Institut für Notarrecht der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin trat<br />
mit einer hervorragend besuchten<br />
Eröffnungsveranstaltung am 6.2.2004<br />
im Audimax der Universität an die Öffentlichkeit.<br />
Vizepräsident der Universität<br />
Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth<br />
und Bürgermeisterin von Berlin und<br />
Senatorin für Justiz des Landes Berlin<br />
Karin Schubert sprachen die angespannte<br />
Lage der Universitäten in Berlin<br />
deutlich an, werteten aber die<br />
Errichtung des Instituts als eine<br />
glückliche und in die Zukunft weisende<br />
Maßnahme für die so notwendige<br />
weitere Vertiefung der Beziehungen<br />
zwischen Praxis und<br />
Wissenschaft.<br />
Das Institut wird getragen und<br />
gefördert von der Deutschen Notarrechtlichen<br />
Vereinigung e.V. in<br />
Würzburg, der Notarkammer Brandenburg<br />
und der Notarkammer Berlin, deren<br />
Präsident Klaus Mock die Entstehungsgeschichte<br />
des Instituts<br />
nachzeichnete und insbesondere auch<br />
die Anwaltsnotare in Berlin und im<br />
Land aufforderte, das Institut tatkräftig<br />
zu unterstützen.<br />
Der groß angelegte fachliche Teil<br />
der Eröffnungsveranstaltung war über<br />
den ganzen Tag dem Bauträgervertrag<br />
gewidmet, ein Feld, in dem Wissenschaft<br />
und Praxis in denkwürdiger<br />
Weise alsbald zu brauchbaren Lösungen<br />
finden sollten und könnten.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />
Berlin<br />
AG Verkehrsrecht<br />
42. <strong>Deutscher</strong><br />
Verkehrsgerichtstag<br />
In diesem Jahr tagte vom 28.1. bis<br />
zum 30.1. bereits zum 42. mal der Deutsche<br />
Verkehrsgerichtstag in Goslar.<br />
Noch nicht ganz so alt, jedoch bereits<br />
Bestandteil fester Tradition, war die<br />
Einladung der Arbeitsgemeinschaft am<br />
Mittwoch Abend in die Kaiserwörth.<br />
Die Zahl der Teilnehmer an den Verkehrsgerichtstagen<br />
war mit 1.600 zwar<br />
leicht rückläufig im Vergleich zum Vorjahr,<br />
jedoch immer noch sehr groß.<br />
In seiner Eröffnungsansprache übte<br />
der neue Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages,<br />
Prof. Dr. Dencker,<br />
erhebliche Kritik an der jüngstem Zivilprozessreform<br />
und malte angesichts der<br />
neuerlichen Planungen der Bundesregierung<br />
ein Schauermärchen für die<br />
deutsche Rechtsprechung. Insbesondere<br />
kritisierte er, dass es zukünftig<br />
möglich sein soll, ein Zivilverfahren<br />
ohne Beweisaufnahme stattfinden zu<br />
lassen, wenn in dieser Angelegenheit<br />
ein Strafrichter bereits entschieden hat.<br />
Die Bedeutung und damit der Einfluss<br />
des Verkehrsgerichtstages wurde<br />
nochmals dadurch besonders deutlich,<br />
dass es sich der Verkehrsminister Dr.<br />
Stolpe trotz der für ihn problematischen<br />
politischen Lage nicht nehmen<br />
ließ, den Gastvortrag zu halten.<br />
In den diesjährigen acht Arbeitskreisen<br />
standen folgende Themen im<br />
Vordergrund: „Unfallrisiko Kleintransporter“,<br />
„Unfallursache Übermüdung“,<br />
„Motorradverkehr“, „Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis durch den Strafrichter“,<br />
„Neues Schadensersatzrecht in der<br />
Praxis“, „Autokauf/Leasing: Sachmängelhaftung<br />
nach der Schuldrechtsreform“,<br />
„Verkehrslenkung durch<br />
Steuern und Gebühren“ und „Schiffskatastrophen<br />
– unvermeidbar?“.<br />
Der nächste Deutsche Verkehrsgerichtstag<br />
findet vom 26.1. bis zum<br />
28.1.2005 natürlich wieder in Goslar<br />
statt. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
ruft ihre Mitglieder dazu auf,<br />
den Deutschen Verkehrsgerichtstag auf<br />
wichtige und interessante Themen aufmerksam<br />
zu machen, um so die Interessen<br />
der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
bereits bei der Gestaltung des<br />
Deutschen Verkehrsgerichtstages Berücksichtigung<br />
finden zu lassen.<br />
Rechtsanwalt Hartmut Roth,<br />
Dresden<br />
AG Ausländer- und Asylrecht<br />
Fortbildungsveranstaltung zur<br />
EU-Osterweiterung<br />
Thema: Freizügigkeit, Diskriminierungsverbote<br />
und EU-Osterweiterung.<br />
Zeit: Samstag, den 5. Juni 2004,<br />
10.00–13.00 Uhr.<br />
Ort: Köln, Kolpinghaus International,<br />
St. Apern-Straße 32, 50667 Köln.<br />
Referent: Rechtsanwalt Jürgen Moser,<br />
Berlin.<br />
Am 1.5.2004 wird die Europäische<br />
Union um zehn Staaten (Estland, Lettland,<br />
Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei,<br />
Ungarn, Slowenien, Zypern<br />
und Malta) erweitert. Mit dem Beitritt<br />
werden allerdings nicht alle gemeinschaftsrechtlichenFreizügigkeitsregeln,<br />
die innerhalb der EU bislang<br />
galten, sofort übernommen. Das wird<br />
in der Anfangszeit zu erheblichen Unsicherheiten<br />
bei der Rechtsanwendung<br />
führen.<br />
Im Seminar werden – in gebotener<br />
Kürze – die Grundzüge des bisher geltenden<br />
Rechts in der EU (Freizügigkeitsrechte,<br />
Diskriminierungsverbote)<br />
sowie – ausführlicher – die in den Beitrittsstaaten<br />
übernommenen Regeln<br />
und Übergangsregelungen und die dabei<br />
auftretenden Probleme (z. B. Stillhalteklauseln)<br />
behandelt.<br />
Teilnahmebeitrag: 40 E für Mitglieder<br />
der ARGE und Mitglieder des<br />
Forums Junge Anwaltschaft, 80 E für<br />
Nichtmitglieder (wer bis zur Anmeldung<br />
der ARGE beitritt – Mitgliedsbeitrag<br />
65 E pro Jahr – zahlt bereits<br />
den ermäßigten Teilnehmerbeitrag.<br />
Beitrittserklärungen zur ARGE sind<br />
erhältlich auf der Homepage: http://<br />
auslaender-asyl.dav.de).<br />
Anmeldung: schriftlich bei RA<br />
Wolfram Steckbeck per Fax: (09 11)<br />
5 19 59-20, per E-Mail: RASUR@<br />
t-online.de, Leipziger Platz 1, 90491<br />
Nürnberg.<br />
Zahlung: Bitte überweisen Sie die<br />
jeweilige Teilnahmegebühr bis spätestens<br />
zum 6. Mai 2004 auf das Konto<br />
von Herrn Rechtsanwalt Steckbeck,<br />
Nr. <strong>193</strong>826-857 bei der Postbank<br />
Nürnberg, BLZ 760 100 85 unter dem<br />
Stichwort: ARGE Köln.<br />
Ansprechpartner: Rechtsanwalt<br />
Rolf Stahmann, Torstr. 124, 10119 Berlin,<br />
Tel. 0 30/28 39 09 63.
VIII<br />
MN<br />
INFORMATIONEN<br />
ARGE Mietrecht<br />
Frühjahrstagung 2004 in<br />
Hamburg<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Mietrecht<br />
und WEG/Immobilien im Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong> veranstaltet ihre „Frühjahrstagung<br />
und Mitgliederversammlung<br />
2004“ am Donnerstag, 20.<br />
Mai 2004, 13.00 bis 17.00 Uhr im<br />
Congress Centrum Hamburg (CCH),<br />
Am Dammtor/Marseiller Straße 2 in<br />
20335 Hamburg.<br />
Fachprogramm:<br />
13.00 Uhr: „Mietrecht und Mietprozess<br />
– Die häufigsten Fehler“; Referent: Dr.<br />
Werner Hinz, Richter am AG Pinneberg.<br />
14.30 Uhr: Mitgliederversammlung<br />
15.15 Uhr: „Reformbedarf im Wohnungseigentumsrecht?“;<br />
Prof. Dr. Christian<br />
Armbrüster, FU Berlin.<br />
16.30 Uhr: „Rechtsprechungsfenster<br />
zum Miet- und WEG-Recht“; Referenten:<br />
RA Michael Drasdo/Neuss, RA Jan-<br />
Hendrik Schmidt/Hamburg und RA<br />
Christian Schwarzmeier/Hamburg.<br />
Die Teilnahme allein an der Mitgliederversammlung<br />
von 14.30 bis<br />
15.15 Uhr ist ohne kostenpflichtige<br />
Anmeldung zum DAT möglich. Der<br />
Besuch der Vortragsveranstaltungen erfordert<br />
eine DAT-Anmeldung.<br />
Anmeldung und Anfragen für die<br />
Veranstaltung sind zu richten an die<br />
Deutsche Anwaltakademie, DAT-Organisation,<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />
Tel.: 0 30/72 61 53-0, Fax: 0 30/<br />
72 61 53-1 88.<br />
AG Sportrecht<br />
Tagungen 2004<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />
im DAV plant für 2004 zwei Tagungen:<br />
9 11./12.6.2004 anlässlich der Beach-<br />
Volleyball-Europameisterschaften in<br />
Travemünde/Timmendorfer Strand<br />
zum Thema „Der Sportler im Spannungsfeld<br />
zwischen Spielervermittler<br />
und Verein“. Anschließend Mitgliederversammlung<br />
(Einladung siehe in diesem<br />
Heft auf Seite 237)<br />
9 10./11.9.2004 anlässlich des Linde-<br />
Master-Turniers in Köln zu Rechtsproblemen<br />
bei der Ausrichtung von Sportveranstaltungen<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
steuerrechtlicher<br />
Aspekte<br />
Bitte achten Sie die Hinweise auf der<br />
Internetseite www.sportrecht-dav.de.<br />
Produktpiraterie<br />
4. APM-Sicherheitstechnikkongress<br />
in Berlin<br />
Der Aktionskreis Deutsche Wirtschaft<br />
gegen Produkt- und Markenpiraterie<br />
(APM; gegründet 1997 auf Initiative<br />
des DIHK, des BDI und des<br />
Markenverbandes) veranstaltet am<br />
27.5.2004 im Haus der Deutschen<br />
Wirtschaft, Berlin-Mitte, den 4. APM-<br />
Sicherheitstechnikkongress. Anwälte<br />
und Consultants, brand protection bzw.<br />
anti-counterfeiting manager sowie Experten<br />
aus Logistik- und Verpackungsabteilungen<br />
werden von den Sicherheitstechnik-Ausstellern<br />
über die<br />
Möglichkeiten der Prävention gegen<br />
Produkt- und Markenpiraterie informiert.<br />
Vorträge zu diesem Themenbereich<br />
runden das Programm ab.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.markenpiraterie-apm.de, kieffer.<br />
susanne@berlin.dihk.de, Tel: 0 30/<br />
2 03 08 27 19, Fax: 0 30/2 03 08 27 18.<br />
Gebührenrecht in AGS 4/04*<br />
9 RVG-Spezial:<br />
N. Schneider, Die Vergütung in Strafsachen<br />
9 Rechtsprechung<br />
9 BGH: Keine Gebührenerhöhung bei<br />
Aktivprozessen von Sozietäten<br />
AG Koblenz: Keine Auslagenpauschale<br />
bei mündlicher Beratung<br />
OLG Koblenz: Keine PKH für Aufhebung<br />
einer Scheinehe<br />
OLG Koblenz: Umfang der Beiordnung<br />
in Ehesachen<br />
BGH: Kostenentscheidung nach Klagerücknahme<br />
BGH: Erstattung der Reisekosten des<br />
Anwalts am dritten Ort<br />
* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS) erscheint<br />
seit 2003 mit deutlich erweitertem Inhalt<br />
und in neuem Outfit monatlich auf ca. 40<br />
Seiten im Deutschen Anwaltverlag und wird<br />
hrsg. von Rechtsanwalt Wolfgang Madert und<br />
Rechtsanwalt Norbert Schneider in Verbindung<br />
mit dem Gebührenrechtsausschuss und<br />
der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s unter<br />
ständiger Mitarbeit von Dipl.-Rechtspfleger<br />
Heinricht Hellstab, Rechtsanwalt Jürgen<br />
Schneider und Rechtsanwalt Udo W. Henke.<br />
Nähere Informationen und ein Probeabonnement<br />
erhalten Sie vom Deutschen Anwaltverlag<br />
in 53111 Bonn, Wachsbleiche 7,<br />
Tel. 0228/91911-0.
Im Auftrag des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Die staatliche<br />
Inanspruchnahme des<br />
Rechtsanwalts durch das<br />
neue Geldwäschegesetz *<br />
Rechtsanwältin und Privat-Dozentin Dr. Petra Wittig,<br />
München<br />
Der Beitrag informiert über das neue Geldwäschegesetz,<br />
das den Rechtsanwälten weit gehende und bisher<br />
nicht gekannte Pflichten zur Identifizierung und zur geheimen<br />
Anzeige auferlegt. Gleichzeitig wird die Sanktionierung<br />
von Verstößen als Ordnungswidrigkeiten und als<br />
Straftaten dargestellt. Der Rechtsanwalt wird zwangsweise<br />
zum Informanten und verdeckten Ermittler des Staates.<br />
Jenseits aller rechtspolitisch sinnvollen Kritik an diesem<br />
Zustand versucht dieser Aufsatz die Vereinbarkeit dieser<br />
Regelungen mit dem Grundgesetz, die oft ohne nähere Begründung<br />
bestritten wird, zu beleuchten.<br />
I. Einleitung<br />
Q<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Jahrgang 54<br />
April 2004<br />
Spätestens seit der Novellierung des Geldwäschegesetzes<br />
(GwG) 2002 betrifft das Thema Geldwäsche nicht nur<br />
mehr im Umfeld der Organisierten Kriminalität tätige<br />
Strafverteidiger. Von vielen Rechtsanwälten unbemerkt<br />
nimmt das am 15.8.2002 in Kraft getretene GwG durch die<br />
Normierung von Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und geheimzuhaltenden<br />
Anzeigepflichten bei bestimmten Kataloggeschäften<br />
unter Sanktionsdrohung den gesamten Berufsstand<br />
in die Pflicht 1 . Der Rechtsanwalt wird dadurch –<br />
zugespitzt formuliert – kraft Gesetzes zum Informanten<br />
und verdeckten Ermittler des Staates 2 .<br />
Die rechtliche Zulässigkeit der staatlichen Inanspruchnahme<br />
des Rechtsanwalts zum Zwecke der effektiven Bekämpfung<br />
der Geldwäsche durch das GwG ist Thema dieses<br />
Beitrags. Damit soll zugleich die massive Kritik, vor<br />
allem der Standesvereinigungen, an der Neuregelung einer<br />
rechtlichen Überprüfung unterzogen werden. Kritiker sehen<br />
den Anwalt in verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer<br />
Weise zum Spitzel gegen seine Mandanten degradiert 3 .Der<br />
Präsident der RAK Köln spricht gar von einer „Perversion<br />
des anwaltlichen Berufsbildes“ 4 . Dabei möchte ich mich an<br />
dieser Stelle wegen der Vielzahl der mit der Inanspruchnahme<br />
des Rechtsanwaltes zu Zwecken der Strafverfolgung<br />
verbundenen rechtlichen Probleme und deren Komplexität<br />
auf einen Problemabriss beschränken.<br />
II. Gesetzgebungsgeschichte<br />
1. Die völker- und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen 5<br />
Zu Recht wird Geldwäsche als ein zu bekämpfendes<br />
grenzüberschreitendes Phänomen angesehen, das koordinierte<br />
internationale Gegenmaßnahmen erfordert.<br />
Erstmals wurde durch die Wiener Drogenkonvention<br />
der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 6 die strafrechtliche<br />
Bekämpfung der Geldwäsche auf internationaler Ebene kodifiziert.<br />
Schutzzweck war die Bekämpfung der weltweit<br />
organisierten Drogenkriminalität. Neben der Wiener Drogenkonvention<br />
hatte vor allem das Straßburger Übereinkommen<br />
des Europarates 7 Einfluss auf die Kodifizierung auf eu-<br />
* Erweiterte und überarbeitete Fassung des von der Verfasserin am 9.7.2003 vor<br />
der Juristischen Fakultät der Universität Passau gehaltenen Habilitationsvortrages.<br />
1 Vgl. dazu Busch/Teichmann, Das neue Geldwäscherecht, Baden-Baden 2003;<br />
Große-Wilde, MDR 2002, 1288; v. Galen, NJW 2003, 117.<br />
2 Hübsch und zugleich aussagekräftig ist auch die Formulierung „Eidgenössisch<br />
konzessionierter Sherlock Holmes“ im Zusammenhang mit dem Schweizer<br />
Geldwäscherecht, vgl. den Beitrag von H. Dietzi, Der Bankangestellte als eidgenössisch<br />
konzessionierter Sherlock Holmes? Der Kampf gegen die Geldwäscherei<br />
aus der Optik des Ersten Rechtskonsulenten einer Grossbank, in Pieth<br />
(Hrsg.), Bekämpfung der Geldwäscherei. Modellfall Schweiz? Basel u. a. 1992,<br />
S. 62 ff.<br />
3 Vgl. z. B. Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zu dem Entwurf eines<br />
Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung<br />
der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz),<br />
Bundestagsdrucksache 14/8739 vom 23.5.2002. Ähnlich die Pressemitteilung<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer vom 4.12.2000 allerdings schon zur erweiterten<br />
EU-Geldwäscherichtlinie: „Damit wird der Anwalt vom Staat verpflichtet,<br />
als Spitzel gegen seine Mandanten tätig zu sein. Nicht einmal totalitäre Diktaturen<br />
haben dies von ihren Anwälten verlangt.“<br />
4 Inhaltlich zustimmend zitiert bei v. Galen, NJW 2003, 117.<br />
5 Ein Überblick zu den einschlägigen Rechtsakten auf internationaler und EU-<br />
Ebene findet sich Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 15 ff. Umfassend zu der Geldwäschebekämpfung<br />
auf EU-Ebene Gentzik, Die Europäisierung des deutschen und<br />
englischen Geldwäschestrafrechts, Berlin 2002.<br />
6 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten<br />
Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Gesetz zu dem Übereinkommen<br />
der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten Verkehr<br />
mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Vertragsgesetz Suchtstoffübereinkommen<br />
1988) vom 22.7.1993, BGBl. II 1993, S. 1136).<br />
7 Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung<br />
von Erträgen aus Straftaten vom 8.11.1990 (Gesetz zu dem Übereinkommen<br />
vom 8.11.1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme<br />
und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 8.4.1998 (BGBl. II 1998,<br />
S. 519).
194<br />
MN<br />
ropäischer Ebene. Seine Zielrichtung ist die Bekämpfung<br />
internationaler Schwerkriminalität.<br />
Für die Bekämpfung der Geldwäsche besonders bedeutsam<br />
sind, obwohl rechtlich unverbindlich, die Empfehlungen<br />
der Financial Action Task Force on Money Laundering<br />
(FATF), ein von den G7-Staaten eingesetztes unabhängiges<br />
Gremium internationaler Experten, die sich mit allen<br />
Aspekten der Geldwäsche befassen. Grundlegend sind die<br />
1996 aktualisierten vierzig Empfehlungen der FATF 8 .Das<br />
novellierte GwG trägt besonders den als unmittelbare Reaktion<br />
auf die Anschläge vom 11. September 2001 ausgesprochenen<br />
8 Washingtoner Empfehlungen der Financial Action<br />
Task Force vom Oktober 2001 9 Rechnung 10 .<br />
Die EWG-Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des<br />
Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche<br />
(91/308/EWG) vom 10.6.1991 bezweckte den Schutz der<br />
legalen Finanzsysteme in der Europäischen Union vor einer<br />
Unterwanderung und stellte somit eine binnenmarktbezogene<br />
Maßnahme dar (Art. 47 Abs. 2 (ex Art. 57 Abs. 2), 95<br />
EGV (ex Art. 100 a)) 11 . Primäres Ziel war also nicht die<br />
Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Die Richtlinie<br />
von 1991 war lediglich auf Finanz- und Kreditinstitute zugeschnitten.<br />
Dagegen bezieht die Änderungsrichtlinie vom<br />
4.12.2001 (2001/97/EG) weitere für Geldwäscher interessante<br />
Berufsgruppen ein, unter anderem Rechtsanwälte,<br />
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.<br />
2. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht<br />
Die EWG-Richtlinie von 1991 wurde durch das Gesetz<br />
über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten<br />
vom 25.10.1993 12 in nationales Recht umgesetzt. Die Änderungsrichtlinie<br />
von 2001 wurde durch das Gesetz zur Verbesserung<br />
der Bekämpfung der Geldwäsche und der<br />
Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz)<br />
13 , umgesetzt und das Geldwäschegesetz<br />
mit Wirkung zum 15.8.2002 entsprechend<br />
neugefasst. Das Gesetzgebungsverfahren war vor dem Hintergrund<br />
der Terroranschläge vom 11.9.2001 vergleichsweise<br />
kurz.<br />
III. Darstellung der für Rechtsanwälte wichtigsten Regelungen<br />
des GwG 14<br />
1. §§ 3, 6, 8, 9 GwG Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und<br />
Aufbewahrungspflicht<br />
a) Regelung<br />
§ 3 GwG dehnt die Identifizierungspflicht gem. § 2<br />
GwG, die bisher nur Kredit- und Finanzinstitute traf, auf<br />
andere Berufsgruppen aus. Nach der Gesetzesbegründung<br />
„werden damit diejenigen Berufe und Tätigkeiten in den<br />
Pflichtenkreis des Gesetzes einbezogen, bei denen erfahrungsgemäß<br />
ein erhöhtes Risiko besteht, dass ihre Dienste<br />
zu Geldwäschezwecken missbraucht werden“ 15 . Dies betrifft<br />
u. a. Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Steuerberater<br />
und Wirtschaftsprüfer.<br />
Bei Rechtsanwälten besteht eine allgemeine verdachtsunabhängige<br />
Identifizierungspflicht nach § 3 Abs. 1 GwG<br />
nur, soweit sie bei bestimmten Kataloggeschäften mitwirken,<br />
nämlich<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
9 Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,<br />
9 Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen<br />
Vermögenswerten ihres Mandanten,<br />
9 Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten,<br />
9 Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur<br />
Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel,<br />
9 Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften<br />
oder ähnlichen Strukturen.<br />
Außerdem ist bei Durchführung von Finanz- oder Immobilientransaktionen<br />
im Namen und auf Rechnung des Mandanten<br />
dieser zu identifizieren. Gerade diese Klausel dehnt<br />
den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 GwG weit aus.<br />
Von einer Identifizierung kann nach § 7 GwG abgesehen<br />
werden, wenn der zu Identifizierende bei dem zur Identifizierung<br />
Verpflichteten persönlich bekannt und wenn er bei<br />
früherer Gelegenheit identifiziert worden ist.<br />
Nach überwiegender Meinung gelten jedoch auch für<br />
Rechtsanwälte die Einschränkungen des § 2 Abs. 1 und 3<br />
GwG, wonach eine Identifizierungspflicht nur bei auf<br />
Dauer angelegten Geschäftsbeziehungen bzw. bei der Annahme<br />
von Bargeld oder elektronischem Geld von wenigstens<br />
15.000 EUR – egal ob als Honorar oder Fremdgeld –<br />
besteht 16 . Allerdings soll auch die Übertragung eines einzelnen<br />
Mandats eine dauerhafte Geschäftsbeziehung begründen,<br />
sodass – außerhalb der so genannten Erstberatung<br />
(§ 20 BRAGO) – bei den genannten Kataloggeschäften in<br />
der Regel der Rechtsanwalt zur Identifizierung seines Mandanten<br />
verpflichtet ist 17 .<br />
Während § 3 GwG eine allgemeine verdachtsunabhängige<br />
Identifizierungspflicht regelt, sieht § 6 GwG eine besondere<br />
verdachtsabhängige Identifizierungspflicht vor,<br />
nämlich dann, wenn auf Grund festgestellter Tatsachen darauf<br />
geschlossen werden kann, dass eine Finanztransaktion<br />
einer Geldwäsche nach § 261 StGB oder der Finanzierung<br />
einer terroristischen Vereinigung dient. Dann besteht eine<br />
Identifizierungspflicht auch bei Unterschreitung des<br />
Schwellenbetrages und außerhalb einer dauerhaften Geschäftsbeziehung.<br />
Das Gebot der persönlichen und dokumentenmäßigen<br />
Identifizierung verlangt, dass der Rechtsanwalt anhand eines<br />
gültigen Ausweisdokuments die Person seines Mandanten<br />
(also Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit,<br />
ggf. Anschrift) und die Art, Nummer und<br />
ausstellende Behörde des Ausweises feststellt (§ 3 i. V. m.<br />
8 Abgedruckt z. B. bei Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 107 ff.<br />
9 Abgedruckt z. B. bei Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 105 ff.<br />
10 Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 18.<br />
11 Umfassend dazu Gentzik (Fn. 6), S. 39 ff.<br />
12 BGBl. I 1993, 1770.<br />
13 BGBl. I 2002, 3105.<br />
14 Nicht ausführlich thematisieren möchte ich § 14 GwG (vgl. BRAK-Mitt. 2003,<br />
229), auf den aber zumindest kurz hingewiesen sein soll. Nach § 14 GwG müssen<br />
unter bestimmten Voraussetzungen (§ 14 Abs. 1 Nr. 8 GwG) Rechtsanwälte<br />
einen Geldwäschebeauftragten bestimmen. Dieser soll „Ansprechpartner“ für<br />
die Strafverfolgungsbehörden und das Bundeskriminalamt sein. Die Nichtbefolgung<br />
ist jedoch nicht sanktioniert. Auch eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche<br />
§ 261 StGB oder Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen gem.<br />
§§ 261, 27, 13 StGB kommt nicht in Betracht. Auch hier stellt sich natürlich<br />
die Frage, inwieweit diese Verpflichtung Grundrechte des Rechtsanwalts oder<br />
objektive Verfassungsgrundsätze verletzt.<br />
15 BT-Ds. 14/8739, S. 12.<br />
16 Vgl. nur Große-Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).<br />
17 Große-Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).
AnwBl 4/2004 195<br />
Aufsätze MN<br />
§ 1 Abs. 5 GwG). Diese Feststellungen sind durch Aufzeichnung<br />
der Angaben (auch auf einem Datenträger) oder<br />
durch Kopie des Ausweises aufzuzeichnen (§ 9 Abs. 1 und<br />
2 GwG). Die Aufzeichnungen sind sechs Jahre aufzubewahren<br />
(§ 9 Abs. 3 GwG).<br />
Ferner ist der Rechtsanwalt verpflichtet, sich zu erkundigen,<br />
ob der Mandant auf eigene oder fremde Rechnung<br />
handelt (§ 8 GwG). Bei Handeln auf fremde Rechnung<br />
muss er Name und Anschrift des wirtschaftlich Berechtigten<br />
feststellen.<br />
b) Sanktionierung<br />
Verstöße gegen die Identifizierungs-, Aufzeichnungs-,<br />
Aufbewahrungs- und Erkundigungspflicht können gem.<br />
§ 17 Abs. 1 Nr. 1, 3 GwG mit einer Geldbuße bis zu<br />
100.000 EUR sanktioniert werden. Eine Strafbarkeit wegen<br />
Beteiligung an einer Geldwäsche durch Verstoß gegen die<br />
genannten Pflichten ist dagegen kaum denkbar, denn auch<br />
nur eine Förderung der Haupttat allein durch die Nichtidentifizierung<br />
erfolgt nicht.<br />
2. § 11 GwG Anzeigepflicht<br />
a) Regelung<br />
§ 11 GwG regelt eine verdachtsabhängige Anzeigepflicht.<br />
Danach müssen bei Kataloggeschäften Rechtsanwälte<br />
Mandanten bei der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(§ 11 Abs. 4 GwG) anzeigen, wenn auf Grund festgestellter<br />
Tatsachen geschlossen werden kann, dass eine Finanzaktion<br />
einer Geldwäsche oder der Finanzierung einer terroristischen<br />
Vereinigung dient (§ 11 Abs. 1 GwG). Die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
leitet die Anzeige dann ggf. mit einer<br />
Stellungnahme an die Strafverfolgungsbehörden und in Kopie<br />
dem Bundeskriminalamt – Zentralstelle für Verdachtsanzeigen<br />
– weiter (§ 11 Abs. 4 S. 3 i. V. m. Abs. 1 S. 1<br />
GwG). Allerdings besteht keine Anzeigepflicht für Rechtsanwälte,<br />
„wenn dem Geldwäscheverdacht Informationen<br />
von dem oder über den Mandanten zu Grunde liegen, die<br />
sie im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung<br />
dieses Mandanten erhalten haben“ (§ 11 Abs. 3 S. 1<br />
GwG). Von dieser Ausnahme gibt es jedoch wieder eine<br />
Ausnahme: Die Anzeigepflicht bleibt bei „doppeltem Vorsatz“<br />
bestehen, nämlich, wenn der Rechtsanwalt weiß,<br />
„dass der Mandant ... 5die4 Rechtsberatung bewusst für<br />
den Zweck der Geldwäsche in Anspruch nimmt“ (§ 11<br />
Abs. 3 S. 2 GwG). Im Falle einer Anzeige besteht eine vorläufige<br />
Handlungssperre für Finanztransaktionen (§ 11<br />
Abs. 1 S. 3 GwG).<br />
Der Rechtsanwalt muss außerdem dem Mandanten die<br />
Anzeige nach § 11 Abs. 5 GwG verschweigen. Dieses Verbot,<br />
im Fachjargon als „tipping-off“ bezeichnet, soll verhindern,<br />
dass Geldwäscher bei Kenntnis der Verdachtsanzeigen<br />
Maßnahmen ergreifen können, „um sich und ihre Verbrechensgewinne<br />
dem Zugriff der staatlichen Strafverfolgung<br />
zu entziehen“ 18 .<br />
b) Sanktionierung<br />
Das GwG sieht keine Sanktion bei Verletzung der Anzeigepflicht<br />
vor. Es kommt aber eine Strafbarkeit wegen<br />
(mit-)täterschaftlich begangener Geldwäsche (§§ 261, 25<br />
StGB) 19 oder Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen<br />
(§§ 261, 27, 13 StGB) 20 in Betracht. Die Verletzung der<br />
Schweigepflicht kann nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 , 3 GwG mit<br />
einer Geldbuße bis zu 50.000 EUR geahndet werden.<br />
IV. Die Kritik im Überblick<br />
Die Kritik an den dargestellten Regelungen ist heftig.<br />
Hier einige der wichtigsten Argumente 21 :<br />
9 Die durch das GwG auferlegten Pflichten seien keine<br />
geeigneten und erforderlichen Mittel zur Bekämpfung<br />
der Geldwäsche. Dadurch werde die durch Art. 12 GG<br />
geschützte Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwaltes<br />
und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung<br />
des Mandanten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1<br />
GG verletzt.<br />
9 Die vorgesehenen Regelungen, insbesondere die<br />
Schweigepflicht hinsichtlich einer Anzeige, störten das<br />
verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Anwalt und Mandanten empfindlich und seien<br />
deshalb bei Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter<br />
verfassungswidrig.<br />
9 Es bestünden rechtsstaatliche Bedenken, wenn der Anwalt<br />
„als Spitzel des Staates“ zum verlängerten Arm<br />
der Ermittlungsbehörden wird. Dies sei unvereinbar mit<br />
dem Grundsatz der freien Advokatur.<br />
9 Letztlich bestünden Wertungswidersprüche zum einfachen<br />
Recht, insbesondere zu § 203 StGB, der Verletzung<br />
von Privatgeheimnissen, zu § 139 Abs. 3 S. 2<br />
StGB, der Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter<br />
Straftaten, und § 43 a Abs. 4 BRAO, des Verbotes der<br />
Vertretung widerstreitender Interessen.<br />
V. Rechtliche Bewertung<br />
1. Prüfungsumfang<br />
In diesem Beitrag möchte ich lediglich thematisieren,<br />
inwieweit die auferlegten Pflichten gegen Verfassungsrecht<br />
verstoßen könnten. Ausklammern möchte ich vor allem die<br />
Frage der Vereinbarkeit mit einfachem Gesetzesrecht.<br />
18 BT-Ds. 14/8739, S. 16.<br />
19 Eine täterschaftliche Geldwäsche kommt z. B. durch die Vereinbarung und Annahme<br />
überhöhter Honorarleistungen gerade zum Zwecke der Herkunftsverschleierung<br />
in Betracht (Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 51. Aufl., München<br />
2003, § 261 Rn 32). Hier liegt der Unrechtsgehalt jedoch nicht primär in dem<br />
Unterlassen einer Anzeige, sondern in dem positiven Tun im Beispiel in der<br />
Vereinbarung und Annahme des Honorars. Zur Problematik der Geldwäsche<br />
durch Annahme von Honorar durch den Strafverteidiger (BGHSt 47, 68) sowie<br />
die Nachweise bei Tröndle/Fischer, aaO, § 261 Rn 32 ff.<br />
20 Es ist jedoch durchaus problematisch, ob sich der Rechtsanwalt bei Nichtanzeige<br />
einer Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen (§§ 261, 27, 13 StGB)<br />
strafbar macht. Es bereitet schon Schwierigkeiten, sich entsprechende Konstellationen<br />
vorzustellen, in denen der fördernde oder kausale Tatbeitrag allein in<br />
dem Unterlassen der Anzeige – und nicht in einem positiven Tun sei es auch<br />
nur in Form der psychischen Beihilfe – liegt. Ein Beispiel, in dem eine Strafbarkeit<br />
gem. §§ 261, 27, 13 StGB in Betracht kommt, ist das Folgende: Ein<br />
Rechtsanwalt berät einen Mandanten rechtlich hinsichtlich eines Gegenstandes,<br />
der aus einer Katalogtat stammt und den der Mandant verwahrt (vgl. § 261<br />
Abs. 2 Nr. 2 StGB). Er erlangt während der Beratung Kenntnis von der Herkunft<br />
des Gegenstandes und berät den Mandanten zwar nicht weiter, zeigt ihn<br />
aber auch trotz des nun geschöpften Verdachtes nicht an. Der Mandant kann<br />
deshalb den Gegenstand weiter verwahren bzw. einem Dritten verschaffen.<br />
Hier ist die Nichtanzeige durch den Rechtsanwalt förderlich für die Geldwäsche<br />
durch den Mandanten, denn bei einer Anzeige wäre die Haupttat zumindest<br />
erschwert worden. Problematisch ist jedoch, ob hier eine aus einer Garantenstellung<br />
fließende Garantenpflicht (§ 13 StGB) besteht. Diese könnte sich<br />
aus § 11 GwG ergeben. Dagegen ließe sich einwenden, dass nicht jede Verhaltenspflicht<br />
auch eine strafrechtliche Garantenpflicht begründet, wofür auch der<br />
Verzicht auf eine Sanktionierung im GwG spricht. Dieser Umstand könnte aber<br />
gerade auch beweisen, dass eine spezielle Sanktionierung wegen der ohnehin<br />
bestehenden Strafbarkeit nach allgemeinem Strafrecht überflüssig ist. Ich habe<br />
jedoch keine Zweifel daran, dass die Rechtsprechung ggf. eine Strafbarkeit wegen<br />
§§ 261, 27, 13 StGB bejahen wird. Unklar die Gesetzesbegründung, wonach<br />
eine Mandatsniederlegung in den Fällen des § 11 Abs. 3 S. 2 GwG geboten<br />
sein wird, um einer eigenen Beihilfestrafbarkeit zu begegnen (BT-Ds. 14/<br />
8739, S. 16).<br />
21 Vgl. nur v. Galen, NJW 2003, 117; Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen<br />
vom 23.5.2002 (Fn. 4); Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des<br />
Deutschen Anwaltsvereins vom Februar 2002.
196<br />
MN<br />
Hierzu nur folgender Hinweis: Im Rahmen des hier vor allem<br />
thematischen § 203 StGB dürfte sich die Diskussion<br />
auf das Problem konzentrieren, ob eine Befugnis zur Offenbarung<br />
kraft Gesetzes besteht, was – unterstellt man die<br />
Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Vorschriften – zu<br />
bejahen sein dürfte.<br />
2. Überprüfung der Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und<br />
Aufbewahrungspflicht und ihrer Sanktionierung am<br />
deutschen Verfassungsrecht<br />
a) Vorbemerkung<br />
Nach den Gesetzesmaterialien ist die Einbindung Privater<br />
in die Strafverfolgung nur dann durch die im Interesse<br />
des Allgemeinwohls liegende Strafverfolgung gerechtfertigt,<br />
wenn dies die Geldwäschebekämpfung und<br />
damit mittelbar die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität<br />
effektiviert. Zum Beispiel heißt es in einer Äußerung<br />
der Bundesregierung vom 4.6.1992: „Wie in der Entwurfsbegründung<br />
bereits ausführlich dargelegt, besteht der<br />
Zweck der verbesserten Erkenntnisquellen für die Strafverfolgungsbehörden<br />
in einer Effektivierung der Geldwäschebekämpfung.<br />
Nur insoweit lässt sich die hierfür erforderliche<br />
Einbindung Privater in die – an sich dem Staat<br />
obliegende – Aufgabe der Strafverfolgung rechtfertigen“ 22 .<br />
Dass die Bekämpfung der Geldwäsche ein legitimer<br />
Zweck ist, steht nicht zur Diskussion. Für die Kritiker des<br />
GwG sind die Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten<br />
und ihre Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit<br />
jedoch keine geeigneten Mittel zur Bekämpfung<br />
der Geldwäsche und damit die entsprechenden<br />
Regelungen grundrechtswidrig.<br />
b) Diskussion<br />
Die Annahme, dass die im GwG vorgesehenen Identifizierungs-,<br />
Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten<br />
und ihre Sanktionierung grundrechtswidrig sind, basiert auf<br />
drei im Folgenden zu diskutierenden Prämissen: Erstens,<br />
dass die genannten Pflichten und/oder ihre Sanktionierung<br />
in Grundrechte eingreifen, zweitens, dass sie keine geeigneten<br />
und damit unverhältnismäßige Mittel zur Bekämpfung<br />
der Geldwäsche sind, und drittens, dass deutsches Verfassungsrecht<br />
anwendbar ist.<br />
aa) Eingriffsqualität<br />
Durch die Auferlegung von Handlungspflichten wird in<br />
die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit<br />
des Rechtsanwalts eingegriffen 23 . Dadurch wird nämlich<br />
geregelt, wie Rechtsanwälte ihre Berufstätigkeit im Einzelnen<br />
zu gestalten haben. Ohne diese Pflichten würden sicher<br />
die wenigsten Anwälte ein Beratungsgespräch mit einem<br />
Mandanten mit der Aufforderung beginnen, den Ausweis<br />
vorzulegen. Auf Seite des Mandanten wird insbesondere<br />
durch die verdachtsunabhängigen Identifizierungs-, Aufbewahrungs-<br />
und Aufzeichnungspflichten in das „Grundrecht<br />
auf informationelle Selbstbestimmung“ aus Art. 2<br />
Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG eingegriffen 24 .<br />
bb) Verhältnismäßigkeit<br />
Bei der ersten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung,<br />
der Geeignetheit, ist zu fragen, ob der Zweck – die Be-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
kämpfung der Geldwäsche – durch die auferlegten Handlungspflichten<br />
zumindest abstrakt gefördert werden kann.<br />
Dies ist nur dann der Fall, wenn die Strafverfolgungsbehörden<br />
in rechtlich zulässiger Weise auf die Aufzeichnungen<br />
bzw. die auf Grund der Identifizierung gewonnenen<br />
Informationen zugreifen und diese verwerten können.<br />
Hier setzt die Kritik an: Eine freiwillige Herausgabe der<br />
Aufzeichnungen stellt einen gem. § 203 StGB strafbaren<br />
Verstoß gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
dar. Das GwG selbst enthält nur so genannte Beweisvorsorgepflichten,<br />
aber keine gesetzliche Grundlage zur Heranziehung<br />
von nach dem GwG erstellter Unterlagen zum Zwecke<br />
der Strafverfolgung 25 . Eine Eingriffsbefugnis kann sich<br />
aus dem allgemeinen Strafprozessrecht ergeben, also insbesondere<br />
aus §§ 94 ff. StPO. Das Auskunftsverlangen nach<br />
§ 95 StPO wird im Normalfall nicht zulässig sein, weil es<br />
voraussetzt, dass zwar feststeht, dass sich ein Beweismittel<br />
im Gewahrsam einer Person befindet, aber der Gegenstand<br />
bei einer Durchsuchung nicht gefunden oder der Ort des<br />
Gewahrsams nicht ermittelt werden kann 26 . Es bleibt die<br />
Beschlagnahme gem. §§ 94, 98 StPO. Diese ist aber gem.<br />
§ 98 StPO nur zulässig, wenn die Aufzeichnungen nach<br />
dem GwG nicht beschlagnahmefrei sind. Dabei sind zunächst<br />
die Verwertungsbeschränkungen des § 10 GwG zu<br />
beachten, denn bei Unzulässigkeit der Verwertung ist auch<br />
die Beschlagnahme unzulässig. Nach § 10 Abs. 1 GwG<br />
dürfen die nach § 9 Abs. 1 GwG gefertigten Aufzeichnungen<br />
nur zur Verfolgung einer Straftat nach § 261 StGB oder<br />
einer Vortat der Geldwäsche herangezogen und verwendet<br />
werden. Darüber hinaus gelten die allgemeinen Beschlagnahmeverbote,<br />
also insbesondere § 97 Abs. 1 StPO. Beschlagnahmefrei<br />
sind danach die Aufzeichnungen, welche<br />
ein zeugnisverweigerungsberechtigter Rechtsanwalt über<br />
die ihm vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder<br />
über andere Umstände gemacht hat, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO erstreckt.<br />
Bei dem zu Grunde zu legenden weiten Verständnis<br />
des Begriffs Aufzeichnungen, unter den u. a. Karteien fallen,<br />
sind die Aufzeichnungen nach § 9 GwG beschlagnahmefrei.<br />
Eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit tritt allerdings<br />
nach § 97 Abs. 2 S. 3 1. HS. StPO bei einer Tatverstrickung<br />
des Rechtsanwaltes ein. Diese ist z. B. denkbar,<br />
wenn er bei Tatverdacht den Mandanten nicht anzeigt. Keinesfalls<br />
ist es aber so, dass jeder Verstoß gegen das GwG<br />
bereits eine Tatverstrickung begründet, denn eine solche<br />
liegt nur vor, wenn der Rechtsanwalt, was durch Tatsachen<br />
erhärtet sein muss, sich an der Tat als Mittäter, Gehilfe oder<br />
Anstifter beteiligt, oder sie sonst wie begünstigt oder durch<br />
Strafvereitelung fördert 27 . Die Nichtidentifizierung, die der<br />
weitaus häufigste Fall eines Verstoßes gegen das GwG sein<br />
22 BT-Ds. 12/2747, S. 3.<br />
23 Zu den Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Berufsausübungsregeln<br />
vgl. grundlegend BVerfGE 7, 377 (403 ff.).<br />
24 Grundlegend zu dem „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“<br />
BVerfGE 65, 1.<br />
25 LG Koblenz, NJW 1997, 2613; Zentraler Kreditausschuss der Spitzenverbände<br />
der Kreditwirtschaft (ZKA), Leitfaden zur Bekämpfung der Geldwäsche, Berlin/Brüssel<br />
2001, S. 109.<br />
26 Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 45. Aufl., § 95 Rn 1; LG<br />
Bonn, NStZ 1983, 327.<br />
27 Nack in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl., München<br />
2003, § 97 Rn 35.
AnwBl 4/2004 197<br />
Aufsätze MN<br />
wird, kann jedoch lediglich als Ordnungswidrigkeit, nicht<br />
aber als strafbare Beteiligung an einer Geldwäsche verfolgt<br />
werden. Außerdem könnten sich konkrete Tatsachen, die einen<br />
Tatverdacht begründen würden, in diesen Fällen erst<br />
durch die Beschlagnahme der beschlagnahmefreien Unterlagen<br />
ergeben, der Tatverdacht muss jedoch bereits bei der<br />
Anordnung der Beschlagnahme bestehen 28 . Es wäre also zu<br />
kurz gegriffen, wenn man die Beschlagnahmeverbote im<br />
Falle eines Verstoßes gegen das GwG als wirkungslos betrachten<br />
würde, wenn auch die Gefahr eines Missbrauchs<br />
durch die Strafverfolgungsbehörden groß ist.<br />
Damit komme ich zu folgendem Zwischenergebnis: Die<br />
Identifizierungs- und Aufzeichnungspflichten sind schon<br />
abstrakt sowohl präventiv als auch repressiv keine geeigneten<br />
Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche. Zur<br />
Strafverfolgung sind sie wegen der Beschlagnahmeverbote<br />
ungeeignet, zu Präventionszwecken deshalb, weil eine nicht<br />
verwertbare Identifizierung wohl keine Abschreckungswirkung<br />
hat. Durch die auferlegten Pflichten und auch durch<br />
ihre Sanktionierung wird unverhältnismäßig in Grundrechte<br />
des Rechtsanwalts und des Mandanten eingegriffen.<br />
cc) Anwendbarkeit deutschen Verfassungsrechts<br />
Damit aber das Verdikt der Verfassungswidrigkeit über<br />
einzelne Bestimmungen des GwG verhängt werden kann,<br />
müssten diese überhaupt anhand des nationalen Verfassungsrechts<br />
überprüfbar sein. Dies ist deshalb zweifelhaft,<br />
weil hier Vorgaben einer EG-Richtlinie in deutsches Recht<br />
umgesetzt wurden und ein Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts<br />
gilt 29 . Nach der Rechtsprechung des<br />
BVerfG 30 sind nationale Regelungen ebenso wie das sekundäre<br />
Gemeinschaftsrecht selbst dann nicht am Maßstab der<br />
deutschen Grundrechte zu prüfen, wenn die Normsetzung<br />
zwingend dem Gemeinschaftsrecht folgt. Eine Überprüfbarkeit<br />
ist nur ausnahmsweise dann gestattet, wenn die europäische<br />
Rechtsentwicklung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard<br />
gesunken ist 31 . Das wird man auch wegen<br />
der Fortentwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes<br />
32 kaum annehmen können.<br />
Hinsichtlich der Verhaltensnormen, also der Verpflichtung<br />
der Rechtsanwälte zur Identifizierung, Aufbewahrung<br />
und Aufzeichnung, hatte der deutsche Gesetzgeber bei der<br />
Umsetzung keinen legislativen Spielraum (vgl. Art. 2 a, 3,<br />
4 EG-Richtlinie) 33 . Damit sind diese wegen des Anwendungsvorrangs<br />
des Gemeinschaftsrechts nicht verfassungsrechtlich<br />
überprüfbar.<br />
Anders als bei den Verhaltensnormen hatten die Mitgliedsstaaten<br />
bei der Setzung entsprechender Sanktionsnormen<br />
einen legislativen Spielraum. In Art. 14 EG-Richtlinie<br />
heißt es ausdrücklich, dass jeder Mitgliedsstaat geeignete,<br />
d. h. in diesem Zusammenhang effektive Maßnahmen trifft,<br />
um die vollständige Anwendung aller Bestimmungen dieser<br />
Richtlinie sicherzustellen, und festlegt, wie Verstöße gegen<br />
die auf Grund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu<br />
ahnden sind. Damit ist der Weg für eine verfassungsrechtliche<br />
Prüfung der Sanktionsnormen anders als bei den dem<br />
Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts unterliegenden<br />
Verhaltensnormen frei. Gegen eine Überprüfbarkeit<br />
könnte nur sprechen, dass damit über die Hintertür doch<br />
eine grundgesetzliche Überprüfung auch der Verhaltensnormen<br />
erfolgt und somit der grundsätzliche Anwendungsvorrang<br />
des Gemeinschaftsrechts umgangen wird. Meines Er-<br />
achtens greifen diese Bedenken jedoch wegen der auch in<br />
der EG-Richtlinie angelegten Trennung zwischen Verhaltens-<br />
und Sanktionsnorm, also der Identifizierungspflicht<br />
etc. und der Sanktionierung ihrer Verletzung als Ordnungswidrigkeit,<br />
nicht 34 . So ist der Weg frei für eine verfassungsrechtliche<br />
Überprüfung der entsprechenden Sanktionsnormen,<br />
ohne dass dadurch der Anwendungsvorrang des<br />
Gemeinschaftsrechts in Frage gestellt wird. Die Sanktionierung<br />
ist ein Grundrechtseingriff. Knüpft sie an die Verletzung<br />
grundrechtswidriger, da in Hinblick auf den Gesetzeszweck<br />
ungeeigneter Verhaltensnormen an, ist sie selbst<br />
verfassungswidrig.<br />
Im Ergebnis kann also wegen des Anwendungsvorrangs<br />
des Gemeinschaftsrechts ein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht<br />
allenfalls hinsichtlich der Sanktionsnormen<br />
bejaht werden. Im Rahmen dieses als Problemabriss konzipierten<br />
Beitrages kann ich nicht mehr thematisieren, ob<br />
durch die nicht an nationalem Verfassungsrecht überprüfbaren<br />
Verhaltensnormen Gemeinschaftsgrundrechte verletzt<br />
sind, also insbesondere die Grundrechte auf Berufsfreiheit<br />
und auf informationelle Selbstbestimmung oder auch das<br />
justizielle Recht auf Schutz des Vertrauensverhältnisses<br />
zwischen Anwalt und Mandant bei Berücksichtigung des<br />
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 35 . Zuständig für eine Klärung<br />
dieser Frage wäre der Europäische Gerichtshof.<br />
3. Überprüfung der Anzeigepflicht, ihrer Geheimhaltung<br />
und Sanktionierung am deutschem Verfassungsrecht<br />
Dagegen kann die Anzeigepflicht nach § 11 GwG zumindest<br />
teilweise an deutschem Verfassungsrecht gemessen<br />
werden. Zum einen macht die Regelung keinen Gebrauch<br />
von der Option in Art. 6 Abs. 3 EG-Richtlinie, die freien<br />
Berufe gänzlich von der Anzeigepflicht auszunehmen.<br />
Stattdessen wurde eine Gegenausnahme in § 11 Abs. 3 S. 2<br />
GwG, wonach eine Anzeigepflicht auch bei Rechtsberatung<br />
oder Prozessvertretung bei doppeltem Vorsatz ausnahmsweise<br />
besteht, aus Erwägungsgrund Nr. 17 der EG-Richtlinie<br />
aufgenommen. Zum anderen blieb auch die Option in<br />
Art. 8 Abs. 2 EG-Richtlinie ungenutzt, Angehörige freier<br />
Berufe vom Verbot auszunehmen, den Betroffenen über<br />
28 Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 27), § 97 Rn 20 m. w. N.<br />
29 Zum grundsätzlichen Vorrang des Gemeinschaftsrechts für den Fall einer Kollision<br />
zwischen nationalem und EG-Recht und zu der Lehre vom Anwendungsvorrang<br />
des Gemeinschaftsrechts umfassend Satzger, Die Europäisierung des<br />
Strafrechts, Köln u. a. 2001, S. 43 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Zur begrenzten<br />
Überprüfbarkeit der Wirksamkeit einzelner Bestimmungen des Geldwäschegesetzes<br />
Fülbier/Aepfelbach, GwG – Kommentar zum Geldwäschegesetz,<br />
4. Aufl., Köln 1999, vor § 1 GwG Rn 25 ff.<br />
30 BVerfG NJW 2001, 1268.<br />
31 BVerfGE 73, 339 (376 ff.); 89, 155; BVerfG NJW 2000, 3124. Zu den allgemeinen<br />
Grenzen für eine Europäisierung des Strafrechts umfassend Satzger<br />
(Fn. 30), S. 151 ff.<br />
32 Zum gegenwärtigen Stand des europäischen Grundrechtsschutzes unter Berücksichtigung<br />
der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom<br />
7.12.2000 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union,<br />
20. Ergänzungslieferung, München 2003, nach Art. 6 EUV, Rn 1 ff.<br />
33 Art. 4 EG-Richtlinie sieht lediglich kürzere Aufbewahrungsfristen (5 Jahre)<br />
vor als § 9 Abs. 3 GwG (6 Jahre). Dies kann im Folgenden aber vernachlässigt<br />
werden.<br />
34 Zur Bedeutung der Unterscheidung Verhaltensnorm/Sanktionsnorm für die verfassungsrechtliche<br />
Beurteilung Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der<br />
Grundrechte, Tübingen 1996.<br />
35 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gemeinschaft<br />
Pernice/Mayer (Fn. 33), nach Art. 6 EUV, Rn 304, zum Grundrecht<br />
auf Berufsfreiheit vgl. Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen<br />
Union vom 7.12.2000, zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung<br />
Art. 8 der Charta und zu den justiziellen Rechten Art. 47, 48 der Charta. Hier<br />
stellt sich die Frage, ob nationale Beschlagnahmeverbote – wegen Ungeeignetheit<br />
des Mittels – eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als allgemeinen<br />
Rechtsgrundsatz der Gemeinschaft begründen können. Dies dürfte wegen<br />
des grundsätzlichen Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu verneinen sein.
198<br />
MN<br />
eine Anzeige zu informieren (vgl. § 11 Abs. 5 GwG). Damit<br />
hat der nationale Gesetzgeber den ihm von der Richtlinie<br />
eingeräumten Spielraum zu Ungunsten der Anwaltschaft<br />
und ihrer Mandanten genutzt. Er ist insoweit an die<br />
Vorgaben des Grundgesetzes gebunden.<br />
Gegen die ausnahmsweise bei doppeltem Vorsatz bestehende<br />
Anzeigepflicht und gegen das sanktionsbewehrte<br />
Unterrichtungsverbot wird vor allem eingewandt, dass dadurch<br />
das grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Mandant und Anwalt verletzt werde. Außerdem<br />
bestünden wegen des Grundsatzes der freien Advokatur<br />
rechtsstaatliche Bedenken gegen die Inanspruchnahme des<br />
Rechtsanwaltes zum Zwecke der Strafverfolgung.<br />
In dem Urteil des BVerfG 36 zum Widerruf der Zulassung<br />
von Rechtsanwälten, die in der DDR inoffizielle Mitarbeiter<br />
des Staatssicherheitsdienstes waren, hat das BVerfG ausgeführt:<br />
„Es entspricht dem Rechtstaatsgedanken und dient<br />
der Rechtspflege, dass dem Bürger schon aus Gründen der<br />
Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Verfügung<br />
stehen, zu denen er Vertrauen haben darf und von denen<br />
er erwarten kann, dass sie seine Interessen frei und unabhängig<br />
von staatlicher Einflussnahme wahrnehmen.“<br />
Der BGH spricht im Urteil zur Geldwäsche durch Honorarannahme<br />
vom 4.7.2001 37 von einem verfassungsrechtlich<br />
geschützten Vertrauensverhältnis zwischen Mandanten<br />
und Strafverteidiger, das er aber – im Gegensatz zum OLG<br />
Hamburg 38 – im konkreten Fall nicht verletzt sah.<br />
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 17.7.2002 39<br />
zur Beschlagnahme von Computerdaten in einer Anwaltskanzlei<br />
jedoch jüngst deutlich gemacht, dass die verfassungsrechtliche<br />
Bedeutung der Vertrauensbeziehung zwischen<br />
Berufsgeheimnisträgern und ihren Mandanten noch<br />
nicht geklärt ist. Dort heißt es wörtlich: „Diese Vertrauensbeziehung<br />
könnte verfassungsrechtlich durch das Recht des<br />
Berufsgeheimnisträgers aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG und das<br />
Persönlichkeitsrecht des Mandanten geschützt sein. Dabei<br />
wäre in Betracht zu ziehen, ob die besondere Schutzwürdigkeit<br />
des Mandats zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens<br />
für den Mandanten des Berufsgeheimnisträgers von<br />
Belang ist ... . Fraglich wäre insoweit, ob Berufsgeheimnisträger<br />
diese Rechtsposition unmittelbar für sich in Anspruch<br />
nehmen können“ 40 .<br />
Insgesamt kann man festhalten, dass die Vertrauensbeziehung<br />
zwischen Anwalt und Mandant und die Freiheit<br />
des Anwaltsberufs von staatlicher Kontrolle und Bevormundung<br />
verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Es spricht<br />
nach der zitierten Rechtsprechung viel dafür, dass es sich<br />
zumindest auch um einen Eingriff in Grundrechte des Mandanten<br />
handelt. Wegen dieser Eingriffsqualität der Anzeigepflicht<br />
bei doppeltem Vorsatz und der Schweigepflicht über<br />
die Anzeige sowie der Sanktionierung von Verstößen ist deren<br />
Verhältnismäßigkeit nach deutschem Verfassungsrecht<br />
zu überprüfen.<br />
Hinsichtlich der Eignung der genannten Vorschriften in<br />
Hinblick auf den legitimen Gesetzeszweck der effektiven<br />
Bekämpfung der Geldwäsche bestehen keine Bedenken. Zumindest<br />
abstrakt besteht die Möglichkeit, dass durch die geheime<br />
Anzeige die Geldwäsche bekämpft wird. Auch ist<br />
kein gleich geeignetes milderes Mittel ersichtlich. Es bleibt<br />
also letztlich zu prüfen, ob das gewählte Mittel zur Erreichung<br />
des angestrebten Zwecks angemessen ist. Abzuwägen<br />
sind die Rechtsgüter Vertrauensverhältnis zwischen Man-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
dant und Anwalt gegen das Interesse an einer effektiven<br />
Bekämpfung der Geldwäsche. Eine abstrakte Abwägung<br />
der Rechtsgüter führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Hinsichtlich<br />
der Eingriffsintensität ist festzuhalten, dass die<br />
Verpflichtung zu einer geheimen Anzeige ein schwer wiegender<br />
Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen<br />
Anwalt und Mandanten ist. Die Anzeigepflicht und das<br />
Unterrichtungsverbot greifen aber nur unter engen Voraussetzungen,<br />
nämlich bei einem Verdacht und in Fällen der<br />
Rechtsberatung und Prozessvertretung bei doppeltem Vorsatz.<br />
Ich denke, dass die Regelungen in Hinblick auf diese<br />
hohe Eingriffsschwelle noch verfassungsgemäß sind. Auch<br />
diese Fragestellung bedürfte jedoch einer vertieften Klärung,<br />
wobei dann sicherlich eine Rolle spielen wird, welchen<br />
verfassungsrechtlichen Stellenwert das BVerfG dem<br />
Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant letztendlich<br />
zubilligen wird.<br />
VI. Zusammenfassung<br />
Die durch das novellierte GwG den Rechtsanwälten auferlegten<br />
Identifizierungs- und Anzeigepflichten sind mit<br />
dem tradierten Verständnis einer von staatlichem Einfluss<br />
freien Anwaltschaft schwer in Einklang zu bringen. Den<br />
Rechtsanwälten wird bei Vorliegen der dargestellten gesetzlichen<br />
Voraussetzungen unter Sanktionsdrohung zugemutet,<br />
präventiv und repressiv zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung<br />
ihre Mandanten zu identifizieren und diese anzuzeigen,<br />
ohne den Mandanten zu informieren. Das Bild der<br />
Anwaltschaft in der öffentlichen Meinung wird dadurch<br />
Schaden nehmen. Rechtspolitisch kann dies nicht<br />
erwünscht sein.<br />
Jenseits aller rechtspolitisch motivierten Kritik stellt sich<br />
jedoch die Frage, ob die Neuregelungen mit dem Grundgesetz<br />
vereinbar sind. Die Verhaltenspflichten zur Identifizierung,<br />
Aufbewahrung und Aufzeichnung können wegen<br />
des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht<br />
anhand des deutschen Verfassungsrechts überprüft werden,<br />
obwohl sie nach der hiesigen Ansicht wegen der strafprozessualen<br />
Beschlagnahmeverbote nicht zur Geldwäschebekämpfung<br />
geeignet und damit unverhältnismäßig sind. Lediglich<br />
die entsprechenden Sanktionsnormen dürften<br />
anhand des deutschen Verfassungsrechts überprüfbar sein.<br />
Was die Verfassungsmäßigkeit der Anzeigepflichten und ihrer<br />
Geheimhaltung betrifft, ist eine Überprüfung anhand des<br />
Grundgesetzes zumindest teilweise zulässig. Nach der hier<br />
vertretenen Ansicht dürften die Regelungen gerade noch<br />
verfassungsgemäß sein; es bleibt aber abzuwarten, welchen<br />
verfassungsrechtlichen Stellenwert das BVerfG dem Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Anwalt und Mandant letztlich<br />
zuerkennen wird.<br />
36 BVerfGE 93, 213.<br />
37 BGHSt 47, 68.<br />
38 OLG Hamburg NJW 2000, 673.<br />
39 BVerfG NJW 2002, 2458.<br />
40 BVerfG NJW 2002, 2458 (2458 f.).
AnwBl 4/2004 199<br />
Aufsätze MN<br />
Auswirkungen des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />
auf die wirtschaftsanwaltliche<br />
Beratung<br />
Auch ein Beitrag zur Novellierung<br />
der § 370 a AO, § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB<br />
Rechtsanwälte Dr. Frank Burmeister, Frankfurt am<br />
Main, und Dr. Dirk Uwer, Mag. rer. publ., Düsseldorf*<br />
Das Geldwäschebekämpfungsgesetz und die Änderungen<br />
der Strafbarkeit der Geldwäsche durch Rechtsanwälte<br />
bei gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung als Vortat sind in<br />
ihren Auswirkungen auf die spezifisch wirtschaftsanwaltliche<br />
Beratung 1 bislang, soweit ersichtlich, noch nicht<br />
gewürdigt worden. Einen ersten Schritt zur Füllung dieser<br />
Lücke unternimmt der folgende Beitrag.<br />
Zunächst sollen die Auswirkungen der Novelle des<br />
Geldwäschegesetzes untersucht werden. Der Fokus richtet<br />
sich hier insbesondere auf die Identifizierungspflichten (im<br />
Folgenden unter I.1. und 2.), aber auch auf die neu geschaffene<br />
Verdachtsmeldepflicht (im Folgenden unter I.3.). Im<br />
zweiten Teil werden dann die Änderungen des § 370 a AO<br />
auf ihr Strafbarkeitsrisiko für den wirtschaftsanwaltlichen<br />
Berater wegen Geldwäsche überprüft (im Folgenden unter<br />
II.). Schließlich soll versucht werden, Empfehlungen für<br />
den Umgang mit beiden Komplexen innerhalb der wirtschaftsanwaltlichen<br />
Beratungspraxis zu geben.<br />
I. Novelle des Geldwäschegesetzes<br />
Am 15.8.2002 ist Artikel 1 des Gesetzes zur Verbesserung<br />
der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung<br />
der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz)<br />
vom 8.8.20022 in Kraft getreten. Er<br />
enthält Änderungen des Gesetzes über das Aufspüren von<br />
Gewinnen aus schweren Straftaten vom 25.10.19933 (Geldwäschegesetz<br />
– GwG). Die – weit reichenden – Konsequenzen<br />
der Gesetzesänderung auf die wirtschaftsanwaltliche<br />
Beratung fasst der folgende Überblick zusammen.<br />
1. Erstreckung der Identifizierungspflichten auf Freiberufler<br />
a) Identifizierungspflichten auslösende Kataloggeschäfte<br />
Für die rechtsberatenden Berufe, insbesondere Rechtsanwälte<br />
und Notare, von besonderer Bedeutung ist die<br />
Erstreckung der – bisher auf Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute<br />
sowie Versicherungsunternehmen und ähnliche<br />
„Institute“ beschränkten – allgemeinen Identifizierungspflichten.<br />
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG<br />
unterliegen jetzt auch Rechtsanwälte, Rechtsbeistände, die<br />
Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sind, Patentanwälte<br />
und Notare bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit den<br />
allgemeinen Identifizierungspflichten, wenn sie für ihre<br />
Mandanten an der Planung oder Durchführung von folgenden<br />
Geschäften mitwirken:<br />
9 Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,<br />
9 Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen<br />
Vermögenswerten ihres Mandanten,<br />
9 Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten,<br />
9 Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur<br />
Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel,<br />
9 Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften,<br />
Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen,<br />
9 oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihrer Mandanten<br />
Finanz- oder Immobilientransaktionen durchführen.<br />
Die Einbeziehung der genannten Freiberufler in die<br />
Identifizierungspflichten ist durch die Richtlinie 2001/97/<br />
EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom<br />
4.12.2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des<br />
Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems<br />
zum Zwecke der Geldwäsche 4 veranlasst, die bis zum<br />
15.6.2003 in deutsches Recht umzusetzen war. Von den<br />
Geldwäscheschutzvorschriften erfasst werden jetzt auch<br />
diejenigen Berufe und Tätigkeiten, bei denen nach Auffassung<br />
des Richtliniengebers erfahrungsgemäß ein erhöhtes<br />
Risiko besteht, dass ihre Dienste zu Geldwäschezwecken<br />
missbraucht werden. § 3 Abs. 1 Satz 1 GwG ist weitgehend<br />
identisch mit Artikel 2 a Nr. 5 der Richtlinie 5 .<br />
b) Mehrfachqualifikation des Freiberuflers<br />
Während bei Rechtsanwälten und Notaren nur die in § 3<br />
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäfte Identifizierungspflichten<br />
auslösen können, ist bei Wirtschaftsprüfern<br />
und Steuerberatern ihre gesamte berufliche Tätigkeit erfasst.<br />
Weder dem GwG noch der EG-Richtlinie lässt sich<br />
präzise entnehmen, welchen Pflichten ein Freiberufler unterliegt,<br />
der sowohl § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als auch Nr. 2<br />
GwG unterfällt, also eine Doppel- oder Dreifachqualifikation<br />
als Rechtsanwalt und Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer<br />
besitzt.<br />
Richtigerweise wird man nach dem Wortlaut des einleitenden<br />
Satzteils von § 3 Abs. 1 Satz 1 GwG auf die jeweilige<br />
„Ausübung der beruflichen Tätigkeit“ abstellen<br />
müssen. Gleichwohl sind Überschneidungsbereiche denkbar.<br />
Die Definition der Steuerberatung als „Hilfeleistung in<br />
Steuersachen“ (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 StBerG) führt insoweit<br />
nicht weiter, weil zu solcher Hilfeleistung Steuerberater<br />
und Rechtsanwälte gleichermaßen befugt sind (§ 3 Nr. 1<br />
StBerG). Einen wichtigen Anhaltspunkt liefert jedoch der<br />
16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/97/EG. Danach<br />
sollten Notare und selbstständige Angehörige von Rechtsberufen<br />
im Sinne der von den Mitgliedstaaten vorgenommenen<br />
Definition den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen,<br />
wenn sie sich – einschließlich der Steuerberatung –<br />
an Finanz- oder Unternehmenstransaktionen beteiligen, bei<br />
* Sozietät Hengeler Mueller.<br />
1 Eine Zwischenbilanz der Konsequenzen einer Dekade Geldwäschegesetzgebung<br />
auf die Anwaltschaft zog jüngst Leitner, AnwBl 2003, 675 ff.<br />
2 BGBl. I S. 3105, zuletzt geändert durch Art. 11 Investmentmodernisierungsgesetz<br />
vom 15.12.2003 (BGBl. I S. 2676).<br />
3 BGBl. I S. 1770.<br />
4 ABl. EG Nr. L 344 S. 76; zu den Beratungen zur Geldwäscherichtlinie und der<br />
Kritik daran siehe Hellwig, AnwBl 2002, 144 ff.<br />
5 Die von der Richtlinie vorgegebenen Erweiterungen auf Freiberufler sind vielfach<br />
kritisiert worden. Naturgemäß stand dabei der Vorwurf einer rechtsstaatlich<br />
bedenklichen Verwässerung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht im Mittelpunkt.<br />
Vgl. dazu Hellwig, AnwBl 2002, 144 ff.; ders., AnwBl 2000, 614 ff.
200<br />
MN<br />
denen die schon erwähnte Gefahr sehr groß ist, dass ihre<br />
Dienste für das Waschen von Erlösen aus kriminellen Tätigkeiten<br />
missbraucht werden.<br />
Die Parenthese lässt sich im Sinne eines Willens des<br />
Richtliniengebers verstehen, Rechtsanwälte und Notare<br />
auch dann nur partiell (nämlich nur unter den Voraussetzungen<br />
des Art. 2 a Nr. 5 der Richtlinie/§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1<br />
GwG) den Geldwäschebestimmungen zu unterwerfen,<br />
wenn sie sich steuerberatend betätigen. Eine Rechtsanwaltskanzlei<br />
wird sich zudem auch deshalb auf diese Privilegierung<br />
der Rechtsanwälte stützen können, wenn sie nach außen<br />
nur als Rechtsanwaltskanzlei oder Sozietät bzw.<br />
Partnerschaft von Rechtsanwälten auftritt und nicht etwa<br />
als „Rechtsanwälte Steuerberater“.<br />
Würde ein Rechtsanwalt hingegen als Wirtschaftsprüfer<br />
bei „betriebswirtschaftlichen Prüfungen“ (§ 2 Abs. 1 WPO)<br />
tätig, dürfte dafür grundsätzlich § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2<br />
GwG gelten, da sich in diesem Fall eine entsprechende Privilegierung<br />
wie bei der anwaltlichen Steuerberatung weder<br />
der Richtlinie noch dem GwG entnehmen lässt.<br />
c) Notare<br />
Für Notare gehen die beschriebenen Pflichten nach dem<br />
GwG grundsätzlich abweichenden beurkundungsrechtlichen<br />
Bestimmungen vor. Dies hat die Bundesregierung in ihrer<br />
Gegenäußerung auf die Stellungnahme des Bundesrates zum<br />
Entwurf des Geldwäschebekämpfungsgesetzes klargestellt.<br />
Der Bundesrat hatte eingewandt, dass nach § 26 Abs. 1<br />
Satz 1 der Dienstordnung für Notarinnen und Notare für die<br />
Identitätsfeststellung geringere Anforderungen gelten als<br />
nach dem GwG. Beurkundungsrechtlich müsse der Notar<br />
auch bei Ungewissheit über die Beteiligten die Niederschrift<br />
aufnehmen, wenn ein Beteiligter dies verlange; der Notar<br />
habe nur diesen Sachverhalt nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BeurkG<br />
in die Niederschrift aufzunehmen 6 . Die Bundesregierung<br />
hat dem entgegengehalten, dass die Identifikation nach<br />
den (strengeren) Anforderungen des GwG erfolgen müsse,<br />
die Identifizierung aber unverzüglich nachgeholt werden<br />
könne und müsse, wenn die Beurkundung beurkundungsrechtlich<br />
durchzuführen sei. Die unverzügliche Nachholung<br />
sei noch eine Identifizierung „bei“ der Mitwirkung an einem<br />
in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäft 7 .<br />
2. Inhalt und Umfang der Identifizierungspflichten<br />
a) Identifizierungspflicht nur bei „auf Dauer angelegten<br />
Geschäftsbeziehungen“ oder Annahme von Bargeld<br />
und dgl.<br />
Die Identifizierungspflicht ist die Grundpflicht des GwG<br />
und verankert das „Know your customer“-Prinzip, das der<br />
EG-Geldwäscherichtlinie zugrunde liegt 8 . Sofern Rechtsanwälte<br />
und Notare an der Planung und Durchführung der<br />
in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Transaktionen<br />
mitwirken, unterliegen sie den Identifizierungspflichten des<br />
Geldwäschegesetzes – dies jedoch nur unter einer weiteren,<br />
wesentlichen Einschränkung: Die in § 3 Abs. 1 Satz 1<br />
GwG in Bezug genommenen allgemeinen Identifizierungspflichten<br />
für Institute nach § 2 Abs. 1 bis 3 GwG setzen<br />
stets eine „auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung“ (§2<br />
Abs. 1 Satz 1 GwG) oder die „Annahme von Bargeld,<br />
Wertpapieren im Sinne von § 1 Abs. 1 des Depotgesetzes<br />
oder Edelmetallen im Wert von (ggf. zusammen) 15.000<br />
Euro“ (§ 2 Abs. 2 i.V. m. Abs. 3 GwG) voraus.<br />
Der Fall der Empfangnahme von Geld, Wertpapieren<br />
oder Wertsachen soll im Folgenden weitgehend außer Be-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
tracht bleiben – er ist im Rahmen der wirtschaftsanwaltlichen<br />
Beratung von vergleichsweise geringer Bedeutung –;<br />
näher untersucht werden sollen nur die Pflichten bei einer<br />
„auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung“.<br />
Für die betragsunabhängige Identifizierungspflicht<br />
kommt es entscheidend darauf an, was eine „auf Dauer angelegte<br />
Geschäftsbeziehung“ ist. Der Begriff ist weder legaldefiniert<br />
noch liefert die Gesetzesbegründung zum GwG<br />
insoweit für die anwaltliche Tätigkeit Anhaltspunkte. Zwar<br />
hat das Geldwäschebekämpfungsgesetz in § 2 Abs. 1 Satz 2<br />
für Institute festgelegt, dass eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung<br />
„insbesondere bei der Führung eines Kontos<br />
und bei den sonstigen in § 154 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung<br />
genannten Geschäften“ besteht. Da eine<br />
Anwaltssozietät in den meisten Fällen weder in diesem<br />
Sinne Mandantenkonten führt noch „Wertsachen verwahrt<br />
oder als Pfand nimmt oder ein Schließfach überlässt“<br />
(§ 154 Abs. 2 Satz 1 AO), kann sich die Auslegung daran<br />
nicht orientieren. Auch die EG-Richtlinie trägt zur Auslegung<br />
nichts bei; weder in ihrer Fassung von 1993 noch in<br />
der Fassung der Änderungsrichtlinie von 2002 nimmt sie<br />
eine Differenzierung nach auf Dauer angelegten und sonstigen<br />
Geschäftsbeziehungen vor.<br />
Vor diesem Hintergrund wurde bereits verschiedentlich<br />
auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass auch ein Einzelmandat<br />
zu einer lang andauernden und damit im Sinne der<br />
Vorschrift „auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung“ werden<br />
könne9 . Auf den Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1<br />
GwG kann sich diese Sorge indes nicht stützen. Er stellt generisch<br />
auf den Kauf oder Verkauf von Immobilien oder<br />
Gewerbebetrieben (lit. a) oder die Gründung etc. von Gesellschaften<br />
(lit. d) ab; ob schon die Beratung etwa bei dem<br />
Verkauf einer Einzelimmobilie genügt, kann der Vorschrift<br />
nicht entnommen werden10 .<br />
§ 2 Abs. 1 GwG verlangt, wie gesehen, dass der Mandatsvertrag<br />
eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung<br />
begründen soll. Dieses prospektive Merkmal kann je nach<br />
Gegenstand der Beratung durch ein Einzelmandat erfüllt<br />
werden, eine bei Abschluss des ersten Beratungsvertrages<br />
noch nicht absehbare Reihe von Einzelmandaten oder das<br />
„klassische“ Dauerberatungsmandat11 .<br />
Die Neuregelung krankt daran, dass die identifizierungspflichtigen<br />
Geschäftsbeziehungen nach dem alten GwG und<br />
der Geldwäscherichtlinie 1993 sehr stark auf Kreditinstitute<br />
zugeschnitten waren. Der Begriff der „dauernden Geschäftsbeziehung“<br />
scheint auch aus der finanzgerichtlichen<br />
Judikatur herzurühren: So definierte der Reichsfinanzhof in<br />
einem Gutachten 1928 als „Konto“ das Bankkonto sowie<br />
darüber hinaus den Fall, dass jemand zu einem anderen in<br />
6 BT-Drs. 14/9043, S. 2.<br />
7 BT-Drs. 14/9043, S. 9.<br />
8 BT-Drs. 14/8739, S. 12; Dombek, ZAP 2003, 543 (545).<br />
9 Große-Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).<br />
10 Dombek, ZAP 2003, 543 (547 f.), siehe auch Schreiben der Bundessteuerberaterkammer<br />
vom 16.8.2002, http://www.stbka.org/news/download/news235.doc.,<br />
Rundschreiben Nr. 48/2003 der Bundesnotarkammer vom 19.11.2003 (auf<br />
Dauer angelegte Geschäftsbeziehung schon, wenn der Notar Entwurfs-, Beratungs-<br />
oder Vollzugstätigkeiten übernommen hat).<br />
11 Die Abgrenzungsschwierigkeiten sind offensichtlich. So dürfte beispielsweise<br />
der Auftrag eines Mandaten, für ihn ein Testament über sein umfangreiches<br />
und diversifiziertes Privatvermögen zu entwerfen, zunächst als Einzelmandat<br />
zu verstehen sein, das spätestens mit der letztwilligen Verfügung des Mandanten<br />
endet. Es löst keine Pflichten nach dem GwG aus, weil es nicht dem Katalog<br />
des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG unterfällt und seinem Wesen nach nicht<br />
auf Dauer angelegt ist. Wie aber, wenn demselben Anwalt bei Mandatserteilung<br />
für den Fall, dass er seine Sache gut macht, avisiert wird, als Testamentsvollstrecker<br />
eingesetzt zu werden und er im Rahmen der Testamentsvollstrekkung<br />
Geschäfte nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a, b, c (ggf. auch lit. d und e)<br />
GwG tätigen soll?
AnwBl 4/2004 201<br />
Aufsätze MN<br />
laufende Geschäftsbeziehungen tritt und deren jeweiligen<br />
Stand buch- und rechnungsmäßig festhält12 . Der abgabenrechtliche<br />
Kontobegriff prägt auch die Pflichten der Institute<br />
nach dem GwG bei dauernden Geschäftsbeziehungen13 .<br />
Er ist aber, wie dargelegt, für die Mandatsbeziehungen von<br />
Rechtsberatern unbrauchbar.<br />
Die Auslegung muss sich deshalb wieder der Richtlinie<br />
2001/97/EG zuwenden. Nach der Vorstellung des Gemeinschaftsgesetzgebers<br />
liegt offenbar in der Geschäftsbeziehung<br />
eines Neumandanten mit dem Berater ein Geldwäscherisiko,<br />
jedenfalls aber ein diesbezügliches<br />
Aufklärungspotenzial des Beraters. Der oben zitierte 16. Erwägungsgrund<br />
der Richtlinie fasst zusammen, aus welchen<br />
Gründen und unter welchen Voraussetzungen Rechtsberater<br />
den Bestimmungen über die Geldwäschebekämpfung unterliegen<br />
sollen. Das Potenzial, „für das Waschen von Erlösen<br />
aus kriminellen Tätigkeiten missbraucht“ zu werden, nimmt<br />
der Richtliniengeber nicht nur bei auf Dauer angelegten<br />
Geschäftsbeziehungen, sondern immer dann an, wenn eine<br />
Beteiligung an einer der genannten Finanz- und Unternehmenstransaktionen<br />
in Rede steht.<br />
Unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Interpretation14<br />
wird man daher dem Merkmal „auf Dauer angelegt“<br />
nur geringe Bedeutung beimessen dürfen. Da § 3<br />
Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 GwG in Vollzug der Richtlinie<br />
2001/97/EG ergangen ist, verlangt dieser Auslegungsgrundsatz,<br />
im Zweifel dem der Richtlinie entsprechenden Sinn<br />
den Vorzug zu geben; ein Fall der überschießenden Umsetzung<br />
(bei dem dies nicht gelten würde) liegt hier nicht vor.<br />
Die Richtlinie macht aber keinen Unterschied zwischen<br />
„auf Dauer angelegten“ und „echten“ Einzelmandaten. Es<br />
dürfte deshalb genügen, wenn bei einer Einzelfallberatung<br />
eines neuen Mandanten erkennbar wird, dass der durch den<br />
Mandatsvertrag begründeten Geschäftsbeziehung das Potenzial<br />
innewohnt, zu einer über den konkreten Einzelfall hinausgehenden<br />
Mandatsbeziehung zu werden. In allen Zweifelsfällen<br />
sollte der Anwalt vorsichtshalber identifizieren15 .<br />
b) „Identifizieren“<br />
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GwG hat der Verpflichtete „bei<br />
Abschluss eines Vertrages zur Begründung einer auf Dauer<br />
angelegten Geschäftsbeziehung den Vertragspartner zu identifizieren“.<br />
§ 1 Abs. 5 GwG definiert „Identifizieren“ als<br />
das Feststellen des Namens aufgrund eines gültigen Personalausweises<br />
oder Reisepasses16 sowie des Geburtsdatums,<br />
des Geburtsortes, der Staatsangehörigkeit und der<br />
Anschrift, soweit sie darin enthalten sind, und das Feststellen<br />
von Art, Nummer und ausstellender Behörde des amtlichen<br />
Ausweises (Grundsatz der persönlichen und dokumentenmäßigen<br />
Identifizierung). Der Vertragspartner (Mandant)<br />
hat dafür grundsätzlich persönlich zu erscheinen. Alternativ<br />
kann er jedoch einen dritten Anwalt oder Notar aufsuchen,<br />
der dem Verpflichteten eine Kopie des Personalausweises<br />
oder Reisepasses des Mandanten übermittelt und schriftlich<br />
dessen Identität mit der im Personalausweis oder Reisepass<br />
ausgewiesenen Person bestätigt17 . Die Identifizierung kann<br />
auch anhand einer qualifizierten elektronischen Signatur im<br />
Sinne von § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes erfolgen.<br />
Ausweislich der Gesetzesbegründung stellt die GwG-<br />
Novelle bei der Frage der Adressaten der Mitwirkungspflichten<br />
bewusst auf den einzelnen Berufsträger ab18 .Auf<br />
eine zusätzliche Benennung von Anwalts-, Steuerberatungs-,<br />
Wirtschaftsprüfungs- und Buchprüfungsgesellschaften<br />
werde verzichtet, da dies letztlich nur zu einer Verdop-<br />
pelung der Mitwirkungspflichten bzw. der Frage nach dem<br />
Konkurrenzverhältnis zwischen den Pflichten des einzelnen<br />
Berufsträgers führen würde. Eine Regelungslücke sei insoweit<br />
nicht zu befürchten, als in den genannten Gesellschaften<br />
die konkrete Berufsausübung grundsätzlich durch einen<br />
der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten Berufsträgers zu erfolgen<br />
habe. Bei Anwaltsgesellschaften treffe deshalb den<br />
einzelnen Berufsträger die Pflicht, den Vertragspartner der<br />
Gesellschaft zu identifizieren.<br />
c) Identifizierung bei juristischen Personen<br />
Nach dem ebenfalls neu gefassten § 8 Abs. 1 GwG haben<br />
sich gemäß § 3 Abs. 1 GwG identifizierungsverpflichtete<br />
Rechtsanwälte bei den zu identifizierenden Mandanten<br />
zu erkundigen, ob diese für eigene Rechnung handeln. Gibt<br />
der zu Identifizierende an, nicht für eigene Rechnung zu<br />
handeln, so sind nach dessen Angaben Namen und Anschrift<br />
desjenigen festzustellen, für dessen Rechnung er<br />
handelt.<br />
Wie zu verfahren ist, wenn der Mandant („Vertragspartner“<br />
i. S. d. § 2 Abs. 1 GwG) eine juristische Person ist, regelt<br />
das GwG nicht ausdrücklich. § 1 Abs. 5 GwG ist ganz<br />
auf natürliche Personen zugeschnitten. Die Bundesregierung<br />
hat in ihrer Gegenäußerung auf die Stellungnahme des<br />
Bundesrates zum Entwurf des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />
(wenn auch im Zusammenhang mit den Pflichten<br />
von Kreditinstituten) erklärt, sie gehe davon aus, „dass bereits<br />
nach der Entwurfsfassung, die z. B. keine näheren Vorgaben<br />
für die Identifizierung juristischer Personen enthält,<br />
die vom Bundesministerium der Finanzen und der Bundesanstalt<br />
für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) zu § 154<br />
Abs. 2 Satz 1 AO entwickelten Auslegungsregeln grundsätzlich<br />
auch auf die neue Identifizierungspflicht nach § 2<br />
Abs. 1 GwG-E Anwendung finden“ 19 .<br />
Zwar hat die Bundesregierung im Folgenden auch den<br />
„originären und eigenständigen Regelungsanspruch des<br />
Geldwäschegesetzes gegenüber dem steuerverfahrensrechtlichen<br />
Regelungsgehalt der Abgabenordnung“ sowie den<br />
unterschiedlichen Adressatenkreis beider Gesetze betont,<br />
der sie – bemerkenswerterweise – von einer Klarstellung<br />
im Gesetzesentwurf abgehalten habe20 . Auch bestehen<br />
Zweifel, ob die vom Bundesfinanzministerium oder der BA-<br />
Fin entwickelten Auslegungsgrundsätze – es handelt sich<br />
dabei um bloße norminterpretierende Verwaltungsvorschriften<br />
– für die Tätigkeit von Rechtsanwälten und Notaren unmittelbare<br />
Bindungswirkung entfalten können.<br />
Wegen der Verweisung in § 3 Abs. 1 auf § 2 Abs. 1<br />
GwG ist jedoch anzunehmen, dass nach dem Willen des<br />
Gesetzgebers hinsichtlich der Art und des Umfangs der zu<br />
12 RFHE 24, 203.<br />
13 Fülbier/Aepfelbach, Kommentar zum GwG, 1999, § 2 Rdnr. 8.<br />
14 Art. 10 i. V. m. 243 EG, st. Rspr. des EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26;<br />
Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 Rn. 8.<br />
15 Ebenso Dombek, ZAP 2003, 543 (548).<br />
16 Zur Identifizierung von Staatsangehörigen eines Drittstaats können grundsätzlich<br />
jeweils gültige nationale Reisepässe bzw. Personalausweise eines Drittstaats,<br />
deren Angaben zu den Anforderungen des § 1 Abs. 2 des Gesetzes über<br />
Personalausweise vom 19.12.1950 (BGBl. 807), zuletzt geändert durch Gesetz<br />
vom 25.3.2002 (BGBl. I 1186), gleichwertig sind, verwendet werden.<br />
17 Derartige Dritte sind lediglich als Erfüllungsgehilfen des weiterhin pflichtigen<br />
Berufsträgers tätig. Sofern sie für die Identifizierung des Mandanten herangezogen<br />
werden, hat sich der Berufsträger im Hinblick auf seine Einstandspflicht<br />
für diese Erfüllungsgehilfen grundsätzlich bei Beginn der Zusammenarbeit von<br />
der Zuverlässigkeit dieses Dritten zu überzeugen.<br />
18 BT-Drs. 14/8739, S. 12.<br />
19 BT-Drs. 14/9043, S. 8.<br />
20 BT-Drs. 14/9043, S. 8.
202<br />
MN<br />
treffenden Feststellungen nicht nach den Feststellungspflichtigen<br />
differenziert werden soll. Rechtstechnisch handelt<br />
es sich um eine Rechtsgrundverweisung 21 . Mangels anderer<br />
Anhaltspunkte ist deshalb davon auszugehen, dass<br />
juristische Personen nach den Vorgaben des Anwendungserlasses<br />
zur Abgabenordnung (AEAO) 22 zu identifizieren<br />
sind, jedenfalls soweit diese Bestimmungen nicht als kontenführungsspezifisch<br />
und daher im Hinblick auf die in § 3<br />
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäfte unanwendbar<br />
erscheinen.<br />
Ohne weiteres anwendbar ist Ziffer 4 Satz 4 AEAO zu<br />
§§ 152-154 AO. Sie konkretisiert die Pflicht, sich Gewissheit<br />
über die Person und Anschrift eines Verfügungsberechtigten<br />
zu verschaffen, indem bei einer juristischen Person die Bezugnahme<br />
auf eine amtliche Veröffentlichung oder ein amtliches<br />
Register unter Angabe der Registernummer ausreicht.<br />
Auch Ziffer 7 Abs. 2 AEAO zu §§ 152– 154 AO ist anwendbar.<br />
Danach kann in bestimmten (dort normierten)<br />
Fällen auf die Legitimationsprüfung und die Herstellung<br />
der Auskunftsbereitschaft verzichtet werden. Erfasst davon<br />
sind u. a. Personen, die als Vertreter eingetragen sind und in<br />
öffentlichen Registern (Handelsregister, Vereinsregister)<br />
eingetragene Firmen oder Personen vertreten, oder Fälle<br />
der Vertretung von Unternehmen, sofern schon mindestens<br />
fünf Personen, die in öffentlichen Registern eingetragen<br />
sind oder bei denen eine Legitimationsprüfung stattgefunden<br />
hat, die Verfügungsbefugnis haben.<br />
Daraus ergibt sich zunächst der Grundsatz, dass bei einer<br />
juristischen Person diese selbst und deren gesetzlicher Vertreter<br />
sowie sonstige Verfügungsbefugte zu identifizieren<br />
sind. Der Pflicht zur Identifizierung der juristischen Person<br />
wird regelmäßig durch die Einholung eines Handelsregisterauszugs<br />
genügt. Handelt es sich bei der juristischen Person<br />
um ein Kreditinstitut, ein Versicherungsunternehmen oder<br />
eine juristische Person des öffentlichen Rechts, kann auf<br />
jede weitere Identifizierung verzichtet werden. Ist die vor<br />
einem Rechtsanwalt oder Notar erscheinende natürliche Person<br />
im Register als gesetzlicher Vertreter ausgewiesen, bedarf<br />
es ebenfalls keiner weiteren Feststellungen.<br />
Damit reduziert sich der Kreis der identifizierungspflichtigen<br />
Mandanten einer wirtschaftsberatenden Anwaltssozietät<br />
erheblich. Die Identifizierung der juristischen<br />
Person über das Handelsregister erfolgt ohnehin häufig im<br />
Rahmen der Mandatsanlage und kann ohne Mitteilung an<br />
den Mandanten stattfinden. Der Registerauszug ist wegen<br />
der Aufzeichnungspflicht zu den Akten zu nehmen. Bei juristischen<br />
Personen des Privatrechts dürften sich im Übrigen<br />
die weiteren Identifizierungspflichten auf solche Fälle<br />
beschränken, in denen die Vertretungsmacht des Handelnden<br />
unklar ist und keine fünf weiteren natürlichen Personen<br />
als gesetzliche Vertreter aus dem Register erkennbar sind 23 .<br />
d) Absehen von der Identifizierung<br />
Nach § 7 GwG kann überdies von einer Identifizierung<br />
abgesehen werden, wenn der zu Identifizierende bei dem<br />
Identifizierungsverpflichteten persönlich bekannt und wenn<br />
er bei früherer Gelegenheit identifiziert worden ist. Dies<br />
setzt eine den Anforderungen nach § 1 Abs. 5 GwG<br />
genügende „frühere“ Identifizierung voraus 24 .<br />
e) Identifizierungspflicht in Verdachtsfällen<br />
Der neugefasste § 6 Satz 1 GwG enthält jetzt besondere<br />
Identifizierungspflichten in Verdachtsfällen. Werden Tatsa-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
chen festgestellt, die darauf schließen lassen, dass die vereinbarte<br />
Finanztransaktion einer Geldwäsche nach § 261<br />
StGB oder der Finanzierung einer terroristischen Vereinigung<br />
nach § 129 a StGB, auch in Verbindung mit § 129 b<br />
StGB, dient oder im Fall ihrer Durchführung dienen würde,<br />
so besteht stets die Pflicht zur Identifizierung.<br />
„Finanztransaktion“ ist jede Handlung, die eine Geldbewegung<br />
oder eine sonstige Vermögensverschiebung bezweckt<br />
oder bewirkt, § 1 Abs. 6 GwG. Ob die Identifizierungspflicht<br />
nach § 6 Satz 1 GwG und die Anzeigepflicht<br />
nach § 11 Abs. 1 GwG (dazu unter 3.) nur bei den Kataloggeschäften<br />
des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG oder ganz allgemein<br />
bei einem Geldwäscheverdacht gelten, ist dem Gesetz<br />
nicht eindeutig zu entnehmen. Die praktische Bedeutung<br />
der Frage dürfte eher gering sein. In Verdachtsfällen greift<br />
die Identifizierungspflicht bei Annahme von Bargeld etc.<br />
ohne Rücksicht auf die ansonsten bestehende Grenze von<br />
15.000 Euro (§ 2 Abs. 2 GwG). Für die Fälle des § 2 Abs. 1<br />
GwG besteht die Identifizierungspflicht aber ohnehin.<br />
f) Aufzeichnungspflicht; Sanktionen<br />
Nach § 9 Abs. 1 GwG sind die getroffenen Feststellungen<br />
aufzuzeichnen. Wird nach § 7 GwG von einer Identifizierung<br />
abgesehen, so sind der Name des zu Identifizierenden<br />
sowie der Umstand aufzuzeichnen, dass er dem zur<br />
Identifizierung Verpflichteten persönlich bekannt ist. Dies<br />
ist nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 GwG auch elektronisch<br />
möglich. Die Aufzeichnungen sind nach Abs. 3 der Vorschrift<br />
sechs Jahre lang, gerechnet ab dem Schluss des Kalenderjahres,<br />
in dem die Geschäftsbeziehung mit dem Vertragspartner<br />
endet, aufzubewahren.<br />
Nach § 10 GwG dürfen die gemäß § 9 Abs. 1 GwG gefertigten<br />
Aufzeichnungen nur zur Verfolgung einer Straftat<br />
nach § 261 StGB und der in § 261 Abs. 1 Nr. 1 –5 StGB<br />
genannten Straftaten für Zwecke eines Strafverfahrens herangezogen<br />
und verwendet werden.<br />
Verstöße gegen die Identifizierungs-, Aufzeichnungsund<br />
Aufbewahrungspflichten sind, sofern sie vorsätzlich<br />
oder leichtfertig begangen werden, Ordnungswidrigkeiten<br />
nach § 17 Abs. 1 GwG und können mit einer Geldbuße bis<br />
zu 100.000 Euro geahndet werden.<br />
3. Verdachtsmeldepflicht<br />
In Verdachtsfällen ist die Finanztransaktion im Allgemeinen<br />
unverzüglich den zuständigen Strafverfolgungsbehörden<br />
und in Kopie dem Bundeskriminalamt – Zentralstelle<br />
für Verdachtsanzeigen – anzuzeigen, § 11 Abs. 1<br />
GwG. Davon abweichend bestimmt § 11 Abs. 3 Satz 1<br />
GwG, dass (u. a.) Rechtsanwälte nicht zur Anzeige verpflichtet<br />
sind, wenn dem Geldwäscheverdacht Informationen<br />
von dem oder über den Mandanten zugrunde liegen,<br />
die sie „im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung<br />
dieses Mandanten“ erhalten haben. Die Anzeigepflicht<br />
bleibt bestehen, wenn die Anzeigeverpflichteten wissen,<br />
dass der Mandant ihre Rechtsberatung bewusst für den<br />
Zweck der Geldwäsche in Anspruch nimmt. Die Privilegie-<br />
21 Dombek, ZAP 2003, 543 (546).<br />
22 BMF-Schr. v. 27.9.2000, BStBl. I 2000, 1232, zuletzt geändert durch BMF-<br />
Schr. v. 1.7.2002, BStBl. I 2002, 639.<br />
23 Mit einer am AEAO zu §§ 152-154 AO orientierten Identifizierungspraxis bei<br />
juristischen Personen wird im Übrigen auch den weitgehend identischen Forderungen<br />
(dort Abschnitt 10) in den „Vierzig Empfehlungen“ der intergouvernementalen<br />
Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) (http://<br />
www1.oecd.org/fatf/index.htm) Genüge geleistet.<br />
24 Dombek, ZAP 2003, 543 (545).
AnwBl 4/2004 203<br />
Aufsätze MN<br />
rung der rechts- und steuerberatenden Berufe in § 11 GwG<br />
dient dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berater<br />
und Mandant. Die Schutzwürdigkeit im Bereich der<br />
Rechtsberatung entfalle allerdings ausnahmsweise dann,<br />
wenn der Mandant die Rechtsberatung in doloser Absicht<br />
im Hinblick auf eine zukünftig von ihm beabsichtigte Geldwäschehandlung<br />
in Anspruch nehmen will und dem Berater<br />
dies positiv bekannt sei 25 .<br />
Für die vom Gesetz nicht eindeutig beantwortete Frage,<br />
ob die Anzeigepflicht nach § 11 Abs. 1 GwG nur bei den<br />
Kataloggeschäften des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG oder<br />
ganz allgemein bei einem Geldwäscheverdacht gilt, ergibt<br />
sich wie bei der Identifizierungspflicht nach § 6 Satz 1<br />
GWG (vgl. oben unter 2.e) nur eine geringe praktische Bedeutung.<br />
Der Rechtsberater kann sich regelmäßig auf Kenntniserlangung<br />
„im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung“<br />
(§ 11 Abs. 3 Satz 1 GwG) und damit sein<br />
Schweigerecht berufen, es sei denn er hat positive Kenntnis<br />
von der dolosen Inanspruchnahme der Rechtsberatung durch<br />
den Mandanten 26 . Die Gesetzesbegründung weist darauf hin,<br />
dass sowohl der Begriff der Rechtsberatung als auch der der<br />
Prozessvertretung „in einem umfassenden Sinn zu verstehen“<br />
sind 27 . Der Bereich der Prozessvertretung umfasse<br />
„nicht nur den Zeitraum des Verfahrens selbst, sondern auch<br />
die Informationserlangung vor und nach einem solchen Verfahren,<br />
einschließlich der Beratung über das Betreiben oder<br />
Vermeiden eines solchen Verfahrens“ 28 . Der Bereich der außergerichtlichen<br />
Rechtsberatung erfasse auch die Steuerberatung.<br />
Eine Verdachtsmeldepflicht bestehe nur dann, „wenn<br />
man reine Finanzdienstleistungen ohne Rechtsberatung<br />
noch als eine Tätigkeit in Ausübung des Anwaltsberufs ansehen<br />
würde, gewissermaßen also reine Bankgeschäfte zur<br />
Anwaltstätigkeit deklarieren würde“ 29 .<br />
Abweichend von der allgemeinen Regel des § 11 Abs. 1<br />
Satz 1 GwG übermitteln Rechtsanwälte die Anzeige an die<br />
für sie zuständige Bundesberufskammer, also an die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(BRAK). Die Kammer kann zur<br />
Anzeige Stellung nehmen. Sie leitet dann die Anzeige mit<br />
ihrer Stellungnahme an die Strafverfolgungsbehörden und<br />
das BKA weiter. § 11 Abs. 5 GwG enthält das Verbot, den<br />
Mandanten über die Anzeige in Kenntnis zu setzen 30 . Dies<br />
rechtfertigt der Gesetzgeber mit der Argumentation, dass<br />
der Bereich der Rechtsberatung und Vertretung ausgespart<br />
werde und in den restlichen Fällen kein schützenswertes<br />
Vertrauen bestünde 31 . Zulässig ist es allerdings, den Mandanten<br />
ganz allgemein oder zu Beginn der Beratung auf die<br />
Regelungen des GwG, insbesondere auf die Meldepflichten<br />
und deren Weiterleitung, hinzuweisen 32 .<br />
§ 12 GwG bestimmt, dass wer den Strafverfolgungsbehörden<br />
Tatsachen anzeigt, die auf eine Straftat nach<br />
§ 261 StGB oder die Finanzierung einer terroristischen Vereinigung<br />
nach § 129 a StGB, auch i.V. m. § 129 b StGB,<br />
schließen lassen, wegen dieser Anzeige nicht verantwortlich<br />
gemacht wird, es sei denn, die Anzeige ist vorsätzlich<br />
oder grob fahrlässig unwahr erstattet worden.<br />
Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht gemäß § 11<br />
Abs. 1 GwG stellt keine Ordnungswidrigkeit im Sinne von<br />
§ 17 Abs. 1 GwG dar und bleibt mithin sanktionslos. Da<br />
ein Verstoß jedoch nur im Fall einer erkannt dolosen Inanspruchnahme<br />
des Beraters in Betracht kommt, ist zu bedenken,<br />
dass in diesem Fall, will man einer drohenden Strafverfolgung<br />
wegen Beihilfe entgehen, nur die Niederlegung des<br />
Mandats in Betracht kommt.<br />
4. Interne Sicherungsmaßnahmen<br />
Von besonderer Bedeutung ist der neugefasste § 14 Abs.<br />
1 Nr. 8 GwG. Danach müssen Rechtsanwälte, wenn sie die<br />
in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäfte regelmäßig<br />
ausführen, besondere Vorkehrungen dagegen treffen,<br />
dass sie zur Geldwäsche missbraucht werden können.<br />
Vorkehrungen im Sinne des § 14 Abs. 1 GwG sind nach<br />
Abs. 2 der Vorschrift die Bestimmung eines „der Geschäftsleitung<br />
unmittelbar nachgeordneten“ Geldwäschebeauftragten,<br />
der Ansprechpartner der Strafverfolgungsbehörden und<br />
des BKA ist, die Entwicklung interner Grundsätze, angemessener<br />
Geschäfts- und „kundenbezogener“ (hier also: mandantenbezogener)<br />
Sicherungssysteme und Kontrollen zur Verhinderung<br />
der Geldwäsche und der Finanzierung terroristischer<br />
Vereinigungen, die Sicherstellung, dass die Beschäftigten,<br />
die befugt sind, bare und unbare Transaktionen durchzuführen,<br />
zuverlässig sind und die regelmäßige Unterrichtung<br />
dieser Beschäftigten über die Methoden der Geldwäsche und<br />
die nach dem Geldwäschegesetz bestehenden Pflichten.<br />
a) Geldwäschebeauftragter<br />
Was genau unter einem „Ansprechpartner“ der<br />
Behörden zu verstehen ist, verrät das Gesetz für den Sonderfall<br />
der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG Verpflichteten<br />
nicht. Angesichts des Schutzes des Mandatsgeheimnisses<br />
(§ 11 Abs. 3 GwG) wird der Geldwäschebeauftragte<br />
einer Sozietät zwar von Staatsanwaltschaft und BKA –<br />
„partnerschaftlich“ oder nicht – „angesprochen“ werden<br />
können und dürfen, sagen muss er aber im Regelfall nichts<br />
(außer bei positiver Kenntnis von der Geldwäsche, – genauer<br />
wohl: dem Geldwäscheversuch, weil ansonsten das<br />
Selbstbezichtigungsverbot wegen Beihilfe zu § 261 StGB<br />
das Schweigendürfen begründet).<br />
In Anlehnung an die Verlautbarung des ehemaligen Bundesaufsichtsamtes<br />
für das Kreditwesen (jetzt: Bundesanstalt<br />
für Finanzdienstleistungsaufsicht) vom 30.3.1998 33 muss der<br />
Geldwäschebeauftragte zur Wahrnehmung seiner Tätigkeit<br />
berechtigt sein, für alle Angelegenheiten im Zusammenhang<br />
mit der Verhinderung der Geldwäsche sozietätsintern Weisungen<br />
zu erteilen. Die umfasst die Kündigung einer Mandatsbeziehung,<br />
die Bearbeitung von Verdachtsmeldungen sowie<br />
die Entscheidung über die Weiterleitung dieser<br />
Meldungen gemäß § 11 GwG. Weiter muss er berechtigt<br />
sein, die Sozietät in Angelegenheiten der Geldwäschebekämpfung<br />
und -prävention nach außen zu vertreten und für<br />
diese verbindliche Erklärungen abzugeben.<br />
b) Entwicklung interner Grundsätze und Sicherungssystem<br />
Des Weiteren sind interne Grundsätze, angemessene geschäfts-<br />
und kundenbezogene Sicherungssysteme und Kontrollen<br />
zur Verhinderung der Geldwäsche und der Finanzierung<br />
terroristischer Vereinigungen zu entwickeln. In<br />
25 BT-Drs. 14/8739, S. 15.<br />
26 „Gewissheitsmeldepflicht“, Dombek, ZAP 2003, 543 (550).<br />
27 BT-Drs. 14/8739, S. 15.<br />
28 BT-Drs. 14/8739, S. 15.<br />
29 Dombek, ZAP 2003, 543 (550).<br />
30 Tipping-off, dazu Hellwig, AnwBl 2002, 144 (146); Dombek, ZAP 2003, 543<br />
(552): „Der heimliche Verrat ist vom Prinzip her noch gruseliger als der offene<br />
Verrat.“; gegen das Unterbleiben der Information des Mandanten auch Große-<br />
Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).<br />
31 BT-Drs. 14/8739, S. 16.<br />
32 BT-Drs. 14/8739, S. 12.<br />
33 In der Fassung der Verlautbarung vom 8.11.1999 (Gz. Z 5 - E 100), http://<br />
www.bafin.de/cgi-bin/drucke.pl?datei=/verlautbarungen/gwg34fin.htm.
204<br />
MN<br />
Anlehnung an die in der Geldwäscheverlautbarung des<br />
Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen (s. o.) dargestellten<br />
Sicherungssysteme und Kontrollen kommen folgende<br />
Maßnahmen in Betracht:<br />
9 Durch die Erstellung von Arbeits- und Organisationsanweisungen<br />
ist sicherzustellen, dass alle Verdachtsfälle<br />
(auch die angetragenen, aber abgelehnten Mandate bzw.<br />
alle unter Geldwäschegesichtspunkten ungewöhnlichen<br />
Transaktionen) dem Geldwäschebeauftragten in schriftlicher<br />
Form zur weiteren Verdachtsprüfung und Entscheidung<br />
vorgelegt und dort auch dokumentiert werden. Die<br />
Verdachtsmeldungen der Berufsträger sind sechs Jahre<br />
lang vom Geldwäschebeauftragten aufzubewahren.<br />
9 Soweit von einer Verdachtsanzeige gemäß § 11 GwG abgesehen<br />
wird, sind die Gründe hierfür schriftlich niederzulegen.<br />
Die Gründe sollen auch dem meldenden Berufsträger<br />
bekannt gegeben werden, um dem einzelnen<br />
Mitarbeiter ggf. die Erstattung einer eigenen Verdachtsanzeige<br />
zu ermöglichen.<br />
9 Die Berufsträger der Sozietät sind anzuweisen, die Identifizierungspflichten<br />
des GwG zu befolgen. Der Geldwäschebeauftragte<br />
hat sich regelmäßig durch Stichproben<br />
davon zu überzeugen, dass die<br />
Identifizierungspflichten erfüllt werden.<br />
9 Die Berufsträger und Mitarbeiter der Buchhaltung sind<br />
regelmäßig und zeitnah über die neu bekannt gewordenen<br />
Erscheinungsformen (Methoden und Techniken) der<br />
Geldwäsche zu unterrichten. Neben sozietätsinternen Erkenntnissen<br />
sind aktuelle Informationen der Strafverfolgungsbehörden,<br />
der Berufskammern und der BAFin zur<br />
Verfügung zu stellen.<br />
c) Buchhaltung<br />
Weiterhin ist sicherzustellen, dass die Beschäftigten, die<br />
befugt sind, bare und unbare Finanztransaktionen durchzuführen<br />
(letztlich also die Angestellten der Buchhaltung) zuverlässig<br />
sind und diese über die Erscheinungsformen der<br />
Geldwäsche regelmäßig unterrichtet werden.<br />
Zuverlässig in diesem Sinne ist, wer die Gewähr dafür<br />
bietet, dass er/sie die Pflichten nach dem GwG und die in<br />
der Sozietät eingeführten Grundsätze, Verfahren, Kontrollen<br />
und Verhaltensrichtlinien zur Verhinderung der Geldwäsche<br />
sorgfältig beachtet, Sachverhalte, die auf Geldwäsche hindeuten,<br />
dem Geldwäschebeauftragten meldet, und sich<br />
selbst nicht an zweifelhaften Transaktionen aktiv oder passiv<br />
beteiligt. Bei Begründung des Dienst- und Arbeitsverhältnisses<br />
sind durch Heranziehung des Lebenslaufes, der<br />
Zeugnisse und Referenzen die Zuverlässigkeit des Mitarbeiters<br />
zu prüfen und das Ergebnis der Prüfung und die<br />
wesentlichen dieses Ergebnis stützenden Erwägungen dem<br />
Geldwäschebeauftragten mitzuteilen. In Zweifelsfällen<br />
muss der Geldwäschebeauftragte die vorliegenden Dokumente<br />
selbst prüfen.<br />
Zudem muss der Geldwäschebeauftragten unverzüglich<br />
schriftlich über Tatsachen unterrichtet werden, aus denen<br />
sich die Unzuverlässigkeit eines Angestellten der Buchhaltung<br />
ergibt.<br />
d) Zuständigkeit<br />
Für Vorkehrungen nach § 14 Abs. 2 GwG ist bei Sozietäten<br />
von Rechtsanwälten diese anstelle des einzelnen Anwalts<br />
zuständig, § 14 Abs. 3 Satz 1 GwG 34 . Die Sozietät<br />
kann sich nach Zustimmung der Kammer Dritter bedienen,<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
§ 14 Abs. 3 Satz 2 GwG lässt das Outsourcing ausdrücklich<br />
zu35 . Dies dürfte namentlich für Mitarbeiterschulungen<br />
praktische Bedeutung erlangen. Erfüllt ein Verpflichteter<br />
seine Pflicht zur Entwicklung interner<br />
Grundsätze (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 GwG) nicht, kann die Aufsichtsbehörde<br />
die im Einzelfall geeigneten und erforderlichen<br />
Anordnungen treffen, § 14 Abs. 4 Satz 1 GwG.<br />
Die BRAK hat jüngst von ihrer Befugnis nach § 14<br />
Abs. 4 Satz 2 und 3 GwG Gebrauch und diejenigen Berufsangehörigen<br />
von den Verpflichtungen befreit, die in beruflichen<br />
Einheiten tätig sind, die nicht mehr als zehn Berufsangehörige<br />
oder Angehörige sozietätsfähiger Berufe gemäß<br />
§ 59 a BRAO erfassen. Als Grund hierfür wird angegeben,<br />
dass die Gefahr eines Verlustes geldwäscherelevanter Informationen,<br />
die durch ein arbeitsteiliges Vorgehen in größeren<br />
Unternehmensstrukturen vorhanden sein kann, bei einer<br />
Anzahl von bis zu zehn Berufsträgern bzw. Gleichgestellten<br />
nicht besteht36 .<br />
Verstöße gegen die Pflichten aus § 14 GwG sind nicht<br />
als Ordnungswidrigkeiten nach § 17 GwG sanktionierbar.<br />
5. Schlussfolgerungen<br />
a) Identifizierungspflichten nach dem Geldwäschegesetz<br />
bestehen im Regelfall der wirtschaftsanwaltlichen Beratungstätigkeit<br />
nur, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen<br />
vorliegen:<br />
9 Es handelt sich um einen neuen Mandanten, d. h. die juristische<br />
Person und die natürlichen Personen, die für<br />
Rechnung des Unternehmens handeln, sind nicht schon<br />
„identifiziert“ i. S. d. § 1 Abs. 5 GwG bzw. persönlich bekannt.<br />
Alte Mandanten, die nicht in einer den Anforderungen<br />
nach § 1 Abs. 5 GwG genügenden Weise identifiziert<br />
wurden, müssen erneut identifiziert werden.<br />
9 Mit dem Mandanten soll eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung<br />
eingegangen werden. Dies kann auch<br />
schon bei einer Einzelfallberatung zutreffen.<br />
9 Gegenstand ist eine Unternehmens- oder Immobilientransaktion<br />
(„Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben“),<br />
die Umstrukturierung von Unternehmen<br />
im weitesten Sinne (Mitwirkung bei „Gründung von<br />
Gesellschaften“), eine Private Equity/Venture Capital-<br />
Transaktion oder ein Börsengang/IPO oder die Emission<br />
von Anleihen („Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb<br />
oder zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen<br />
Mittel“) oder ein anderes unter § 3 Abs. 1 Satz 1<br />
Nr. 1 GwG zu subsumierendes Geschäft.<br />
b) In Verdachtsfällen, insbesondere wenn der Verdacht besteht,<br />
die beabsichtigte Vermögensverschiebung diene einer<br />
Geldwäsche i. S. d. § 261 StGB, besteht die allgemeine<br />
Pflicht zur Anzeige an die BRAK nicht, wenn dem Geldwäscheverdacht<br />
im Rahmen der Rechtsberatung oder der<br />
Prozessvertretung erlangte Informationen zugrunde liegen<br />
und keine Anhaltspunkte für die dolose Inanspruchnahme<br />
der Beratung durch den Mandanten vorliegen. Die Transaktion<br />
darf nicht durchgeführt werden. Bei positiver Kenntnis<br />
der (beabsichtigten) Geldwäsche würde eine Mitwirkung<br />
an der Transaktion die Strafbarkeit wegen Beihilfe zur<br />
Geldwäsche begründen.<br />
34 „Unternehmen“ i. S. d. Vorschrift sind auch Berufsausübungsgemeinschaften<br />
von Freiberuflern, siehe BT-Drs. 14/8379, S. 17.<br />
35 Siehe dazu Findeisen, WM 2000, 1234 ff.<br />
36 Anordnung des Präsidiums der BRAK vom 26.7.2003, BRAK-Mitt. 5/2003,<br />
229 f.
AnwBl 4/2004 205<br />
Aufsätze MN<br />
c) Kanzleien mit mehr als zehn Berufsträgern, die regelmäßig<br />
an Transaktionen i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG<br />
mitwirken, sind zu internen Sicherungsmaßnahmen nach<br />
§ 14 Abs. 2 GwG verpflichtet. Insbesondere sind ein Geldwäschebeauftragter<br />
zu bestellen und interne Grundsätze<br />
und Sicherungssysteme zur Verhinderung der Mitwirkung<br />
an einer Geldwäsche zu entwickeln.<br />
II. Geldwäsche durch Rechtsanwälte bei gewerbsmäßiger<br />
Steuerhinterziehung als Vortat, § 261 Abs. 1 Satz 3<br />
StGB, § 370 a AO – „Entschärfungen“<br />
Für einen wirtschaftsanwaltlichen Berater, der feststellt,<br />
dass sein Mandant mit Geldern aus geldwäscherelevanten<br />
Straftaten arbeitet, ergibt sich in zweierlei Hinsicht das Risiko<br />
einer eigenen Strafbarkeit. Zum einen kann die Annahme von<br />
Honorar, das aus bemakeltem Vermögen des Mandanten<br />
stammt, den Tatbestand des § 261 StGB in der Variante des<br />
„Verschleierns“ verwirklichen. Zum anderen können durch<br />
jede Beschäftigung mit solchen Geldern, also auch durch Mitwirkung<br />
an Transaktionen, mittelbar oder unmittelbar die Tatvarianten<br />
der Geldwäsche erfüllt werden. Auch eine Strafbarkeit<br />
wegen Beihilfe, die auf Grund der Möglichkeit<br />
psychischer Beihilfe 37 sehr weit gehen kann, ist denkbar.<br />
Die Schaffung des neuen Verbrechenstatbestandes der<br />
schweren Steuerhinterziehung nach § 370 a AO hat den Katalog<br />
der möglichen geldwäscherelevanten Vortaten erweitert<br />
und damit auch das Risiko der wirtschaftsanwaltlichen<br />
Beratungspraxis, in einen Geldwäscheverdacht zu geraten,<br />
erhöht. Im Folgenden sollen vor allem die sich daraus ergebenden<br />
Konsequenzen zur Vermeidung einer solchen Geldwäschestrafbarkeit<br />
für die wirtschaftsanwaltliche Beratungstätigkeit<br />
herausgearbeitet werden.<br />
1. Grundtatbestände des § 261 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2<br />
Nr. 1 sowie Abs. 2 StGB<br />
a) Nach § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe<br />
von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer einen<br />
Gegenstand, der aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen<br />
Tat herrührt, verbirgt, dessen Herkunft<br />
verschleiert oder die Ermittlung der Herkunft, das Auffinden,<br />
den Verfall, die Einziehung oder die Sicherstellung eines<br />
solchen Gegenstandes vereitelt oder gefährdet. Zu den<br />
rechtswidrigen Taten zählen nach Satz 2 Nr. 1 alle Verbrechen.<br />
Nach § 261 Abs. 2 StGB wird gleichermaßen bestraft,<br />
wer sich oder einem Dritten einen in Abs. 1 benannten Gegenstand<br />
beschafft oder verwahrt oder für sich oder einen<br />
Dritten verwendet. Dies kann nach allgemeiner Auffassung<br />
auch im Rahmen eines zivilrechtlich gültigen Vertrages erfolgen<br />
– etwa eines Mandatsvertrages. In letztgenannter<br />
Alternative (Verwahrung oder Verwendung) ist Wissen des<br />
Täters von der kriminellen Herkunft des Vermögenswertes<br />
erforderlich in dem Zeitpunkt, in dem er den Gegenstand<br />
erlangt. Bei leichtfertiger Unkenntnis wird die Tat nach<br />
Maßgabe des § 261 Abs. 5 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu<br />
zwei Jahren bestraft.<br />
b) Angesichts der gesetzlichen Verschärfungen und der<br />
Verurteilung von Anwälten wegen Geldwäsche ist daran zu<br />
erinnern, dass sich nach dem Gesetzeswortlaut jedermann<br />
nach § 261 StGB strafbar machen kann, wenn er Vermögenswerte<br />
von einer Person annimmt, die aus gewerbsmäßig<br />
betriebenen Vermögensdelikten stammen, § 261<br />
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB. Das bezieht sich praktisch auf<br />
alle Arten von Vermögensdelikten und schließt insbesondere<br />
den Fall der Untreue (§ 266 StGB) ein, dem im Be-<br />
reich der wirtschaftsanwaltlichen Beratung häufiger zu begegnen<br />
ist, weil sich die Strafverfolgungsbehörden mit<br />
diesem Vorwurf leicht den Binnenbereich von Wirtschaftsunternehmen<br />
zugänglich machen können. Selbst wenn der<br />
Vortäter nicht gewerblich handelte, reicht es für<br />
§ 261 StGB aus, wenn er als Mitglied einer Bande tätig<br />
wurde. Verabreden sich etwa drei Personen 38 zu fortgesetzten<br />
Betrugs- oder Untreuestraftaten, so genügt bereits die<br />
einmalige Begehung einer solchen Tat zur Annahme einer<br />
Bande 39 . Die Annahme des aus dieser Tat erlangten Geldes<br />
als Honorar kann daher bereits nach § 261 Abs. 1 Satz 2<br />
Nr. 4 lit. a StGB als Geldwäsche strafbar sein. Nahezu<br />
sämtliche Vermögensdelikte, auch wenn sie nur Vergehen<br />
sind, sind nach dieser Vorschrift qualifizierende Delikte.<br />
Auch Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und Fälschung beweiserheblicher<br />
Daten (§ 269 StGB) kommen als Vortaten<br />
in Betracht. Als bemakelter Vermögenswert gilt, und dies<br />
ist entscheidend, auch das Surrogat für die Beute des Vortäters,<br />
also die in jedweder Form als Bankguthaben, Sachwert,<br />
Firmenbeteiligung, etc. vorhandene Bereicherung des<br />
Vortäters aus seinen Straftaten, solange noch ein „Vermögenszusammenhang“<br />
identifizierbar ist 40 . Hierin liegt gerade<br />
die ratio des § 261 StGB, weil die Verwertung der<br />
Beute selbst durch einen anderen bereits nach § 259 StGB<br />
als Hehlerei unter Strafe gestellt ist. Die Annahme solcher<br />
Vermögenswerte kann auch im Rahmen eines zivilrechtlich<br />
gültigen Vertrages mit dem Vortäter erfolgen, insbesondere<br />
eines anwaltlichen Mandatsvertrages. Bereits fahrlässige<br />
Unkenntnis des Anwalts davon, dass der Vermögenswert<br />
aus einer einschlägigen Vortat herrührt, genügt für seine<br />
Strafbarkeit. Anwälte laufen insoweit ein besonderes Risiko<br />
bei der Annahme von Mandantenhonoraren, weil bei ihnen<br />
vermutet wird, dass sie am ehesten über die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse ihrer Mandanten informiert sind 41 .<br />
2. Der Verbrechenstatbestand des § 370 a AO<br />
Verbrechen i. S. d. § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG ist<br />
auch der Straftatbestand der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen<br />
Steuerhinterziehung nach § 370 a AO.<br />
§ 370 AO ist als Teil des Steuerverkürzungsbegrenzungsgesetzes<br />
(StVBG) vom 19.12.2001 eingefügt worden42<br />
. Die Vorschrift sah zunächst vor, dass mit Freiheitsstrafe<br />
vom einem bis zu zehn Jahren bestraft wird, wer<br />
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur<br />
fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, Steu-<br />
37 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl. 2003, § 27 Rn. 6.<br />
38 Nach der Entscheidung des Großen Senats des BGH vom 22.3.2001, GSSt 1/<br />
00, liegt eine Bande nicht mehr schon bei einer Mitgliederzahl von zwei, sondern<br />
erst von drei Personen vor, BGH NJW 2001, 2266 ff.<br />
39 BT-Drs. 12/6853, S. 28.<br />
40 Tröndle/Fischer, StGB, § 261 Rn. 8; Lackner/Kühl, Kommentar zum StGB, 24.<br />
Aufl. 2001, § 261 Rn. 5; Schönke/Schröder/Stree, Kommentar zum StGB, 26.<br />
Aufl. 2001, § 261 Rn. 8.<br />
41 Vgl. Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (644). Auf die besonderen Probleme<br />
des Geldwäschetatbestandes im Bereich der Strafverteidigung ist hier nicht<br />
einzugehen. Hinzuweisen ist jedoch auf die heftig umstrittene Verurteilung einer<br />
Strafverteidigerin (und ihres mit ihr in Sozietät verbundenen Ehemannes)<br />
durch das Landgericht Frankfurt a. M. zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.<br />
Das Urteil vom 4.5.2000 ist vom BGH im Wesentlichen inhaltlich<br />
bestätigt worden. Der BGH hat hierbei – entgegen einer vielbeachteten Entscheidung<br />
des OLG Hamburg (NJW 2000, 673) – eine äußerst restriktive Haltung<br />
eingenommen und insbesondere § 261 StGB jede objektiv berufsregelnde<br />
Tendenz für die Anwaltschaft abgesprochen (s. Urt. v. 7.7.2001, –2 StR 513/<br />
00, NJW 2001, 2891; dazu Scherp, NJW 2001, 3242 ff.). Hiergegen richten<br />
sich die derzeit anhängigen Verfassungsbeschwerden (2 BvR 1520 und 1521/<br />
01). Der Verfassungsrechtsausschuss des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s hat die Verfassungsbeschwerden,<br />
über die am 19.11.2003 vor dem BVerfG mündlich verhandelt<br />
wurde, in seiner Stellungnahme vom September 2002 dezidiert unterstützt.<br />
Zum Ganzen Ambos, JZ 2002, 70 ff.; Scherp, NJW 2001, 3242 ff.;<br />
jüngst auch Brüssow/Petri, AnwBl 2004, 114 ff.<br />
42 Die Vorschrift trat am 20.12.2001 in Kraft, BGBl. I S. 3922.
206<br />
MN<br />
ern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte<br />
Steuervorteile erlangt.<br />
Die Vorschrift führte zu massiver Kritik insbesondere<br />
von Seiten der Anwaltschaft. Das Tatbestandsmerkmal der<br />
Gewerbsmäßigkeit war und ist nämlich unter Berücksichtigung<br />
der bisherigen Rechtsprechung sehr weit auszulegen<br />
und liegt immer schon dann vor, wenn der Täter in der Absicht<br />
handelt, sich durch wiederkehrende Begehung von<br />
Straftaten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger<br />
Dauer und einigem Umfang zu verschaffen 43 . Unabhängig<br />
von der Höhe hätte bei entsprechender Absicht deshalb der<br />
einmalige Bezug unversteuerter Einkünfte genügt, um den<br />
Tatbestand eines Verbrechens zu verwirklichen. Die Qualifizierung<br />
als Verbrechen über die Höhe der Strafandrohung<br />
nahm § 370 a AO von der Möglichkeit einer strafbefreienden<br />
Selbstanzeige nach § 371 AO aus, da diese nur möglich war<br />
bei Vergehen im Sinne des § 12 Abs. 2 StGB. Als Verbrechenstatbestand<br />
war § 370 a AO ferner automatisch taugliche<br />
Vortat im Sinne des § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB 44 .<br />
Hinzu kam, dass durch die ebenfalls neu gefasste Regelung<br />
des § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB praktisch das gesamte<br />
Vermögen des Steuerhinterziehers „infiziert“ wurde 45 .Bemakelte<br />
Gegenstände waren danach nämlich im Falle des<br />
§ 370 a AO „unrechtmäßig erlangte Steuervergünstigungen“<br />
und alle „Vermögensbestandteile, hinsichtlich derer Abgaben<br />
hinterzogen worden sind“. Für den anwaltlichen Berater<br />
eines „gewerbsmäßigen“ Steuerhinterziehers bestand damit<br />
die Gefahr, dass er sich durch die Annahme des<br />
Honorars selbst der Geldwäsche schuldig machte, weil es<br />
keinen „unbemakelten“ Vermögensbestandteil mehr gab.<br />
3. Neufassung des § 370 a AO<br />
Etwas versteckt, nämlich in Art. 7 Nr. 4 und in Art. 8<br />
des Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-<br />
Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen<br />
vom 23.7.2002 46 , sind mit Wirkung vom 27.7.2002 die gravierendsten<br />
Folgen dieser Änderung rückgängig gemacht<br />
worden.<br />
Ein Verbrechen nach § 370 a AO liegt deshalb jetzt nur<br />
noch vor, wenn der Steuerpflichtige gewerbsmäßig oder<br />
bandenmäßig Steuern „in großem Ausmaß“ hinterzieht.<br />
Insbesondere das letzte Tatbestandsmerkmal beinhaltet einen<br />
großen Unsicherheitsfaktor. Aber auch die Merkmale<br />
„gewerbsmäßig“ und „bandenmäßig“ können nicht ohne<br />
weiteres in der existierenden Auslegung zu den gleichlautenden<br />
Merkmalen bei Diebstahl und Raub angewendet<br />
werden. Hier können sich Besonderheiten ergeben.<br />
a) „Gewerbsmäßige“ Steuerhinterziehung<br />
In der aktuellen Literatur herrscht Einigkeit darüber,<br />
dass die bestehende Auslegung zur Gewerbsmäßigkeit, wie<br />
sie etwa zum gewerbsmäßigen Diebstahl entwickelt wurde,<br />
auf die schwere Steuerhinterziehung nicht übertragbar ist 47 .<br />
Aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sei eine Einschränkung<br />
geboten. Es könne nicht schon jede Steuerhinterziehung,<br />
die auf eine Wiederholung angelegt ist und dem<br />
Täter Einnahmen bzw. Ersparrnisse von einigem Gewicht<br />
verschaffen soll, als schwere Steuerhinterziehung gelten 48 .<br />
Teilweise wird im Wege der telelogischen Interpretation sogar<br />
so weit gegangen, dass man die Fälle der gewerbsmäßigen<br />
Steuerhinterziehung auf diejenigen Fälle begrenzt, in<br />
denen eine systematische Steuerhinterziehung durch erheblichen<br />
logistischen, apparativen und personellen Aufwand<br />
vorliegt 49 . Dann bliebe aber für die gewerbsmäßige Steuer-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
hinterziehung neben der bandenmäßigen kaum noch Raum.<br />
Vorgeschlagen wird auch, die gewerbsmäßige Steuerhinterziehung<br />
auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen der<br />
Steuerpflichtige plant, durch die Steuerhinterziehung zusätzliche<br />
Einnahmen und nicht bloß Einsparungen zu erzielen<br />
50 . Es wird abzuwarten sein, wie die Rechtsprechung<br />
reagiert.<br />
b) „Bandenmäßige“ Steuerhinterziehung<br />
Seit dem Beschluss des BGH vom 22.3.2001 braucht es,<br />
wie erwähnt, für eine Bande drei, über einen gemeinsamen<br />
Willen zur Begehung noch ungewisser Straftaten eines Deliktstypus<br />
verbundene natürliche Personen, wobei aber ein<br />
zeitliches und örtliches Zusammenwirken von mindestens<br />
zwei Mitgliedern bei der Begehung der Tat nicht (mehr)<br />
erforderlich ist 51 . Vereinzelt wird für den Bereich der bandenmäßigen<br />
Steuerhinterziehung verlangt, dass der Bandenbegriff<br />
hier so zu modifizieren sei, dass er drei Steuerrechtssubjekte<br />
fordert 52 . Hingewiesen wird insbesondere auf den<br />
Fall, dass etwa eine Handwerker-GbR, die Schwarzgelder<br />
vereinnahmt, als Bande behandelt werden könnte, während<br />
ein einzelner Handwerksmeister nur wegen einfacher Steuerhinterziehung<br />
verfolgt werden könnte 53 . Die meisten Stimmen<br />
in der Literatur scheinen jedoch auf eine solche Einschränkung<br />
verzichten zu wollen 54 . Auch hier wird die<br />
Reaktion der Rechtsprechung abzuwarten sein.<br />
c) Steuerhinterziehung in „großem Ausmaß“<br />
Der Begriff ist nicht legaldefiniert. Nach einhelliger Auffassung<br />
kann die Schwelle zum großen Ausmaß auch nicht<br />
absolut festgelegt werden 55 . Die bisherige Rechtsprechung zu<br />
dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal in § 370 Abs. 3<br />
Satz 2 Nr. 1 AO ging davon aus, dass insoweit regelmäßig<br />
ein Millionen(DM)-Betrag vorauszusetzen sei, teilweise wurden<br />
jedoch auch schon Gesamtbeträge von 350.000 E als<br />
„großes Ausmaß“ angesehen 56 . In der Literatur wird allerdings<br />
darauf hingewiesen, dass das nach § 370 Abs. 3 Satz 2<br />
Nr. 1 AO kumulativ geforderte subjektive Merkmal „aus grobem<br />
Eigennutz“, nicht auf § 370 a AO übertragen wurde und<br />
deshalb eine Übernahme der bisherigen Rechtsprechung<br />
ohne Weiteres nicht möglich sei 57 . Außerdem wird das Merkmal<br />
als bedenklich im Hinblick auf das verfassungsrechtliche<br />
43 Tröndle/Fischer, StGB, vor § 52 Rn. 37; Schönke/Schröder/Stree, StGB, vor<br />
§52ff.Rn.95f.<br />
44 Zur Kritik daran Spatscheck/Wulf, DB 2001, 2572 (2573 f. m. w. N., auch zur<br />
Gegenansicht).<br />
45 Meyer, BRAK-Mitt. 3/2002, 105/108; zur Kritik an dieser Folge siehe Spatschek/Wulf,<br />
DB 2001, 2572 (2574); Bittmann, wistra 2003, 161 (166). A.A.<br />
auch Ambos, JZ 2002, 70 (71) der eine „Teilkontamination“ in Höhe der inkriminierten<br />
Wertsumme annimmt; das Anwaltshonorar sei dann aus dem „sauberen<br />
Teil“ beglichen.<br />
46 BGBl. I S. 2715.<br />
47 Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2985); Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370a<br />
AO Rn. 11; Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 370 a AO Rn. 26.<br />
48 Klein, AO, § 370 a Rn. 12.<br />
49 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 a AO Rn. 13.<br />
50 Hellmann in HHSp, § 370 a AO Rn. 18f.<br />
51 BGH-GSSt, Beschluss vom 22.3.2001, NStZ 2001, 421.<br />
52 Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2986).<br />
53 Klein, AO, § 370 a Rn. 13.<br />
54 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 a AO Rn. 16; Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen,<br />
§ 370a AO Rn. 37c; Hellmann in HHSp, § 370a AO Rn. 23.<br />
55 BGH NJW 2001, 2485 f.; Bittmann, wistra 2003, 161 (164).<br />
56 BGH wistra 1984, 174 (Körperschaftsteuerhinterziehung von 3,3 Mio DM);<br />
BGH wistra 1987, 71 (Umsatzsteuerhinterziehung von 700.000 DM); s.a. Meyer,<br />
BRAK-Mitt. 3/2002, 105/107. Nach Bittmann, wistra 2003, 161 (169) sollen<br />
jedenfalls Summen unter 50.000 nicht ausreichen; ebenso Weyand, INF 2003,<br />
115 (117).<br />
57 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 a AO Rn. 12; Klein, AO, § 370a Rn. 14.
AnwBl 4/2004 207<br />
Aufsätze MN<br />
Bestimmtheitsgebot angesehen 58 . Auch hier wird schließlich<br />
abzuwarten sein, wie die Rechtssprechung damit umgeht.<br />
d) Minderschwerer Fall<br />
Von Bedeutung ist, dass der neue § 370 a Satz 2 AO die<br />
Strafandrohung für minderschwere Fälle auf drei Monate<br />
bis fünf Jahre senkt und ein minderschwerer Fall insbesondere<br />
dann vorliegen soll, wenn die Voraussetzungen des<br />
§ 371 AO vorliegen, also eine Selbstanzeige (Berichtigung<br />
oder Ergänzung unrichtiger oder unvollständiger Angaben<br />
oder Nachholung unterlassener Angaben) erfolgt. Wegen<br />
§ 12 Abs. 3 StGB entfällt damit jedoch nicht die Verbrechensqualifizierung<br />
nach § 370 a Satz 1 AO. Damit kann<br />
eine Selbstanzeige auch nicht den Anknüpfungspunkt für<br />
§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB entfallen lassen. Eine<br />
Selbstanzeige kann den Rechtsanwalt damit nicht vor einer<br />
drohenden Strafverfolgung abschirmen.<br />
e) § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB<br />
Teilweise entschärft wurde auch § 261 Abs. 1 Satz 3<br />
StGB. Nach der Neufassung gelten nur noch die „durch die<br />
Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen und unrechtmäßig<br />
erlangten Steuererstattungen und -vergütungen“ als<br />
tauglicher Gegenstand der Geldwäsche. Das übrige Vermögen<br />
des Steuerpflichtigen ist somit nicht mehr infiziert 59 .<br />
Unklar ist allerdings, wie eine solche „Ersparnis“ vom restlichen<br />
Vermögen abzugrenzen ist 60 . Es kann sich hier allenfalls<br />
um einen rechnerischen Teil des Gesamtvermögens<br />
handeln. Vereinzelt wird aber gerade in der Unmöglichkeit<br />
der Konkretisierung des Geldwäschegegenstandes im Falle<br />
einer bloßen Ersparnis die Notwendigkeit erblickt, die<br />
schwere Steuerhinterziehung generell auf die Fälle der Erlangung<br />
steuerlicher Zuflüsse zu beschränken 61 . Diese sind<br />
konkretisierbar und tauglicher Geldwäschegegenstand.<br />
Auch hier bleibt die Entwicklung der Rechtsprechung noch<br />
abzuwarten.<br />
Im Ganzen hat sich die Unsicherheit für anwaltliche Berater<br />
des Steuerhinterziehers in Honorarfragen etwas verringert.<br />
Da § 261 Abs. 5 StGB jedoch nach wie vor das leichtfertige<br />
Nichterkennen der rechtswidrigen Herkunft des<br />
Gegenstandes für die Strafbarkeit genügen lässt, bleibt eine<br />
Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Feststellung durch den<br />
Anwalt, aus welchem Vermögensbestandteil die Honorarzahlung<br />
des Mandanten stammt.<br />
4. Vorsichtsmaßnahmen bei Verdachtsfällen<br />
Da die Tatbestandsmerkmale des § 370 a AO sehr unbestimmt<br />
sind, bleibt es der Rechtsprechung überlassen, diese<br />
Tatbestandsmerkmale auszufüllen. Bis dahin herrscht jedoch<br />
weitgehende Unsicherheit über die schwere Steuerhinterziehung<br />
als Geldwäschevortat. Dies muss zu erhöhten<br />
Vorsichtsmaßnahmen führen, wenn eine Steuerhinterziehung<br />
erkannt wird und es sich nicht offensichtlich um einen<br />
Bagatellfall handelt.<br />
Generell ist es sinnvoll, innerhalb der eigenen Beratungspraxis<br />
eine Grenze zwischen problematischem und<br />
unproblematischem Rechtsrat zu definieren 62 . Diese Grenze<br />
sollte dann mit der notwendigen Konsequenz eingehalten<br />
werden. Ferner ist Wessing zu folgen, der eine Beweisregel<br />
des BGH zur Untreueproblematik, nach der bestimmte verschleiernde<br />
Momente den Schluss auf einen Vorsatz im<br />
Hinblick auf eine strafbare Handlung zulassen, für den Beratungsbereich<br />
fruchtbar machen will 63 . Wessing schlägt<br />
vor, daraus im Umkehrschluss eine Art Verhaltensregel zu<br />
gewinnen, die darauf gerichtet ist, solche verschleiernden<br />
Momente auszuschließen. Zu fordern ist danach innerhalb<br />
der Beratungspraxis ein differenziertes Gefahrbewusstsein,<br />
die Wahrung notwendiger Distanz zum Mandanten sowie<br />
Offenheit und Dokumentation der Beratung, soweit das mit<br />
dem Mandatsgeheimnis zu vereinbaren ist.<br />
Ist unklar, ob das Honorar aus bemakelten Vermögensbestandteilen<br />
des Mandanten stammt, erscheinen im Übrigen,<br />
wenn das Mandat dessen ungeachtet angenommen<br />
werden soll, bestimmte Vorsichtsmaßnahmen sinnvoll.<br />
a) Da hinsichtlich der Kenntnis des Anwalts von der Infizierung<br />
der für sein Honorar verwendeten Vermögensgegenstände<br />
des Mandanten auf den Zeitpunkt des Erhalts<br />
der Mittel abzustellen ist, sollte der Anwalt möglichst<br />
frühzeitig Vorschüsse anfordern. Eine nach Bedienung der<br />
Vorschussanforderung später erlangte Kenntnis schadet<br />
nicht mehr 64 .<br />
b) In Verdachtsfällen könnte der Mandant gebeten werden,<br />
im Einzelnen durch geeignete Nachweise glaubhaft zu<br />
machen, dass die Mittel aus legalen Mitteln stammen 65 . Dieser<br />
Weg dürfte in der wirtschaftsanwaltlichen Beratung häufig<br />
kaum praktikabel sein und zum Mandatsverlust führen.<br />
c) Anwalt und Mandant können vereinbaren, dass die<br />
Zahlung des Honorars durch einen – nicht selbst verdächtigen<br />
– Dritten erfolgt, der glaubhaft machen kann, die Mittel<br />
nicht vom Mandanten erhalten zu haben 66 .<br />
d) Bei Dauermandanten können Mandantenunterlagen<br />
gesammelt werden, die legale Einkommensquellen dokumentieren,<br />
etwa Kontoauszüge, Gehaltsabrechnungen, Bilanzen,<br />
Steuerbescheide, Subventionsbescheide etc 67 .<br />
e) Ein ebenso sicherer wie eleganter Weg ist es, den<br />
Staat zur „Geldwäsche“ zu instrumentalisieren, indem der<br />
Mandant dem Anwalt geleistete Kautionen (§ 116 a StPO)<br />
oder sichergestellte Mittel abtritt. In der Strafverteidigung<br />
generell üblich, wird dieser Weg im Rahmen der wirtschaftsberatenden<br />
Anwaltstätigkeit praktisch nur bei einer<br />
Beschlagnahme von Vermögen im Wege des dinglichen Arrests<br />
(§§ 111 d StPO, 917 ff. ZPO) in Betracht kommen.<br />
Wird der dingliche Arrest bei Verfahrensabschluss aufgehoben<br />
oder eine Kaution zurückgezahlt (sofern kein Verfall,<br />
§ 124 StPO), wird die Honorarforderung vom Staat<br />
„beglichen“, der durch die Freigabe der Mittel zur Zahlung<br />
dokumentiert, dass die Mittel nicht dem Verfall (§ 261<br />
Abs. 7 i.V. m. §§ 73, 73 d StGB) unterliegen. 68<br />
Dass die vorgenannten Wege in der wirtschaftsanwaltlichen<br />
Beratungspraxis auf praktische Vorbehalte und<br />
Schwierigkeiten stoßen, steht ebensowenig außer Zweifel<br />
wie die Sicherheit des letzten Auswegs, der in der Nichtannahme<br />
des Mandats liegt.<br />
58 Klein, AO, § 370 a Rn. 14; Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2984); jüngst<br />
auch Harms, in: FS Kohlmann, 2003, 413 (426).<br />
59 Bittmann, wistra 2003, 161 (167).<br />
60 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, § 261, Rn. 8 a.<br />
61 Spatschek/Wulf, NJW 2002, 2983 (2987).<br />
62 So auch Wessing, NJW 2003, 2265 (2271).<br />
63 Wessing, NJW 2003, 2265 (2270f.).<br />
64 Vgl. Schönke/Schröder/Stree, StGB, § 261 Rn. 18; Götz/Windholz, AnwBl<br />
2000, 642 (647).<br />
65 Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (649).<br />
66 Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (649); differenzierend Brüssow/Petri,<br />
AnwBl 2004, 114 (116).<br />
67 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370a AO Rn. 57.<br />
68 Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (649).
208<br />
MN<br />
Die Zukunft des Marktes<br />
für Rechtsberatung<br />
Prof. Dr. Barbara Grunewald, Köln<br />
I. Einleitung<br />
In den letzten Jahren ist verstärkt die Frage gestellt worden,<br />
wem die Beratung in Rechtsfragen gestattet sein soll.<br />
Die Antworten gehen weit auseinander: Während manche<br />
die Rechtsberatung – von wenigen Ausnahmen abgesehen –<br />
der Rechtsanwaltschaft vorbehalten wollen 1 , gehen andere<br />
davon aus, dass der Marktzutritt im Grundsatz jedermann offenstehensollte<br />
2 . Eine Abteilung des nächsten Deutschen<br />
Juristentages wird die Fragestellung aufgreifen. Im Folgenden<br />
soll versucht werden, diese Diskussion auf eine breitere<br />
Grundlage zu stellen. Zum einen werden die Regelungen des<br />
Rechtsberatungsgesetzes in die allgemeine Diskussion des<br />
Verbraucherschutzes eingeordnet. Zum anderen werden die<br />
ökonomischen Implikationen eines regulierten Zugangs zum<br />
Rechtsberatungsmarkt geschildert. Abschließend werden die<br />
Folgerungen dargestellt, die eine Liberalisierung des Marktes<br />
für Rechtsberatung für die Vermarktung anwaltlicher Dienstleistungen<br />
nach sich ziehen sollte.<br />
II. Zielsetzung des Rechtsberatungsgesetzes<br />
1. Grundlagen<br />
So unterschiedlich die Antworten auf die Frage nach der<br />
Öffnung des Rechtsberatungsmarktes auch sind: Im Ausgangspunkt<br />
besteht Einigkeit. Das Rechtsberatungsgesetz<br />
verfolgt vorrangig zwei Regelungsziele: Zum einen schützt<br />
es den Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat und<br />
zum anderen soll es im Interesse eines reibungslosen<br />
Rechtsverkehrs ungeeignete Personen von der geschäftsmäßigen<br />
Besorgung von Rechtsangelegenheiten fern halten<br />
3 . Es geht also nicht um dem Schutz der Anwaltschaft<br />
vor Konkurrenz 4 . Dem entspricht, dass das BVerfG betont<br />
hat, dass ein Eingriff in die Berufsfreiheit derer, die neben<br />
der Anwaltschaft Rechtsrat erteilen wollen, nicht mit dem<br />
Argument gerechtfertigt werden könne, dass nur so ein effektiver<br />
Konkurrenzschutz erreichbar sei 5 . Schutz vor Wettbewerb<br />
ist – so das Gericht – allenfalls dann geboten, wenn<br />
sonst die Gemeinwohlbelange gefährdet würden, denen die<br />
Zugangsschranken oder Berufsausübungsregelungen eines<br />
Berufes gerade zu dienen bestimmt sein. Auf die Rahmenbedingungen<br />
gesetzlich festgelegter Berufe sei in diesem<br />
Zusammenhang Bedacht zu nehmen.<br />
2. Verbraucherschutz<br />
Wenn es demgemäß vorrangig um den Schutz der Rechtsuchenden<br />
und den reibungslosen Ablauf des Rechtsverkehrs<br />
geht, dann muss auch die rechtspolitische Diskussion<br />
diese Aspekte in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen.<br />
Der Aspekt „Schutz des Rechtsuchenden“ kann in den<br />
großen Zusammenhang des Verbraucherschutzes eingeordnet<br />
werden, der allerdings im Prinzip auch nur ein Teil der<br />
allgemeinen Problematik der Störung der Vertragsparität<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsätze<br />
ist 6 . Das macht auch gerade die hier zu diskutierende Fragestellung<br />
deutlich: Auch Unternehmer sollen vor unqualifiziertem<br />
Rechtsrat geschützt werden. Die Verbraucherdefinition<br />
von § 13 BGB ist insoweit ohne Bedeutung.<br />
Damit stellt sich die Frage, wovor genau der Auftraggeber<br />
geschützt werden soll. In der Literatur wird – wie geschildert<br />
7 – vielfach gesagt, es ginge um den Schutz vor unqualifiziertem<br />
Rechtsrat. Das allein würde allerdings ein<br />
Beratungsmonopol der Anwaltschaft nicht rechtfertigen.<br />
Denn nicht jeder Volljurist – und dieses Kriterium soll ja<br />
wohl den qualifizierten Rechtsrat garantieren – ist Rechtsanwalt.<br />
Der Verbraucherschutz bezieht sich also auch auf<br />
die in der BRAO niedergelegten besonderen Berufspflichten<br />
der Anwaltschaft, also etwa auf die Unabhängigkeit<br />
und Verschwiegenheit der Anwaltschaft sowie auf das Verbot<br />
der Vertretung widerstreitender Interessen. Diese Berufspflichten<br />
sind teilweise sogar strafrechtlich abgesichert<br />
(§§ 203, 356 StGB), und teilweise in der StPO auch vor einer<br />
Aufweichung im Strafverfahren geschützt (§§ 53, 97<br />
StPO). Hinzu tritt die gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung<br />
mit einer Mindestdeckungssumme<br />
von EUR 250.000,– (§ 51 BRAO) 8 . Dies alles gewährleistet<br />
einen Qualitätsstandard, der für die Verbraucher von erheblichem<br />
Interesse ist.<br />
3. Reibungsloser Ablauf des Rechtsverkehrs<br />
Das Rechtsberatungsgesetz hat des Weiteren das Ziel,<br />
den reibungslosen Ablauf des Rechtsverkehrs sicherzustellen.<br />
Damit ist einmal gemeint, dass die Abwicklung von Verfahren<br />
vor Gerichten und Behörden erheblich erleichtert<br />
wird, wenn die Vertretung der Betroffenen in der Hand von<br />
qualifizierten Personen, nämlich von Juristen, liegt9 .Dasses<br />
gerade Rechtsanwälte sind, ist wohl weniger wichtig, da die<br />
besonderen Berufspflichten der Anwaltschaft für das Funktionieren<br />
der staatlichen Einrichtungen wenig bedeutsam sind.<br />
Ebenfalls zu bedenken sind die Interessen weiterer Personen,<br />
die von der Rechtsberatung neben den Behörden<br />
ebenfalls als Dritte betroffen sind10 . Ein Rechtsanwalt, so<br />
kann man annehmen, wird auf Grund seiner Ausbildung<br />
wie seiner Berufspflichten die Rechte dieser Dritten eher<br />
achten als eine andere Person.<br />
1EtwaDombeck BRAK-Mitt. 2001, 89 ff.; Henssler AnwBl. 2001, 525 ff.; Zuck<br />
BRAK-Mitt. 2001, 105, 106.<br />
2 Kleine-Cosack NJW 2000, 1593, 1596; Lehmann NJ 2000, 337; Rasehorn<br />
DRIZ 2000, 442.<br />
3 Siehe BVerfGE 41, 378, 390 = NJW 1976, 1349; BVerfGE 75, 246, 275 = NJW<br />
1988, 545, 546; BVerfGE 98, 481, 482; Berger KTS 1991, 85, 94; Dombeck<br />
BRAK-Mitt. 2001, 98; Henssler NJW 2003, 241, 244; Rennen/Caliebe RBerG<br />
3. Aufl. Art. 1 § 1 Rdn. 11; Weth in Henssler/Prütting Einleitung RBerG Rdn. 5,<br />
6; Zuck BRAK-Mitt. 2001, 105, 106.<br />
4 So noch Begründung zum RBerG <strong>193</strong>5, Reichsgesetzblatt <strong>193</strong>5, 1528; wie hier<br />
Kleine-Cosack NJW 2000, 1593, 1596, ders. NJW 2003, 3009, 3011; Taupitz<br />
NJW 1995, 369, 370; Weth (s. o. Fn. 3) Einleitung RBerG Rdn. 4; Zuck BRAK-<br />
Mitt. 2001, 105, 106; siehe auch Becker-Eberhard JZ 2003, 358, 359 und<br />
Henssler NJW 2003, 241, 243: Nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung; a. A.<br />
Berger KTS 1991, 85, 94; Rennen/Caliebe (s. o. Fn. 3) Art. 1 § 1 Rdn. 11.<br />
5 BVerfG NJW 1998, 3481, 3483.<br />
6 Bülow/Arzt, Verbraucherprivatrecht 2003, S. 8; Fleischer, Informationsasymmetrie<br />
im Vertragsrecht, 2001, S. 570.<br />
7 S. o. Fn. 3.<br />
8 Siehe den Hinweis von Henssler AnwBl. 2001, 525, 527.<br />
9 Siehe Rennen/Caliebe (s. o. Fn. 3) Art. 1 § 1 Rdn. 11; Weth (s. o. Fn. 3) Einleitung<br />
Rdn. 6.
AnwBl 4/2004 209<br />
Aufsätze MN<br />
III.Wege zur Erreichung dieses Zieles<br />
1. Verbraucherschutz<br />
a) Informationsmodell<br />
Der klassische und von der Europäischen Union bislang<br />
nahezu stets favorisierte Weg zur Erreichung eines umfassenden<br />
Verbraucherschutzes ist das sogen. Informationsmodell.<br />
Um dem Nachfrager zu einer sachgerechten Wahrnehmung<br />
seiner Vertragsfreiheit zu verhelfen, werden ihm<br />
die hierfür benötigten Informationen verschafft. Die Vertragsparität,<br />
die durch den Informationsvorsprung des gewerbsmäßig<br />
Handelnden aus dem Gleichgewicht geraten<br />
war, wird so wieder hergestellt 11 . Auf den hier zur Diskussion<br />
stehenden Fall bezogen würde dies heißen, dass ein<br />
Anbieter von Rechtsrat, der kein Rechtsanwalt ist, auf die<br />
Nachteile hinzuweisen hätte, die eine Beratung durch ihn<br />
im Vergleich zu einer Beratung durch einen Rechtsanwalt<br />
mit sich bringt. Volljuristen, die nicht Rechtsanwälte sind,<br />
müssten etwa das Fehlen einer Versicherung (so sie denn<br />
keine abgeschlossen haben) ebenso offen legen wie die Tatsache,<br />
dass für sie die genannten weiteren Berufspflichten<br />
nicht gelten. Personen, die keine Volljuristen sind, müssten<br />
auch dieses offen legen.<br />
b) Verbotsmodell<br />
Dem Informationsmodell steht das sogen. Verbotsmodell<br />
gegenüber. Dieses ist in zweierlei Varianten denkbar: Entweder<br />
wird die Erteilung von Rechtsrat von vornherein (nahezu)<br />
jeder Person verboten, die nicht Rechtsanwalt ist, wobei<br />
der Erhalt einer Ausnahmeerlaubnis im Einzelfall<br />
möglich ist (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, Modell des<br />
Rechtsberatungsgesetzes), oder die Beratung wird erst einmal<br />
erlaubt und dann gegebenenfalls einzelnen Personen<br />
verboten, die diese Befugnis missbrauchen. Dieses Modell<br />
führt einerseits zu einer gewissen Bevormundung des Verbrauchers,<br />
andererseits aber auch dazu, dass nicht qualifizierter<br />
Rechtsrat bzw. auch qualifizierter Rechtsrat, der nicht<br />
von berufsrechtlich gebundenen Personen erteilt wird, weitgehend<br />
nicht gegeben wird. Dabei bleibt die Variante, die in<br />
einem ersten Schritt davon ausgeht, dass jedermann Rechtsrat<br />
erteilen dürfe, und dann in einem zweiten Schritt per Verbot<br />
diejenigen vom Rechtsberatungsmarkt ausschließt, die<br />
sich als ungeeignet erwiesen haben, in zweierlei Hinsicht<br />
hinter dem „prinzipiellen Verbotsmodell“ zurück: Sowohl<br />
der Eingriff in die Berufsfreiheit derjenigen, die Rechtsrat<br />
erteilen wollen, wie auch der Schutz derer, die vor diesen<br />
Beratern bewahrt werden sollen, ist weniger intensiv.<br />
2. Reibungsloser Ablauf des Rechtsverkehrs<br />
a) Informationsmodell<br />
Der reibungslose Ablauf des Rechtsverkehrs kann durch<br />
das Informationsmodell nicht gewährleistet werden. Denn<br />
den Behörden und Gerichten ist nicht geholfen, wenn sie<br />
darüber informiert werden, dass eine Person ohne besondere<br />
Rechtskenntnisse vor ihnen agiert. Da sie den Vertreter<br />
akzeptieren müssen, geht es nicht um eine wohl informiert<br />
zu treffende Entscheidung, sondern allein um die Pflicht,<br />
die Entscheidung eines anderen hinzunehmen. Gleiches gilt<br />
für den Schutz anderer von der Rechtsbesorgung betroffener<br />
Personen.<br />
b) Verbotsmodell<br />
Das Verbotsmodell trägt demgegenüber den Interessen<br />
von Behörden und Gerichten sowie von sonstigen Dritten<br />
umfassend Rechnung. Dies gilt in besonderem Ausmaß für<br />
das „prinzipielle Verbotsmodell“ (mit Erlaubnisvorbehalt),<br />
eingeschränkt aber auch für die Variante, nach der in einem<br />
zweiten Schritt ungeeignete Personen vom Beratermarkt<br />
ausgeschlossen werden. Hier wird es vor einem Verbot<br />
zwar regelmäßig zu einem nicht pflichtgemäßen Verhalten<br />
des Betroffenen gekommen sein, da nur dann davon ausgegangen<br />
werden kann, dass die Behörden auf diese Person<br />
aufmerksam werden und gegen sie einschreiten. Aber wirklich<br />
häufige und gravierende Verstöße werden unterbunden<br />
werden. Hinzu tritt eine gewisse Abschreckungswirkung,<br />
wie sie von durchgesetzten Verboten regelmäßig ausgeht.<br />
IV.Vor- und Nachteile<br />
1. Vor- und Nachteile des Verbotsmodells<br />
a) Verringerung der Angebotspalette auf dem Markt der<br />
Rechtsberatung<br />
Nicht von ungefähr wird auf der Ebene der Europäischen<br />
Union im Rahmen des Verbraucherschutzes das Verbotsmodell<br />
trotz der damit verbundenen effektiven Ausschaltung<br />
ungeeigneter Anbieter so gut wie nie gewählt.<br />
Der Hauptnachteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass<br />
solche Verbote das Angebot der am Markt offerierten Leistungen<br />
einschränken. Davon betroffen sind vielfach auch<br />
Tätigkeiten, die jedenfalls den Interessen einzelner Nachfrager<br />
entsprechen. Für das Verbot des Rechtsberatungsgesetzes<br />
ist dies offensichtlich: Subventionsberater, uneigennützig<br />
tätige Berater, Rechtsschutzversicherungen,<br />
Banken und viele Personen mehr wollen Rechtsrat im weitesten<br />
Sinne des Wortes anbieten, der vielfach auch nachgefragt<br />
werden würde. Sie werden hieran aber durch das<br />
Rechtsberatungsgesetz gehindert. Kein Zweifel: Der so zu<br />
erhaltende Rat wird u. U. von schlechterer Qualität sein als<br />
der, den ein Rechtsanwalt erteilt. Aber das allein besagt<br />
nicht, dass er nicht erteilt werden sollte. Nahezu jeder<br />
Markt wird von Produkten geprägt, die unterschiedliche<br />
Qualität (und Preise) aufweisen. Die Präferenzen der Nachfrage<br />
sind individuell verschieden 12 .<br />
Auch die Judikatur des BGH liegt nunmehr auf dieser<br />
Linie. In einer Entscheidung, in der es um die Tätigkeit von<br />
Erbenermittlern und damit um die Abgrenzung zwischen<br />
den diesen Personen nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubten<br />
und nicht erlaubten Tätigkeiten ging, hat der BGH<br />
betont, dass diese Grenzziehung nicht ohne Rücksicht auf<br />
den vom Auftraggeber gewünschten Inhalt der Geschäftsbesorgung<br />
vorgenommen werden kann. Die insoweit<br />
maßgebliche Erwartung des Auftraggebers richte sich im<br />
Zweifel nach der Person und Qualifikation des Geschäftsbesorgers<br />
13 . Das impliziert, dass es Sache des Auftraggebers<br />
ist, selbst zu entscheiden, welche Dienstleistung er bei qualifizierten<br />
und welche bei weniger qualifizierten (dafür aber<br />
vielleicht billigeren) Anbietern nachfragen will.<br />
10 OLG Hamm NJW-RR 2000, 509, 510; Rennen/Caliebe (s. o. Fn. 3) Rdn. 11;<br />
siehe auch Berger KTS 1991, 85, 97 zu Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 RBerG<br />
a. A. Armbrüster RIW 2000, 583, 587; Michalski ZIP 1994, 1501, 1505.<br />
11 Siehe Bülow/Arzt (s. o. Fn. 6) S. 8; Grundmann JZ 2000, 1133, 1137; Fleischer<br />
(s. o. Fn. 6) S. 570 ff.<br />
12 Dazu, dass dies als Ausgangspunkt wirtschaftswissenschaftlicher Theoriebildung<br />
gilt: Grundmann JZ 2000, 1133, 1137.<br />
13 BGH NJW 2003, 3046, 3048; siehe Kleine-Cosack NJW 2003, 3009, 3011:<br />
Bei nichtanwaltlichen Auftragnehmern spreche eine Vermutung gegen die Annahme,<br />
es liege ein unter das RBerG fallender Rechtsberatungsauftrag vor.
210<br />
MN<br />
Letztlich ist dies auch der Grund fçr die geplante Novellierung<br />
der Handwerksordnung. Nach der Begrçndung 14<br />
wird der so genannte Meistervorbehalt nur noch fçr die<br />
Handwerke aufgestellt, die im Hinblick auf Leben und Gesundheit<br />
gefahrgeneigt sind. Qualitåt, so heiût es in der Begrçndung<br />
weiter, regele sich çber den Markt. Hierauf vertraut<br />
man etwa auch im Bereich der Anlageberater und der<br />
Versicherungsmakler.<br />
b) Folgeprobleme eines Verbotes<br />
Weitere Nachteile des Verbotsmodells treten hinzu: Jedes<br />
Verbot muss durchgesetzt werden. Sofern in der<br />
Bevælkerung ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein besteht,<br />
das Verbot also gångigen Wertungen der Gesellschaft<br />
entspricht, ist dies meist weniger aufwåndig. Die Verbote,<br />
die das Rechtsberatungsgesetz enthålt, werden nicht von einer<br />
solchen allgemeinen Ûberzeugung getragen. Auch die<br />
Befçrworter mahnen neue Ausnahmen von dem Grundtatbestand<br />
des Verbotes an 15 . Diese Ausnahmen sind genauso<br />
wie die bereits bestehenden einzelfallbezogen und ohne<br />
Systematik, was zu immer neuen Abgrenzungsschwierigkeiten<br />
fçhrt. Dem entspricht, dass trotz 70-jåhriger Gçltigkeit<br />
des Gesetzes immer noch Sachverhaltsgestaltungen aufgespçrt<br />
werden, die nach Ansicht des BGH jahrzehntelange<br />
Verstæûe gegen das Rechtsberatungsgesetz offenbaren 16 .<br />
c) Entwicklungen in Europa<br />
Ein weiterer Nachteil des Verbotsmodells tritt hinzu:<br />
Der Rechtsberatungsmarkt wird sich europaweit æffnen.<br />
Manche Interpretationen des RBerG (wie etwa das Verbot<br />
der Testamentsvollstreckung fçr auslåndische Kreditinstitute)<br />
werden sogar schon jetzt als unzulåssige Beschrånkung<br />
des Dienstleistungsverkehrs und damit als nicht europarechtskonform<br />
angesehen 17 . Es liegt daher nahe, eine<br />
Regelung zu suchen, die zum einen sicher EU-rechtskonform<br />
ist und zum anderen vielleicht sogar als Vorbild fçr<br />
eine gesamteuropåische Vorschrift dienen kann. Es bestehen<br />
in Europa zwar die unterschiedlichsten Formen der Reglementierung<br />
des Rechtberatungsmarktes und Deutschland<br />
steht mit seiner relativ strikten Marktzutrittsschranke auch<br />
keineswegs allein 18 . Eine von der Generaldirektion Wettbewerb<br />
der Europåischen Kommission in Auftrag gegebene<br />
Studie vom Januar diesen Jahres hat allerdings ergeben,<br />
dass Deutschland im Bereich des Zutritts zum Rechtsberatungsmarkt,<br />
was die Intensitåt der Regelungen betrifft, im<br />
Spitzenfeld (hinter Ústerreich, Frankreich und Luxemburg<br />
auf Platz 4) liegt 19 . Auch wenn die Aussagekraft dieser Studie<br />
mit guten Grçnden angezweifelt worden ist 20 , so kann<br />
doch nicht in Abrede gestellt werden, dass sie zumindest<br />
Indizien fçr eine Ûberreglementierung enthålt 21 . Das gibt<br />
zu denken, zumal nicht bekannt ist, dass in den anderen<br />
Låndern der Europåischen Union die Qualitåt der Rechtsberatung<br />
zu wçnschen çbrig lieûe 22 . Die Studie empfiehlt<br />
daher auch keineswegs den Ausbau, sondern den Abbau<br />
von Marktzutrittschancen 23 .<br />
2. Vor- und Nachteile des Informationsmodells<br />
Die Nachteile des Verbotsmodells sind zugleich die Vorteile<br />
des Informationsmodells: Je mehr Anbieter am Markt<br />
zugelassen werden, desto breiter wird die Angebotspalette.<br />
Der Verbraucher kann selber entscheiden, welches Gut er<br />
wåhlt. Fçr die Rechtsschutzversicherer hieûe dies etwa: Entweder<br />
hat der Nachfrager das Recht, einen Rechtsanwalt<br />
frei zu wåhlen, muss dann aber auch eine hæhere Pråmie be-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aufsåtze<br />
zahlen, oder er beauftragt den Hausjuristen des Versicherers<br />
und spart an der Pråmie. Dies wçrde in etwa dem sogen.<br />
¹Hausarztmodellª der Krankenkassen åhneln, das niemand<br />
als anstæûig empfindet und das daher eigentlich auch fçr<br />
den Beratungsmarkt tragbar sein mçsste 24 .<br />
Das Informationsmodell wçrde es auch ermæglichen, die<br />
mit dem Rechtsberatungsgesetz zwangslåufig verbundene<br />
Rechtsunsicherheit einzudåmmen. Unsystematische Ausnahmen<br />
wåren obsolet. Auch hierzu ein Beispiel: Vielfach<br />
wird gefordert, dass die kostenlose Erteilung von Rechtsrat<br />
uneingeschrånkt zulåssig sein sollte 25 . Demgegençber ist<br />
mit guten Grçnden darauf hingewiesen worden, dass auch<br />
diese Personen schutzwçrdig sind 26 . Allerdings hat Qualitåt<br />
ihren Preis. In das Informationsmodell låsst sich die Zulåssigkeit<br />
kostenloser Rechtsberatung daher problemlos integrieren:<br />
Denn natçrlich muss auch derjenige, der ohne Gegenleistung<br />
beråt, auf die Art seiner Beratung hinweisen.<br />
Zugleich erçbrigt sich die mit der Schaffung einer Ausnahme<br />
fçr kostenlosen Rechtsrat stets verbundene Frage,<br />
wann dieser Rat kostenlos erteilt wird und wann nicht doch<br />
vielleicht mittelbare Vorteile erwartet und gewåhrt werden.<br />
Das heiût nicht, dass die Beratungshilfe eingeschrånkt oder<br />
gar auf nicht anwaltliche Rechtsberater çbertragen werden<br />
sollte. Denn auch Personen, die die Beratungskosten nicht<br />
selber tragen kænnen, sollen Zugang zu qualifiziertem Rat<br />
erhalten. Aber wer die Beratung selber bezahlt, sollte zwischen<br />
verschiedenen Marktsegmenten wåhlen kænnen.<br />
Auf die Vorteile mit Blick auf Europa wurde schon hingewiesen:<br />
Das Informationsmodell entspricht gångiger Gestaltungspraxis<br />
der Europåischen Union und kann daher als<br />
Modell fçr ein Gemeinschaftsrecht auch in diesem Bereich<br />
dienen.<br />
Das Informationsmodell ist allerdings auch nicht ohne<br />
Nachteile: So wurde bereits darauf hingewiesen, dass von<br />
der Beratung betroffene Dritte, insbesondere Behærden und<br />
Gerichte, mit Informationen nicht geschçtzt werden. Auch<br />
bleibt zu prçfen, wie sich eine Beseitigung der Zugangsschranken<br />
zum Rechtsberatungsmarkt auf die wirtschaftliche<br />
Situation der Anwaltschaft auswirken wçrde. Niemandem<br />
wåre mit einer Proletarisierung der Rechtsanwaltschaft<br />
14 Begrçndung zum Entwurf eines dritten Gesetztes zur Ønderung der Handwerksordnung<br />
und anderer gewerberechtlicher Vorschriften.<br />
15 Etwa Henssler AnwBl. 2001, 525, 529: Ehrenamtliche Beratungståtigkeit; åhnlich<br />
Zuck BRAK-Mitt. 2001, 105, 108; Henssler NJW 2003, 241, 248: Diplompsychologen<br />
und Sozialpådagogen fçr Familienmediation; Zuck BRAK-Mitt.<br />
2001, 105, 109 f. fçr Rechtsberatung in den Medien durch Rechtsanwålte.<br />
16 Siehe etwa zu Treuhandmodellen BGH NJW 2003, 1594, BGH NJW 2003,<br />
2088 kritisch dazu Kleine-Cosack BB 2003, 1737; zur Zusammenarbeit von Inkassobçros<br />
und Mietwagenunternehmen bei Schadensregulierungen BGH ZIP<br />
2003, 1608.<br />
17 Lange, ZEuP 2003, 51.<br />
18 Dazu etwa Dombeck AnwBl. 2001, 98, 100; Henssler AnwBl. 2001, 525, 530.<br />
19 Siehe Seite 50 der Studie des Instituts fçr hæhere Studien, Wien, Iain Paterson,<br />
Marcel Fink, Anthony Ogust.<br />
20 Siehe Henssler/Kilian in einem von DAV und BRAK veranlassten Positionspapier<br />
zu dieser Studie.<br />
21 Die Kritik von Henssler/Kilian (s. o. Fn. 20) bezieht sich in erster Linie auf die<br />
Bewertung Deutschlands im Zusammenhang mit der Reglementierung des Zugangs<br />
zur Anwaltschaft (hier ist Deutschland in der Tat liberal). Im vorliegenden<br />
Zusammenhang geht es aber um den Zugang zum Beratungsmarkt.<br />
22 Siehe den Hinweis von Kleine-Cosack NJW 2000, 1593, 1597; in Bezug auf<br />
die Liberalisierung der Handwerksordnung wird dieses Argument auch in der<br />
Begrçndung (s. o. Fn. 14) angefçhrt.<br />
23 AaO (s. o. Fn. 19) S. 127 ff.<br />
24 Kritisch in Bezug auf ein Verbot der Rechtsberatung durch Versicherer auch<br />
Kleine-Cosak NJW 2003, 3003, 3012.<br />
25 Henssler AnwBl. 2001, 525, 530; Lehmann NJ 2000, 337.<br />
26 Scharf BRAK-Mitt. 2001, 98.
AnwBl 4/2004 211<br />
Aufsätze MN<br />
gedient. Um festzustellen, ob diesen Problembereichen<br />
Rechnung getragen werden kann, wird nun das Informationsmodell<br />
näher entwickelt.<br />
V. Die Ausgestaltung des Informationsmodells im Einzelnen<br />
1. Anwendungsbereich<br />
Das Informationsmodell stößt wie geschildert an seine<br />
Grenzen, wenn es um den Schutz Dritter geht. Für den reibungslosen<br />
Ablauf des Verfahrens vor Behörden und Gerichten<br />
ist die Einschaltung von Volljuristen, die das Procedere<br />
kennen, hilfreich. In vielen Verfahren kann der<br />
Betroffene allerdings auch selbst auftreten, sodass von<br />
vornherein ein rechtlich geschultes Agieren nicht gewährleistet<br />
ist 27 . Das spricht dafür, auch eine Vertretung durch<br />
beliebige andere Personen und damit eben auch durch<br />
Nichtjuristen zuzulassen. Nur in den Fällen, in denen das<br />
Gesetz von vornherein einen Anwaltszwang vorschreibt,<br />
überwiegt nach Ansicht des Gesetzgebers das Interesse am<br />
reibungslosen Ablauf des Verfahrens gegenüber dem Interesse<br />
des Betroffenen, selbst aufzutreten bzw. einen frei gewählten<br />
Dritten beauftragen zu können.<br />
Die besonderen Berufspflichten der Anwaltschaft<br />
schützen allerdings zum großen Teil nicht diese Dritten,<br />
sondern die jeweiligen Auftraggeber. Doch gilt dies nicht<br />
für alle Normen. So wird in § 43 BRAO festgelegt, dass der<br />
Anwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben hat, und<br />
§ 43 a Abs. 3 BRAO enthält das so genannte Sachlichkeitsgebot.<br />
Hinzu tritt die Sorgfalts- und die Fortbildungspflicht<br />
(§ 43 a Abs. 5, 6 BRAO). Dies alles lässt es angebracht erscheinen,<br />
nicht jeden Volljuristen, sondern nur Rechtsanwälte<br />
in den genannten Verfahren als Vertreter zu akzeptieren.<br />
Wo also Anwaltszwang besteht (s. § 78 ZPO), sollte<br />
es dabei bleiben. Ein vergleichbares (beschränktes) Anwaltsmonopol<br />
besteht in vielen Staaten Europas 28 .<br />
2. Das Informationsmodell im Einzelnen<br />
Eine sachgerechte Entscheidung des Auftraggebers über<br />
die angebotene Art der Rechtsberatung setzt voraus, dass er<br />
die Unterschiede zwischen Volljuristen und anderen Beratern<br />
sowie zwischen Volljuristen und Rechtsanwälten kennt.<br />
Um das sicherzustellen, muss jedem, der berät, ohne Volljurist<br />
zu sein, ein entsprechender Hinweis angesonnen werden.<br />
Dies ist zwar sonst nicht üblich. So muss etwa eine<br />
Person, die nicht Meister ist, beim Anbieten handwerklicher<br />
Leistungen dies nicht offen legen. Doch wird man<br />
für die Rechtsberatung schon deshalb anders entscheiden<br />
müssen, weil es bislang nur eine Art von Anbietern auf<br />
dem Rechtsberatungsmarkt gab, eben den Rechtsanwalt.<br />
Das war auf den Märkten, die bislang nur mit Meisterbrief<br />
zugänglich waren, anders: Hier erschien regelmäßig zur<br />
Durchführung der Arbeit sowieso oftmals nicht der Meister,<br />
sondern der Geselle.<br />
Gegenüber der Mandatierung eines Rechtsanwalts hat<br />
die Beauftragung aller anderen Personen einen weiteren<br />
Nachteil: Die Person ist nicht an die Berufspflichten der<br />
Anwaltschaft gebunden. Insbesondere entfällt die in § 51<br />
BRAO niedergelegte Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung.<br />
Auch hierauf ist hinzuweisen. Allerdings<br />
wird man nicht eine komplette Aufzählung der<br />
Standespflichten verlangen können. Dies wäre schon deshalb<br />
nicht sinnvoll, weil der Mandant dann die Übersicht<br />
verlieren würde. Aber eine Nennung des fehlenden Schutzes<br />
durch die Kernwerte der anwaltlichen Standespflichten<br />
(Verschwiegenheitspflicht, Verbot der Vertretung widerstreitender<br />
Interessen, Unabhängigkeit) wird man verlangen<br />
können. Diese Belehrung kann evtl. auch durch den Hinweis<br />
ergänzt werden, dass eine entsprechende vertragliche<br />
Verpflichtung eingegangen werde. So informiert sind die<br />
Nachfrager dann in der Lage, eine sachgerechte Entscheidung<br />
zu treffen.<br />
Werden diese Informationspflichten nicht befolgt, so hat<br />
der Mandant Schadensersatzansprüche (§§ 311, 280 Abs. 1<br />
BGB). Hinzutreten sollte ein Widerrufsrecht nach § 355<br />
BGB, da nur so gewährleistet ist, dass der Auftraggeber in<br />
jedem Fall von dem Vertrag wieder loskommen kann.<br />
3. Auswirkungen auf die Anwaltschaft<br />
Es bleibt die Frage nach den Auswirkungen des geschilderten<br />
Modells auf die Anwaltschaft. Dass der Erhalt einer<br />
funktionsfähigen Anwaltschaft im Allgemeininteresse liegt,<br />
war bereits geschildert.<br />
Unbestritten besetzt die Anwaltschaft ein Qualitätssegment<br />
auf dem Beratermarkt. Kein anderer Berater ist jedenfalls<br />
im Regelfall besser qualifiziert und kein anderer Berater<br />
ist vergleichbar standesrechtlich gebunden. Daher ist<br />
anwaltlicher Rat sein Geld regelmäßig auch wert. Konkurrenz<br />
kann daher mit guten Gründen auf Abstand gehalten<br />
werden. Dies setzt allerdings voraus, dass am Markt die<br />
Vorzüge der Beauftragung der Anwaltschaft deutlich werden.<br />
Dies kann auf zweierlei Weise erreicht werden. Zum einen<br />
muss jedem Berater, der nicht Rechtsanwalt ist, auferlegt<br />
werden, nicht mit einer Bezeichnung zu werben, die<br />
auch nur entfernt den Eindruck erweckt, der Berater sei<br />
Anwalt. Dies folgt auch aus § 3 UWG, da eine solche Werbemaßnahme<br />
irreführend wäre. Zum anderen muss die<br />
Möglichkeit bestehen, die besondere Qualität der anwaltlichen<br />
Leistung am Markt zu verdeutlicht. § 43 b BRAO<br />
muss – sofern er dem entgegensteht 29 – einschränkend ausgelegt<br />
werden 30 .<br />
VI. Zusammenfassung<br />
Das dem RBerG zu Grunde liegende Verbotsmodell<br />
sollte durch ein Informationsmodell abgelöst werden.<br />
27 Siehe den Hinweis von Zuck BRAK-Mitt. 2001, 105, 107.<br />
28 Henssler BRAK-Mitt. 2001, 525, 531 nennt Belgien, Griechenland, Großbritannien,<br />
Irland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal und Spanien.<br />
29 Berechtigte Zweifel daran bei Kleine-Cosack BB 2000, 2109, 2115.<br />
30 Siehe den Hinweis von Becker-Eberhard JZ 2003, 358, 361 auf Werbemaßnahmen,<br />
die § 43 b BRAO verbietet. Das genannte Beispiel (Überreden des Kunden)<br />
beinhaltet allerdings keine Werbemaßnahme. In der bei Becker-Eberhard<br />
weiter genannten Entscheidung des OLG Hamburg, OLG Report 2000, 50, war<br />
ein Inkassounternehmen „unaufgefordert“ an den Zedenten herangetreten.<br />
Dem Sachverhalt lässt sich Genaueres nicht entnehmen. Daher bleibt unklar,<br />
ob diese Vorgehensweise einem Rechtsanwalt erlaubt wäre.
212<br />
MN KOMMENTA R<br />
Vertrauensschadensfonds<br />
der Rechtsanwälte<br />
für kriminelle<br />
Kollegen?<br />
� Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Präsident<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s von<br />
1998 bis 2002 und Mitglied des Präsidiums<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Aufgefordert durch den Petitionsausschuss<br />
prüft das Justizministerium<br />
in Berlin die Installierung eines Instruments,<br />
mit dem ein fehlender Versicherungsanspruch<br />
eines Anwaltsmandanten<br />
aufgefangen werden kann.<br />
Betroffen sind die vorsätzlichen Schadenszufügungen<br />
durch Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte, insbesondere<br />
die Unterschlagung von<br />
Fremdgeldern. Beide Schäden werden<br />
von der Haftpflichtversicherung nicht<br />
gedeckt. Muss die Anwaltschaft insgesamt<br />
in irgendeiner Weise für diese<br />
kriminell tätigen Kollegen einstehen?<br />
Wer spontan Nein sagt, stellt irritiert<br />
fest, dass gleichwohl das fordernde<br />
Auge der Politik auf die Gesamtheit<br />
der Anwaltschaft gerichtet ist.<br />
Erwogen wird die Einrichtung eines<br />
Vertrauensschadensfonds durch die Anwaltschaft,<br />
den diese aus eigenen finanziellen<br />
Mitteln bildet und aus dem derartige<br />
Schäden abgedeckt werden.<br />
Der Grundgedanke, dass innerhalb<br />
eines Berufs die Berufsträger für vorsätzliche<br />
Schädigungen von Kunden,<br />
Mandanten, Klienten, Patienten unter-<br />
einander haften, ist unserem Wirtschafts-<br />
und Rechtssystem fremd. Es<br />
gibt keinen Berufszweig – weder in der<br />
gewerblichen Industrie noch im Handwerk<br />
noch bei anderen freien Berufen –,<br />
in dem die einzelnen Unternehmer für<br />
das kriminelle Verhalten von Wettbewerbern<br />
haften. Soweit dies im politischen<br />
Bereich erwogen wird: Auch Politiker<br />
untereinander und auch politische Amtsträger,<br />
z. B. Minister, haften untereinander<br />
nicht für Vorsatztaten.<br />
Auch in der Familie haftet<br />
die Schwester nicht für den<br />
Bruder<br />
Mit dem Begriff des „Vertrauensschadensfonds“<br />
wird suggeriert, dass<br />
das Vertrauen der Bürger in den Beruf<br />
dahingehe, das eine solche „Querhaftung“<br />
greift. Das ist nicht der Fall.<br />
Kein Mandant geht davon aus, dass<br />
die Anwaltschaft haftet, wenn sein beauftragter<br />
Anwalt, seine beauftragte<br />
Anwältin seine Gelder unterschlägt.<br />
Auch das Vertrauen des Patienten geht<br />
nicht dahin, dass der Arzt in Passau<br />
für den vorsätzlichen Kunstfehler des<br />
Kollegen in Emden einsteht.<br />
Selbst in der engsten Solidargemeinschaft,<br />
der Familie, haftet die<br />
Schwester nicht für den Bruder.<br />
Die Einrichtung eines solchen Fonds<br />
kann im Übrigen kontraproduktiv wirken.<br />
Die Hemmschwelle bei Berufsträgern,<br />
sich an dem Vermögen der Mandanten<br />
zu vergreifen, wird sinken,<br />
wenn letztlich der Mandant nicht geschädigt<br />
wird, sondern die Kolleginnen<br />
und Kollegen für den Schaden geradestehen.<br />
Eine derartige Wirkung wird<br />
zwar von Strafrechtlern bestritten. Ich<br />
habe aber große Bedenken, mit einem<br />
Vertrauensschadensfonds das Experiment<br />
einzugehen, wer hier Recht hat.<br />
Es wird diskutiert, ob die Einrichtung<br />
eines solchen Fonds aus Marketinggründen<br />
notwendig sei. Auch dies<br />
ist abzulehnen. Einmal würde der<br />
Mandant geradezu darauf hingewiesen,<br />
dass die vorsätzliche Schädigung durch<br />
Anwälte eine reales Problem ist, das<br />
einen solchen Fonds erfordert. Soweit<br />
die Schäden, die der Fonds abdeckt,<br />
gedeckelt werden (z. B. auf 25.000 E),<br />
wird zum anderen eher das Gegenteil<br />
eines positiven Marketingeffekts erreicht.<br />
Der Geschädigte, um den es<br />
AnwBl 4/2004<br />
hier geht, wird in der Regel einen<br />
höheren Schaden aufweisen. Wird er<br />
nun mit einem geringeren Betrag „abgespeist“,<br />
wird dies eher den Ärger<br />
des Betroffenen auslösen, als wenn die<br />
Haftung, weil auch nicht erweitert, abgelehnt<br />
wird.<br />
Der Fonds bringt, im Übrigen nicht<br />
kalkulierbare Kosten mit sich. Es ist<br />
nicht von ungefähr, dass Haftpflichtversicherer<br />
für Vorsatztaten nicht haften.<br />
Auch unter diesem Aspekt stellt<br />
sich erneut die Frage, ob etwaige Ansprüche<br />
begrenzt werden sollen. Wenn<br />
es aber eine sinnvolle Ersatzpflicht<br />
gibt, so doch gerade in den Fällen, in<br />
denen die Mandanten existenziell betroffen<br />
sind, indem sie ihr eigenes<br />
Haus, ihre gesamten Ersparnisse, ihre<br />
Altersversorgung verlieren. Diese Beträge<br />
liegen immer über einer angedachten<br />
Deckelung. Zum anderen:<br />
Wenn die Anwaltschaft den ersten<br />
Schritt unternimmt und den Fonds mit<br />
Deckelung akzeptiert, wird die Grenze<br />
durch die Jahre immer weiter nach<br />
oben verschoben werden. Denn die<br />
grundsätzlich ablehnenden Erwägungen<br />
können nicht mehr ins Feld<br />
geführt werden. Es kann nur noch um<br />
die „Angemessenheit“ der Ersatzpflichtbegrenzung<br />
gehen.<br />
Dem steht nicht entgegen, dass die<br />
Notare verpflichtet sind, eine Vertrauensschadensversicherung<br />
zu unterhalten<br />
(§§ 67 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 3<br />
BNotO). Diese Regelung für die Notare<br />
ist eine absolute Ausnahmeregelung<br />
und kann nicht Maßstab sein.<br />
Zum anderen übt der Notar ein öffentliches<br />
Amt aus; es war der Staat, der<br />
hier die ggf. ihn treffende Ersatzpflicht<br />
abwehren wollte.<br />
Auch die Tatsache, dass einzelne<br />
Rechtsanwaltskammern bereits im beschränkten<br />
Bereich und mit eindeutiger<br />
Deckelung derartige Fonds geschaffen<br />
haben, spricht nicht gegen<br />
die Ablehnung. Ich halte diese Einrichtung<br />
für ebenso verfehlt wie die<br />
Einrichtung eines Fonds für die gesamte<br />
Anwaltschaft. Im Übrigen gibt<br />
es keine Rechtsgrundlage dafür, Kammerbeiträge<br />
zur Abdeckung solcher<br />
Schäden zu verwenden.<br />
Mit guten Gründen haben sich inzwischen<br />
Präsidium und Vorstand des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s einmütig gegen<br />
die Einrichtung eines solchen Vertrauensschadensfonds<br />
ausgesprochen.
AnwBl 4/2004 213<br />
THEMA<br />
Der Rechtsanwalt –<br />
Organ der Rechtspflege<br />
oder Kaufmann?<br />
Nationale und internationale Entwicklungen in der<br />
Anwaltschaft<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />
Frankfurt am Main, Präsident des Rates der Anwaltschaften<br />
der Europäischen Union (CCBE)*<br />
Die deutsche Anwaltschaft ist längst in Europa und in<br />
der Welt angekommen. Es gibt kaum noch Rechtsgebiete,<br />
die nicht von europäischen oder internationalen Regelungen<br />
beeinflusst werden. Das gilt auch für das Berufsrecht<br />
der Rechtsanwälte. Jeder Anwalt ist betroffen, werden<br />
doch jetzt die Weichen dafür gestellt, wie der Anwalt in<br />
den nächsten Jahren seinen Beruf ausüben kann. Der Autor<br />
– seit Jahren profunder Kenner der europäischen und<br />
internationalen Entwicklungen, Mitglied im Vorstand des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s und nun Präsident des CCBE,<br />
der wichtigsten Anwaltorganisation in Europa – beschreibt,<br />
wo die Anwaltschaft steht und auf welche Fragen<br />
sie eine Antwort finden muss.<br />
A. Ein Blick auf die innere Lage der Anwaltschaft<br />
I. Die Jahrestagung der International Bar Association von<br />
1998 in Vancouver diskutierte das Thema “Grenzüberschreitende<br />
Zusammenarbeit und Allianzen von Anwaltskanzleien“.<br />
Das Podium war sich einig: Wir konkurrieren<br />
mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, und deshalb<br />
darf unsere internationale Tätigkeit in keiner Weise<br />
eingeschränkt werden, auch nicht durch berufsrechtliche<br />
Regeln. Der erste Sprecher aus dem Publikum war ein alter<br />
Anwalt aus Jamaika, großgewachsen und schlank, tiefschwarze<br />
Haut, silberweißes Haar, eine eindrucksvolle Erscheinung.<br />
Er rief dem Podium zu: “Shame on you! You betray<br />
the law! You are not lawyers, you are traders. Traders<br />
who sell their knowledge of the law like a commodity!“<br />
(Schämen Sie sich! Sie verraten das Recht! Sie sind nicht<br />
Anwälte, Sie sind Händler. Händler, die ihre Rechtskenntnis<br />
wie eine Ware verkaufen!) Betroffenes Schweigen.<br />
Schließlich kam die Antwort des Vorsitzenden, ein Anwalt<br />
aus London: “Thank you for this voice from the wilderness.“<br />
(Vielen Dank für diese Stimme aus der Wildnis.) Ich<br />
werde dieses Erlebnis nie vergessen. Die zentrale Frage der<br />
Anwaltschaft – Organ der Rechtspflege oder Kaufmann –<br />
hätte nicht deutlicher gemacht werden können. 1<br />
Vier Jahre später, nach Enron/Andersen und weiteren<br />
Skandalen, bei denen nicht nur Wirtschaftsprüfer, sondern,<br />
weniger bekannt geworden, auch Anwälte involviert waren,<br />
setzte der amerikanische Kongress einen Ausschuss zur Untersuchung<br />
der Frage ein, ob das anwaltliche Berufsrecht<br />
auf die Interessen der Öffentlichkeit angemessen Rücksicht<br />
nimmt. Ein zorniger Abgeordneter sprach damals drohend<br />
aus: “If you behave like businessmen we will treat you like<br />
businessmen.“ (Wenn Sie sich wie Geschäftsleute benehmen,<br />
werden wir Sie wie Geschäftsleute behandeln.)<br />
Dieser zweite Vorfall zeigt: Die zentrale Frage – Organ<br />
der Rechtspflege oder Kaufmann – ist inzwischen zu einem<br />
Thema der Politik geworden. Diese Feststellung gilt nicht<br />
nur für die USA, sie gilt auch für Europa. Im Folgenden<br />
will ich versuchen, die derzeitigen Entwicklungen in ihren<br />
wichtigsten Einzelheiten darzustellen und in ein Gesamtbild<br />
einzuordnen – ein beunruhigendes Gesamtbild, wie ich<br />
schon jetzt bemerken möchte.<br />
Die Situation der Anwaltschaft hat<br />
sich drastisch geändert<br />
MN<br />
II. Das Umfeld und die eigene Situation der Anwaltschaft<br />
haben sich in Deutschland wie im Ausland gegenüber dem<br />
Stand vor zwanzig, ja noch vor zehn Jahren drastisch verändert.<br />
Ich skizziere, im Sinne eines Berichts, nicht einer Bewertung:<br />
9 Zunehmende Internationalisierung, ja Globalisierung der<br />
geschäftlichen Aktivitäten der Mandanten und der anwaltlichen<br />
Tätigkeit. Dies alles im Größtmaßstab wie<br />
DaimlerChrysler und im kleinen Maßstab wie Kooperationen<br />
von zwei Handwerksbetrieben in Kehl und<br />
Straßburg oder die Zusammenarbeit von zwei kleinen<br />
Kanzleien in Oberhausen und Nijmwegen.<br />
9 Zunehmende Komplexität der Sachverhalte und der<br />
Rechtsnormen, daraus resultierend die zunehmende Notwendigkeit<br />
der Spezialisierung.<br />
9 Zunehmende Technisierung. EDV, Telefax, E-Mail, Internet<br />
etc. eröffnen für Mandanten und Anwälte ungeahnte<br />
Möglichkeiten, aber auch Belastungen.<br />
9 Der Wettbewerb um anwaltliche Mandate nimmt ständig<br />
zu. Die inländischen Anwaltszahlen steigen ständig. Für<br />
Deutschland sind die Zahlen Ende 1960: 18.000; Ende<br />
1985: 48.000; derzeit: rund 127.000; Ende 2006: ca.<br />
150.000. In den anderen Ländern in Europa ist die Entwicklung<br />
ähnlich.<br />
9 Hinzu kommt der Wettbewerb durch Angehörige anderer<br />
Berufe, insbesondere Wirtschaftsprüfer, Steuerberater<br />
aber auch Inkassounternehmen, Banken, Rechtsschutzversicherer,<br />
Verbraucherverbände, Schuldnerberatungseinrichtungen,<br />
Haus- und Grundbesitzervereine, Unternehmensberater<br />
etc. Auch diese Entwicklung ist nicht<br />
auf Deutschland beschränkt.<br />
Daneben gibt es Entwicklungen, die auf Deutschland<br />
beschränkt oder dort besonders ausgeprägt sind.<br />
Seit den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts<br />
zum anwaltlichen Standesrecht von 1987 und der Novellierung<br />
der Bundesrechtsanwaltsordnung von 1994 werden die<br />
Bandagen im Wettbewerb härter. Vor allem kleinere und<br />
mittlere Kanzleien in Deutschland und in weiten Teilen des<br />
übrigen Europas greifen mehr und mehr zu den traditionellen<br />
Mitteln kommerzieller Werbung, wenn wir auch von<br />
* Diese Veröffentlichung ist die überarbeitete und fortgeschriebene Fassung eines<br />
Vortrags, den der Verfasser am 29.9.2003 vor der Rechts- und Staatswissenschaftlichen<br />
Vereinigung e. V., Düsseldorf, gehalten hat. Die Vortragsform wurde<br />
beibehalten. Die Veröffentlichung gibt die persönliche Meinung des Verfassers<br />
wieder.<br />
1 Zum Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege siehe Jaeger NJW 2004, 1 ff.<br />
Den Begriff des Organs der Rechtspflege gibt es auch in anderen Rechtsordnungen<br />
(instrument of justice, officer of the court, instrument de justice usw.)
214<br />
MN<br />
den Exzessen anwaltlicher Werbung in den USA weit entfernt<br />
sind und hoffentlich immer bleiben.<br />
Die Kämpfe vor Gericht, um das nach „Masterpat“ 2 und<br />
anderen Urteilen noch verbliebene anwaltliche Monopol<br />
nach dem Rechtsberatungsgesetz durchzusetzen, werden<br />
immer erbitterter und, wenn ich an die Auseinandersetzungen<br />
mit Medien oder gemeinnützigen Einrichtungen denke,<br />
immer kontraproduktiver. Die bevorstehende Änderung des<br />
Rechtsberatungsgesetzes wird den Monopolschutz der Anwaltschaft<br />
mit Sicherheit weiter reduzieren. Er ist heute in<br />
der Tat in einigen Punkten nicht mehr zu halten, insbesondere<br />
auch im internationalen Vergleich.<br />
Die Anwaltschaft driftet zunehmend<br />
auseinander<br />
Die Gegensätze in der wirtschaftlichen Lage der Anwälte<br />
werden immer größer. Auf der Sonnenseite steht eine<br />
vergleichsweise kleine Anzahl von Anwälten, meist Wirtschaftsanwälte,<br />
deren Jahresgewinn bei 6- bis 7-stelligen<br />
Beträgen liegt. Auf der Schattenseite fristen mehr und mehr<br />
Anwälte ein kümmerliches Dasein. Viele bieten, soweit sie<br />
nicht als Taxifahrer o. ä. arbeiten, ihre Dienste zu Dumpingpreisen<br />
an, was das Handelsblatt bereits als “Aldisierung“<br />
bezeichnet hat. Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
spricht offen von zunehmender Verarmung<br />
der Anwaltschaft. Welche Gefahren sich daraus für den<br />
Verbraucherschutz ergeben, bis hin zu Verstößen gegen das<br />
Berufs- und Strafrecht, wissen wir alle.<br />
III. Auch die Liberalisierung der grenzüberschreitenden<br />
Anwaltstätigkeit ist zu erwähnen. Für Europa nenne ich die<br />
Richtlinie zur Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs<br />
der Rechtsanwälte von 1977, die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie<br />
von 1988 und vor allem die Niederlassungsrichtlinie<br />
von 1998, sämtlich im jetzigen Gesetz<br />
über den Europäischen Rechtsanwalt umgesetzt.<br />
Die Niederlassungsrichtlinie insbesondere verändert<br />
mehr und mehr die Anwaltslandschaft in Europa in den<br />
Großstädten und im grenznahen Bereich. Nach dieser<br />
Richtlinie hat jeder Rechtsanwalt aus einem Mitgliedsstaat<br />
der EU das Recht, sich unter seiner heimatlichen Berufsbezeichnung<br />
in jedem anderen Mitgliedsstaat niederzulassen<br />
und dort dieselben beruflichen Tätigkeiten auszuüben<br />
wie ein örtlicher Rechtsanwalt, einschließlich der Rechtsberatung<br />
im Recht des Aufnahmestaates und einschließlich<br />
der Vertretung vor den Gerichten des Aufnahmestaates.<br />
Nach drei Jahren effektiver und regelmäßiger Tätigkeit im<br />
Aufnahmestaat und im Recht des Aufnahmestaates kann<br />
dieser ausländische Anwalt den anwaltlichen Berufstitel<br />
des Aufnahmestaates erwerben. Auf diese Weise kann ein<br />
englischer Solicitor oder ein französischer Avocat von Anfang<br />
an in Deutschland im deutschen Recht tätig werden<br />
und nach drei Jahren deutscher Rechtsanwalt sein, umgekehrt<br />
kann aber auch ein deutscher Rechtsanwalt ins europäische<br />
Ausland gehen, dort im örtlichen Recht arbeiten<br />
und nach drei Jahren italienischer Avvocato oder niederländischer<br />
Advocat werden. Die Niederlassungsrichtlinie erleichtert<br />
also sowohl den Import als auch den Export von<br />
Anwälten. Ausweislich der Statistiken halten sich für<br />
Deutschland Export und Import etwa die Waage.<br />
Für den außereuropäischen Bereich ist das General<br />
Agreement on Trade in Services (GATS) von 1994 zu nennen.<br />
Dieses Abkommen hat das Prinzip der Liberalisierung<br />
des Handels mit Waren – Stichwort GATT – auf Dienstleistungen<br />
ausgedehnt. Handel mit Rechtsdienstleistungen –<br />
was zu Beginn der GATS-Verhandlungen Ende der 80er<br />
Jahre für die meisten Anwälte wie ein Schock wirkte, ist<br />
heute eine Selbstverständlichkeit. Deutschland ist, was den<br />
Import ausländischer Anwälte angeht, überdurchschnittlich<br />
liberal. Nach § 206 Abs. 2 BRAO dürfen Anwälte aus Mitgliedstaaten<br />
des GATS, die laut rechtsverordnungsmäßiger<br />
Feststellung des Bundesministeriums der Justiz in Ausbildung<br />
und beruflichen Befugnissen einem deutschen Rechtsanwalt<br />
entsprechen, sich in Deutschland niederlassen und<br />
hier im Recht ihres Heimatstaates und im Völkerrecht beraten.<br />
Die Zahl ausländischer Anwälte aus dem Bereich EU<br />
und GATS, die in Deutschland tätig sind, liegt unter 1.000.<br />
Gleichwohl ist es entscheidend eine Folge der Liberalisierung<br />
der grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit in<br />
Europa und weltweit, dass sich die Tätigkeit und vor allem<br />
das Verhalten und Denken von Anwälten in allen Ländern<br />
Europas zunehmend verändert: Die Landschaft wird mehr<br />
und mehr angloamerikanisch.<br />
Dies ist zunächst ein Thema der Sprache – etwa 70 bis<br />
80 % der Dokumente in Brüssel sind im Erstentwurf auf<br />
Englisch abgefasst. Es ist vor allem ein Thema des materiellen<br />
Rechts. In Brüssel ist die Entwicklung des Gesell-<br />
Die Landschaft wird<br />
mehr und mehr amerikanisch<br />
AnwBl 4/2004<br />
Thema<br />
schaftsrechts, zu Beginn der Harmonisierung vor über 30<br />
Jahren fest in deutscher Hand, heute angelsächsisch geprägt.<br />
Schon längst haben wir auch bei uns die englischen<br />
Regelungsinstrumente des sog. soft law übernommen, etwa<br />
beim Rechnungslegungsstandard. Besonders deutlich ist die<br />
Entwicklung – schon in der sprachlichen Bezeichnung –<br />
bei der Corporate Governance mit dem Corporate Governance<br />
Kodex3 . Recht und Praxis der Kapitalmärkte und<br />
Börsen sind insbesondere mehr und mehr angelsächsisch<br />
geprägt. Das Strafverfahren im Falle Mannesmann hat vielleicht<br />
einen tieferen Grund auch in den Unterschieden, ja<br />
Spannungen zwischen deutschem und angelsächsisch geprägtem<br />
Denken auf den Gebieten Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht-und<br />
–praxis, was die Gewichtung des shareholder<br />
value-Gedankens und die Höhe von<br />
Managervergütungen angeht. Angelsächsisches Denken hat<br />
in weite Teile des Verbraucherschutzrechts oder des Umweltschutzrechts<br />
Eingang gefunden.<br />
Weitere Auswirkungen dieser Angloamerikanisierung<br />
zeigen sich bei der anwaltlichen Vertragspraxis. Geradezu<br />
serienweise haben angloamerikanische Vertragstypen Eingang<br />
in die kontinentaleuropäische Rechtspraxis gefunden,<br />
etwa Leasing- und IT-Verträge und die vielen kapitalmarktund<br />
finanzrechtlichen Vertragstypen, die nur den Spezialisten<br />
bekannt sind. Und bei den traditionellen deutschen Vertragstypen<br />
ersetzen angloamerikanischer Kasuismus und<br />
Defaitismus zunehmend das deutsche Denken in größeren<br />
Systemen. Davon abgesehen: Vergleichen Sie einmal auf<br />
den Gebieten Schuldrecht, Sachenrecht, allgemeines Handelsrecht,<br />
Gesellschaftsrecht und Unternehmenskauf die<br />
Formularbücher von vor zwanzig Jahren mit denen von<br />
2 BVerfG NJW 1998, 3481 ff<br />
3 Einzelheiten für einen Teilbereich bei Hellwig, AnwBl. 2002, 566 ff
AnwBl 4/2004 215<br />
Thema MN<br />
heute. Angelsächsischer Kasuismus und Detaillismus haben<br />
das deutsche Denken in größeren Systemen stark zurückgedrängt.<br />
Die Entwicklung wird weitergehen: Die Rechtsprechung<br />
des EuGH, zuletzt in den Urteilen Überseering4 und Inspire<br />
Art5 , wird dazu führen, dass die deutsche GmbH und die<br />
AG – wirtschaftlich gesprochen – Marktanteile an ausländische<br />
Kapitalgesellschaftsformen verlieren werden und dass<br />
vor allem die englischen Private und Public Limited Companies,<br />
die wesentlich einfacher zu handhaben sind und<br />
dem Management mehr, den Minderheitsgesellschaftern<br />
aber weniger Rechte geben, mit Geschäftsleitung in<br />
Deutschland zu Tausenden in den hiesigen Registern eingetragen<br />
werden, wie es in den Niederlanden und Skandinavien<br />
bereits geschehen ist. Dort haben die örtlichen Anwälte,<br />
soweit sie sich nicht schleunigst in das englische<br />
Recht eingearbeitet haben, die gesellschaftsrechtliche Beratung<br />
dieser Gesellschaften an die holländischen oder skandinavischen<br />
Büros englischer Kanzleien verloren.<br />
IV. Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Auch Landschaft<br />
und Denken der Anwaltschaft haben sich drastisch<br />
verändert und sind mehr und mehr angelsächsisch geworden,<br />
bei uns und im übrigen Europa. In allen diesen Ländern sind<br />
inzwischen Groß- und Größtkanzleien von mehreren hundert<br />
Anwälten vertreten, meist unter englischer oder amerikanischer<br />
Führung. Die größte Kanzlei der Welt, hervorgegangen<br />
aus der Fusion von drei Kanzleien in England, Deutschland<br />
und den USA, ist heute mit über 3.000 Anwälten in 26 Ländern<br />
tätig. In diesen weltweit operierenden Kanzleien lassen<br />
die Londoner Partner die ersten Entwürfe für komplexe Verträge<br />
auf der Grundlage der in der Kanzleisoftware gespeicherten<br />
Muster von sog. Paralegal-Mitarbeitern über Nacht<br />
in Indien fertigen – das ist schneller und billiger als in London.<br />
Gewiss, in Deutschland liegt die Zahl der in Großkanzleien<br />
tätigen Anwälte, je nach Abgrenzung, nur bei etwa 5<br />
bis 8 % der Gesamtanwaltszahl, doch prägen diese Kanzleien<br />
vielerorten das Erscheinungsbild der Anwaltschaft, insbesondere<br />
in der Berichterstattung der Medien. Zudem haben<br />
diese Kanzleien mit ihrem stark wettbewerblich, kommerziell<br />
ausgerichteten Auftritt das Verhalten vieler kleinerer<br />
Kanzleien, bis hin zu Einzelanwälten, entscheidend beeinflusst,<br />
wie bei den Beratungen der Satzungsversammlung zur<br />
Berufsordnung für Rechtsanwälte immer wieder deutlich geworden<br />
ist.<br />
Großkanzleien prägen das Bild des<br />
Anwalts in den Medien<br />
Wer da meint, der entscheidende Anstoß für die Entwicklung<br />
zu Großkanzleien in Deutschland liege in der<br />
Entscheidung des BGH zur überörtlichen Sozietät aus dem<br />
Jahre 1989 6 , der irrt. Der Anstoß zum Wachstum durch<br />
überörtliche Fusionen, das schneller ist als internes Wachstum,<br />
kam aus London. Dort war nämlich in den 60er Jahren<br />
eine Regelung im englischen Companies Act aufgehoben<br />
worden, wonach eine Anwaltskanzlei nicht mehr als zwanzig<br />
Partner haben durfte. Dieser Federstrich des englischen<br />
Gesetzgebers hatte weitreichende Folgen: Die Solicitor<br />
Firms in London, im Gegensatz zu den Barristers ganz<br />
überwiegend auf die Beratungstätigkeit ausgerichtet, wuchsen<br />
explosionsartig und gründeten Büros auf dem europäischen<br />
Kontinent und in der ganzen Welt. Die Folge war<br />
eine Welle von Kanzleifusionen in den Niederlanden. Der<br />
Wettbewerbsdruck durch die wesentlich größeren und leistungsfähigeren<br />
englischen und niederländischen Kanzleien<br />
und zusätzlich durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
zwang die deutschen Kanzleien zu überörtlichen Zusammenschlüssen,<br />
um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es war<br />
also letztlich die Aufhebung einer berufsrechtlichen<br />
Schranke in England, die die Anwaltslandschaft dort und<br />
im übrigen Europa entscheidend verändert hat.<br />
V. Damit nicht genug der Veränderungen. Es ist zu einer zunehmenden<br />
Änderung des berufsrechtlichen Verhaltens und<br />
damit verbunden zu einer Erosion des derzeitigen Berufsrechts<br />
gekommen. Begünstigt worden ist diese Entwicklung<br />
dadurch, dass es eine Harmonisierung des anwaltlichen Berufsrechts<br />
in Europa bisher nicht gibt. Der Code of Conduct<br />
des CCBE gilt nämlich nur für die grenzüberschreitende,<br />
nicht für die nationale Tätigkeit eines Anwalts. Er ist auch<br />
insoweit keine Vollharmonisierung, sondern beschränkt sich<br />
vielfach auf Prinzipien und lässt in den Details nationale<br />
Abweichungen zu. Vor allem: Neben der selbst gesetzten<br />
Berufsordnung gelten für die Anwaltschaft in jedem Land<br />
die nationalen Gesetze. Deshalb ist – und dies wird in der<br />
Dienstleistungs- und der Niederlassungsrichtlinie sowie im<br />
CCBE Code of Conduct ausdrücklich anerkannt – der<br />
grenzüberschreitend tätige Anwalt zwei Berufsrechten unterworfen,<br />
dem seines Heimatlandes und dem des Ziellandes,<br />
in dem er als reisender oder niedergelassener Anwalt<br />
tätig ist. Der Glaube, dass die Berufsrechte in den einzelnen<br />
Ländern identisch sind, ist ein Irrglaube. Auf dem Kontinent<br />
hat das Berufsrecht mehr das Organ der Rechtspflege im<br />
Auge, in England und in den skandinavischen Ländern<br />
mehr den Anwalt als Dienstleister. 7<br />
Fehlende Harmonisierung führt zu<br />
einer Erosion des Berufsrechts<br />
Hierzu einige Beispiele: In Frankreich und anderen romanischen<br />
Ländern kann der Anwalt vom Mandanten nicht<br />
von der Verschwiegenheitspflicht entbunden werden, in den<br />
meisten anderen Ländern hingegen wohl, weil der Anwalt<br />
als Dienstleister oder der Mandant als Herr des Geheimnisses<br />
angesehen wird.<br />
Noch größere Unterschiede bestehen bei dem Verbot des<br />
Interessenkonflikts. Wir Deutschen heben bekanntlich darauf<br />
ab, ob es sich ganz oder teilweise um dieselbe Rechtssache<br />
handelt. Das österreichische Recht verbietet jede auch<br />
nur wirtschaftliche Interessenkollision. Das französische<br />
Recht hebt wie das deutsche Recht auf dieselbe Rechtssache<br />
ab, nimmt aber bei ungleichzeitigen Mandaten eine Einschränkung<br />
vor. Ist das frühere Mandat beendet, dann ist<br />
dem Avocat die Tätigkeit für den neuen Mandanten in derselben<br />
Rechtssache nur verboten, wenn Informationen aus<br />
dem früheren Mandat in ihrer Vertraulichkeit gefährdet sind<br />
oder in nicht gerechtfertigter Weise zu Vorteilen für den<br />
neuen Mandanten führen würden. Daneben kennt das<br />
französische Recht zusätzlich das Institut der “Délicatesse“. 8<br />
In England ist der Interessenkonflikt zunächst einmal ein<br />
Konflikt zwischen zwei zivilrechtlichen Pflichten des An-<br />
4 EuGH NJW 2002, 3614 ff<br />
5 EuGH NJW 2003, 3331 ff<br />
6 BGH NJW 1989, 2890 ff<br />
7 Zum Folgenden siehe auch Hellwig BRAK-Mitt. 2002, 52 ff<br />
8 Vgl. BVerfG NJW 2003, 2520 ff
216<br />
MN<br />
walts bzw. der Kanzlei, nämlich der Pflicht, das, was man<br />
von Mandant A erfahren hat, vertraulich zu behandeln, und<br />
der Pflicht, dem Mandanten B alles offenzulegen, was man<br />
an Nützlichem für seinen Fall weiß, einschließlich der Informationen<br />
von Mandant A, und umgekehrt. Hier handelt<br />
es sich um Vertragsansprüche, so dass jeder Mandant sich<br />
damit einverstanden erklären kann, dass ihm die Informationen<br />
des anderen Mandanten nicht offengelegt werden.<br />
Dieser Verzicht wird in der Praxis häufig ausgesprochen,<br />
insbesondere wenn zwischen den Anwälten, die für die beiden<br />
Mandanten tätig sind, sog. Chinese Walls errichtet werden.<br />
Neben diesem Konflikt der zivilrechtlichen Anwaltspflichten<br />
gibt es das berufsrechtliche Verbot, in einem<br />
Konflikt von Mandanteninteressen tätig zu sein. Dieses berufsrechtliche<br />
Verbot ist unverzichtbar. Jedoch: Wenn beide<br />
Mandanten die zivilrechtliche Kollision zwischen Vertraulichkeits-<br />
und Offenlegungspflicht durch Einverständnis geregelt<br />
haben, bleibt der weiterhin bestehende berufsrechtliche<br />
Verstoß ohne Folgen – die Law Society of England<br />
and Wales wird in der Praxis nur auf Antrag tätig. Ein solcher<br />
Antrag wird auch von solchen Mandanten, die mit der<br />
kollidierenden Tätigkeit nicht einverstanden sind, nicht gestellt<br />
werden, denn die Law Society kann die kollidierende<br />
Tätigkeit nicht verhindern, sondern nur ahnden. Diese Mandanten<br />
versuchen vielmehr, ihre zivilrechtlichen Vertraulichkeitsansprüche<br />
im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes<br />
vor Gericht durchzusetzen. Für die Praxis bedeutet dies:<br />
Sind die Mandanten einverstanden, dann sind viele der großen<br />
Londoner Kanzleien interessenkollidierend tätig.<br />
Es gibt einen Wettbewerb<br />
europäischer Berufsrechte<br />
Auf dem Gebiet anwaltlicher Werbung geht die Bandbreite<br />
in Europa von völligem Verbot bis hin zu völliger,<br />
uneingeschränkter Liberalisierung. Bei den Spezialistenbezeichnungen<br />
sieht es ähnlich aus. Einige Länder verbieten<br />
sie völlig, andere haben Fachanwaltsregelungen, wieder andere<br />
kennen die Spezialistenbezeichnung kraft – zutreffender!<br />
– Selbsteinschätzung. 9<br />
Diese Unterschiede führen dazu, dass der Wettbewerb<br />
innerhalb der europäischen Anwaltschaft auch ein Wettbewerb<br />
der europäischen Berufsrechte ist, und dabei ist das<br />
strengere Berufsrecht gegenüber dem liberaleren Berufsrecht<br />
bzw. gegenüber der liberaleren Berufsrechtspraxis im<br />
Nachteil. Um es noch einmal zu betonen: Berufsrecht in<br />
diesem Sinne sind nicht nur die vom Beruf selbst geschaffenen<br />
Berufsordnungen, sondern auch nationale Gesetze,<br />
soweit sie das berufliche Verhalten von Anwälten regeln.<br />
VI. Der genannte Wettbewerb zeigt sich in vielen Einzelpunkten.<br />
Dass Anwaltskanzleien mit ihren Umsätzen werben,<br />
geht auf die Praxis im angelsächsischen Markt zurück,<br />
genauso wie das Zeithonorar. 10 Der Kapitalmarkt kennt den<br />
sogenannten “Tombstone“ (Grabstein). Dies ist nicht etwa<br />
ein Gedenkstein für die zahllosen Opfer des Kapitalmarkts,<br />
sondern eine Zeitungsanzeige, mit der der Abschluss einer<br />
Emission oder einer M&A-Transaktion bekanntgegeben<br />
wird. Dabei werden nicht nur die Finanzberater, sondern zunehmend<br />
auch die eingeschalteten Anwaltskanzleien genannt.<br />
Bei der Einwerbung von Mandaten im sog. Schönheitswettbewerb<br />
– inzwischen auch bei mittelgroßen und<br />
kleineren Mandaten weit verbreitet – werben Anwälte mit<br />
AnwBl 4/2004<br />
Thema<br />
Referenzmandaten. Wen das stört, der sollte bedenken: Bei<br />
Börsentransaktionen werden kraft börsenrechtlicher Vorschriften<br />
und weltweiter Übung die Namen der tätigen Anwaltskanzleien<br />
im Prospekt veröffentlicht, und die Offenlegung<br />
von Referenzmandaten wird durch das europäische<br />
und nationale Vergaberecht sogar gesetzlich gefordert. Was<br />
die Machtverhältnisse innerhalb internationaler Kanzleien<br />
angeht, sind in den meisten Fällen die englischen Partner liberaler<br />
als die kontinentaleuropäischen, und das englische<br />
Berufsrecht, jedenfalls die englische Berufsrechtspraxis, ist<br />
liberaler als das Berufsrecht der anderen beteiligten Länder.<br />
Die Folge ist: Die Praxis wird stark vom englischen Berufsrecht<br />
geprägt. Dass die anderen nationalen Berufsrechte<br />
deshalb überall vielfach faktisch erodieren, liegt wohl auch<br />
daran, dass gegen die nationalen Berufsrechtsverstöße der<br />
internationalen Sozietäten von Seiten der Anwaltsorganisationen<br />
nur selten, und dann meist in Äußerlichkeiten wie<br />
der Gestaltung des Briefkopfes, vorgegangen wird. Will<br />
man sich nicht mit den Großkanzleien anlegen? Weiß man<br />
mangels Beschwerden keine Einzelheiten? Hat man vielleicht<br />
auch ein wenig den Glauben an das eigene Berufsrecht<br />
und dessen Überlebensfähigkeit im gesamteuropäischen<br />
Anwaltsmarkt und -wettbewerb verloren?<br />
Wir haben es mit einer Gesamtentwicklung zu tun, die<br />
vielfach als Kommerzialisierung der Anwaltschaft bezeichnet<br />
worden ist. Auf die Konsequenzen und Gefahren, die<br />
sich aus dieser Entwicklung für traditionelle Grundwerte<br />
im Verständnis vom Rechtsanwalt ergeben können, ist seit<br />
Ende der 90er Jahre auf der Ebene der weltweit tätigen International<br />
Bar Association und der nationalen Anwaltsorganisationen,<br />
auch in Europa und insbesondere hier in<br />
Deutschland – ich erinnere an die Anwaltstage der letzten<br />
Jahre -, mehrfach und in verschiedensten Formen hingewiesen<br />
worden, von Informationsveranstaltungen bis hin zu<br />
Resolutionen – Stichwort: Kommerz versus Ethos. Als jemand,<br />
der sich dabei stark engagiert hat 11 , muss ich feststellen:<br />
Bewirkt hat dies in der Anwaltschaft wenig, in der Öffentlichkeit<br />
gar nichts.<br />
Treibende Kraft dieser Entwicklung für Europa war und<br />
ist, wie gesagt, die Praxis der großen Londoner Kanzleien.<br />
Diese haben sich in diesen Fragen, die von der der Expertise<br />
auf den Feldern der anwaltlichen Tätigkeit sehr wohl<br />
zu unterscheiden sind, am Markt und im Wettbewerb als<br />
überlegen erwiesen. Man sollte einmal den Gründen für<br />
diese Überlegenheit nachgehen. Liegen sie in der englischen<br />
Kaufmannsmentalität, die an der Wiege des Britisch<br />
Empire Pate stand? Oder liegen die Gründe in der Zweiteilung<br />
des englischen Anwaltsberufs – hier der Barrister, der<br />
im wesentlichen nur vor Gericht tätig ist, dort der Solicitor,<br />
der ohne Monopol und im Wettbewerb mit anderen Beratungsberufen<br />
das Beratungsgeschäft betreibt? Mit dieser<br />
Frage will ich andeuten, dass es bei der jetzt festzustellenden<br />
Entwicklung außerhalb Englands mittel- und langfristig<br />
vielleicht auch um die Einheitlichkeit des Anwaltsberufs<br />
und die Einheitlichkeit des anwaltlichen Berufsrechts geht.<br />
Wenn zu lesen war, dass eine der Londoner Großkanzleien<br />
mit weltweiten Büros auf dem Kapitalmarkt bzw. bei Banken<br />
150 Mio Dollar (in 2002) und dann noch einmal (in<br />
2003) 50 Mio Pfund aufgenommen hat, dann ist dies sicher<br />
ein Extremfall, aber gewiss kein Einzelfall. Derselbe Berufsstand<br />
wie ein nationaler Einzelanwalt? Dasselbe Berufs-<br />
9 Im Einzelnen siehe Hellwig, Beilage zum AnwBl. 4/2002, 23 ff<br />
10 Hellwig AnwBl. 1998, 623 ff<br />
11 Vgl. Hellwig Sonderheft zu AnwBl. 2/2000, 29 ff; AnwBl. 2000, 705 ff
AnwBl 4/2004 217<br />
Thema MN<br />
recht für beide Organisationsformen anwaltlicher Betätigung?<br />
Ein Grundproblem scheint mir zu sein, dass die Berufsrechte<br />
aller Länder, was Rechte und Pflichten des Anwalts<br />
angeht, historisch bedingt am Einzelanwalt anknüpfen, unabhängig<br />
von der Organisationsform der anwaltlichen Tätigkeit<br />
und deren Größe. Die Situation von heute wird aber<br />
am<br />
Das Anwaltsbild der Öffentlichkeit<br />
löst sich vom Einzelanwalt<br />
Markt und zunehmend in den Augen der Öffentlichkeit<br />
nicht mehr durch den einzelnen Anwalt geprägt, sondern<br />
durch die Kanzlei. Die Kanzlei ist Träger der Mandate, der<br />
ausländischen Büros etc. Und die Kanzlei ist eindeutig stärker<br />
als der einzelne, in ihr tätige Anwalt. Wer setzt bei berufsrechtlichen<br />
Meinungsverschiedenheiten in der Kanzlei<br />
unterhalb der Ebene der eindeutigen Strafbarkeit freiwillig<br />
seinen Arbeitsplatz aufs Spiel, zumal in der heutigen Zeit?<br />
Dies gilt umso mehr, als sich mit wachsender Größe der<br />
Kanzlei die Rolle des einzelnen Anwalts verändert. Je<br />
größer die Kanzlei, umso mehr werden die allermeisten<br />
Anwälte – überspitzt formuliert – zu leitenden Angestellten<br />
mit Kapital- und Gewinnbeteiligung. Dies ist zwangsläufig<br />
– ab einer gewissen Größe bedarf jede Kanzlei gewisser<br />
Management- und Hierarchiestrukturen, wenn nicht Chaos<br />
herrschen soll. Mit der Identifizierung des Problems ist<br />
aber für die Lösung noch nichts gewonnen. Wie schwierig<br />
schon im nationalen Bereich die Anknüpfung der Anwaltsrechte<br />
und -pflichten bei der Sozietät, der Partnerschaft<br />
oder der GmbH selbst sein würde, hat sich bei den Beratungen<br />
der Satzungsversammlung zu § 33 BORA gezeigt. Bei<br />
international zusammengesetzten Organisationsformen anwaltlicher<br />
Tätigkeit sind die Probleme noch viel schwieriger.<br />
Soweit der Blick sozusagen auf die innere Situation der<br />
Anwaltschaft – ein diffuses Bild mit teilweise zentrifugalen<br />
Tendenzen und vielfachen Erosionen des nationalen Berufsrechts<br />
in der Praxis.<br />
B. Der Druck von aussen auf die Anwaltschaft<br />
I. Auch von außen gerät die Anwaltschaft, nicht nur bei<br />
uns, sondern in ganz Europa und weltweit, mit ihren Grundwerten<br />
Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Verbot von<br />
Interessenkollision, zwischen denen vielfache Wechselbeziehungen<br />
bestehen, zunehmend unter Druck. Dabei muss<br />
man sich vergegenwärtigen, dass die sog. Anwaltsvorrechte,<br />
insbesondere die Durchsuchungs- und Beschlagnahmefreiheit<br />
der anwaltlichen Akten und das anerkannte<br />
Recht zur Zeugnisverweigerung, als wesentliche Flankierungsmaßnahmen<br />
zur Sicherung der anwaltlichen Verschwiegenheit<br />
keine Vorrechte des Anwalts darstellen, wie<br />
sie vielfach missverstanden und teilweise von der Anwaltschaft<br />
selbst dargestellt werden. Ausgangspunkt ist vielmehr<br />
die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, die dem Anwalt<br />
im Interesse des Rechtsstaates und der Mandanten auferlegt<br />
wird. Wir alle sollten deshalb darauf bedacht sein, mehr<br />
von den Grundpflichten eines Rechtsanwalts zu sprechen.<br />
Aus der Verschwiegenheitspflicht leitet sich im Interesse<br />
des Rechtsstaats und des Mandanten das Recht auf Durchsuchungs-<br />
und Beschlagnahmefreiheit und auf Zeugnisverweigerung<br />
ab.<br />
Bevor ich im einzelnen auf die Angriffe auf anwaltliche<br />
Grundwerte eingehe, auch hier ein kurzer Blick auf das<br />
Umfeld, denn diese Angriffe sind eingebettet in eine Gesamtentwicklung,<br />
bei der es um das Verhältnis zwischen individueller<br />
Freiheit einerseits und kollektiver Sicherheit andererseits<br />
geht, etwa die Bekämpfung von Terrorismus,<br />
Drogenhandel, Schwerkriminalität, Geldwäsche usw. Schon<br />
seit Jahren geht das Pendel immer mehr in Richtung öffentliche<br />
Sicherheit, erst recht nach den Terroranschlägen vom<br />
11. September 2001. In einem Vortrag auf dem Münchener<br />
Anwaltstag von 2002, dem ersten öffentlichen Vortrag nach<br />
ihrem Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht, hat<br />
Jutta Limbach eindringlich gewarnt, das Verhältnis zwischen<br />
kollektiver Sicherheit und individueller Freiheit<br />
müsse ausgewogen sein und der Rechtsstaat dürfe nicht<br />
zum Präventionsstaat verkommen 12 . Es ist gut, dass die Öffentlichkeit<br />
in dieser Frage inzwischen etwas problembewusster<br />
geworden ist.<br />
Diese zunehmende Zurückdrängung von individuellen<br />
Freiheitsrechten im Allgemeinen hat eine Parallele bei der<br />
Anwaltschaft im Besonderen. Der große Lauschangriff auf<br />
die anwaltliche Verschwiegenheit wurde 1997/98 nach heftigen<br />
Diskussionen in der Öffentlichkeit abgewehrt. Kaum<br />
einer nimmt heute mehr Notiz davon, dass ähnliche<br />
Abhörmöglichkeiten in die Polizeigesetze der Länder eingeführt<br />
werden sollen.<br />
Wie anwaltliche Grundwerte<br />
bewahren?<br />
II. Inzwischen geht es nicht nur um die Duldung von<br />
Abhörmaßnahmen, sondern um anwaltliche Meldepflichten.<br />
Als die EU-Kommission 1998 ihren Entwurf einer Charta<br />
für die freien Berufe vorlegte, wollte sie verlangen, dass<br />
ein Anwalt beim Risiko ungesetzlichen oder gar strafbaren<br />
Verhaltens des Mandanten das Mandat niederlegen musste;<br />
der bloße Beratungshinweis auf die Gesetzeswidrigkeit<br />
oder gar Strafbarkeit wäre unzulässig gewesen. Die entsprechende<br />
Vorschrift wurde schließlich dahin geändert,<br />
dass der Anwalt zu prüfen hat, ob er nach seinem Berufsrecht<br />
zur Niederlegung verpflichtet ist.<br />
Heiß umstritten war der Entwurf von 1999 zur Änderung<br />
der Geldwäscherichtlinie von 1991, bei dem es vor allem<br />
um die Einführung einer anwaltlichen Verdachtsmeldepflicht<br />
ging. Bei den Beratungen im CCBE hierüber waren<br />
die Diskussionsbeiträge der Vertreter der EU-Beitrittsländer<br />
besonders eindrucksvoll. Sie verwiesen auf die Geschichte<br />
dieser ehemaligen Ostblockstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Alle diese Staaten arbeiteten mit Spitzeln und Spionen,<br />
doch keiner ging soweit, Meldepflichten kraft Berufszugehörigkeit<br />
aufzuerlegen. Das gab es, soweit ich sehe,<br />
auch nicht im Dritten Reich. Einer dieser Anwälte aus Osteuropa,<br />
ein älterer Kollege, formulierte, ihm sei ein Leben<br />
in Freiheit mit allen damit verbundenen Risiken lieber als<br />
ein Leben im sicheren Gefängnis. Diese Äußerung zeigt,<br />
welche Bedeutung unser Gesamtthema für den Einzelnen je<br />
nach seiner Herkunft und Geschichte haben kann. Insofern<br />
besteht zwischen diesem osteuropäischen Anwaltskollegen<br />
und dem eingangs von mir erwähnten Anwalt aus Jamaika<br />
durchaus eine Querverbindung.<br />
12 Limbach AnwBl. 2002, 454 ff
218<br />
MN<br />
Mit dem 11. September 2001 war die politische Auseinandersetzung<br />
entschieden. Vor allem dem Einsatz des<br />
EP-Berichterstatters Lehne ist es zu verdanken, dass die anwaltliche<br />
Verschwiegenheit zumindest in Umsetzungswahlrechten<br />
für die einzelnen Mitgliedsstaaten einigermaßen<br />
hoch gehalten werden konnte. 13<br />
Natürlich führt die unterschiedliche Ausnutzung dieser<br />
Wahlrechte zu einer von Land zu Land unterschiedlichen<br />
Reichweite der Verdachtsmeldepflicht. Es kommt zu einem<br />
Flickenteppich. Deutschland hat alle Umsetzungswahlrechte<br />
zugunsten der anwaltlichen Verschwiegenheit ausgenutzt,<br />
mit der einzigen Ausnahme, dass der Anwalt den<br />
Mandanten nicht von der erfolgten Verdachtsmeldung in<br />
Kenntnis setzen darf. In Holland hingegen hat die Umsetzung<br />
insbesondere bei den Identifizierungspflichten zu<br />
nachgerade polizeistaatlichen Ergebnissen geführt. Die weitestehenden<br />
Meldepflichten hat England. Dort besteht eine<br />
Meldepflicht nicht nur bei Verdacht auf eine künftige Straftat,<br />
sondern auch bei Verdacht auf eine bereits begangene<br />
Straftat. In diesem Sinne hat jedenfalls ein englisches Gericht<br />
vor einigen Monaten das Gesetz ausgelegt und den betreffenden<br />
Anwalt für einige Jahre ins Gefängnis geschickt.<br />
Die Pflicht zur Verschwiegenheit wird<br />
durchlöchert<br />
Dies führt mich zu einem besonders dringenden Problem<br />
bei jeder Form der grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit,<br />
nämlich dem Konflikt zwischen Meldepflicht nach dem<br />
Recht des einen Landes und der Verschwiegenheitspflicht<br />
nach dem Recht des anderen Landes. Ein deutscher Rechtsanwalt,<br />
in London niedergelassen tätig, ist nach englischem<br />
Recht in einem Umfang meldepflichtig, der weit über die<br />
Meldepflicht nach deutschem Recht hinausgeht. Er unterliegt<br />
daneben der deutschen Verschwiegenheitspflicht. Beide<br />
Rechtspflichten sind strafbewehrt – ein unlösbarer Konflikt<br />
für den Betroffenen. Ein weiteres Beispiel: Die Einhaltung<br />
der Meldepflichten nach englischem Recht wird von der<br />
englischen Law Society, die damit Wirtschaftsprüfer beauftragt,<br />
auch bei den Solicitors überwacht, die auf dem Kontinent<br />
niedergelassen tätig sind und deshalb der dortigen<br />
Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Wiederum ein unlösbarer<br />
Konflikt. Diese widersprüchliche Berufsrechtslage<br />
macht nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Anwälten<br />
verschiedener Berufsordnungen in einer Anwaltskanzlei<br />
schwierig, sie ist auch eine Gefahr für die Zusammenarbeit<br />
im Mandat zwischen Anwaltskanzleien verschiedener Länder.<br />
Darf ein deutscher Rechtsanwalt vertrauliche Mandanteninformationen<br />
an seinen englischen Korrespondenzkollegen<br />
geben, wenn er damit rechnen muss, dass dieser<br />
daraufhin den Staatsanwalt informieren wird?<br />
Die Harmonisierung der Meldepflichten in Europa<br />
würde diese Konfliktprobleme lösen, allerdings zu Lasten<br />
des Umfangs der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />
und zu Lasten der rein nationalen Anwaltstätigkeit. Aus der<br />
Sicht von Anwälten mit geringeren Meldepflichten und höherem<br />
Verschwiegenheitsschutz als in England und aus der<br />
Sicht ihrer Mandanten kann dies nicht erwünscht sein. Ich<br />
habe deshalb vorgeschlagen, in die Dienstleistungs- und die<br />
Niederlassungsrichtlinie so, wie es bei der E-Commerce-<br />
Richtlinie bereits geschehen ist, eindeutige Konfliktsregeln<br />
einzuführen – vergleichbar denen des internationalen Privatrechts<br />
-, die, soweit irgend möglich, für die grenzüber-<br />
schreitende Beratungstätigkeit innerhalb der Dienstleistungsrichtlinie<br />
nur das Heimatrecht und innerhalb der<br />
Niederlassungsrichtlinie nur das Ziellandrecht zur Anwendung<br />
berufen. Dieser Vorschlag wird jetzt beim CCBE<br />
geprüft, dessen Mitglieder sich damit schwer tun. Auch die<br />
EU-Kommission hat inzwischen das Problem der sog. Double<br />
Deontology – d. h. des divergierenden oder gar widersprüchlichen<br />
Berufsrechts – als Hindernis für die grenzüberschreitende<br />
Dienstleistungstätigkeit erkannt. Ich komme<br />
darauf zurück.<br />
III. Das Schlüsselerlebnis, das die neue Geldwäscherichtlinie<br />
von 2001 für die Anwaltschaft in Europa gewesen ist,<br />
waren für die amerikanische Anwaltschaft der Sarbanes-<br />
Oxley Act von 2002 und die nachfolgende Verordnung der<br />
Die Entwicklung in den USA<br />
AnwBl 4/2004<br />
Thema<br />
amerikanischen Securities and Exchange Commission<br />
(SEC) zur Regulierung des Verhaltens anwaltlicher Berater.<br />
Auf die vielfachen Probleme der grenzüberschreitenden<br />
Wirkung und Kollision dieser Verordnung möchte ich nicht<br />
näher eingehen, sondern beschränke mich auf Folgendes.<br />
Der Entwurf sah vor, dass ein Anwalt Verletzungen von<br />
wesentlichen Rechtspflichten durch das Unternehmen unternehmensintern<br />
melden muss, sozusagen „die Leiter hoch“<br />
(up the ladder) bis zum Board of Directors. Die Meldungen<br />
und die gegenseitige Reaktion muss der Anwalt schriftlich<br />
dokumentieren. Dies ist das sog. „internal reporting“. Bleiben<br />
die Meldungen insgesamt erfolglos, musste der Anwalt<br />
nach dem Entwurf das Mandat niederlegen und dies der<br />
SEC als „Mandatsniederlegung aus berufsrechtlichen<br />
Gründen“ mitteilen – sog. „noisy withdrawal“ -, woraufhin<br />
die SEC hätte die Meldedokumentation beschlagnahmen<br />
und gegen die Verantwortlichen im Unternehmen vorgehen<br />
können. Gegen die Pflicht zum noisy withdrawal ist die<br />
amerikanische Anwaltschaft Sturm gelaufen und hat dabei<br />
die Unterstützung des CCBE und der IBA gefunden. Die<br />
geschlossene Ablehnung der Pflicht zum sog. noisy withdrawal,<br />
d. h. der externen Meldepflicht, hat übrigens dazu<br />
geführt, dass die SEC einstweilen darauf verzichtet hat und<br />
jetzt als Alternative darüber nachdenkt, den anwaltlichen<br />
Berater nur zur internen Mandatsniederlegung zu verpflichten.<br />
Der amerikanische Gesetzgeber hat im sog. Patriot Act<br />
für das gesamte Wirtschaftsleben weitgehende Meldepflichten<br />
eingeführt, die über die bei uns bestehenden Meldepflichten<br />
noch weit hinausgehen. Die amerikanische Regierung<br />
ist derzeit bemüht, die amerikanischen Anwälte in<br />
dieses Meldesystem einzubeziehen – die sog. Gatekeeper<br />
Initiative. Ziel ist es, Anwälte und andere Gatekeeper, d. h.<br />
Inhaber besonderen öffentlichen Vertrauens, in das staatliche<br />
Überwachungssystem einzubinden. Orwell lässt grüßen.<br />
C. Liberalisierung des Berufsrechts<br />
I. Ein für die Anwaltschaft besonders wichtiges rechtspolitisches<br />
Thema der jüngeren Vergangenheit ist das Verhältnis<br />
zwischen Wettbewerbsrecht und Berufsrecht. Schon seit<br />
mehr als fünf Jahren interessieren sich die nationalen Wettbewerbsbehörden<br />
der Mitgliedsstaaten für das Berufsrecht<br />
der freien Berufe, insbesondere der Anwälte. In Dänemark,<br />
13 Für Einzelheiten zur Geschichte der Richtlinie siehe Hellwig AnwBl. 2002,<br />
144 ff mwN
AnwBl 4/2004 219<br />
Thema MN<br />
den Niederlanden, Irland und Norwegen haben diese<br />
Behörden zahlreiche Regelungen der anwaltlichen Tätigkeit<br />
zum Teil heftig kritisiert. Die Kritik betraf vor allem das<br />
gesetzliche oder verbandsrechtliche Verbot des Erfolgshonorars<br />
und der quota litis. Darum geht es auch bei einem<br />
wettbewerbsrechtlichen Gerichtsverfahren in Spanien. Der<br />
besonders umfangreiche Bericht des Londoner Office of<br />
Fair Trading vom März 2001 stellte eine ganze Anzahl von<br />
anwaltlichen Regeln aus Gründen des Wettbewerbsrechts in<br />
Frage. Es geht neben dem – bei uns nicht bestehenden –<br />
Verbot interprofessioneller Sozietäten um die Werbebeschränkungen<br />
und unverbindlichen Gebührenempfehlungen<br />
der Law Society, das Institut des Queen’s Counsel bei<br />
den Barristers, das Verbot für Solicitor, vor den meisten<br />
Gerichten aufzutreten etc. Vor dem Hintergrund, dass das<br />
englische Recht kein Rechtsberatungsmonopol kennt,<br />
wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob der Schutz der<br />
Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant durch das<br />
sog. Legal Privilege nicht einen unzulässigen Vorteil für<br />
den Solicitor im Wettbewerb mit anderen Beratungsberufen<br />
darstellt. Auch in Deutschland hat die Monopolkommission<br />
schon vor einigen Jahren eine Liberalisierung des Rechtes<br />
der freien Berufe gefordert.<br />
EU-Kommissar Monti will<br />
Berufsrecht im Wettbewerbsrecht<br />
aushebeln<br />
Die Entwicklung auf der europäischen Ebene ist durch<br />
folgende Ereignisse gekennzeichnet: 14<br />
9 Die in den Jahren 2002/2003 im Auftrag der Brüsseler<br />
GD Wettbewerb vom Wiener Institut für Höhere Studien<br />
durchgeführte Studie über die wirtschaftlichen Auswirkungen<br />
der Berufsregeln der freien Berufe,<br />
9 die Rede, mit der Wettbewerbskommissar Monti die Ergebnisse<br />
dieser Studie bei der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
im März 2003 in Berlin vorgestellt hat,<br />
9 der anschließende Fragebogen der GD Wettbewerb, zu<br />
dem aus Kreisen der freien Berufe rund 250 Antworten<br />
eingegangen sind.<br />
9 die Anhörung der GD Wettbewerb am 28.10.2003 in<br />
Brüssel 15 und<br />
9 der abschließende Bericht der GD Wettbewerb unter der<br />
Überschrift „Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen<br />
Dienstleistungen, verabschiedet von der EU-Kommission<br />
am 9.2.2004.<br />
Durch diese Entwicklung ziehen sich mehrere rote Fäden<br />
hindurch. Einer von ihnen ist die Aufforderung der GD<br />
Wettbewerb an die Berufsorganisationen und an die Mitgliedstaaten,<br />
das Berufsrecht auf Konformität mit dem<br />
Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu überprüfen und inkonforme<br />
Vorschriften aufzuheben oder anzupassen. Insofern<br />
ist von Bedeutung, dass Art. 81 EGV seinem Wortlaut<br />
nach nur an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen<br />
gerichtet ist, worunter auch Anwaltskammern, <strong>Anwaltverein</strong>e<br />
und die Satzungsversammlung fallen, jedoch nach<br />
ständiger Rechtsprechung des EuGH über Art. 3 Abs. 1 g)<br />
und Art. 10 EGV mittelbar auch für die Mitgliedstaaten gilt.<br />
Im Urteil Arduino vom 18.2.2002 16 , bei dem es um die wettbewerbsrechtliche<br />
Zulässigkeit der als staatliche Regelung<br />
qualifizierten italienischen Rechtsanwaltsgebührenordnung<br />
ging, ist der EuGH hierauf nicht näher eingegangen. Er hat<br />
jedoch die Geltung von Art. 81 EGV auch für die Mitgliedstaaten<br />
in dem späteren Urteil CIF vom 9.9.200317 stark<br />
betont und ausgeführt, dass wegen des grundsätzlichen Anwendungsvorrangs<br />
des Gemeinschaftsrechts Rechtsvorschriften<br />
des nationalen Rechts, die gegen das Wettbewerbsrecht<br />
der Gemeinschaft verstoßen, keine Anwendung<br />
finden dürfen, und dass neben der EU-Kommission auch<br />
die nationalen Wettbewerbsbehörden gehalten sind, dem<br />
Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts insoweit zur<br />
Durchsetzung zu verhelfen, indem sie gegen entgegenstehendes<br />
nationales Recht und Verhalten vorgehen. Dies ist<br />
deswegen besonders wichtig, weil ab 1.5.2004 die verwaltungsmäßige<br />
Anwendung von Art. 81 EGV in erster Linie<br />
bei den nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichten<br />
liegt. Zur Vorbereitung darauf hat die GD Wettbewerb seit<br />
gut zwei Jahren laufend Gespräche mit den nationalen<br />
Wettbewerbsbehörden geführt. Im Bericht der Kommission<br />
vom Februar 2004 heißt es, dass die GD Wettbewerb die<br />
künfige Tätigkeit der nationalen Wettbwerbsbehörden koordinieren<br />
und steuern wird und sich die Möglichkeit von<br />
Vertragsverletzungsverfahren vorbehält, wenn eine nationale<br />
Wettbewerbsbehörde – salopp formuliert – „nicht<br />
spürt“.<br />
Auch inhaltlich zieht sich durch die Aktivitäten der GD<br />
Wettbewerb ein roter Faden. Als besonders kritisch angesehen<br />
werden<br />
9 Gebührenordnungen mit verbindlichem oder empfehlendem<br />
Charakter,<br />
9 Werbebeschränkungen und<br />
9 Beschränkungen bezüglich der Rechtsform und der Zusammenarbeit<br />
mit anderen Berufen, sowie<br />
9 im Abschlußbericht vom Februar 2004 erstmals als gesonderte<br />
Rubrik erwähnt, quantitative und qualitative Beschränkungen<br />
beim Zugang zum Beruf und die Reservierung<br />
bestimmter Tätigkeitsgebiete für bestimmte Berufe<br />
(d. h. Tätigkeitsmonopole).<br />
Kommissar Monti hat angekündigt, dass die GD Wettbewerb<br />
demnächst mit den Organisationen der freien Berufe<br />
Gespräche darüber führen wird, wie ihre einzelnen berufsrechtlichen<br />
Regeln wettbewerbsrechtlich zu beurteilen<br />
sind.<br />
II. Ausgehend von der im Jahr 2000 verabschiedeten Binnenmarktstrategie<br />
der EU-Kommission für den Dienstleistungssektor<br />
und auf der Grundlage des Sachstandsberichts<br />
vom Juli 2002 hat Binnemarktkommissar Bolkestein einen<br />
für alle freien Berufe geltenden Vorschlag einer Richtlinie<br />
über die Dienstleistungen im Binnenmarkt erarbeitet, der<br />
von der Kommission am 13.1.2004 verabschiedet worden<br />
ist. Dieser Vorschlag hat sich aus Gründen des Binnenmarktes<br />
die weitere Liberalisierung bei den freien Berufen zum<br />
Ziel gesetzt. Für die Anwaltschaft ist dieser Richtlinienvorschlag<br />
in seiner Bedeutung der geltenden Dienstleistungsrichtlinie<br />
und der Niederlassungsrichtlinie vergleichbar. Ich<br />
beschränke mich im folgenden auf einige mir besonders<br />
wichtig erscheinende Einzelpunkte.<br />
14 Zu den Massnahmen der GD Wettbewerb im einzelnen siehe Hellwig BRAK-<br />
Mitt. 2004, 19 ff. und Weil BRAK-Mitt. 2003, 346 ff.<br />
15 Dazu siehe Lühn AnwBl 2003, 688 ff.<br />
16 NJW 2002, 882 ff.<br />
17 NJW 2004, 351 ff. mit Besprechungsaufsatz Koch/Eichele NJW 2004, 334 ff.
220<br />
MN<br />
Nach Kapitel I „Allgemeine Bestimmungen“ enthält Kapitel<br />
II „Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer“<br />
mehrere Artikel zur Vereinfachung der Verfahren,<br />
über etwa erforderliche Genehmigungen und darüber, welche<br />
Anforderungen im Niederlassungsstaat aufgestellt und<br />
überprüft werden dürfen und welche nicht. Art. 15 enthält<br />
eine Liste von Beschränkungen, die von den Mitgliedsstaaten<br />
gegenüber der Kommission innerhalb von zwei Jahren<br />
nach Inkrafttreten der Richtlinie gerechtfertigt werden<br />
müssen, darunter Mindest-bzw. Höchstgrenzen in Gebührenordnungen.<br />
Kapitel III „Freier Dienstleistungsverkehr“ sieht in Art.<br />
16 für die grenzüberschreitende Dienstleistungstätigkeit mit<br />
Blick auf das Berufsrecht das Herkunftslandprinzip (Recht<br />
des Dienstleistungserbringers) vor. Davon macht jedoch<br />
Art. 17 für die Anwaltschaft eine Ausnahme, weil sich<br />
diese noch nicht schlüssig geworden ist, ob sie es bei der<br />
Parallelanwendung des Berufsrechts von Herkunftsland und<br />
Zielland, wie in der Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte<br />
vorgesehen, belassen oder, wie in der E-Commerce-Richtlinie<br />
bereits geschehen und von mir, wie erwähnt,<br />
vorgeschlagen, auf das Herkunftslandprinzip<br />
umschwenken will.<br />
Liberalisierung auch ein Ziel des<br />
Binnenmarkts<br />
Besonders wichtig ist Kapitel IV „Qualität der Dienstleistungen“,<br />
das für die grenzüberschreitende und die niedergelassene<br />
Tätigkeit gleichermaßen gilt. Artikel 26 stellt<br />
sicher, dass dem Dienstleistungsempfänger bestimmte Informationen<br />
über den Dienstleistungserbringer zur Verfügung<br />
stehen. Auf Anfrage muss der dienstleistende Rechtsanwalt<br />
folgende Zusatzinformationen mitteilen: die<br />
Hauptmerkmale der Dienstleistung, den Preis oder, wenn<br />
kein genauer Preis angegeben werden kann, die überprüfbare<br />
Vorgehensweise zur Preisberechnung oder einen hinreichend<br />
ausführlichen Kostenvoranschlag, den Rechtsstatus<br />
und die Rechtsform der dienstleistenden Kanzlei und<br />
die Angabe, welche berufsrechtlichen Regeln im Herkunftsmitgliedsstaat<br />
für die Kanzlei gelten und wie diese<br />
zugänglich sind.<br />
Nach Art. 29 sind die in einigen Ländern für reglementierte<br />
Berufe noch bestehenden „Totalverbote der kommerziellen<br />
Kommunikation“ (d. h. insbesondere Werbeverbote)<br />
aufzuheben. Beschränkungen sind nur durch Standesregeln<br />
zulässig, die insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde<br />
und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des<br />
Berufsgeheimnisses des jeweiligen Berufes gewährleisten<br />
und mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.<br />
Noch bemerkenswerter ist Art. 30. Zunächst wird den<br />
Mitgliedsstaaten vorgegeben, dass multidisziplinäre Tätigkeiten<br />
grundsätzlich zulässig sind. Sodann wird aber ausdrücklich<br />
anerkannt, dass Angehörige reglementierter Berufe<br />
(z. B. Rechtsanwälte einerseits und Wirtschaftsprüfer<br />
andererseits) Beschränkungen unterworfen werden können,<br />
die zur Einhaltung der verschiedenen Standesregeln im<br />
Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Berufe erforderlich<br />
sind. Wenn multidisziplinäre Tätigkeiten erlaubt<br />
sind, müssen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass<br />
Interessenkonflikte und Unvereinbarkeiten zwischen bestimmten<br />
Tätigkeiten vermieden werden, dass die Unabhängigkeit<br />
und die Unparteilichkeit, die bestimmte Tätigkeiten<br />
AnwBl 4/2004<br />
erfordern, gewährleistet sind und dass die Anforderungen<br />
der Standesregeln für die verschiedenen Tätigkeiten miteinander<br />
vergleichbar sind, insbesondere im Hinblick auf<br />
das Berufsgeheimnis.<br />
Nach Art. 31 sollen die Mitgliedsstaaten zusammen mit<br />
der Kommission Maßnahmen ergreifen, um die Dienstleistungserbringer<br />
zu ermutigen, freiwillig Maßnahmen zur Sicherung<br />
der Qualität der Dienstleistungen zu ergreifen, insbesondere<br />
durch Zertifizierung und Evaluierung oder durch<br />
die Einführung von Qualitätssicherungssystemen und Gütesiegeln<br />
der Berufsorganisationen. Dabei ist die Entwicklung<br />
von freiwilligen europäischen Standards angestrebt.<br />
Als geradezu sensationell empfinde ich Kapitel VI<br />
„Konvergenzprogramm“. Nach Art. 39 haben die Mitgliedsstaaten<br />
die Ausarbeitung gemeinschaftsrechtskonformer<br />
Verhaltenkodices auf Gemeinschaftsebene zur Regelung<br />
insbesondere folgender Fragen zu fördern:<br />
9 Inhalt und Modalitäten kommerzieller Kommunikation<br />
(d. h. insbesondere Werbung) von Angehörigen der reglementierten<br />
Berufe und Berücksichtigung der Besonderheiten<br />
des jeweiligen Berufs, womit an Art. 29 angeknüpft<br />
wird, und<br />
9 die Standesregeln der reglementierten Berufe, die unter<br />
Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Berufs<br />
vor allem die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit<br />
und die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten<br />
sollen.<br />
Die Mitgliedsstaaten müssen die nationalen Berufsorganisationen<br />
ermutigen, die in dieser Weise auf Gemeinschaftsebene<br />
verabschiedeten Verhaltenskodices auf nationaler<br />
Ebene anzuwenden. Aus den Gesprächen mit der<br />
Kommission ist bekannt, dass Vorbild für diesen Vorschlag<br />
der CCBE Code of Conduct gewesen ist. Dessen Geltungsbereich<br />
ist bisher, wie ich ausgeführt habe, auf die grenzüberschreitende<br />
Anwaltstätigkeit beschränkt. Nach Art. 39<br />
ist dieser Regelungsbereich auf die rein nationale Anwaltstätigkeit<br />
auszudehnen.<br />
III. Vergleicht man die wettbewerbsrechtliche Sicht und die<br />
Sicht des Binnenmarktes, so ergeben sich manche Gemeinsamkeiten,<br />
aber auch Unterschiede. Monti wie Bolkestein<br />
verlangen, dass Gebührenordnungen gerechtfertigt und totale<br />
Werbeverbote aufgehoben werden müssen. Aufzuheben<br />
sind auch per se-Verbote multidisziplinärer Zusammenschlüsse.<br />
Monti und Bolkestein im Vergleich<br />
Thema<br />
Anders als Bolkestein sieht Monti qualitative und quantitative<br />
Zugangsbeschränkungen und Vorbehaltsaufgaben<br />
(Monopole) als kritisch an. Hier besteht für die deutsche<br />
Anwaltschaft Handlungsbedarf. Monti hat mehrfach erklärt,<br />
das Qualitätsargument für Zugangsschranken zum Beruf sei<br />
wenig glaubwürdig, wenn der betreffende Beruf für die anschließende<br />
Aufrechterhaltung der Qualität keine Sorge<br />
trage. Aus Kreisen der GD Wettbewerb war hierzu zu<br />
hören, wenn die Berufsorganisationen Schwierigkeiten haben<br />
sollten, die Fortbildungspflicht einzuführen oder effektiv<br />
durchzusetzen, dann spreche dies nicht gegen die Fortbildungspflicht,<br />
sondern gegen die Berufsorganisationen<br />
(und für die Übertragung dieser Aufgaben auf den Staat)<br />
oder gegen das Qualitätsargument beim Zugang zum Beruf.<br />
Wesentliche Unterschiede bestehen in systematischer<br />
Hinsicht. Bolkestein will mit seinem Richtlinienvorschlag
AnwBl 4/2004 221<br />
Thema MN<br />
sozusagen als Gesetzgeber tätig werden, Monti hingegen<br />
wendet bestehendes Recht (Art. 81 EGV) an. Bolkesteins<br />
Ziel ist der Binnenmarkt, der die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit<br />
und der Niederlassungsfreiheit der Angehörigen<br />
der freien Berufe sicherstellt. Beschränkungen dieser<br />
Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts sind nach ständiger<br />
Rechtsprechung des EuGH nur aus zwingenden Gründen<br />
des Allgemeininteresses zulässig. Montis Ziel ist die Sicherstellung<br />
des freien Wettbewerbs. Dort sind Einschränkungen<br />
aus ausreichenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig.<br />
Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn es sich um Beschränkungen<br />
handelt, die bei vernünftiger Betrachtung als<br />
notwendig angesehen werden, um die ordnungsgemäße Berufsausübung<br />
sicherzustellen, wofür im Fall des Anwaltsberufs<br />
die Unabhängigkeit, die Verschwiegenheitspflicht und<br />
das Verbot der Interessenkollision ausdrücklich genannt worden<br />
sind. Der Maßstab zur Beurteilung von Einschränkungen<br />
ist also bei der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit<br />
strenger als bei der Wettbewerbsfreiheit.<br />
Bei Monti hat man den Eindruck, als akzeptiere er die<br />
Grundaussagen des EuGH in Wouters 18 nur unwillig. Dazu<br />
hat maßgeblich beigetragen, dass er in seiner Berliner Rede<br />
die Berufsorganisationen in die Nähe von Kartellen gerückt<br />
hat.<br />
Bolkestein hingegen anerkennt, dass der Rechtsanwalt<br />
nicht nur Dienstleister für den Mandanten ist, was in dessen<br />
Interesse bestimmte Regelungen erforderlich und andere<br />
unzulässig macht, sondern auch Organ der Rechtspflege,<br />
und dass diese Funktion gegenüber dem Aspekt des kaufmännischen<br />
Dienstleisters den Vorrang hat, nicht generell,<br />
aber so weit, wie die Grundwerte und –pflichten der Anwaltschaft<br />
es erfordern.<br />
IV. Auch auf nationaler Ebene ist die Entwicklung weitergegangen.<br />
Der Berliner Appell von Monti an die Mitgliedsstaaten<br />
blieb nicht ohne Wirkung. Frau Zypries, Bundesministerin<br />
Schon jetzt<br />
nationale Auswirkungen<br />
der Justiz, hat bei ihrem Grußwort auf dem Anwaltstag<br />
Ende Mai 2003 19 unter Hinweis auf die Wiener Studie ausdrücklich<br />
erklärt, die Wesensmerkmale, die das Organ der<br />
Rechtspflege ausmachen, müssten immer wieder entsprechend<br />
der sich ändernden Realität fortentwickelt werden.<br />
Berufsrecht diene nicht dem Schutz vor Konkurrenz. Deshalb<br />
solle in dieser Legislaturperiode das Rechtsberatungsgesetz<br />
an die gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst werden.<br />
Den Wirtschaftsjuristen und Absolventen anderer<br />
juristischer Studiengänge sei der Zugang zu einer selbständigen<br />
Rechtsbesorgungstätigkeit nicht allein deshalb zu versagen,<br />
weil auch Rechtsanwälte in diesem Berufsfeld tätig<br />
sind. Es komme nur darauf an, die unterschiedlichen Qualifikationen<br />
und demzufolge die unterschiedlichen Leistungsangebote<br />
zu verdeutlichen – erinnern Sie sich daran, was<br />
Herr Monti zur Frage der Qualität der Dienstleistung gesagt<br />
hat? Auch das Berufsrecht der Anwaltschaft, so Frau Zypries,<br />
müsse fortlaufend überprüft und, wo nötig, angepasst<br />
werden, etwa beim Verbot der Vertretung widerstreitender<br />
Interessen, dem Verbot der Sternsozietät und der Zulassung<br />
der Rechtsanwaltschaft beim BGH. Noch einen Schritt weiter<br />
gingen Wirtschaftsminister Clement, der ganz im Sinne<br />
Montis die gesetzlichen Gebührenordnungen prinzipiell in<br />
Frage stellte, und der Antrag von über 70 SPD-Bundestagsabgeordneten,<br />
alle Berufskammern einfach abzuschaffen.<br />
Zu einem wahren Paukenschlag ist es inzwischen in<br />
London gekommen. Am 24.7.2003 kündigte die englische<br />
Regierung Pläne an, die zu einer völligen Umgestaltung der<br />
Rechtsberatung in England und Wales führen werden. Gedacht<br />
wird daran, dass Anwaltskanzleien Nicht-Berufsträger<br />
als Partner aufnehmen und an die Börse gehen können;<br />
dass normale Wirtschaftsunternehmen – seit langem gibt es<br />
entsprechende Absichten der Supermarktkette Tesco – ihren<br />
Kunden Rechtsrat erteilen dürfen; dass interprofessionelle<br />
Sozietäten zugelassen werden; dass die Law Society und<br />
der Bar Council ihre Regulierungsbefugnisse verlieren und<br />
dass stattdessen eine Legal Services Authority geschaffen<br />
wird, vergleichbar der Financial Services Authority, die bekanntlich<br />
das Vorbild für die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
gewesen ist. Die neue Legal<br />
Services Authority wäre zuständig für die Beaufsichtigung<br />
der über 20 verschiedenen Rechtsberatungsberufe, die es in<br />
England und Wales gibt. Die Aufsicht würde also nicht<br />
mehr am Dienstleister, sondern an der Dienstleistungstätigkeit<br />
anknüpfen, was für die Berufsrechte und -pflichten<br />
Zentrale Aufsichtsbehörde<br />
in England?<br />
weitreichende Folgen haben kann. An der Regulierung<br />
durch die Legal Services Authority würden die einzelnen<br />
Berufe mitwirken, wären aber gegenüber Vertretern des öffentlichen<br />
Interesses in der Minderheit. Auslöser für diesen<br />
“Big Bang“ in London ist die große Unzufriedenheit der<br />
englischen Regierung und Öffentlichkeit mit der Arbeit der<br />
Berufsorganisationen, insbesondere von Law Society und<br />
Bar Council. Die Liste der Beschwerdepunkte ist eine bedrückende<br />
Lektüre! Besonders scharf kritisiert wird die als<br />
völlig unbefriedigend empfundene Behandlung von Mandantenbeschwerden.<br />
Das Nebeneinander der Selbstverwaltungsorganisationen<br />
der über 20 verschiedenen Rechtsberatungsberufen<br />
wird als überholt, unflexibel, überkomplex<br />
und nicht ausreichend verantwortlich und transparent bezeichnet<br />
– ein vernichtendes Urteil. Einer der wenigen positiven<br />
Punkte ist, dass das Legal Privilege und die anwaltliche<br />
Verschwiegenheitspflicht nun doch nicht angetastet<br />
werden sollen.<br />
Der Chairman einer großen Versicherungsgesellschaft,<br />
Mr. Clementi, ist mit einer umfassenden Studie in diese<br />
Zielrichtungen beauftragt worden. Er hat in diesem Thema<br />
praktische Erfahrungen, war er doch als Deputy Governor<br />
der Bank of England mit der Einführung der Financial Services<br />
Authority befasst. Mr. Clementi wird jetzt sehr kurzfristig<br />
ein Konsultationspapier veröffentlichen, zu dem die<br />
Berufsorganisationen Stellung nehmen werden, nicht nur<br />
die englischen, sondern auch der CCBE und wahrscheinlich<br />
auch die IBA. Mr. Clementi muss seinen abschließenden<br />
Bericht bis Ende 2004 vorlegen. Mit Sicherheit ist davon<br />
auszugehen, dass Mr. Clementi erhebliche Änderungen im<br />
derzeitigen System der Regulierung und in der Regulierungsdichte<br />
vorschlagen und dass jedenfalls die derzeitige<br />
englische Regierung diese Vorschläge umsetzen wird.<br />
18 NJW 2002, 877 ff.<br />
19 Zypries, AnwBl. 2003, 381 ff
222<br />
MN<br />
Diese Entwicklung in England sollte im übrigen Europa<br />
mit größter Aufmerksamkeit verfolgt werden. Es geht nicht<br />
nur um das Berufsrecht der Anwaltschaft, sondern auch um<br />
ihre Berufsorganisation und darum, dass die Selbstregulierung<br />
durch eine neue Form der Regulierung ersetzt wird,<br />
die sich in erster Linie am öffentlichen Interesse (darunter<br />
insbesondere das Verbraucherinteresse) ausrichtet und bei<br />
der die Anwälte nur noch eine Minderheitenrolle spielen.<br />
Hier gibt es manchen Berührungspunkt mit den Überlegungen<br />
von Herrn Monti. Dies zeigt sich schon äußerlich daran,<br />
dass die englische Regierung bei ihrer Ankündigung letztes<br />
Jahr ausdrücklich auf die früheren Untersuchungen der englischen<br />
Wettbewerbsbehörde Office of Fair Trading verwiesen<br />
hat. Bedenkt man, wie sehr die Entwicklung des Berufsrechts<br />
und der Berufspraxis in England, wie ich ausgeführt<br />
habe, die Entwicklungen auf dem Kontinent beeinflusst hat,<br />
dann sind mit größter Wahrscheinlichkeit auch von der jetzigen<br />
Entwicklung in England erhebliche Auswirkungen auf<br />
das übrige Europa zu erwarten. Ich gehe davon aus, dass bei<br />
dieser Entwicklung in England, insbesondere soweit es um<br />
die rechtsberatende und –besorgende Tätigkeit geht, der<br />
Dienstleistungsaspekt – der Anwalt als Kaufmann – im Vordergrund<br />
stehen wird und dass das im internationalen Maßstab<br />
liberale und damit die Wettbewerbsposition insbesondere<br />
der englischen Großkanzleien stärkende englische<br />
Berufsrecht im Interesse des internationalen Kanzleistandorts<br />
London und des englischen Rechtsexports nicht verschärft,<br />
sondern weiter liberalisiert wird.<br />
D. Resumee und Ausblick<br />
I. Der Rechtsanwalt – Organ der Rechtspflege oder Kaufmann?<br />
Der Gesamtbefund der aufgezeigten Entwicklungen<br />
ist nicht einheitlich. Die Anglisierung – ich spreche hier bewusst<br />
nicht von Angloamerikanisierung – des wirtschaftsrechtlichen<br />
Rechtsberatungs- und -besorgungsgeschäfts lässt<br />
in zunehmenden Teilen der Anwaltschaft, vor allem aber in<br />
den Augen der Öffentlichkeit angesichts des Verhaltens der<br />
besonders visiblen Großkanzleien den Kaufmann in den<br />
Vordergrund und das Organ der Rechtspflege in der Hintergrund<br />
treten. Die anwaltlichen Berufsorganisationen – dies<br />
gilt im europäischen Vergleich insbesondere auch für<br />
Deutschland – haben sich mit dieser Entwicklung nicht ausreichend<br />
befasst. Die Diagnose ist wichtig, sie ist seit einiger<br />
Zeit bekannt. Wichtiger ist die Frage, ob und wie man<br />
dieser Entwicklung zielführend entgegenwirken will und<br />
kann. Es geht um mehr als Kurzbezeichnungen, Briefkopf<br />
und Firmenschild! Hier liegt eine große Herausforderung<br />
für die Anwaltsorganisationen, nicht nur gegenüber der Anwaltschaft,<br />
sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit!<br />
Das Menetekel an der Wand<br />
Was bei den Wirtschaftsprüfern passiert ist, sollte die<br />
Anwaltschaft als Menetekel an der Wand nehmen. Die<br />
Wirtschaftsprüfer – vor allem die bildprägenden Big Eight,<br />
die es ursprünglich einmal waren – haben über lange Zeit<br />
ihr weitestgehend selbst geschaffenes Berufsrecht immer laxer<br />
gestaltet oder gehandhabt. Dies gilt insbesondere für<br />
das Thema Beratung und Prüfung gegenüber demselben<br />
Unternehmen (sog. one stop shop-Philosophie), wo sich bei<br />
den Grundwerten Unabhängigkeit und Verbot von Interessenkollisionen<br />
zentrale Probleme stellen. Die immer lauter<br />
werdenden Fragen der Öffentlichkeit hat der Berufsstand<br />
nicht hören wollen. Seitdem bei Andersen, aber auch bei<br />
anderen Gesellschaften, der Öffentlichkeit nähere Einzelheiten<br />
bekannt geworden sind, haben die Wirtschaftsprüfer<br />
weltweit das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren. Inzwischen<br />
haben die meisten Länder durch gesetzliche Maßnahmen<br />
das Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer drastisch verschärft<br />
oder sind dabei, es zu tun. In vielen Ländern haben<br />
die Wirtschaftsprüfer das Recht der Selbstregulierung verloren<br />
und sind Regulierungseinrichtungen geschaffen worden,<br />
in denen die Wirtschaftsprüfer nur noch als Minderheit<br />
vertreten sind. Wir sollten aufpassen, dass uns Anwälten<br />
nicht dasselbe passiert.<br />
Dies gilt erst recht, seit bei dem Parmalat-Skandal auch<br />
europäische Anwälte involviert sind. Bolkestein hat inzwischen<br />
nicht nur die Wirtschaftsprüfer, sondern auch die Anwälte<br />
öffentlich aufgefordert, gegen die “Gauner“ in deren<br />
Reihen vorzugehen.<br />
Wer das Berufsrecht lax nimmt,<br />
wird unglaubwürdig<br />
AnwBl 4/2004<br />
Thema<br />
II. Bei uns Anwälten tritt noch ein weiterer Aspekt hinzu,<br />
den es so bei den Wirtschaftsprüfern nicht gab, nämlich unsere<br />
systemische Stellung in einem Rechtsstaat mit Freiheitsrechten<br />
des Einzelnen und unserer Verantwortung<br />
dafür. Es ist den Anwaltsorganisationen nicht gelungen, allen<br />
unseren Berufskollegen und der Öffentlichkeit die Bedeutung<br />
des Anwalts, seiner Grundpflichten und insbesondere<br />
der anwaltlichen Verschwiegenheit für die<br />
Gesellschaft klarzumachen. Die Diskussion in den USA<br />
und in vielen anderen Ländern, ob ein Anwalt nicht auch<br />
bei drohender Gefahr für Leben und Gesundheit oder bei<br />
drohenden schweren Verbraucherschäden seine Verschwiegenheitspflicht<br />
brechen dürfe (und ggf. müsse), zeigt, dass<br />
die Öffentlichkeit in vielen Ländern die heute geltende Balance<br />
zwischen Verschwiegenheit einerseits und ihren Einschränkungen<br />
andererseits nicht mehr per se hinnimmt,<br />
sondern in Frage stellt. Wir müssen darüber mit der Öffentlichkeit<br />
ins Gespräch kommen. A priori-Positionen, mit denen<br />
aus der Sicht der Öffentlichkeit letztlich die Frage negiert<br />
wird, helfen nicht weiter. Sie erwecken vielmehr<br />
leicht den Eindruck, als gehe es der Anwaltschaft nur um<br />
die Verteidigung eigener Vorrechte. Die Öffentlichkeit hat<br />
Schwierigkeiten damit, dass die anwaltliche Verschwiegenheit<br />
sozusagen sakrosankt sein soll. Erst recht hat die Öffentlichkeit<br />
Schwierigkeiten damit, wenn sich jemand auf<br />
die anwaltliche Verschwiegenheit als Anwaltsrecht beruft,<br />
seine Anwaltspflichten aber lax handhabt.<br />
Zwischen diesen beiden Aspekten – kurz gesagt dem<br />
der Kommerzialisierung einerseits und der systemischen<br />
Verantwortung der Anwaltschaft andererseits – gibt es also<br />
eine Querverbindung. Um es auf den Punkt zu bringen:<br />
Eine Anwaltschaft, die in bildprägenden Teilen der Öffentlichkeit<br />
als Kaufmann erscheint, ist geschwächt, wenn sie,<br />
wieder systemisch gesprochen, als Organ der Rechtspflege<br />
ihre Stimme erhebt, etwa zum Thema Einschränkung von<br />
Freiheitsrechten des Einzelnen. Dies gilt insbesondere,<br />
wenn diese Freiheitsrechte die Tätigkeit des Anwalts selbst<br />
betreffen.
AnwBl 4/2004 223<br />
u<br />
„Bild“ ist keine Tageszeitung, sondern<br />
der tägliche Missbrauch der Pressefreiheit.<br />
Die Lüge ist ihre Geschäftsgrundlage,<br />
der Rufmord ihr Kapital,<br />
und das entblößte Schamhaar der lukrative<br />
Inbegriff der Aufklärung, wie<br />
sie die „Bild“-Zeitung betreibt – als<br />
Befreiung der Leser aus ihrer selbstverschuldeten<br />
Mündigkeit. Das rechtskräftige<br />
Urteil über dieses Blatt ist<br />
längst gesprochen. Der VI. Zivilsenat<br />
des Bundesgerichtshofs erkannte in<br />
ihm „Fehlentwicklungen eines Journalismus“,<br />
der die Aufgabe der Presse<br />
und ihre Verantwortung aus dem Auge<br />
verloren habe. Das war vor 23 Jahren,<br />
und seitdem ist kaum ein Tag vergangen,<br />
an dem die „Bild“-Zeitung diese<br />
Entscheidung nicht auf das Nachdrücklichste<br />
bestätigt hätte.<br />
Dem Gemeinen, heißt es, ist alles<br />
gemein und dem Schwein die ganze<br />
Welt ein Saustall. Es liegt also in der<br />
Natur der Sache, dass die „Bild“-Zeitung<br />
auch in der Betrachtung der deutschen<br />
Justiz nichts anderes als einen<br />
„Saustall“ zu erkennen vermag. Unter<br />
diesem Sudelwort führt sie seit Monaten<br />
eine in der bundesdeutschen<br />
Geschichte beispiellose Hetz- und Verleumdungskampagne<br />
gegen den Bundesgerichtshof.<br />
Einerseits ist bedrückend,<br />
dass das Blatt die jahrzehntealte<br />
höchstrichterliche Einschätzung<br />
damit nochmals unwiderleglich bestätigt.<br />
Andererseits – und das nicht weniger<br />
– ist beklemmend, dass die von<br />
dieser Perversion des Journalismus<br />
insgesamt betroffene Justiz – nicht nur<br />
die Richter und Staatsanwälte, auch<br />
die Rechtsanwälte – dem BGH mit<br />
keinem Wort zur Seite springen. BGH-<br />
Präsident Günter Hirsch hat vom<br />
Deutschen Presserat eine Rüge der<br />
„Bild“-Zeitung verlangt. Eine Rüge!<br />
Die betrachtet die Chefredaktion vermutlich<br />
mit demselben Vergnügen wie<br />
ein Krimineller seinen Steckbrief. Geboten<br />
wäre ein gemeinsamer Protest<br />
aller Organe der Rechtspflege gegen<br />
das Ausscheidungsorgan der Presse:<br />
„Bild lügt.“<br />
„Saustall Justiz“, „Skandalrichter“.<br />
Unter diesen Überschriften präsentierte<br />
das Blatt wochenlang Berichte über<br />
angeblich unbegreiflich milde Urteile<br />
zweier BGH-Strafsenate zu Sexualverbrechen.<br />
Doch bestand der Skandalwert<br />
der Entscheidungen ausschließlich<br />
in der verlogenen Darstellung der<br />
„Bild“-Zeitung. In einem Fall hatte der<br />
4. BGH-Strafsenat ein Urteil des Land-<br />
gerichts Bochum gegen einen mehrfach<br />
vorbestraften Vergewaltiger wegen<br />
eines schweren Rechtsfehlers<br />
aufgehoben. Der Angeklagte hatte in<br />
einem Schwimmbad zwei 12-jährigen<br />
Mädchen an den Po gefasst und war<br />
dafür zu zwei Jahren Freiheitsstrafe<br />
und anschließender Sicherungsverwahrung<br />
verurteilt worden. Die Freiheitsstrafe<br />
war offensichtlich überzogen,<br />
allerdings erforderlich, um die Sicherungsverwahrung<br />
anordnen zu können<br />
– das war das eigentliche Ziel der Bochumer<br />
Richter. Der 4. Strafsenat hob<br />
das Urteil mit der Begründung auf, es<br />
sei unzulässig, die Strafe über das der<br />
Schuld entsprechende Maß anzuheben,<br />
nur um damit die Voraussetzungen der<br />
Sicherungsverwahrung zu erhalten.<br />
Mit anderen Worten: Der Zweck<br />
heiligt nicht die Mittel. Das Urteil des<br />
Landgerichts habe deshalb aus zwingenden<br />
rechtlichen Gründen aufgehoben<br />
werden müssen. „Bild“ behauptet,<br />
der Mann habe nach seiner Haftentlassung<br />
erneut eine junge Frau vergewaltigt.<br />
Durch seine „skandalöse Entscheidung“<br />
trage der BGH dafür die<br />
Verantwortung: „Im Klartext: Die<br />
Richter stellen die Rechte des Triebtäters<br />
über den Schutz der Opfer“<br />
(12. Dezember 2003). Was ist für die<br />
„Bild“-Zeitung ein Mangel? Eine Lüge<br />
ohne anschließenden Rufmord. Den<br />
reichte sie in diesem Fall am 23. Januar<br />
nach: „Saustall Justiz! Richter<br />
ließen Serienvergewaltiger laufen, obwohl<br />
die Polizei warnte“ und „Wer<br />
schützt uns künftig vor solch milden<br />
Richtern“. In der Tat sind milde Richter<br />
vermutlich der einzige Grund, warum<br />
die „Bild“-Chefredaktion sich auf<br />
freiem Fuß befindet. Das nutzt sie wenige<br />
Tage später zum nächsten Rufmord-Versuch:<br />
„Schämen Sie sich,<br />
Herr Richter!“ Die beteiligten BGH-<br />
Richter wurden auf Fotos wie Verbrecher<br />
gezeigt, das vermeintliche Opfer<br />
als „Justizopfer“ bezeichnet und mit<br />
den Worten zitiert: „Diese Richter sind<br />
genau so schlimm wie mein Peiniger.“<br />
Zu Recht hat der BGH-Präsident beklagt,<br />
mit dieser Berichterstattung<br />
würde dem Gericht „letztlich Rechtsbruch<br />
angesonnen“. Denn „Bild“<br />
schwebe wohl vor, die „vom Gesetzgeber<br />
statuierten Regeln bei Sexualstraftätern<br />
zu missachten und gleichsam<br />
außer Kraft zu setzen“. So ist es.<br />
Dagegen hilft keine Rüge, dagegen<br />
hilft nur der geschlossene Protest.<br />
„Bild“ lügt<br />
Christian Bommarius, Berliner Zeitung<br />
MN
224<br />
MN ANWALTSAUSBILDUNG<br />
Anwaltsorientierte Juristenausbildung<br />
– wer zahlt dafür?<br />
Streitgespräch zwischen der Geschäftsführerin der<br />
Rechtsanwaltskammer Köln und dem DAV-Hauptgeschäftsführer zur<br />
Mitfinanzierung der Juristenausbildung durch die Anwaltschaft<br />
Die Juristenausbildung soll anwaltsorientierter<br />
werden – eine alte<br />
Forderung der Anwaltschaft. Mit der<br />
Reform des vergangenen Jahres<br />
wurde die Anwaltsstation auf mindestens<br />
neun Monate verlängert. Bei jährlich<br />
rund 10.000 neuen Referendaren<br />
kommt Arbeit auf die Anwaltschaft zu.<br />
Inzwischen trägt die Anwaltschaft zunehmend<br />
auch die Kosten der Juristenausbildung.<br />
Eine ganze Reihe von<br />
Kammern zahlen weitgehend die Honorare<br />
für Anwälte, die Arbeitsgemeinschaften<br />
leiten, oder organisieren<br />
Einführungskurse. In<br />
Nordrhein-Westfallen wird eine halbe<br />
Stelle für eine Anwältin finanziert, die<br />
Anwaltsthemen ins zweite Examen<br />
einbringt. In Hamburg will die Kammer<br />
eine jährliche Ausbildungsumlage<br />
von 25 Euro erheben. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
bat Rechtsanwältin Dr. Susanne<br />
Offermann-Burckart, Geschäftsführerin<br />
der Rechtsanwaltskammer Köln,<br />
und Dr. Dierk Mattik, Hauptgeschäftsführer<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />
zum Streitgespräch<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist es richtig, dass<br />
die Anwaltschaft dem Staat bei der<br />
Finanzierung der Juristenausbildung<br />
unter die Arme greift?<br />
Mattik: Dass die Anwaltschaft sich<br />
bei der neuen Juristenausbildung engagiert,<br />
ist eine SelbstverstaÈ ndlichkeit.<br />
Eine andere Frage ist, ob die Anwaltschaft<br />
die staatliche Juristenausbildung<br />
mitfinanzieren soll.Ich sehe keinen<br />
Grund dafuÈ r.Es gibt keine<br />
gesetzliche Verpflichtung.Oder anders<br />
ausgedruÈ ckt: Kein Land ± und es sind<br />
die LaÈ nder, die die Juristenausbildung<br />
umsetzen muÈ ssen ± koÈ nnte die in einer<br />
Kammer versammelten AnwaÈ lte dazu<br />
zwingen, finanzielle BeitraÈ ge zu erbringen.Jede<br />
Leistung der Anwaltschaft<br />
ist also freiwillig.<br />
Es gibt viele Gründe, die gegen solche<br />
freiwilligen Leistungen sprechen.<br />
Der erste ist die wirtschaftliche Situation<br />
der Anwaltschaft. Wir werden vermutlich<br />
Anfang 2004 die Zahl von<br />
130.000 zugelassenen Anwälten in<br />
Deutschland erreicht haben. Die Anwaltschaft<br />
wächst derzeit jährlich –<br />
bei Berücksichtigung zurückgegebener<br />
Zulassungen – um ca. 6.000 Anwälte<br />
netto. Diese Zunahme geht einher mit<br />
einem seit Jahren zunehmend schwierig<br />
werdenden wirtschaftlichen Umfeld:<br />
Rezession, Bevölkerungsrückgang,<br />
Arbeitsplatzabbau, aus allem<br />
resultiert ein enormer Kostendruck,<br />
sinkende Umsätze und Erlöse. In dieser<br />
Situation kann die Anwaltschaft<br />
„Jeder, der dieses<br />
System der<br />
staatlichenJuristenausbildung<br />
durch<br />
finanzielle Beiträge<br />
unterstützt, ist<br />
mitverantwortlich für<br />
die Misere der<br />
Anwaltschaft“<br />
nicht freiwillig eine staatliche Aufgabe<br />
mitfinanzieren.<br />
Offermann-Burckart: Vorweg eine<br />
Klarstellung: Ich spreche als Privatperson<br />
und nicht als offiziell entsandte<br />
Vertreterin der Kammern. Manches<br />
von dem, was ich denke, wird aber sicher<br />
der Meinung vieler Kammern<br />
entsprechen. Zunächst einmal ist es<br />
Aufgabe der Kammern, sich an der<br />
Ausbildung und der Prüfung des Nachwuchses,<br />
insbesondere der Referendare,<br />
zu beteiligen. Der Gesetzgeber hat<br />
den Kammern diese Aufgabe in § 73<br />
BRAO ausdrücklich zugewiesen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Reichweite dieser<br />
Vorschrift ist umstritten.Diesen Streit<br />
werden wahrscheinlich die Gerichte<br />
entscheiden muÈ ssen.Es geht vor allem<br />
um die politische Frage: Wie soll sich<br />
die Anwaltschaft beteiligen?<br />
Mattik: Gleichwohl lassen Sie mich<br />
einen Satz noch dazu sagen. In § 73<br />
AnwBl 4/2004<br />
BRAO steht „mitwirken“ und nicht beteiligen.<br />
Und nun können wir lange<br />
streiten ...<br />
Offermann-Burckart: ... was Mitwirkung<br />
und was Beteiligung ist. Ist<br />
das strafrechtlich zu verstehen? Spaß<br />
beiseite. Ich wehre mich gegen die<br />
Formulierung, dass die Kammern<br />
staatliche Aufgaben übernehmen und<br />
finanzieren.<br />
Wir tun das sicher nicht, indem wir<br />
Arbeitsgemeinschaftsleiter zur Verfügung<br />
stellen. Denn diese Arbeitsgemeinschaftsleiter<br />
werden von den<br />
Ländern bezahlt, egal ob es Richter,<br />
Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte oder<br />
eben Rechtsanwälte sind. Die bekommen<br />
alle ihre Vergütung vom Staat.<br />
Das sind bei uns in Nordrhein-Westfalen<br />
24 E pro geleisteter Unterrichtsstunde.<br />
Die Kammer Köln zahlt 70 E<br />
pro Zeitstunde dazu. Dem Staat ist es<br />
in finanzieller Hinsicht völlig egal, ob<br />
wir Anwälte uns beteiligen.<br />
Die meisten Kammern haben<br />
sich zur Zuzahlung entschlossen,<br />
weil wir sonst<br />
keine qualifizierten Anwälte<br />
finden. Es gibt aber<br />
eine Menge junger Anwälte,<br />
die herzlich gerne<br />
auch für 24 E pro Unterrichtsstunde<br />
tätig würden.<br />
Richtig ist, dass die drei<br />
nordrhein-westfälischen<br />
Kammern, also Düsseldorf,<br />
Hamm, und Köln, zu dritt<br />
eine Halbtagskraft im Landesjustizprüfungsamt<br />
finanzieren.<br />
Aber auch hier entlasten wir den Staat<br />
nicht. Es handelt sich um eine zusätzlich<br />
geschaffene Stelle im Rahmen eines<br />
Pilotprojektes. Die Finanzierung<br />
erfolgt zunächst für einen Zeitraum<br />
von drei Jahren. Wenn sich das Projekt<br />
bewährt – wovon wir ausgehen – dann<br />
wird der Staat die Finanzierung übernehmen.<br />
Es gibt einige andere Kammern,<br />
die über Vergleichbares nachdenken.<br />
Derzeit ist es eine<br />
nordrhein-westfälische Besonderheit.<br />
Ich gebe Ihnen Recht: Das finanzieren<br />
wir, aber nur in einem sehr überschaubaren<br />
Rahmen.<br />
Mattik: Selbst wenn es auch bloß<br />
ein Beitrag von 3 E pro Anwalt waÈ re,<br />
ist dieser Betrag aus grundsaÈ tzlichen<br />
UÈ berlegungen zu hoch.Wer dem<br />
Staat in einer Lage, in der die Finanzminister<br />
staÈ ndig auf der Suche nach<br />
Entlastung sind, den kleinen Finger<br />
reicht, wird gleich mit dem ganzen
AnwBl 4/2004 225<br />
Anwaltsausbildung MN<br />
� Wer soll die Kosten für eine anwaltsorientierte Juristenausbildung tragen? Es diskutieren<br />
Dr. Susanne Offermann-Burckart und Dr. Dierk Mattik.<br />
Arm gegriffen.Das passiert schon<br />
jetzt.Bisher hat die Anwaltschaft nur<br />
das SalaÈ r der Arbeitsgemeinschaftsleiter,<br />
die AnwaÈ lte sind, aufgebessert.<br />
Das war die erste Stufe.Die zweite<br />
Stufe gehen jetzt die drei nordrheinwestfaÈ<br />
lischen Kammern mit der Finanzierung<br />
einer halben Stelle im<br />
LandesjustizpruÈ fungsamt.<br />
Kommen wir zu dem Punkt, der<br />
mir der allerwichtigste ist: Jeder, der<br />
dieses System der staatlichen Juristenausbildung<br />
durch finanzielle Beiträge<br />
unterstützt, ist mitverantwortlich für<br />
die Misere der Anwaltschaft: Denn<br />
dieses System der Juristenausbildung<br />
ist mitursächlich dafür, dass wir heute<br />
130.000 und in zehn Jahren voraussichtlich<br />
180.000 bis 200.000 zugelassene<br />
Anwälte haben. Diese Zahlen sind<br />
die Folge unseres Systems: ein finanziertes<br />
Studium und eine finanzierte<br />
Referendarausbildung. Marktmechanismen<br />
greifen erst, nachdem die zweite<br />
Staatsprüfung abgelegt worden ist. Das<br />
ist meines Erachtens ein Irrweg, den<br />
wir seit vielen Jahren gehen, obwohl<br />
wir wissen, dass die Antwort auf dieses<br />
Problem die Spartenausbildung ist.<br />
Spartenausbildung bedeutet für die Anwaltausbildung:<br />
Nach einem ersten<br />
Universitäts- oder Staatsexamen kann<br />
nur der zum Anwalt ausgebildet werden,<br />
der bei einem Anwalt einen Ausbildungsplatz<br />
findet. Einen Ausbildungsplatz<br />
findet nur der, der die<br />
Eignung, die Fähigkeiten und die nötigen<br />
Qualifikationen hat. Das Ausbildungssystem<br />
der Steuerberater zeigt<br />
uns seit Jahren, wie es funktionieren<br />
kann. Für mich stellt sich die Frage,<br />
wie geht es mit diesem Berufsstand eigentliche<br />
weiter. In zehn Jahren haben<br />
wir voraussichtlich 180.000 bis<br />
200.000 Anwälte auf einem Markt, der<br />
immer enger wird. Wir dürfen jetzt das<br />
alte System nicht noch dadurch stärken,<br />
dass wir mit finanziellen Mitteln<br />
dieses System stützen, sondern wir<br />
müssen umsteuern.<br />
Offermann-Burckart: Ich gehe<br />
noch einmal zuruÈ ck zu Ihren ersten<br />
Punkten.Ich bin nicht der Meinung,<br />
dass wir den Staat entlasten.Wir zahlen<br />
zu, weil wir gute Leute wollen.Es<br />
muss der Kammerversammlung als<br />
dem SouveraÈ n der Kammer moÈ glich<br />
sein, Zuzahlungen fuÈ r anwaltliche Ar-<br />
„Wenn wir uns<br />
verweigern, passiert<br />
nur das, wovor<br />
besonders zu warnen<br />
ist. Dann werden<br />
eben nicht Anwälte,<br />
sondern Richter und<br />
Staatsanwälte die<br />
zukünftigen Anwälte<br />
ausbilden“<br />
beitsgemeinschaftsleiter zu beschlieûen.NatuÈ<br />
rlich muÈ ssen die Kammerversammlungen<br />
ausdruÈ cklich gefragt<br />
werden.Das koÈ nnten die Kammern<br />
nicht in ihren Etats verstecken, und<br />
das tun sie selbstverstaÈ ndlich nicht.<br />
Mattik: Da bin ich mit Ihnen einer<br />
Meinung, soweit es um die Entscheidungsfreiheit<br />
der Kammerversammlung<br />
geht. Das Absurde ist, dass der<br />
Staat die Anwälte genauso wie Staatsanwälte<br />
und Richter mit 24 E pro<br />
Arbeitsgemeinschaftsleiterstunde entlohnt.Der<br />
Anwalt hat aber kein festes<br />
staatliches Monatsgehalt und muss daher<br />
schon aus betriebswirtschaftlichen<br />
GruÈ nden einen deutlich hoÈ heren Stundensatz<br />
verlangen.Die Rahmenbedin-<br />
gen zwischen Staatsdienst und Anwaltschaft<br />
sind voÈ llig unterschiedlich.<br />
Offermann-Burckart: So groß sind<br />
die Unterschiede gar nicht. Auch der<br />
Staat hat Schwierigkeiten, Richter und<br />
Staatsanwälte für die Ausbildung zu<br />
begeistern.<br />
Zu der Anwältin im Landesjustizprüfungsamt:<br />
Es ist nicht so, dass<br />
unser Justizprüfungsamt auf die Kammern<br />
zugekommen ist. Wir sind auf<br />
das Ministerium zugegangen. Das sensationell<br />
Neue ist, dass wir sagen: Im<br />
Landesjustizprüfungsamt muss ein<br />
Anwalt sitzen. Deshalb der Testlauf,<br />
den die Anwaltschaft finanziert. Ohne<br />
diesen Anstoß wäre es nicht gelungen,<br />
dort einen Anwalt zu etablieren.<br />
Nun zu dem Thema: Wie sieht es<br />
mit der Anwaltschaft, mit der Anwaltschwemme,<br />
aus? Ich bin völlig mit Ihnen<br />
einer Meinung, dass wir viel zu<br />
viele Anwälte haben und dass wir<br />
noch viel mehr Anwälte bekommen.<br />
Dieses Problem lässt sich aber über<br />
die Juristenausbildung erst in zweiter<br />
Linie lösen. Wir müssen alles tun, um<br />
zu verhindern, dass junge Menschen,<br />
die überhaupt keinen Hang zum Anwaltsberuf<br />
haben, denen die unternehmerischen<br />
Fähigkeiten fehlen, denen<br />
die Kreativität fehlt, Anwälte werden.<br />
Aber das schaffen wir<br />
doch nicht, indem wir uns<br />
der Ausbildung verweigern.<br />
Damit würden wir<br />
gerade den umgekehrten<br />
Weg gehen. Wir wollen zumindest<br />
dafür sorgen, dass<br />
alle die, die der Staat ausbildet,<br />
anwaltliches Knowhow<br />
lernen – und wir ihnen<br />
die Schwierigkeiten des<br />
Berufs nahe bringen. Wir<br />
können die Ausbildungsreform<br />
gut oder schlecht<br />
finden, sie schafft die Situation,<br />
mit der wir in den<br />
nächsten Jahren leben müssen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Es scheint offensichtlich<br />
immer mehr Kollegen zu geben,<br />
die sich schon freuen wuÈ rden, wenn<br />
sie nur einmal die Woche eine sichere<br />
Einnahme von 24 E pro Stunde als<br />
Arbeitsgemeinschaftsleiter zu haben.<br />
Und die Situation wird sich verschaÈ rfen,<br />
wenn die Anwaltschaft weiter<br />
waÈ chst und weiter wachsen wird.<br />
Offermann-Burckart: Ob wir nun<br />
an der Ausbildung mitwirken oder ob<br />
wir uns verweigern, das wird an den<br />
Zahlen nichts ändern. Wenn wir uns<br />
verweigern, passiert nur das, wovor<br />
besonders zu warnen ist. Dann werden<br />
eben nicht Anwälte, sondern Richter
226<br />
MN<br />
und Staatsanwälte die zukünftigen Anwälte<br />
ausbilden. Wenn wir schon diesen<br />
erheblichen Zustrom haben, dann<br />
müssen wir wenigstens dafür sorgen,<br />
dass die Leute gut vorbereitet sind.<br />
Damit sie eine Chance haben, am<br />
Markt zu bestehen und damit sie zumindest<br />
keinen Schaden anrichten. Alles<br />
andere wäre für den Ruf und das<br />
Ansehen der Anwaltschaft verheerend.<br />
Denn auch die Schlechten haben<br />
immer mal ein Mandat. Und ein enttäuschter<br />
Mandant sagt oft nicht, ich<br />
gehe beim nächsten Mal zu einem besseren<br />
Anwalt. Er fragt sich vielmehr,<br />
ob er beim Mieterverein, bei der Verbraucherzentrale<br />
oder bei einem Steuerberater<br />
besser aufgehoben ist.<br />
Mattik: Sie sagen es. Der Rechtsberatungsmarkt<br />
wird auch durch die<br />
nichtanwaltlichen Berater, die auf den<br />
Markt der Rechtsberatung drängen,<br />
immer enger. Aus diesem Grunde<br />
kann die Anwaltschaft weiterhin nicht<br />
mehr tatenlos die hohen Steigungen<br />
bei den Zulassungszahlen hinnehmen.<br />
Der Berufsstand würde ein weithin<br />
unbegrenztes Wachstum nicht überstehen.<br />
Zurück zur Juristen- und Anwaltsausbildung:<br />
Es bestand Einigkeit,<br />
dass die praktische Ausbildung mindestens<br />
ein Jahr betragen muss und diese<br />
praktische Ausbildung begleitet werden<br />
muss durch einen theoretischen<br />
Kursus zur Vertiefung. Dieser theoretische<br />
Kursus sollte ca. 360 Zeitstunden<br />
umfassen. So sollte eine theoretische<br />
Ausbildung aussehen. Bei der DAV-<br />
Anwaltausbildung beträgt z. B. die<br />
theoretische Ausbildung 450 Stunden.<br />
Was die Länder an Einführungskursen<br />
planen, hat aber in der Regel lediglich<br />
einen Umfang von ca. 60 bis 70 Stunden.<br />
Es ist keine Anwaltausbildung,<br />
die hier vermittelt wird, auch wenn<br />
bald in Stuttgart, München oder Hamburg<br />
die Kammerbeiträge von Kollegen<br />
dazu eingesetzt werden.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Besteht hier Einigkeit?<br />
Offermann-Burckart: Richtig ist,<br />
dass die Juristenausbildungsreform<br />
2003 nicht das Maximum dessen ist,<br />
was wir gefordert haben. Sie ist aber<br />
auch nicht so schlecht, wie viele sagen,<br />
wenn der Rahmen vernünftig ausgefüllt<br />
wird. Der Kammer Köln ist es<br />
gelungen, ein Optimum herauszuholen.<br />
Und ich weiß, dass sich andere<br />
Kammern genauso intensiv um die<br />
Ausbildung bemühen.<br />
Mattik: Um nicht missverstanden<br />
zu werden. Ich würde es begrüßen,<br />
wenn die Anwälte den Hauptanteil der<br />
Arbeitsgemeinschaftsleiter stellen wür-<br />
den. Es geht auch nicht darum, die<br />
Nachwuchsjuristen im Regen stehen<br />
zu lassen. Wir müssen aber eine Trendwende<br />
schaffen. Wir müssen eine Antwort<br />
auf die Frage finden, wie die Anwaltschaft<br />
in zehn Jahren aussieht.<br />
Wir werden getrennte Ausbildungsgänge<br />
für die einzelnen juristischen Berufe<br />
bekommen müssen. Ein erstes<br />
Examen, ein Universitäts- oder ein<br />
Staatsexamen, wird die Eingangsqualifikation<br />
für die Anwaltausbildung sein.<br />
Die Anwaltschaft bildet dann ihren<br />
benötigten Nachwuchs selber aus und<br />
bezahlt ihn auch. Das funktioniert nur<br />
auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Darauf<br />
beruht auch die DAV-Ausbildung.<br />
Warum folgen die Kammern bei<br />
der Finanzierung der staatlichen Juristenausbildung<br />
nicht auch dem Prinzip<br />
der Freiwilligkeit, indem sie z. B. Finanzierungsfonds<br />
schaffen, die nur aus<br />
freiwilligen Zahlungen der Anwaltschaft<br />
gespeist werden? Damit hätte<br />
ich keine Probleme.<br />
Offermann-Burckart: Bei der Kammer<br />
Köln wurde 1996 erstmalig über<br />
Zuzahlungen für anwaltliche Arbeitsgemeinschaftsleiter<br />
entschieden. Damals<br />
wurde gefragt: Sind Sie als Kammermitglieder<br />
damit einverstanden, dass<br />
wir aus dem vorhandenen Beitragsaufkommen<br />
einen bestimmten Teil für die<br />
Ausbildung verwenden? Das ist damals<br />
einstimmig beschlossen worden.<br />
Eine erneute Reform der<br />
Juristenausbildung ist nötig<br />
Mattik: 1996 hatten wir ca. 85.000<br />
zugelassene Anwälte und wir hatten<br />
eine andere Situation. Durch den Aufbau<br />
Ost in Justiz, Verwaltung und Anwaltschaft<br />
war der Druck auf dem<br />
Rechtsberatungsmarkt nur begrenzt.<br />
Ich will aber die Souveränität der<br />
Kammerversammlung überhaupt nicht<br />
anzweifeln. Wir streiten darüber, ob<br />
die Anwaltschaft das nötige berufspolitische<br />
Bewusstsein hat.<br />
Offermann-Burckart: Sie sagen,<br />
das berufspolitische Bewusstsein fehlt,<br />
weil die Anwälte nicht erkennen, dass<br />
sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen.<br />
Ich argumentiere genau von der<br />
anderen Seite: Berufspolitisches Bewusstsein<br />
heißt, dass die Kollegen<br />
wissen, es geht um die Anwaltschaft<br />
als Ganzes. Nur wenn diese so gut wie<br />
möglich ausgebildet ist, hat sie überhaupt<br />
eine Überlebenschance.<br />
Da bin ich dann jetzt wieder bei<br />
dem ersten Punkt. Es wäre das Beste<br />
für uns alle, wenn wir einen Numerus<br />
AnwBl 4/2004<br />
Anwaltsausbildung<br />
Clausus für die Juristenausbildung und<br />
wenn wir eine ernst zu nehmende<br />
Zwischenprüfung bekommen würden.<br />
Das ist zur Zeit nicht durchsetzbar.<br />
Denn der Anwaltsberuf ist so ungefähr<br />
das Schönste, was die Politik sich unter<br />
Arbeitsmarktgesichtspunkten vorstellen<br />
kann. Sie wird nichts tun, um<br />
gerade den Zugang zu einem Beruf zu<br />
verschließen, der in eine so wunderbare<br />
Selbstständigkeit (Stichwort: Ich-<br />
AG) mündet, in eine oft verdeckte Arbeitslosigkeit,<br />
die in keiner Statistik<br />
auftaucht. Ich bin aber einig mit Ihnen<br />
darüber, dass wir die Ausbildungsdiskussion<br />
wieder beginnen müssen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ich fasse zusammen:<br />
Sie sind sich einig bei dem Vermassungsproblem.<br />
Sie sind sich einig bei<br />
der Ausbildungsfrage. Losgelöst von<br />
der Frage, wie die Juristenausbildung<br />
im Referendariat finanziert wird, was<br />
muss jetzt passieren?<br />
Mattik: Wir müssen der Politik ein<br />
klares Signal geben: Das Problem des<br />
unbegrenzten Zuwachses der Anwaltschaft<br />
ist im Interesse der Gesellschaft<br />
an einer funktionierenden Anwaltschaft<br />
und damit im Interesse auch der<br />
Anwaltschaft zu lösen. Ein Weiter so<br />
wie bisher darf es nicht geben. Aus<br />
diesem Grunde darf die Anwaltschaft<br />
die staatliche Juristensausbildung nicht<br />
mitfinanzieren. Wir müssen darüber<br />
diskutieren, wie die Juristenausbildung<br />
reformiert werden kann. Wir müssen<br />
wieder in die Diskussion einsteigen.<br />
Numerus Clausus wäre schön, werden<br />
wir nicht durchsetzen können. Zwischenprüfung<br />
wäre schön, werden wir<br />
nicht durchsetzen können.<br />
Offermann-Burckart: Die Zwischenprüfung<br />
vielleicht schon ...<br />
Mattik: Die Zwischenprüfung vielleicht<br />
gerade, aber ich glaube es nicht.<br />
Das Wesentliche ist, dass wir die Spartenausbildung<br />
bekommen. Die Berufsentscheidung<br />
muss dem Abschluss des<br />
juristischen Studiums fallen.<br />
Offermann-Burckart: Ja, wir müssen<br />
mit der Politik reden. Ich halte es<br />
aber für einen frommen Wunsch, Herr<br />
Mattik, zu glauben, dass wir etwas erreichen,<br />
indem wir uns verschließen.<br />
Ich denke nicht, dass der Staat finanziell<br />
so notleidend ist. Ich fürchte<br />
mich vor den schlecht ausgebildeten<br />
und vorbereiteten Anwälten, die den<br />
Ruf wirklich ruinieren können.<br />
Mattik: Das Problem ist richtig beschrieben.<br />
Wir lösen es nicht dadurch,<br />
das wir versuchen, die Masse als Anwälte<br />
auszubilden.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wir danken Ihnen<br />
für das Gespräch. nil
AnwBl 4/2004 227<br />
DAV-FORUM MEDIATION<br />
Justiz treibt die Mediation voran:<br />
Anwaltschaft hat Nachholbedarf<br />
Bundesjustizministerin Zypries: Zurückhaltung<br />
bei gesetzlichen Regelungen für die Mediation<br />
� Die Mediation wird von der Politik gefördert: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />
(links), hier zusammen mit dem Präsidenten des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut Kilger,<br />
berichtete über ihre Erfahrungen mit der Mediation wie auch die Berliner Justizsenatorin<br />
Karin Schubert (rechts). Rund 400 Anwälte, Richter, Professoren, Politiker sowie<br />
Vertreter der Justiz, der Wirtschaft und von Verbänden nahmen am DAV-Forum Mediation<br />
teil.<br />
Was ist ein juristisches Einhorn?<br />
Ein Fall, über den alle reden, ohne<br />
ihn je in der Praxis erlebt zu haben.<br />
Das galt lange auch für die Mediation.<br />
Der Ausbildungsmarkt für Mediatoren<br />
boomt, über Ausbildungskonzepte<br />
wird heftig diskutiert, doch<br />
über erfolgreiche Mediationsverfahren<br />
konnten lange nur wenige berichten.<br />
Das ändert sich. Das DAV-Forum Mediation<br />
hat Anfang Februar gezeigt,<br />
dass sich die Mediation langsam<br />
durchsetzt. Vor allem beflügelt durch<br />
die Justiz. Mit bemerkenswerter Innovationsfreude<br />
entwickeln Richter in<br />
der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
neue Tätigkeitsfelder. Die Anwaltschaft<br />
ist herausgefordert.<br />
In seinem Grußwort verriet der Präsident<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Privates. Hartmut Kilger berichtete,<br />
wie ihm einst ein Kollege bei einem<br />
Waldspaziergang erklärt habe, warum<br />
die Mediation Unsinn sei. Genau dieser<br />
Kollege war auf dem DAV-Forum Mediation<br />
ein Verfechter der Mediation.<br />
„Der heutige Referent hat dazugelernt“,<br />
bemerkte Kilger. Damit hatte Kilger einen<br />
wichtigen Punkt angesprochen:<br />
Beim Thema Mediation sind fast immer<br />
auch Emotionen mit im Spiel. Für die<br />
einen ist es Scharlatanerie, für die anderen<br />
das Konfliktlösungsmittel erster<br />
Wahl. Die Wahrheit liegt wohl – wie so<br />
häufig – in der Mitte.<br />
Die Resonanz auf das DAV-Forum<br />
Mediation war unerwartet groß: Rund<br />
400 Anwälte, Richter, Professoren,<br />
Politiker sowie Vertreter der Justiz,<br />
der Wirtschaft und von Verbänden kamen<br />
Anfang Februar in Berlin zusammen.<br />
Der DAV hatte eigene Vorschläge<br />
für eine rechtliche Rahmenregelung<br />
angekündigt (siehe dazu den gesonderten<br />
Bericht auf Seite 230). Die Diskussion<br />
über eine Regulierung der Mediation<br />
erklärt die hohe Teilnehmerzahl<br />
aber nicht allein. Ausschlaggebend<br />
dürfte nach Meinung von Kennern der<br />
Mediationsszene vielmehr sein, dass<br />
die Mediation nun auch von der Politik<br />
gefördert wird. Damit könnten sich die<br />
Mandate im Mediationsbereich stark<br />
erhöhen.<br />
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />
und die Berliner Justizsenatorin<br />
Karin Schubert warben für die Mediation.<br />
Zypries berichtete über erste Erfolge<br />
beim Aufbau einer Mediationskultur.<br />
So seien im Verbraucherschutz<br />
bei Streitigkeiten um Time-Sharing-<br />
Verträge und bei deutsch-französischen<br />
Ehescheidungsverfahren erfolgreich<br />
professionelle Mediatoren eingesetzt<br />
worden. Im Bundesjustizministerium<br />
werde eine Datenbank für<br />
Mediation und Streitschlichtung aufgebaut.<br />
Zu einer gesetzlichen Regelung<br />
der Mediation sagte Zypries:<br />
„Wir sollten zurückhaltend sein und<br />
Berufszugang und -ausübung nicht regeln.“<br />
Sie betonte, dass die Mediation<br />
freiwillig sei und auch auf dieser<br />
Grundlage funktioniere. Sie könne daher<br />
nur schlecht rechtlich reguliert<br />
werden. Dafür werde sie im Bundestag<br />
werben.<br />
Noch positiver als die Bundesjustizministerin<br />
äußerte sich die Berliner<br />
Justizsenatorin. Mediation sei schon<br />
seit vielen Jahren ein Anliegen von ihr.<br />
Viele Lebenssachverhalte seien nicht<br />
mit einer streitigen Entscheidung zu<br />
regeln. „Die Mediation bewährt sich<br />
überall“, sagte die ehemalige Richterin.<br />
Das Berliner Pilotprojekt der Gerichtsmediation<br />
im Verwaltungsprozess<br />
Justizsenatorin Schubert:<br />
„Die Mediation bewährt<br />
sich überall“<br />
MN<br />
sei erfolgreich (siehe dazu das Interview<br />
mit dem Berliner Gerichtsmediator<br />
Prof. Dr. Karsten-Michael Ortloff auf<br />
Seite 229). Schubert war sich sicher,<br />
dass dieses Projekt auf andere Gerichtsbarkeiten<br />
in Berlin ausgedehnt wird.<br />
Beim Täter-Opfer-Ausgleich könne sie<br />
sich z. B. auch Mediationsverfahren vorstellen.<br />
Zum Zivilverfahren verwies<br />
Schubert darauf, dass sich die Parteien<br />
gerade bei hohen Streitwerten gerne des<br />
Schiedsverfahrens bedienten.<br />
Wieviele Mediationsprojekte es in<br />
der Justiz bereits gibt, belegte der Vortrag<br />
von Prof. Dr. Karsten-Michael<br />
Ortloff im Arbeitskreis I des DAV-Forums.<br />
Er berichtete nicht nur über das<br />
von ihm betreute Projekt am Verwaltungsgericht<br />
Berlin. In Niedersachsen<br />
wird gerichtsnahe Mediation im Zivilprozess<br />
beim Landgericht Göttingen,
228<br />
MN<br />
� DAV-Vizepräsident Rembert Brieske:<br />
„Mediation ist nicht für Mediatoren da.“<br />
Was plant die<br />
EU-Kommission?<br />
Die EuropäischeKommission<br />
wird<br />
noch in diesem<br />
Jahr einen<br />
Richtlinienentwurf<br />
zu alternativenStreitbeilegungsver-<br />
fahrenvorlegen. Das<br />
stellte auf dem<br />
� Henrik Nielsen<br />
DAV-Forum Mediation Henrik Nielsen<br />
von der Generaldirektion Justiz<br />
und Inneres der Europäischen Kommission<br />
in Aussicht. Seit dem<br />
Grünbuch von April 2002 werde<br />
über Mediation und alternative<br />
Streitbeilegungsverfahren diskutiert.<br />
Die Kommission verfolgt nach den<br />
Worten Nielsens einen doppelten<br />
Ansatz. Zum einen werde geprüft,<br />
ob rechtliche Regelungen notwendig<br />
seien. Regelungsbedarf könnte bei<br />
dem Verhältnis von Mediation und<br />
Zivilprozess, bei Verjährungsvorschriften<br />
und bei der Vollstreckbarkeit<br />
von Mediationsvergleichen bestehen.<br />
Zum anderen solle die<br />
Selbstregulierung gefördert werden.<br />
Ein Europäischer Verhaltenskodex<br />
für die Mediation solle angestrebt<br />
werden. Themen könnten die Unabhängigkeit,<br />
Unparteilichkeit und<br />
Vertraulichkeit von Mediatoren sein.<br />
nil<br />
Hannover und Hildesheim angeboten.<br />
Das Verwaltungsgericht sowie das Sozialgericht<br />
Hannover haben nachgezogen.<br />
In Mecklenburg-Vorpommern<br />
gibt es beim Verwaltungsgericht<br />
Greifswald eine Mediationskammer.<br />
Das Landgericht sowie das Oberlandesgericht<br />
Rostock versuchen die Mediation.<br />
Ein Projekt läuft am Verwaltungsgericht<br />
Freiburg. In Sachsen,<br />
Hessen und Brandenburg ist die Idee<br />
ebenfalls bereits aufgegriffen. „Es<br />
zeichnet sich eine Bewegung in der<br />
Justiz ab, eine neue Streit- und Verfahrenskultur<br />
anzubieten“, sagte Ortloff.<br />
Das wichtigstes Ziel der Justizprojekte:<br />
Der Mediationsgedanke soll<br />
gefördert werden. Zugleich verschwieg<br />
Ortloff jedoch nicht, dass es zumindest<br />
bei dem Berliner Projekt auch um Kosteneinsparungen<br />
gehe. Für ihn als Gerichtsmediator<br />
sei zwar eine zusätzliche<br />
Stelle geschaffen worden, er solle aber<br />
mit seiner Tätigkeit die Kammern am<br />
Verwaltungsgericht entlasten. „Wenn<br />
ich für einen Fall zehn Stunden brauche,<br />
ist das billiger, als wenn sich eine<br />
Kammer damit beschäftigt.“ Dass das<br />
Berliner Projekt derzeit den Parteien<br />
kostenfrei angeboten wird, kritisierte<br />
DAV-Präsident Hartmut Kilger als unzulässige<br />
Wettbewerbverzerrung.<br />
Werbung für die Mediation machte<br />
auch Rechtsanwalt Dr. h. c. Ludwig<br />
Koch. Der Markt wachse. Zugleich<br />
warnte er. „Es genügt nicht, dass einige<br />
Anwälte vorausschauend arbeiten“,<br />
sagte das Mitglied des DAV-Ausschusses<br />
Außergerichtliche Konfliktbeilegung.<br />
Die Anwaltschaft habe ei-<br />
AnwBl 4/2004<br />
DAV-Forum Mediation<br />
nen erheblichen Nachholbedarf bei der<br />
Mediation. Das DAV-Forum zeigte,<br />
dass Mediation im vielen Großkonzernen<br />
zum Alltag gehört.<br />
Das Vordringen der Mediation in<br />
Deutschland deckt sich mit einem internationalen<br />
Trend. Der belgische<br />
Rechtsanwalt Luc Demeyere aus Antwerpen<br />
berichtete vor allem über die<br />
rechtlichen Regelungen zur Mediation<br />
in den USA, Kanada und vielen europäischen<br />
Ländern. Er betonte, dass alternative<br />
Streitbeilegungsverfahren in<br />
den USA vor allem entwickelt worden<br />
seien, um die Kosten zu senken. In<br />
England und Wales sei mit der so genannten<br />
Woolf-Reform den Gerichten<br />
die Möglichkeit gegeben worden, die<br />
Parteien zur Mediation zu verpflichten.<br />
Wer sich weigere, könne von den Gerichten<br />
sanktioniert werden. Auch<br />
wenn England und Wales bisher am<br />
weitesten gegangen seien, fänden sich<br />
inzwischen in vielen Prozessordnungen<br />
Regelungen, die Mediationsverfahren<br />
ermöglichten.<br />
Der Mediationsgedanke muss<br />
gefördert werden. Soweit herrschte Einigkeit<br />
unter den Teilnehmer. Auch dass die<br />
Mediation ein wachsender Markt sei, war<br />
konsensfähig. Das DAV-Forum Mediation<br />
hat aber auch gezeigt: Wer als Mediator<br />
Verhandlungen moderiert, und sich gerade<br />
aus Sachfragen heraushalten muss, also<br />
kein Interessenvertreter mehr ist, kann in<br />
eigenen Sachen durchaus kämpferisch<br />
sein. So bestand durchaus keine Einigkeit<br />
bei der Frage, ob und wie die Ausbildung<br />
zum Mediator zu regeln sei.<br />
� Rechtsanwalt Dr. Christian Duve (links) stellte die DAV-Vorschläge für eine rechtliche<br />
Regelung der Mediation vor. Gesamtmoderator des DAV-Forums war Rechtsanwalt Dr.<br />
Reiner Ponschab (rechts). In der Mitte: DAV-Geschäftsführerin Angelika Rüstow.
AnwBl 4/2004 229<br />
DAV-Forum Mediation MN<br />
� Internationale Zusammenarbeit: Rechtsanwalt Dr. h.c. Ludwig Koch (rechts) und sein<br />
belgischer Kollege Luc Demeyere aus Antwerpen referierten auf dem DAV-Forum.<br />
Der DAV hat in seinen Vorschlägen<br />
jegliche Reglementierung der Ausbildung<br />
abgelehnt. Im Arbeitskreis III<br />
sind diese Vorschläge zurückgewiesen<br />
worden. Die in der Ausbildung aktiven<br />
Verbände sollten sich auf einheitliche<br />
Standards einigen und ihre Ausbildungskonzepte<br />
gegenseitig anerkennen,<br />
forderte der Arbeitskreis. Die<br />
Diskussion am Nachmittag drehte sich<br />
dann vor allem um die Frage, wieviele<br />
Stunden Ausbildung ein Mediator<br />
brauche.<br />
Die eigentliche Herausforderung<br />
für die Anwaltschaft wird jedoch nicht<br />
die Ausbildung zum Mediator sein.<br />
Entscheidend wird es darauf ankom-<br />
Berliner Pilotprojekt:<br />
Gerichtsmediation<br />
Interview mit Karsten-Michael Ortloff<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Sie bezeichnen sich<br />
auf ihrer Visitenkarte als Gerichtsmediator.<br />
Was macht ein Gerichtsmediator?<br />
Ortloff: Ein Gerichtsmediator ist<br />
ein Richter, der als Mediator arbeitet,<br />
und zwar in solchen Prozessen, die<br />
bei seinem Gericht anhängig sind. Er<br />
hilft den Prozessbeteiligten bei dem<br />
Bemühen um eine gütliche Beilegung<br />
des Rechtsstreits. Dabei geht es nicht<br />
um eine juristische Aufarbeitung des<br />
Streitstoffes, sondern um eine interessenorientierte<br />
Konfliktlösung.<br />
Das Pilotprojekt Gerichtsmediation<br />
am Verwaltungsgericht Berlin läuft<br />
seit Oktober 2003. Die Senatsverwaltung<br />
für Justiz hat dem Gericht eine<br />
men, die Mediation da anzubieten, wo<br />
sie von Mandanten nachgefragt wird<br />
oder für diese günstig ist. „Mediation<br />
ist nicht für Mediatoren da. Wir müssen<br />
Unternehmen und Verbrauchern<br />
vermitteln, dass es Alternativen zum<br />
Rechtsstreit gibt“, sagte DAV-Vizepräsident<br />
Rembert Brieske und Berichterstatter<br />
des Arbeitskreises IV. Dann<br />
wird auch die Anekdote Geschichte<br />
sein, die der Moderator des DAV-Forums<br />
Rechtsanwalt Dr. Reiner Ponschab<br />
erzählte: „In großen Kanzleien<br />
fragen sich die Partner immer, ob man<br />
als Mediator zu einer Sekte gehört.“<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />
Berlin<br />
zusätzliche<br />
R 2-Stelle<br />
(Vors. Richter<br />
am VG) zur<br />
Verfügung gestellt,<br />
auf der<br />
ich ausschließlich<br />
als<br />
Mediator arbeite.<br />
Hierfür<br />
hat das Präsidium<br />
des Gerichts<br />
mich zu<br />
100 % von<br />
Rechtsprechungsaufgabenfrei-<br />
� Prof. Dr. Karsten-<br />
Michael Ortloff, Vors.<br />
Richter am Verwaltungsgericht<br />
Berlin<br />
gestellt. Das dürfte bundesweit<br />
einmalig sein!<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Welche Ziele verfolgt<br />
das Berliner Pilotprojekt<br />
Ortloff: Mindestens zwei Ziele sollen<br />
damit erreicht werden: In erster Li-<br />
nie soll herausgefunden werden, ob<br />
diese Form alternativer Konfliktlösung,<br />
die an sich ein außergerichtliches Verfahren<br />
ist, auch gerichtsintegriert funktioniert.<br />
Dabei gibt es im Verwaltungsprozess<br />
ja die Besonderheit, dass dem<br />
Bürger zumeist eine Behörde gegenübersteht,<br />
die nach einer noch verbreiteten<br />
Ansicht wegen der Gesetzesbindung<br />
kaum „Verhandlungsmasse“ hat.<br />
Außerdem geht es darum, die Streitkultur<br />
zu verbessern. Denn wenn die Beteiligten<br />
nicht mehr gegeneinander streiten,<br />
sondern über ihre Interessen reden<br />
– auch die Behördenmitarbeiter verfolgen<br />
Interessen! – und kooperativ über<br />
einen Interessenausgleich verhandeln,<br />
verändern sie ihr Verhalten. Sie gestalten<br />
ihre eigenen Interessen autonom,<br />
statt die Entscheidung auf den Richter<br />
zu delegieren. Diese veränderte Streitkultur<br />
kann sich auch positiv auf die<br />
mündliche Erörterung der Streitsachen<br />
im regulären Prozess auswirken.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wie läuft das Verfahren<br />
ab?<br />
Ortloff: Das Mediationsverfahren<br />
stellt ein möglichst kurzes Zwischenverfahren<br />
dar. Als Gerichtsmediator<br />
darf ich aus Gründen des Datenschutzes<br />
Streitakten nur einsehen, wenn die<br />
Prozessbeteiligten einverstanden sind.<br />
Daher geht die Initiative in einem geeigneten<br />
Fall entweder vom zuständigen<br />
Richter oder von den Beteiligten<br />
aus. Stimmen alle zu, übergibt mir die<br />
zuständige Kammer die Streitakte samt<br />
Verwaltungsvorgängen. Ich schreibe<br />
zunächst den Beteiligten und erläutere<br />
in einem beigefügten Merkblatt das<br />
Verfahren. Dann vereinbare ich mit den<br />
Prozessbeteiligten – und gegebenenfalls<br />
mit weiteren am Konflikt Beteiligten<br />
– einen Verhandlungstermin in der<br />
Regel für drei Stunden. In der nicht öffentlichen<br />
Mediationsverhandlung vereinbaren<br />
alle Seiten Vertraulichkeit.<br />
Der Gerichtsmediator leitet die Gespräche;<br />
dabei gibt er keine rechtlichen<br />
Hinweise und macht auch keine Lösungsvorschläge.<br />
Wenn sich die Beteiligten<br />
einigen, wird dies in einem<br />
Ergebnisprotokoll festgehalten. Prozessbeendigende<br />
Erklärungen müssen<br />
gegenüber der zuständigen Kammer<br />
abgegeben werden; der Gerichtsmediator<br />
gibt die Streitakte – zumeist mit<br />
diesem Protokoll – an die Kammer zurück.<br />
Einigen die Beteiligten sich nicht,<br />
bedarf es auch keiner Protokollierung.<br />
Der Mediator gibt die Streitakte, mit<br />
dem Hinweis auf die Nichteinigung zurück.InbeidenFällensagterdenzuständigen<br />
Richtern nichts über den Inhalt<br />
der Mediationsverhandlung.
230<br />
MN<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Welche Fälle sind für<br />
die Gerichtsmediation geeignet? Wie<br />
hoch ist die Erfolgsquote?<br />
Ortloff: Geeignet sind nach meinem<br />
Eindruck etwa 10 % alle Streitsachen –<br />
beim VG Berlin sind derzeit über<br />
25.000 Verfahren anhängig! Dabei geht<br />
es vor allem um Dauerbeziehungen<br />
zwischen Bürger und Verwaltung oder<br />
auch zwischen Bürgern wie etwa in<br />
bau- und umweltrechtlichen Nachbarstreitigkeiten.<br />
Denn mit der Mediation<br />
soll – anders als durch ein Urteil, das<br />
die Vergangenheit bewältigt – die Zukunft<br />
gestaltet werden. Außerdem sind<br />
Fälle geeignet, die so „verfahren“ oder<br />
„verknotet“ sind, dass jede Entscheidung<br />
neue Prozesse produzieren würde.<br />
Die Erfolgsquote liegt in den seit<br />
Oktober 2003 abgeschlossenen Mediationsverfahren<br />
bei rund 60 %; verlässliche<br />
statistische Werte lassen sich je-<br />
Normen für die Mediation –<br />
Die Vorschläge des DAV<br />
Mediation ist bislang im deutschen<br />
Recht ausdrücklich nicht geregelt.<br />
Das gilt sowohl für das Verfahren<br />
als auch für die Ausbildung zum<br />
Mediator. Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
hat auf dem DAV-Forum Mediation<br />
seine Vorschläge für rechtliche<br />
Rahmenbedingungen vorgestellt. Bemerkenswert<br />
an den vier Thesen:<br />
Der DAV sieht derzeit nur wenig Regelungsbedarf.<br />
„Mediation soll die<br />
Privatautonomie fördern“, sagte<br />
Rechtsanwalt Dr. Christian Duve,<br />
Vorsitzender des DAV-Ausschusses<br />
Außergerichtliche Konfliktbeilegung.<br />
Daher seien alle Regelungen abzulehnen,<br />
die die Privatautononmie gefährdeten.<br />
Das gelte auch für Forderungen,<br />
die Aus- und Fortbildung<br />
zum Mediator zu reglementieren.<br />
„Wir glauben an die Qualitätssicherung<br />
durch den Markt“, betonte<br />
Duve. Eine Regelung des Mediationsverfahrens<br />
sei sinnvoll, solange<br />
es sich um dispositives Recht handele.<br />
Duve kündigte an, dass der<br />
DAV noch im Laufe des Jahres ein<br />
ausführliches Gesetzgebungsmodell<br />
für das Mediationsverfahren erarbeiten<br />
werden.<br />
Die DAV-Vorschläge im Einzelnen:<br />
9 Einer Regelung der Mediation im<br />
novellierten Rechtsberatungsgesetz<br />
bedarf es nicht. Die Assoziierung<br />
und Kooperation mit Mediatoren<br />
doch erst nach einer längeren Zeit<br />
feststellen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Gerichtsmediation<br />
beim Verwaltungsgericht Berlin ist<br />
kostenfrei. Ist es nicht der falsche<br />
Weg, wenn die Justiz Leistungen anbietet,<br />
die Private genauso gut erbringen<br />
könnten?<br />
Ortloff: Zur Zeit: Nein. Denn erstens<br />
gibt es kaum Private, die im Verwaltungsrecht<br />
Mediation anbieten. Das<br />
wird sich ändern, wenn die Verwaltungen<br />
neugierig geworden sein werden<br />
und sich auch auf außergerichtliche<br />
Mediationen einlassen. Außerdem wird<br />
man nach Abschluss dieses Projektes<br />
und nach den Erfahrungen in anderen<br />
Bundesländern mit ähnlichen Projekten<br />
(derzeit an den Verwaltungsgerichten<br />
Freiburg, Hannover und Greifswald)<br />
über die Einführung von<br />
Gerichtsgebühren diskutieren müssen.<br />
nicht juristischer Berufe sollte der<br />
Anwaltschaft ermöglicht werden.<br />
In der Begründung der Vorschläge<br />
heißt es dazu u. a., dass der Mediator<br />
als allparteilicher, unabhängiger Unterstützer<br />
für den Kommunikationsprozess<br />
der Konfliktparteien auftrete.<br />
Sachfragen (und dazu gehörten auch<br />
Rechtsfragen) habe er nicht zu klären.<br />
Bei diesem Verständnis von Mediation<br />
gebe es keinen Konflikt mit<br />
dem Rechtsberatungsgesetz. Der Anwaltschaft<br />
solle es ermöglicht werden,<br />
mit Mediatoren nicht juristischer<br />
Berufe zu kooperieren.<br />
9 Es sind keine gesetzlichen Vorschläge<br />
zur Regelung von Aus- und/<br />
oder Fortbildung zum Mediator/zur<br />
Mediation zu erlassen.<br />
Diese Forderung war auf dem<br />
DAV-Forum Mediation heftig umstritten.<br />
In der Begründung der Vorschläge<br />
wird betont, dass die Parteien<br />
die Möglichkeit haben sollen,<br />
jede Person als Mediator auszuwählen,<br />
die ihnen als Verhandlungshelfer<br />
geeignet erscheint. Zudem sei nicht<br />
gesichert, welche Voraussetzungen<br />
eine qualitativ hochwertige Aus- und<br />
Fortbildung im Bereich der Mediation<br />
erfüllen müsse. Jede Regelung<br />
führe außerdem zu einer nicht gerechtfertigten<br />
Abschottung der Ausgebildeten<br />
gegenüber den Nichtausgebildeten.<br />
AnwBl 4/2004<br />
DAV-Forum Mediation<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Sie sind ein erfahrener<br />
Verwaltungsrichter. Haben Sie<br />
kein ungutes Gefühl, wenn Sie jetzt<br />
als Gerichtsmediator ohne jegliche gesetzliche<br />
Grundlage tätig werden?<br />
Ortloff: Eigentlich nicht. Zwar habe<br />
ich meine Robe ausgezogen, arbeite<br />
ohne die Stütze des Gesetzes und habe<br />
nichts mehr zu „sagen“. Das ist gewöhnungsbedürftig.<br />
Andererseits kann<br />
ich mit professioneller Verhandlungsführung<br />
ohne eigene Entscheidungsmacht<br />
dem Bürger und der Verwaltung<br />
helfen, (wieder) miteinander zu sprechen<br />
und eine für beide akzeptable Lösung<br />
zu erarbeiten. Was eigentlich gibt<br />
es für einen Richter der 1. Instanz<br />
Schöneres als streitenden Menschen<br />
ihre Autonomie zurückzugeben und zu<br />
einem Konsens zu verhelfen, der sicherlich<br />
besser ist als ein Konsenssurrogat<br />
(das Urteil)?! nil<br />
9 Eine Stärkung der gerichtsnahen<br />
Mediation durch ein Verweisungsrecht<br />
des Gerichts oder eine<br />
Prüfungspflicht der Parteien wird<br />
befürwortet. Die Möglichkeit, eine<br />
Kostensanktion zu verhängen, wird<br />
abgelehnt.<br />
Das Verweisungsrecht fordert der<br />
DAV bereits seit 1999. Umstritten ist<br />
darüber hinaus, ob der Einigungsdruck<br />
auf die Parteien im Mediationsverfahren<br />
dadurch erhöht werden soll, dass<br />
bei einer gescheiterten Mediation Kostensanktionen<br />
drohen. Eine solche Regelung<br />
gibt es in Großbritannien.<br />
Diese wird in der Begründung der<br />
Vorschläge abgelehnt.<br />
9 § 769 a ZPO ist durch einen Absatz<br />
2 mit folgendem Wortlaut zu ergänzen:<br />
„Ein Vergleich kann ferner<br />
für vollstreckbar erklärt werden,<br />
wenn die Parteien den Vergleich unter<br />
Einschaltung eines Rechtsanwaltes<br />
als Mediator abgeschlossen haben<br />
(Mediationsvergleich).“<br />
Der Mediationsvergleich – so die<br />
Begründung der Vorschläge – soll den<br />
Anwaltsvergleich erweitern. Ziel ist<br />
es, den Parteien im Mediationsverfahren<br />
die Möglichkeit zu geben, schnell<br />
und einfach einen vollstreckbaren Titel<br />
zu erhalten, sofern ein Rechtsanwalt<br />
als Mediator aufgetreten ist.<br />
Die DAV-Vorschläge zusammen<br />
mit der ausführlichen Begründung<br />
sind im Internet unter http://www.<br />
anwaltverein.de/01/mediation.html<br />
abrufbar. nil
AnwBl 4/2004 231<br />
5 %<br />
Rechtspolitiker setzen sich für das<br />
Gebührenrecht ein<br />
Parlamentarischer Abend: DAV-Vorstand sprach mit Bundestagsabgeordneten<br />
Der Parlamentarische Abend des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Mitte Februar<br />
stand ganz im Zeichen des<br />
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.<br />
„Bei der Wahl des Termins müssen sie<br />
eine Vision gehabt haben“, sagte der<br />
Vorsitzende des Rechtsausschusses im<br />
Bundestag, Andreas Schmidt (CDU),<br />
zu DAV-Präsident Hartmut Kilger. Der<br />
Rechtsausschuss hatte am gleichen<br />
Tag das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />
einstimmig passieren lassen,<br />
das vom Bundestag dann am folgenden<br />
Tag in dritter Lesung beschlossen<br />
wurde. Schmidt und die Bundesjustiz-<br />
� DAV-Vizepräsident Georg Prasser (links) gratulierte Klaus Uwe Benneter<br />
(SPD) zu seiner neuen Aufgabe als SPD-Generalsekretär.<br />
ministerin Brigitte Zypries konnten<br />
auch die gute Nachricht überbringen,<br />
dass sich die Bundesregierung mit den<br />
Ländern auf einen Kompromiss geeinigt<br />
hätte. Mit der Zustimmung des<br />
Bundesrates zu dem Gesetz sei daher<br />
zu rechnen. Der Präsident des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut Kilger<br />
sagte, dass die Anwaltschaft beim<br />
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz „von<br />
der Hoffnung lebe“.<br />
Erfreulich aus Sicht der Anwaltschaft<br />
war das klare Bekenntnis von<br />
Schmidt zu einer gesetzlichen Regelung<br />
des Gebührenrechts. „Die völlige<br />
Liberalisierung des Gebührenrechts<br />
wäre fatal“, so Schmidt. Gesetzliche<br />
Regelungen seien für die Kostenerstattung<br />
im Prozess und die Prozesskostenhilfe<br />
notwendig. Zugleich betonte<br />
er, dass ein Mechanismus gefunden<br />
� DAV-Vizepräsidentin Verena Mittendorf, DAV-Vorstand und<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>-Herausgeber Dr. Michael Kleine-Cosack, Bundesministerin<br />
Brigitte Zypries und DAV-Vizepräsident Dr.<br />
Hans Lühn (v. l. n. r.).<br />
MN<br />
werden müsse, der<br />
eine Anpassung der<br />
Anwaltsvergütung in<br />
den nächsten Jahren<br />
ermögliche. Er<br />
spielte damit darauf<br />
an, dass die Gebühren<br />
der Rechtsanwälte<br />
zuletzt vor<br />
zehn Jahren erhöht<br />
worden seien. „Das<br />
darf sich nicht wiederholen“,<br />
meinte<br />
Schmidt.<br />
Weitere Themen<br />
des Abends: DAV-Präsident Kilger kritisierte<br />
die Pläne der Bundesregierung<br />
zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe.<br />
Bundesjustizministerin<br />
Zypries sprach vor allem zur Reform<br />
des Rechtsberatungsgesetzes. Sie zweifele<br />
daran, dass eine qualitätsvolle<br />
Rechtsberatung nur von berufsrechtlich<br />
gebundenen Personen erbracht werden<br />
könne. Auch außerhalb der Rechtsanwaltschaft<br />
sei Rechtsberatung möglich.<br />
Ausdrücklich nannte sie die Gewerkschaften.<br />
Kilger berichtete, dass<br />
sich der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> mit einem<br />
eigenen Reformentwurf an der<br />
Diskussion beteiligen werde.<br />
� Parteiübergreifende Diskussionen: Andreas Schmidt (CDU, rechts) diskutierte mit Jerzy<br />
Montag (Bündnis 90/Die Grünen, links) und DAV-Präsident Hartmut Kilger.
232<br />
MN<br />
� DAV-Vorstand und <strong>Anwaltsblatt</strong>-Herausgeber<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
(rechts) sprach mit Otto Fricke (FDP).<br />
Der Parlamtentarische Abend findet<br />
jährlich statt. Der Vorstand des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s lädt Bundestagsabgeordnete<br />
und die Spitze des Bundesjustizministeriums<br />
ein, um aktuelle<br />
berufs- und rechtspolitische Themen<br />
außerhalb des Alltagsgeschäfts zu diskutieren.<br />
nil<br />
� Dr. Norbert Röttgen (CDU) im Gespräch<br />
mit DAV-Vorstand Robert Erdrich<br />
(rechts).<br />
Aus der Gästeliste: Andreas<br />
Schmidt (CDU, Vorsitzender des<br />
Rechtsausschusses), Hermann Bachmaier<br />
(SPD, stellvertretender Vorsitzender<br />
des Rechtsausschusses), Dr.<br />
Norbert Röttgen (CDU), Klaus Uwe<br />
Benneter (SPD, designierter Generalsekretär<br />
der SPD), Jerzy Montag<br />
(Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Peter<br />
Danckert (SPD), Ronald Pofalla<br />
(CDU), Jörg van Esssen (FDP), Otto<br />
Fricke (FDP), Rainer Funke (FDP),<br />
Alfred Hartenbach (Parlamentarischer<br />
Staatssekretär des Bundesjustizministeriums),<br />
Hansjörg Geiger<br />
(Staatssekretär des Bundesjustizministeriums),<br />
Brigitte Zypries (Bundesjustizministerin).<br />
� Der Stellvertretende Vorsitzende des<br />
Rechtsausschusses Hermann Bachmaier<br />
(SPD) mit DAV-Vorstand Klaus Zehner (links).<br />
<strong>Deutscher</strong> Anwaltstag<br />
Alte Klage: „Bedenkliche<br />
Überfüllung des<br />
Juristenberufes“<br />
Der Deutsche Anwaltstag in Hamburg<br />
1929 – und 75 Jahre später<br />
„Die deutsche Justizreorganisation<br />
ist jetzt an einem Abschnitt angelangt.<br />
Sie schaut auf den Zeitraum eines halben<br />
Jahrhunderts zurück. Wird man<br />
auch mit gewisser Genugtuung die<br />
Entwicklung der deutschen Rechtseinheit<br />
auf diesem Gebiet, die glückliche<br />
Überwindung vieler Schwierigkeiten<br />
während des Krieges und in der Nachkriegszeit<br />
feststellen können, so kann<br />
man der weiteren Entwicklung und<br />
der Zukunft des deutschen Juristenstandes<br />
noch nicht ohne eine gewisse<br />
Sorge entgegensehen, muss man doch<br />
leider feststellen, dass wie so viele Berufe,<br />
und gerade akademische, in<br />
Deutschland zurzeit stark mit Anwärtern<br />
überfüllt sind. So dies in ganz besonderem<br />
Maße von dem juristischen<br />
Beruf gilt. Der übermäßige Andrang<br />
birgt nicht nur für die betroffene Jugend,<br />
sondern auch für die Allgemeinheit<br />
und vornehmlich für die deutsche<br />
Anwaltschaft schwere Gefahren.<br />
Wie in Zukunft voraussichtlich der<br />
Überfluss an jungen Juristen sich in<br />
die Anwaltschaft ergießen wird, zeigt<br />
deutlich die Entwicklung der Zahl der<br />
Rechtsanwälte in Hamburg in den letzten<br />
Jahren. 1920 hatten wir in Hamburg<br />
329, 1928 525 Rechtsanwälte.<br />
Auch im Reiche kann man mit einer<br />
Verdreifachung der Zahl der juristisch<br />
Studierenden rechnen. Nachdem die<br />
bisherigen staatlichen Versuche, diesen<br />
Zufluss zu stoppen, misslangen, hat der<br />
Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> im Februar ein<br />
Preisausschreiben erlassen: ,Welche<br />
durch Gesetz oder Verordnung einzuführenden<br />
Maßnahmen werden vorgeschlagen,<br />
um eine Überfüllung des<br />
Anwaltsstandes vorzubeugen?‘“<br />
Vieles ist wieder aktuell<br />
Was sich wie eine aktuelle Zusammenfassung<br />
heutiger Probleme der<br />
Anwaltschaft liest, wurde so in der 5.<br />
Beilage zum Hamburger Fremdenblatt<br />
am 12. September 1929 unter dem Titel<br />
„Bedenkliche Überfüllung des Juristenberufes“<br />
veröffentlicht. Der Text<br />
wurde von dem Vorstand der hamburgischen<br />
Justizverwaltung, Senator Dr.<br />
Nöldeke, anlässlich des 24. Deutschen<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Anwaltstages vom 11. bis 14.9.1929<br />
in Hamburg verfasst. Ob das Preisausschreiben<br />
einen Sieger und damit einer<br />
Lösungsansatz für die benannten Probleme<br />
hervorbrachte, konnte nicht<br />
mehr recherchiert werden. Die Fragestellung<br />
an sich ist heute freilich<br />
wieder aktuell.<br />
Nicht der erste Anwaltstag in Hamburg<br />
Der Deutsche Anwaltstag war damals<br />
eine Mitgliederversammlung des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s. 1929 existierte<br />
der <strong>Anwaltverein</strong> beinahe sechs<br />
Jahrzehnte nach seiner Gründung im<br />
Jahre 1871 in Bamberg. In ihm hatten<br />
sich etwa 14.000 der rund 16.000 deutschen<br />
Rechtsanwälten zusammengeschlossen.<br />
Schon vor Gründung des<br />
Vereins hatten in den Vierzigerjahren<br />
des 19. Jahrhunderts drei Anwaltstage<br />
stattgefunden, von denen einer bereits<br />
die Gründung eines deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
in Aussicht genommen hatte.<br />
Seit seiner Gründung im Jahre 1871<br />
hatte der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> vor<br />
1929 bereits 23 ordentliche Anwaltstage<br />
abgehalten, sodass der 1929 in<br />
Hamburg durchgeführte Anwaltstag der<br />
24. in der Gesamtreihe und der zweite in<br />
der Hansestadt war. Weitere drei Anwaltstage<br />
wurden in der Folgezeit in<br />
Hamburg abgehalten. In den ersten Jahrzehnten<br />
des Bestehens des Deutschen<br />
Anwaltsvereins lag der Schwerpunkt<br />
seiner Tätigkeit in der Veranstaltung<br />
dieser Anwaltstage, die sich mit einer<br />
Fülle wichtiger Fragen der Gesetzgebung<br />
und des Standes befassten.<br />
Bereits 1929 stellte die wachsende<br />
Zahl der Anwälte eine Besorgnis für<br />
die Anwaltschaft dar. Stichworte wie<br />
Freizügigkeit der Advokatur, Beschränkung<br />
der Zahl der Richter sowie<br />
Einführung eines Numerus clausus fielen<br />
in diesem Zusammenhang und<br />
wurden auf dem damaligen Anwaltstag<br />
erörtert.<br />
Lockerung der Gebührenordnung<br />
Aber auch andere Themen waren<br />
von großem Belang, wie Auszüge aus<br />
dem Hamburger Fremdenblatt sowie<br />
den Hamburger Nachrichten zeigen.<br />
Die Reichsgebührenordnung für die<br />
Rechtsanwaltschaft wurde diskutiert.<br />
Insbesondere wurde über eine Lockerung<br />
der Gebührenordnung nachgedacht.<br />
Auch wurde der Grundsatz<br />
der Erstattungspflicht kritisiert. Heute<br />
steht das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />
unmittelbar vor seinem<br />
Abschluss und wird sicherlich auf dem
AnwBl 4/2004 233<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
� Das „Hamburger Fremdenblatt“ berichtete vor 75 Jahren in einer Sonderbeilage über den 24. Deutschen Anwaltstag in Hamburg.
234<br />
MN<br />
55. Deutschen Anwaltstag im Jahr<br />
2004 diskutiert werden. Es sieht nach<br />
wie vor die gesamte Erstattung der<br />
Kosten des Rechtsstreites vor.<br />
Nichtanwaltliche Konkurrenz<br />
Gegenüber dem <strong>Anwaltverein</strong><br />
wurde die Forderung laut, dieser habe<br />
als Kollektivum dafür Sorge zu tragen,<br />
dass die Anwaltschaft ihrer Aufgabe<br />
der Rechtsberatung umfassend nachkommen<br />
könne, auch und gerade im<br />
Eigeninteresse der Anwälte. Als unterversorgt<br />
und unterbesetzt wurde z. B.<br />
das Gebiet der Beratung Minderbemittelter<br />
und der gesamte Amtsgerichtsprozess<br />
angesehen. Man hatte diese<br />
Aufgaben Konkurrenten oder dem Vater<br />
Staat überlassen, nicht ohne diese<br />
zu schelten. Es wurde bemängelt, die<br />
Anwaltschaft habe keine anwaltliche<br />
Rechtsauskunftsstelle organisiert.<br />
Auch damit könne der Anwalt durchaus<br />
sein Brot verdienen. Als eine der<br />
bedenklichsten Erscheinungen für das<br />
Tätigkeitsgebiet der Anwälte wurde<br />
die Flucht der Wirtschaft von den ordentlichen<br />
Gerichten hin zu Schiedsgerichten<br />
genannt. Dem <strong>Anwaltverein</strong><br />
und der Anwaltskammer wurde vorgeworfen,<br />
sie hätten nichts unternommen,<br />
diese Bewegung abzufangen. Vor<br />
allem wurde gerügt, dass es bis dato<br />
unterlassen wurde, einen Antrag auf<br />
Zulassung anwaltlicher Gütestellen zu<br />
stellen.<br />
Im Vergleich zur heutigen Zeit haben<br />
sich die Rahmenbedingungen<br />
zwar grundlegend geändert, gleichwohl<br />
ist auch der heutige Anwalt der<br />
Konkurrenz nichtanwaltlicher Berater<br />
ausgesetzt. Beispielsweise versuchen<br />
Versicherer, karitative Verbände sowie<br />
Inkassounternehmen Tätigkeitsgebiete<br />
für sich zu vereinnahmen, bei denen<br />
es die Anwaltschaft offensichtlich versäumt,<br />
diese für sich zu besetzen.<br />
Rechtsanwälte als Richter?<br />
Der damalige Präsident des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Justizrat Dr. Drucker,<br />
erinnerte am 10. September 1929<br />
anlässlich des Empfangs des Senats im<br />
Hamburger Rathaus in seiner Erwiderung<br />
auf die Ansprache des Bürgermeisters<br />
Dr. Petersen an die Hamburger<br />
Niedergerichtsordnung von 1622,<br />
wonach die Urteiler, also die Richter,<br />
sich vom Rat der Stadt einen oder<br />
zwei Prokuratoren erbitten konnten,<br />
die mit ihnen in die Rechtsfindung gehen<br />
oder gar die Rechtsfindung selbst<br />
einbringen sollten. Der Richter konnte<br />
also zeitweilig seinem Amte zu Gunsten<br />
des Rechtsanwalts entsagen. Heute<br />
gibt es in der Rechtspolitik durchaus<br />
Denkmodelle, wonach Rechtsanwälte<br />
zugleich auch Richter sein sollen.<br />
Auch mit diesem Thema beschäftigt<br />
sich die Anwaltschaft heute und damit<br />
auch der kommende Anwaltstag.<br />
Die Diskussion um Fachanwaltschaften<br />
Eine Stärkung der Stellung des Anwalts<br />
gegenüber den nichtanwaltlichen<br />
Beratern sollte die Einführung der<br />
Fachanwaltschaft im Sinne der Kundmachungserlaubnis<br />
bewirken. Hervorzuheben<br />
sind hier die Gebiete des<br />
Steuerrechts und des Verwaltungsrechts.<br />
In der Abgeordnetenversammlung<br />
am 11. September 1929 im Hotel<br />
Esplanade sprach sich der Abgeordnete<br />
Rechtsanwalt Dr. Hally II (Dresden)<br />
für die Einführung der Fachanwaltschaft<br />
aus. Gleichzeitig lehnte<br />
er aber die Einführung von Vorbeugungsmaßregeln<br />
ab, wie z. B. das Verbot<br />
des gleichzeitigen Betriebs der allgemeinen<br />
Praxis sowie die Einführung<br />
von Prüfungen, Befähigungsnachweisen<br />
oder Konzessionen. Er empfahl jedoch<br />
den Erwerb des Fachanwaltstitels<br />
nur nach 10-jähriger Zulassung als<br />
Anwalt.<br />
Bis heute ist die Diskussion um die<br />
Fachanwaltschaften nicht beendet. Allerdings<br />
wird heute nur noch um die<br />
Frage der Zulassung weiterer Fachanwaltschaften<br />
auf bestimmten Gebieten,<br />
nicht mehr über die Fachanwaltschaft<br />
an sich diskutiert.<br />
<strong>Deutscher</strong> Anwaltstag 2004<br />
Die Themen des 24. Deutschen Anwaltstages<br />
im Jahre 1929 haben wieder<br />
an Aktualität gewonnen und werden<br />
auch den 55. Anwaltstag 2004 in Hamburg<br />
inhaltlich prägen. Die Anwaltszahlen<br />
haben sich in den letzten zehn<br />
Jahren von rund 60.000 auf 120.000<br />
verdoppelt – im selben Zeitraum hat<br />
der Umsatz der gesamten Anwaltschaft<br />
pro Kopf aber um ein Fünftel abgenommen:<br />
ein dramatisches Verhältnis.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung<br />
haben die Fragen nach der<br />
Einkommenssituation und der -entwicklung<br />
der Anwaltschaft, das Massenproblem<br />
sowie der Regelung des<br />
Zugangs akut an Bedeutung gewonnen.<br />
Das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />
belegt augenscheinlich die Tatsache,<br />
dass auch das Modell der an-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
waltlichen Vergütung insgesamt<br />
Gegenstand der Diskussion ist.<br />
Die Anwaltschaft muss sich zudem<br />
darauf konzentrieren, den eigenen<br />
Nachwuchs auszubilden. Nur mit einem<br />
kompetenten Anwaltsnachwuchs<br />
kann sie sich und ihre eigenen Felder<br />
verteidigen, und zwar nicht untereinander,<br />
sondern gegenüber Dritten.<br />
Die Tätigkeit von Nichtjuristen auf<br />
dem Rechtsberatungsmarkt muss von<br />
der Anwaltschaft genau beobachtet<br />
werden, insbesondere im Hinblick darauf,<br />
dass das Rechtsberatungsgesetz<br />
vor einer Novellierung steht und EU-<br />
Kommissar Monti die Frage aufgeworfen<br />
hat, inwieweit man bisher eindeutig<br />
den Rechtsanwälten zugeordnete<br />
Tätigkeiten für jedermann freigeben<br />
könne.<br />
Motto: Zukunft der Anwaltschaft<br />
Mit dem 55. Deutsche Anwaltstag<br />
vom 20. bis 22. Mai 2004 im Congresscenter<br />
(CCH) findet zum sechsten<br />
Mal ein Anwaltstag in Hamburg<br />
statt. Über die Fachveranstaltungen hinaus<br />
steht die Veranstaltung unter einem<br />
durchlaufenden Konzept mit dem<br />
Motto „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
und verfügt damit über ein Programm,<br />
welches sich u. a. mit oben benannten<br />
Themen beschäftigen wird. Die Anwaltschaft<br />
setzt sich hier in mehreren<br />
Schritten mit ihrem Stand im Wandel<br />
der Zeit auseinander. Wird zunächst<br />
der Anwalt auf dem Dienstleistungsmarkt<br />
dargestellt und analysiert, wendet<br />
sich die Veranstaltung danach dem<br />
Thema Konfliktlösung „ohne Recht“<br />
zu. In einem dritten Schritt werden<br />
Vorschläge diskutiert, wie sich die Anwaltschaft<br />
auf dem Markt besser positionieren<br />
kann und muss. Abschließend<br />
wird sich ein letzter Teil der<br />
Veranstaltung mit den Sicherungssystemen<br />
der Anwaltschaft beschäftigen.<br />
Auch wenn der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
seit den ersten Anwaltstagen inzwischen<br />
eine Anzahl von Aufgaben,<br />
die seinerzeit dem Anwaltstag zufielen,<br />
einer von den Mitgliedern des Vereins<br />
gewählten Abgeordnetenversammlung<br />
übertragen hat, so ist und bleibt er<br />
doch die Zusammenkunft, in der die<br />
grundsätzlichen Fragen, welche den<br />
Anwaltsstand angehen, erörtert und zu<br />
Gehör gebracht werden. Mit Hamburg<br />
für den 55. Deutschen Anwaltstag im<br />
Jahr 2004 hat der DAV einen in jeder<br />
Hinsicht passenden Ort gewählt.<br />
Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin
AnwBl 4/2004 235<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
DAV-Rednerwettstreit auf<br />
dem Deutschen Anwaltstag<br />
Anwältinnen und Anwälte<br />
mit Rhetorik – wieder<br />
DAV-Rednerwettstreit<br />
Auch beim 55. Deutschen Anwaltstag,<br />
der vom 20. bis 22. Mai 2004 in<br />
Hamburg stattfindet, gibt es wieder<br />
den DAV-Rednerwettstreit.<br />
Anwaltliche Tätigkeit lebt nicht zuletzt<br />
von dem Umgang mit der Sprache.<br />
Als der DAV den Rednerwettstreit<br />
aus der Taufe gehoben hat, musste<br />
festgestellt werden, dass der Sprache<br />
und dem Umgang mit ihr in Deutschland<br />
kein angemessener Stellenwert<br />
zukommt. So gibt es auch noch Nachholbedarf<br />
im Vergleich zu anderen<br />
Ländern. In Frankreich gibt es mehrere<br />
Rednerwettstreite und Rednerwettbewerbe<br />
für Juristen und für<br />
Nichtjuristen. Das Fach Rhetorik spielt<br />
in Deutschland an den Universitäten<br />
so gut wie keine Rolle. In der Ausbildung<br />
zur Anwaltschaft kommt sie bisher<br />
nicht vor.<br />
Dieser Wettbewerb dient dazu das<br />
Bewusstsein für dieses Problem zu<br />
schaffen. Ein weiterer Zweck ist es,<br />
auch Talente zu finden, die vielleicht<br />
bisher kein Forum hatten.<br />
Teilnehmen können alle Anwältinnen<br />
und Anwälte, die Mitglied eines<br />
örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>s sind, die Mitglieder<br />
des Forums Junge Anwaltschaft<br />
und die Teilnehmer der DAV-<br />
Anwaltausbildung. Sie dürfen zum<br />
Zeitpunkt des Vortrages am 20. Mai<br />
2004 in Hamburg nicht älter als 39<br />
Jahre sein. In diesem Jahr werden, anders<br />
als in den vergangenen Jahren,<br />
nicht drei, sondern nur zwei Themen<br />
vorgegeben. Allerdings haben die Teilnehmer<br />
auch die Möglichkeit ein eigenes<br />
Thema ihrer Wahl festzulegen.<br />
Die vorgegebenen Themen lauten:<br />
9 Das Kreuz mit dem Kopftuch<br />
9 Sind Anwälte wirklich „Edel und<br />
Star(c)k“?<br />
Die Themen sind dabei bewusst<br />
auch so gesetzt, dass man außerhalb<br />
der engen Berufstätigkeit auch in ironischer<br />
oder künstlerischer Weise auf<br />
den Anwaltsbereich übergreifen kann.<br />
Der Jury ist daran gelegen, dass durchaus<br />
Themenbereiche aufgearbeitet werden,<br />
die nicht direkt die anwaltliche<br />
Arbeit wiederspiegeln. Einen rhetorisch<br />
geschlagenen Anwalt muss es<br />
auch auszeichnen, dass er mit nicht<br />
sehr fachgebundenen Themenbereichen<br />
sprachlich gut umgehen kann. Die Teil-<br />
nehmerinnen und Teilnehmer müssen<br />
ihre Rednerbeiträge bis zum 25. April<br />
2004 beim DAV einreichen. Die Jury<br />
ist hochkarätig besetzt. Neben dem<br />
Vorsitzenden der Jury, Rechtsanwalt<br />
Georg Prasser, Vizepräsident des DAV,<br />
gehören Präsident des Verbandes Redenschreiber,<br />
Dr. Thilo von Trotha,<br />
der Inhaber des einzigen Lehrstuhls in<br />
Tübingen für allgemeine Rhetorik,<br />
Prof. Dr. Gert Ueding, und die Justizsenatorin<br />
a. D., Dr. Lore Peschel-Gutzeit<br />
dazu. Daneben als anwaltliche<br />
Vertreter noch den Vizepräsidenten<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer, Dr.<br />
Ulrich Scharf und Rechtsanwalt Dr.<br />
Bernd Hirtz.<br />
Als Preise werden vergeben:<br />
2.500 E (1.Preis), 1.000 E (2.Preis)<br />
und 500 E (3.Preis).<br />
Die Ausschreibung und die Teilnehmerbedingungen<br />
finden Sie im Internet<br />
unter www.anwaltverein.de/<br />
DAT/index.html.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
Berlin<br />
Pressemitteilungen<br />
Lob und Tadel für<br />
Bundesverfassungsgericht<br />
DAV fordert Politik bei Sicherungsverwahrung<br />
zu Augenmaß auf<br />
Auf die beiden Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen<br />
vom 5.2 und<br />
10.2.2004 zur nachträglichen bzw. vorbehaltenen<br />
(zeitlich nicht befristeten)<br />
Sicherungsverwahrung hat der Deutsche<br />
<strong>Anwaltverein</strong> (DAV) unterschiedlich<br />
reagiert. Besorgnis erregend sei die<br />
Reaktion der Politik, schnellstmöglich<br />
handeln zu wollen und damit unter<br />
Druck setzt. „Dabei darf es für die Bundesregierung<br />
und die Opposition nicht<br />
darum gehen, die Lufthoheit über die<br />
Stammtische zu gewinnen“, so Rechtsanwalt<br />
Georg Prasser, Vize-Präsident<br />
des DAV. Vielmehr müsste ein Diskussionsentwurf<br />
erarbeitet werden, der mit<br />
Augenmaß alle Interessen berücksichtigt<br />
und gerichtliche Überprüfungen der<br />
Entscheidungen ermöglicht.<br />
Zunächst sei es erfreulich und beruhigend,<br />
dass das Bundesverfassungsgericht<br />
zum einen deutlich gemacht<br />
habe, Sicherungsverwahrung dürfe<br />
nicht einfach lebenslanges Wegsperren<br />
bedeuten. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht<br />
klargestellt, dass<br />
die Hoffnung auf Besserung nie aufgegeben<br />
werden dürfe und dazu einige<br />
Vorgaben formuliert, an denen sich die<br />
Praxis orientieren wird. So muss beispielsweise<br />
regelmäßig überprüft werden,<br />
ob die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung<br />
im konkreten Fall<br />
noch gegeben sind. Auch bezüglich<br />
der praktischen Ausgestaltung des Verwahrvollzugs<br />
wurden Vorgaben erteilt,<br />
die letztlich sicherstellen sollen, dass<br />
auch bei Sicherungsverwahrung das<br />
Recht auf ein menschenwürdiges Leben<br />
gewährleistet ist.<br />
Auch sei die Entscheidung vom<br />
10.2.2004, mit der das Bundesverfassungsgericht<br />
die von einigen Bundesländern<br />
geschaffene Möglichkeit, gefährliche<br />
Straftäter nach Verbüßung<br />
ihrer Haft weiterhin in Gewahrsam zu<br />
halten, für verfassungswidrig erklärt<br />
hat, so erwartet worden. Der DAV hatte<br />
bereits vor Erlass seiner (verfassungswidrigen)<br />
Ländergesetze im Zuge von<br />
Anhörungsverfahren zu den Gesetzesvorhaben<br />
darauf hingewiesen, dass<br />
diese u. a. wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz<br />
der Länder massiven<br />
Bedenken begegneten. Irritierend<br />
und unverständlich sei jedoch, dass das<br />
Bundesverfassungsgericht die verfassungswidrigen<br />
Gesetze bis zum<br />
30.9.2004 fortgelten lasse. Dies unter<br />
zwei Aspekten: Erstens gälten damit<br />
Gesetze, die der zuständige Gesetzgeber<br />
– der Bund – gerade nicht habe erlassen<br />
wollen. Zweitens habe der Bund<br />
jetzt politisch keine andere Wahl, als<br />
diese Gesetze eben doch zu erlassen.<br />
Könnten in Zukunft kleine Einheiten<br />
Vorschriften aufstellen, für die sie nicht<br />
zuständig sind? Was mache das Bundesverfassungsgericht,<br />
wenn demnächst<br />
eine Kommune etwa auf Grund ihrer<br />
Satzung zur Gefahrenabwehr (und zur<br />
Aufrechterhaltung von Sicherheit und<br />
Ordnung) als gefährlich eingeschätzte<br />
Menschen kurzerhand inhaftiere? Blieben<br />
diese dann ebenfalls in Haft, bis das<br />
insoweit gesetzgebungskompetente Organ<br />
(Landes- oder Bundesgesetzgeber)<br />
die Gelegenheit hatte, selbst eine entsprechende<br />
gesetzliche Grundlage für<br />
die Inhaftierung zu schaffen?<br />
Weil das Gericht aus Respekt vor<br />
den guten Absichten des unzuständigen<br />
Gesetzgebers auf klare Konsequenzen<br />
verzichte, entwerte es wichtige<br />
Schutzmechanismen.<br />
(DAV-Pressemitt. 06/04)
236<br />
MN<br />
Anwälte lehnen EU-Asylverfahrensrichtlinie<br />
ab<br />
Der Entwurf für eine gemeinsame<br />
Asylverfahrensrichtlinie stand am 19.<br />
und 20.2.2004 auf der Tagesordnung<br />
der Ratssitzung der Justiz- und Innenminister<br />
der EU-Mitgliedsstaaten in<br />
Brüssel.<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Ausländer-<br />
und Asylrecht im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />
(DAV) lehnte in einer gemeinsamen<br />
Stellungnahme mit<br />
verschiedenen Menschenrechtsorganisationen,<br />
so unter anderem amnesty<br />
international und ProAsyl, diese EU-<br />
Asylverfahrensrichtlinie entschieden<br />
ab und warnte vor ihrer Verabschiedung.<br />
Der derzeitige Entwurf würde<br />
einen starken Rückschritt für den europäischen<br />
Flüchtlingsschutz bedeuten<br />
und stehe nicht im Einklang mit internationalen<br />
Standards. Besonders bedenklich<br />
sei die vorgesehene Drittstaatenregelung,<br />
wonach auch solche<br />
Problemstaaten wie Russland, Weißrussland<br />
und die Ukraine potenziell als<br />
sichere Drittstaaten angesehen werden<br />
sollen. Besorgnis erregend wäre auch<br />
der künftige fehlende Rechtschutz von<br />
Flüchtlingen gegen abgelehnte Asylanträge<br />
durch die Ausweitung so genannter<br />
beschleunigter Verfahren.<br />
„Die Bundesregierung soll ihren<br />
Versuch aufgeben, die deutsche Drittstaatenregelung<br />
in der künftigen Asylverfahrensrichtlinie<br />
der EU zu verankern“,<br />
so Rechtsanwältin Susanne<br />
Schröder, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaften<br />
Ausländer- und Asylrecht<br />
im DAV.<br />
Die gemeinsame Stellungnahme zu<br />
dem Entwurf der EU-Verfahrensrichtlinie<br />
finden Sie im Internet unter<br />
http://www.anwaltverein.de/05/28/<br />
06.html. (DAV-Pressemitt. 05/04)<br />
DAV begrüßt Überlegungen<br />
für eine Reform des<br />
Strafverfahrens<br />
Der von den Regierungsfraktionen<br />
im Februar der Öffentlichkeit vorgestellte<br />
Diskussionsentwurf zur Reform<br />
des Strafverfahrens wird vom<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (DAV) in einer<br />
ersten Stellungnahme positiv bewertet.<br />
Bemerkenswert sei, dass nach<br />
Jahrzehnten punktueller – teilweise unnötiger,<br />
teilweise kontraproduktiver –<br />
Versuche, Strafverfahren zu beschleunigen,<br />
dem Gesetzgeber es nunmehr<br />
erkennbar um eine qualitative Verbesserung<br />
des Strafverfahrens gehe.<br />
„Das Bemühen, die berechtigten<br />
Interessen des Angeklagten, die des<br />
Staates und Opferschutzüberlegungen<br />
auswogen zu berücksichtigen, ist<br />
unübersehbar“, so DAV-Vizepräsident<br />
Georg Prasser in einer ersten Bewertung.<br />
So gelte es die Unschuldsvermutung<br />
einerseits gegenüber dem Interesse<br />
an effektiver Strafverfolgung<br />
auszugleichen. Sicherlich müssten die<br />
Vorschläge im Einzelnen nunmehr kritisch<br />
auf ihre Zweckmäßigkeit hin untersucht<br />
und diskutiert werden.<br />
„Die Anwaltschaft freut sich auf<br />
diese Diskussion“, so Prasser. Dabei<br />
müsse im Detail untersucht werden,<br />
ob nicht der ein oder andere Vorschlag<br />
zu weit gehe, andere Ideen aber noch<br />
mutiger umgesetzt werden müssten,<br />
als dies die Koalition vorschlage.<br />
„Schließlich wird es auf die Ausgewogenheit<br />
einer reformierten Strafprozessordnung<br />
im Ganzen ankommen“,<br />
so Prasser weiter.<br />
(DAV-Pressemitt. 04/04)<br />
Neue Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwältinnen<br />
Die Ziele der neuen<br />
Arbeitsgemeinschaft<br />
Gründungsversammlung auf dem<br />
Anwaltstag im Mai<br />
Über den Arbeitskreis „Anwältinnen<br />
im DAV“ wurde an dieser Stelle<br />
bereits mehrfach berichtet. Das im Vergleich<br />
zu ihren männlichen Kollegen<br />
deutlich geringere Einkommen und das<br />
gesellschaftliche Bild, wonach Frauen<br />
in Führungsgremien offenkundig unterrepräsentiert<br />
sind (übrigens auch in<br />
den Organen des DAV) waren die<br />
Hauptgründe für die Einsetzung des<br />
Arbeitskreises. Einmal angefangen, die<br />
Ursachen hierfür zu untersuchen, eröffneten<br />
sich dem Arbeitskreis immer<br />
neue Perspektiven, wie die Situation<br />
der Anwältinnen verbessert werden<br />
könnte. Aus der Erkenntnis, dass diese<br />
Aufgabe in Umfang und Bedeutung<br />
die Kapazität eines Arbeitskreises<br />
übersteigt, hat der Vorstand des DAV<br />
in seiner Sitzung am 11.2.2004 beschlossen,<br />
die Arbeitsgemeinschaft<br />
„Anwältinnen im DAV“ zu gründen.<br />
Wir haben uns das Ziel gesetzt, die<br />
speziellen Belange der Berufstätigkeit<br />
der Rechtsanwältinnen im Einvernehmen<br />
mit dem DAV zu fördern, um die<br />
paritätische Teilhabe der Rechtsanwäl-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
tinnen erwerbswirtschaftlich und berufspolitisch<br />
herzustellen und zu sichern.<br />
Hierzu haben wir uns für dieses<br />
Jahr folgende Schwerpunkte gesetzt:<br />
9 Fortbildung speziell für Anwältinnen,<br />
z. B. durch Seminare zum<br />
Thema Honorarverhandlungen,<br />
Kommunikation und Selbstmanagement;<br />
9 Förderung der Vereinbarkeit von Familie<br />
und Karriere, z. B. durch Auszeichnung<br />
von Kanzleien mit familienfreundlichen<br />
Arbeitszeitmodellen;<br />
9 Aufbau eines berufsspezifischen<br />
Netzwerkes und Kooperation mit<br />
branchenübergreifenden Netzwerken<br />
(monatlicher Newsletter);<br />
9 Mentoring (persönliche Berufs- und<br />
Karriereberatung durch erfahrene<br />
Anwältinnen);<br />
9 Öffentlichkeitsarbeit zur Stärkung<br />
des Berufsprofils der Anwältinnen.<br />
Wer Interesse hat, sich mit anderen<br />
Kolleginnen als Anwältin in eigener<br />
Sache zu engagieren, sollte der Arbeitsgemeinschaft<br />
„Anwältinnen im<br />
DAV“ beitreten. Interessierte Kolleginnen<br />
und Kollegen sind aufgerufen, zur<br />
Gründungsveranstaltung auf dem DAT<br />
am 20.5.2004 um 16:00 Uhr im CCH<br />
Congress Centrum Am Dammtor,<br />
20335 Hamburg zu erscheinen.<br />
Rechtsanwältin Ute Stattler, Berlin<br />
Einladung zur Gründung der<br />
Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwältinnen im DAV<br />
Hiermit wird eingeladen zur<br />
Gründungsversammlung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Anwältinnen am<br />
Donnerstag, dem 20.5.2004,<br />
16.00 èUhr – 18.00 èUhr<br />
CCH Congress Centrum<br />
Am Dammtor/Marseiller Str.è2<br />
20335 Hamburg<br />
Tagesordnung:<br />
1. Gründungsbeschluss<br />
2. Beschlussfassung über die Geschäftsordnung<br />
3. Beitritt der Gründungsmitglieder<br />
4. Wahl des ersten Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
5. Beschlussfassung über die Höhe<br />
des Mitgliedsbeitrages<br />
6. Verschiedenes<br />
Frau Kollegin Sabine Leutheusser-<br />
Schnarrenberger, Justizministerin<br />
a. D., wird die Veranstaltung mit einem<br />
einführenden Vortrag eröffnen.
AnwBl 4/2004 237<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Ihre Anmeldungen zur Gründungsversammlung,<br />
Kandidaturen für die<br />
Wahl zum Geschäftsführenden Ausschuss<br />
und weitere Vorschläge zur Tagesordnung<br />
werden erbeten bis<br />
30.4.2004 an die Geschäftsstelle des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s e.V, z. Hd.<br />
Annegret Seiffert, Littenstr. 11, 10179<br />
Berlin, Tel.: 0 30/7 26 15 21 47, Fax:<br />
0 30/7 26 15 21 96, seiffert@anwaltverein.de<br />
Ansprechpartner in der DAV-Geschäftsführung<br />
ist Rechtsanwältin<br />
Dr. Malaika Ahlers, Littenstr. 11,<br />
10179 Berlin, Tel.: 0 30/7 26 15 21 27,<br />
Fax: 0 30/7 26 15 21 96, ahlers@<br />
anwaltverein.de.<br />
AG Sportrecht<br />
Mitgliederversammlung 2004<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />
im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> lädt<br />
ein zur Mitgliederversammlung am<br />
11.6.2004, 17:30 Uhr, Maritim<br />
Strandhotel Travemünde, Trelleborgallee<br />
2, 23570 Lübeck-Travemünde.<br />
Tagesordnung:<br />
1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses und Aussprache<br />
2. Kassenberichte 2002 und 2003 und<br />
Aussprache<br />
3. Wahl des Kassenprüfers und seines<br />
Stellvertreters für das Haushaltsjahr<br />
2004<br />
4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
5. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
6. Termine 2005<br />
7. Verschiedenes<br />
Nach § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung<br />
der Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />
sind Anträge und Ergänzungen<br />
zur Tagesordnung bis 21 Tage vor der<br />
Mitgliederversammlung an die Geschäftsstelle<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
(Littenstr. 11, 10179 Berlin) zu richten.<br />
FORUM Junge Anwaltschaft<br />
Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung<br />
Ich möchte alle Mitglieder des<br />
FORUMs Junge Anwaltschaft zur Mitgliederversammlung<br />
am 21.5.2004 von<br />
15.00 Uhr bis 17.00 Uhr im Congress<br />
Centrum Hamburg einladen.<br />
Tagesordnung:<br />
1. Begrüßung<br />
2. Feststellung der Beschlussfähigkeit<br />
3. Genehmigung der Tagesordnung<br />
4. Verlesung und Genehmigung des<br />
Protokolls der letzten MV<br />
5. Bericht des Vorsitzenden mit Vorstellung<br />
neuer Projekte<br />
6. Bericht des Schatzmeisters<br />
7. Bericht der Kassenprüfer<br />
8. Entlastung des GFA<br />
9. Wahl der Kassenprüfer<br />
10. Antrag auf Satzungsänderung (Anpassung<br />
des Wortlauts der Geschäftsordnung<br />
an die neuen gesetzlichen<br />
Regelungen zur<br />
Juristenausbildung)<br />
11. Allgemeine Aussprache und Sonstiges<br />
Rechtsanwalt Martin Lang, Vorsitzender<br />
des Forum Junge Anwaltschaft<br />
AG Ausländer- und<br />
Asylrecht<br />
Einladung zur Mitgliederversammlung<br />
2004 in Köln<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
der Arbeitsgemeinschaft Ausländerund<br />
Asylrecht im DAV lädt alle Mitglieder<br />
ein zur Mitgliederversammlung<br />
am Samstag, den 5.6.2004, von<br />
14.00 bis ca. 16.00 Uhr, im Kolpinghaus<br />
International in Köln, St.-<br />
Apern-Straße 32, 50667 Köln, Tel.:<br />
0221/20 930.<br />
Vorschlag zur Tagesordnung:<br />
TOP 1 Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
TOP 2 Bericht des Schatzmeisters<br />
TOP 3 Bericht des Kassenprüfers<br />
TOP 4 Aussprache zu Punkten 1–3<br />
TOP 5 Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
TOP 6 Wahl eines Kassenprüfers<br />
TOP 7 Festsetzung des Mitgliedsbeitrages<br />
TOP 8 Verleihung der Ehrenmitgliedschaft<br />
an Prof. Dr. Holger<br />
Hoffmann<br />
TOP 9 Anregung für Aktivitäten der<br />
Arbeitsgemeinschaft (Fortbildung,<br />
Sonstiges)<br />
TOP 10 Verschiedenes<br />
Anträge von Mitgliedern sind auf<br />
die Tagesordnung zu setzen, wenn sie<br />
spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />
dem Geschäftsführenden<br />
Ausschuss schriftlich vorliegen und<br />
von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt<br />
werden (§ 6 Abs. 3 der GO).<br />
Bitte schicken Sie die Anträge an die<br />
Geschäftstelle der Arbeitsgemeinschaft<br />
beim Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>,<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin.<br />
Die Vorsitzende Rechtsanwältin<br />
Susanne Schröder, Hannover<br />
Personalien<br />
Georg Greißinger 70<br />
Am 13. Februar 2004 hat unser Georg<br />
Greißinger in Hildesheim seinen<br />
70. Geburtstag gefeiert – in großer<br />
Runde und in alter Frische. Er hatte –<br />
frei nach Albert Schweizer – das Motto<br />
ausgegeben, das Alter runzle zwar<br />
die Haut, aber die Seele runzle nur,<br />
wenn der Enthusiasmus nachlasse.<br />
Enthusiasmus ist, was Georg Greißinger<br />
auszeichnet, Enthusiasmus für seinen<br />
Beruf und für die Basis. Für das Verkehrsrecht<br />
zuerst, Existenzgrundlage für<br />
viele Anwälte. Sein jahrzehntelanger<br />
Einsatz auf diesem Gebiet ist inzwischen<br />
jedermann geläufig, er dauert in alter Intensität<br />
noch heute an. Dann aber auch<br />
für den rechtssuchenden Verbraucher:<br />
das Beratungshilfegesetz trägt seine<br />
Handschrift. Und schließlich im Einsatz<br />
für das Allgemeine, im <strong>Anwaltverein</strong><br />
vornehmlich, verbunden mit allen Aufgaben,<br />
die dort zu bewältigen sind. Greißinger<br />
war schließlich Vizepräsident des<br />
DAV, blieb aber immer, ich wiederhole<br />
es, der Basis verbunden. Seine Verdienste<br />
sind anderweitig umfangreich im Einzelnen<br />
gewürdigt: er erhielt im Jahr 2002<br />
das Ehrenzeichen der deutschen Anwaltschaft<br />
– als ein Anwalt, der die Sorgen<br />
und Nöte unserer Kolleginnen und Kollegen<br />
kannte wie kein anderer.<br />
Und die Sorge, daß Georg Geißinger<br />
nach seinem Siebzigsten in seinem<br />
Enthusiasmus nachlassen werde,<br />
braucht uns keine Runzeln auf die<br />
Stirn treiben: am Höhepunkt seiner<br />
Geburtstagsfeier erklärte er laut und<br />
deutlich, er könne vom Anwaltsberuf<br />
nicht lassen. Etwas anderes hätte seine<br />
Frau, die ihn 40 Jahre kennt, wohl<br />
auch gar nicht erwartet. Wir alle gratulieren<br />
Georg Greißinger herzlich zum<br />
runden Geburtstag und wünschen ihm<br />
ein langes, weiter gesundes Leben!<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Auszeichnung von Anwälten<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Heinrich<br />
Albert Ku h r, Münster, das Verdienstkreuz<br />
1. èKlasse des Verdienstordens<br />
der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Frau<br />
Rechtsanwältin Christiane S c h r e i b e r,<br />
St. Wendel, das Verdienstkreuz 1. Klasse<br />
des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.
238<br />
MN EUROPA<br />
Montis Bericht über den Wettbewerb<br />
bei freiberuflichen Dienstleistungen<br />
Die Kommission der Europäischen<br />
Gemeinschaft hat am 9. Februar 2004<br />
den Bericht über den Wettbewerb bei<br />
freiberuflichen Dienstleistungen vorgelegt.<br />
Und was steht nun in dem sogenannten<br />
Monti-Bericht? Zunächst<br />
einmal nichts Überraschendes. Dass<br />
ein Spannungsverhältnis zwischen Reglementierungen<br />
der Freien Berufe<br />
und den Wettbewerbsregelungen des<br />
EU-Vertrages besteht, ist nicht neu.<br />
Für Monti ist aber weiter klar, dass aus<br />
wettbewerbspolitischer Sicht Handlungsbedarf<br />
im Bereich der Freien Berufe<br />
besteht, das heißt für konkrete<br />
Deregulierung bei den Anwälten.<br />
Hintergrund<br />
Der Bericht ist Teil eines wirtschaftspolitischen<br />
Reformprogramms,<br />
mit dem die Union bis zum Jahr 2010<br />
zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten<br />
wissensbasierten Wirtschaftsraum<br />
der Welt werden soll. So<br />
hatte es der Europäische Rat im März<br />
2000 in Lissabon beschlossen. Die Generaldirektion<br />
Wettbewerb unter EU-<br />
Kommissar Mario Monti prüft seitdem<br />
die Berufsrechte in den EU-Staaten<br />
und legte im vergangenen Jahr bereits<br />
die sogenannte IHS-Studie vor (siehe<br />
dazu Lühn, AnwBl 2003, 688, und in<br />
diesem Heft Hellwig, Seite 213).<br />
Grundsätzlich Neues?<br />
Im Monti-Bericht identifiziert die<br />
Kommission vor allen fünf Gruppen<br />
von restriktiven Regeln für die Freien<br />
Berufe: 1. verbindliche Festpreise, 2.<br />
Preisempfehlungen, 3. Regeln für die<br />
Werbung, 4. Zugangsvoraussetzungen<br />
und ausschließliche Rechte und 5. Vorschriften<br />
für die zulässige Unternehmensform<br />
und die berufsübergreifende<br />
Zusammenarbeit. Sie hält erneut fest,<br />
dass Regelungen von Berufsverbänden<br />
und staatliche Reglementierungen gegen<br />
EU-Wettbewerbsrecht verstoßen<br />
können. Dabei ist nach Auffassung der<br />
Kommission bei der Überprüfung aller<br />
Regelungen nach dem Grundsatz der<br />
Verhältnismäßigkeit zu verfahren. Sie<br />
fordert, gemeinsame Anstrengungen<br />
zu unternehmen, um nicht gerechtfertigte<br />
Regeln zu reformieren und aufzuheben.<br />
Dabei wendet sie sich an die<br />
nationalen Regulierungsbehörden und<br />
an die Berufsverbände. Sie wird weiter<br />
im Jahre 2005 über die Beseitigung<br />
restriktiver und nicht gerechtfertigter<br />
Regeln berichten. Was bedeutet das für<br />
die Anwaltschaft in Einzelnen?<br />
Neuregulierungen im Berufsrecht?<br />
Der Bericht enthält für die deutsche<br />
Anwaltschaft in vielerlei Hinsicht Brisantes.<br />
Mindestpreise, und damit Gebührenordnungen,<br />
seien regulatorische<br />
Instrumente, die dem Wettbewerb am<br />
meisten schaden könnten und die Vorteile<br />
wettbewerbsfähiger Märkte für<br />
Verbraucher ausschalteten und nachhaltig<br />
beeinträchtigten (s. Ziffer 31 des Berichts).<br />
Vom DAV zur Rechtfertigung<br />
vorgetragenen Argumente, Gebührenordnungen<br />
würden die Qualität der<br />
Dienstleistungen schützen, überzeugen<br />
die Kommission nicht. Festpreise<br />
könnten skrupellose Berufsangehörige<br />
nicht davon abhalten, qualitativ minderwertige<br />
Dienstleistungen zu erbringen<br />
(siehe Ziffer 33). Sie böten keinen finanziellen<br />
Anreiz für Berufsangehörige,<br />
Qualität und Kosten zu verringern.<br />
Außerdem gebe es eine Vielfalt weniger<br />
restriktiver Maßnahmen, um die<br />
Qualität zu sichern und die Verbraucher<br />
zu schützen. Dazu zählten beispielsweise<br />
mehr und bessere Informationen<br />
über freiberufliche Dienstleistungen.<br />
Gerade im gerichtlichen Bereich wird<br />
es aber wohl möglich sein, Gebührenordnungen<br />
zu rechtfertigen.<br />
Ein weiterer Punkt ist, dass die<br />
Kommission ankündigt, das Rechtsberatungsmonopol<br />
auf den Prüfstand<br />
zu stellen. In Ziffer 50 heißt es, dass<br />
eine übermäßige Reglementierung der<br />
Zulassung das Angebot an Dienstleistern<br />
verringere mit negativen Folgen<br />
für den Wettbewerb und die Qualität<br />
der Dienstleistung. In einigen Ländern,<br />
und hier wird Australien zitiert, habe<br />
die Lockerung der Beschränkungen für<br />
bestimmte Berufe zu einem Preisrückgang<br />
ohne offensichtlichen Qualitätsverlust<br />
geführt. Der Bericht nennt einen<br />
Rückgang von 12 % der gesamten<br />
Rechtskosten. Diese Argumentation ist<br />
für die Anwaltschaft gefährlich.<br />
In der Schusslinie der Kommission<br />
steht das Werberecht (siehe Ziffer 42<br />
ff.). Der Bericht weist positiv darauf<br />
hin, dass in Deutschland in den vergangenen<br />
Jahren das Werbeverbot für<br />
Freie Berufe gelockert worden ist. Daher<br />
wohl Entwarnung.<br />
Einem Verbot von bestimmten<br />
Rechtsformen, insbesondere Kapitalgesellschaften,<br />
steht die Kommission<br />
sehr kritisch gegenüber. Zugleich setzt<br />
sie sich für einen one-stop-shop zur<br />
Versorgung des Verbrauchers ein. Auch<br />
hier eher Entwarnung, da bestimmte<br />
Rechtsformen und interprofessionelle<br />
Sozietäten in Deutschland erlaubt sind.<br />
Im Gesamtüberblick? Zumindest<br />
nicht Neu ist die Erkenntnis im Monti-<br />
Bericht, dass wettbewerbsbeschränkende<br />
Regelungen gerechtfertigt werden<br />
können, hier greift die<br />
EuGH-Entscheidung “Wouters“, wenn<br />
sie notwendig für die Verfolgung bestimmter<br />
Ziele sind. Nach dem Grundsatz<br />
der Verhältnismäßigkeit dürfen<br />
allerdings die wettbewerbsbeschränkenden<br />
Wirkungen nicht darüber hinausgehen,<br />
was erforderlich ist, um<br />
eine ordnungsgemäße Berufsausübung<br />
sicher zu stellen. Also doch eine<br />
Chance, das gesamte anwaltliche Berufsrecht<br />
in Deutschland zu erhalten?<br />
Das wäre vielleicht zu früh gegriffen.<br />
Allerdings ist die Anwaltschaft im<br />
Rechtfertigungszwang. Und das nicht<br />
nur gegenüber der EU, sondern auch<br />
gegenüber den nationalen Wettbewerbsbehörden.<br />
Ab Mai 2004 wird<br />
die Durchsetzung der EU-Wettbewerbsregelungen<br />
in den Freien Berufen<br />
hauptsächlich Aufgabe der nationalen<br />
Wettbewerbsbehörden sein.<br />
Fazit<br />
AnwBl 4/2004<br />
Also nur Bedenkliches für das deutsche<br />
anwaltliche Berufsrecht? Wichtig<br />
ist, dass die Anwaltschaft aktiv wird.<br />
Sie muss sich darauf einstellen, dass<br />
die Vereinbarkeit des Berufsrechts mit<br />
den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts<br />
zukünftig gründlich analysiert<br />
wird. Wenn Brüssel überzeugt wird,<br />
dass die geltenden Beschränkungen<br />
ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses<br />
verfolgen, dass sie notwendig<br />
sind, um dieses Ziel zu erreichen, und<br />
dass es nicht weniger einschneidende<br />
Mittel gibt, ist “grünes Licht“ in Sicht.<br />
Diesen Ansatz kennen wir übrigens<br />
bereits vom Bundesverfassungsgericht.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
LL. M., Berlin
AnwBl 4/2004 239<br />
9<br />
Gedanken zur Zusammenlegung von<br />
Gerichtszweigen<br />
Leserzuschrift zu dem Beitrag „Integration<br />
der Sozialgerichtsbarkeit in<br />
die Verwaltungsgerichtsbarkeit?“ von<br />
Rechtsanwalt Joachim Francke, AnwBl<br />
2004, 106:<br />
In Deutschland erfreut sich das Justizwesen<br />
einer Ausdifferenzierung, die<br />
kaum Ihresgleichen hat. Nach dem<br />
Scheitern einer VwPO Mitte der 80er-<br />
Jahre kommen nun erneut Forderungen<br />
nach einer Zusammenlegung von Gerichtszweigen<br />
auf 1 , so von Staatsminister<br />
de Maizière auf dem Richter- und<br />
Staatsanwaltstag 2003 2 und ihm folgend<br />
von Bundesministerin Zypries 3 .<br />
Die Justizministerkonferenz am 6. November<br />
hat inzwischen eine Arbeitsgruppe<br />
eingesetzt, die bis zur nächsten<br />
Jumiko Vorschläge zur Errichtung einer<br />
einheitlichen öffentlich-rechtlichen<br />
Fachgerichtsbarkeit erarbeiten soll 4 .<br />
Diese teilt sich bekanntlich in VG/<br />
OVG/BVerwG sowie SG/LSG/BSG<br />
und FG/BFH 5 . Dabei fällt schon ein<br />
grundlegender Unterschied auf, und<br />
zwar die Zweistufigkeit in der Finanzgerichtsbarkeit.<br />
Diese hat sich bewährt,<br />
erscheint jetzt sogar als die modernere<br />
Variante, denn bei VG (§§ 124 f.<br />
VwGO) und – eingeschränkt – SG<br />
(§ 144 SGG) wird die Konzentration<br />
auf eine Tatsacheninstanz angestrebt.<br />
Damit sind wir bei einem der<br />
Hauptargumente, der Effizienz der<br />
Justiz. Die „knappe Ressource Recht“ 6<br />
darf angesichts enger Haushalte, allgemeiner<br />
Sparzwänge und vor der generellen<br />
„Modernisierung ... unserer<br />
Gesellschaft“ 7 nicht vergeudet werden.<br />
Dies reicht als Begründung aber nicht<br />
aus, denn wer verändern will, hat die<br />
Beweislast dafür, dass es hinterher<br />
besser funktioniert. Zunächst lässt sich<br />
dies für die räumliche Zusammenlegung<br />
von Gerichten ohne weiteres feststellen.<br />
Das Hamburger „Haus der Gerichte“<br />
ist hierfür ein gutes Beispiel. In<br />
Schleswig-Holstein z. B. verfügen VG<br />
und OVG, die in einem Gebäude untergebracht<br />
sind, zudem noch über eine<br />
gemeinsame Gerichtsverwaltung.<br />
Eine institutionelle Verschmelzung<br />
hätte darüber hinaus noch den Vorteil,<br />
dass der Einsatz der Richterinnen und<br />
Richter flexibler nach dem jeweiligen<br />
Geschäftsanfall gesteuert werden<br />
könnte. Ein Wechsel zwischen den Gerichtsbarkeiten<br />
ist bisher regelmäßig<br />
nur mit Zustimmung des (Lebenszeit-)Richters<br />
möglich, anders als die<br />
Betreuung mit anderen Aufgaben im<br />
Rahmen der Geschäftsverteilung<br />
(§ 21 e GVG). Gehen also etwa die<br />
Asylverfahren zurück, steigen aber<br />
zeitgleich die Streitigkeiten im Bereich<br />
der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
an, kann hierauf zurzeit nur<br />
begrenzt durch Verschiebungen von<br />
manpower reagiert werden. Dies wäre<br />
einfacher, würden beide Verfahrensgegenstände<br />
innerhalb derselben Gerichtsbarkeit<br />
verhandelt.<br />
Dem kann auch nur begrenzt die<br />
fehlende Sachkenntnis entgegengehalten<br />
werden, die Notwendigkeit der Einarbeitung<br />
in eine fremde Rechtsmaterie.<br />
Warum soll der (übliche) Wechsel<br />
vom Miet- über das Straf- zum Erboder<br />
Handelsrecht möglich sein, nicht<br />
aber der vom Sielbeitrags- zum Grundsteuer-<br />
oder Rentenrecht? Noch weiter:<br />
eine Einarbeitung in neues materielles<br />
Recht ist angesichts der Aktivitäten der<br />
Gesetzgeber auf nationaler und europäischer<br />
Ebene ständig erforderlich8 .<br />
Schließlich: Bereits jetzt gibt es erhebliche<br />
Überschneidungen in den Rechtsbereichen,<br />
Sozial(hilfe)- und Sozialversicherungsrecht<br />
sind im Einzelfall oft<br />
kaum abgrenzbar und bedienen sich<br />
beide des SGB X als Verwaltungsverfahrensregelung.<br />
So wird auch die Bürgerfreundlichkeit<br />
einer Zusammenlegung deutlich,<br />
denn die Wahl des Rechtswegs wird<br />
erheblich erleichtert. Dies ist besonders<br />
bedeutsam, weil in der ersten Instanz<br />
kein Anwaltszwang besteht und<br />
oft ohne solchen geklagt wird. Aber<br />
auch anwaltliche Fehlberatungen<br />
können insoweit nicht mehr vorkommen.<br />
Zu regeln ist natürlich die bisher<br />
noch sehr unterschiedliche Struktur.<br />
Neben der schon erwähnten Zweistufigkeit<br />
FG/BFH gibt es vor allem Differenzen<br />
bei der Besetzung der<br />
Spruchkörper. Beim SG bestehen diese<br />
aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen<br />
Richtern, aus Arbeitnehmer-<br />
und -geberlager. Bei VG/FG findet<br />
sich die Besetzung 3/2, oder aber,<br />
deutlich zunehmend, wenn nicht schon<br />
durchweg, der Einzelrichter/entscheidender<br />
Berichterstatter 9 (jeweils § 6<br />
VwGO/FGO, § 87 a VwGO, § 79 a<br />
MN<br />
FGO) ohne Ehrenamtliche. Die Senate<br />
des OVG entscheiden fast nur noch im<br />
Beschlusswege und damit auch nur<br />
durch die Berufsrichter. Die Mitwirkung<br />
von Ehrenamtlichen steht damit<br />
grundsätzlich in Frage, unabhängig<br />
von ihrer Sinnhaftigkeit angesichts zunehmend<br />
komplexer Rechtsfragen. Insoweit<br />
ist eine Angleichung also wohl<br />
ohnehin überfällig und dürfte nicht<br />
allzu problematisch werden. Bei den<br />
Zivilgerichten gibt es schließlich ebenfalls<br />
Kammern mit und ohne Ehrenamtliche<br />
(„Handelsrichter“).<br />
Die zweite Tatsacheninstanz könnte<br />
dann auch in der Theorie abgeschafft<br />
werden. Praktisch hat sie kaum noch<br />
Bedeutung, jedenfalls bei VG/OVG,<br />
und es besteht nach allgemeiner Meinung<br />
auch kein Anspruch auf mehrere<br />
gerichtliche Prüfungen (Art. 19 Abs. 4<br />
GG, Art. 6 EMRK, Art. 47 EU-<br />
Grundrechtecharta). In Ländern mit<br />
mehreren erstinstanzlichen Gerichten<br />
kommt zumindest dem OVG auch<br />
noch die Aufgabe zu, das Landesrecht<br />
einheitlich auszulegen. Auch der Einwand,<br />
der gesetzliche Richter<br />
(Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) könne nicht<br />
mehr präzise bestimmt werden, verfängt<br />
nicht. Die Zuweisung an einen<br />
Gerichtszweig wäre vielmehr eindeutiger<br />
möglich.<br />
Die notwendigen Angleichungen<br />
im Verfahrensrecht von VwGO/SGG/<br />
FGO stellen heute kaum noch eine<br />
ernsthafte Herausforderung dar, sie<br />
sind oft schon in den verschiedenen<br />
„Reform“-Gesetzen erfolgt. Effizienz,<br />
Effektivität und Transparenz dürfen<br />
unbegrenzt verbessert werden.<br />
Rechtsanwalt Hans Arno Petzold,<br />
Hamburg<br />
1 S. schon Verf. in MHR 4/1999, S. 28 (www.richter<br />
verein.de).<br />
2 Die Rede ist auf der Internet-Seite des DRB<br />
(www.drb.de) nachzulesen; vgl. auch NJW-aktuell,<br />
Heft 40/2003, S. XII.<br />
3 Pressemeldung Nr. 77/03 v. 24. September 2003,<br />
http://www.bmj.bund.de; vgl. auch NJW-aktuell,<br />
Heft 42/2003, S. XII und Heft 44/2003, S. XII.<br />
4 http://www.jura.uni-sb.de/JuMiKo/jumiko_nov03/<br />
TOP-C.II.3.htm, http://www.justiz.nrw.de/JM/justiz<br />
politik/jumiko/herbstkonferenz03/c_verschiedenes/<br />
C_II_3. html, s. dazu auch das Presse-Echo auf<br />
der Seite www.richterverein.de.<br />
5 Vgl. auch Art. 95 Abs. 1 GG, der natürlich anzupassen<br />
wäre.<br />
6 Zypries, Fn. 2.<br />
7AaO.<br />
8 Vgl. dazu auch die Veranstaltungsberichte „Europarecht<br />
in der Praxis“ in MHR<br />
(www.richterverein.de).<br />
9 Vgl. dazu NJW-aktuell, Heft 43/2003, S. X und<br />
Presseinformation 124/2003 des Hess. JM vom<br />
26.09.2003, http://www.justiz.hessen.de – Presse.
240<br />
MN MITTEILUNGEN<br />
Berufsrecht<br />
Freigabe der<br />
Fachanwaltschaften –<br />
Durchbruch oder Chaos?<br />
Unter dieser Überschrift lud die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
und die Rechtsanwaltskammer Hamburg in Berlin<br />
zu einem Symposium ein, an dem etwa 65 Teilnehmer teilnahmen.<br />
In Fortsetzung des bereits in Februar 2002 stattgefundenen<br />
„DAV-Forums Zukunft der Anwaltschaft: Fachanwaltschaften<br />
– Eine Forderung des Marktes“* standen sich im<br />
Wesentlichen die Vertreter einer vorsichtig kontrollierten<br />
und einer nahezu völligen Freigabe weiterer Fachanwaltschaften<br />
gegenüber. Dabei wurden die Theorien von Prof.<br />
Dr. Quaas, Stuttgart, und Rechtsanwalt Hartmut Scharmer,<br />
Hamburg, Geschäftsführer der RAK Hamburg, gegenübergestellt.<br />
Das Quaas-Modell<br />
Für Prof. Quaas führt eine vorsichtige Ausweitung der<br />
Fachanwaltschaften zur Qualitätssicherung. Damit könne<br />
auch der Rechtsschutz der Bürger verbessert werden. Er<br />
geht dabei von drei Eckpfeilern aus: Einmal dem Berufsbild,<br />
das sich aus dem Gesetz ergibt. Dort werde von „allen“<br />
Rechtsgebieten gesprochen, also von dem Allgemeinanwalt.<br />
Daraus resultiere die Aufgabe, den Allgemeinanwalt<br />
zu schützen. Als zweiten Eckpfeiler nannte er die Notwendigkeit<br />
der Spezialisierung der Anwaltschaft. Des Weiteren<br />
müsse als Drittes das Verhältnis zu den Interessens- und Tätigkeitsschwerpunkten<br />
geklärt werden. Daher habe er Kriterien<br />
erarbeitet, mit denen die Satzungsversammlung feststellen<br />
kann, ob eine Fachanwaltschaft notwendig sei oder<br />
nicht. Seiner Einschätzung nach führe die konsequente Anwendung<br />
dieser Kriterien durch die Satzungsversammlung<br />
zu einer Ausweitung der Fachanwaltschaften. Er betonte<br />
stets, dass dies kontrolliert geschehen und gegebenenfalls<br />
begrenzt werden müsse.<br />
Das Scharmer-Modell<br />
Demgegenüber ging der Kollege Scharmer zwar auch<br />
von drei Punkten aus, die jedoch unterschiedlichen Inhalts<br />
waren: So zeige die Nachfragesituation, dass Kriterien für<br />
die Suche nach einem geeigneten Anwalt notwendig sind.<br />
Dies ergebe also der Markt. Auf Seiten der Anwaltschaft<br />
sei festzustellen, dass Fachanwälte mehr verdienen, und die<br />
Anwältinnen und Anwälte ein Recht und ein Interesse daran<br />
hätten, ihre erworbenen Kenntnisse zu vermarkten und mit<br />
ihnen zu werben. Außerdem würden die vielzähligen Erfahrungen<br />
mit schlechten Anwälten die Notwendigkeit geprüfter<br />
Qualität zeigen. Ausgangspunkt dürfte nicht das Berufsbild<br />
des Allgemeinanwalts sein. Die derzeitige Vergabe des<br />
Fachanwaltstitels sei ein formalisiertes Verfahren und kein<br />
zuverlässiges System. Seiner Ansicht nach müsse es Mög-<br />
lichkeit geben, nachzuweisen, dass eine Qualifikation vorliegt.<br />
Gerade jüngere Kolleginnen und Kollegen können es<br />
sich oft zeitlich und finanziell nicht leisten, einen Fachanwaltskurs<br />
zu belegen. Als Lösung bietet er an, echte<br />
Prüfungen durchzuführen, in denen die Qualifikation nachgewiesen<br />
werden kann. Jeder Anwalt, der mindestens drei<br />
Jahre seinen Beruf ausübt, solle diese Prüfung in dem von<br />
ihm gewünschten Rechtsgebiet durchführen können. Auch<br />
wenn dies zu einer unbeschränkten Anzahl von Fachanwaltschaften<br />
führen könne, habe die Satzungsversammlung<br />
lediglich das Recht, die formalen Kriterien festzulegen.<br />
Sie dürfe nicht massiv in den Anwaltsmarkt dadurch<br />
eingreifen, dass sie lediglich acht Fachanwaltschaften zulässt.<br />
Im Übrigen diene die Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
auch einem öffentlichen Gut: Jeder Mandant<br />
müsse das Recht haben, für seinen Fall geprüfte Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte zu finden. Die Begrenzung<br />
auf das Führen von zwei Fachanwaltstiteln müsste dann fallen.<br />
In der folgenden Diskussion wechselten sich die<br />
Befürworter und die Gegner der jeweiligen Meinungen ab.<br />
Die stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />
Allgemeinanwalt im DAV, Rechtsanwältin Gitta Kitz-Trautmann,<br />
lehnte in ihrem Beitrag eine unkontrollierte Vielzahl<br />
von Fachanwaltschaften ab. Die Tätigkeitsbereiche der Allgemeinanwälte<br />
dürften nicht ausgehöhlt werden.<br />
Der Markt verlangt mehr Fachanwaltschaften<br />
AnwBl 4/2004<br />
Für Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Vizepräsident des<br />
DAV, war es evident, dass die Fachanwaltschaften eine Forderung<br />
des Marktes sind. Dies habe allein schon das Forum<br />
des DAV in Frankfurt gezeigt. Letztlich gehe es nur noch<br />
darum, ob es eine langsame oder eine beschleunigte Entwicklung<br />
zur Ausweitung der Fachanwaltschaften gebe.<br />
Begrenzende Modelle würden dabei nicht helfen. Der Allgemeinanwalt<br />
werde weiter seinen Raum haben. Für die<br />
Geschäftsführerin der RAK Köln, Rechtanwältin Dr. Susanne<br />
Offermann-Burckart, gibt es keinen Zweifel, dass die<br />
Rechtssuchenden eine Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
wollen. Nach ihrer Ansicht könne es aber nur eine maßvolle<br />
Ausweitung geben. Dies sei notwendig, damit die Ratsuchenden<br />
den Überblick bewahren können. Die Anwaltschaft<br />
selber sehe dies differenzierter. So drängen viele<br />
Kolleginnen und Kollegen auf eine Ausweitung der Fachanwälte,<br />
während beispielsweise Allgemeinanwälte gegen<br />
eine planlose Ausweitung wären. Auch würden Fachanwaltsträger<br />
der bestehenden Fachanwaltschaften teilweise<br />
eine Ausweitung ablehnen. Dies gelte auch für Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte, die sich auf Gebieten spezialisiert<br />
haben, für die es noch kein Fachanwalt gibt. Eine<br />
Umfrage der Kammer Köln habe ergeben, dass etwa 50 %<br />
der Anwältinnen und Anwälte für eine Ausweitung seien.<br />
In München waren dies sogar 64,3 %. Dabei ist zu beachten,<br />
dass ab dem Zulassungsdatum von 1983 die Zustimmung<br />
steigt. Die jüngeren Kolleginnen und Kollegen befürworteten<br />
eine Ausweitung der Fachanwaltschaften, aber<br />
auch die zwischen 40- und 50-jährigen. Nach Angaben aus<br />
München wurden bei der Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
etwa 30 Rechtsgebiete genannt.<br />
* <strong>Anwaltsblatt</strong> 2002, 220 ff. und Beilage des <strong>Anwaltsblatt</strong>es 4/02.
AnwBl 4/2004 241<br />
Mitteilungen MN<br />
Bei der Frage nach einem objektiven Interesse ist festzustellen,<br />
dass die Fachanwaltschaft ein Erfolgsmodell ist.<br />
Dann würde nicht nur das Publikum ihrer Anwälte finden,<br />
sondern auch die Anwälte ihr Publikum. Im Übrigen sei<br />
die Fachanwaltschaft ein probates Mittel der Profilierung<br />
gegenüber der Konkurrenz durch nicht anwaltliche Berufe.<br />
Das Qualitätsargument werde aber von den Befürwortern<br />
der Ausweitung zu sehr forciert. Eine „Atomisierung“ des<br />
Instituts der Fachanwaltschaften würde zu einer Beliebigkeit<br />
führen. In der folgenden Diskussion warnte Rechtsanwalt<br />
Prof. Dr. Hellwig, Präsident des CCBE und<br />
Vorstandsmitglied des DAV, vor einem „Kartell von Berufsträgern“,<br />
die über die Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen<br />
zu befinden hätten.<br />
Die Sicht der Richter: Neue Argumente<br />
Wirklich neue Argumente brachte der Beitrag der Präsidenten<br />
des Kammergerichts Berlin, Monika Nöhre, unter<br />
dem Titel „Vor- und Nachteile von Fachanwaltschaften aus<br />
richterlicher Sicht“. So habe sie im bundesweiten Kollegenkreis<br />
nachgefragt, welche Themen aus ihrer Sicht die Anwaltschaft<br />
beschäftigen, bzw. welche auch für die Richterschaft<br />
interessant sind. Das Thema der Ausweitung der<br />
Fachanwaltschaften spielte dabei eine untergeordnete Rolle.<br />
Als Begründung führte die Präsidentin aus, dass die Richterschaft<br />
mit den Verfahrensordnungen leben und arbeiten.<br />
Darum gebe es allerdings keine Berufsbezeichnung „Fachanwalt“.<br />
Die Verfahrensordnungen, die Protokolle und Urteile<br />
kennen lediglich den Anwalt, den Prozessbevollmächtigten<br />
etc.<br />
Daraus könne man vielleicht den Schluss ziehen, dass<br />
Richter der Ausweitung der Fachanwaltschaften neutral gegenüberstehen.<br />
Diese Feststellung reichte Frau Nöhre allerdings<br />
nicht aus. Daher bat sie ihre Kammerrichter jeweils<br />
fünf Argumente pro und contra der Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />
zu benennen. Überraschend war dabei, dass<br />
aus richterlicher Sicht keine Nachteile benannt wurden.<br />
Die Gegenargumente waren die, die bereits von der Anwaltschaft<br />
genannt wurden. Demgegenüber gab es allerdings<br />
neue Argument aus richterlicher Sicht, die für eine<br />
Ausweitung sprechen. Einige Beispiele:<br />
9 Die Bezeichnung „Fachanwalt“ erleichtert dem Richter<br />
die Einschätzung der Qualifikation.<br />
9 „Waffengleichheit“ gerade bei der Spezialgerichtsbarkeit.<br />
9 Fachanwälte können mehr Einfluss auf die Rechtsfortbildung<br />
nehmen.<br />
9 Da beim Strafrecht auf der einen Seite ein absoluter<br />
Profi, der Staatsanwalt, sitzt, müsse auf der anderen Seite<br />
in der Regel auch ein Anwalt mit besonderer Qualifikation<br />
sitzen.<br />
Weiter führte sie aus, dass die Richter längst ihre Spezialisierungen<br />
vorgenommen hätten. Sie verwies dabei auf<br />
die Sonderzuständigkeiten in den Geschäftsverteilungsplänen<br />
der Amtsgerichte, der Landgerichte und der Oberlandesgerichte.<br />
Sie kam daher zu dem Schluss, dass die Ausweitung<br />
der Fachanwaltschaften nur Vorteile bringen<br />
könne.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
Steuerrecht<br />
Verbleibendes Restrisiko:<br />
Gewerblichkeit des<br />
Rechtsanwalts<br />
Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht Dr. Klaus<br />
Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, Berlin1 Die Ausweitung der Gewerbesteuer auf alle Freiberufler<br />
und damit auf die Rechtsanwälte ist glücklicherweise<br />
verhindert worden. Das Gesetz zur Reform der Gewerbesteuer<br />
vom 23.12.20032 wurde im Vermittlungsausschuss<br />
weitgehend abgemildert3 . Geblieben sind im Wesentlichen<br />
die Einschränkung des Verlustvortrags in § 10 a GewStG<br />
sowie die Festschreibung eines Mindesthebesatzes i. H. v.<br />
von 200 % (§ 16 Abs. 4 GewStG) 4 .<br />
Diese Entwarnung bedeutet im Umkehrschluss aber<br />
nicht, dass der Rechtsanwalt ohne die Gesetzesänderung<br />
nicht doch gewerblich werden kann. Es besteht lediglich<br />
der Grundsatz, nachdem der Rechtsanwalt einen so genannten<br />
Katalogberuf i. S. v. § 18 Abs. Nr. 1 EStG ausübt<br />
und damit gewerbesteuerfreie Einkünfte aus selbstständiger<br />
Arbeit erzielt. In Ausnahmesituationen kann der<br />
Rechtsanwalt auch nach der bisherigen Rechtslage in die<br />
Gewerblichkeit geraten. Der Beitrag zeigt die Risiken auf.<br />
Risikobereiche<br />
Das Risiko der Gewerblichkeit wächst, je mehr man<br />
sich von der klassischen Anwaltstätigkeit (insb. Prozessführung,<br />
Gestaltungsberatung etc.) entfernt. Betroffen sind im<br />
Wesentlichen folgende Bereiche:<br />
9 Vermittlung von Vermögensanlagen (z. B. Immobilien,<br />
Gesellschaftsanteile, Fondsbeteiligung) 5 ;<br />
9 Treuhändertätigkeit bei Bauherrengemeinschaften, soweit<br />
sie nicht als typische Rechts- oder Steuerberatung gewertet<br />
werden kann6 , strenger bei Treuhandtätigkeiten im<br />
Rahmen der Baubetreuung, da es hier keine klassische<br />
Rechtsberatung geben soll7 ; unschädlich bleibt die treuhänderische<br />
Führung einer fremden Kanzlei;<br />
9 typische Handelsgeschäfte (z. B. Veräußerung von<br />
Büchern, gewerblicher Grundstückshandel8 );<br />
9 standeswidrige Geldgeschäfte (z. B Darlehens- und Bürgschaftsgeschäfte<br />
gegen Entgelt. Soweit es um die Rettung<br />
einer aus der Berufstätigkeit entstandenen Forderung<br />
geht, sind solche Geschäfte unproblematisch9 , vergleichbare<br />
Rechtsgeschäfte zur Rettung des Mandanten dürfen<br />
nur unentgeltlich erfolgen10 ). Standeswidrige, aber berufstypische<br />
Geschäfte (z. B. Strafverteidigung gegen Er-<br />
1 Die Autoren sind Partner der Rechtsanwaltskanzlei Streck Mack Schwedhelm.<br />
2 BGBl. 2003 I, 2922.<br />
3 Vgl. zu den ursprünglichen Änderungsplänen Olbing, AnwBl. 2003, 554.<br />
4 Vgl. dazu Melchior, DStR 2004, 65, 70; Pauka, NWB F 5, 1539 (Heft 3/04).<br />
5 BFH IV R 208/85 vom 8.2.1990, BFH/NV 1991, 435 (zu Steuerberatern).<br />
6 BFH IV R 99/93 vom 21.4.1994, BStBl. 1994 II, 650 (zu Steuerberatern).<br />
7 BFH IV R 42/89 vom 1.2.1990, BStBl. 1990 II, 534.<br />
8 BFH XI R 34/99 vom 9.5.2001, BFH/NV 2001, 1545.<br />
9 BFH VIII R 236/77 vom 22.4.1980, BStBl. 1980 II, 571 (zu Steuerberatern).<br />
10 BFH IV R 80/88 vom 24.8.1989, BStBl. 1990 II, 17.
242<br />
MN<br />
folgshonorar) führen hingegen nicht zur Gewerbsmäßigkeit11<br />
;<br />
9 Beschäftigung einer Vielzahl von angestellten Anwälten,<br />
sodass der Berufsträger nicht mehr leitend und eigenverantwortlich<br />
tätig ist12 . Beispiel: Rechtsanwalt A hat in<br />
seiner Einzelpraxis zehn angestellte Rechtsanwälte und<br />
fünf Referendare beschäftigt, die weitestgehend selbstständig<br />
arbeiten. A beschränkt sich auf die Akquise und<br />
die Betreuung einiger weniger Großmandate;<br />
9 die rein kapitalmäßige Beteiligung an einer Sozietät13 .<br />
Beispiel: wie eben, nur ist A auch noch an anderen Sozietäten<br />
beteiligt. Ist er dort nicht zumindest teilweise aktiv<br />
tätig, erzielen auch diese Gesellschaften gewerbliche<br />
Einkünfte. Die Gewerblichkeit droht u. E. nicht, wenn A<br />
seine Tätigkeit auf interne Geschäftsführungsmaßnahmen<br />
beschränkt;<br />
9 Beteiligung eines Berufsfremden an einer Sozietät14 ; die<br />
interprofessionelle Zusammenarbeit von Freiberuflern ist<br />
gewerbesteuerrechtlich unschädlich, selbst wenn sie standeswidrig<br />
ist15 ;<br />
9 die letzte richterliche Ausweitung der Gewerblichkeit bei<br />
Rechtsanwälten betrifft deren Tätigkeit als Insolvenzverwalter.<br />
Der BFH hat in seiner Entscheidung vom<br />
12.12.200116 die gesamte Tätigkeit einer Rechtsanwalts-<br />
GbR, die überwiegend Gesamtvollstreckung betrieben<br />
hat, der Gewerbesteuer unterworfen17 .<br />
Aufgrund dieser Entscheidung und der vom BFH verwendeten<br />
Argumentation wird zum Teil befürchtet, dass<br />
sich die Gewerblichkeit auf weitere Tätigkeitsbereiche der<br />
Rechtsanwälte ausdehnt. Ernst zu nehmen sind diese Überlegungen<br />
in allen Fällen, in denen der Rechtsanwalt vermögensverwaltend<br />
tätig wird (z. B. als Testamentsvollstrecker,<br />
Treuhänder, Vormund, Pfleger). Bindet der Rechtsanwalt<br />
hierbei mehr als einen qualifizierten Mitarbeiter ein, besteht<br />
ein hohes Risiko der Gewerblichkeit.<br />
Gefährdet sollen auch die Bereiche sein, die nicht mehr<br />
dem Rechtsanwalt vorbehalten sind (z. B. M & A, Strafverteidigung,<br />
Vertretung vor dem Arbeitsgericht, Schiedsverfahren)<br />
18 . Die Finanzverwaltung will diesen Teilbereich bisher<br />
zu Recht nicht aufgreifen, da es sich hierbei trotz der<br />
teilweisen Öffnung für Dritte um typische – freiberufliche<br />
– Anwaltstätigkeiten handelt.<br />
Häufig stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, wenn<br />
man gelegentlich gewerbesteuerschädliche Tätigkeiten<br />
ausübt (sog. gemischte Tätigkeit). Bei einer Einzelpraxis<br />
lässt sich der Schaden leicht begrenzen, da freiberufliche<br />
und gewerbliche Einkünfte getrennt ermittelt und besteuert<br />
werden19 . So infiziert z. B die gelegentliche Vermittlung<br />
von Vermögensanlagen i. d. R. nicht die sonstigen Einkünfte<br />
aus der Rechtsanwaltspraxis.<br />
Sehr viel gefährlicher ist die teilweise gewerbliche Tätigkeit<br />
innerhalb der Sozietät. Ist einer der Partner auch nur<br />
teilweise gewerblich tätig, wird die gesamte Tätigkeit der<br />
Gesellschaft gewerblich (sog. Abfärbewirkung nach § 15<br />
Abs. 3 Nr. 1 EStG). Eine Trennung wie bei der Einzelpraxis<br />
ist nicht möglich. Allein bei äußerst geringfügiger gewerblicher<br />
Tätigkeit sieht der BFH von der Abfärbung ab20 . Beispiel:<br />
In einer Sozietät mit 15 Partnern ist ein Partner<br />
schwerpunktmäßig als Insolvenzverwalter tätig. Hierbei<br />
setzt er fünf qualifizierte Angestellte ein. Sein Anteil am<br />
Gesamtumsatz beträgt 10 %. Nach Ansicht des BFH wären<br />
die gesamten Einkünfte der Gesellschaft gewerblich, auch<br />
AnwBl 4/2004<br />
Mitteilungen<br />
wenn die anderen Partner sich auf die klassische Anwaltstätigkeit<br />
beschränken.<br />
Rechtsfolge: Gewerbesteuerpflicht<br />
Primäre Rechtsfolge der Gewerblichkeit ist die Gewerbesteuerpflicht<br />
der Einkünfte nach § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG<br />
i. V. m. § 15 EStG. Der Gewerbesteuermessbescheid wird<br />
vom Finanzamt erlassen (§§ 14 ff. GewStG). Die Gemeinde<br />
setzt auf Grund ihrer individuellen Hebesatzautonomie die<br />
Gewerbesteuer fest (§§ 16 ff. GewStG). Die Gewerbesteuer<br />
ist abzugsfähige Betriebsausgabe.<br />
Für Veranlagungsjahre ab 2001 ist eine weitere Entlastung<br />
eingetreten. Als Neuerung der am 1.1.2001 wirksam<br />
gewordenen Unternehmenssteuerreform sieht § 35 Abs. 1<br />
EStG eine pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer<br />
auf die Einkommensteuer vor. Abhängig vom jeweiligen<br />
Hebesatz der Gemeinde und unter der Voraussetzung, dass<br />
ein entsprechendes Einkommensteuerpotenzial zur Verfügung<br />
steht, kann eine Neutralisierung der Gewerbesteuerlast<br />
erfolgen. Eine Neutralisierung tritt bei einem Hebesatz<br />
von 360 von Hundert und einem Höchststeuersatz von<br />
48,5 % annähernd ein. Bei einem Steuersatz von 42 % ist<br />
die Gewerbesteuer bei einem Hebesatz von 310,5 % neutralisiert.<br />
Bei höheren Hebesätzen verbleibt eine effektive<br />
Steuerbelastung. Bei niedrigeren Gewerbesteuerhebesätzen<br />
führt die Anrechnung zu einer Überkompensierung und damit<br />
zu einem steuerlich positiven Effekt.<br />
Allerdings birgt die Anrechnung gem. § 35 EStG auch<br />
Probleme. Die Gewerbesteuer ist i. d. R. quartalsweise im<br />
Voraus zu entrichten. Die Anrechnung nach § 35 EStG<br />
erfolgt zeitlich versetzt erst bei der späteren Einkommensteuerveranlagung.<br />
Hier entstehen Liquiditäts- und Zinsnachteile.<br />
Zudem ist bei Sozietäten Schuldner der Gewerbesteuer<br />
die Gesellschaft, anrechnungsberechtigt der<br />
einzelne Gesellschafter. Da sich die Verteilung des anrechenbaren<br />
Betrags gem. § 35 EStG nach dem allgemeinen<br />
Gewinnverteilungsschlüssel richtet und dabei Sondervergütungen<br />
und Gewinnvorabs unberücksichtigt bleiben 21 ,<br />
kann es zu einer ungerechten Verteilung der Gewerbesteuerlast<br />
und der Begünstigung durch die Anrechnung kommen<br />
22 .<br />
Beispiel: Zehn Rechtsanwälte haben sich zu einer Sozietät<br />
zusammengeschlossen. Alle Partner sind zu je 1/10 am<br />
Gewinn beteiligt, die beiden geschäftsführenden Seniorpartner<br />
erhalten einen Gewinnvorab i. H. v. jeweils 15 %<br />
des Gewinns. Ein Partner ist überwiegend als Insolvenzverwalter<br />
tätig. Wird die Sozietät dadurch gewerblich, erhalten die<br />
11 Vgl. Wacker, in:Schmidt, aaO, § 18 Rz. 101.<br />
12 Vgl. dazu Wacker, in: Schmidt, EStG, 22. Aufl. 2003, § 18 Rz. 25, m. w. N; speziell<br />
für die Rechtsanwälte Streck, NJW 1991, 2252, 2254.<br />
13 FG Saarland 1 K 227/98 vom 3.8.1998, EFG 1998, 1583, vgl. dazu auch<br />
Kamps/Alvermann, NJW 2001, 2121, 2127 f.<br />
14 BFH IV R 48/99 vom 23.11.2000, BStBl. 2001 II, 241 (Zusammenschluss eines<br />
Arztes mit einem Diplom-Dokumentar).<br />
15 Wacker in: Schmidt, aaO, Rz. 43.<br />
16 XI R 56/00, BStBl. 2002 II, 202.<br />
17 Vgl. dazu Frystatzki, EStB 2003, 102; Korn, KÖSDI 2003, 13605, 13610; Olbing/Kamps,<br />
AnwBl. 2002, 168.<br />
18 Vgl. dazu Frystatzki, EStG 2003, 106, 108, m. w. N.<br />
19 Vgl. dazu Wacker in: Schmidt, aaO, § 18 Rz. 50 m. w. N.<br />
20 So waren nach BFH XI R 12/98 vom 11.8.1999, BStBl. 2000 II, 229, ein gewerblicher<br />
Anteil i. H. v. 1,25 % unschädlich; vgl. dazu auch Wacker in<br />
Schmidt, aaO, § 18 Rz. 44.<br />
21 Vgl. dazu Tz. 18 ff. des BMF-Schreibens IV A 5 – S 2296 a – 16/02 vom<br />
15.5.2002, DB 2002, 1077.<br />
22 Korn, KÖSDI 2002, 13196.
AnwBl 4/2004 243<br />
Mitteilungen MN<br />
Seniorpartner jeweils „nur“ 10 % der nach § 35 EStG pauschal<br />
anzurechnenden Gewerbesteuer, obwohl sie jeweils<br />
22 % (= 15 % + 10 % von 70) ertragsteuerlich zu versteuern<br />
haben.<br />
Zum annähernden Ausgleich dieser Verschiebung bedarf<br />
es komplizierter Steuerklauseln im Gesellschaftsvertrag.<br />
Ähnliche Vereinbarungen sind u. U. notwendig, um den<br />
Steuerschaden bei den nichtgewerblich tätigen Partnern<br />
auszugleichen. Beispiel: wie eben. Die Gemeinde, in der<br />
die Kanzlei tätig ist, hat einen hohen Hebesatz – z. B. Berlin,<br />
Hamburg oder München. Dadurch kompensiert § 35<br />
EStG nicht vollständig die Gewerbesteuerbelastung. Der<br />
Gewinn der Gesellschaft und damit der Gewinnanteil der<br />
Gesellschafter ist durch die Gewerbesteuer stärker belastet<br />
als durch die pauschale Anrechnung. Sollen die nicht gewerblich<br />
tätigen Partner gegen den die Sozietät „infizierenden“<br />
gewerbetreibenden Partner einen Anspruch auf Ausgleich<br />
des Steuerschadens haben, ist i. d. R. eine<br />
entsprechende Steuerklausel notwendig.<br />
Die weiteren Rechtsfolgen der Gewerblichkeit gehen<br />
darüber weit hinaus:<br />
9 Der Rechtsanwalt kann nach § 141 AO buchführungspflichtig<br />
werden. Ausstehende Forderungen und „unfertige<br />
Leistungen“ sind dann zu aktivieren. Dieses führt im<br />
Jahr der ersten Bilanzierung zu einer u. U. nicht unerheblichen<br />
Gewinnrealisierung. Beispiel: Eine Sozietät mit<br />
drei Partnern hat Rechnungen in Höhe von 150.000 E geschrieben,<br />
die bisher noch offen sind. Als Freiberufler ermitteln<br />
die Sozien ihren Gewinn durch eine einfache<br />
Einnahme-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). Erst<br />
mit Zahlungseingang erhöht sich der Gewinn. Muss die<br />
Sozietät zur Bilanzierung übergehen, sind die offenen<br />
Rechnungen unabhängig vom Zahlungseingang zu aktivieren.<br />
Der Gewinn erhöht sich schlagartig um<br />
150.000 E. Die spätere Zahlung ist dann ertragsteuerlich<br />
irrelevant. Wird die Honorarforderung später uneinbringlich,<br />
ist sie nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG teilwertzuberichtigen,<br />
was den Gewinn reduziert.<br />
9 I. d. R. ist im Rahmen der Umsatzsteuer von der Ist-Besteuerung<br />
(nach dem vereinnahmten Entgelt, § 16 UStG)<br />
zur Soll-Besteuerung zu wechseln. Auch dieses führt im<br />
Umstellungsjahr zu einer u. U. erheblichen Mehrbelastung:<br />
Beispiel: Wie eben. Mit der Gewerblichkeit muss<br />
die Sozietät die Umsatzsteuer auch auf die noch nicht<br />
eingenommenen, aber in Rechnung gestellten Honorare<br />
abführen (16 % auf 150.000 E = 24.000 E). Wird das Honorar<br />
später tatsächlich vereinnahmt, hat dieses keine<br />
Auswirkungen auf die Umsatzsteuer. Die spätere Uneinbringlichkeit<br />
wird nach § 17 UStG berücksichtigt.<br />
Gestaltungsmöglichkeiten<br />
Lässt sich die Gewerblichkeit nicht vermeiden oder will<br />
man die lukrative gewerbliche „Nebentätigkeit“ (z. B. als<br />
Insolvenzverwalter) nicht aufgeben, stellen sich die Gestaltungsfragen,<br />
wie man die freiberufliche anwaltliche Tätigkeit<br />
von der gewerblichen sauber abgrenzt. Entsprechende<br />
Überlegungen sollten vorsorglich bereits dann angestellt<br />
werden, wenn die ernsthafte Möglichkeit der Gewerblichkeit<br />
besteht.<br />
Im Rahmen einer Einzelpraxis ist die Gestaltung relativ<br />
einfach. Die verschiedenen Tätigkeitsfelder sind sauber zu<br />
trennen. Zumindest in der Buchhaltung müssen die Ge-<br />
schäfte gesondert aufgezeichnet werden, um eine eigenständige<br />
Gewinnermittlung zu ermöglichen.<br />
Um eine Rechtsanwaltssozietät nicht über eine gewerbliche<br />
Nebentätigkeit zu infizieren, muss diese Tätigkeit auf<br />
eine eigenständige Gesellschaft ausgelagert werden. Steuerrechtlich<br />
ist es zulässig, neben der freiberuflichen Sozietät<br />
eine personenidentische gewerbliche Gesellschaft zu betreiben.<br />
Berufsrechtlich ist die sog. Sternsozietät jedoch problematisch<br />
23 . Die Kammern greifen einen Verstoß gegen<br />
das Verbot der Sternsozietät i. d. R. nicht auf. Bei der Ausgliederung<br />
ist jedoch darauf zu achten, dass steuerrechtlich<br />
die Buchwerte fortgeführt werden können (§§ 6 Abs. 5, 16<br />
Abs. 3 EStG) und keine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung<br />
24 begründet wird.<br />
Beispiel: A, B und C haben sich zu einer Sozietät zusammengeschlossen.<br />
Die Kanzlei befindet sich in einer Immobilie,<br />
die den Partnern gehört. A und B machen ihren<br />
Umsatz zu je 75 % als Insolvenzverwalter und beschäftigen<br />
dazu 15 qualifizierte Mitarbeiter. Um eine eventuelle Gewerblichkeit<br />
der Tätigkeit als Insolvenzverwalter auf diese<br />
Einkünfte zu beschränken, wird eine Insolvenzverwalter-<br />
GbR gegründet, an der A, B und C beteiligt sind. Wird<br />
diese GbR in den bisherigen Räumlichkeiten betrieben und<br />
schließt diese GbR dazu einen Mietvertrag mit A, B und C<br />
ab, liegen die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen<br />
für eine Betriebsaufspaltung vor. Die Einkünfte der Anwaltssozietät<br />
werden über dieses steuerliche Gebilde gewerblich<br />
von der Insolvenzverwalter-GbR infiziert. Die Gestaltung<br />
hätte nicht den gewünschten Effekt erzielt.<br />
Weiterer Gefahrenherd ist die eingangs erwähnte rein<br />
kapitalmäßige Beteiligung. Sind in dem Beispielsfall A und<br />
B weiterhin an der alten Sozietät beteiligt, dort aber nicht<br />
aktiv tätig und dennoch am Gewinn beteiligt, droht unter<br />
diesem Gesichtspunkt die Gewerblichkeit. Es muss daher<br />
eine entsprechende Tätigkeit von A und B in der ursprünglichen<br />
Sozietät nachgewiesen werden können.<br />
Unabhängig von diesen Gestaltungsüberlegungen ist zu<br />
beachten, dass sich bei der Frage, ob ein Rechtsanwalt gewerbliche<br />
Einkünfte hat, in aller Regel ein Rechtsstreit<br />
lohnt. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Nur<br />
wenige Fälle dürften so eindeutig liegen, dass darüber nicht<br />
gestritten werden könnte.<br />
23 Vgl. dazu Römermann, in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung,<br />
2. Aufl., 2001, § 31 BerufsO Rz. 18 ff.; Henssler, NJW 1999, 241, 245 f.; Kilian,<br />
NJW 2001, 326 ff.; Deichfuß, AnwBl. 2001, 645 ff.<br />
24 Vgl. dazu Schmidt, in:Schmidt, aaO, § 15 Rz. 855 ff.; Wacker in Schmidt, aaO,<br />
§ 18 Rz. 55.
244<br />
MN<br />
Anwaltsrecht<br />
Bücherschau<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln*<br />
Sozietätsrecht<br />
Nachdem die letzten Jahre eine Vielzahl von wissenschaftlichen<br />
Veröffentlichungen zu Berufsausübungsgesellschaften<br />
in der Rechtsform der PartG und der GmbH<br />
hervorgebracht haben, hat sich das anwaltliche Gesellschaftsrecht<br />
ein wenig beruhigt 1 . Doch es bleiben Bereiche,<br />
die weiterhin Raum für vertiefte Auseinandersetzung lassen.<br />
Das anwaltliche Gesellschaftsrecht ist daher aufgrund<br />
der reizvollen Verschränkung mit dem allgemeinen Zivilrecht<br />
und dem Berufsrecht weiterhin beliebter Gegenstand<br />
von Dissertationsschriften.<br />
9 Die normative Behandlung der Anwaltsaktiengesellschaft<br />
in der BRAO ist, nachdem ihre grundsätzliche Zulässigkeit<br />
von der Rspr. (BayObLG NJW 2000, 1647) bestätigt<br />
worden ist, eine der anstehenden Aufgaben des Gesetzgebers.<br />
Vor diesem Hintergrund ist die Studie „Die Aktiengesellschaft<br />
als neue Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse:<br />
Zulässigkeit und Ausgestaltung“ von Malte<br />
Passarge 2 eine willkommene Neuerscheinung auf dem<br />
Büchermarkt, handelt es sich doch um die, soweit ersichtlich,<br />
erste monothematische Arbeit zum Thema. Die relativ<br />
straffe Untersuchung ist eine von Habermeier betreute<br />
Greifswalder Dissertation, die sich wenig überraschen in<br />
längeren Passagen mit dem anwaltlichen Kapitalgesellschaftsrecht<br />
im Allgemeinen auseinandersetzt. Passarge<br />
sieht in der Kapitalgesellschaft und insbesondere in der Aktiengesellschaft<br />
eine nicht nur aus haftungsrechtlichen<br />
Gründen sondern auch mit Blick auf die Außendarstellung<br />
empfehlenswerte Organisationsform. Die von ihm für die<br />
Diversifizierung des anwaltlichen Leistungsangebots vorgeschlagenen<br />
Holdingskonstruktionen werfen allerdings die<br />
– nicht näher behandelte – Frage mit der Vereinbarkeit solcher<br />
Holdings mit dem Verbot der Sternsozietät auf. Im<br />
Hinblick auf die praktische Ausgestaltung der Anwalts-AG<br />
lehnt Passarge die analoge Anwendung der BRAO-Vorschriften<br />
zur Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ab und gewinnt<br />
Gestaltungsvorgaben aus dem Gesamtkontext des<br />
Berufsrechts. Er gelangt zur Notwendigkeit eines berufsrechtlichen<br />
Zulassungsverfahren, sieht die Anwalts-AG als<br />
postulationsfähig an und verzichtet auf die allgemein angenommene<br />
Notwendigkeit der ausschließlichen oder zumindest<br />
mehrheitlichen Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat<br />
mit Berufsträgern. Seine Ergebnisse werden aus diesem<br />
Grunde nicht unwidersprochen bleiben. Gerade deshalb<br />
kann die Arbeit aber die rechtspolitische Diskussion befruchten<br />
und voranbringen.<br />
9 Besonders Interesse findet das anwaltliche Gesellschaftsrecht<br />
vor allem wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten,<br />
durch Rechtsformwahl eine Haftungsbegrenzung<br />
herbeizuführen. Die von Wendeling-Schröder in Hannover<br />
betreute Untersuchung von Marc Wendt zur „Die Entwicklung<br />
des Rechts der Haftungsbeschränkung im Falle fehlerhafter<br />
Berufsausübung durch Rechtsanwälte“ 3 greift<br />
die Thematik mit einem rechtsformübergreifenden Ansatz<br />
auf, nachdem in den vergangenen Jahren nicht wenige Untersuchungen<br />
zu einzelnen Rechtsformen von Berufsaus-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Mitteilungen<br />
übungsgesellschaften wie<br />
der GbR, PartG oder<br />
GmbH speziell mit Blick<br />
auf die jeweilige Haftungsverfassung<br />
der fraglichen<br />
Gesellschaftsform<br />
vorgelegt worden sind.<br />
Die Studie birgt demgemäss<br />
wenig neue Erkenntnisse<br />
und ist eher als eine<br />
die (junge) Geschichte der<br />
anwaltlichen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten<br />
nachzeichnende Kompilation<br />
angelegt. Das erste � Rechtsanwalt Dr. M. Kilian<br />
Fünftel der Untersuchung<br />
widmet sich der Haftung<br />
des Einzelanwalts und insbesondere den Freizeichnungsmöglichkeiten<br />
in § 51a BRAO. Die sich anschließenden Kapitel<br />
behandeln die Haftung in der GbR und finden insoweit<br />
Interesse, als sie eine der ersten Darstellungen zur Haftungsverfassung<br />
von Anwaltssozietäten nach dem grundlegenden<br />
Urteil des BGH vom 29. Januar 2001 zur Teilrechtsfähigkeit<br />
der GbR enthalten. Manche spannende<br />
Frage bleibt hierbei aber unbeantwortet, etwa die Bedeutung<br />
der neueren GbR-Rspr. für die Haftung in interprofessionellen<br />
oder internationalen Sozietäten, in denen in der<br />
Vergangenheit die Reichweite der Vertragsverhältnisse und<br />
damit der vertraglichen Haftung unter Berücksichtigung der<br />
Erfüllungsberechtigung der jeweiligen Gesellschafter beurteilt<br />
wurde. Neben einer allgemeinen Schilderung der Haftungssituation<br />
wird in kürzeren Passagen die Haftung einund<br />
austretender Sozien und angestellter Rechtsanwälte sowie<br />
die jeweilige Bedeutung des § 51a BRAO für solche<br />
Konstellationen erörtert. Anschließende Abschnitte widmen<br />
sich mit ähnlicher Aufteilung der Haftung in PartG, GmbH<br />
und – knapp – der AktG. Bekannte Streitfragen – etwa<br />
nach der Möglichkeit der Haftungskonzentration auf angestellte<br />
Anwälte oder nach den Kriterien der Bearbeitung eines<br />
Mandats in § 8 Abs.2 PartG bei der Delegation von<br />
Mandaten – arbeitet Wendt jeweils heraus und nimmt meinungsfreudig<br />
Stellung. Dem bereits umfassend informierten<br />
Sozietätsrechtler wird die Arbeit wenig neue Erkenntnisse<br />
bringen, dem an einer überblicksartigen Darstellung Interessierten<br />
für einen Einstieg in die Materie aber eine solide<br />
aufgearbeitete Untersuchung bieten.<br />
9 Durch die Neigung vieler assoziierter Rechtsanwälte,<br />
angestellte Kollegen oder freie Mitarbeiter in der Außendarstellung<br />
als sog. „Briefkopfpartner“ oder „Außensozien“ zu<br />
führen, kommt der Rechtsscheinhaftung im anwaltlichen<br />
Gesellschaftsrecht eine besondere Bedeutung zu. Die<br />
Schwierigkeiten vieler Bürogemeinschaften, die Trennlinie<br />
zwischen einer bloßen Innengesellschaft und einer Berufsausübungsgesellschaft<br />
deutlich zu kommunizieren, sind<br />
eine andere Spielart des Problems. Christian Schulte beleuchtet<br />
in einer von Oppermann betreuten Arbeit mit dem<br />
* Rechtsanwalt in Köln; Vorstand des Soldan-Instituts für Anwaltmanagement<br />
e.V., Essen. kilian@anwaltsrecht.org.<br />
1 Martin Henssler / Michael Streck (Hrsg.), Handbuch des Sozietätsrechts, Verlag<br />
Dr. Otto Schmidt, Köln 2001, 1120 S., ISBN 3-504-1820-X, 124,00 EUR.<br />
2 Malte Passarge, Die Aktiengesellschaft als neue Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse:<br />
Zulässigkeit und Ausgestaltung, Band 55 der Schriftenreihe<br />
des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln, Anwaltverlag, Bonn<br />
2003, 184 S., ISBN 3-8240-5219-9, 48,50 EUR.<br />
3 Marc Wendt, Die Entwicklung des Rechts der Haftungsbeschränkung im Falle<br />
fehlerhafter Berufsausübung durch Rechtsanwälte, Dr. von Göler Verlagsgesellschaft,<br />
München 2003, 247 S., ISBN 3-935911-03-3, 24,80 EUR.
AnwBl 4/2004 245<br />
Mitteilungen MN<br />
Titel „Die Rechtsscheinhaftung im Gesellschaftsrecht der<br />
freien Berufe“ 4 dieses wichtige, bislang aber im Schrifttum<br />
wenig aufgearbeitete Thema. Neben den Rechtsanwälten<br />
beleuchtet die Studie – deren Schriftbild ein wenig<br />
gewöhnungsbedürftig ist – auch die Haftungssituation der<br />
Ärzte. Sie gibt zunächst in Grundzügen einen Überblick<br />
über die beiden Berufen zur Verfügung stehenden Organisationsmodelle<br />
und deren Haftungsverfassung. Nach rund<br />
90 Seiten Hinleitung widmet sich Schulte sodann der<br />
Rechtsscheinhaftung. Bedauerlicherweise entscheidet er<br />
sich gleich zu Beginn für die Verwendung des gebräuchlichen,<br />
wenngleich inhaltlich unscharfen Begriffs des<br />
„Scheinsozius“ – die Rechtsscheinhaftung begründet aber<br />
keine „scheinbare“ Gesellschafterstellung, sondern im Außenverhältnis<br />
eine Gesellschafterstellung kraft Rechtsscheins.<br />
Schulte zeichnet die dogmatischen Grundlagen der<br />
allgemeinen Rechtsscheinhaftung nach, um zum Ergebnis<br />
zu gelangen, dass diese bei anwaltlichen Handlungsformen<br />
oftmals nicht greifen, weil entsprechende Vertrauenstatbestände<br />
zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags zumeist<br />
noch nicht gesetzt sind. Er hält auch den Umweg<br />
über die Annahme einer Duldungs- oder Anscheinsgenehmigung<br />
für wenig überzeugend, ebenso wie er die Behandlung<br />
des Erfordernisses durch die Rspr., dass der gesetzte<br />
Rechtsschein kausal für das Mandantenhandeln sein muss,<br />
kritisiert. Ob allerdings Mandanten, wie Schulte annimmt,<br />
oftmals tatsächlich aufgrund eines besonderen Vertrauens<br />
zu einem einzelnen in der Sozietät tätigen Rechtsanwalt<br />
das Mandat erteilen, wird man bezweifeln können. Verdienstvoll<br />
ist die Erörterung der Grundsätze der anwaltlichen<br />
Rechtsscheinhaftung mit Blick auf die „modernen“<br />
Gesellschaftsformen der PartG und GmbH, bei denen Modifikationen<br />
der Rechtsprechungsgrundsätze zur GbR unvermeidlich<br />
sind.<br />
Juristenausbildung<br />
9 Das bekannte Autorenteam Römermann/Hartung hat<br />
sich auch in diesem Bereich zusammengespannt und dem<br />
2002 erschienenen Werk „Anwaltliches Berufsrecht“, das<br />
einen lehrbuchartigen Überblick über die verschiedenen<br />
Bereiche des Anwaltsrechts gibt, das auf Referendare zielende<br />
Werk „Die Anwaltsstation nach neuem Recht“ 5<br />
nachfolgen lassen, für das sie als Herausgeber verantwortlich<br />
zeichnen. Ebenfalls in der Beck’schen Reihe “Studium<br />
und Praxis“ erschienen, erläutert das Buch nicht nur im<br />
Umfang von jeweils 10 – 25 Seiten die Bearbeitung von<br />
Mandaten im Zivil-, Wirtschafts-, Familien-, Arbeits-,<br />
Straf-, Verwaltungs-, Straf- und Steuerrecht, sondern auch<br />
in einem allgemeinen Teil die Grundlagen einer solchen<br />
Mandatsbearbeitung. So werden Anleitungen zum Umgang<br />
mit Mandanten und der Arbeitsorganisation gegeben. Naturgemäß<br />
können in einem knapp 300seitigen Werk all’<br />
diese Aspekte der anwaltlichen Tätigkeit nicht erschöpfend<br />
behandelt werden, bieten sie doch schon jeweils für sich<br />
genommen hinreichend Stoff für ein eigenes Buch. Ein vertiefte<br />
Befassung kann von einem Referendar aber auch<br />
schwerlich verlangt werden, so dass überblicksartige Darstellungen,<br />
die eine erste Orientierung ermöglichen, konzeptionell<br />
richtig liegen.<br />
9 Auf die selbe Zielgruppe der Referendare zielt das in<br />
Skriptform gehaltene, zweibändige Werk „Anwaltsrecht“,<br />
das in der Reihe „Referendarausbildung Recht“ des Verlages<br />
Richard Boorberg erschienen ist. Ein Team von mehr<br />
als zwei Dutzend Autoren, die sämtlich Dozenten der von<br />
den Rechtsanwaltskammern organisierten anwaltsorientierten<br />
Ausbildungsangebote sind, hat die Skripten bewusst als<br />
Ausbildungsmaterial konzipiert, weshalb auch Mengenrabatte<br />
bei der Abnahme größerer Stückzahlen und ein reduzierter<br />
Paketpreis beim Erwerb beider Titel eingeräumt werden.<br />
Der erste Band 6 befasst sich mit den Grundlagenfragen<br />
der anwaltlichen Berufstätigkeit und erörtert Fragen des Berufsrechts<br />
im engeren Sinne, der Kanzleigründung, der<br />
Vergütung des Rechtsanwalts und des Steuerrechts. Die Arbeit<br />
mit diesem Band soll die theoretischen Grundlagen legen,<br />
während sich der zweite, umfangreichere Band 7 den<br />
Tätigkeitsfeldern der anwaltlichen Praxis widmet. Neben<br />
den klassischen Rechtsgebieten (Zivil-, Arbeits-, Straf-,<br />
Verwaltungs-, Familien- und Erbrecht) wird mit Kapiteln<br />
zu schlichtender und mediierender Tätigkeit, der Zwangsvollstreckung<br />
und der Vertragsgestaltung des Anwalts auch<br />
typischen rechtsgebietübergreifenden Handlungsformen<br />
Rechnung getragen. Eine interessante Besonderheit der<br />
Skripten ist ihre Verzahnung mit einem Online-Support-<br />
Dienst, über den weiterführende Materialien, Klausurentipps<br />
und ausbildungsbezogene Mitteilungen der Anwaltskammern<br />
abgerufen werden können.<br />
Steuern des Anwalts<br />
Die hitzige Diskussion über die angedachte Erstreckung<br />
der Gewerbesteuerpflicht auf Freiberufler hat das Thema<br />
“Steuern des Anwalts“ wieder in Erinnerung gerufen. Ein<br />
im Boorberg-Verlag erschienenes Werk von Demuth mit<br />
dem Titel „Steuern, Buchführung und Bilanz der Anwaltskanzlei“<br />
8 will das notwendige Basis-Know-how für Rechtsanwälte<br />
zur gegenwärtigen Rechtslage vermitteln. Dargestellt<br />
werden die Bereiche Einkommens-, Lohn- und<br />
Umsatzsteuer sowie die steuerlichen Auswirkungen der<br />
Gründung, Eintritt in und Ausscheiden aus Berufsausübungsgesellschaften.<br />
Demuth beschränkt sich nicht auf<br />
die Vermittlung des steuerrechtlichen Wissens, das der<br />
Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten beherrschen<br />
sollte. In weiteren Abschnitten erörtert der Autor die für<br />
die Mandatspraxis wichtigen Grundlagen von Buchführung<br />
und Jahresabschluss. Besonders hilfreich ist ein 40seitiger<br />
Abschnitt zu den Grundzügen einer Bilanzanalyse. Ein<br />
Glossar rundet die gelungene, auf den steuerrechtlichen<br />
Einsteiger zugeschnittene Darstellung ab.<br />
Vorschau: Die nächste Bücherschau wird sich schwerpunktmäßig<br />
mit Neuerscheinungen zum anwaltlichen<br />
Marketing und zum anwaltlichen Satzungsrecht befassen.<br />
4 Christian Schulte, Die Rechtsscheinhaftung im Gesellschaftsrecht der freien Berufe:<br />
Eine exemplarische Untersuchung am Beispiel der Anwalts- und Arzthaftung,<br />
Mensch & Buch Verlag, Berlin 2002, 273 S., ISBN3-89820-315-8, 24,00<br />
EUR.<br />
5 Volker Römermann / Wolfgang Hartung, Die Anwaltsstation nach neuem Recht:<br />
Ein Lehrbuch, Verlag C.H. Beck, München 2003, 316 S., ISBN 3-406-50454-X,<br />
24,00 EUR.<br />
6 Mario Axmann u.a., Anwaltsrecht I, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2003,<br />
236 S., ISBN 3-415-03141-1, 25,00 EUR (zusammen mit Band II 48,00 EUR).<br />
7 Frank Adler u.a., Anwaltsrecht II, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2003, 416<br />
S., ISBN 3-415-03143-8 , 28,00 EUR. (zusammen mit Band I 48,00 EUR)<br />
8 Björn Demuth, Steuern, Buchführung und Bilanz der Anwaltskanzlei: Basis-<br />
Know-how für Rechtsanwälte, Richard Boorberg-Verlag, Stuttgart 2003, 157 S.,<br />
ISBN3-415-03157-8, 27,50 EUR.
246<br />
MN HAFTPFLICHTFRAGEN<br />
Anforderungen im Rahmen<br />
der vorläufigen<br />
Vollstreckbarkeit<br />
Assessorin Jacqueline Bräuer<br />
Allianz Versicherungs-AG München<br />
1. Einleitung<br />
Der Weg zum Titel ist oftmals lang und beschwerlich.<br />
Aber eigentlich ist es nicht der Titel, den der Mandant erstrebt<br />
hat, sondern ihm geht es um die Erfüllung eines Anspruchs,<br />
die Begleichung einer Schuld im weiteren Sinne.<br />
Leistet der Schuldner angesichts des Tenors „im Namen des<br />
Volkes“ nicht von selbst und freiwillig, so bedarf es bei der<br />
Durchsetzung des titulierten Anspruchs wiederum der Inanspruchnahme<br />
staatlicher Hilfe. Das System der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
ist komplex und birgt aus anwaltlicher<br />
Sicht manche Fehlerquelle. Dies soll uns aber an<br />
dieser Stelle nicht näher beschäftigen. Denn für den Anwalt<br />
– und natürlich für den Mandanten – stellt sich zuvor<br />
zwangsläufig die Frage nach dem Ob und Wann der Vollstreckung.<br />
Kann zunächst nur ein vorläufig vollstreckbarer<br />
Titel erlangt werden, so sind hinsichtlich dessen Durchsetzung<br />
diverse Formalien zu beachten. Der Schuldner-Anwalt<br />
ist ebenfalls gefordert, stehen doch seinem Mandanten bestimmte<br />
(Abwehr)-Rechte zu. Dieses Wechselspiel der Instrumentarien<br />
soll im Folgenden näher beleuchtet werden.<br />
2. Das gesetzliche System der endgültigen und der vorläufigen<br />
Vollstreckbarkeit<br />
Die Vollstreckung erfordert immer einen Titel. Dies<br />
können Endurteile sein, § 704 ZPO oder andere Titel, die<br />
in § 794 Abs. 2 ZPO aufgelistet sind. In der Praxis relevant<br />
sind hiervon insbesondere<br />
9 der Vergleich (Ziff. 1),<br />
9 der Kostenfestsetzungsbeschluss (Ziff. 2),<br />
9 der Vollstreckungsbescheid (Ziff. 4) und<br />
9 die vollstreckbare Urkunde (Ziff. 5).<br />
Endgültig vollstreckbar sind alle diejenigen Titel, die<br />
grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden können, die<br />
also im weiteren Sinne rechtskräftig sind. Da hier im normalen<br />
Verlauf der Dinge eben keine Abänderung des Titels<br />
mehr zu befürchten steht, besteht auch kein Grund, dem<br />
Gläubiger etwa nur eine vorläufige Vollstreckung zu erlauben,<br />
um den Schuldner vor Nachteilen zu schützen. Titel<br />
dagegen, die noch keinen endgültig sicheren Bestand haben,<br />
können nur für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.<br />
Dies entspricht einer Abwägung der Interessen von Gläubiger<br />
und Schuldner. Der Gläubiger soll nicht übermäßig bevorzugt<br />
werden, der Schuldner nicht unnötig benachteiligt,<br />
indem vollendete Tatsachen geschaffen werden.<br />
Beide, sowohl Schuldner als auch Gläubiger, brauchen, sofern<br />
sie anwaltlich vertreten sind, auch zur Vollstreckungsthematik<br />
anwaltliche Beratung. Diese sollte möglichst frühzeitig<br />
erfolgen, also nicht erst dann, wenn das Urteil zugestellt ist,<br />
sondern möglichst schon, wenn sich die Notwendigkeit eines<br />
Verfahrens an sich abzeichnet. Schließlich braucht der Mandant<br />
zumindest potentiell die Möglichkeit, sich auf das Kom-<br />
AnwBl 4/2004<br />
mende einzustellen. Er muss<br />
wissen, dass bis zur endgültigen<br />
Durchsetzung seines Anspruchs<br />
im schlimmsten Fall<br />
viele Jahre vergehen können,<br />
er muss auch wissen, dass er<br />
unter Umständen zumindest<br />
vorübergehend eine Sicherheitsleistung<br />
wird erbringen<br />
müssen. Gerade der Zeitfaktor<br />
spielt bei vielen Überlegungen<br />
eine entscheidende<br />
Rolle. Hat etwa der Gläubiger<br />
seinem Anwalt einen<br />
Auftrag zur Durchführung<br />
der Zwangsvollstreckung aus � Jacqueline Bräuer<br />
einem vorläufig vollstreckbaren<br />
Urteil erteilt, führt der<br />
Anwalt diesen Auftrag aber<br />
nicht zeitnah aus und ist später beim Schuldner nichts mehr<br />
zu erlangen, so macht sich der Anwalt schadenersatzpflichtig,<br />
wenn die zeitnahe weisungsgemäße Vollstreckung erfolgreich<br />
gewesen wäre (OLG Köln NJW-RR 86, 222).<br />
3. Die gesetzliche Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit<br />
a) Vorläufige Vollstreckbarkeit entweder ohne oder gegen<br />
Sicherheitsleistung<br />
Als lediglich vorläufig vollstreckbare Titel kommen nur<br />
Endurteile in Betracht, §§ 704 Abs. 1, 300 ZPO. Die ZPO<br />
unterscheidet solche Endurteile, die grundsätzlich von<br />
Amts wegen ohne Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu<br />
erklären sind, § 708 ZPO, und solche, die grundsätzlich<br />
von Amts wegen nur gegen Sicherheitsleistung für vollstreckbar<br />
zu erklären sind, § 709 ZPO. § 708 ZPO enthält<br />
eine abschließende Aufzählung der in Betracht kommenden<br />
Endurteile, § 709 ZPO betrifft alle Fälle von Endurteilen,<br />
die in § 708 ZPO nicht genannt sind. Hinzu kommt, dass<br />
Urteile der Arbeitsgerichte bereits mit ihrer Verkündung<br />
ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar sind, und zwar von<br />
Gesetzes wegen, ohne Vollstreckungsausspruch im Tenor,<br />
§ 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG. Für den Gläubiger, der das ihm<br />
günstige Urteil nun zumindest einmal vorläufig vollstrecken<br />
möchte, macht es natürlich einen erheblichen Unterschied,<br />
ob er zuvor noch eine Sicherheit stellen muss oder<br />
nicht, verständlicherweise vor allem bei größeren Beträgen.<br />
Die geleistete Sicherheit dient jedoch den Interessen des<br />
Schuldners genau für den Fall, dass der vorläufig vollstreckbare<br />
Titel abgeändert/aufgehoben wird, also als Vollstreckungsgrundlage<br />
entfällt. Hier stünde sonst der Schuldner,<br />
der die Vollstreckung über sich ergehen lassen musste,<br />
hinterher mit leeren Händen da, wenn er das Vollstreckte<br />
vom Gläubiger nicht zurückerlangen kann.<br />
b) Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung<br />
Die in der Praxis wichtigsten Fälle des § 708 ZPO dürften<br />
sein<br />
9 das Anerkenntnisurteil (Ziff. 1),<br />
9 das Versäumnisurteil (Ziff. 2),<br />
9 das Urteil im Urkundenprozess (Ziff. 4),
AnwBl 4/2004 247<br />
Haftpflichtfragen MN<br />
9 Urteile zwischen Mietvertragsparteien über Wohnraummietverhältnisse<br />
(Ziff. 7),<br />
9 Unterhaltsurteile (Ziff. 8) und<br />
9 Urteile der Oberlandesgerichte in vermögensrechtlichen<br />
Streitigkeiten (Ziff. 10).<br />
In diesen Fällen gibt das Gesetz den Interessen des obsiegenden<br />
Gläubigers den Vorzug, weil der Schuldner den<br />
Verfahrensausgang entweder selbst zu verantworten hat<br />
(z. B. Versäumnisurteil), weil der Gläubiger dringendst auf<br />
die Leistung angewiesen ist (z. B. Unterhaltstitel) oder weil<br />
das Urteil eine gesteigerte Vermutung der materiellen Richtigkeit<br />
in sich trägt (z. B. OLG-Urteil).<br />
c) Abwendungsbefugnis des Schuldners<br />
Das Gesetz bevorzugt hier schematisch den Gläubiger,<br />
aber bekanntlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Unter<br />
bestimmten Umständen hat der Schuldner die Möglichkeit,<br />
eine Vollstreckung des Gläubigers ohne Sicherheitsleistung<br />
abzuwenden. Dies aber wiederum nur in bestimmten Fällen<br />
und nur unter besonderen Voraussetzungen. So gibt es bei<br />
den Urteilen nach § 708 Ziff. 1–3 ZPO keine Abwendungsbefugnis,<br />
also z. B. beim Versäumnisurteil und beim<br />
Anerkenntnisurteil. Die Abwendungsbefugnis kommt also<br />
nur bei den Urteilen nach Ziff. 4–11 in Betracht. Die Abwendungsbefugnis<br />
ist von Amts wegen im Tenor auszusprechen.<br />
Im Detail richtet sich die Abwendungsbefugnis<br />
des Schuldners dann nach § 711 ZPO: Der Schuldner kann<br />
durch eigene Sicherheitsleistung (oder Hinterlegung) verhindern,<br />
dass der Gläubiger gegen ihn ohne Sicherheitsleistung<br />
vollstreckt. Es findet dann also keine Vollstreckung<br />
durch den Gläubiger statt, das Leistungsinteresse des Gläubigers<br />
wird bereits durch die Sicherheitsleistung des<br />
Schuldners hinreichend befriedigt. Dies kann allerdings der<br />
Gläubiger wieder dadurch unterlaufen, dass er nun entgegen<br />
dem Grundprinzip des § 708 ZPO doch eine Sicherheit<br />
erbringt, dann darf er nämlich gegen den Schuldner<br />
vollstrecken. Kann der Gläubiger die Sicherheit nicht aufbringen,<br />
will er aber unbedingt vollstrecken, kann ihm die<br />
Verweisung auf § 710 ZPO helfen, danach kann er nämlich<br />
unter bestimmten Voraussetzungen dann doch wieder ohne<br />
Sicherheitsleistung vollstrecken. Hier ist jeweils ein entsprechender<br />
Antrag erforderlich, § 714 ZPO, und zwar vor<br />
dem Schluss der mündlichen Verhandlung.<br />
Besteht ein übergeordnetes Interesse des Schuldners dahingehend,<br />
dass gegen ihn nicht vollstreckt wird (egal, ob<br />
der Gläubiger ohnehin Sicherheit leisten müsste oder nicht),<br />
so kommt § 712 ZPO in Betracht. Der Schuldner müsste<br />
hier allerdings darlegen können, dass ihm ansonsten ein<br />
nicht zu ersetzender Nachteil entstünde. Der Schuldner hat<br />
hierfür die volle Beweislast. Und was vielleicht für den<br />
Schuldner persönlich noch viel schlimmer ist: er muss seine<br />
Vermögensverhältnisse vollständig offen legen. Der praktische<br />
Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung ist<br />
eher gering. Jedenfalls wäre auch hier ein Antrag gemäß<br />
§ 714 ZPO vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung<br />
erforderlich.<br />
d) Beratungsbedarf<br />
Dieses kompliziert verschachtelte System kann selbst<br />
der Jurist nur schwer verinnerlichen, dem Mandanten ist es<br />
sicher kaum nahe zu bringen. Dennoch muss der Anwalt<br />
auch hierbei die Interessen des Mandanten wahren. Will der<br />
Mandant schon vollstrecken oder vorerst noch nicht? Ist er<br />
eventuell auf die Vollstreckung dringend angewiesen?<br />
Könnte er im Bedarfsfall eine Sicherheit in der konkreten<br />
Höhe überhaupt stellen? Ist eventuell zu befürchten, dass<br />
bei längerem Zuwarten beim Schuldner nichts mehr zu erlangen<br />
ist? Alle diese Fragen müssen letztlich geklärt werden.<br />
Der Mandant von sich aus wird das Thema vermutlich<br />
kaum ansprechen. Der Anwalt wird nicht einfach abwarten<br />
können, ob der Mandant bezüglich der Vollstreckung auf<br />
ihn zukommt. Er muss ihn beraten und ihm seine Möglichkeiten<br />
aufzeigen, genauso aber auf die Möglichkeiten des<br />
Gegners hinweisen. Der Anwalt muss auch erläutern, wie<br />
die Sicherheitsleistung funktioniert. Schließlich kann die<br />
Sicherheit nicht nur durch eine Bürgschaft erbracht werden<br />
– was sicherlich die bekannteste Variante ist –, es kommt<br />
zum Beispiel auch die Hinterlegung bestimmter Wertgegenstände<br />
in Betracht. Der Mandant wird die Art und Weise<br />
der Sicherheitsleistung in der Regel nach seinen persönlichen<br />
Verhältnissen und Möglichkeiten einrichten wollen.<br />
Das wird aber nur zufriedenstellend gelingen, wenn dies<br />
ohne Zeitdruck möglich ist. Es müssen zielgerichtete Anträge<br />
rechtzeitig gestellt werden. Die zeitliche Grenze ist<br />
hierbei immer der Schluss der mündlichen Verhandlung.<br />
Der Anwalt muss also vorausschauend arbeiten.<br />
e) Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung<br />
Zur Anordnung einer Sicherheitsleistung kann es also<br />
auf verschiedenen Wegen kommen. Das Gericht muss die<br />
Höhe und die Art und Weise der Sicherheitsleistung bereits<br />
im Tenor angeben. Der Betrag der Sicherheitsleistung ist im<br />
Vollstreckungsverfahren (innerhalb der Instanz) nicht abänderbar.<br />
Da durch die Sicherheit der Schuldner vor einem<br />
Vollstreckungsschaden geschützt werden soll, muss sie<br />
möglichst sein vollständiges Interesse abdecken und im<br />
Zweifel eher etwas zu hoch als zu gering bemessen sein. In<br />
der Gerichtspraxis ist immer häufiger zu beobachten, dass<br />
nicht ein absoluter Betrag genannt wird, sondern beispielsweise<br />
wird formuliert „in Höhe von 120 % des beizutreibenden<br />
Betrages“. Hier müsste der Anwalt also rechnen.<br />
Über das Sicherungsmittel können im Bedarfsfall Schuldner<br />
und Gläubiger eine abweichende Vereinbarung treffen.<br />
f) Versehen des Gerichts<br />
Fehlt im Urteil ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit,<br />
obwohl ein solcher eigentlich erforderlich<br />
wäre, so kann nach § 321 ZPO die Ergänzung des Urteils<br />
innerhalb der 2-Wochen-Frist nach Absatz 2 beantragt werden,<br />
vgl. § 716 ZPO.<br />
g) Besondere prozessuale Situationen<br />
Ist die Berufungsfrist abgelaufen, ohne dass Berufung<br />
eingelegt wurde, so ist da Urteil formal betrachtet rechtskräftig,<br />
vgl. § 705 ZPO. Allerdings kann es sein, dass Wiedereinsetzung<br />
beantragt wird. Theoretisch wäre das Urteil<br />
erster Instanz uneingeschränkt vollstreckbar, der Schuldner<br />
jedoch, der mit seinem Wiedereinsetzungsantrag durchdringt,<br />
hätte das Nachsehen. Hier gibt § 707 ZPO dem<br />
Schuldner die Möglichkeit, einen Antrag auf Einstellung<br />
der Zwangsvollstreckung zu stellen. Sinnvollerweise sollte<br />
der Antrag zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag<br />
gestellt werden. Wohlgemerkt: Der Antrag nach § 707 ZPO<br />
erfolgt – unter bestimmtem Voraussetzungen – erst, wenn<br />
ein Urteil schon vorliegt. Dagegen sind Maßnahmen nach<br />
§§ 710,711,712 ZPO nur vor Ergehen eines Urteils zu beantragen,<br />
da der Ausspruch der entsprechenden Anordnung ja<br />
bereits in dem Urteil erfolgt.
248<br />
MN<br />
Ähnlich wie bei der Wiedereinsetzung ist die Interessenlage<br />
auch beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil.<br />
§ 719 Abs. 1 ZPO verweist auf § 707 ZPO. § 719 Abs. 1 S.<br />
2 ZPO stellt hier eigene Voraussetzungen für einen Vollstreckungsschutz<br />
zugunsten des Schuldners auf: entweder<br />
ist das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen<br />
oder der Schuldner macht glaubhaft, dass seine Säumnis<br />
unverschuldet war. Diese Voraussetzungen sind eine<br />
wesentlich niedrigere Hürde als die des § 707 ZPO. Deshalb<br />
ist strittig, ob die Tatbestandsmerkmale des § 707<br />
ZPO in diesem Fall kumulativ gegeben sein müssen (vgl.<br />
dazu Karst MDR 03, 1391). Das OLG Stuttgart hat mit Beschluss<br />
vom 21.10.2002 entschieden, dass die Voraussetzungen<br />
des § 707 ZPO nicht zusätzlich vorliegen müssen<br />
(NJW-RR 03, 713).<br />
Die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit stellt sich<br />
am häufigsten in der ersten Instanz. In rund der Hälfte aller<br />
Verfahren wird Berufung eingelegt. Es liegt also absehbar<br />
kein rechtskräftiges Urteil vor.<br />
Auch in der zweiten Instanz kann sich wiederum die<br />
Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit neu stellen, falls<br />
noch nicht aufgrund des erstinstanzlichen Urteils vollstreckt<br />
wurde. Es wird leicht übersehen, dass es hier keinen Automatismus<br />
gibt. Auf die Vollstreckung gerichtete Anträge<br />
sind in der zweiten Instanz erneut zu stellen. Wurde das<br />
übersehen, könnte man meinen, sich nach Ergehen des zweitinstanzlichen<br />
Urteils in der Revisionsinstanz noch über<br />
§ 719 Abs. 2 ZPO (einstweilige Einstellung der Vollstreckung<br />
bei nicht zu ersetzendem Nachteil) retten zu können.<br />
Hier geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, dass sich<br />
der Schuldner auf einen nicht zu ersetzenden Nachteil nur<br />
berufen darf, wenn er Vollstreckungsschutz schon in der Berufungsinstanz<br />
beantragt hatte (BGH NJW-RR 02, 1650;<br />
BGH NJW-RR 02, 573). Ähnlich ergeht es dem Gläubiger.<br />
Auch er darf Versäumnisse aus der Vorinstanz nicht heilen,<br />
da schließlich § 714 ZPO mit der zeitlichen Grenze keine<br />
unzumutbare Hürde darstellt (so OLG Karlsruhe NJW-RR<br />
89, 1470). Fazit: Da es bei derartigen Versäumnissen keine<br />
Heilung gibt, trifft der Vorwurf letztlich den Anwalt.<br />
4.Vollstreckungsschäden<br />
Ein vorläufig vollstreckbares Urteil ist eben gerade deshalb<br />
nur vorläufig vollstreckbar, weil es nicht rechtskräftig<br />
ist und potentiell aufgrund eines Rechtsmittels geändert<br />
werden könnte. Daraus resultiert das Schutzbedürfnis des<br />
Schuldners vor irreversiblen Maßnahmen. Andererseits<br />
muss sich der Gläubiger darüber im Klaren sein, dass er die<br />
vorläufige Vollstreckung letztlich auf eigene Gefahr betreibt<br />
und dass sich aus diesem zeitlich vorgezogenen Dürfen<br />
auch nachteilige Konsequenzen für ihn ergeben können. So<br />
nämlich die Schadenersatzpflicht gemäß § 717 Abs. 2<br />
ZPO. Diese ergibt sich zugunsten des vormaligen Schuldners<br />
(der vielleicht aufgrund des abändernden Urteils gar<br />
kein Schuldner mehr ist) für den Gläubiger dann, wenn aus<br />
der betriebenen vorläufigen Vollstreckung dem Schuldner<br />
ein Schaden erwachsen ist oder er zur Abwendung der Vollstreckung<br />
Aufwendungen getätigt hat, die er gern ersetzt haben<br />
möchte. Diese Schadenersatzpflicht trifft den Gläubiger,<br />
der eigentlich nur von einem ihm gesetzlich bzw.<br />
gerichtlich zugestandenen Recht Gebrauch gemacht hat,<br />
vollkommen verschuldensunabhängig. Letztlich muss er<br />
für sein Vertrauen in die Richtigkeit der ursprünglichen gerichtlichen<br />
Entscheidung büßen. Eine Konsequenz, die den<br />
juristischen Laien sicher überrascht. Umso wichtiger er-<br />
scheint es, dass der Anwalt den Mandanten, bevor dieser<br />
eine vorläufige Vollstreckung betreibt, auf diese mögliche<br />
Gefahr deutlich hinweist. Dass beispielsweise die erstinstanzliche<br />
Entscheidung für richtig befunden wird bzw.<br />
die Erfolgsaussichten des Schuldners in der Berufungsinstanz<br />
gering eingeschätzt werden, gibt nur eine trügerische<br />
Sicherheit. Grundsätzlich immer sollte die Möglichkeit<br />
in Betracht gezogen werden, dass die zweite Instanz doch<br />
entgegen der eigenen Auffassung des Anwalts entscheidet,<br />
egal wie gut die Beweislage ist oder wie simpel die rechtliche<br />
Problematik.<br />
Ob ein Schadenersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO<br />
gegeben ist, weiß man erst, wenn das Verfahren rechtskräftig<br />
abgeschlossen ist. Dennoch empfiehlt es sich, einen Vollstreckungsschaden<br />
möglichst frühzeitig geltend zu machen,<br />
nämlich noch in dem laufenden Verfahren. Dies aus dem<br />
Grund, dass nach gesetzlicher Fiktion bei diesem Vorgehen<br />
der Schadenersatzanspruch rückwirkend zum Zeitpunkt der<br />
Leistung rechtshängig wird mit der Folge, dass auch Zinsen<br />
schon ab dem zurückliegenden Zeitpunkt laufen. Theoretisch<br />
ist hinsichtlich des Schadenersatzanspruchs auch eine separate<br />
Klage nach Abschluss des ursprünglichen Verfahrens<br />
möglich, hier gibt es allerdings den Vorteil der Rückwirkung<br />
nicht, was sich bei größeren Beträgen bezüglich der Zinsen<br />
für den Mandanten durchaus spürbar auswirken kann. Ausgeschlossen<br />
ist der Schadenersatzanspruch in dieser Form jedoch<br />
bei der vorläufigen Vollstreckung eines OLG-Urteils in<br />
einer vermögensrechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 708<br />
Ziff. 10 ZPO, vgl. § 717 Abs. 3 ZPO. In die Richtigkeit eines<br />
OLG-Urteils soll der vollstreckende Gläubiger nun denn<br />
doch vertrauen können. Hier hat der Schuldner nur einen Bereicherungsanspruch.<br />
5. Exkurs: Anwaltshaftung beim Versäumnisurteil<br />
AnwBl 4/2004<br />
Haftpflichtfragen<br />
Das Versäumnisurteil ist – wie oben dargestellt – immer<br />
ohne Sicherheit des Gläubigers vollstreckbar, § 708 Ziff. 2<br />
ZPO Eine Abwendungsbefugnis des Schuldners nach § 711<br />
ZPO gibt es hier nicht. Der Schuldner kann sich aber nach<br />
§ 712 ZPO wehren, hier muss er eine eigene Sicherheit erbringen.<br />
Versetzt man sich nun in die Lage des anwaltlich<br />
vertretenen Schuldners, dessen Anwalt durch einen Fehler<br />
ein Versäumnisurteil ergehen lässt, so trifft den Schuldner-<br />
Mandanten dieses – für den Gläubiger vorläufig vollstreckbare<br />
– Urteil wie ein Keulenschlag. Darauf, plötzlich eine<br />
Sicherheit leisten zu müssen, war er natürlich nicht vorbereitet.<br />
Vielfach wird in dieser Situation verlangt, der Anwalt,<br />
ggf. seine Berufshaftpflichtversicherung, müsse die<br />
Sicherheit – in der Regel eine Bürgschaft – stellen. Dem ist<br />
allerdings im Ergebnis nicht so. Die Sicherheit hat lediglich<br />
eine vorübergehende Sicherungsfunktion. Wird das Versäumnisurteil<br />
aufgehoben, entspricht das genau der Argumentation<br />
des Schuldner-Mandanten, der Anspruch gegen<br />
ihn bestehe gar nicht. Die Sicherheit ist bei dieser Konstellation<br />
vom Gläubiger an den Schuldner zurück zu gewähren,<br />
dieser steht sich dann wirtschaftlich kaum schlechter,<br />
als wenn ein Versäumnisurteil nie ergangen wäre. Ein<br />
Schaden des Mandanten bleibt nur in der Höhe der Kosten<br />
für die Beschaffung der Sicherheit. Diese, aber nur diese<br />
fallen in der Tat unter das Stichwort Anwaltshaftung. Wird<br />
das Versäumnisurteil dagegen durch streitiges Urteil bestätigt,<br />
so hat der Mandant gar keinen Schaden im rechtlichen<br />
Sinne das Versäumnisurteil entsprach sowieso der materiellen<br />
Rechtslage. Wo aber kein Schaden ist, da besteht natürlich<br />
auch kein Schadenersatzanspruch gegen den Anwalt.
AnwBl 4/2004 249<br />
7<br />
Anwaltsrecht<br />
GG Art. 3 Abs. 1; GewStG § 2 Abs. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1<br />
1. An der Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuerpflicht kraft<br />
Rechtsform gem. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG bestehen keine ernstlichen<br />
Zweifel.<br />
2. Dies gilt auch für die Gewerbesteuerpflicht einer Mitunternehmerschaft,<br />
an der neben freiberuflich tätigen Mitunternehmern<br />
eine Kapitalgesellschaft beteiligt ist, deren Gesellschafter<br />
und (hier) Geschäftsführer wiederum sämtlich freiberuflich tätig<br />
sind.<br />
BFH, Beschl. v. 3.12.2003 – IV B 192/03<br />
Sachverhalt: Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin)<br />
ist eine Rechtsanwaltssozietat in der Rechtsform einer<br />
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). In den Streitjahren 1995<br />
bis 2000 waren nicht nur mehrere Rechtsanwälte Gesellschafter<br />
der GbR, sondern auch eine Wirtschafts- und Steuerberatungs-<br />
GmbH (GmbH), auf die 79 v. H. der Anteile an der GbR entfielen.<br />
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt FA) behandelte<br />
die Antragstellerin wegen der Beteiligung der GmbH als<br />
Gewerbebetrieb und erließ Gewerbesteuermessbescheide. Gegen<br />
die Bescheide für 1995 bis 1999 hat die Antragstellern nach erfolglosen<br />
Einspruch Klage erhoben. Über den Einspruch gegen den<br />
Gewerbesteuermessbescheid 2000 ist noch nicht entschieden. Nach<br />
Ablehnung der Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV)<br />
durch das FA hatte ein beim Finanzgericht (FG) gestellter Antrag<br />
Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte EFG 2003, 1640). Das<br />
FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Anträge auf<br />
AdV abzulehnen.<br />
Aus den Gründen: Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur<br />
Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung der Anträge<br />
auf AdV.<br />
Bei der gebotenen summarischen Prüfung bestehen keine ernstlichen<br />
Zweifel i. S. d. § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung<br />
(FGO) an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gawerbesteuermessbescheide.<br />
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH entfaltet eine Mitunternehmerschaft<br />
nur dann eine freiberufliche Tätigkeit i. S. d. § 8<br />
Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn alle ihre Mitunternehmer freiberuflich tätig<br />
sind (vgl. etwa Beschluss des Großen Senats vom 25.6.1984<br />
GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; BFH-Urt. v.<br />
11.6.1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; vom<br />
23.11.2000 IV R 48/99, BFHE <strong>193</strong>, 482, BStBl II 2001, 241).<br />
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn an einer Personengesellschaft<br />
auch eine Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Denn eine Kapitalgesellschaft<br />
kann die Merkmale eines freien Berufs nicht<br />
erfüllen, weil ihre Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG stets als<br />
Gewerbebetrieb gilt.<br />
2. Der beschließende Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit<br />
des § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG.<br />
a) Der BFH hat mehrfach entschieden, dass die Entscheidung<br />
des Gesetzgebers, die Tätigkeit jeder Kapitalgesellschaft als gewerblich<br />
anzusehen, keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des<br />
Art. 3 Abs. 1 GG darstellt (BFH-Urteile in BFHE 120, 265,<br />
BStBl II 1977, 10, und in BFHE 122, 318, BStBl II 1977, 669). Die<br />
gegen diese Entscheidungen eingelegten Verfassungsbeschwerden<br />
wurden nicht zur Entscheidung angenommen (Beschlüsse des<br />
BVerfG in HFR 1977, Nr. 264, und vom 23.12.1977 1 BvR 715/77,<br />
HFR 1976, Nr. 78).<br />
Es ist daran fest zu halten, dass Kapitalgesellschaften sich von<br />
natürlichen Personen bzw. Personengesellschaften in der Rechtsordnung<br />
so wesentlich unterscheiden, dass ihre Behandlung als Gewerbebetrieb<br />
ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit im Einzelnen sachlich<br />
gerechtfertigt erscheint. Infolge ihrer Ausstattung mit einem Mindestkapital<br />
(§ 7 des Aktiengesetzes AktG; § 5 des Gesetzes betreffend<br />
die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH) und ihrer<br />
Unabhängigkeit von Art und Zahl der Mitglieder (§ 1 AktG; § 13<br />
Abs. 1 GmbHG) sind Kapitalgesellschaften Gebilde mit eigener<br />
wirtschaftlicher Kraft und zur wirtschaftlichen Betätigung bestimmt.<br />
b) Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, dass sich aus<br />
dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000,<br />
160 die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der Gewerbesteuerpflicht<br />
kraft Rechtsform ergäbe. Diesem Beschluss zufolge verbietet<br />
der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine allein nach der<br />
Rechtsform eines Unternehmens differenzierende Umsatzsteuerbefreiung.<br />
Die Entscheidung stellt darauf ab, dass nach des Konzeption<br />
des Umsatzsteuerrechts eine Umsatzsteuerbefreiung nicht von<br />
der Rechtsform des leistenden abhängig gemacht werden dürfe,<br />
denn systemgerecht seien nur Vergünstigungen im Interesse der<br />
Verbraucher, nicht aber einzelner Unternehmergruppen. Eine solche<br />
Konzeption, die ein Anknüpfen an die Rechtsform verbietet,<br />
liegt dem Gewerbesteuerrecht jedoch nicht zu Grunde. Sie kann<br />
insbesondere nicht aus dem Äquivalenzprinzip abgeleitet werden.<br />
Die Rechtsprechung des BVerfG steht auch nicht der Behandlung<br />
einer Mitunternehmerschaft als Gewerbebetrieb entgegen,<br />
wenn an ihr neben freiberuflich tätigen Mitunternehmern eine Kapitalgesellschaft<br />
beteiligt ist. Zwar hat das BVerfG im Zusammenhang<br />
mit dem Beschluss in BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160<br />
auch entschieden, eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 des<br />
Umsatzsteuergesetzes dürfe nicht mit der Begründung versagt werden,<br />
der Unternehmer übe mangels beruflicher Qualifikation keinen<br />
freien Beruf i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus (BVerfG-<br />
Beschl. v. 29.10.1999 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, BStBl II<br />
2000, 155, und vom 10.11.1999 2 BvR 1820/92, BStBl II 2000,<br />
158). Der beschließende Senat hat diese Grundsätze jedoch für<br />
nicht auf das Einkommen- und Gewerbesteuerrecht übertragbar gehalten<br />
(Urt. v. 29.11.2001 IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II<br />
2002, 149, und vom 19.9.2002 IV R 45/00, BFHE 200, 317,<br />
BStBl II 2003, 21). Die gegen das letztgenannte Senatsurteil eingelegte<br />
Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen<br />
(BVerfG-Beschl. v. 9.7.2003 I BvR 2317/02). Dementsprechend<br />
kann aus den Entscheidungen des BVerfG zur<br />
Umsatzsteuer auch nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuerpflicht<br />
von Mitunternehmerschaften, an denen eine Kapitalgesellschaft<br />
beteiligt ist, geschlossen werden.<br />
Anmerkung der Redaktion: Der BFH hebt eine Entscheidung<br />
des Finanzgerichts Sachsen-Anhalt auf, die in der Diskussion um<br />
die Ausweitung der Gewerbesteuer auf die Freiberufler im Sommer<br />
2004 viel Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Gewerbesteuerpflichtigkeit<br />
der Rechtsanwalts-GmbH wird vom BFH bestätigt. Allerdings<br />
droht Rechtsanwälten die Gewerbesteuerpflicht nicht nur<br />
über die Wahl der Rechtsform. Verbleibende Restrisiken, die zur<br />
Gewerblichkeit des Rechtsanwalts führen könne, behandeln Olbing/<br />
Kamps in einem Beitrag auf Seite 241 in diesem Heft.<br />
Rechtsberatungsgesetz<br />
MN<br />
RBerG Art. 1 §§ 1, 5, 6 Nr. 2, § 7; UWG §§ 1, 13 Abs. 2 Nr. 2<br />
a) Ein Automobilklub stellt regelmäßig weder eine auf berufsständischer<br />
Grundlage errichtete Vereinigung noch eine berufsstandsähnliche<br />
Vereinigung i. S. d. Art. 1 § 7 RBerG dar.<br />
b) Zu den Voraussetzungen der Verbandsklagebefugnis gem.<br />
§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, wenn ein Verstoß gegen § 1 UWG<br />
i.V. m. Art. 1 § 1 RBerG geltend gemacht wird.<br />
BGH, Urt. v. 20.11.2003 – I ZR 104/01<br />
Sachverhalt: Der Kl ist ein dem Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> e.V.<br />
angehörender örtlicher Anwaltsverein. Er verfolgt nach § 4 seiner<br />
Satzung den Zweck, die beruflichen Interessen der im Bezirk des<br />
LG Frankfurt am Main zugelassenen Rechtsanwälte zu fördern.<br />
Der Bekl ist ein Automobil- und Reiseklub. Er versteht sich<br />
nach seiner Satzung als Interessengemeinschaft von Verkehrsteil-
250<br />
MN<br />
nehmern des öffentlichen Dienstes. Mitglied kann neben Angehörigen<br />
des öffentlichen Dienstes, vergleichbarer Einrichtungen sowie<br />
von Selbsthilfeeinrichtungen für den öffentlichen Dienst jeder<br />
Verkehrsteilnehmer werden, sofern er den Zwecken und Zielen des<br />
Vereins zustimmt.<br />
Eine Tochtergesellschaft des Bekl, die A. GmbH, bietet Rechtsschutzversicherungen<br />
an, die der Bekl vermittelt.<br />
Der Kl nimmt den Bekl, der über keine Erlaubnis zur Rechtsberatung<br />
verfügt, wegen einer in dessen Mitgliederzeitschrift, Ausgabe<br />
3/99, unter der Überschrift „JUR-INFO: Rechtsinformation<br />
rund um die Uhr!“ erschienenen Werbung für eine telefonische<br />
Hotline auf Unterlassung in Anspruch. Er sieht in der über die Hotline<br />
abrufbaren Dienstleistung eine unerlaubte Rechtsberatung des<br />
Bekl. Der Bekl ist dem entgegengetreten.<br />
Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben.<br />
Die Berufung des Bekl ist ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt<br />
am Main GRUR-RR 2002, 37). Mit der Revision, deren Zurückweisung<br />
der Kl beantragt, verfolgt der Bekl seinen Antrag auf<br />
Klageabweisung weiter.<br />
Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hat den Betrieb der<br />
Hotline durch den Bekl als eine unerlaubte Rechtsberatung und daher<br />
diesen Betrieb sowie die Werbung für ihn als Verstoß gegen<br />
§ 1 UWG angesehen. Dazu hat es ausgeführt:<br />
Die Mitglieder des Bekl könnten, wie dieser eingeräumt und in<br />
seiner Werbung auch herausgestellt habe, unter der vom Bekl betriebenen<br />
Hotline grundsätzlich erlaubnispflichtige Rechtsberatung<br />
i. S. d. Art. 1 § 1 RBerG abrufen. Die Dienstleistung werde aus der<br />
insoweit maßgeblichen Sicht der angesprochenen Verkehrskreise<br />
von dem Bekl selbst erbracht. Dieser sei keine berufsständische<br />
oder auf ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigung und könne daher<br />
auch nicht die Rechtsberatung im Bereich Auto, Reise und Verkehr<br />
gem. Art. 1 § 7 RBerG erlaubnisfrei erbringen. Ebenfalls<br />
ohne Erfolg berufe sich der Bekl auf Art. 1 § 5 RBerG, da er weder<br />
Rechtsschutzversicherer sei noch Rechtsschutzversicherungen vertreibe.<br />
Die Anwendung des Erlaubnisvorbehalts des Rechtsberatungsgesetzes<br />
verstoße nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG; denn der<br />
Bekl biete eine umfassende und vollwertige Rechtsberatung an.<br />
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung<br />
stand.<br />
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Bekl aus<br />
der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise über die in dem<br />
„JUR-INFO“ angegebene Hotline eine von ihm selbst zu erbringende<br />
Rechtsberatung i. S. d. Art. 1 § 1 RBerG angeboten hat.<br />
Diese Beurteilung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl.<br />
BGHZ 98, 330, 332 – Unternehmensberatungsgesellschaft I) und<br />
wird auch von der Revision nicht beanstandet.<br />
2. Ohne Erfolg greift die Revision die Beurteilung des Berufungsgerichts<br />
an, der Bekl könne sich, soweit es um Rechtsberatung<br />
außerhalb der Bereiche Auto, Verkehr und Reisen gehe, nicht<br />
auf die Bestimmung des Art. 1 § 5 RBerG stützen. Dabei kann dahinstehen,<br />
inwieweit die A. GmbH gemäß dieser Vorschrift berechtigt<br />
ist, die in der in Rede stehenden Werbung beschriebenen<br />
rechtsbetreuenden Tätigkeiten selbst in eigener Person vorzunehmen.<br />
Jedenfalls nämlich darf sie sich nicht des Bekl in der in der<br />
Werbung dargestellten Weise bedienen. Soweit die Revision gegenteiliger<br />
Auffassung ist, übersieht sie die Bestimmung des Art. 1 § 6<br />
Nr. 2 RBerG. Danach darf die Erledigung von Rechtsangelegenheiten<br />
durch Personen oder Stellen der in Art. 1 §§ 1, 3 und 5 RBerG<br />
bezeichneten Art nur auf zu diesen in einem Angestelltenverhältnis<br />
stehende Personen übertragen werden. Der Begriff des Angestellten<br />
ist zwar weit auszulegen. Er setzt aber immerhin voraus, dass<br />
eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit im Betrieb eines anderen<br />
ausgeübt wird (RGSt 72, 313, 314; Weth, in: Henssler/<br />
Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, Art. 1 § 6 RBerG Rn 4<br />
m. w. N.). Im Streitfall fehlt es an einem solchen Rechtsverhältnis<br />
zwischen dem Bekl und seiner als Rechtsschutzversicherer tätigen<br />
Tochtergesellschaft A. GmbH.<br />
3. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, der Bekl könne<br />
sich bei der Rechtsberatung in den Bereichen Auto, Verkehr und<br />
Reisen nicht auf Art. 1 § 7 RBerG stützen, damit begründet, dass<br />
Zusammenschlüsse, die – wie der Bekl – der Förderung von Interessen<br />
dienten, die jedermann haben könne, nicht zu den in dieser<br />
AnwBl 4/2004<br />
Rechtsprechung<br />
Bestimmung privilegierten Vereinigungen zählten. Diese Beurteilung<br />
hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung ebenfalls stand.<br />
a) Der Bekl stellt, anders als die Revision meint, keine auf berufsständischer<br />
Grundlage errichtete Vereinigung dar. Denn bei<br />
ihm kann außer den Angehörigen des öffentlichen Dienstes und<br />
den diesen gleichgestellten Personen auch jeder andere Verkehrsteilnehmer<br />
Mitglied werden, der den Zwecken und Zielen des Bekl<br />
zustimmt. Es fehlt damit eine Verbundenheit der Vereinsmitglieder<br />
bei der Wahrnehmung beruflicher Standesinteressen (vgl. Chemnitz/Johnigk,<br />
Rechtsberatungsgesetz, 11. Aufl., Rn 671).<br />
b) Es handelt sich bei dem Bekl aber auch nicht um eine berufsstandsähnliche<br />
Vereinigung i. S. d. Art. 1 § 7 RBerG. Eine solche<br />
liegt dann vor, wenn die Vereinigung auf der Grundlage der gleichen<br />
oder ganz ähnlichen wirtschaftlichen oder sozialen Stellung<br />
ihrer Mitglieder zur Wahrnehmung der für diese Stellung bezeichnenden<br />
wirtschaftlichen oder sozialen Interessen gebildet worden<br />
ist (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.1985 – I ZR 29/83, GRUR 1986, 79, 80 –<br />
Mietrechtsberatung; BVerwG DVBl 1983, 1249, 1250). Danach<br />
sind insbesondere Mietervereine als auf ähnlicher Grundlage errichtete<br />
Vereinigungen i. S. d. genannten Bestimmung anzusehen<br />
(vgl. BGH GRUR 1986, 79, 80 – Mietrechtsberatung; Chemnitz/<br />
Johnigk, aaO, Rn 721–723, jeweils m. w. N.). Dasselbe soll nach einer<br />
im Schrifttum vertretenen Auffassung auch für Automobilklubs<br />
gelten, da diese hinsichtlich der (eher geringen) Homogenität ihrer<br />
Mitglieder mit Mietervereinen unmittelbar vergleichbar seien (Rennen/Caliebe,<br />
Rechtsberatungsgesetz, 3. Aufl., Art. 1 § 7 Rn 8).<br />
Dem kann nicht zugestimmt werden. Ein Automobilklub stellt wegen<br />
der sehr großen Zahl der in Betracht kommenden Mitglieder<br />
aus fast allen Bevölkerungsschichten regelmäßig keine Vereinigung<br />
mehr dar, die auf der Grundlage einer gleichen oder ganz ähnlichen<br />
wirtschaftlichen oder sozialen Stellung ihrer Mitglieder zur Wahrnehmung<br />
der dafür bezeichnenden wirtschaftlichen oder sozialen<br />
Interessen gebildet ist (Weth, in: Henssler/Prütting, aaO, Art. 1 § 7<br />
RBerG Rn 46; Chemnitz/Johnigk, aaO, Rn 732). Der Bekl versteht<br />
sich nach seiner Satzung zwar als Interessengemeinschaft von Verkehrsteilnehmern<br />
des öffentlichen Dienstes. Mitglied kann aber neben<br />
Angehörigen des öffentlichen Dienstes, vergleichbarer Einrichtungen<br />
sowie von Selbsthilfeeinrichtungen für den öffentlichen<br />
Dienst auch jeder andere Verkehrsteilnehmer werden, sofern er den<br />
Zwecken und Zielen des Vereins zustimmt. Damit steht der Bekl<br />
grundsätzlich nahezu jedermann offen. Dementsprechend kann bei<br />
ihm von einer – zumindest – gewissen Homogenität des Kreises<br />
von Personen, die als Mitglieder in Betracht kommen, sowie von<br />
einer dort vorhandenen gleichgerichteten Interessenlage keine Rede<br />
sein.<br />
4. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu der Frage<br />
getroffen, ob die vom Kl, dessen Klagebefugnis sich allein aus<br />
§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ergeben kann (vgl. Chemnitz, AnwBl<br />
1998, 528 f.), beanstandete Verhaltensweise des Bekl den Wettbewerb<br />
auf dem relevanten örtlichen und sachlichen Markt, d. h.<br />
auf dem Gebiet der Rechtsberatung in dem Bereich, in dem die<br />
beim LG Frankfurt am Main zugelassenen Rechtsanwälte tätig sind,<br />
wesentlich zu beeinträchtigen vermag. Diese Beurteilung kann jedoch<br />
auf der Grundlage der sonstigen vom Berufungsgericht getroffenen<br />
Feststellungen sowie des unstreitigen Sachverhalts nachgeholt<br />
werden (BGH, Urt. v. 28.11.1996 – I ZR 197/94, GRUR<br />
1997, 767, 770 = WRP 1997, 735 – Brillenpreise II). Zu berücksichtigen<br />
ist insbesondere, dass der in Art. 1 § 1 RBerG geregelte<br />
grundsätzliche Erlaubniszwang für rechtsbesorgende Tätigkeiten<br />
nicht nur berufsständischen Interessen, sondern auch dem allgemeinen<br />
Interesse an einer zuverlässigen Rechtspflege dient und seine<br />
Missachtung daher regelmäßig ohne das Hinzutreten weiterer Umstände<br />
als wettbewerbswidrig anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v.<br />
16.3.1989 – I ZR 30/87, GRUR 1989, 437, 438 = WRP 1989, 508<br />
– Erbensucher; Urt. v. 13.3.2003 – I ZR 143/00, GRUR 2003, 686,<br />
889 = WRP 2003, 1103 – Erbenermittler; GroßKomm. UWG/Teplitzky,<br />
§ 1 Rn G 116 m. w. N. in Fn. 479). Außerdem begründet die<br />
Verhaltensweise des Bekl die erhebliche Gefahr, dass Mitbewerber<br />
in entsprechender Weise gegen das Verbot der unerlaubten Rechtsberatung<br />
verstoßen werden (vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1994 – I ZR<br />
138/92, GRUR 1995, 122, 124 = WRP 1995, 104 – Laienwerbung<br />
für Augenoptiker; BGH GRUR 1997, 767, 769 – Brillenpreise II).<br />
Ohne Erfolg macht die Revision auch geltend, der Bekl überschreite<br />
mit seiner beanstandeten Verhaltensweise jedenfalls nicht<br />
die Grenzen einer Erstberatung i. S. d. § 20 Abs. 1 S. 2 BRAGO.
AnwBl 4/2004 251<br />
Rechtsprechung MN<br />
Die Revisionserwiderung weist hierzu mit Recht darauf hin, dass<br />
der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Regelung dem Rechtsrat<br />
Suchenden den Gang zum Rechtsanwalt erleichtern wollte,<br />
nicht aber zu nicht autorisierten Rechtsberatern. Gerade auch eine<br />
erste Beratung i. S. d. genannten Vorschrift hat qualifiziert zu sein,<br />
da anderenfalls die Gefahr besteht, dass der Rechtsuchende von<br />
ihm in rechtlicher Hinsicht gegebenenfalls zustehenden Angriffs-,<br />
Verteidigungs- oder Gestaltungsmöglichkeiten schon überhaupt<br />
keine Kenntnis erlangt. Aus diesem Grund spricht der von der Revision<br />
herausgestellte Umstand, dass sich die vom Bekl geleistete<br />
Beratungstätigkeit nach den vom Berufungsgericht getroffenen<br />
Feststellungen auf eine „grobe Prüfung“ beschränke, keineswegs<br />
gegen die Klagebefugnis des Kl gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Der<br />
Beurteilung der wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs<br />
steht nicht entgegen, dass der beklagte Verein nach seiner Einlassung<br />
für die Erteilung von Rechtsrat Rechtsanwälte einschaltet.<br />
Damit erfährt die beanstandete Tätigkeit des Vereins als verbotene<br />
Rechtsberatung wettbewerbsrechtlich keine andere Gewichtung.<br />
Gebührenrecht<br />
BRAGO § 6 Abs. 1<br />
Bei Aktivprozessen einer Sozietät von Steuerberatern und<br />
Rechtsanwälten hat insbesondere bei der Eingehung von Honorarforderungen<br />
die Sozietät Vorsorge dafür zu treffen, dass<br />
diese Aufgabe durch ein anwaltliches Sozietätsmitglied allein erledigt<br />
wird, eine Erhöhungsgebühr nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO<br />
fällt daher nicht an.<br />
BGH, Beschl. v. 5.1.2004 – II ZB 22/02<br />
Aus den Gründen: I. Die Kl, die in Form einer Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts eine Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- und<br />
Rechtsanwaltssozietät betreiben, haben die Bekl auf Zahlung von<br />
Gebühren für steuerberatende Tätigkeiten in Anspruch genommen.<br />
Das AG Charlottenburg hat mit Urt. v. 14.3.2001 der Klage stattgegeben<br />
und die Kosten des Rechtsstreits der Bekl auferlegt. Die<br />
Bekl hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und zusätzlich mit einer<br />
hilfsweise erhobenen Widerklage die Kl sowie die aus den Kl<br />
und weiteren Rechtsanwälten bestehende „L. und Kollegen GbR“<br />
gesamtschuldnerisch auf Zahlung in Anspruch genommen. Mit<br />
Urt. v. 4.3.2002 hat das LG die Berufung zurückgewiesen und die<br />
Widerklage abgewiesen. Mit Kostenfestsetzungsbeschl. v.<br />
24.4.2002 ist dem Antrag der Kl auf Festsetzung einer Erhöhungsgebühr<br />
gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO in Höhe von 872,39 E stattgegeben<br />
worden.<br />
Die sofortige Beschwerde der Bekl, die sich gegen die für die<br />
Berufung festgesetzte Erhöhungsgebühr in Höhe von 226,32 E,<br />
nicht aber gegen den auf die Widerklage entfallenden Erhöhungsbetrag<br />
in Höhe von 646,07 E richtete, hat das LG mit Beschl. v.<br />
24.7.2002 zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde<br />
wendet sich die Bekl nunmehr gegen die gesamte für<br />
die Berufungsinstanz festgesetzte Erhöhungsgebühr in Höhe von<br />
872,39 E.<br />
II. Die Rechtsbeschwerde hat zum Teil Erfolg.<br />
1. Hinsichtlich der in der Berufungsinstanz für die Widerklage<br />
gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO festgesetzten Erhöhungsgebühr in<br />
Höhe von 646,07 E ist die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil<br />
diese Festsetzung mangels Anfechtung durch die Bekl nicht Gegenstand<br />
des Beschwerdeverfahrens vor dem LG war und deshalb<br />
auch nicht mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden kann.<br />
2. In Höhe von 226,32 E ist die Rechtsbeschwerde zulässig<br />
(§ 574 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 3 ZPO i. V. m § 26 Nr. 10 EGZPO) und<br />
in der Sache begründet.<br />
a) Zu Unrecht geht das LG davon aus, dass auch in der Berufungsinstanz<br />
die Erhöhungsgebühr gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO<br />
angefallen ist. Nach dieser Vorschrift erhöhen sich die Geschäftsgebühr<br />
und die Prozessgebühr in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt<br />
für mehrere Auftraggeber in derselben Angelegenheit tätig<br />
wird.<br />
Für Aktivprozesse einer Anwaltssozietät, insbesondere bei Honorarklagen,<br />
fällt nach der ganz überwiegenden obergerichtlichen<br />
Rechtsprechung und h. M. in der Literatur eine Erhöhungsgebühr<br />
nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO für den die Anwaltssozietät vertretenden<br />
Rechtsanwalt nicht an (vgl. OLG Düsseldorf MDR 2000,<br />
351, 352 und NJW-RR 2002, 645, 646; OLG Nürnberg MDR 1997,<br />
689, 690; OLG Koblenz JurBüro 2002, <strong>256</strong>; 1998, 302 ff. sowie<br />
1994, 729; Hans. OLG Hamburg MDR 1999, <strong>256</strong>; im Ergebnis<br />
OLG Köln JurBüro 1994, 94; von Eicken, in: Gerold/Schmidt/von<br />
Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 6 Rn 15 m. w. N.; Frauenholz,<br />
in: Riedel/Sußbauer, BRAGO 8. Aufl. 2000, § 6 Rn 13;<br />
a. A. KG Berlin MDR 1999, 1023 m. w. Hinweisen auf die Gegenansicht).<br />
Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Eine Anwaltssozietät<br />
kann ohne weiteres dafür Vorsorge treffen, dass eine so<br />
häufig vorkommende Aufgabe wie die Einziehung einer Honorarforderung<br />
durch ein Sozietätsmitglied allein erledigt wird und dadurch<br />
die Prozessführungskosten im Interesse des vertretenen<br />
Mandanten möglichst gering gehalten werden. Dahinstehen kann,<br />
ob demgegenüber bei einer nur aus Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern<br />
bestehenden Sozietät bei Aktivprozessen § 6 Abs. 1 S. 2<br />
BRAGO zur Anwendung kommt (bejahend OLG Braunschweig<br />
OLGR 1995, 179 und OLG Schleswig JurBüro 1994, 731). Die<br />
Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO scheidet jedenfalls<br />
aber dann aus, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Sozietät neben<br />
Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern auch aus Rechtsanwälten<br />
besteht. Nicht entscheidend ist, ob sine solche Sozietät Honoraransprüche<br />
für rechtsanwaltliche oder für steuerberatende<br />
Tätigkeiten geltend macht. Auch in den letztgenannten Fällen besteht<br />
für eine Sozietät die Verpflichtung, den für den Mandanten<br />
kostengünstigsten Weg zu beschreiten.<br />
b) Ohnedies ist nach der grundlegenden Entscheidung des Senats<br />
zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft vom 29.1.2001 (II<br />
ZR 331/00, BGHZ 146, 341) – nach Ablauf einer gewissen Übergangszeit<br />
(vgl. BGH, Beschl. v. 18.6.2002 – VIII ZB 6/02, NJW<br />
2002, 2958 und Beschl. v. 26.2.2003 – VIII ZB 69/02, BRAGO-<br />
Report 2003, 89) – für die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 S. 2<br />
BRAGO jedenfalls beim Aktivprozess einer BGB-Gesellschaft<br />
kein Raum mehr.<br />
BRAGO §§ 7, 13<br />
a) Einem Rechtsanwalt ist es jedenfalls nicht erlaubt, einseitig<br />
und ohne hinreichenden Sachgrund anstehende Verfahren eines<br />
Auftraggebers zu vereinzeln, statt sie nach ihrer objektiven<br />
Zusammengehörigkeit als eine Angelegenheit zu behandeln,<br />
bei der die Gegenstandswerte zusammenzurechnen<br />
sind.<br />
b) Ist sowohl eine getrennte als auch eine gehäufte Verfahrensführung<br />
ernsthaft in Betracht zu ziehen, muss der<br />
Rechtsanwalt das Für und Wider des Vorgehens unter Einbeziehung<br />
der Kostenfolge dem Auftraggeber darlegen und<br />
seine Entscheidung herbeiführen.<br />
BRAGO § 17<br />
Ein Vorschuss für Rahmengebühren darf nicht im Umfang der<br />
Höchstgebühr angefordert werden, wenn sich noch nicht übersehen<br />
lässt, ob der tatsächliche Aufwand der Mandatserfüllung<br />
diese Gebührenhöhe rechtfertigt. Wenn nötig, kann nach Klärung<br />
der Umstände ein weiterer Vorschuss angefordert werden.<br />
BGH, Urt. v. 11.12.2003 – IX ZR 109/00<br />
Sachverhalt: Der Bekl beauftragte die Sozietät des Kl 1991 mit<br />
seiner anwaltlichen Vertretung in Grundstücks- und Vermögensangelegenheiten<br />
im Beitrittsgebiet. Außerdem sollte die Sozietät<br />
des Kl die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaften zwischen<br />
dem Bekl und seiner Schwester Waltraud W. betreiben, denen das<br />
Eigentum an mehreren Grundstücken oder mögliche Rückübertragungsansprüche<br />
gesamthänderisch zustanden. Der Kl verlangt von<br />
dem Bekl die gesetzliche Vergütung für diese Tätigkeiten durch<br />
Zahlung an sich und die übrigen Mitglieder seiner ehemaligen Sozietät.<br />
Aus den Gründen: II. Die zuerkannten Vergütungsansprüche<br />
für die Aufträge des Bekl, die den Grundbesitz der Erbengemein-
252<br />
MN<br />
schaften im Beitrittsgebiet und etwaige Rückübertragungsansprüche<br />
der Miterben bzw. des Bekl als Testamentsvollstrecker<br />
betrafen (im Folgenden kurz: vermögensrechtliche Mandate), hat<br />
das Berufungsgericht gleichfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet.<br />
1. Gebührenangelegenheit(en)<br />
Die Abgrenzung der Angelegenheiten i. S. v. § 13 BRAGO, die<br />
mehrere Auftragsgegenstände umfassen können, ist unter Berücksichtigung<br />
der jeweiligen Lebensverhältnisse im Einzelfall ebenso<br />
wie die Feststellung des Auftragsinhalts grundsätzlich Aufgabe des<br />
Tatrichters (BGH, Urt v. 9.2.1995 – IX ZR 207/94, NJW 1995,<br />
1431). Denn dabei ist insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags<br />
maßgebend (BGH aaO).<br />
a) Das Berufungsgericht hat eine Mehrzahl von Angelegenheiten<br />
bejaht. Dagegen stellt die Revision die Ansicht des Bekl zur<br />
Prüfung, dass nur eine einzige vermögensrechtliche Angelegenheit<br />
vorgelegen habe. Das Berufungsgericht hat demgegenüber zutreffend<br />
gemeint, die möglichen Rückübertragungsansprüche des Kl<br />
und seiner Miterbin seien nach den Grundstücksbelegenheiten<br />
(§ 35 Abs. 2 VermG) und dem Unternehmenssitz des Gärtnereibetriebes<br />
(§ 25 Abs. 1 VermG; § 15 Abs. 1 URüV), dem die Grundstücke<br />
Nr. 4 bis 7 zugeordnet waren, in die Zuständigkeit von vier<br />
verschiedenen Ämtern gefallen, sodass verfahrensrechtlich eine<br />
Zusammenfassung der verschiedenen Auftragsgegenstände in eine<br />
einzige Angelegenheit nicht möglich gewesen sei. Mit dieser Lage<br />
war zugleich der einheitliche Tätigkeitsrahmen gesprengt, in dem<br />
sich eine Gebührenangelegenheit bewegen muss (vgl. BGH, Urt. v.<br />
29.6.1978 – III ZR 49/77, LM BRAGebO § 6 Nr. 1; BVerwG NJW<br />
2000, 2289 a. E. f). Der vom BVerwG (aaO) entschiedene Fall, der<br />
parallele Widerspruchsverfahren gegen gleichliegende Leistungsbescheide<br />
mit identischer Widerspruchsbegründung bei derselben<br />
Behörde betraf, kann deshalb für die Vergütung des vermögensrechtlichen<br />
Mandats des Bekl nicht herangezogen werden.<br />
b) Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, welches<br />
für das vermögensrechtliche Mandat des Bekl insgesamt acht<br />
Grundstücksangelegenheiten angenommen hat, begegnen jedoch<br />
rechtlichen Bedenken und sind insbesondere nach seinem Ausgangspunkt<br />
beim Auftragsinhalt nicht folgerichtig. War Auftragsinhalt<br />
die Durchführung der nötigen Restitutionsverfahren, so kam<br />
es bei objektiver Häufung mehrerer Restitutionsbegehren in einem<br />
Antrag oder entsprechender Verfahrensverbindung, die nach § 31<br />
Abs. 7 VermG, § 10 VwVfG zulässig war (vgl. Kopp/Ramsauer,<br />
VwVfG, 8. Aufl., § 9 Rn 46; s. ferner § 93 S. 2 VwGO), auf die<br />
Zahl dieser Verfahren an, von denen vier im Berufungsurteil genannt<br />
sind.<br />
Einem Rechtsanwalt ist es zumindest nicht gestattet, anstehende<br />
Verfahren des Auftraggebers nur im eigenen Gebühreninteresse zu<br />
vereinzeln, statt sie in ihrer objektiven Zusammengehörigkeit gebührenrechtlich<br />
als eine Angelegenheit zu behandeln, bei der die<br />
einzelnen Gegenstandswerte nach § 7 Abs. 2 BRAGO zusammenzurechnen<br />
sind. Wenn die einseitige Trennung der Verfahren durch<br />
den Rechtsanwalt überhaupt rechtlich möglich ist und entsprechende<br />
Gebühren auslösen kann, dann ist die ohne hinreichende<br />
Gründe vollzogene Trennung jedenfalls pflichtwidrig und der<br />
Rechtsanwalt kann die Mehrgebühren nicht fordern, weil er sie als<br />
Schadensersatz dem Auftraggeber sogleich wieder zu erstatten<br />
hätte. Verfahrensgründe oder wirtschaftliche Zweckmäßigkeitserwägungen,<br />
die aus anwaltlicher Sicht gegen das Gebühreninteresse<br />
des Auftraggebers eine getrennte Einleitung und Durchführung<br />
der Verwaltungsverfahren ratsam erscheinen ließen, hat der<br />
Kl bisher nicht ausreichend dargelegt. Seine Mitteilung an den<br />
Bekl vom 11.7.1991 (Anlage K 3, S. 1), die insoweit auf das sachlich<br />
und rechtlich unterschiedliche Schicksal der Vermögenswerte<br />
abstellte, genügt dafür angesichts der Verfahrensverbindung durch<br />
die zuständigen Verwaltungsbehörden bei Bescheidung der Rückgabeanträge<br />
allein noch nicht. Verbundene Restitutionsanmeldungen<br />
bei der selben Behörde waren üblich und sachgerecht; denn zur<br />
Vermeidung von Doppelermittlungen und anderer Mehrarbeit haben<br />
spätestens die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen sonst<br />
die getrennten Anmeldungen in der Regel – wie auch hier – verbunden.<br />
Sie haben ferner – wo möglich – unproblematische Teilanmeldungen<br />
vorab beschieden, um unnötige Hemmnisse des Grundstücksverkehrs<br />
zu vermeiden. Das unterschiedliche Schicksal der in<br />
einer Sammelanmeldung enthaltenen Vermögenswerte konnte sich<br />
erst nach dem Bescheid des Amtes zur Regelung offener Ver-<br />
AnwBl 4/2004<br />
Rechtsprechung<br />
mögensfragen auswirken, soweit die Restitution versagt und in diesen<br />
streitigen Fällen Widerspruch erhoben wurde. Auch solche<br />
Widerspruchs- und spätere Klageverfahren wurden aber zweckmäßigerweise<br />
vielfach gehäuft geführt. Der Kl wird zu einer Ergänzung<br />
seines Vorbringens dazu im zweiten Berufungsdurchgang<br />
Gelegenheit haben.<br />
Gründe der Trennung hätte er zudem unter Darlegung der Kostenfolgen<br />
mit dem Bekl erörtern müssen, wenn sie nicht so zwingend<br />
waren, dass zu einer getrennten Verfahrensführung auch aus<br />
der Sicht des Auftraggebers eine vernünftige Alternative nicht bestehen<br />
konnte (vgl. OLG Hamburg AnwBl 2003, 114, 115 m. krit.<br />
Besprechung Bischof, aaO, 100, 102).<br />
Das Berufungsgericht hat danach im Hinblick auf den bisherigen<br />
Sachvortrag zu Recht die Restitutionsanmeldungen zu den vier<br />
Flurstücken des Anwesens zu 1) als eine Angelegenheit angesehen,<br />
obwohl es um zwei verschiedene Teilenteignungen geschmälert<br />
worden war. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Anmeldungen<br />
des Kl betreffend das Anwesen zu 3)<br />
gebührenrechtlich als eine Angelegenheit gewertet. Hier gelten die<br />
gleichen Grundsätze wie für das Anwesen zu 1). Entgegen der Ansicht<br />
des Berufungsgerichts hätte in dieses Verfahren aber von Seiten<br />
des Kl auch noch die Anmeldung des Anwesens zu 2) einbezogen<br />
werden müssen, sofern es einer solchen Anmeldung überhaupt<br />
noch bedurfte, weil dieses Grundstück nicht enteignet worden war,<br />
was durch das Schreiben der Behörde vom März 1991 (Anlage<br />
B 8) bereits feststand. Zur Prüfung dieser Anmeldung war dieselbe<br />
Behörde wie bei dem Anwesen zu 3) zuständig, der Magistrat B.-<br />
M./Amt zur Regelung offener Vermögensfragen.<br />
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine weitere entsprechende<br />
Zusammenfassung in insgesamt nur vier gebührenrechtliche<br />
Angelegenheiten abgelehnt, weil es insoweit dem Argument<br />
des Kl gefolgt ist, dass jeder einzelne Vermögenswert ein unterschiedliches<br />
Verfahren hätte auslösen können und jeweils getrennt<br />
der Rechtsweg hätte beschritten werden müssen. Das trifft – wie<br />
ausgeführt – in dieser Allgemeinheit nicht zu.<br />
2. Gegenstandswerte<br />
Das Berufungsgericht hat für sämtliche Vermögenswerte als<br />
Gegenstandswert den vollen Verkehrswert in Ansatz gebracht. Das<br />
ist nach dem Restitutionsziel des Auftraggebers grundsätzlich nicht<br />
zu beanstanden (BVerwG VIZ 1995, 35 = Anlage zum Schriftsatz<br />
des Kl vom 25.4.1995, GA 191/199; siehe außerdem Nr. 47.1.1.<br />
und 47.1.2. des Streitwertkatalogs der Verwaltungsrichter vom Januar<br />
1996, abgedruckt z. B. bei Eyermann, VwGO, 11. Aufl., Anhang<br />
1). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht beachtet, dass der<br />
Kl in den Verfahren, die sich auf den Nachlass Otto S. bezogen<br />
(Grundbesitz zu 1 bis 3 und 8), die Rückgabeansprüche des Bekl<br />
lediglich in dessen Eigenschaft als hälftiger Miterbe mit seiner<br />
Schwester für den ungeteilten Nachlass gem. §§ 2 a VermG, 2039<br />
S. 1 BGB geltend gemacht hat, anders als ausdrücklich in den Fällen<br />
des Nachlasses Elise S. Beim Restitutionsantrag eines Miterben<br />
ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (Buchholz 360 § 13 GKG<br />
Nr. 105), welcher der Senat beitritt, der Streitwert nach dem jeweiligen<br />
Erbanteil zu bemessen, der Verkehrswert der Vermögenswerte<br />
mithin entsprechend zu teilen. Das überträgt sich nach § 8 Abs. 1<br />
S. 2 BRAGO auf den hier maßgebenden Gegenstandswert der Anwaltsgebühren;<br />
denn schon das Antragsverfahren ist eine notwendige<br />
Vorstufe für den später in Betracht kommenden Restitutionsprozess.<br />
Für die Restitutionsangelegenheiten des Nachlasses Otto S. kann<br />
der Kl Gebühren nach dem vollen Verkehrswert der Grundstücke<br />
schon deshalb nicht fordern, weil er insoweit für den Bekl nicht in<br />
dessen Eigenschaft als Testamentsvollstrecker aufgetreten ist. Für<br />
die Restitutionsangelegenheit des Nachlasses Elise S., in welcher<br />
der Kl den Bekl in dessen Eigenschaft als Testamentsvollstrecker<br />
vertreten hat, wird das Berufungsgericht nach der Zurückverweisung<br />
gegebenenfalls prüfen müssen, ob der Kl von der Partei kraft<br />
Amtes beauftragt worden war. Für einen solchen Testamentsvollstreckerauftrag<br />
trägt der Kl die Darlegungs- und Beweislast. Soweit<br />
der Kl für den Bekl auftragsgemäß in dessen Eigenschaft als Testamentsvollstrecker<br />
aufgetreten ist, bewendet es bei dem vollen Verkehrswert<br />
der zur Rückübertragung angemeldeten Liegenschaften<br />
als Gegenstandswert. War er auftragsüberschreitend tätig, ist auch<br />
hier von dem halben Verkehrswert als Gegenstandswert auszugehen.
AnwBl 4/2004 253<br />
Rechtsprechung MN<br />
Dem Kl könnte nicht entgegengehalten werden, dass er auch<br />
für den Nachlass Elise S. schon aus vermögensrechtlichen Gründen<br />
nicht für den Bekl als Testamentsvollstrecker zu einer höheren<br />
Gebühr habe vorgehen dürfen. Die rechtzeitige Anmeldung vermögensrechtlicher<br />
Ansprüche durch den Testamentsvollstrecker wirkt<br />
zu Gunsten der Erben auch dann, wenn der Erbfall bereits vor dem<br />
In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes eingetreten war und der<br />
vermögensrechtliche Anspruch deshalb unmittelbar in der Person<br />
des Rechtsnachfolgers des verstorbenen Geschädigten entstanden<br />
ist (BVerwG VIZ 2003, 473). Das gilt ebenfalls, wenn eine Erbengemeinschaft<br />
– wie hier – als solche durch restitutionspflichtige<br />
Maßnahmen geschädigt worden ist (vgl. zu diesem Fall auch § 2 a<br />
Abs. 4 VermG, eingefügt mit Wirkung vom 25.12.1993 durch das<br />
Registerverfahrenbeschleunigungsgesetz).<br />
3. Gebührentatbestand und Rahmensatz des Vergütungsanspruchs<br />
Die Vorinstanzan haben dem Kl zu Gunsten seiner damaligen<br />
Sozietät im Anschluss an das Gutachten des Vorstandes der<br />
Rechtsanwaltskammer M. vom 18.11.1998 in allen Angelegenheiten<br />
der offenen Vermögensfragen eine 10/10-Geschäftsgebühr<br />
gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und – soweit entstanden – eine<br />
7,5/10-Besprechungsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO zugebilligt.<br />
Auch das hält rechtlicher Prüfung nicht uneingeschränkt<br />
stand.<br />
Das Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer in<br />
den Fällen des § 12 Abs. 2 BRAGO (ebenso bei § 3 Abs. 3 S. 2<br />
BRAGO) ist ein Rechtsgutachten, welches die Kontrolle des anwaltlichen<br />
Billigkeitsermessens durch das Prozessgericht (§ 315<br />
Abs. 3 S. 2 BGB, s. außerdem BGH, Urt. v. 23.2.1995 – IX ZR<br />
29/94, NJW 1995, 1425, 1428) unterstützen soll. Es unterliegt der<br />
freien richterlichen Würdigung. Das Revisionsgericht kann allerdings<br />
das Beurteilungsermessen des Tatrichters nicht vollen Umfangs<br />
nachprüfen (vgl. Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2001,<br />
§ 315 Rn 240 m. w. N.). Rechtlich nachprüfbar ist aber der Begriff<br />
der Billigkeit i. S. d. § 315 BGB und § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO (vgl.<br />
BGH, Urt. v. 21.3.1961 – I ZR 133/59, NJW 1961, 1251, 1252).<br />
Nachprüfbar kann ferner sein, ob der Tatrichter die sachlichen<br />
und persönlichen Verhältnisse des Auftraggebers, nach denen sich<br />
die Bedeutung der Angelegenheit erschließt, sowie seine Vermögens-<br />
und Einkommensverhältnisse hinlänglich aufgeklärt hat. Das<br />
Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer M. hat seiner<br />
Beurteilung eine überragende Bedeutung der vermögensrechtlichen<br />
Angelegenheiten für den Bekl und überdurchschnittliche Einkommens-<br />
und Vermögensverhältnisse zu Grunde gelegt. Das greift die<br />
Revision nicht an. Allerdings ist offensichtlich, dass sich die Bedeutung<br />
der Tätigkeit des Kl in der Anfangsphase seiner Auftragsdurchführung<br />
dort minderte, wo der Bekl die notwendigen Anmeldungen<br />
der Rückübertragungsansprüche bereits selbst oder durch<br />
einen anderen Bevollmächtigten vorgenommen hatte.<br />
Revisionsrechtlich nachprüfbar ist die Ausübung des Billigkeitsermessens<br />
endlich zu der Frage, ob bei der Beurteilung von<br />
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zutreffende<br />
Maßstäbe, auch für eine Differenzierung des anwaltlichen Leistungsbildes<br />
innerhalb derselben abstrakten Gebührenangelegenheit,<br />
angewendet worden sind. Insoweit beanstandet die Revision, wenn<br />
auch unter dem nicht einschlägigen Gesichtspunkt des Streitwerts,<br />
dass die einzelnen Auftragsgegenstände zum Teil unterschiedlich<br />
gewichtet werden mussten.<br />
Aus Rechtsgründen muss zunächst unterschieden werden, was<br />
dem Kl als Vergütung zusteht und was er von dem Bekl allenfalls<br />
als Schadensersatz (§ 628 Abs. 2 BGB) verlangen kann. Diese Unterscheidung<br />
haben beide Vorinstanzen versäumt; sie findet auch in<br />
dem Gutachten dar Rechtsanwaltskammer M. keinen Niederschlag,<br />
welches ersichtlich die volle Auftragsdurchführung zu Grunde legt.<br />
Nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Kl aber nur den Teil der<br />
Vergütung fordern, der seinen bis zur Kündigung erbrachten Leistungen<br />
entspricht.<br />
Der Inhalt des erteilten Auftrages zergliederte sich in vier Stufen.<br />
Stufe 1: Der Kl sollte vorsorglich zur Anspruchssicherung für<br />
den gesamten Grundbesitz der Erbengemeinschaften des Bekl und<br />
seiner Schwester Restitutionsansprüche anmelden, auch dort, wo<br />
der Grunderwerb durch den Erblasser oder eine spätere Enteignung<br />
als Restitutionsvoraussetzung nicht sicher waren (Anmeldung).<br />
Stufe 2: Der Kl sollte die Grundbuchlage und sonstige Urkunden<br />
daraufhin prüfen, ob Eigentum der Rechtsvorgänger an dem<br />
zur Rückübertragung angemeldeten Grundbesitz entstanden und<br />
ein Vermögenswert entzogen worden war (Rechtszustandsprüfung).<br />
Stufe 3: Der Kl sollte die angemeldeten Restitutionsansprüche<br />
bei den jeweils zuständigen Behörden betreiben (Verfahrensförderung).<br />
Stufe 4: Der Kl sollte die ergangenen Bescheide prüfen und gegebenenfalls<br />
Widerspruchsverfahren einleiten (streitige Rechtsdurchsetzung).<br />
Das Verwaltungsverfahren, in dem das zuständige Amt zur Regelung<br />
offener Vermögensfragen über den Restitutionsantrag entscheidet,<br />
bildet mit einem Widerspruchsverfahren gem. § 36<br />
VermG nach § 119 Abs. 1 BRAGO eine gebührenrechtliche Angelegenheit.<br />
Eine bereits vorher entstandene Geschäftsgebühr ist<br />
nach § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO auf die Gebühr für das behördliche<br />
Verfahren anzurechnen. Das gilt nach § 20 Abs. 1 S. 4 BRAGO<br />
auch für eine bereits zuvor verdiente Gebühr für einen Rat oder<br />
eine Auskunft. Dagegen sind die behördlichen Verfahren gegenüber<br />
dem anschließenden Verwaltungsstreitverfahren, für welches<br />
nach § 114 Abs. 1 BRAGO die Vorschriften des dritten Abschnitts<br />
sinngemäß gelten, gebührenrechtlich eine gesonderte Angelegenheit.<br />
Vorbereitungen des Rechtsanwalts, die nicht erst der späteren<br />
Klage vor dem Verwaltungsgericht, sondern schon dem behördlichen<br />
Restitutionsverfahren dienen, gehören entsprechend § 37<br />
Nr. 1 BRAGO zu dieser behördlichen Instanz, wenn sie nicht in einem<br />
besonderen (weiteren) gerichtlichen oder behördlichen Verfahren<br />
stattfinden (vgl. auch BGH, Urt. v. 4.5.1972 – III ZR 27/70,<br />
LM BRAGebO § 7 Nr. 1 Bl. 2).<br />
Wenn nicht schon bei der Rechtszustandsprüfung des Kl (oben<br />
Stufe 2) einzelne Grundstücke ausfielen, weil ein Vermögenswert<br />
nicht erworben oder nicht entzogen worden war, so musste sich<br />
das Tätigkeitsbild des Kl in den vier Gebührenangelegenheiten bei<br />
voller Auftragsdurchführung mit der Prüfung der ergangenen Bescheide<br />
und möglicher streitiger Rechtsdurchsetzung (oben Stufe 4)<br />
differenzieren, je nachdem, ob eine Rückübertragung erfolgte, ob<br />
nach den Feststellungen der Behörde gar kein Eigentum entzogen<br />
worden war, ob nach Ansicht der Behörde keine restitutionsfähigen<br />
Vermögenswerte vorlagen (so nach dem Bescheid des Landratsamts<br />
L. vom 7.7.1992 zu den Parzellen zu 8) oder ob die Rückgabe<br />
wegen nicht diskriminierender Enteignung (vgl. § 1 Abs. 1<br />
Buchst. a und b VermG) abgelehnt wurde. Die beiden erstgenannten<br />
Fallgruppen (keine Entziehung; angeordnete Restitution) verlangten<br />
von dem Kl bei Fortführung des Mandats keinerlei vermögensrechtliche<br />
Prüfung. Eine solche Prüfung war für die bloße<br />
Anmeldung von Rückübertragungsansprüchen, auf welche sich die<br />
Tätigkeit des Kl neben den Besprechungen nach dem tatsächlichen<br />
Verlauf des Mandats beschränkte, ohnehin nicht erforderlich. In<br />
diesen Fällen ist, wenn nicht andere Auftragsgegenstände innerhalb<br />
derselben Angelegenheit zu einer Erhöhung des Gebührensatzes<br />
führten, nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich nur die Mindestgebühr<br />
entstanden. Sie könnte mit Rücksicht auf die Bedeutung<br />
der Angelegenheit und die persönlichen Verhältnisse des Bekl nur<br />
insoweit maßvoll erhöht werden, als der Bekl selbst noch keine<br />
Anmeldung vorgenommen hatte, diese aber zur einstweiligen<br />
Rechtssicherung und zur Rechtserhaltung notwendig war.<br />
4. Einwendung des Interessewegfalls, angemessener Vorschuss.<br />
Das Berufungsgericht ist dem Einwand des Bekl nicht gefolgt,<br />
dem Kl und seinen Sozien stünde wegen der grundlosen Kündigung<br />
nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB keinerlei Vergütung zu. Es ist<br />
weiter davon ausgegangen, dass die mit Schreiben vom 23.8.1991<br />
(Anlage K 28, S. 13) bedingt auf 40.000 DM ermäßigte Vorschussanforderung<br />
deutlich unter dem Gesamthonoraranspruch des Kl<br />
lag. Das beruht möglicherweise auf den oben unter 1. und 2. genannten<br />
Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang<br />
ferner nicht gewürdigt, dass für die anstehenden auswärtigen<br />
Besprechungen in dem genannten Schreiben weiter die<br />
Zustimmung zu einer nachträglichen Honorarvereinbarung über einen<br />
Stundensatz von 450 DM in Abweichung von § 28 BRAGO<br />
verlangt wurde, ohne dass der Kl und seine Sozietät hierauf Anspruch<br />
hatten.<br />
Nach dem revisionsrechtlich zu Grunde zu legenden Vortrag<br />
des Bekl (Anlage B11, S. 4 = Anlage B 2, S. 8) hat er dem Kl für<br />
die vermögensrechtlichen Mandate einen Vorschuss von
254<br />
MN<br />
30.000 DM angeboten. Der Kl hat die Nichterfüllung seiner Mehrforderung<br />
zum Anlass der Mandatskündigung genommen. Das<br />
weitere Schicksal des Rechtsstreits hängt davon ab, ob der Bekl<br />
sich – wie er meint – zu Recht einer überhöhten Vorschussanforderung<br />
des Kl oder ob er sich vertragswidrig einer angemessenen<br />
Vorschussanforderung widersetzt hat.<br />
Der Rechtsanwalt kann von seinem Auftraggeber für die entstandenen<br />
und die voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen<br />
nach § 17 BRAGO einen angemessenen Vorschus fordern. Der Vorschussanspruch<br />
dient der Sicherung des späteren Vergütungsanspruchs<br />
des vorleistungspflichtigen Rechtsanwalts (BGH, Urt. v.<br />
29.9.198B–1 StR 332/88, AnwBl 1989, 227, 228). Bei Rahmengebühren,<br />
wie sie hier nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO in Rede<br />
stehen, unterliegt auch die Vorschussanforderung des Rechtsanwalts<br />
billigem Ermessen gem. § 12 BRAGO. Unbillig ist es, die Rahmengebühren<br />
bereits in voller Höhe von 10/10 als Vorschuss anzufordern,<br />
wenn sich noch nicht übersehen lässt, ob die erforderliche Tätigkeit<br />
des Rechtsanwalts die Höchstgebühr rechtfertigt. Ist es mindestens<br />
ebenso gut möglich, dass für Rahmengebühren nach dem tatsächlichen<br />
Aufwand der Mandateerfüllung am Ende nur die Mittelgebühr<br />
oder die Mindestgebühr verdient ist, so darf auch nur der jeweils vorhersehbare<br />
Gebührensatz in die Vorschussbemessung einbezogen<br />
werden. Wenn nötig, kann später nach Klärung der Umstände ein<br />
weiterer Vorschuss angefordert werden.<br />
Für die hier zu bevorschussenden vermögensrechtlichen Mandate<br />
des Kl war es offen, ob die Anmeldungen ablehnend beschieden<br />
werden würden und damit die Notwendigkeit einer entsprechend<br />
sorgfältigen Prüfung der Bescheide und der Durchführung<br />
von Widerspruchsverfahren in Betracht kam. Die hierfür erforderliche<br />
Tätigkeit des Kl hätte den Aufwand für die bloßen Anmeldungen<br />
der Grundstücksrestitutionen nach allgemeinen Erfahrungen<br />
möglicherweise überstiegen. Der Kl wird deshalb im Einzelnen begründen<br />
müssen, auf Grund welcher Umstände es im Rahmen der<br />
Billigkeit gelegen haben soll, bei der ersten Vorschussanforderung<br />
für die Geschäftsgebühr und die Besprechungsgebühr mehr als den<br />
Mindestsatz zu Grunde zu legen. Diese Umstände müsste der Bekl<br />
zudem gekannt haben, wenn ihm die Nichtentrichtung eines deswegen<br />
erhöhten Vorschusses als vertragswidriges Verhalten vorgeworfen<br />
werden soll.<br />
Der Kl durfte andererseits bei seiner Vorschussanforderung für<br />
die Bemessung der Gegenstandswerte den Verkehrswert der<br />
Grundstücke, auf die sich die vermögensrechtlichen Mandate bezogen,<br />
nach seinen damaligen Erkenntnismöglichkeiten schätzen.<br />
Sachverständiger Hilfe brauchte er sich dabei nicht zu bedienen. In<br />
die Schätzung der Verkehrswerte für die Vorschussanforderung waren<br />
danach die Angaben des Bekl mit etwaigen Berichtigungen,<br />
allgemeine Erfahrungen und eine vom Kl mit der Mandatswahrnehmung<br />
gewonnene Kenntnis der einzelnen Objekte einzubeziehen.<br />
Für die Bemessung des Vorschusses nicht maßgebend, weil<br />
dem damaligen Erkenntnisstand nachgehend, sind die Feststellungen,<br />
die das LG auf Grund der eingeholten Sachverständigengutachten<br />
zu den Grundstückswerten des Jahres 1991 getroffen hat.<br />
Das Berufungsgericht wird sich danach, wenn es für die Entscheidung<br />
darauf ankommt, mit den Wertansätzen des Kl für die Vorschussanforderung<br />
unter Berücksichtigung des vertretbaren Schätzungsspielraums<br />
erneut auseinander zu setzen haben.<br />
Sollte die Vorschussanforderung des Kl sich nach den Feststellungen<br />
in der wieder eröffneten Berufungsinstanz als überhöht erweisen,<br />
wendet der Bekl möglicherweise mit Recht ein, deshalb<br />
der Sozietät des Kl nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Interessewegfalls<br />
an der Leistung des Kl nichts zu schulden (vgl. BGH,<br />
Urt. v. 8.10.1981 – III ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438; v. 7.6.1984<br />
– III ZR 37/83, NJW 1985, 41 unter II. 1.; v. 30.3.1995 – IX ZR<br />
182/94, WM 1995, 1288, 1289 unter II. d). Denn er hat nach seinem<br />
Vortrag andere Rechtsanwälte mit der Weiterverfolgung der<br />
vermögensrechtlichen Angelegenheiten beauftragt und auch deren<br />
Leistung vergütet. Die dazu erforderlichen Feststellungen wird das<br />
Berufungsgericht nach ergänzendem Vortrag der Parteien wenn<br />
nötig gleichfalls nachzuholen haben.<br />
Neben der Beauftragung anderer Rechtsanwälte und der hierfür<br />
von dem Bekl erneut aufgewendeten Gebühren kann insoweit von<br />
Belang sein, inwieweit durch Rückübertragungsanmeldungen des<br />
Kl, die nach § 30 a VermG zwar noch bis zum 31.12.1992 nachgeholt<br />
werden konnten, erstmals die in § 3 Abs. 3 VermG, dem da-<br />
maligen § 6 der Anmeldeverordnung und den §§ 1, 2 GVVO in der<br />
Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1991 (BGBl I S. 1000) vorgesehenen<br />
Sicherungen ausgelöst worden sind. Denn das zeitliche<br />
Interesse des Bekl an einem solchen – früheren – noch nicht anderweitig<br />
bewirkten Schutz seiner Rückübertragungsansprüche konnte<br />
nicht nachträglich entfallen.<br />
5. Schadensersatzanspruch<br />
Sollte die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten des<br />
Bekl veranlasst gewesen sein, weil dieser sich einer – nach den<br />
weiteren Feststellungen – erkennbar angemessenen Vorschussanforderung<br />
widersetzt hat, steht der aufgelösten Sozietät des Kl als<br />
Schadensersatz gem. § 628 Abs. 2 BGB auch der Teil der Gebühren<br />
zu, der zu ihren Gunsten bei voller Auftragsdurchführung noch angefallen<br />
wäre. Im Streitfall kann dieser Anfall anhand der tatsächlichen<br />
Entwicklung der Angelegenheiten nachvollzogen werden,<br />
die der Bekl nach Kündigung des Kl anderweitig weiterverfolgt<br />
hat. Von dem dabei in Betracht kommenden Zuwachs der Rahmengebühren<br />
sind jedoch die infolge der Kündigung ersparten anwaltlichen<br />
Aufwendungen in Abzug zu bringen (vgl. Staudinger/Preis,<br />
BGB, 13. Bearb. Stand 2002, § 628 Rn 55 zum Stichwort Vorteilsausgleichung).<br />
III. Die Anschlussberufung des Kl ist insgesamt zurückzuweisen.<br />
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Bekl dem Kl<br />
auch für die Erbauseinandersetzungen mit seiner Schwester einen<br />
Auftrag erteilt hatte. Die Auseinandersetzung der Nachlässe Otto<br />
S. und Elise S. kann rechtsfehlerfrei als eine Gebührenangelegenheit<br />
gewertet werden. Damit stand der Sozietät des Kl die geforderte<br />
5/10-Geschäftsgebühr nach den zusammengerechneten<br />
Erbteilsstreitwerten des Bekl nebst Auslagenpauschale und Erstattung<br />
der Umsatzsteuer zu (zur Frage der möglichen Anspruchsverjährung<br />
siehe auch insoweit oben unter I.). Das nimmt die Revision<br />
des Bekl hin. Sie wendet sich aber mit Recht dagegen, dass das<br />
Berufungsgericht der Anschlussberufung des Kl insoweit stattgegeben<br />
hat, als dem Kl eine 5/10-Besprechungsgebühr für das Erbauseinandersetzungsmandat<br />
zuerkannt worden ist, weil Rechtsanwalt<br />
Kr. am 29.5.1991 in der Sache mit Rechtsanwalt Dr. H. telefoniert<br />
habe [wird ausgeführt] ...<br />
Anmerkung: Die Entscheidung des BGH bleibt auch für die<br />
Zeit nach dem zu erwartenden In-Kraft-Treten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />
(RVG) insoweit relevant, als der Begriff der<br />
„Angelegenheit“ im RVG bei den §§ 15 ff. in gleicher Weise zu<br />
verstehen ist wie heute in der BRAGO. Zur Einteilung in Angelegenheiten<br />
durch das RVG vgl. N. Schneider, Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />
– Das neue Rechtanwaltsvergütungsgesetz, AnwBl<br />
2004 (Heft März), 130; sowie: N. Schneider/Mock, Das neue RVG,<br />
AGS-Sonderheft 2004: RVG-Spezial, S. 7 ff. (Henke)<br />
Berufsrecht<br />
AnwBl 4/2004<br />
Rechtsprechung<br />
BRAO § 28<br />
Ein Rechtsanwalt unterhält in der Regel keinen auswärtigen<br />
Sprechtag, wenn er außerhalb seines Kanzleiorts in den Geschäftsräumen<br />
einer befreundeten Sozietät Mandanten berät,<br />
die von dieser für ihn vermittelt worden sind.<br />
(Leitsatz der Redaktion)<br />
OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.9.2003 – I-20 U 49/03<br />
Sachverhalt: Das LG hat den AGg im Wege der einstweiligen<br />
Verfügung untersagt, anwaltliche Dienstleistungen auf dem Gebiet<br />
des Familien- und Straßenverkehrsrechtes im Rahmen von auswärtigen<br />
Sprechtagen in den Geschäftsräumen der Sozietät der Streithelfer<br />
der AGg anzubieten bzw. anbieten zu lassen und abzuhalten.<br />
Den weitergehenden Antrag des ASt. auf Untersagung des Angebotes<br />
jeglicher Art von anwaltlicher Dienstleistung im Rahmen<br />
von auswärtigen Sprechtagen hat das LG zurückgewiesen.<br />
Aus den Gründen: II. 1. Die Berufung der AGg und Streithelfer<br />
ist als einheitliches Rechtsmittel (vgl. BGH NJW 1993, 2944,<br />
2945) zulässig. [wird ausgeführt]
AnwBl 4/2004 255<br />
Rechtsprechung MN<br />
2. Die Berufung ist begründet.<br />
Dem in zweiter Instanz modifizierten Untersagungsbegehren<br />
des ASt kann nicht stattgegeben werden, weil das von ihm gerügte<br />
Verhalten der AGg kein Abhalten auswärtiger Sprechtage i. S. v.<br />
§ 28 BRAO darstellt und unter diesem Gesichtspunkt nicht gegen<br />
die guten Sitten im Wettbewerb verstößt.<br />
Prüfungsgegenstand des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens<br />
ist allein ein etwaiger Verstoß der AGg gegen das<br />
in § 28 BRAO normierte Verbot des Abhaltens auswärtiger Sprechtage<br />
durch einen Rechtsanwalt. Dies ergibt der in erster und zweiter<br />
Instanz formulierte Unterlassungsantrag des ASt, für den er<br />
ausschließlich die Vorschrift des § 1 UWG i. V. m. § 28 BRAO heranzieht.<br />
Weiterführender bloßer Sachvortrag dehnt den Prüfungsgegenstand<br />
nicht aus.<br />
Im Rahmen des im gewerblichen Rechtsschutz vom 1. Zivilsenat<br />
des BGH vertretenen engen Streitgegenstandbegriffs (BGH<br />
GRUR 2001, 755 – Telefonkarte –; BGH GRUR 2001, 181 – dental<br />
ästhetika –; BGH GRUR 1999, 272 – Die Luxusklasse zum<br />
Nulltarif –; BGH NJW 2003, 2317) obliegt es dem Unterlassungskläger<br />
klarzustellen, was Gegenstand seines prozessualen Begehrens<br />
sein soll und auf welche Verbotsnorm oder Verbotsnormen er<br />
seinen Antrag (ggf. kumulativ oder alternativ) stützen will (vgl. Teplitzky,<br />
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl.,<br />
Kap. 46 Rdnr. 5). Dies hat der ASt durch die Formulierung seines<br />
Antrags und dessen Begründung in der Weise getan, dass er nur<br />
auf das Sprechtagsverbot abgestellt hat und nicht etwa § 3 UWG<br />
und den Gesichtspunkt der Irreführung durch die praktizierte Anbahnung<br />
der Mandantengespräche ins Feld geführt hat. Demgemäß<br />
erstrebt der ASt keine Überprüfung des beanstandeten Verhaltens<br />
im Hinblick auf eine mögliche Irreführung, auch wenn dieser<br />
Aspekt hier nach dem geschilderten Sachverhalt durchaus nahe gelegen<br />
hätte. Der neue Streitgegenstand hätte im Berufungsverfahren<br />
im Übrigen auch nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg in das Verfahren<br />
eingeführt werden können, weil es jedenfalls insofern<br />
offensichtlich an der Dringlichkeit fehlt.<br />
Die nunmehr in der mündlichen Verhandlung v. 2.9.2003 konkretisierten<br />
Verletzungsformen, dass durch eine Nachfrage von<br />
Rechtssuchenden nach einer anwaltlichen Vertretung in der Sozietät<br />
der Streithelfer eine Besprechung für die AGg in den Räumen<br />
dieser Sozietät in K vereinbart und durchgeführt wird (a), sowie<br />
auf Grund des Angebots in der Broschüre der Streithelfer zu 2. bis<br />
4. Besprechungen der AGg mit Rechtssuchenden in den Räumen<br />
der Sozietät der Streithelfer zu 2. bis 4. vereinbart und durchgeführt<br />
werden (b), erfüllen die Merkmale eines auswärtigen<br />
Sprechtages i. S. v. § 28 BRAO nicht.<br />
In der Kommentarliteratur zur Bundesrechtsanwaltsordnung<br />
werden „Sprechtage“ von Hensler/Prütting (§ 28 BRAO Rdnr. 7)<br />
als bestimmte Tage, an denen der Rechtsanwalt außerhalb der<br />
Kanzlei Rechtsrat erteilt, definiert, wobei gefordert wird, dass die<br />
Tätigkeit ein gewisses Gewicht und eine gewisse Regelmäßigkeit<br />
habe. Feurich/Braun (5. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 4) spricht von einer<br />
von der Kanzlei räumlich getrennten Einrichtung, die nur zu<br />
bestimmten Zeiten geöffnet ist. In der Kommentarliteratur zur<br />
1. AVO zu § 1 RBerG finden sich ebenfalls Definitionen des auswärtigen<br />
Sprechtages. Nach Rennen/Caliebe (3. Aufl., § 1 RBerG<br />
1. AVO Rdnr. 21) liegt ein solcher vor, wenn sich der Rechtsberater<br />
zu bestimmten festgelegten Zelten oder jeweils bekannt gegebenen<br />
Zeiten an einem bestimmten Ort außerhalb der Kanzlei aufhält, um<br />
dort Mandanten zu beraten oder neue Mandate entgegenzunehmen.<br />
Bei Chemnitz/Jahnigk (11. Aufl., § 1 RBerG 1. AVO Rdnr. 900) findet<br />
sich eine nahezu gleich lautende Definition.<br />
Dass das wesentliche Merkmal für einen auswärtigen Sprechtag<br />
i. S. v. § 28 BRAO nach den vorgenannten Definitionen darin liegt,<br />
dass er vorher vom Rechtsanwalt festgelegt und bestimmt und<br />
möglicherweise zusätzlich noch so beworben wird, ist vor dem<br />
Hintergrund zu sehen, welchem Zweck die Vorschrift des § 28<br />
BRAO (heute noch) dienen soll. Der Gesetzeszweck des § 28<br />
BRAO besteht darin, dass der Rechtsanwalt grundsätzlich seine Berufstätigkeit<br />
nur von einer Stelle aus betreiben soll, die den Mittelpunkt<br />
seiner Tätigkeit bildet (BGH NJW 1993, 196–199, 1998,<br />
2533). Der Rechtsanwalt soll nur ein Kommunikationszentrum haben<br />
(Feurich/Braun, 5. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 4) und sich nicht<br />
mehreren Kanzleiorganisationen widmen (Schumann, NJW 1990,<br />
2089, 2094). Dahingegen passt der teilweise als Gesetzeszweck er-<br />
wähnte Umstand, dass § 28 BRAO gewährleisten solle, den zugelassenen<br />
Anwalt in der Regel an seinem Kanzleisitz erreichen zu<br />
können (so LG Bonn NJW-RR 2001, 916; OLG Karlsruhe NJW<br />
1992, 1114), nicht mehr in das heutige Berufsbild eines Rechtsanwaltes,<br />
das sich von der Vorstellung, dass der Anwalt ständig in<br />
seiner Kanzlei residieren würde und nur dort erreicht werden<br />
könne, entfernt hat. Insofern stellt Schumann (NJW 1990, 289,<br />
292, 293; vgl. auch in anderem Zusammenhang BGH NJW 2003,<br />
1527) zu Recht darauf ab, dass das Kanzleigebot nicht dahin missverstanden<br />
werden darf, dass es als Pflicht des Rechtsanwaltes aufgefasst<br />
würde, grundsätzlich in der Kanzlei anwesend zu sein.<br />
Trotz der Verpflichtung zur Institution „Kanzlei“ sei die Person<br />
„Rechtsanwalt“ ortsungebunden. Im Gegenteil würde von ihm sogar<br />
von Seiten der Mandantschaft Beweglichkeit erwartet. Insofern<br />
versteht es sich von selbst, dass der Rechtsanwalt im Rahmen seiner<br />
in Art. 12 GG garantierten Freiheit der Berufsausübung Gespräche<br />
mit Mandanten nicht zwingend in seinen Kanzleiräumen<br />
führen muss, sondern an beliebigen Orten führen kann. In Bezug<br />
auf das gerügte Verhalten der AGg gilt es somit eine zulässige Vereinbarung<br />
von Terminen, die außerhalb der Kanzlei durchgeführt<br />
werden, und eine Einrichtung und Praktizierung auswärtiger<br />
Sprechtage voneinander abzugrenzen.<br />
Mit der im Antrag unter a) genannten Verletzungsform sind die<br />
zuvor dargestellten Merkmale eines auswärtigen Sprechtages nicht<br />
erfasst. Der Umstand, dass die AGg Besprechungen mit Mandanten<br />
in den Räumen der Kanzlei der Streithelfer zu 2. bis 4. auf<br />
Grund vorheriger Vereinbarungen zwischen dem Büro der letztgenannten<br />
und dem Mandanten abhalten, erfüllt im Rahmen des<br />
§ 28 BRAO nur das Merkmal der Auswärtigkeit, nicht jedoch das<br />
des Sprechtages. Dass sich ein Rechtsanwalt aus seinen Kanzleiräumen<br />
herausbegeben darf und woanders, auch in den Räumen<br />
von Kollegen, Besprechungen abhalten darf, versteht sich von<br />
selbst und will der ASt wohl auch nicht in Zweifel ziehen. Die<br />
Frage, durch wen solche auswärtigen Termine vereinbart werden,<br />
hat mit der Frage, ob sie sich zu einem Sprechtag verfestigt haben,<br />
nichts zu tun und betrifft eher Irreführungsgerichtspunkte, die hier<br />
jedoch nicht zu behandeln sind. Insbesondere fehlt dem viel zu<br />
weit gefassten Antrag bei der unter a) genannten Verletzungsform<br />
das Abstellen auf die Bestimmung eines oder mehrerer konkreter<br />
Tage, an denen die AGg auswärts zu sprechen wären. Der ASt verweist<br />
in seiner Berufungserwiderung (Seite 7, Bl. 326) darauf, dass<br />
die Mandantengespräche der AGg in den Räumen der Streithelfer<br />
zu 2. bis 4. nach der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin S.<br />
stets Mittwochs stattfänden. Dies wäre z. B. ein Anknüpfungspunkt,<br />
der auf einen Sprechtag hindeuten könnte. Wie sehr sich ein<br />
solcher bestimmter Tag, an dem ein Anwalt außerhalb seiner Kanzlei<br />
zu sprechen ist, institutionalisiert haben und beim angesprochenen<br />
Publikum bekannt sein muss, braucht hier jedoch nicht vertieft<br />
zu werden, da der ASt mit seinem Antrag die Untersagung jedweder<br />
Termine, gleichgültig ob sie an bestimmten Tagen stattfinden<br />
oder nicht, ausgesprochen haben will und damit gerade nicht auf<br />
die Bestimmung eines oder mehrerer konkreter Tage abstellt.<br />
Auch die unter b) konkretisierte Verletzungsform vermag für die<br />
Annahme der Durchführung auswärtiger Sprechtage nichts herzugeben,<br />
weil sie ebenfalls im Wesentlichen nur auf die Auswärtigkeit<br />
der Besprechungen abstellt. Soweit diese Besprechungen mit durch<br />
die Praxisbroschüre (der Nebeninterventienten zu 2. bis 4,) informierten<br />
Mandanten stattfinden, kann dieser Werbung nicht entnommen<br />
werden, dass dort bestimmte Tage als Möglichkeit, die AGg<br />
auswärts zu sprechen, angeboten werden. In der Broschüre heißt es,<br />
dass die AGg nach Terminvereinbarung in den Räumen der Streithelfer<br />
zu 2. bis 4. zur Verfügung ständen. Allein die Inanspruchnahme<br />
der Räumlichkeiten der Nebenintervenienten zu 2. bis 4.<br />
durch die AGg führt aber nicht zur Abhaltung von Sprechtagen.<br />
Da die vom ASt gerügten Verletzungshandlungen schon nicht<br />
den Tatbestand des § 28 BRAO erfassen, kann dahingestellt bleiben,<br />
ob diese Vorschrift mit Art. 12 GG vereinbar und verfassungsgemäß<br />
ist, was in der Literatur teilweise (vgl. Kleine/Cosack,<br />
4. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 9) verneint wird.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Klaus Hölzle, Kevelaer<br />
Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um ein rechtskräftiges<br />
Urteil im Verfügungsverfahren. Der ASt aus dem Verfügungsverfahren<br />
hat inzwischen Hauptsacheklage erhoben.
<strong>256</strong><br />
MN<br />
Prozessrecht<br />
ZPO §§ 139, 156<br />
a) Sind die Bedenken des Gerichts gegen die Schlüssigkeit der<br />
Klageforderung nach Anhörung des Kl in der mündlichen<br />
Verhandlung nicht ausgeräumt, muss es zur Vermeidung einer<br />
unzulässigen Überraschungsentscheidung diesen unmissverständlich<br />
hierauf hinweisen und ihm Gelegenheit zum<br />
weiteren Vortrag geben.<br />
b) Zur Verpflichtung des Gerichts zur Wiedereröffnung der<br />
mündlichen Verhandlung in einem solchen Fall.<br />
BGH, Urt. v. 5.11.2003 – VIII ZR 380/02<br />
Sachverhalt: Die Kl nimmt die Bekl, die Subunternehmerin der<br />
Firma K Bau AG & Co. war, unter anderem auf Vergütung für auf<br />
der Baustelle beim Entladen der Transportbetonfahrzeuge entstandene<br />
Wartezeiten gemäß Rechnungen vom 7.8.2000 und 11.9.2000<br />
in Höhe von 120.283,66 E (235.254,41 DM) in Anspruch: Die von<br />
der Kl übersandte Auftragsbestätigung vom 10.5.2000, der die Bekl<br />
nicht widersprochen hat, enthält unter anderem die Bestimmung:<br />
„6. Preis 150,90 DM/m 3<br />
In dem Preis ist eine Entladezeit von 7 Minuten/m 3 berücksichtigt.<br />
8.5 Verlängerte Entladezeit je Minute: 1 DM/m 3 “.<br />
Die Bekl hat ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Vergütung<br />
für angefallene Wartezeiten in Abrede gestellt und im Übrigen vorgetragen,<br />
die Berechnungsmethode der Kl sei unrichtig, da diese<br />
die Wartezeiten nicht für die gesamte angelieferte Betonmenge,<br />
sondern allenfalls für die noch jeweils im Transportfahrzeug verbliebene<br />
„wartende“ Restmenge ansetzen dürfe; zudem hat sie die<br />
berechneten Wartezeiten bestritten.<br />
Das LG hat die Klage hinsichtlich des Vergütungsanspruchs<br />
wegen verlängerter Wartezeiten abgewiesen, weil die Kl nicht bewiesen<br />
habe, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung zu<br />
Stande gekommen sei, auf deren Grundlage sie eine Vergütung der<br />
dargelegten Wartezeiten ihrer Transportfahrzeuge auf der Baustelle<br />
beanspruchen könne. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Berufung<br />
der Kl zurückgewiesen.<br />
Aus den Gründen: II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen<br />
Nachprüfung nicht stand.<br />
1. Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Parteien einen Liefervertrag<br />
entsprechend der Auftragsbestätigung der Kl vom<br />
10.5.2000 geschlossen haben, somit verlängerte Entladezeiten gem.<br />
Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung vergütungspflichtig sind. Von dem<br />
Vorliegen einer entsprechenden Vereinbarung ist daher für das Revisionsverfahren<br />
auszugehen.<br />
2. Das Berufungsgericht verneint den geltend gemachten Anspruch<br />
der Kl auf Wartezeitentschädigung – anders als das LG –<br />
vielmehr mit der Begründung, die Vertragsbestimmung der Nr. 8.5<br />
der Auftragsbestätigung sei nicht eindeutig, weil sie auch die Auslegung<br />
zulasse, dass die verlängerte – vergütungspflichtige – Entladezeit<br />
sich nur auf die noch „wartende“ Betonmenge nach Teilentladung<br />
beziehe.<br />
Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht in der<br />
Verhandlung vom 13.9.2002 seiner Hinweispflicht nicht hinreichend<br />
nachgekommen ist und zudem seine Pflicht zur Wiedereröffnung<br />
der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO) verletzt hat.<br />
a) Zwar hat das Berufungsgericht, nachdem es Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung<br />
vom 10.5.2000 nicht als ausreichende Grundlage<br />
für den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Kl angesehen<br />
hat, die Bekl in der mündlichen Verhandlung vom 13.9.2002 zu<br />
Recht auf seine Schlüssigkeitsbedenken hingewiesen (vgl. BGH,<br />
Urt. v. 7.12.2000 – I ZR 179/98, NJW 2001, 2548 unter III 1 c bb<br />
= BGHR ZPO § 139 Hinweispflicht 7 m. w. Nachw.). Hierauf haben<br />
sowohl der Prozessbevollmächtigte wie der Geschäftsführer der Kl<br />
übereinstimmend angegeben, handelsüblicherweise werde immer<br />
auf die Gesamtmenge des angelieferten Betons abgehoben, weil<br />
alle Beteiligten wüssten, dass sich technisch die Menge des „wartenden“<br />
Betons nicht ermitteln lasse. Zur Frage der Feststellung der<br />
angefallenen Wartezeiten hat der Prozessbevollmächtigte der Kl<br />
weiterhin erklärt, die jeweiligen Wartezeiten seien in dem Durchschreibesatz<br />
einheitlich eingetragen, sodass sich die Wartezeiten<br />
auch auf den Originallieferscheinen befänden: der Prozessbevollmächtigte<br />
der Bekl hat darauf erklärt, nach seiner Information<br />
stimme das nicht, er werde dies prüfen und ergänzend vortragen.<br />
AnwBl 4/2004<br />
Rechtsprechung<br />
b) Nach diesem Ergebnis der Verhandlung vom 13.9.2002<br />
durfte die Kl davon ausgehen, dass die Bedenken des Berufungsgerichts<br />
gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung behoben waren<br />
und nunmehr die bereits in erster Instanz angebotenen Beweise<br />
zu Inhalt und Üblichkeit der Berechnungsmethode erhoben würden.<br />
Sofern das Berufungsgericht dagegen weiterhin seine Schlüssigkeitsbedenken<br />
nicht als ausgeräumt ansah, musste es zur Vermeidung<br />
einer unzulässigen Überraschungsentscheidung die Kl unmissverständlich<br />
hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit zum<br />
weiteren Vortrag geben (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.1989 – VI ZR<br />
216/88 = NJW 1988, 2758 unter II 2 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1<br />
Überraschungsentscheidung 1; BGH, Urt. v. 8.2.1999 – II ZR<br />
261/97, NJW 1999, 2123 unter II 1 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1<br />
Überraschungsentscheidung 3). Dass die Kl in der mündlichen Verhandlung<br />
vom 13.9.2002 keinen Schriftsatznachlass beantragt hatte,<br />
ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon deshalb unerheblich,<br />
weil die Kl mangels eines entsprechenden Hinweises des<br />
Berufungsgerichts auf die nach seiner Ansicht weiter bestehenden<br />
Schlüssigkeitsbedenken nicht von der Notwendigkeit weiteren Vortrags<br />
ausgehen musste.<br />
c) Jedenfalls hätte das Berufungsgericht auf Antrag der Kl gemäß<br />
Schriftsatz vom 21.10.2002 die mündliche Verhandlung wieder<br />
eröffnen müssen, nachdem die bisherige Verhandlung lückenhaft<br />
war und in der Berufungsverhandlung vom 13.9.2002 bei<br />
sachgemäßem Vorgehen vom Standpunkt des Berufungsgerichts<br />
aus Anlass zu weiterer Aufklärung bestanden hätte (Senatsurteil<br />
vom 7.10.1992 – VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134 unter II 2 b =<br />
BGHR ZPO § 156 Ermessen 2; BGH, Urt. v. 26.10.1999 – IX ZR<br />
341/98, NJW 2000, 142 unter II 2 = BGHR ZPO § 156 Ermessen<br />
4). Wenn das Berufungsgericht dies zu Unrecht mit Rücksicht<br />
auf einen als erforderlich gehaltenen Antrag auf Schriftsatznachlass<br />
in der letzten mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, liegt insoweit<br />
ein weiterer Verfahrensfehler vor.<br />
fotonachweis<br />
Seiten I, IV, 223: alle privat; Seiten 212, 227, 228, 229, 231,<br />
232: alle Burkhardt/Berlin; Seiten 224, 225: alle Lührig/Berlin<br />
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Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e.V., Littenstr. 11, 10179<br />
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anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig<br />
(Leitung, v. i. S. d. P.), Dr. Peter Hamacher und Udo Henke, Rechtsanwälte,<br />
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und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111<br />
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86628-467, Fax 0 40/ 86628-468, info@ad-in.de. Technische Herstellung:<br />
Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />
Tel. 0201/ 8612281, Fax 0201/ 8612241; mitterbauer@soldandruck.de.<br />
Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei<br />
einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis: Jährlich<br />
126,– E (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 11,50 E<br />
(inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s ist<br />
der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über<br />
jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen<br />
Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften:<br />
Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die<br />
Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei<br />
ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-,<br />
Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für<br />
Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />
Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />
Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />
des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />
w
XX<br />
MN<br />
BÜCHER<br />
AnwaltKommentar BGB, Gesamthrsg.<br />
Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb, RA und FA<br />
für Steuerrecht Dr. Thomas Heidel und<br />
Prof. Dr. Gerhard Ring, 5 Bände, ca. 10.000<br />
Seiten,Vorzugspreis für DAV-Mitglieder ca.<br />
748 E, ISBN 3-8240-0631-6, Normalpreis<br />
ca. 798 E, ISBN 3-8240-0642-1, <strong>Deutscher</strong><br />
Anwaltverlag, Erscheint bis ca. Oktober<br />
2004, jetzt erschienen: Band 5: Erbrecht,<br />
Bandhrsg. VorsRiLG Dr. Ludwig Kroiß,<br />
Notar Dr. Jörg Mayer, Prof. Dr. Christoph<br />
Ann, LL.M., 1. Aufl. 2004, 1.704 Seiten,<br />
178 E, ISBN 3-8240-0606-5, <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag.<br />
Die Ziele der Gesamtherausgeber (renommierte<br />
Vertreter der Wissenschaft und<br />
anwaltlichen Praxis) sind rasch zusammengefasst:<br />
Vor dem Hintergrund der Schuldrechtsreform<br />
soll ein neuer, fünfbändiger<br />
Kommentar das neu gestaltete BGB erschließen;<br />
reformiertes Recht sowie zum<br />
Teil nur scheinbar unverändertes altes Recht<br />
verlangten nach einer Neukommentierung,<br />
die sich den Gesetzesänderungen annehme.<br />
Adressaten des Kommentars sind „Rechtsanwender“,<br />
wie die Herausgeber des dem<br />
Erbrecht gewidmeten Bandes, Kroiß (Vorsitzender<br />
Richter am Landgericht), Prof.<br />
Dr. Ann und Notar Dr. Mayer betonen.<br />
Sie setzen auf erhöhte Nachfrage: Von<br />
allen Materien des BGB-Zivilrechts verzeichne<br />
das Erbrecht den rasantesten Bedeutungs-<br />
und Nachfragezuwachs. An den<br />
Anwalt richten sich insbesondere die<br />
„praktischen Hinweise“, die sich am Ende<br />
vieler Kommentierungen finden. Die einzelnen<br />
Kommentierungen sind nach einem<br />
einheitlichen Schema („Allgemeines“, „Regelungsgehalt“,<br />
„Praktische Hinweise“)<br />
aufgebaut. Diese Gliederung ist es jedoch<br />
nicht, was den Kommentar von anderen<br />
Werken abhebt, auch nicht die eben angesprochenen<br />
Praxishinweise. Diese geben,<br />
wie sogleich an einem Beispiel dargestellt<br />
sei, Informationen wieder, die auch unter<br />
einer anderen Überschrift hätten dargestellt<br />
werden können.<br />
Beispielhaft herausgegriffen sei die<br />
Kommentierung zu § 2077 BGB, einer Vorschrift,<br />
die jüngst durch drei Entscheidungen<br />
„ins Gerede gekommen“ ist (BGH<br />
NJW 2003, 2095; KG KG-Report Berlin<br />
2003, 303; OLG Celle ZEV 2002, 328).<br />
Die Praxishinweise in der Kommentierung<br />
von Beck zu § 2077 BGB befassen sich<br />
(Rn 22 bis 25) mit prozessualen Fragen,<br />
insbesondere der Feststellungs-, Darlegungs-<br />
und Beweislast. Es ist mithin nicht<br />
so sehr die Strukturierung und Darstellungsform,<br />
die das Werk für den Praktiker<br />
interessant macht, als vielmehr die konzentrierte<br />
Darstellungsweise und der generelle<br />
„praktische Blick“ auf die Vorschriften.<br />
Auch dies sei am Beispiel des § 2077 BGB<br />
demonstriert: Entsprechend der Ankündigung,<br />
die gesetzlichen Neuregelungen zu<br />
berücksichtigen, wird auf die gesetzlich begründete<br />
Ausweitung des Anwendungsbereichs<br />
eingegangen (letztwillige Verfügungen,<br />
durch die der Erblasser seinen<br />
eingetragenen Lebenspartner bedacht hat,<br />
§ 10 Abs. 5 LPartG). Es wird – was die Aktualität<br />
des Kommentars bestätigt – die<br />
oben erwähnte Entscheidung des Bundes-<br />
gerichtshofs referiert (Näheverhältnis zwischen<br />
Schwiegereltern und Schwiegerkindern<br />
reicht nicht aus, die Wirksamkeit der<br />
Zuwendung an Schwiegerkinder nur wegen<br />
der gescheiterten Ehe in Frage zu stellen)<br />
und – wiederum praxisrelevant – die bei<br />
Redaktionsschluss einzige bekannte obergerichtliche<br />
Entscheidung zur Frage aufgenommen,<br />
ob die Vorschrift auf nicht eheliche<br />
Lebensgemeinschaften analog<br />
angewendet werden soll: Verneinend das<br />
Bayerische Oberste Landesgericht (FamRZ<br />
1983, 1226) und nunmehr auch das OLG<br />
Celle (ZEV 2003, 328). Bei der Aussage,<br />
dass § 2077 Abs. 2 BGB auf nicht eheliche<br />
Lebensgemeinschaften weder unmittelbar<br />
noch entsprechend anwendbar sei, bleibt<br />
die Kommentierung jedoch nicht stehen.<br />
Der mit der Anwendung der Vorschrift befasste<br />
Anwalt wird auf Abhilfemöglichkeiten<br />
hingewiesen. Zu Recht wird die denkbare<br />
Auslegungsvariante (Beendigung der<br />
nicht ehelichen Beziehung als auflösende<br />
Bedingung der testamentarischen Zuwendung)<br />
und die Möglichkeit der Testamentsanfechtung<br />
gem. § 2078 Abs. 2 BGB genannt.<br />
Die Kommentierung, die nochmals<br />
als Beispiel herangezogen sei, unterrichtet<br />
über den gesamten Regelungsgehalt der Vorschrift<br />
auf vier Druckseiten. Informiert wird<br />
der Leser hier, aber auch in den meisten anderen<br />
Kommentierungen, über die weiterführende<br />
Literatur, wobei Literaturhinweise<br />
häufig (nicht durchgehend) vor der<br />
Inhaltsübersicht der jeweiligen Kommentierung<br />
abgedruckt sind (am Rande: Bei den<br />
Hinweisen zu § 2077 BGB wäre der Aufsatz<br />
von Muscheler, DNotZ 1994, 733, zu nennen<br />
gewesen, der Anlass für das Kammergericht<br />
(aaO) war, im Falle der Scheidung der Ehe<br />
auch bei „Fortbestehenswillen“ gem. § 2077<br />
Abs. 3 BGB die Bindung an wechselbezügliche<br />
Verfügungen entfallen zu lassen – die<br />
Entscheidung ist nicht rechtskräftig, die Revision<br />
wurde zugelassen).<br />
Der Einfluss der Schuldrechtsreform auf<br />
das Erbrecht ist begrenzt. In den Fällen, in<br />
denen sich die Reform unmittelbar ausgewirkt<br />
hat (etwa bei Leistungsstörungen<br />
im Vermächtnisrecht), sind die Gesetzesänderungen<br />
sehr sorgfältig berücksichtigt<br />
worden (vgl. etwa die keine Fragen offen<br />
lassende Kommentierung von Mayer zu<br />
§ 2174 Rn 8 ff.). Diese Kommentierung –<br />
und sie sei ebenfalls pars pro toto genannt<br />
-- macht in vollem Umfang der Ankündigung<br />
der Herausgeber alle Ehre: Sie konzentriert<br />
sich auf das Wesentliche; unter<br />
Einbeziehung der gesetzlichen Neuregelungen<br />
wird der Leser auf den neuesten Stand<br />
gebracht. Und nicht nur dies: Hier (§ 2174<br />
Rn 18 f.) finden sich ebenso wie in einer<br />
Vielzahl weiterer Kommentierungen steuerliche<br />
Hinweise, die zwar nicht erschöpfend<br />
sind, aber zumindest Problembewusstsein<br />
schaffen und Anregungen zu vertiefter<br />
Prüfung vermitteln. Noch ein Pluspunkt: die<br />
Länderberichte (u. a. Frankreich, Großbritannien,<br />
Italien, die Türkei und die USA),<br />
die einen Überblick über die Grundzüge<br />
des in einzelnen Ländern geltenden Internationalen<br />
Privatrechts sowie das jeweilige<br />
materielle Erbrecht geben. Die Vorschriften<br />
zum EGBGB sind allerdings nicht in die<br />
Kommentierung mit einbezogen worden.<br />
Wer einen Kommentar sucht, der auf<br />
dem aktuellen Stand ist, besonderen Wert<br />
auf die Berücksichtigung der gesetzlichen<br />
Neuregelungen legt, sich auf das Wesentliche<br />
konzentriert und einen vollständigen<br />
Überblick über den Regelungsgehalt der<br />
erbrechtlichen Vorschriften verschaffen<br />
will, ist mit dem Werk hervorragend bedient.<br />
Der Kommentar kann und will nicht<br />
mit den Großkommentaren konkurrieren.<br />
Dies heißt, dass im Einzelfall Fragen offen<br />
bleiben (dürfen) und, um ein Beispiel zu<br />
nennen, etwa die Frage ausgeblendet bleibt,<br />
welchen Umfang das vorbehaltene Wohnrecht<br />
haben muss, um einem Nießbrauchsrecht<br />
gleichgestellt zu werden und dafür zu<br />
sorgen, dass die Zehn-Jahres-Frist des<br />
§ 2325 Abs. 3 BGB nicht zu laufen beginnt<br />
(vgl. zu dieser Frage Mayer, in: Bamberger/<br />
Roth, BGB, § 2325 Rn 31).<br />
Fazit: Die Anschaffung des Werkes<br />
kann dem erbrechtlichen Praktiker uneingeschränkt<br />
empfohlen werden. Dies gilt nicht<br />
zuletzt vor dem Hintergrund, dass es durch<br />
den vom Verlag angebotenen Online-Service<br />
auf dem neuesten Stand gehalten wird.<br />
Rechtsanwalt Dr. Andreas Frieser, Bonn<br />
Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts,<br />
Dr. Heinz-Bernd Wabnitz,<br />
Thomas Janovsky (Hrsg.), Verlag C. H.<br />
Beck, 2., neu bearbeitete und erweiterte<br />
Auflage 2003, 1940 Seiten, 112,– E, ISBN<br />
3-406-50516-3<br />
Wozu noch ein Handbuch, wenn man<br />
doch die wichtigsten Kommentare zum materiellen<br />
Strafrecht (neuerdings auch den<br />
erstklassigen Münchener Kommentar zum<br />
StGB) oder Verfahrensrecht schon im Regal<br />
hat? Weil damit viele Fragen aus der Beratungspraxis<br />
noch nicht zu klären sind! Die<br />
Neuauflage des Handbuches zum Wirtschafts-<br />
und Steuerstrafrechts erläutert mit<br />
einem interdisziplinären Autorenteam alle<br />
praxisrelevanten Fragen zu Gebieten, die<br />
man nur selten in voller Breite aus eigener<br />
beruflicher Erfahrung kennt, von der Geldwäsche<br />
über Wertpapierhandel, Straftaten im<br />
Gesundheitswesen, Computerkriminalität,<br />
Korruption und Produktpiraterie bis hin zur<br />
illegalen Beschäftigung und Leistungsmissbrauch.<br />
Die Stärke des Handbuches liegt vor<br />
allem in den Darlegungen der Hintergründe,<br />
Betätigungsfelder und Organisationsformen<br />
der einzelnen Delikte. Wirklich empfehlenswert<br />
ist der ausführliche Teil „EDV-Beweissicherung“<br />
von Bär, da nicht nur die Täter<br />
sich technisch weiterentwickeln, sondern<br />
auch die Ermittler immer mehr Schritt halten<br />
können. Allein schon wegen der rasanten<br />
technischen und rechtlichen Entwicklung bis<br />
hin zur Kommentierung des Einsatzes des<br />
IMSI-Catchers nach § 101 i StPO lohnt die<br />
Anschaffung der Neuauflage. Das Handbuch<br />
ist vor allem für die Praktiker geeignet,<br />
die nicht alle dort angesprochenen Bereiche<br />
täglich bearbeiten. Die Erkenntnisse können<br />
sogar für den zivilrechtlich orientierten Praktiker<br />
interessant sein und dies nicht nur wegen<br />
des Kapitels „Der Geschädigte in Wirtschaftsstrafsachen“<br />
von Wagner.<br />
Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter,<br />
Fachanwalt für Steuerrecht, Ratzeburg
XXII<br />
MN<br />
INTERNET<br />
9 Das Verfahren RegisSTAR ermöglicht<br />
die elektronische Führung der<br />
Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts-<br />
sowie Vereinsregister. Das<br />
Programm wurde im Auftrag der Länder<br />
Bayern, Nordrhein-Westfalen,<br />
Sachsen und Sachsen-Anhalt entwickelt.<br />
Zwischenzeitlich haben sich<br />
die Länder Hamburg, Hessen und das<br />
Saarland dem Verbund angeschlossen<br />
(Stand 23.2.2004). In Bayern soll die<br />
Umstellung aller Handelsregistergerichte<br />
im Frühjahr 2004 abgeschlossen<br />
werden. In Nordrhein-Westfalen wurde<br />
das gerichtliche Umstellungsverfahren<br />
bereits im Oktober 2003 beendet, alte<br />
Registerblätter sind jedoch erst zu<br />
85 % umgeschrieben; eine Beendigung<br />
wird für den Herbst 2004 erwartet.<br />
In Bayern erfolgt der sichere Zugang<br />
zum elektronischen Handelsregister<br />
wie üblich über das Internet. Dort<br />
E-Mail-Newsletter:<br />
Hinweise zum Bezug<br />
der DAV-Depesche<br />
Die DAV-Depesche – ein<br />
E-Mail-Newsletter – erhalten sämtliche<br />
Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e<br />
von denen die e-mail<br />
Adresse bekannt ist. Die DAV-Depesche<br />
erscheint in der Regel<br />
wöchentlich und fasst in kurzer<br />
Form aktuelle Themen zusammen.<br />
Weitere Informationen werden regelmäßig<br />
über weiterführende Links<br />
angeboten.<br />
Dabei wird auf den Datenbestand<br />
der Deutschen Anwaltadresse<br />
zurückgegriffen. Diese erfasst<br />
und speichert im Auftrag des<br />
DAV alle anwaltlichen Adressen und<br />
berufsbezogenen Daten. Diese sind<br />
unter anderem wichtig für die Erstellung<br />
des Anwaltsverzeichnisses,<br />
sowie andere DAV-Dienstleistungen,<br />
wie etwa der Deutschen Anwaltauskunft.<br />
Sollten sich die berufs- oder<br />
bürobezogenen Daten ändern, sollte<br />
dieses der Deutschen Anwaltadresse<br />
mitgeteilt werden:<br />
Deutsche Anwaltadresse, Littenstr.<br />
11, 10179 Berlin, Tel.: 0 30/<br />
72 61 53 – 1 70 oder – 1 71, Fax:<br />
0 30/ 72 61 53 – 177, adresse<br />
@anwaltverein.de<br />
(WAL)<br />
können auch weiterführende Informationen<br />
und ein Anmeldeformular abgerufen<br />
werden. Für die Gebührenabrechnung<br />
müssen sich derzeit auch<br />
einmalige oder gelegentliche Nutzer<br />
zum Verfahren anmelden. Die Einbindung<br />
einer Micropayment-Lösung, die<br />
Einzeleinsichten auch ohne vorherige<br />
Anmeldung zum Abrufverfahren ermöglichen<br />
soll, ist in Vorbereitung.<br />
Gebührenbeispiel für Bayern: Für regelmäßige<br />
Nutzer (verrechenbare Jahresgebühr<br />
150 E) kostet eine Online-<br />
Auskunft 4 E. Für gelegentliche Nutzer<br />
ohne Jahresgebühr kostet ein einzelner<br />
Abruf 8 E.<br />
Weiterführende Informationen sind zumeist<br />
über die Webseiten der Landesjustizverwaltungen<br />
erhältlich. Teilnehmer<br />
am Abrufverfahren benötigen<br />
grundsätzlich nur einen PC mit Internetanschluß<br />
und einen aktuellen Standard-Browser.<br />
http://www.justiz.nrw.de/IndexSeite/<br />
Organisation/projekte/registar.html<br />
http://www2.justiz.bayern.de/_bro<br />
schueren/RegisSTAR.htm<br />
https://handelsregister.justizregister.<br />
bayern.de (HIT)<br />
9 Das juristische E-zine und Portal<br />
LEGAmedia meldet im Februar die<br />
Bereitstellung der neuen Rechtstip-Datenbank<br />
LEGAtips. Das neue kostenlose<br />
Angebot wartet mit rund 2.000<br />
Rechtstips auf und umfaßt Gebiete<br />
vom Arbeitsrecht über Mietrecht bis<br />
hin zur Zwangsvollstreckung.<br />
http://www.legatips.de<br />
bzw.<br />
http://www.legamedia.net (HIT)<br />
9 Die Westlaw Datenbank GmbH,<br />
Frankfurt a.M., stellte im Februar ein<br />
neues Angebot vor. Es handelt sich<br />
um den Kommentar zur Zivilprozeßordnung<br />
Stein/Jonas aus dem Verlag<br />
Mohr Sibeck. Das verarbeitete Printmedium<br />
erschien unlängst in der<br />
22. Auflage und ist auf zehn Bände<br />
angelegt. Für das europäische Zivilprozeßrecht<br />
entsteht ein eigener Band.<br />
Der Stein/Jonas gilt als das umfangreichste<br />
Standardwerk auf dem Markt.<br />
Die online-Ausgabe bietet durch Verlinkungen<br />
mit Rechtsprechung und juristischen<br />
Fachzeitschriften einen spür-<br />
baren Mehrwert für den Nutzer. Der<br />
Online-Service Westlaw DE wurde in<br />
enger Zusammenarbeit mit Juristen<br />
speziell für den deutschen Markt aufgebaut.<br />
Neben aktueller Rechtsprechung,<br />
neuesten Gesetzestexten, renommieren<br />
Kommentaren und<br />
Fachzeitschriften sind auch die Pressemitteilungen<br />
der höchsten Gerichte<br />
verfügbar.<br />
Genauer Inhalt und Umfang der Datenbanken<br />
lassen sich am besten online<br />
sichten. Eine gute Zusammenfassung<br />
bietet die untenstehend als<br />
Adresse angegebene Informationsbroschüre<br />
im pdf-Format.<br />
http://westlaw.ems-ag.de/img/Down<br />
loads/produkt-broschuere.pdf<br />
bzw.<br />
http://www.westlaw.de (HIT)<br />
9 Nachfolgend noch zwei Notizen<br />
aus Meldungen von AFP:<br />
Gesetzesverkündung im Internet<br />
Die französischen Gesetze und andere<br />
offizielle Texte werden demnächst nur<br />
noch per Internet verkündet: Nach Angaben<br />
von Premierminister Jean-Pierre<br />
Raffarin soll die gedruckte Fassung<br />
des “Journal officiel“ völlig verschwinden.<br />
Domains mit Umlauten<br />
Am 1. März werden die ersten Netzadressen<br />
freigeschaltet, die auch Umlaute<br />
enthalten dürfen. Schon Ende Februar<br />
waren eine halbe Million<br />
Adressen vorregistriert. Umlaute lassen<br />
sich dabei nicht nur mit der Top Level<br />
Domain .de, sondern auch mit einer<br />
Vielzahl anderer Endungen wie .com,<br />
.net, .org oder .info kombinieren.<br />
Beides ist nachzulesen unter den<br />
Adressen:<br />
http://de.news.yahoo.com/040225/286/<br />
3wetb.html<br />
http://de.news.yahoo.com/040218/286/<br />
3w15d.html (HIT)<br />
Zusammengestellt von Rechtsanwalt und<br />
Fachanwalt für Steuerrecht Timm Hitzfeld,<br />
Augsburg (HIT), Rechtsanwalt Udo Henke,<br />
DAV, Berlin (HEN) und Rechtsanwalt<br />
Dr. Nicolas Lührig, DAV, Berlin (nil).