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(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />

A11041<br />

Aufsätze<br />

Geldwäsche und Verfassung (Wittig) <strong>193</strong><br />

Geldwäsche und wirtschaftsanwaltliche Beratung<br />

(Burmeister/Uwer) 199<br />

Kommentar<br />

Nein zu Vertrauensschadensfonds (Streck) 212<br />

Thema<br />

Zukunft des Berufsrechts (Hellwig) 213<br />

Anwaltsausbildung<br />

Streitgespräch zur Finanzierung der<br />

Juristenausbildung 224<br />

DAV-Forum Mediation<br />

Nachholbedarf für die Anwaltschaft 227<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Gründung AG Anwältinnen 236<br />

Rechtsprechung<br />

BFH: Gewerbesteuerpflicht der Anwalts-GmbH 249<br />

4/2004<br />

April <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag


EDITORIAL<br />

Das Übel hinter<br />

dem Ideal<br />

� Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />

Herausgeber des <strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />

Die Freiberufler stehen politisch<br />

mit dem Rücken zur Wand. Ihr auf<br />

eine lange Tradition bis hin zu den artes<br />

liberales der Antike zurückgehender<br />

Sonderstatus befindet sich unter<br />

massivem gerichtlichem und politischem<br />

Beschuss. Globalisierung, Harmonisierung,<br />

Wettbewerbsfreiheit oder<br />

Terrorismusbekämpfung sind die<br />

Stichworte, mit denen versucht wird,<br />

die Bastion der Freiberuflichkeit zu<br />

schleifen. Ein zentraler Angriffspunkt<br />

ist dabei die kardinale freiberufliche<br />

Verschwiegenheitspflicht. Ohnehin<br />

schon – wenn auch weitgehend unbemerkt<br />

– in der Vergangenheit erheblich<br />

ausgehöhlt, droht ihr durch das neue<br />

Geldwäschebekämpfungsgesetz vollends<br />

der Garaus gemacht zu werden.<br />

Eigentlich sollte dieses Gesetz mit<br />

seinen diversen Pflichten bei Rechtsanwälten<br />

völlig bedeutungslos sein.<br />

Dies gilt zumindest bei Zugrundelegung<br />

des bei dieser Berufsgruppe dominierenden<br />

idealistischen Selbstverständnisses.<br />

Schließlich wird bis in die<br />

jüngste Zeit auf Festveranstaltungen<br />

und in Festbeiträgen der Unterschied<br />

zum Gewerbetreibenden betont. Während<br />

Letzterer letztlich allein durch die<br />

Absicht der Gewinnerzielung geprägt<br />

sein soll, streicht der Rechtsanwalt<br />

gerne die altruistische Seite seines<br />

Tuns heraus. Zu ihr soll auch gehören,<br />

dass er an Geld eigentlich überhaupt<br />

nicht interessiert ist, soll ihm doch allenfalls<br />

ein „Honorar“ – also eine Art<br />

Ehrensold – gezahlt werden.<br />

Würde dieses Ideal der Wirklichkeit<br />

entsprechen, dann hätte der Gesetzgeber<br />

in der Tat keinen Anlass gehabt,<br />

auch die Anwälte dem Regime<br />

des Geldwäschegesetzes zu unterwerfen.<br />

Doch hinter dem Ideal verbirgt<br />

sich bekanntlich nicht selten das Übel.<br />

Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie<br />

nicht nur der Frankfurter Geldkoffer-<br />

Fall gezeigt hat. Auch Rechtsanwälte<br />

sind fragwürdigen Angeboten zur eigenen<br />

Einkommenssteigerung nicht<br />

mehr abgeneigt. Vor allem straf-, wirtschafts-<br />

und steuerrechtlich ausgerichtete<br />

Anwaltskanzleien werden nicht<br />

selten in der Versuchung stehen, sich<br />

von Mandanten gegen „angemessene<br />

Beteiligung“ missbrauchen oder zumindest<br />

ihr Honorar aus dubiosen<br />

Quellen finanzieren zu lassen. Wenn<br />

aber das Geld auch ihr Handeln maßgeblich<br />

bestimmen kann, sie vor allem<br />

vielfach und mit erheblichen Honorareinnahmen<br />

im Bereiche der wirtschaftlichen<br />

Beratung tätig sind, dann war es<br />

I<br />

MN<br />

im Prinzip konsequent, auch sie den<br />

Pflichten des Geldwäschegesetzes zu<br />

unterwerfen.<br />

Rechtspolitisch und verfassungsrechtlich<br />

stellt sich jedoch die Frage,<br />

ob die EU sowie der nationale Gesetzgeber<br />

bei ihren Regelungen nicht zu<br />

weit gegangen sind. Mit derartigen<br />

Grundsatzproblemen befasst sich der<br />

Beitrag von Petra Wittig. Er stellt<br />

nach einem Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte<br />

sowie der für<br />

Rechtsanwälte wichtigsten Regelungen<br />

die kritischen Punkte zusammen und<br />

befasst sich dann im Einzelnen mit der<br />

verfassungsrechtlichen Bewertung.<br />

Die praxisrelevanten Auswirkungen<br />

des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />

und der Novellierung der §§ 370 a AO,<br />

261 I 3 StGB erörtert der Aufsatz von<br />

Burmeister und Uwer. Übersichtlich<br />

und ausführlich legen die Autoren dar,<br />

welche Konsequenzen die neuen Regelungen<br />

vor allem für die wirtschaftsanwaltliche<br />

Beratung haben. Behandelt<br />

werden die umfangreichen<br />

Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und<br />

Aufbewahrungspflichten wie die Verdachtsmeldepflicht<br />

einschließlich der<br />

Sanktionen bei Pflichtverletzungen.<br />

Die gesetzlich geforderten internen Sicherungsmaßnahmen<br />

vom Geldwäschebeauftragten,<br />

über die Entwicklung<br />

interner Grundsätze bis hin zu<br />

den Anforderungen an ein Sicherungssystem<br />

werden ebenso erläutert wie<br />

die Anforderungen an die Buchhaltung.<br />

Weiter befassen sich die Autoren<br />

mit der Problematik der Geldwäsche<br />

durch Rechtsanwälte bei gewerbsmäßiger<br />

Steuerhinterziehung als Vortat.<br />

Sie legen dar, dass die Annahme<br />

von Honorar, das aus bemakeltem<br />

Vermögen stammt, den Tatbestand des<br />

Verschleierns des § 261 StGB erfüllen<br />

kann und ein neuer Verbrechenstatbestand<br />

der schweren Steuerhinterziehung<br />

mit § 370 a AO geschaffen<br />

wurde.<br />

Wenn die Rechtsanwälte verhindern<br />

wollen, dass sie nicht selbst zum Opfer<br />

der neuen Regelungen und damit ein<br />

Fall für den Staatsanwalt und die Justiz<br />

werden wollen, dann sollten sie sorgfältig<br />

die Beiträge studieren und die erforderlichen<br />

Maßnahmen für ihre<br />

Kanzlei ergreifen.


Editorial<br />

I Das Übel hinter dem Ideal<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack,<br />

Herausgeber des <strong>Anwaltsblatt</strong>s<br />

Bericht aus Berlin<br />

IV RVG: Gerade noch gutgegangen<br />

Bettina Mävers, Berlin<br />

Aufsätze<br />

<strong>193</strong> Die staatliche Inanspruchnahme des Rechtsanwalts<br />

durch das neue Geldwäschegesetz<br />

Rechtsanwältin und Privat-Dozentin Dr. Petra<br />

Wittig, München<br />

199 Auswirkungen des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />

auf die wirtschaftsanwaltliche Beratung.<br />

Auch ein Beitrag zur Novellierung<br />

der §§ 370 a AO, 261 Abs. 1 Satz 3 StGB<br />

Rechtsanwälte Dr. Frank Burmeister, Frankfurt am<br />

Main, und Dr. Dirk Uwer, Mag. rer. publ., Düsseldorf<br />

208 Die Zukunft des Marktes für Rechtsberatung<br />

Prof. Dr. Barbara Grunewald, Köln<br />

Kommentar<br />

212 Vertrauensschadensfonds der Rechtsanwälte für<br />

kriminelle Kollegen?<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Mitglied des<br />

Präsidiums des Deutschen Anwaltsvereins<br />

Thema<br />

213 Der Rechtsanwalt – Organ der Rechtspflege oder<br />

Kaufmann?<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />

Hellwig, Frankfurt am Main, Präsident des Rates<br />

der Europäischen Anwaltschaften (CCBE)<br />

Gastkommentar<br />

223 „Bild“ lügt<br />

Christian Bommarius, Berliner Zeitung<br />

Anwaltsausbildung<br />

224 Anwaltsorientierte Juristenausbildung – wer zahlt<br />

dafür?<br />

Streitgespräch zwischen der Geschäftsführerin der<br />

Rechtsanwaltskammer Köln und dem<br />

DAV-Hauptgeschäftsführer zur Mitfinanzierung der<br />

Juristenausbildung durch die Anwaltschaft<br />

DAV-Forum Mediation<br />

227 Justiz treibt die Mediation voran: Anwaltschaft hat<br />

Nachholbedarf<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

228 Was plant die EU-Kommission?<br />

Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

229 Berliner Pilotprojekt: Gerichtsmediation<br />

Interview mit Prof. Karsten-Michael Ortloff<br />

230 Normen für die Mediation – Die Vorschläge des DAV<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

231 Parlamentarischer Abend: Rechtspolitiker setzen sich<br />

für das Gebührenrecht ein<br />

232 Alte Klage: „Bedenkliche Überfüllung des<br />

Juristenberufes“ – Der Deutsche Anwaltstag in<br />

Hamburg 1929 und 75 Jahre später<br />

Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin<br />

235 DAV-Rednerwettstreit auf dem Deutschen Anwaltstag<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

235 Pressemitteilungen: Lob und Tadel für<br />

Bundesverfassungsgericht (Sicherungsverwahrung) /<br />

Anwälte lehnen EU-Asylverfahrensrichtlinie ab /<br />

DAV begrüßt Überlegungen für eine Reform des<br />

Strafverfahrens<br />

236 Neue Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen: Die Ziele<br />

der neuen Arbeitsgemeinschaft<br />

Rechtsanwältin Ute Stattler, Berlin<br />

Einladung zur Gründungsversammlung der<br />

AG Anwältinnen<br />

237 AG Sportrecht: Einladung zur Mitgliederversammlung<br />

Forum Junge Anwaltschaft: Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

AG Ausländer- und Asylrecht: Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

Personalien: Georg Greißinger 70<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Auszeichnung von Anwälten<br />

Europa<br />

238 Montis Bericht über den Wettbewerb bei<br />

freiberuflichen Dienstleistungen<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL. M., Berlin<br />

Meinung & Kritik<br />

239 Gedanken zur Zusammenlegung von<br />

Gerichtszweigen<br />

Rechtsanwalt Hans Arno Petzold, Hamburg<br />

Mitteilungen<br />

Berufsrecht<br />

240 Freigabe der Fachanwaltschaften – Durchbruch oder<br />

Chaos?<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

Steuerrecht<br />

241 Verbleibendes Restrisiko: Gewerblichkeit des<br />

Rechtsanwalts<br />

Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht<br />

Dr. Klaus Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, Berlin


Anwaltsrecht<br />

244 Bücherschau<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Haftpflichtfragen<br />

246 Anforderungen im Rahmen der vorläufigen<br />

Vollstreckbarkeit<br />

Assessorin Jacqueline Bräuer<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Rechtsprechung<br />

Anwaltsrecht<br />

249 BFH, Beschl. v. 3.12.2003 – IV B 192/03:<br />

Gewerbesteuerpflicht der Rechtsanwalts-GmbH<br />

Rechtsberatungsgesetz<br />

249 BGH, Urt. v. 20.11.2003 – I ZR 104/01:<br />

Rechtsberatung durch Automobilclub und<br />

Klagebefugnis eines örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Gebührenrecht<br />

251 BGH, Urt. v. 5.1.2004 – II ZR 22/02:<br />

Keine Erhöhungsgebühr bei Honorarklage einer<br />

Sozietät<br />

251 BGH, Urt. v. 11.12.2003 – IX ZR 109/00:<br />

Trennung und Zusammenfassung von<br />

Angelegenheiten/Vorschuss für Rahmengebühr<br />

Berufsrecht<br />

254 OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.9.2003 – I-20 U 49/03:<br />

Auswärtiger Sprechtag eines Anwalts<br />

Prozessrecht<br />

<strong>256</strong> BGH, Urt. v. 5.11.2003 – VIII ZR 380/02:<br />

Hinweis des Gerichts und Wiedereröffnung der<br />

mündlichen Verhandlung<br />

<strong>256</strong> Fotonachweis, Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

VI, VIII Informationen<br />

XVIII <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag aktuell<br />

XX Bücher<br />

XXII Internet<br />

XXVI, XXVII Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />

XXVIII DAV-Service<br />

Jahrgang 54<br />

April 2004<br />

Im nächsten Heft:<br />

9 Bundesverfassungsgericht und Anwaltshaftung<br />

(Medicus)<br />

9 Meine Anwältin – Wem gehört der Anwalt (Streck)<br />

9 Zukunft der Anwaltschaft (Themenschwerpunkt auf<br />

dem Deutschen Anwaltstag)


IV<br />

MN<br />

BERICHT AUS BERLIN<br />

RVG: Gerade noch<br />

gutgegangen<br />

� Die Autorin: Bettina Mävers war als<br />

Journalistin u. a. für das Handelsblatt tätig<br />

und erhielt 2001 den DAV-Pressepreis.<br />

Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />

Alles schien in trockenen Tüchern:<br />

Einstimmig verabschiedete der Bundestag<br />

im Februar das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz,<br />

nachdem Bundesjustizministerin<br />

Brigitte Zypries in letzter<br />

Minute noch einen Kompromiss mit ihren<br />

Ministerkollegen aus den Bundesländern<br />

erzielt hatte. Doch eine Woche<br />

später kam die Ernüchterung: Anders<br />

als der federführende Rechtsausschuss<br />

empfahl der Finanzausschuss des Bundesrats,<br />

den Vermittlungsausschuss anzurufen.<br />

Den Finanzministern ging es<br />

natürlich um’s Geld: Sie waren der Ansicht,<br />

dass die Änderungen im Gerichtskostengesetz<br />

trotz der Zugeständnisse,<br />

die die Bundesjustizministerin noch gemacht<br />

hatte – weiterer Anstieg der<br />

Mahngebühren ab 1.7.2006 und Erhöhung<br />

der Gebühren im einstweiligen<br />

Rechtsschutz – die befürchteten Belastungen<br />

der Landesjustizhaushalte vor allem<br />

durch die Reform der Rechtsanwaltsvergütung<br />

nicht auskömmlich<br />

kompensierten. Sie forderten deshalb,<br />

die Gebühren für das Mahnverfahren<br />

sofort auf 23 E anzuheben und die Gerichtsgebühren<br />

für nahezu alle Berufungsverfahren<br />

jeweils um 0,5 zu erhöhen.<br />

Alle Versuche, die Finanzminister<br />

doch noch zu einem Einlenken zu bewegen,<br />

scheiterten zunächst – das Vermittlungsverfahren<br />

schien programmiert.<br />

Entwarnung gab es erst kurz vor<br />

der entscheidenden Sitzung des Bundesrates:<br />

Nach internen Beratungen in<br />

den Kabinetten der Landesregierungen<br />

waren es nur noch drei Länder, die für<br />

ein Vermittlungsverfahren plädierten,<br />

und damit war die erforderliche Mehrheit<br />

nicht erreicht. Nun ist es „durch“,<br />

das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />

– die Seminare zum RVG können<br />

stattfinden, die Kommentare geschrieben<br />

werden.<br />

Kräftemessen mit den Ländern<br />

Die Hiobsbotschaft aus dem Bundesrat<br />

hatte nicht nur in der Anwaltschaft<br />

für Aufregung gesorgt. Sie<br />

wurde auch von den Bundespolitikern<br />

diskutiert und kritisiert. Denn die Finanzminister<br />

der Länder hatten mit ihrem<br />

Ansinnen, den Vermittlungsausschuss<br />

einzuberufen, den Kompromiss<br />

torpediert, den ihre Ministerkollegen<br />

aus den Justizressorts mit dem Bundesjustizministerium<br />

ausgehandelt hatten.<br />

Ein Vermittlungsverfahren hätte<br />

das Inkrafttreten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes<br />

zumindest<br />

verzögert, möglicherweise sogar verhindert.<br />

Denn ob man bei den Gerichtsgebühren<br />

noch einmal etwas hätte<br />

draufpacken können, ist fraglich: Justizpolitik<br />

kann nicht allein fiskalisch<br />

gesehen werden. Effektiver Rechtsschutz<br />

für den Bürger muss auch<br />

bezahlbar sein. Den damit auch verfassungsrechtlich<br />

vorgegebenen kostenrechtlichen<br />

Spielraum, bei dem die prozentuale<br />

Erhöhung gegenüber dem<br />

bisherigen Recht, also auch die Zumutbarkeit<br />

für den Bürger berücksichtigt<br />

werden muss, hat das Gesetz bereits<br />

ausgereizt. Eine sofortige Anhebung<br />

der Mahngebühren auf 23 E, wie von<br />

den Ländern gefordert, bedeutete eine<br />

Steigerung von mehr als 50% für das<br />

Verfahren, das oft als „Rechtsschutz für<br />

den kleinen Mann“ bezeichnet wird.<br />

Auch die diskutierte Möglichkeit,<br />

das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />

noch einmal einzubringen und es<br />

durch Streichung einiger Bestimmungen<br />

der Zustimmung durch den Bundesrat<br />

zu entziehen, hätte das Verfahren<br />

auf jeden Fall verzögert. Ob die<br />

Bundesregierung allerdings bereit gewesen<br />

wäre, es gerade beim Kostenrecht<br />

auf ein Kräftemessen mit den<br />

Ländern ankommen zu lassen?<br />

Ein solches Kräftemessen ist<br />

schließlich auch an anderer Stelle bereits<br />

programmiert: Zum Beispiel beim<br />

Betreuungsrecht, das für viele Anwälte<br />

von großem Interesse ist. Die Bundesländer<br />

wollen – wiederum aus fiskalischen<br />

Erwägungen – in ihrem über den<br />

Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf<br />

unter anderem die Vergütung und<br />

den Aufwendungsersatz durch eine<br />

festgelegte Zahl der monatlichen Betreuungsstunden<br />

pauschalieren. Bei der<br />

ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag<br />

wurde bereits deutlich, dass die<br />

Bundestagsabgeordneten dieses Vorhaben<br />

eher ablehnend beurteilen.<br />

So zeigt sich bei vielen Gesetzgebungsvorhaben,<br />

die in der breiten<br />

Öffentlichkeit kaum registriert werden,<br />

wie wichtig die Arbeit der so genannten<br />

Föderalismuskommission ist,<br />

die zurzeit an der Reform der bundesstaatlichen<br />

Ordnung arbeitet. Dass die<br />

Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze<br />

verringert werden muss, darüber<br />

wurde bereits ein Konsens erzielt.<br />

Welche originären Gesetzgebungskompetenzen<br />

der Bund jedoch als Gegenleistung<br />

den Ländern überlassen wird,<br />

ist immer noch heftig umstritten.<br />

Korrektur der Schuldrechtsreform<br />

Unbehelligt von Länderinteressen<br />

wird der Bundesgesetzgeber eine<br />

kleine, zustimmungsfreie Änderung im<br />

BGB vornehmen können. Es sind die<br />

Bestimmungen der §§ 444 und 639,<br />

die seit der Schuldrechtsreform die Beschränkung<br />

oder den Ausschluss der<br />

Garantie in den Fällen verbietet, in denen<br />

der Verkäufer eine Garantie für<br />

die Beschaffenheit der Sache übernommen<br />

hat. Vor allem die kaufrechtliche<br />

Bestimmung wurde kritisiert,<br />

weil sie das Haftungssystem bei Unternehmenskäufen<br />

in Frage stellt, die sich<br />

in jahrelanger Praxis als sachgerecht<br />

erwiesen hat. Die CDU/CSU-Fraktion<br />

hat bereits im Sommer vergangenen<br />

Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht,<br />

nach dem vier Bestimmungen<br />

dahingehend geändert werden sollen,<br />

das das Verbot des Haftungsausschlusses<br />

nur auf den konkreten Inhalt der<br />

Garantie beschränken. Die Bundesregierung<br />

hatte eine gesetzliche Klarstellung<br />

bislang nicht für notwendig erachtet.<br />

Positive Reaktionen in der<br />

Fachpresse auf den Gesetzentwurf der<br />

Unionsfraktion bewirkten jedoch offensichtlich<br />

ein Umdenken im Bundesjustizminsterium:<br />

Das Wörtchen<br />

„wenn“ in den §§ 444 und 639 BGB<br />

soll nun durch „soweit“ ausgetauscht<br />

werden. Einen eigenen Gesetzentwurf<br />

will das Ministerium für diese marginale<br />

Änderung allerdings nicht entwerfen.<br />

Sie soll als Formulierungshilfe einem<br />

Gesetz hinzugefügt werden, das<br />

sich bereits im Gesetzgebungsverfahren<br />

befindet. Ob sich der umfassendere<br />

Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion<br />

zum Haftungsausschlussrecht durchsetzt,<br />

ist fraglich – eine „kleine Lösung“<br />

wird es aber wohl noch vor der<br />

Sommerpause des Parlaments geben.


VI<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />

Keine Abschaffung der<br />

Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

Der DAV spricht sich entschieden<br />

gegen die Abschaffung der Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

als eigenständigen<br />

Gerichtszweig und gegen ihre Eingliederung<br />

in die allgemeine Ziviljustiz<br />

aus. Eine entsprechende Stellungnahme<br />

(Nr. 8/2004 von Februar 2004) hat der<br />

DAV durch den Ausschuss Arbeitsrecht<br />

formuliert und publiziert. Die Stellungnahme<br />

findet sich auf der Website des<br />

DAV unter www.anwaltverein.de/03/05/<br />

index.html.<br />

Humboldt-Universität Berlin<br />

Institut für Notarrecht<br />

gegründet<br />

Das Institut für Notarrecht der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin trat<br />

mit einer hervorragend besuchten<br />

Eröffnungsveranstaltung am 6.2.2004<br />

im Audimax der Universität an die Öffentlichkeit.<br />

Vizepräsident der Universität<br />

Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth<br />

und Bürgermeisterin von Berlin und<br />

Senatorin für Justiz des Landes Berlin<br />

Karin Schubert sprachen die angespannte<br />

Lage der Universitäten in Berlin<br />

deutlich an, werteten aber die<br />

Errichtung des Instituts als eine<br />

glückliche und in die Zukunft weisende<br />

Maßnahme für die so notwendige<br />

weitere Vertiefung der Beziehungen<br />

zwischen Praxis und<br />

Wissenschaft.<br />

Das Institut wird getragen und<br />

gefördert von der Deutschen Notarrechtlichen<br />

Vereinigung e.V. in<br />

Würzburg, der Notarkammer Brandenburg<br />

und der Notarkammer Berlin, deren<br />

Präsident Klaus Mock die Entstehungsgeschichte<br />

des Instituts<br />

nachzeichnete und insbesondere auch<br />

die Anwaltsnotare in Berlin und im<br />

Land aufforderte, das Institut tatkräftig<br />

zu unterstützen.<br />

Der groß angelegte fachliche Teil<br />

der Eröffnungsveranstaltung war über<br />

den ganzen Tag dem Bauträgervertrag<br />

gewidmet, ein Feld, in dem Wissenschaft<br />

und Praxis in denkwürdiger<br />

Weise alsbald zu brauchbaren Lösungen<br />

finden sollten und könnten.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />

Berlin<br />

AG Verkehrsrecht<br />

42. <strong>Deutscher</strong><br />

Verkehrsgerichtstag<br />

In diesem Jahr tagte vom 28.1. bis<br />

zum 30.1. bereits zum 42. mal der Deutsche<br />

Verkehrsgerichtstag in Goslar.<br />

Noch nicht ganz so alt, jedoch bereits<br />

Bestandteil fester Tradition, war die<br />

Einladung der Arbeitsgemeinschaft am<br />

Mittwoch Abend in die Kaiserwörth.<br />

Die Zahl der Teilnehmer an den Verkehrsgerichtstagen<br />

war mit 1.600 zwar<br />

leicht rückläufig im Vergleich zum Vorjahr,<br />

jedoch immer noch sehr groß.<br />

In seiner Eröffnungsansprache übte<br />

der neue Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages,<br />

Prof. Dr. Dencker,<br />

erhebliche Kritik an der jüngstem Zivilprozessreform<br />

und malte angesichts der<br />

neuerlichen Planungen der Bundesregierung<br />

ein Schauermärchen für die<br />

deutsche Rechtsprechung. Insbesondere<br />

kritisierte er, dass es zukünftig<br />

möglich sein soll, ein Zivilverfahren<br />

ohne Beweisaufnahme stattfinden zu<br />

lassen, wenn in dieser Angelegenheit<br />

ein Strafrichter bereits entschieden hat.<br />

Die Bedeutung und damit der Einfluss<br />

des Verkehrsgerichtstages wurde<br />

nochmals dadurch besonders deutlich,<br />

dass es sich der Verkehrsminister Dr.<br />

Stolpe trotz der für ihn problematischen<br />

politischen Lage nicht nehmen<br />

ließ, den Gastvortrag zu halten.<br />

In den diesjährigen acht Arbeitskreisen<br />

standen folgende Themen im<br />

Vordergrund: „Unfallrisiko Kleintransporter“,<br />

„Unfallursache Übermüdung“,<br />

„Motorradverkehr“, „Entziehung der<br />

Fahrerlaubnis durch den Strafrichter“,<br />

„Neues Schadensersatzrecht in der<br />

Praxis“, „Autokauf/Leasing: Sachmängelhaftung<br />

nach der Schuldrechtsreform“,<br />

„Verkehrslenkung durch<br />

Steuern und Gebühren“ und „Schiffskatastrophen<br />

– unvermeidbar?“.<br />

Der nächste Deutsche Verkehrsgerichtstag<br />

findet vom 26.1. bis zum<br />

28.1.2005 natürlich wieder in Goslar<br />

statt. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

ruft ihre Mitglieder dazu auf,<br />

den Deutschen Verkehrsgerichtstag auf<br />

wichtige und interessante Themen aufmerksam<br />

zu machen, um so die Interessen<br />

der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

bereits bei der Gestaltung des<br />

Deutschen Verkehrsgerichtstages Berücksichtigung<br />

finden zu lassen.<br />

Rechtsanwalt Hartmut Roth,<br />

Dresden<br />

AG Ausländer- und Asylrecht<br />

Fortbildungsveranstaltung zur<br />

EU-Osterweiterung<br />

Thema: Freizügigkeit, Diskriminierungsverbote<br />

und EU-Osterweiterung.<br />

Zeit: Samstag, den 5. Juni 2004,<br />

10.00–13.00 Uhr.<br />

Ort: Köln, Kolpinghaus International,<br />

St. Apern-Straße 32, 50667 Köln.<br />

Referent: Rechtsanwalt Jürgen Moser,<br />

Berlin.<br />

Am 1.5.2004 wird die Europäische<br />

Union um zehn Staaten (Estland, Lettland,<br />

Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei,<br />

Ungarn, Slowenien, Zypern<br />

und Malta) erweitert. Mit dem Beitritt<br />

werden allerdings nicht alle gemeinschaftsrechtlichenFreizügigkeitsregeln,<br />

die innerhalb der EU bislang<br />

galten, sofort übernommen. Das wird<br />

in der Anfangszeit zu erheblichen Unsicherheiten<br />

bei der Rechtsanwendung<br />

führen.<br />

Im Seminar werden – in gebotener<br />

Kürze – die Grundzüge des bisher geltenden<br />

Rechts in der EU (Freizügigkeitsrechte,<br />

Diskriminierungsverbote)<br />

sowie – ausführlicher – die in den Beitrittsstaaten<br />

übernommenen Regeln<br />

und Übergangsregelungen und die dabei<br />

auftretenden Probleme (z. B. Stillhalteklauseln)<br />

behandelt.<br />

Teilnahmebeitrag: 40 E für Mitglieder<br />

der ARGE und Mitglieder des<br />

Forums Junge Anwaltschaft, 80 E für<br />

Nichtmitglieder (wer bis zur Anmeldung<br />

der ARGE beitritt – Mitgliedsbeitrag<br />

65 E pro Jahr – zahlt bereits<br />

den ermäßigten Teilnehmerbeitrag.<br />

Beitrittserklärungen zur ARGE sind<br />

erhältlich auf der Homepage: http://<br />

auslaender-asyl.dav.de).<br />

Anmeldung: schriftlich bei RA<br />

Wolfram Steckbeck per Fax: (09 11)<br />

5 19 59-20, per E-Mail: RASUR@<br />

t-online.de, Leipziger Platz 1, 90491<br />

Nürnberg.<br />

Zahlung: Bitte überweisen Sie die<br />

jeweilige Teilnahmegebühr bis spätestens<br />

zum 6. Mai 2004 auf das Konto<br />

von Herrn Rechtsanwalt Steckbeck,<br />

Nr. <strong>193</strong>826-857 bei der Postbank<br />

Nürnberg, BLZ 760 100 85 unter dem<br />

Stichwort: ARGE Köln.<br />

Ansprechpartner: Rechtsanwalt<br />

Rolf Stahmann, Torstr. 124, 10119 Berlin,<br />

Tel. 0 30/28 39 09 63.


VIII<br />

MN<br />

INFORMATIONEN<br />

ARGE Mietrecht<br />

Frühjahrstagung 2004 in<br />

Hamburg<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Mietrecht<br />

und WEG/Immobilien im Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong> veranstaltet ihre „Frühjahrstagung<br />

und Mitgliederversammlung<br />

2004“ am Donnerstag, 20.<br />

Mai 2004, 13.00 bis 17.00 Uhr im<br />

Congress Centrum Hamburg (CCH),<br />

Am Dammtor/Marseiller Straße 2 in<br />

20335 Hamburg.<br />

Fachprogramm:<br />

13.00 Uhr: „Mietrecht und Mietprozess<br />

– Die häufigsten Fehler“; Referent: Dr.<br />

Werner Hinz, Richter am AG Pinneberg.<br />

14.30 Uhr: Mitgliederversammlung<br />

15.15 Uhr: „Reformbedarf im Wohnungseigentumsrecht?“;<br />

Prof. Dr. Christian<br />

Armbrüster, FU Berlin.<br />

16.30 Uhr: „Rechtsprechungsfenster<br />

zum Miet- und WEG-Recht“; Referenten:<br />

RA Michael Drasdo/Neuss, RA Jan-<br />

Hendrik Schmidt/Hamburg und RA<br />

Christian Schwarzmeier/Hamburg.<br />

Die Teilnahme allein an der Mitgliederversammlung<br />

von 14.30 bis<br />

15.15 Uhr ist ohne kostenpflichtige<br />

Anmeldung zum DAT möglich. Der<br />

Besuch der Vortragsveranstaltungen erfordert<br />

eine DAT-Anmeldung.<br />

Anmeldung und Anfragen für die<br />

Veranstaltung sind zu richten an die<br />

Deutsche Anwaltakademie, DAT-Organisation,<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />

Tel.: 0 30/72 61 53-0, Fax: 0 30/<br />

72 61 53-1 88.<br />

AG Sportrecht<br />

Tagungen 2004<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

im DAV plant für 2004 zwei Tagungen:<br />

9 11./12.6.2004 anlässlich der Beach-<br />

Volleyball-Europameisterschaften in<br />

Travemünde/Timmendorfer Strand<br />

zum Thema „Der Sportler im Spannungsfeld<br />

zwischen Spielervermittler<br />

und Verein“. Anschließend Mitgliederversammlung<br />

(Einladung siehe in diesem<br />

Heft auf Seite 237)<br />

9 10./11.9.2004 anlässlich des Linde-<br />

Master-Turniers in Köln zu Rechtsproblemen<br />

bei der Ausrichtung von Sportveranstaltungen<br />

unter besonderer Berücksichtigung<br />

steuerrechtlicher<br />

Aspekte<br />

Bitte achten Sie die Hinweise auf der<br />

Internetseite www.sportrecht-dav.de.<br />

Produktpiraterie<br />

4. APM-Sicherheitstechnikkongress<br />

in Berlin<br />

Der Aktionskreis Deutsche Wirtschaft<br />

gegen Produkt- und Markenpiraterie<br />

(APM; gegründet 1997 auf Initiative<br />

des DIHK, des BDI und des<br />

Markenverbandes) veranstaltet am<br />

27.5.2004 im Haus der Deutschen<br />

Wirtschaft, Berlin-Mitte, den 4. APM-<br />

Sicherheitstechnikkongress. Anwälte<br />

und Consultants, brand protection bzw.<br />

anti-counterfeiting manager sowie Experten<br />

aus Logistik- und Verpackungsabteilungen<br />

werden von den Sicherheitstechnik-Ausstellern<br />

über die<br />

Möglichkeiten der Prävention gegen<br />

Produkt- und Markenpiraterie informiert.<br />

Vorträge zu diesem Themenbereich<br />

runden das Programm ab.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.markenpiraterie-apm.de, kieffer.<br />

susanne@berlin.dihk.de, Tel: 0 30/<br />

2 03 08 27 19, Fax: 0 30/2 03 08 27 18.<br />

Gebührenrecht in AGS 4/04*<br />

9 RVG-Spezial:<br />

N. Schneider, Die Vergütung in Strafsachen<br />

9 Rechtsprechung<br />

9 BGH: Keine Gebührenerhöhung bei<br />

Aktivprozessen von Sozietäten<br />

AG Koblenz: Keine Auslagenpauschale<br />

bei mündlicher Beratung<br />

OLG Koblenz: Keine PKH für Aufhebung<br />

einer Scheinehe<br />

OLG Koblenz: Umfang der Beiordnung<br />

in Ehesachen<br />

BGH: Kostenentscheidung nach Klagerücknahme<br />

BGH: Erstattung der Reisekosten des<br />

Anwalts am dritten Ort<br />

* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS) erscheint<br />

seit 2003 mit deutlich erweitertem Inhalt<br />

und in neuem Outfit monatlich auf ca. 40<br />

Seiten im Deutschen Anwaltverlag und wird<br />

hrsg. von Rechtsanwalt Wolfgang Madert und<br />

Rechtsanwalt Norbert Schneider in Verbindung<br />

mit dem Gebührenrechtsausschuss und<br />

der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s unter<br />

ständiger Mitarbeit von Dipl.-Rechtspfleger<br />

Heinricht Hellstab, Rechtsanwalt Jürgen<br />

Schneider und Rechtsanwalt Udo W. Henke.<br />

Nähere Informationen und ein Probeabonnement<br />

erhalten Sie vom Deutschen Anwaltverlag<br />

in 53111 Bonn, Wachsbleiche 7,<br />

Tel. 0228/91911-0.


Im Auftrag des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Die staatliche<br />

Inanspruchnahme des<br />

Rechtsanwalts durch das<br />

neue Geldwäschegesetz *<br />

Rechtsanwältin und Privat-Dozentin Dr. Petra Wittig,<br />

München<br />

Der Beitrag informiert über das neue Geldwäschegesetz,<br />

das den Rechtsanwälten weit gehende und bisher<br />

nicht gekannte Pflichten zur Identifizierung und zur geheimen<br />

Anzeige auferlegt. Gleichzeitig wird die Sanktionierung<br />

von Verstößen als Ordnungswidrigkeiten und als<br />

Straftaten dargestellt. Der Rechtsanwalt wird zwangsweise<br />

zum Informanten und verdeckten Ermittler des Staates.<br />

Jenseits aller rechtspolitisch sinnvollen Kritik an diesem<br />

Zustand versucht dieser Aufsatz die Vereinbarkeit dieser<br />

Regelungen mit dem Grundgesetz, die oft ohne nähere Begründung<br />

bestritten wird, zu beleuchten.<br />

I. Einleitung<br />

Q<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Jahrgang 54<br />

April 2004<br />

Spätestens seit der Novellierung des Geldwäschegesetzes<br />

(GwG) 2002 betrifft das Thema Geldwäsche nicht nur<br />

mehr im Umfeld der Organisierten Kriminalität tätige<br />

Strafverteidiger. Von vielen Rechtsanwälten unbemerkt<br />

nimmt das am 15.8.2002 in Kraft getretene GwG durch die<br />

Normierung von Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und geheimzuhaltenden<br />

Anzeigepflichten bei bestimmten Kataloggeschäften<br />

unter Sanktionsdrohung den gesamten Berufsstand<br />

in die Pflicht 1 . Der Rechtsanwalt wird dadurch –<br />

zugespitzt formuliert – kraft Gesetzes zum Informanten<br />

und verdeckten Ermittler des Staates 2 .<br />

Die rechtliche Zulässigkeit der staatlichen Inanspruchnahme<br />

des Rechtsanwalts zum Zwecke der effektiven Bekämpfung<br />

der Geldwäsche durch das GwG ist Thema dieses<br />

Beitrags. Damit soll zugleich die massive Kritik, vor<br />

allem der Standesvereinigungen, an der Neuregelung einer<br />

rechtlichen Überprüfung unterzogen werden. Kritiker sehen<br />

den Anwalt in verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer<br />

Weise zum Spitzel gegen seine Mandanten degradiert 3 .Der<br />

Präsident der RAK Köln spricht gar von einer „Perversion<br />

des anwaltlichen Berufsbildes“ 4 . Dabei möchte ich mich an<br />

dieser Stelle wegen der Vielzahl der mit der Inanspruchnahme<br />

des Rechtsanwaltes zu Zwecken der Strafverfolgung<br />

verbundenen rechtlichen Probleme und deren Komplexität<br />

auf einen Problemabriss beschränken.<br />

II. Gesetzgebungsgeschichte<br />

1. Die völker- und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen 5<br />

Zu Recht wird Geldwäsche als ein zu bekämpfendes<br />

grenzüberschreitendes Phänomen angesehen, das koordinierte<br />

internationale Gegenmaßnahmen erfordert.<br />

Erstmals wurde durch die Wiener Drogenkonvention<br />

der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 6 die strafrechtliche<br />

Bekämpfung der Geldwäsche auf internationaler Ebene kodifiziert.<br />

Schutzzweck war die Bekämpfung der weltweit<br />

organisierten Drogenkriminalität. Neben der Wiener Drogenkonvention<br />

hatte vor allem das Straßburger Übereinkommen<br />

des Europarates 7 Einfluss auf die Kodifizierung auf eu-<br />

* Erweiterte und überarbeitete Fassung des von der Verfasserin am 9.7.2003 vor<br />

der Juristischen Fakultät der Universität Passau gehaltenen Habilitationsvortrages.<br />

1 Vgl. dazu Busch/Teichmann, Das neue Geldwäscherecht, Baden-Baden 2003;<br />

Große-Wilde, MDR 2002, 1288; v. Galen, NJW 2003, 117.<br />

2 Hübsch und zugleich aussagekräftig ist auch die Formulierung „Eidgenössisch<br />

konzessionierter Sherlock Holmes“ im Zusammenhang mit dem Schweizer<br />

Geldwäscherecht, vgl. den Beitrag von H. Dietzi, Der Bankangestellte als eidgenössisch<br />

konzessionierter Sherlock Holmes? Der Kampf gegen die Geldwäscherei<br />

aus der Optik des Ersten Rechtskonsulenten einer Grossbank, in Pieth<br />

(Hrsg.), Bekämpfung der Geldwäscherei. Modellfall Schweiz? Basel u. a. 1992,<br />

S. 62 ff.<br />

3 Vgl. z. B. Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zu dem Entwurf eines<br />

Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung<br />

der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz),<br />

Bundestagsdrucksache 14/8739 vom 23.5.2002. Ähnlich die Pressemitteilung<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer vom 4.12.2000 allerdings schon zur erweiterten<br />

EU-Geldwäscherichtlinie: „Damit wird der Anwalt vom Staat verpflichtet,<br />

als Spitzel gegen seine Mandanten tätig zu sein. Nicht einmal totalitäre Diktaturen<br />

haben dies von ihren Anwälten verlangt.“<br />

4 Inhaltlich zustimmend zitiert bei v. Galen, NJW 2003, 117.<br />

5 Ein Überblick zu den einschlägigen Rechtsakten auf internationaler und EU-<br />

Ebene findet sich Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 15 ff. Umfassend zu der Geldwäschebekämpfung<br />

auf EU-Ebene Gentzik, Die Europäisierung des deutschen und<br />

englischen Geldwäschestrafrechts, Berlin 2002.<br />

6 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten<br />

Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Gesetz zu dem Übereinkommen<br />

der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten Verkehr<br />

mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Vertragsgesetz Suchtstoffübereinkommen<br />

1988) vom 22.7.1993, BGBl. II 1993, S. 1136).<br />

7 Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung<br />

von Erträgen aus Straftaten vom 8.11.1990 (Gesetz zu dem Übereinkommen<br />

vom 8.11.1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme<br />

und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 8.4.1998 (BGBl. II 1998,<br />

S. 519).


194<br />

MN<br />

ropäischer Ebene. Seine Zielrichtung ist die Bekämpfung<br />

internationaler Schwerkriminalität.<br />

Für die Bekämpfung der Geldwäsche besonders bedeutsam<br />

sind, obwohl rechtlich unverbindlich, die Empfehlungen<br />

der Financial Action Task Force on Money Laundering<br />

(FATF), ein von den G7-Staaten eingesetztes unabhängiges<br />

Gremium internationaler Experten, die sich mit allen<br />

Aspekten der Geldwäsche befassen. Grundlegend sind die<br />

1996 aktualisierten vierzig Empfehlungen der FATF 8 .Das<br />

novellierte GwG trägt besonders den als unmittelbare Reaktion<br />

auf die Anschläge vom 11. September 2001 ausgesprochenen<br />

8 Washingtoner Empfehlungen der Financial Action<br />

Task Force vom Oktober 2001 9 Rechnung 10 .<br />

Die EWG-Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des<br />

Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche<br />

(91/308/EWG) vom 10.6.1991 bezweckte den Schutz der<br />

legalen Finanzsysteme in der Europäischen Union vor einer<br />

Unterwanderung und stellte somit eine binnenmarktbezogene<br />

Maßnahme dar (Art. 47 Abs. 2 (ex Art. 57 Abs. 2), 95<br />

EGV (ex Art. 100 a)) 11 . Primäres Ziel war also nicht die<br />

Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Die Richtlinie<br />

von 1991 war lediglich auf Finanz- und Kreditinstitute zugeschnitten.<br />

Dagegen bezieht die Änderungsrichtlinie vom<br />

4.12.2001 (2001/97/EG) weitere für Geldwäscher interessante<br />

Berufsgruppen ein, unter anderem Rechtsanwälte,<br />

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.<br />

2. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht<br />

Die EWG-Richtlinie von 1991 wurde durch das Gesetz<br />

über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten<br />

vom 25.10.1993 12 in nationales Recht umgesetzt. Die Änderungsrichtlinie<br />

von 2001 wurde durch das Gesetz zur Verbesserung<br />

der Bekämpfung der Geldwäsche und der<br />

Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz)<br />

13 , umgesetzt und das Geldwäschegesetz<br />

mit Wirkung zum 15.8.2002 entsprechend<br />

neugefasst. Das Gesetzgebungsverfahren war vor dem Hintergrund<br />

der Terroranschläge vom 11.9.2001 vergleichsweise<br />

kurz.<br />

III. Darstellung der für Rechtsanwälte wichtigsten Regelungen<br />

des GwG 14<br />

1. §§ 3, 6, 8, 9 GwG Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und<br />

Aufbewahrungspflicht<br />

a) Regelung<br />

§ 3 GwG dehnt die Identifizierungspflicht gem. § 2<br />

GwG, die bisher nur Kredit- und Finanzinstitute traf, auf<br />

andere Berufsgruppen aus. Nach der Gesetzesbegründung<br />

„werden damit diejenigen Berufe und Tätigkeiten in den<br />

Pflichtenkreis des Gesetzes einbezogen, bei denen erfahrungsgemäß<br />

ein erhöhtes Risiko besteht, dass ihre Dienste<br />

zu Geldwäschezwecken missbraucht werden“ 15 . Dies betrifft<br />

u. a. Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Steuerberater<br />

und Wirtschaftsprüfer.<br />

Bei Rechtsanwälten besteht eine allgemeine verdachtsunabhängige<br />

Identifizierungspflicht nach § 3 Abs. 1 GwG<br />

nur, soweit sie bei bestimmten Kataloggeschäften mitwirken,<br />

nämlich<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

9 Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,<br />

9 Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen<br />

Vermögenswerten ihres Mandanten,<br />

9 Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten,<br />

9 Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur<br />

Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel,<br />

9 Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften<br />

oder ähnlichen Strukturen.<br />

Außerdem ist bei Durchführung von Finanz- oder Immobilientransaktionen<br />

im Namen und auf Rechnung des Mandanten<br />

dieser zu identifizieren. Gerade diese Klausel dehnt<br />

den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 GwG weit aus.<br />

Von einer Identifizierung kann nach § 7 GwG abgesehen<br />

werden, wenn der zu Identifizierende bei dem zur Identifizierung<br />

Verpflichteten persönlich bekannt und wenn er bei<br />

früherer Gelegenheit identifiziert worden ist.<br />

Nach überwiegender Meinung gelten jedoch auch für<br />

Rechtsanwälte die Einschränkungen des § 2 Abs. 1 und 3<br />

GwG, wonach eine Identifizierungspflicht nur bei auf<br />

Dauer angelegten Geschäftsbeziehungen bzw. bei der Annahme<br />

von Bargeld oder elektronischem Geld von wenigstens<br />

15.000 EUR – egal ob als Honorar oder Fremdgeld –<br />

besteht 16 . Allerdings soll auch die Übertragung eines einzelnen<br />

Mandats eine dauerhafte Geschäftsbeziehung begründen,<br />

sodass – außerhalb der so genannten Erstberatung<br />

(§ 20 BRAGO) – bei den genannten Kataloggeschäften in<br />

der Regel der Rechtsanwalt zur Identifizierung seines Mandanten<br />

verpflichtet ist 17 .<br />

Während § 3 GwG eine allgemeine verdachtsunabhängige<br />

Identifizierungspflicht regelt, sieht § 6 GwG eine besondere<br />

verdachtsabhängige Identifizierungspflicht vor,<br />

nämlich dann, wenn auf Grund festgestellter Tatsachen darauf<br />

geschlossen werden kann, dass eine Finanztransaktion<br />

einer Geldwäsche nach § 261 StGB oder der Finanzierung<br />

einer terroristischen Vereinigung dient. Dann besteht eine<br />

Identifizierungspflicht auch bei Unterschreitung des<br />

Schwellenbetrages und außerhalb einer dauerhaften Geschäftsbeziehung.<br />

Das Gebot der persönlichen und dokumentenmäßigen<br />

Identifizierung verlangt, dass der Rechtsanwalt anhand eines<br />

gültigen Ausweisdokuments die Person seines Mandanten<br />

(also Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit,<br />

ggf. Anschrift) und die Art, Nummer und<br />

ausstellende Behörde des Ausweises feststellt (§ 3 i. V. m.<br />

8 Abgedruckt z. B. bei Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 107 ff.<br />

9 Abgedruckt z. B. bei Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 105 ff.<br />

10 Busch/Teichmann (Fn. 2), S. 18.<br />

11 Umfassend dazu Gentzik (Fn. 6), S. 39 ff.<br />

12 BGBl. I 1993, 1770.<br />

13 BGBl. I 2002, 3105.<br />

14 Nicht ausführlich thematisieren möchte ich § 14 GwG (vgl. BRAK-Mitt. 2003,<br />

229), auf den aber zumindest kurz hingewiesen sein soll. Nach § 14 GwG müssen<br />

unter bestimmten Voraussetzungen (§ 14 Abs. 1 Nr. 8 GwG) Rechtsanwälte<br />

einen Geldwäschebeauftragten bestimmen. Dieser soll „Ansprechpartner“ für<br />

die Strafverfolgungsbehörden und das Bundeskriminalamt sein. Die Nichtbefolgung<br />

ist jedoch nicht sanktioniert. Auch eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche<br />

§ 261 StGB oder Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen gem.<br />

§§ 261, 27, 13 StGB kommt nicht in Betracht. Auch hier stellt sich natürlich<br />

die Frage, inwieweit diese Verpflichtung Grundrechte des Rechtsanwalts oder<br />

objektive Verfassungsgrundsätze verletzt.<br />

15 BT-Ds. 14/8739, S. 12.<br />

16 Vgl. nur Große-Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).<br />

17 Große-Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).


AnwBl 4/2004 195<br />

Aufsätze MN<br />

§ 1 Abs. 5 GwG). Diese Feststellungen sind durch Aufzeichnung<br />

der Angaben (auch auf einem Datenträger) oder<br />

durch Kopie des Ausweises aufzuzeichnen (§ 9 Abs. 1 und<br />

2 GwG). Die Aufzeichnungen sind sechs Jahre aufzubewahren<br />

(§ 9 Abs. 3 GwG).<br />

Ferner ist der Rechtsanwalt verpflichtet, sich zu erkundigen,<br />

ob der Mandant auf eigene oder fremde Rechnung<br />

handelt (§ 8 GwG). Bei Handeln auf fremde Rechnung<br />

muss er Name und Anschrift des wirtschaftlich Berechtigten<br />

feststellen.<br />

b) Sanktionierung<br />

Verstöße gegen die Identifizierungs-, Aufzeichnungs-,<br />

Aufbewahrungs- und Erkundigungspflicht können gem.<br />

§ 17 Abs. 1 Nr. 1, 3 GwG mit einer Geldbuße bis zu<br />

100.000 EUR sanktioniert werden. Eine Strafbarkeit wegen<br />

Beteiligung an einer Geldwäsche durch Verstoß gegen die<br />

genannten Pflichten ist dagegen kaum denkbar, denn auch<br />

nur eine Förderung der Haupttat allein durch die Nichtidentifizierung<br />

erfolgt nicht.<br />

2. § 11 GwG Anzeigepflicht<br />

a) Regelung<br />

§ 11 GwG regelt eine verdachtsabhängige Anzeigepflicht.<br />

Danach müssen bei Kataloggeschäften Rechtsanwälte<br />

Mandanten bei der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(§ 11 Abs. 4 GwG) anzeigen, wenn auf Grund festgestellter<br />

Tatsachen geschlossen werden kann, dass eine Finanzaktion<br />

einer Geldwäsche oder der Finanzierung einer terroristischen<br />

Vereinigung dient (§ 11 Abs. 1 GwG). Die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

leitet die Anzeige dann ggf. mit einer<br />

Stellungnahme an die Strafverfolgungsbehörden und in Kopie<br />

dem Bundeskriminalamt – Zentralstelle für Verdachtsanzeigen<br />

– weiter (§ 11 Abs. 4 S. 3 i. V. m. Abs. 1 S. 1<br />

GwG). Allerdings besteht keine Anzeigepflicht für Rechtsanwälte,<br />

„wenn dem Geldwäscheverdacht Informationen<br />

von dem oder über den Mandanten zu Grunde liegen, die<br />

sie im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung<br />

dieses Mandanten erhalten haben“ (§ 11 Abs. 3 S. 1<br />

GwG). Von dieser Ausnahme gibt es jedoch wieder eine<br />

Ausnahme: Die Anzeigepflicht bleibt bei „doppeltem Vorsatz“<br />

bestehen, nämlich, wenn der Rechtsanwalt weiß,<br />

„dass der Mandant ... 5die4 Rechtsberatung bewusst für<br />

den Zweck der Geldwäsche in Anspruch nimmt“ (§ 11<br />

Abs. 3 S. 2 GwG). Im Falle einer Anzeige besteht eine vorläufige<br />

Handlungssperre für Finanztransaktionen (§ 11<br />

Abs. 1 S. 3 GwG).<br />

Der Rechtsanwalt muss außerdem dem Mandanten die<br />

Anzeige nach § 11 Abs. 5 GwG verschweigen. Dieses Verbot,<br />

im Fachjargon als „tipping-off“ bezeichnet, soll verhindern,<br />

dass Geldwäscher bei Kenntnis der Verdachtsanzeigen<br />

Maßnahmen ergreifen können, „um sich und ihre Verbrechensgewinne<br />

dem Zugriff der staatlichen Strafverfolgung<br />

zu entziehen“ 18 .<br />

b) Sanktionierung<br />

Das GwG sieht keine Sanktion bei Verletzung der Anzeigepflicht<br />

vor. Es kommt aber eine Strafbarkeit wegen<br />

(mit-)täterschaftlich begangener Geldwäsche (§§ 261, 25<br />

StGB) 19 oder Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen<br />

(§§ 261, 27, 13 StGB) 20 in Betracht. Die Verletzung der<br />

Schweigepflicht kann nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 , 3 GwG mit<br />

einer Geldbuße bis zu 50.000 EUR geahndet werden.<br />

IV. Die Kritik im Überblick<br />

Die Kritik an den dargestellten Regelungen ist heftig.<br />

Hier einige der wichtigsten Argumente 21 :<br />

9 Die durch das GwG auferlegten Pflichten seien keine<br />

geeigneten und erforderlichen Mittel zur Bekämpfung<br />

der Geldwäsche. Dadurch werde die durch Art. 12 GG<br />

geschützte Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwaltes<br />

und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

des Mandanten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1<br />

GG verletzt.<br />

9 Die vorgesehenen Regelungen, insbesondere die<br />

Schweigepflicht hinsichtlich einer Anzeige, störten das<br />

verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Anwalt und Mandanten empfindlich und seien<br />

deshalb bei Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter<br />

verfassungswidrig.<br />

9 Es bestünden rechtsstaatliche Bedenken, wenn der Anwalt<br />

„als Spitzel des Staates“ zum verlängerten Arm<br />

der Ermittlungsbehörden wird. Dies sei unvereinbar mit<br />

dem Grundsatz der freien Advokatur.<br />

9 Letztlich bestünden Wertungswidersprüche zum einfachen<br />

Recht, insbesondere zu § 203 StGB, der Verletzung<br />

von Privatgeheimnissen, zu § 139 Abs. 3 S. 2<br />

StGB, der Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter<br />

Straftaten, und § 43 a Abs. 4 BRAO, des Verbotes der<br />

Vertretung widerstreitender Interessen.<br />

V. Rechtliche Bewertung<br />

1. Prüfungsumfang<br />

In diesem Beitrag möchte ich lediglich thematisieren,<br />

inwieweit die auferlegten Pflichten gegen Verfassungsrecht<br />

verstoßen könnten. Ausklammern möchte ich vor allem die<br />

Frage der Vereinbarkeit mit einfachem Gesetzesrecht.<br />

18 BT-Ds. 14/8739, S. 16.<br />

19 Eine täterschaftliche Geldwäsche kommt z. B. durch die Vereinbarung und Annahme<br />

überhöhter Honorarleistungen gerade zum Zwecke der Herkunftsverschleierung<br />

in Betracht (Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 51. Aufl., München<br />

2003, § 261 Rn 32). Hier liegt der Unrechtsgehalt jedoch nicht primär in dem<br />

Unterlassen einer Anzeige, sondern in dem positiven Tun im Beispiel in der<br />

Vereinbarung und Annahme des Honorars. Zur Problematik der Geldwäsche<br />

durch Annahme von Honorar durch den Strafverteidiger (BGHSt 47, 68) sowie<br />

die Nachweise bei Tröndle/Fischer, aaO, § 261 Rn 32 ff.<br />

20 Es ist jedoch durchaus problematisch, ob sich der Rechtsanwalt bei Nichtanzeige<br />

einer Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen (§§ 261, 27, 13 StGB)<br />

strafbar macht. Es bereitet schon Schwierigkeiten, sich entsprechende Konstellationen<br />

vorzustellen, in denen der fördernde oder kausale Tatbeitrag allein in<br />

dem Unterlassen der Anzeige – und nicht in einem positiven Tun sei es auch<br />

nur in Form der psychischen Beihilfe – liegt. Ein Beispiel, in dem eine Strafbarkeit<br />

gem. §§ 261, 27, 13 StGB in Betracht kommt, ist das Folgende: Ein<br />

Rechtsanwalt berät einen Mandanten rechtlich hinsichtlich eines Gegenstandes,<br />

der aus einer Katalogtat stammt und den der Mandant verwahrt (vgl. § 261<br />

Abs. 2 Nr. 2 StGB). Er erlangt während der Beratung Kenntnis von der Herkunft<br />

des Gegenstandes und berät den Mandanten zwar nicht weiter, zeigt ihn<br />

aber auch trotz des nun geschöpften Verdachtes nicht an. Der Mandant kann<br />

deshalb den Gegenstand weiter verwahren bzw. einem Dritten verschaffen.<br />

Hier ist die Nichtanzeige durch den Rechtsanwalt förderlich für die Geldwäsche<br />

durch den Mandanten, denn bei einer Anzeige wäre die Haupttat zumindest<br />

erschwert worden. Problematisch ist jedoch, ob hier eine aus einer Garantenstellung<br />

fließende Garantenpflicht (§ 13 StGB) besteht. Diese könnte sich<br />

aus § 11 GwG ergeben. Dagegen ließe sich einwenden, dass nicht jede Verhaltenspflicht<br />

auch eine strafrechtliche Garantenpflicht begründet, wofür auch der<br />

Verzicht auf eine Sanktionierung im GwG spricht. Dieser Umstand könnte aber<br />

gerade auch beweisen, dass eine spezielle Sanktionierung wegen der ohnehin<br />

bestehenden Strafbarkeit nach allgemeinem Strafrecht überflüssig ist. Ich habe<br />

jedoch keine Zweifel daran, dass die Rechtsprechung ggf. eine Strafbarkeit wegen<br />

§§ 261, 27, 13 StGB bejahen wird. Unklar die Gesetzesbegründung, wonach<br />

eine Mandatsniederlegung in den Fällen des § 11 Abs. 3 S. 2 GwG geboten<br />

sein wird, um einer eigenen Beihilfestrafbarkeit zu begegnen (BT-Ds. 14/<br />

8739, S. 16).<br />

21 Vgl. nur v. Galen, NJW 2003, 117; Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen<br />

vom 23.5.2002 (Fn. 4); Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des<br />

Deutschen Anwaltsvereins vom Februar 2002.


196<br />

MN<br />

Hierzu nur folgender Hinweis: Im Rahmen des hier vor allem<br />

thematischen § 203 StGB dürfte sich die Diskussion<br />

auf das Problem konzentrieren, ob eine Befugnis zur Offenbarung<br />

kraft Gesetzes besteht, was – unterstellt man die<br />

Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Vorschriften – zu<br />

bejahen sein dürfte.<br />

2. Überprüfung der Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und<br />

Aufbewahrungspflicht und ihrer Sanktionierung am<br />

deutschen Verfassungsrecht<br />

a) Vorbemerkung<br />

Nach den Gesetzesmaterialien ist die Einbindung Privater<br />

in die Strafverfolgung nur dann durch die im Interesse<br />

des Allgemeinwohls liegende Strafverfolgung gerechtfertigt,<br />

wenn dies die Geldwäschebekämpfung und<br />

damit mittelbar die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität<br />

effektiviert. Zum Beispiel heißt es in einer Äußerung<br />

der Bundesregierung vom 4.6.1992: „Wie in der Entwurfsbegründung<br />

bereits ausführlich dargelegt, besteht der<br />

Zweck der verbesserten Erkenntnisquellen für die Strafverfolgungsbehörden<br />

in einer Effektivierung der Geldwäschebekämpfung.<br />

Nur insoweit lässt sich die hierfür erforderliche<br />

Einbindung Privater in die – an sich dem Staat<br />

obliegende – Aufgabe der Strafverfolgung rechtfertigen“ 22 .<br />

Dass die Bekämpfung der Geldwäsche ein legitimer<br />

Zweck ist, steht nicht zur Diskussion. Für die Kritiker des<br />

GwG sind die Identifizierungs-, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten<br />

und ihre Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit<br />

jedoch keine geeigneten Mittel zur Bekämpfung<br />

der Geldwäsche und damit die entsprechenden<br />

Regelungen grundrechtswidrig.<br />

b) Diskussion<br />

Die Annahme, dass die im GwG vorgesehenen Identifizierungs-,<br />

Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten<br />

und ihre Sanktionierung grundrechtswidrig sind, basiert auf<br />

drei im Folgenden zu diskutierenden Prämissen: Erstens,<br />

dass die genannten Pflichten und/oder ihre Sanktionierung<br />

in Grundrechte eingreifen, zweitens, dass sie keine geeigneten<br />

und damit unverhältnismäßige Mittel zur Bekämpfung<br />

der Geldwäsche sind, und drittens, dass deutsches Verfassungsrecht<br />

anwendbar ist.<br />

aa) Eingriffsqualität<br />

Durch die Auferlegung von Handlungspflichten wird in<br />

die durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit<br />

des Rechtsanwalts eingegriffen 23 . Dadurch wird nämlich<br />

geregelt, wie Rechtsanwälte ihre Berufstätigkeit im Einzelnen<br />

zu gestalten haben. Ohne diese Pflichten würden sicher<br />

die wenigsten Anwälte ein Beratungsgespräch mit einem<br />

Mandanten mit der Aufforderung beginnen, den Ausweis<br />

vorzulegen. Auf Seite des Mandanten wird insbesondere<br />

durch die verdachtsunabhängigen Identifizierungs-, Aufbewahrungs-<br />

und Aufzeichnungspflichten in das „Grundrecht<br />

auf informationelle Selbstbestimmung“ aus Art. 2<br />

Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG eingegriffen 24 .<br />

bb) Verhältnismäßigkeit<br />

Bei der ersten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung,<br />

der Geeignetheit, ist zu fragen, ob der Zweck – die Be-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

kämpfung der Geldwäsche – durch die auferlegten Handlungspflichten<br />

zumindest abstrakt gefördert werden kann.<br />

Dies ist nur dann der Fall, wenn die Strafverfolgungsbehörden<br />

in rechtlich zulässiger Weise auf die Aufzeichnungen<br />

bzw. die auf Grund der Identifizierung gewonnenen<br />

Informationen zugreifen und diese verwerten können.<br />

Hier setzt die Kritik an: Eine freiwillige Herausgabe der<br />

Aufzeichnungen stellt einen gem. § 203 StGB strafbaren<br />

Verstoß gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />

dar. Das GwG selbst enthält nur so genannte Beweisvorsorgepflichten,<br />

aber keine gesetzliche Grundlage zur Heranziehung<br />

von nach dem GwG erstellter Unterlagen zum Zwecke<br />

der Strafverfolgung 25 . Eine Eingriffsbefugnis kann sich<br />

aus dem allgemeinen Strafprozessrecht ergeben, also insbesondere<br />

aus §§ 94 ff. StPO. Das Auskunftsverlangen nach<br />

§ 95 StPO wird im Normalfall nicht zulässig sein, weil es<br />

voraussetzt, dass zwar feststeht, dass sich ein Beweismittel<br />

im Gewahrsam einer Person befindet, aber der Gegenstand<br />

bei einer Durchsuchung nicht gefunden oder der Ort des<br />

Gewahrsams nicht ermittelt werden kann 26 . Es bleibt die<br />

Beschlagnahme gem. §§ 94, 98 StPO. Diese ist aber gem.<br />

§ 98 StPO nur zulässig, wenn die Aufzeichnungen nach<br />

dem GwG nicht beschlagnahmefrei sind. Dabei sind zunächst<br />

die Verwertungsbeschränkungen des § 10 GwG zu<br />

beachten, denn bei Unzulässigkeit der Verwertung ist auch<br />

die Beschlagnahme unzulässig. Nach § 10 Abs. 1 GwG<br />

dürfen die nach § 9 Abs. 1 GwG gefertigten Aufzeichnungen<br />

nur zur Verfolgung einer Straftat nach § 261 StGB oder<br />

einer Vortat der Geldwäsche herangezogen und verwendet<br />

werden. Darüber hinaus gelten die allgemeinen Beschlagnahmeverbote,<br />

also insbesondere § 97 Abs. 1 StPO. Beschlagnahmefrei<br />

sind danach die Aufzeichnungen, welche<br />

ein zeugnisverweigerungsberechtigter Rechtsanwalt über<br />

die ihm vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder<br />

über andere Umstände gemacht hat, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO erstreckt.<br />

Bei dem zu Grunde zu legenden weiten Verständnis<br />

des Begriffs Aufzeichnungen, unter den u. a. Karteien fallen,<br />

sind die Aufzeichnungen nach § 9 GwG beschlagnahmefrei.<br />

Eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit tritt allerdings<br />

nach § 97 Abs. 2 S. 3 1. HS. StPO bei einer Tatverstrickung<br />

des Rechtsanwaltes ein. Diese ist z. B. denkbar,<br />

wenn er bei Tatverdacht den Mandanten nicht anzeigt. Keinesfalls<br />

ist es aber so, dass jeder Verstoß gegen das GwG<br />

bereits eine Tatverstrickung begründet, denn eine solche<br />

liegt nur vor, wenn der Rechtsanwalt, was durch Tatsachen<br />

erhärtet sein muss, sich an der Tat als Mittäter, Gehilfe oder<br />

Anstifter beteiligt, oder sie sonst wie begünstigt oder durch<br />

Strafvereitelung fördert 27 . Die Nichtidentifizierung, die der<br />

weitaus häufigste Fall eines Verstoßes gegen das GwG sein<br />

22 BT-Ds. 12/2747, S. 3.<br />

23 Zu den Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Berufsausübungsregeln<br />

vgl. grundlegend BVerfGE 7, 377 (403 ff.).<br />

24 Grundlegend zu dem „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“<br />

BVerfGE 65, 1.<br />

25 LG Koblenz, NJW 1997, 2613; Zentraler Kreditausschuss der Spitzenverbände<br />

der Kreditwirtschaft (ZKA), Leitfaden zur Bekämpfung der Geldwäsche, Berlin/Brüssel<br />

2001, S. 109.<br />

26 Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 45. Aufl., § 95 Rn 1; LG<br />

Bonn, NStZ 1983, 327.<br />

27 Nack in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5. Aufl., München<br />

2003, § 97 Rn 35.


AnwBl 4/2004 197<br />

Aufsätze MN<br />

wird, kann jedoch lediglich als Ordnungswidrigkeit, nicht<br />

aber als strafbare Beteiligung an einer Geldwäsche verfolgt<br />

werden. Außerdem könnten sich konkrete Tatsachen, die einen<br />

Tatverdacht begründen würden, in diesen Fällen erst<br />

durch die Beschlagnahme der beschlagnahmefreien Unterlagen<br />

ergeben, der Tatverdacht muss jedoch bereits bei der<br />

Anordnung der Beschlagnahme bestehen 28 . Es wäre also zu<br />

kurz gegriffen, wenn man die Beschlagnahmeverbote im<br />

Falle eines Verstoßes gegen das GwG als wirkungslos betrachten<br />

würde, wenn auch die Gefahr eines Missbrauchs<br />

durch die Strafverfolgungsbehörden groß ist.<br />

Damit komme ich zu folgendem Zwischenergebnis: Die<br />

Identifizierungs- und Aufzeichnungspflichten sind schon<br />

abstrakt sowohl präventiv als auch repressiv keine geeigneten<br />

Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche. Zur<br />

Strafverfolgung sind sie wegen der Beschlagnahmeverbote<br />

ungeeignet, zu Präventionszwecken deshalb, weil eine nicht<br />

verwertbare Identifizierung wohl keine Abschreckungswirkung<br />

hat. Durch die auferlegten Pflichten und auch durch<br />

ihre Sanktionierung wird unverhältnismäßig in Grundrechte<br />

des Rechtsanwalts und des Mandanten eingegriffen.<br />

cc) Anwendbarkeit deutschen Verfassungsrechts<br />

Damit aber das Verdikt der Verfassungswidrigkeit über<br />

einzelne Bestimmungen des GwG verhängt werden kann,<br />

müssten diese überhaupt anhand des nationalen Verfassungsrechts<br />

überprüfbar sein. Dies ist deshalb zweifelhaft,<br />

weil hier Vorgaben einer EG-Richtlinie in deutsches Recht<br />

umgesetzt wurden und ein Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts<br />

gilt 29 . Nach der Rechtsprechung des<br />

BVerfG 30 sind nationale Regelungen ebenso wie das sekundäre<br />

Gemeinschaftsrecht selbst dann nicht am Maßstab der<br />

deutschen Grundrechte zu prüfen, wenn die Normsetzung<br />

zwingend dem Gemeinschaftsrecht folgt. Eine Überprüfbarkeit<br />

ist nur ausnahmsweise dann gestattet, wenn die europäische<br />

Rechtsentwicklung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard<br />

gesunken ist 31 . Das wird man auch wegen<br />

der Fortentwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes<br />

32 kaum annehmen können.<br />

Hinsichtlich der Verhaltensnormen, also der Verpflichtung<br />

der Rechtsanwälte zur Identifizierung, Aufbewahrung<br />

und Aufzeichnung, hatte der deutsche Gesetzgeber bei der<br />

Umsetzung keinen legislativen Spielraum (vgl. Art. 2 a, 3,<br />

4 EG-Richtlinie) 33 . Damit sind diese wegen des Anwendungsvorrangs<br />

des Gemeinschaftsrechts nicht verfassungsrechtlich<br />

überprüfbar.<br />

Anders als bei den Verhaltensnormen hatten die Mitgliedsstaaten<br />

bei der Setzung entsprechender Sanktionsnormen<br />

einen legislativen Spielraum. In Art. 14 EG-Richtlinie<br />

heißt es ausdrücklich, dass jeder Mitgliedsstaat geeignete,<br />

d. h. in diesem Zusammenhang effektive Maßnahmen trifft,<br />

um die vollständige Anwendung aller Bestimmungen dieser<br />

Richtlinie sicherzustellen, und festlegt, wie Verstöße gegen<br />

die auf Grund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu<br />

ahnden sind. Damit ist der Weg für eine verfassungsrechtliche<br />

Prüfung der Sanktionsnormen anders als bei den dem<br />

Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts unterliegenden<br />

Verhaltensnormen frei. Gegen eine Überprüfbarkeit<br />

könnte nur sprechen, dass damit über die Hintertür doch<br />

eine grundgesetzliche Überprüfung auch der Verhaltensnormen<br />

erfolgt und somit der grundsätzliche Anwendungsvorrang<br />

des Gemeinschaftsrechts umgangen wird. Meines Er-<br />

achtens greifen diese Bedenken jedoch wegen der auch in<br />

der EG-Richtlinie angelegten Trennung zwischen Verhaltens-<br />

und Sanktionsnorm, also der Identifizierungspflicht<br />

etc. und der Sanktionierung ihrer Verletzung als Ordnungswidrigkeit,<br />

nicht 34 . So ist der Weg frei für eine verfassungsrechtliche<br />

Überprüfung der entsprechenden Sanktionsnormen,<br />

ohne dass dadurch der Anwendungsvorrang des<br />

Gemeinschaftsrechts in Frage gestellt wird. Die Sanktionierung<br />

ist ein Grundrechtseingriff. Knüpft sie an die Verletzung<br />

grundrechtswidriger, da in Hinblick auf den Gesetzeszweck<br />

ungeeigneter Verhaltensnormen an, ist sie selbst<br />

verfassungswidrig.<br />

Im Ergebnis kann also wegen des Anwendungsvorrangs<br />

des Gemeinschaftsrechts ein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht<br />

allenfalls hinsichtlich der Sanktionsnormen<br />

bejaht werden. Im Rahmen dieses als Problemabriss konzipierten<br />

Beitrages kann ich nicht mehr thematisieren, ob<br />

durch die nicht an nationalem Verfassungsrecht überprüfbaren<br />

Verhaltensnormen Gemeinschaftsgrundrechte verletzt<br />

sind, also insbesondere die Grundrechte auf Berufsfreiheit<br />

und auf informationelle Selbstbestimmung oder auch das<br />

justizielle Recht auf Schutz des Vertrauensverhältnisses<br />

zwischen Anwalt und Mandant bei Berücksichtigung des<br />

Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 35 . Zuständig für eine Klärung<br />

dieser Frage wäre der Europäische Gerichtshof.<br />

3. Überprüfung der Anzeigepflicht, ihrer Geheimhaltung<br />

und Sanktionierung am deutschem Verfassungsrecht<br />

Dagegen kann die Anzeigepflicht nach § 11 GwG zumindest<br />

teilweise an deutschem Verfassungsrecht gemessen<br />

werden. Zum einen macht die Regelung keinen Gebrauch<br />

von der Option in Art. 6 Abs. 3 EG-Richtlinie, die freien<br />

Berufe gänzlich von der Anzeigepflicht auszunehmen.<br />

Stattdessen wurde eine Gegenausnahme in § 11 Abs. 3 S. 2<br />

GwG, wonach eine Anzeigepflicht auch bei Rechtsberatung<br />

oder Prozessvertretung bei doppeltem Vorsatz ausnahmsweise<br />

besteht, aus Erwägungsgrund Nr. 17 der EG-Richtlinie<br />

aufgenommen. Zum anderen blieb auch die Option in<br />

Art. 8 Abs. 2 EG-Richtlinie ungenutzt, Angehörige freier<br />

Berufe vom Verbot auszunehmen, den Betroffenen über<br />

28 Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 27), § 97 Rn 20 m. w. N.<br />

29 Zum grundsätzlichen Vorrang des Gemeinschaftsrechts für den Fall einer Kollision<br />

zwischen nationalem und EG-Recht und zu der Lehre vom Anwendungsvorrang<br />

des Gemeinschaftsrechts umfassend Satzger, Die Europäisierung des<br />

Strafrechts, Köln u. a. 2001, S. 43 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Zur begrenzten<br />

Überprüfbarkeit der Wirksamkeit einzelner Bestimmungen des Geldwäschegesetzes<br />

Fülbier/Aepfelbach, GwG – Kommentar zum Geldwäschegesetz,<br />

4. Aufl., Köln 1999, vor § 1 GwG Rn 25 ff.<br />

30 BVerfG NJW 2001, 1268.<br />

31 BVerfGE 73, 339 (376 ff.); 89, 155; BVerfG NJW 2000, 3124. Zu den allgemeinen<br />

Grenzen für eine Europäisierung des Strafrechts umfassend Satzger<br />

(Fn. 30), S. 151 ff.<br />

32 Zum gegenwärtigen Stand des europäischen Grundrechtsschutzes unter Berücksichtigung<br />

der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom<br />

7.12.2000 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union,<br />

20. Ergänzungslieferung, München 2003, nach Art. 6 EUV, Rn 1 ff.<br />

33 Art. 4 EG-Richtlinie sieht lediglich kürzere Aufbewahrungsfristen (5 Jahre)<br />

vor als § 9 Abs. 3 GwG (6 Jahre). Dies kann im Folgenden aber vernachlässigt<br />

werden.<br />

34 Zur Bedeutung der Unterscheidung Verhaltensnorm/Sanktionsnorm für die verfassungsrechtliche<br />

Beurteilung Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der<br />

Grundrechte, Tübingen 1996.<br />

35 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gemeinschaft<br />

Pernice/Mayer (Fn. 33), nach Art. 6 EUV, Rn 304, zum Grundrecht<br />

auf Berufsfreiheit vgl. Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen<br />

Union vom 7.12.2000, zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung<br />

Art. 8 der Charta und zu den justiziellen Rechten Art. 47, 48 der Charta. Hier<br />

stellt sich die Frage, ob nationale Beschlagnahmeverbote – wegen Ungeeignetheit<br />

des Mittels – eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als allgemeinen<br />

Rechtsgrundsatz der Gemeinschaft begründen können. Dies dürfte wegen<br />

des grundsätzlichen Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu verneinen sein.


198<br />

MN<br />

eine Anzeige zu informieren (vgl. § 11 Abs. 5 GwG). Damit<br />

hat der nationale Gesetzgeber den ihm von der Richtlinie<br />

eingeräumten Spielraum zu Ungunsten der Anwaltschaft<br />

und ihrer Mandanten genutzt. Er ist insoweit an die<br />

Vorgaben des Grundgesetzes gebunden.<br />

Gegen die ausnahmsweise bei doppeltem Vorsatz bestehende<br />

Anzeigepflicht und gegen das sanktionsbewehrte<br />

Unterrichtungsverbot wird vor allem eingewandt, dass dadurch<br />

das grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Mandant und Anwalt verletzt werde. Außerdem<br />

bestünden wegen des Grundsatzes der freien Advokatur<br />

rechtsstaatliche Bedenken gegen die Inanspruchnahme des<br />

Rechtsanwaltes zum Zwecke der Strafverfolgung.<br />

In dem Urteil des BVerfG 36 zum Widerruf der Zulassung<br />

von Rechtsanwälten, die in der DDR inoffizielle Mitarbeiter<br />

des Staatssicherheitsdienstes waren, hat das BVerfG ausgeführt:<br />

„Es entspricht dem Rechtstaatsgedanken und dient<br />

der Rechtspflege, dass dem Bürger schon aus Gründen der<br />

Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Verfügung<br />

stehen, zu denen er Vertrauen haben darf und von denen<br />

er erwarten kann, dass sie seine Interessen frei und unabhängig<br />

von staatlicher Einflussnahme wahrnehmen.“<br />

Der BGH spricht im Urteil zur Geldwäsche durch Honorarannahme<br />

vom 4.7.2001 37 von einem verfassungsrechtlich<br />

geschützten Vertrauensverhältnis zwischen Mandanten<br />

und Strafverteidiger, das er aber – im Gegensatz zum OLG<br />

Hamburg 38 – im konkreten Fall nicht verletzt sah.<br />

Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 17.7.2002 39<br />

zur Beschlagnahme von Computerdaten in einer Anwaltskanzlei<br />

jedoch jüngst deutlich gemacht, dass die verfassungsrechtliche<br />

Bedeutung der Vertrauensbeziehung zwischen<br />

Berufsgeheimnisträgern und ihren Mandanten noch<br />

nicht geklärt ist. Dort heißt es wörtlich: „Diese Vertrauensbeziehung<br />

könnte verfassungsrechtlich durch das Recht des<br />

Berufsgeheimnisträgers aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG und das<br />

Persönlichkeitsrecht des Mandanten geschützt sein. Dabei<br />

wäre in Betracht zu ziehen, ob die besondere Schutzwürdigkeit<br />

des Mandats zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens<br />

für den Mandanten des Berufsgeheimnisträgers von<br />

Belang ist ... . Fraglich wäre insoweit, ob Berufsgeheimnisträger<br />

diese Rechtsposition unmittelbar für sich in Anspruch<br />

nehmen können“ 40 .<br />

Insgesamt kann man festhalten, dass die Vertrauensbeziehung<br />

zwischen Anwalt und Mandant und die Freiheit<br />

des Anwaltsberufs von staatlicher Kontrolle und Bevormundung<br />

verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Es spricht<br />

nach der zitierten Rechtsprechung viel dafür, dass es sich<br />

zumindest auch um einen Eingriff in Grundrechte des Mandanten<br />

handelt. Wegen dieser Eingriffsqualität der Anzeigepflicht<br />

bei doppeltem Vorsatz und der Schweigepflicht über<br />

die Anzeige sowie der Sanktionierung von Verstößen ist deren<br />

Verhältnismäßigkeit nach deutschem Verfassungsrecht<br />

zu überprüfen.<br />

Hinsichtlich der Eignung der genannten Vorschriften in<br />

Hinblick auf den legitimen Gesetzeszweck der effektiven<br />

Bekämpfung der Geldwäsche bestehen keine Bedenken. Zumindest<br />

abstrakt besteht die Möglichkeit, dass durch die geheime<br />

Anzeige die Geldwäsche bekämpft wird. Auch ist<br />

kein gleich geeignetes milderes Mittel ersichtlich. Es bleibt<br />

also letztlich zu prüfen, ob das gewählte Mittel zur Erreichung<br />

des angestrebten Zwecks angemessen ist. Abzuwägen<br />

sind die Rechtsgüter Vertrauensverhältnis zwischen Man-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

dant und Anwalt gegen das Interesse an einer effektiven<br />

Bekämpfung der Geldwäsche. Eine abstrakte Abwägung<br />

der Rechtsgüter führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Hinsichtlich<br />

der Eingriffsintensität ist festzuhalten, dass die<br />

Verpflichtung zu einer geheimen Anzeige ein schwer wiegender<br />

Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen<br />

Anwalt und Mandanten ist. Die Anzeigepflicht und das<br />

Unterrichtungsverbot greifen aber nur unter engen Voraussetzungen,<br />

nämlich bei einem Verdacht und in Fällen der<br />

Rechtsberatung und Prozessvertretung bei doppeltem Vorsatz.<br />

Ich denke, dass die Regelungen in Hinblick auf diese<br />

hohe Eingriffsschwelle noch verfassungsgemäß sind. Auch<br />

diese Fragestellung bedürfte jedoch einer vertieften Klärung,<br />

wobei dann sicherlich eine Rolle spielen wird, welchen<br />

verfassungsrechtlichen Stellenwert das BVerfG dem<br />

Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant letztendlich<br />

zubilligen wird.<br />

VI. Zusammenfassung<br />

Die durch das novellierte GwG den Rechtsanwälten auferlegten<br />

Identifizierungs- und Anzeigepflichten sind mit<br />

dem tradierten Verständnis einer von staatlichem Einfluss<br />

freien Anwaltschaft schwer in Einklang zu bringen. Den<br />

Rechtsanwälten wird bei Vorliegen der dargestellten gesetzlichen<br />

Voraussetzungen unter Sanktionsdrohung zugemutet,<br />

präventiv und repressiv zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung<br />

ihre Mandanten zu identifizieren und diese anzuzeigen,<br />

ohne den Mandanten zu informieren. Das Bild der<br />

Anwaltschaft in der öffentlichen Meinung wird dadurch<br />

Schaden nehmen. Rechtspolitisch kann dies nicht<br />

erwünscht sein.<br />

Jenseits aller rechtspolitisch motivierten Kritik stellt sich<br />

jedoch die Frage, ob die Neuregelungen mit dem Grundgesetz<br />

vereinbar sind. Die Verhaltenspflichten zur Identifizierung,<br />

Aufbewahrung und Aufzeichnung können wegen<br />

des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht<br />

anhand des deutschen Verfassungsrechts überprüft werden,<br />

obwohl sie nach der hiesigen Ansicht wegen der strafprozessualen<br />

Beschlagnahmeverbote nicht zur Geldwäschebekämpfung<br />

geeignet und damit unverhältnismäßig sind. Lediglich<br />

die entsprechenden Sanktionsnormen dürften<br />

anhand des deutschen Verfassungsrechts überprüfbar sein.<br />

Was die Verfassungsmäßigkeit der Anzeigepflichten und ihrer<br />

Geheimhaltung betrifft, ist eine Überprüfung anhand des<br />

Grundgesetzes zumindest teilweise zulässig. Nach der hier<br />

vertretenen Ansicht dürften die Regelungen gerade noch<br />

verfassungsgemäß sein; es bleibt aber abzuwarten, welchen<br />

verfassungsrechtlichen Stellenwert das BVerfG dem Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Anwalt und Mandant letztlich<br />

zuerkennen wird.<br />

36 BVerfGE 93, 213.<br />

37 BGHSt 47, 68.<br />

38 OLG Hamburg NJW 2000, 673.<br />

39 BVerfG NJW 2002, 2458.<br />

40 BVerfG NJW 2002, 2458 (2458 f.).


AnwBl 4/2004 199<br />

Aufsätze MN<br />

Auswirkungen des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />

auf die wirtschaftsanwaltliche<br />

Beratung<br />

Auch ein Beitrag zur Novellierung<br />

der § 370 a AO, § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB<br />

Rechtsanwälte Dr. Frank Burmeister, Frankfurt am<br />

Main, und Dr. Dirk Uwer, Mag. rer. publ., Düsseldorf*<br />

Das Geldwäschebekämpfungsgesetz und die Änderungen<br />

der Strafbarkeit der Geldwäsche durch Rechtsanwälte<br />

bei gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung als Vortat sind in<br />

ihren Auswirkungen auf die spezifisch wirtschaftsanwaltliche<br />

Beratung 1 bislang, soweit ersichtlich, noch nicht<br />

gewürdigt worden. Einen ersten Schritt zur Füllung dieser<br />

Lücke unternimmt der folgende Beitrag.<br />

Zunächst sollen die Auswirkungen der Novelle des<br />

Geldwäschegesetzes untersucht werden. Der Fokus richtet<br />

sich hier insbesondere auf die Identifizierungspflichten (im<br />

Folgenden unter I.1. und 2.), aber auch auf die neu geschaffene<br />

Verdachtsmeldepflicht (im Folgenden unter I.3.). Im<br />

zweiten Teil werden dann die Änderungen des § 370 a AO<br />

auf ihr Strafbarkeitsrisiko für den wirtschaftsanwaltlichen<br />

Berater wegen Geldwäsche überprüft (im Folgenden unter<br />

II.). Schließlich soll versucht werden, Empfehlungen für<br />

den Umgang mit beiden Komplexen innerhalb der wirtschaftsanwaltlichen<br />

Beratungspraxis zu geben.<br />

I. Novelle des Geldwäschegesetzes<br />

Am 15.8.2002 ist Artikel 1 des Gesetzes zur Verbesserung<br />

der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung<br />

der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz)<br />

vom 8.8.20022 in Kraft getreten. Er<br />

enthält Änderungen des Gesetzes über das Aufspüren von<br />

Gewinnen aus schweren Straftaten vom 25.10.19933 (Geldwäschegesetz<br />

– GwG). Die – weit reichenden – Konsequenzen<br />

der Gesetzesänderung auf die wirtschaftsanwaltliche<br />

Beratung fasst der folgende Überblick zusammen.<br />

1. Erstreckung der Identifizierungspflichten auf Freiberufler<br />

a) Identifizierungspflichten auslösende Kataloggeschäfte<br />

Für die rechtsberatenden Berufe, insbesondere Rechtsanwälte<br />

und Notare, von besonderer Bedeutung ist die<br />

Erstreckung der – bisher auf Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute<br />

sowie Versicherungsunternehmen und ähnliche<br />

„Institute“ beschränkten – allgemeinen Identifizierungspflichten.<br />

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG<br />

unterliegen jetzt auch Rechtsanwälte, Rechtsbeistände, die<br />

Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sind, Patentanwälte<br />

und Notare bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit den<br />

allgemeinen Identifizierungspflichten, wenn sie für ihre<br />

Mandanten an der Planung oder Durchführung von folgenden<br />

Geschäften mitwirken:<br />

9 Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,<br />

9 Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen<br />

Vermögenswerten ihres Mandanten,<br />

9 Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten,<br />

9 Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur<br />

Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel,<br />

9 Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften,<br />

Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen,<br />

9 oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihrer Mandanten<br />

Finanz- oder Immobilientransaktionen durchführen.<br />

Die Einbeziehung der genannten Freiberufler in die<br />

Identifizierungspflichten ist durch die Richtlinie 2001/97/<br />

EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom<br />

4.12.2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des<br />

Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems<br />

zum Zwecke der Geldwäsche 4 veranlasst, die bis zum<br />

15.6.2003 in deutsches Recht umzusetzen war. Von den<br />

Geldwäscheschutzvorschriften erfasst werden jetzt auch<br />

diejenigen Berufe und Tätigkeiten, bei denen nach Auffassung<br />

des Richtliniengebers erfahrungsgemäß ein erhöhtes<br />

Risiko besteht, dass ihre Dienste zu Geldwäschezwecken<br />

missbraucht werden. § 3 Abs. 1 Satz 1 GwG ist weitgehend<br />

identisch mit Artikel 2 a Nr. 5 der Richtlinie 5 .<br />

b) Mehrfachqualifikation des Freiberuflers<br />

Während bei Rechtsanwälten und Notaren nur die in § 3<br />

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäfte Identifizierungspflichten<br />

auslösen können, ist bei Wirtschaftsprüfern<br />

und Steuerberatern ihre gesamte berufliche Tätigkeit erfasst.<br />

Weder dem GwG noch der EG-Richtlinie lässt sich<br />

präzise entnehmen, welchen Pflichten ein Freiberufler unterliegt,<br />

der sowohl § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als auch Nr. 2<br />

GwG unterfällt, also eine Doppel- oder Dreifachqualifikation<br />

als Rechtsanwalt und Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer<br />

besitzt.<br />

Richtigerweise wird man nach dem Wortlaut des einleitenden<br />

Satzteils von § 3 Abs. 1 Satz 1 GwG auf die jeweilige<br />

„Ausübung der beruflichen Tätigkeit“ abstellen<br />

müssen. Gleichwohl sind Überschneidungsbereiche denkbar.<br />

Die Definition der Steuerberatung als „Hilfeleistung in<br />

Steuersachen“ (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 StBerG) führt insoweit<br />

nicht weiter, weil zu solcher Hilfeleistung Steuerberater<br />

und Rechtsanwälte gleichermaßen befugt sind (§ 3 Nr. 1<br />

StBerG). Einen wichtigen Anhaltspunkt liefert jedoch der<br />

16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/97/EG. Danach<br />

sollten Notare und selbstständige Angehörige von Rechtsberufen<br />

im Sinne der von den Mitgliedstaaten vorgenommenen<br />

Definition den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen,<br />

wenn sie sich – einschließlich der Steuerberatung –<br />

an Finanz- oder Unternehmenstransaktionen beteiligen, bei<br />

* Sozietät Hengeler Mueller.<br />

1 Eine Zwischenbilanz der Konsequenzen einer Dekade Geldwäschegesetzgebung<br />

auf die Anwaltschaft zog jüngst Leitner, AnwBl 2003, 675 ff.<br />

2 BGBl. I S. 3105, zuletzt geändert durch Art. 11 Investmentmodernisierungsgesetz<br />

vom 15.12.2003 (BGBl. I S. 2676).<br />

3 BGBl. I S. 1770.<br />

4 ABl. EG Nr. L 344 S. 76; zu den Beratungen zur Geldwäscherichtlinie und der<br />

Kritik daran siehe Hellwig, AnwBl 2002, 144 ff.<br />

5 Die von der Richtlinie vorgegebenen Erweiterungen auf Freiberufler sind vielfach<br />

kritisiert worden. Naturgemäß stand dabei der Vorwurf einer rechtsstaatlich<br />

bedenklichen Verwässerung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht im Mittelpunkt.<br />

Vgl. dazu Hellwig, AnwBl 2002, 144 ff.; ders., AnwBl 2000, 614 ff.


200<br />

MN<br />

denen die schon erwähnte Gefahr sehr groß ist, dass ihre<br />

Dienste für das Waschen von Erlösen aus kriminellen Tätigkeiten<br />

missbraucht werden.<br />

Die Parenthese lässt sich im Sinne eines Willens des<br />

Richtliniengebers verstehen, Rechtsanwälte und Notare<br />

auch dann nur partiell (nämlich nur unter den Voraussetzungen<br />

des Art. 2 a Nr. 5 der Richtlinie/§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1<br />

GwG) den Geldwäschebestimmungen zu unterwerfen,<br />

wenn sie sich steuerberatend betätigen. Eine Rechtsanwaltskanzlei<br />

wird sich zudem auch deshalb auf diese Privilegierung<br />

der Rechtsanwälte stützen können, wenn sie nach außen<br />

nur als Rechtsanwaltskanzlei oder Sozietät bzw.<br />

Partnerschaft von Rechtsanwälten auftritt und nicht etwa<br />

als „Rechtsanwälte Steuerberater“.<br />

Würde ein Rechtsanwalt hingegen als Wirtschaftsprüfer<br />

bei „betriebswirtschaftlichen Prüfungen“ (§ 2 Abs. 1 WPO)<br />

tätig, dürfte dafür grundsätzlich § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2<br />

GwG gelten, da sich in diesem Fall eine entsprechende Privilegierung<br />

wie bei der anwaltlichen Steuerberatung weder<br />

der Richtlinie noch dem GwG entnehmen lässt.<br />

c) Notare<br />

Für Notare gehen die beschriebenen Pflichten nach dem<br />

GwG grundsätzlich abweichenden beurkundungsrechtlichen<br />

Bestimmungen vor. Dies hat die Bundesregierung in ihrer<br />

Gegenäußerung auf die Stellungnahme des Bundesrates zum<br />

Entwurf des Geldwäschebekämpfungsgesetzes klargestellt.<br />

Der Bundesrat hatte eingewandt, dass nach § 26 Abs. 1<br />

Satz 1 der Dienstordnung für Notarinnen und Notare für die<br />

Identitätsfeststellung geringere Anforderungen gelten als<br />

nach dem GwG. Beurkundungsrechtlich müsse der Notar<br />

auch bei Ungewissheit über die Beteiligten die Niederschrift<br />

aufnehmen, wenn ein Beteiligter dies verlange; der Notar<br />

habe nur diesen Sachverhalt nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BeurkG<br />

in die Niederschrift aufzunehmen 6 . Die Bundesregierung<br />

hat dem entgegengehalten, dass die Identifikation nach<br />

den (strengeren) Anforderungen des GwG erfolgen müsse,<br />

die Identifizierung aber unverzüglich nachgeholt werden<br />

könne und müsse, wenn die Beurkundung beurkundungsrechtlich<br />

durchzuführen sei. Die unverzügliche Nachholung<br />

sei noch eine Identifizierung „bei“ der Mitwirkung an einem<br />

in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäft 7 .<br />

2. Inhalt und Umfang der Identifizierungspflichten<br />

a) Identifizierungspflicht nur bei „auf Dauer angelegten<br />

Geschäftsbeziehungen“ oder Annahme von Bargeld<br />

und dgl.<br />

Die Identifizierungspflicht ist die Grundpflicht des GwG<br />

und verankert das „Know your customer“-Prinzip, das der<br />

EG-Geldwäscherichtlinie zugrunde liegt 8 . Sofern Rechtsanwälte<br />

und Notare an der Planung und Durchführung der<br />

in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Transaktionen<br />

mitwirken, unterliegen sie den Identifizierungspflichten des<br />

Geldwäschegesetzes – dies jedoch nur unter einer weiteren,<br />

wesentlichen Einschränkung: Die in § 3 Abs. 1 Satz 1<br />

GwG in Bezug genommenen allgemeinen Identifizierungspflichten<br />

für Institute nach § 2 Abs. 1 bis 3 GwG setzen<br />

stets eine „auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung“ (§2<br />

Abs. 1 Satz 1 GwG) oder die „Annahme von Bargeld,<br />

Wertpapieren im Sinne von § 1 Abs. 1 des Depotgesetzes<br />

oder Edelmetallen im Wert von (ggf. zusammen) 15.000<br />

Euro“ (§ 2 Abs. 2 i.V. m. Abs. 3 GwG) voraus.<br />

Der Fall der Empfangnahme von Geld, Wertpapieren<br />

oder Wertsachen soll im Folgenden weitgehend außer Be-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

tracht bleiben – er ist im Rahmen der wirtschaftsanwaltlichen<br />

Beratung von vergleichsweise geringer Bedeutung –;<br />

näher untersucht werden sollen nur die Pflichten bei einer<br />

„auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung“.<br />

Für die betragsunabhängige Identifizierungspflicht<br />

kommt es entscheidend darauf an, was eine „auf Dauer angelegte<br />

Geschäftsbeziehung“ ist. Der Begriff ist weder legaldefiniert<br />

noch liefert die Gesetzesbegründung zum GwG<br />

insoweit für die anwaltliche Tätigkeit Anhaltspunkte. Zwar<br />

hat das Geldwäschebekämpfungsgesetz in § 2 Abs. 1 Satz 2<br />

für Institute festgelegt, dass eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung<br />

„insbesondere bei der Führung eines Kontos<br />

und bei den sonstigen in § 154 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung<br />

genannten Geschäften“ besteht. Da eine<br />

Anwaltssozietät in den meisten Fällen weder in diesem<br />

Sinne Mandantenkonten führt noch „Wertsachen verwahrt<br />

oder als Pfand nimmt oder ein Schließfach überlässt“<br />

(§ 154 Abs. 2 Satz 1 AO), kann sich die Auslegung daran<br />

nicht orientieren. Auch die EG-Richtlinie trägt zur Auslegung<br />

nichts bei; weder in ihrer Fassung von 1993 noch in<br />

der Fassung der Änderungsrichtlinie von 2002 nimmt sie<br />

eine Differenzierung nach auf Dauer angelegten und sonstigen<br />

Geschäftsbeziehungen vor.<br />

Vor diesem Hintergrund wurde bereits verschiedentlich<br />

auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass auch ein Einzelmandat<br />

zu einer lang andauernden und damit im Sinne der<br />

Vorschrift „auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung“ werden<br />

könne9 . Auf den Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1<br />

GwG kann sich diese Sorge indes nicht stützen. Er stellt generisch<br />

auf den Kauf oder Verkauf von Immobilien oder<br />

Gewerbebetrieben (lit. a) oder die Gründung etc. von Gesellschaften<br />

(lit. d) ab; ob schon die Beratung etwa bei dem<br />

Verkauf einer Einzelimmobilie genügt, kann der Vorschrift<br />

nicht entnommen werden10 .<br />

§ 2 Abs. 1 GwG verlangt, wie gesehen, dass der Mandatsvertrag<br />

eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung<br />

begründen soll. Dieses prospektive Merkmal kann je nach<br />

Gegenstand der Beratung durch ein Einzelmandat erfüllt<br />

werden, eine bei Abschluss des ersten Beratungsvertrages<br />

noch nicht absehbare Reihe von Einzelmandaten oder das<br />

„klassische“ Dauerberatungsmandat11 .<br />

Die Neuregelung krankt daran, dass die identifizierungspflichtigen<br />

Geschäftsbeziehungen nach dem alten GwG und<br />

der Geldwäscherichtlinie 1993 sehr stark auf Kreditinstitute<br />

zugeschnitten waren. Der Begriff der „dauernden Geschäftsbeziehung“<br />

scheint auch aus der finanzgerichtlichen<br />

Judikatur herzurühren: So definierte der Reichsfinanzhof in<br />

einem Gutachten 1928 als „Konto“ das Bankkonto sowie<br />

darüber hinaus den Fall, dass jemand zu einem anderen in<br />

6 BT-Drs. 14/9043, S. 2.<br />

7 BT-Drs. 14/9043, S. 9.<br />

8 BT-Drs. 14/8739, S. 12; Dombek, ZAP 2003, 543 (545).<br />

9 Große-Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).<br />

10 Dombek, ZAP 2003, 543 (547 f.), siehe auch Schreiben der Bundessteuerberaterkammer<br />

vom 16.8.2002, http://www.stbka.org/news/download/news235.doc.,<br />

Rundschreiben Nr. 48/2003 der Bundesnotarkammer vom 19.11.2003 (auf<br />

Dauer angelegte Geschäftsbeziehung schon, wenn der Notar Entwurfs-, Beratungs-<br />

oder Vollzugstätigkeiten übernommen hat).<br />

11 Die Abgrenzungsschwierigkeiten sind offensichtlich. So dürfte beispielsweise<br />

der Auftrag eines Mandaten, für ihn ein Testament über sein umfangreiches<br />

und diversifiziertes Privatvermögen zu entwerfen, zunächst als Einzelmandat<br />

zu verstehen sein, das spätestens mit der letztwilligen Verfügung des Mandanten<br />

endet. Es löst keine Pflichten nach dem GwG aus, weil es nicht dem Katalog<br />

des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG unterfällt und seinem Wesen nach nicht<br />

auf Dauer angelegt ist. Wie aber, wenn demselben Anwalt bei Mandatserteilung<br />

für den Fall, dass er seine Sache gut macht, avisiert wird, als Testamentsvollstrecker<br />

eingesetzt zu werden und er im Rahmen der Testamentsvollstrekkung<br />

Geschäfte nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a, b, c (ggf. auch lit. d und e)<br />

GwG tätigen soll?


AnwBl 4/2004 201<br />

Aufsätze MN<br />

laufende Geschäftsbeziehungen tritt und deren jeweiligen<br />

Stand buch- und rechnungsmäßig festhält12 . Der abgabenrechtliche<br />

Kontobegriff prägt auch die Pflichten der Institute<br />

nach dem GwG bei dauernden Geschäftsbeziehungen13 .<br />

Er ist aber, wie dargelegt, für die Mandatsbeziehungen von<br />

Rechtsberatern unbrauchbar.<br />

Die Auslegung muss sich deshalb wieder der Richtlinie<br />

2001/97/EG zuwenden. Nach der Vorstellung des Gemeinschaftsgesetzgebers<br />

liegt offenbar in der Geschäftsbeziehung<br />

eines Neumandanten mit dem Berater ein Geldwäscherisiko,<br />

jedenfalls aber ein diesbezügliches<br />

Aufklärungspotenzial des Beraters. Der oben zitierte 16. Erwägungsgrund<br />

der Richtlinie fasst zusammen, aus welchen<br />

Gründen und unter welchen Voraussetzungen Rechtsberater<br />

den Bestimmungen über die Geldwäschebekämpfung unterliegen<br />

sollen. Das Potenzial, „für das Waschen von Erlösen<br />

aus kriminellen Tätigkeiten missbraucht“ zu werden, nimmt<br />

der Richtliniengeber nicht nur bei auf Dauer angelegten<br />

Geschäftsbeziehungen, sondern immer dann an, wenn eine<br />

Beteiligung an einer der genannten Finanz- und Unternehmenstransaktionen<br />

in Rede steht.<br />

Unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Interpretation14<br />

wird man daher dem Merkmal „auf Dauer angelegt“<br />

nur geringe Bedeutung beimessen dürfen. Da § 3<br />

Abs. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 GwG in Vollzug der Richtlinie<br />

2001/97/EG ergangen ist, verlangt dieser Auslegungsgrundsatz,<br />

im Zweifel dem der Richtlinie entsprechenden Sinn<br />

den Vorzug zu geben; ein Fall der überschießenden Umsetzung<br />

(bei dem dies nicht gelten würde) liegt hier nicht vor.<br />

Die Richtlinie macht aber keinen Unterschied zwischen<br />

„auf Dauer angelegten“ und „echten“ Einzelmandaten. Es<br />

dürfte deshalb genügen, wenn bei einer Einzelfallberatung<br />

eines neuen Mandanten erkennbar wird, dass der durch den<br />

Mandatsvertrag begründeten Geschäftsbeziehung das Potenzial<br />

innewohnt, zu einer über den konkreten Einzelfall hinausgehenden<br />

Mandatsbeziehung zu werden. In allen Zweifelsfällen<br />

sollte der Anwalt vorsichtshalber identifizieren15 .<br />

b) „Identifizieren“<br />

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GwG hat der Verpflichtete „bei<br />

Abschluss eines Vertrages zur Begründung einer auf Dauer<br />

angelegten Geschäftsbeziehung den Vertragspartner zu identifizieren“.<br />

§ 1 Abs. 5 GwG definiert „Identifizieren“ als<br />

das Feststellen des Namens aufgrund eines gültigen Personalausweises<br />

oder Reisepasses16 sowie des Geburtsdatums,<br />

des Geburtsortes, der Staatsangehörigkeit und der<br />

Anschrift, soweit sie darin enthalten sind, und das Feststellen<br />

von Art, Nummer und ausstellender Behörde des amtlichen<br />

Ausweises (Grundsatz der persönlichen und dokumentenmäßigen<br />

Identifizierung). Der Vertragspartner (Mandant)<br />

hat dafür grundsätzlich persönlich zu erscheinen. Alternativ<br />

kann er jedoch einen dritten Anwalt oder Notar aufsuchen,<br />

der dem Verpflichteten eine Kopie des Personalausweises<br />

oder Reisepasses des Mandanten übermittelt und schriftlich<br />

dessen Identität mit der im Personalausweis oder Reisepass<br />

ausgewiesenen Person bestätigt17 . Die Identifizierung kann<br />

auch anhand einer qualifizierten elektronischen Signatur im<br />

Sinne von § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes erfolgen.<br />

Ausweislich der Gesetzesbegründung stellt die GwG-<br />

Novelle bei der Frage der Adressaten der Mitwirkungspflichten<br />

bewusst auf den einzelnen Berufsträger ab18 .Auf<br />

eine zusätzliche Benennung von Anwalts-, Steuerberatungs-,<br />

Wirtschaftsprüfungs- und Buchprüfungsgesellschaften<br />

werde verzichtet, da dies letztlich nur zu einer Verdop-<br />

pelung der Mitwirkungspflichten bzw. der Frage nach dem<br />

Konkurrenzverhältnis zwischen den Pflichten des einzelnen<br />

Berufsträgers führen würde. Eine Regelungslücke sei insoweit<br />

nicht zu befürchten, als in den genannten Gesellschaften<br />

die konkrete Berufsausübung grundsätzlich durch einen<br />

der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten Berufsträgers zu erfolgen<br />

habe. Bei Anwaltsgesellschaften treffe deshalb den<br />

einzelnen Berufsträger die Pflicht, den Vertragspartner der<br />

Gesellschaft zu identifizieren.<br />

c) Identifizierung bei juristischen Personen<br />

Nach dem ebenfalls neu gefassten § 8 Abs. 1 GwG haben<br />

sich gemäß § 3 Abs. 1 GwG identifizierungsverpflichtete<br />

Rechtsanwälte bei den zu identifizierenden Mandanten<br />

zu erkundigen, ob diese für eigene Rechnung handeln. Gibt<br />

der zu Identifizierende an, nicht für eigene Rechnung zu<br />

handeln, so sind nach dessen Angaben Namen und Anschrift<br />

desjenigen festzustellen, für dessen Rechnung er<br />

handelt.<br />

Wie zu verfahren ist, wenn der Mandant („Vertragspartner“<br />

i. S. d. § 2 Abs. 1 GwG) eine juristische Person ist, regelt<br />

das GwG nicht ausdrücklich. § 1 Abs. 5 GwG ist ganz<br />

auf natürliche Personen zugeschnitten. Die Bundesregierung<br />

hat in ihrer Gegenäußerung auf die Stellungnahme des<br />

Bundesrates zum Entwurf des Geldwäschebekämpfungsgesetzes<br />

(wenn auch im Zusammenhang mit den Pflichten<br />

von Kreditinstituten) erklärt, sie gehe davon aus, „dass bereits<br />

nach der Entwurfsfassung, die z. B. keine näheren Vorgaben<br />

für die Identifizierung juristischer Personen enthält,<br />

die vom Bundesministerium der Finanzen und der Bundesanstalt<br />

für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) zu § 154<br />

Abs. 2 Satz 1 AO entwickelten Auslegungsregeln grundsätzlich<br />

auch auf die neue Identifizierungspflicht nach § 2<br />

Abs. 1 GwG-E Anwendung finden“ 19 .<br />

Zwar hat die Bundesregierung im Folgenden auch den<br />

„originären und eigenständigen Regelungsanspruch des<br />

Geldwäschegesetzes gegenüber dem steuerverfahrensrechtlichen<br />

Regelungsgehalt der Abgabenordnung“ sowie den<br />

unterschiedlichen Adressatenkreis beider Gesetze betont,<br />

der sie – bemerkenswerterweise – von einer Klarstellung<br />

im Gesetzesentwurf abgehalten habe20 . Auch bestehen<br />

Zweifel, ob die vom Bundesfinanzministerium oder der BA-<br />

Fin entwickelten Auslegungsgrundsätze – es handelt sich<br />

dabei um bloße norminterpretierende Verwaltungsvorschriften<br />

– für die Tätigkeit von Rechtsanwälten und Notaren unmittelbare<br />

Bindungswirkung entfalten können.<br />

Wegen der Verweisung in § 3 Abs. 1 auf § 2 Abs. 1<br />

GwG ist jedoch anzunehmen, dass nach dem Willen des<br />

Gesetzgebers hinsichtlich der Art und des Umfangs der zu<br />

12 RFHE 24, 203.<br />

13 Fülbier/Aepfelbach, Kommentar zum GwG, 1999, § 2 Rdnr. 8.<br />

14 Art. 10 i. V. m. 243 EG, st. Rspr. des EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 26;<br />

Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 Rn. 8.<br />

15 Ebenso Dombek, ZAP 2003, 543 (548).<br />

16 Zur Identifizierung von Staatsangehörigen eines Drittstaats können grundsätzlich<br />

jeweils gültige nationale Reisepässe bzw. Personalausweise eines Drittstaats,<br />

deren Angaben zu den Anforderungen des § 1 Abs. 2 des Gesetzes über<br />

Personalausweise vom 19.12.1950 (BGBl. 807), zuletzt geändert durch Gesetz<br />

vom 25.3.2002 (BGBl. I 1186), gleichwertig sind, verwendet werden.<br />

17 Derartige Dritte sind lediglich als Erfüllungsgehilfen des weiterhin pflichtigen<br />

Berufsträgers tätig. Sofern sie für die Identifizierung des Mandanten herangezogen<br />

werden, hat sich der Berufsträger im Hinblick auf seine Einstandspflicht<br />

für diese Erfüllungsgehilfen grundsätzlich bei Beginn der Zusammenarbeit von<br />

der Zuverlässigkeit dieses Dritten zu überzeugen.<br />

18 BT-Drs. 14/8739, S. 12.<br />

19 BT-Drs. 14/9043, S. 8.<br />

20 BT-Drs. 14/9043, S. 8.


202<br />

MN<br />

treffenden Feststellungen nicht nach den Feststellungspflichtigen<br />

differenziert werden soll. Rechtstechnisch handelt<br />

es sich um eine Rechtsgrundverweisung 21 . Mangels anderer<br />

Anhaltspunkte ist deshalb davon auszugehen, dass<br />

juristische Personen nach den Vorgaben des Anwendungserlasses<br />

zur Abgabenordnung (AEAO) 22 zu identifizieren<br />

sind, jedenfalls soweit diese Bestimmungen nicht als kontenführungsspezifisch<br />

und daher im Hinblick auf die in § 3<br />

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäfte unanwendbar<br />

erscheinen.<br />

Ohne weiteres anwendbar ist Ziffer 4 Satz 4 AEAO zu<br />

§§ 152-154 AO. Sie konkretisiert die Pflicht, sich Gewissheit<br />

über die Person und Anschrift eines Verfügungsberechtigten<br />

zu verschaffen, indem bei einer juristischen Person die Bezugnahme<br />

auf eine amtliche Veröffentlichung oder ein amtliches<br />

Register unter Angabe der Registernummer ausreicht.<br />

Auch Ziffer 7 Abs. 2 AEAO zu §§ 152– 154 AO ist anwendbar.<br />

Danach kann in bestimmten (dort normierten)<br />

Fällen auf die Legitimationsprüfung und die Herstellung<br />

der Auskunftsbereitschaft verzichtet werden. Erfasst davon<br />

sind u. a. Personen, die als Vertreter eingetragen sind und in<br />

öffentlichen Registern (Handelsregister, Vereinsregister)<br />

eingetragene Firmen oder Personen vertreten, oder Fälle<br />

der Vertretung von Unternehmen, sofern schon mindestens<br />

fünf Personen, die in öffentlichen Registern eingetragen<br />

sind oder bei denen eine Legitimationsprüfung stattgefunden<br />

hat, die Verfügungsbefugnis haben.<br />

Daraus ergibt sich zunächst der Grundsatz, dass bei einer<br />

juristischen Person diese selbst und deren gesetzlicher Vertreter<br />

sowie sonstige Verfügungsbefugte zu identifizieren<br />

sind. Der Pflicht zur Identifizierung der juristischen Person<br />

wird regelmäßig durch die Einholung eines Handelsregisterauszugs<br />

genügt. Handelt es sich bei der juristischen Person<br />

um ein Kreditinstitut, ein Versicherungsunternehmen oder<br />

eine juristische Person des öffentlichen Rechts, kann auf<br />

jede weitere Identifizierung verzichtet werden. Ist die vor<br />

einem Rechtsanwalt oder Notar erscheinende natürliche Person<br />

im Register als gesetzlicher Vertreter ausgewiesen, bedarf<br />

es ebenfalls keiner weiteren Feststellungen.<br />

Damit reduziert sich der Kreis der identifizierungspflichtigen<br />

Mandanten einer wirtschaftsberatenden Anwaltssozietät<br />

erheblich. Die Identifizierung der juristischen<br />

Person über das Handelsregister erfolgt ohnehin häufig im<br />

Rahmen der Mandatsanlage und kann ohne Mitteilung an<br />

den Mandanten stattfinden. Der Registerauszug ist wegen<br />

der Aufzeichnungspflicht zu den Akten zu nehmen. Bei juristischen<br />

Personen des Privatrechts dürften sich im Übrigen<br />

die weiteren Identifizierungspflichten auf solche Fälle<br />

beschränken, in denen die Vertretungsmacht des Handelnden<br />

unklar ist und keine fünf weiteren natürlichen Personen<br />

als gesetzliche Vertreter aus dem Register erkennbar sind 23 .<br />

d) Absehen von der Identifizierung<br />

Nach § 7 GwG kann überdies von einer Identifizierung<br />

abgesehen werden, wenn der zu Identifizierende bei dem<br />

Identifizierungsverpflichteten persönlich bekannt und wenn<br />

er bei früherer Gelegenheit identifiziert worden ist. Dies<br />

setzt eine den Anforderungen nach § 1 Abs. 5 GwG<br />

genügende „frühere“ Identifizierung voraus 24 .<br />

e) Identifizierungspflicht in Verdachtsfällen<br />

Der neugefasste § 6 Satz 1 GwG enthält jetzt besondere<br />

Identifizierungspflichten in Verdachtsfällen. Werden Tatsa-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

chen festgestellt, die darauf schließen lassen, dass die vereinbarte<br />

Finanztransaktion einer Geldwäsche nach § 261<br />

StGB oder der Finanzierung einer terroristischen Vereinigung<br />

nach § 129 a StGB, auch in Verbindung mit § 129 b<br />

StGB, dient oder im Fall ihrer Durchführung dienen würde,<br />

so besteht stets die Pflicht zur Identifizierung.<br />

„Finanztransaktion“ ist jede Handlung, die eine Geldbewegung<br />

oder eine sonstige Vermögensverschiebung bezweckt<br />

oder bewirkt, § 1 Abs. 6 GwG. Ob die Identifizierungspflicht<br />

nach § 6 Satz 1 GwG und die Anzeigepflicht<br />

nach § 11 Abs. 1 GwG (dazu unter 3.) nur bei den Kataloggeschäften<br />

des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG oder ganz allgemein<br />

bei einem Geldwäscheverdacht gelten, ist dem Gesetz<br />

nicht eindeutig zu entnehmen. Die praktische Bedeutung<br />

der Frage dürfte eher gering sein. In Verdachtsfällen greift<br />

die Identifizierungspflicht bei Annahme von Bargeld etc.<br />

ohne Rücksicht auf die ansonsten bestehende Grenze von<br />

15.000 Euro (§ 2 Abs. 2 GwG). Für die Fälle des § 2 Abs. 1<br />

GwG besteht die Identifizierungspflicht aber ohnehin.<br />

f) Aufzeichnungspflicht; Sanktionen<br />

Nach § 9 Abs. 1 GwG sind die getroffenen Feststellungen<br />

aufzuzeichnen. Wird nach § 7 GwG von einer Identifizierung<br />

abgesehen, so sind der Name des zu Identifizierenden<br />

sowie der Umstand aufzuzeichnen, dass er dem zur<br />

Identifizierung Verpflichteten persönlich bekannt ist. Dies<br />

ist nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 GwG auch elektronisch<br />

möglich. Die Aufzeichnungen sind nach Abs. 3 der Vorschrift<br />

sechs Jahre lang, gerechnet ab dem Schluss des Kalenderjahres,<br />

in dem die Geschäftsbeziehung mit dem Vertragspartner<br />

endet, aufzubewahren.<br />

Nach § 10 GwG dürfen die gemäß § 9 Abs. 1 GwG gefertigten<br />

Aufzeichnungen nur zur Verfolgung einer Straftat<br />

nach § 261 StGB und der in § 261 Abs. 1 Nr. 1 –5 StGB<br />

genannten Straftaten für Zwecke eines Strafverfahrens herangezogen<br />

und verwendet werden.<br />

Verstöße gegen die Identifizierungs-, Aufzeichnungsund<br />

Aufbewahrungspflichten sind, sofern sie vorsätzlich<br />

oder leichtfertig begangen werden, Ordnungswidrigkeiten<br />

nach § 17 Abs. 1 GwG und können mit einer Geldbuße bis<br />

zu 100.000 Euro geahndet werden.<br />

3. Verdachtsmeldepflicht<br />

In Verdachtsfällen ist die Finanztransaktion im Allgemeinen<br />

unverzüglich den zuständigen Strafverfolgungsbehörden<br />

und in Kopie dem Bundeskriminalamt – Zentralstelle<br />

für Verdachtsanzeigen – anzuzeigen, § 11 Abs. 1<br />

GwG. Davon abweichend bestimmt § 11 Abs. 3 Satz 1<br />

GwG, dass (u. a.) Rechtsanwälte nicht zur Anzeige verpflichtet<br />

sind, wenn dem Geldwäscheverdacht Informationen<br />

von dem oder über den Mandanten zugrunde liegen,<br />

die sie „im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung<br />

dieses Mandanten“ erhalten haben. Die Anzeigepflicht<br />

bleibt bestehen, wenn die Anzeigeverpflichteten wissen,<br />

dass der Mandant ihre Rechtsberatung bewusst für den<br />

Zweck der Geldwäsche in Anspruch nimmt. Die Privilegie-<br />

21 Dombek, ZAP 2003, 543 (546).<br />

22 BMF-Schr. v. 27.9.2000, BStBl. I 2000, 1232, zuletzt geändert durch BMF-<br />

Schr. v. 1.7.2002, BStBl. I 2002, 639.<br />

23 Mit einer am AEAO zu §§ 152-154 AO orientierten Identifizierungspraxis bei<br />

juristischen Personen wird im Übrigen auch den weitgehend identischen Forderungen<br />

(dort Abschnitt 10) in den „Vierzig Empfehlungen“ der intergouvernementalen<br />

Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) (http://<br />

www1.oecd.org/fatf/index.htm) Genüge geleistet.<br />

24 Dombek, ZAP 2003, 543 (545).


AnwBl 4/2004 203<br />

Aufsätze MN<br />

rung der rechts- und steuerberatenden Berufe in § 11 GwG<br />

dient dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berater<br />

und Mandant. Die Schutzwürdigkeit im Bereich der<br />

Rechtsberatung entfalle allerdings ausnahmsweise dann,<br />

wenn der Mandant die Rechtsberatung in doloser Absicht<br />

im Hinblick auf eine zukünftig von ihm beabsichtigte Geldwäschehandlung<br />

in Anspruch nehmen will und dem Berater<br />

dies positiv bekannt sei 25 .<br />

Für die vom Gesetz nicht eindeutig beantwortete Frage,<br />

ob die Anzeigepflicht nach § 11 Abs. 1 GwG nur bei den<br />

Kataloggeschäften des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG oder<br />

ganz allgemein bei einem Geldwäscheverdacht gilt, ergibt<br />

sich wie bei der Identifizierungspflicht nach § 6 Satz 1<br />

GWG (vgl. oben unter 2.e) nur eine geringe praktische Bedeutung.<br />

Der Rechtsberater kann sich regelmäßig auf Kenntniserlangung<br />

„im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung“<br />

(§ 11 Abs. 3 Satz 1 GwG) und damit sein<br />

Schweigerecht berufen, es sei denn er hat positive Kenntnis<br />

von der dolosen Inanspruchnahme der Rechtsberatung durch<br />

den Mandanten 26 . Die Gesetzesbegründung weist darauf hin,<br />

dass sowohl der Begriff der Rechtsberatung als auch der der<br />

Prozessvertretung „in einem umfassenden Sinn zu verstehen“<br />

sind 27 . Der Bereich der Prozessvertretung umfasse<br />

„nicht nur den Zeitraum des Verfahrens selbst, sondern auch<br />

die Informationserlangung vor und nach einem solchen Verfahren,<br />

einschließlich der Beratung über das Betreiben oder<br />

Vermeiden eines solchen Verfahrens“ 28 . Der Bereich der außergerichtlichen<br />

Rechtsberatung erfasse auch die Steuerberatung.<br />

Eine Verdachtsmeldepflicht bestehe nur dann, „wenn<br />

man reine Finanzdienstleistungen ohne Rechtsberatung<br />

noch als eine Tätigkeit in Ausübung des Anwaltsberufs ansehen<br />

würde, gewissermaßen also reine Bankgeschäfte zur<br />

Anwaltstätigkeit deklarieren würde“ 29 .<br />

Abweichend von der allgemeinen Regel des § 11 Abs. 1<br />

Satz 1 GwG übermitteln Rechtsanwälte die Anzeige an die<br />

für sie zuständige Bundesberufskammer, also an die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(BRAK). Die Kammer kann zur<br />

Anzeige Stellung nehmen. Sie leitet dann die Anzeige mit<br />

ihrer Stellungnahme an die Strafverfolgungsbehörden und<br />

das BKA weiter. § 11 Abs. 5 GwG enthält das Verbot, den<br />

Mandanten über die Anzeige in Kenntnis zu setzen 30 . Dies<br />

rechtfertigt der Gesetzgeber mit der Argumentation, dass<br />

der Bereich der Rechtsberatung und Vertretung ausgespart<br />

werde und in den restlichen Fällen kein schützenswertes<br />

Vertrauen bestünde 31 . Zulässig ist es allerdings, den Mandanten<br />

ganz allgemein oder zu Beginn der Beratung auf die<br />

Regelungen des GwG, insbesondere auf die Meldepflichten<br />

und deren Weiterleitung, hinzuweisen 32 .<br />

§ 12 GwG bestimmt, dass wer den Strafverfolgungsbehörden<br />

Tatsachen anzeigt, die auf eine Straftat nach<br />

§ 261 StGB oder die Finanzierung einer terroristischen Vereinigung<br />

nach § 129 a StGB, auch i.V. m. § 129 b StGB,<br />

schließen lassen, wegen dieser Anzeige nicht verantwortlich<br />

gemacht wird, es sei denn, die Anzeige ist vorsätzlich<br />

oder grob fahrlässig unwahr erstattet worden.<br />

Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht gemäß § 11<br />

Abs. 1 GwG stellt keine Ordnungswidrigkeit im Sinne von<br />

§ 17 Abs. 1 GwG dar und bleibt mithin sanktionslos. Da<br />

ein Verstoß jedoch nur im Fall einer erkannt dolosen Inanspruchnahme<br />

des Beraters in Betracht kommt, ist zu bedenken,<br />

dass in diesem Fall, will man einer drohenden Strafverfolgung<br />

wegen Beihilfe entgehen, nur die Niederlegung des<br />

Mandats in Betracht kommt.<br />

4. Interne Sicherungsmaßnahmen<br />

Von besonderer Bedeutung ist der neugefasste § 14 Abs.<br />

1 Nr. 8 GwG. Danach müssen Rechtsanwälte, wenn sie die<br />

in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG genannten Geschäfte regelmäßig<br />

ausführen, besondere Vorkehrungen dagegen treffen,<br />

dass sie zur Geldwäsche missbraucht werden können.<br />

Vorkehrungen im Sinne des § 14 Abs. 1 GwG sind nach<br />

Abs. 2 der Vorschrift die Bestimmung eines „der Geschäftsleitung<br />

unmittelbar nachgeordneten“ Geldwäschebeauftragten,<br />

der Ansprechpartner der Strafverfolgungsbehörden und<br />

des BKA ist, die Entwicklung interner Grundsätze, angemessener<br />

Geschäfts- und „kundenbezogener“ (hier also: mandantenbezogener)<br />

Sicherungssysteme und Kontrollen zur Verhinderung<br />

der Geldwäsche und der Finanzierung terroristischer<br />

Vereinigungen, die Sicherstellung, dass die Beschäftigten,<br />

die befugt sind, bare und unbare Transaktionen durchzuführen,<br />

zuverlässig sind und die regelmäßige Unterrichtung<br />

dieser Beschäftigten über die Methoden der Geldwäsche und<br />

die nach dem Geldwäschegesetz bestehenden Pflichten.<br />

a) Geldwäschebeauftragter<br />

Was genau unter einem „Ansprechpartner“ der<br />

Behörden zu verstehen ist, verrät das Gesetz für den Sonderfall<br />

der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG Verpflichteten<br />

nicht. Angesichts des Schutzes des Mandatsgeheimnisses<br />

(§ 11 Abs. 3 GwG) wird der Geldwäschebeauftragte<br />

einer Sozietät zwar von Staatsanwaltschaft und BKA –<br />

„partnerschaftlich“ oder nicht – „angesprochen“ werden<br />

können und dürfen, sagen muss er aber im Regelfall nichts<br />

(außer bei positiver Kenntnis von der Geldwäsche, – genauer<br />

wohl: dem Geldwäscheversuch, weil ansonsten das<br />

Selbstbezichtigungsverbot wegen Beihilfe zu § 261 StGB<br />

das Schweigendürfen begründet).<br />

In Anlehnung an die Verlautbarung des ehemaligen Bundesaufsichtsamtes<br />

für das Kreditwesen (jetzt: Bundesanstalt<br />

für Finanzdienstleistungsaufsicht) vom 30.3.1998 33 muss der<br />

Geldwäschebeauftragte zur Wahrnehmung seiner Tätigkeit<br />

berechtigt sein, für alle Angelegenheiten im Zusammenhang<br />

mit der Verhinderung der Geldwäsche sozietätsintern Weisungen<br />

zu erteilen. Die umfasst die Kündigung einer Mandatsbeziehung,<br />

die Bearbeitung von Verdachtsmeldungen sowie<br />

die Entscheidung über die Weiterleitung dieser<br />

Meldungen gemäß § 11 GwG. Weiter muss er berechtigt<br />

sein, die Sozietät in Angelegenheiten der Geldwäschebekämpfung<br />

und -prävention nach außen zu vertreten und für<br />

diese verbindliche Erklärungen abzugeben.<br />

b) Entwicklung interner Grundsätze und Sicherungssystem<br />

Des Weiteren sind interne Grundsätze, angemessene geschäfts-<br />

und kundenbezogene Sicherungssysteme und Kontrollen<br />

zur Verhinderung der Geldwäsche und der Finanzierung<br />

terroristischer Vereinigungen zu entwickeln. In<br />

25 BT-Drs. 14/8739, S. 15.<br />

26 „Gewissheitsmeldepflicht“, Dombek, ZAP 2003, 543 (550).<br />

27 BT-Drs. 14/8739, S. 15.<br />

28 BT-Drs. 14/8739, S. 15.<br />

29 Dombek, ZAP 2003, 543 (550).<br />

30 Tipping-off, dazu Hellwig, AnwBl 2002, 144 (146); Dombek, ZAP 2003, 543<br />

(552): „Der heimliche Verrat ist vom Prinzip her noch gruseliger als der offene<br />

Verrat.“; gegen das Unterbleiben der Information des Mandanten auch Große-<br />

Wilde, MDR 2002, 1288 (1289).<br />

31 BT-Drs. 14/8739, S. 16.<br />

32 BT-Drs. 14/8739, S. 12.<br />

33 In der Fassung der Verlautbarung vom 8.11.1999 (Gz. Z 5 - E 100), http://<br />

www.bafin.de/cgi-bin/drucke.pl?datei=/verlautbarungen/gwg34fin.htm.


204<br />

MN<br />

Anlehnung an die in der Geldwäscheverlautbarung des<br />

Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen (s. o.) dargestellten<br />

Sicherungssysteme und Kontrollen kommen folgende<br />

Maßnahmen in Betracht:<br />

9 Durch die Erstellung von Arbeits- und Organisationsanweisungen<br />

ist sicherzustellen, dass alle Verdachtsfälle<br />

(auch die angetragenen, aber abgelehnten Mandate bzw.<br />

alle unter Geldwäschegesichtspunkten ungewöhnlichen<br />

Transaktionen) dem Geldwäschebeauftragten in schriftlicher<br />

Form zur weiteren Verdachtsprüfung und Entscheidung<br />

vorgelegt und dort auch dokumentiert werden. Die<br />

Verdachtsmeldungen der Berufsträger sind sechs Jahre<br />

lang vom Geldwäschebeauftragten aufzubewahren.<br />

9 Soweit von einer Verdachtsanzeige gemäß § 11 GwG abgesehen<br />

wird, sind die Gründe hierfür schriftlich niederzulegen.<br />

Die Gründe sollen auch dem meldenden Berufsträger<br />

bekannt gegeben werden, um dem einzelnen<br />

Mitarbeiter ggf. die Erstattung einer eigenen Verdachtsanzeige<br />

zu ermöglichen.<br />

9 Die Berufsträger der Sozietät sind anzuweisen, die Identifizierungspflichten<br />

des GwG zu befolgen. Der Geldwäschebeauftragte<br />

hat sich regelmäßig durch Stichproben<br />

davon zu überzeugen, dass die<br />

Identifizierungspflichten erfüllt werden.<br />

9 Die Berufsträger und Mitarbeiter der Buchhaltung sind<br />

regelmäßig und zeitnah über die neu bekannt gewordenen<br />

Erscheinungsformen (Methoden und Techniken) der<br />

Geldwäsche zu unterrichten. Neben sozietätsinternen Erkenntnissen<br />

sind aktuelle Informationen der Strafverfolgungsbehörden,<br />

der Berufskammern und der BAFin zur<br />

Verfügung zu stellen.<br />

c) Buchhaltung<br />

Weiterhin ist sicherzustellen, dass die Beschäftigten, die<br />

befugt sind, bare und unbare Finanztransaktionen durchzuführen<br />

(letztlich also die Angestellten der Buchhaltung) zuverlässig<br />

sind und diese über die Erscheinungsformen der<br />

Geldwäsche regelmäßig unterrichtet werden.<br />

Zuverlässig in diesem Sinne ist, wer die Gewähr dafür<br />

bietet, dass er/sie die Pflichten nach dem GwG und die in<br />

der Sozietät eingeführten Grundsätze, Verfahren, Kontrollen<br />

und Verhaltensrichtlinien zur Verhinderung der Geldwäsche<br />

sorgfältig beachtet, Sachverhalte, die auf Geldwäsche hindeuten,<br />

dem Geldwäschebeauftragten meldet, und sich<br />

selbst nicht an zweifelhaften Transaktionen aktiv oder passiv<br />

beteiligt. Bei Begründung des Dienst- und Arbeitsverhältnisses<br />

sind durch Heranziehung des Lebenslaufes, der<br />

Zeugnisse und Referenzen die Zuverlässigkeit des Mitarbeiters<br />

zu prüfen und das Ergebnis der Prüfung und die<br />

wesentlichen dieses Ergebnis stützenden Erwägungen dem<br />

Geldwäschebeauftragten mitzuteilen. In Zweifelsfällen<br />

muss der Geldwäschebeauftragte die vorliegenden Dokumente<br />

selbst prüfen.<br />

Zudem muss der Geldwäschebeauftragten unverzüglich<br />

schriftlich über Tatsachen unterrichtet werden, aus denen<br />

sich die Unzuverlässigkeit eines Angestellten der Buchhaltung<br />

ergibt.<br />

d) Zuständigkeit<br />

Für Vorkehrungen nach § 14 Abs. 2 GwG ist bei Sozietäten<br />

von Rechtsanwälten diese anstelle des einzelnen Anwalts<br />

zuständig, § 14 Abs. 3 Satz 1 GwG 34 . Die Sozietät<br />

kann sich nach Zustimmung der Kammer Dritter bedienen,<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

§ 14 Abs. 3 Satz 2 GwG lässt das Outsourcing ausdrücklich<br />

zu35 . Dies dürfte namentlich für Mitarbeiterschulungen<br />

praktische Bedeutung erlangen. Erfüllt ein Verpflichteter<br />

seine Pflicht zur Entwicklung interner<br />

Grundsätze (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 GwG) nicht, kann die Aufsichtsbehörde<br />

die im Einzelfall geeigneten und erforderlichen<br />

Anordnungen treffen, § 14 Abs. 4 Satz 1 GwG.<br />

Die BRAK hat jüngst von ihrer Befugnis nach § 14<br />

Abs. 4 Satz 2 und 3 GwG Gebrauch und diejenigen Berufsangehörigen<br />

von den Verpflichtungen befreit, die in beruflichen<br />

Einheiten tätig sind, die nicht mehr als zehn Berufsangehörige<br />

oder Angehörige sozietätsfähiger Berufe gemäß<br />

§ 59 a BRAO erfassen. Als Grund hierfür wird angegeben,<br />

dass die Gefahr eines Verlustes geldwäscherelevanter Informationen,<br />

die durch ein arbeitsteiliges Vorgehen in größeren<br />

Unternehmensstrukturen vorhanden sein kann, bei einer<br />

Anzahl von bis zu zehn Berufsträgern bzw. Gleichgestellten<br />

nicht besteht36 .<br />

Verstöße gegen die Pflichten aus § 14 GwG sind nicht<br />

als Ordnungswidrigkeiten nach § 17 GwG sanktionierbar.<br />

5. Schlussfolgerungen<br />

a) Identifizierungspflichten nach dem Geldwäschegesetz<br />

bestehen im Regelfall der wirtschaftsanwaltlichen Beratungstätigkeit<br />

nur, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen<br />

vorliegen:<br />

9 Es handelt sich um einen neuen Mandanten, d. h. die juristische<br />

Person und die natürlichen Personen, die für<br />

Rechnung des Unternehmens handeln, sind nicht schon<br />

„identifiziert“ i. S. d. § 1 Abs. 5 GwG bzw. persönlich bekannt.<br />

Alte Mandanten, die nicht in einer den Anforderungen<br />

nach § 1 Abs. 5 GwG genügenden Weise identifiziert<br />

wurden, müssen erneut identifiziert werden.<br />

9 Mit dem Mandanten soll eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung<br />

eingegangen werden. Dies kann auch<br />

schon bei einer Einzelfallberatung zutreffen.<br />

9 Gegenstand ist eine Unternehmens- oder Immobilientransaktion<br />

(„Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben“),<br />

die Umstrukturierung von Unternehmen<br />

im weitesten Sinne (Mitwirkung bei „Gründung von<br />

Gesellschaften“), eine Private Equity/Venture Capital-<br />

Transaktion oder ein Börsengang/IPO oder die Emission<br />

von Anleihen („Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb<br />

oder zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen<br />

Mittel“) oder ein anderes unter § 3 Abs. 1 Satz 1<br />

Nr. 1 GwG zu subsumierendes Geschäft.<br />

b) In Verdachtsfällen, insbesondere wenn der Verdacht besteht,<br />

die beabsichtigte Vermögensverschiebung diene einer<br />

Geldwäsche i. S. d. § 261 StGB, besteht die allgemeine<br />

Pflicht zur Anzeige an die BRAK nicht, wenn dem Geldwäscheverdacht<br />

im Rahmen der Rechtsberatung oder der<br />

Prozessvertretung erlangte Informationen zugrunde liegen<br />

und keine Anhaltspunkte für die dolose Inanspruchnahme<br />

der Beratung durch den Mandanten vorliegen. Die Transaktion<br />

darf nicht durchgeführt werden. Bei positiver Kenntnis<br />

der (beabsichtigten) Geldwäsche würde eine Mitwirkung<br />

an der Transaktion die Strafbarkeit wegen Beihilfe zur<br />

Geldwäsche begründen.<br />

34 „Unternehmen“ i. S. d. Vorschrift sind auch Berufsausübungsgemeinschaften<br />

von Freiberuflern, siehe BT-Drs. 14/8379, S. 17.<br />

35 Siehe dazu Findeisen, WM 2000, 1234 ff.<br />

36 Anordnung des Präsidiums der BRAK vom 26.7.2003, BRAK-Mitt. 5/2003,<br />

229 f.


AnwBl 4/2004 205<br />

Aufsätze MN<br />

c) Kanzleien mit mehr als zehn Berufsträgern, die regelmäßig<br />

an Transaktionen i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG<br />

mitwirken, sind zu internen Sicherungsmaßnahmen nach<br />

§ 14 Abs. 2 GwG verpflichtet. Insbesondere sind ein Geldwäschebeauftragter<br />

zu bestellen und interne Grundsätze<br />

und Sicherungssysteme zur Verhinderung der Mitwirkung<br />

an einer Geldwäsche zu entwickeln.<br />

II. Geldwäsche durch Rechtsanwälte bei gewerbsmäßiger<br />

Steuerhinterziehung als Vortat, § 261 Abs. 1 Satz 3<br />

StGB, § 370 a AO – „Entschärfungen“<br />

Für einen wirtschaftsanwaltlichen Berater, der feststellt,<br />

dass sein Mandant mit Geldern aus geldwäscherelevanten<br />

Straftaten arbeitet, ergibt sich in zweierlei Hinsicht das Risiko<br />

einer eigenen Strafbarkeit. Zum einen kann die Annahme von<br />

Honorar, das aus bemakeltem Vermögen des Mandanten<br />

stammt, den Tatbestand des § 261 StGB in der Variante des<br />

„Verschleierns“ verwirklichen. Zum anderen können durch<br />

jede Beschäftigung mit solchen Geldern, also auch durch Mitwirkung<br />

an Transaktionen, mittelbar oder unmittelbar die Tatvarianten<br />

der Geldwäsche erfüllt werden. Auch eine Strafbarkeit<br />

wegen Beihilfe, die auf Grund der Möglichkeit<br />

psychischer Beihilfe 37 sehr weit gehen kann, ist denkbar.<br />

Die Schaffung des neuen Verbrechenstatbestandes der<br />

schweren Steuerhinterziehung nach § 370 a AO hat den Katalog<br />

der möglichen geldwäscherelevanten Vortaten erweitert<br />

und damit auch das Risiko der wirtschaftsanwaltlichen<br />

Beratungspraxis, in einen Geldwäscheverdacht zu geraten,<br />

erhöht. Im Folgenden sollen vor allem die sich daraus ergebenden<br />

Konsequenzen zur Vermeidung einer solchen Geldwäschestrafbarkeit<br />

für die wirtschaftsanwaltliche Beratungstätigkeit<br />

herausgearbeitet werden.<br />

1. Grundtatbestände des § 261 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2<br />

Nr. 1 sowie Abs. 2 StGB<br />

a) Nach § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe<br />

von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer einen<br />

Gegenstand, der aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen<br />

Tat herrührt, verbirgt, dessen Herkunft<br />

verschleiert oder die Ermittlung der Herkunft, das Auffinden,<br />

den Verfall, die Einziehung oder die Sicherstellung eines<br />

solchen Gegenstandes vereitelt oder gefährdet. Zu den<br />

rechtswidrigen Taten zählen nach Satz 2 Nr. 1 alle Verbrechen.<br />

Nach § 261 Abs. 2 StGB wird gleichermaßen bestraft,<br />

wer sich oder einem Dritten einen in Abs. 1 benannten Gegenstand<br />

beschafft oder verwahrt oder für sich oder einen<br />

Dritten verwendet. Dies kann nach allgemeiner Auffassung<br />

auch im Rahmen eines zivilrechtlich gültigen Vertrages erfolgen<br />

– etwa eines Mandatsvertrages. In letztgenannter<br />

Alternative (Verwahrung oder Verwendung) ist Wissen des<br />

Täters von der kriminellen Herkunft des Vermögenswertes<br />

erforderlich in dem Zeitpunkt, in dem er den Gegenstand<br />

erlangt. Bei leichtfertiger Unkenntnis wird die Tat nach<br />

Maßgabe des § 261 Abs. 5 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu<br />

zwei Jahren bestraft.<br />

b) Angesichts der gesetzlichen Verschärfungen und der<br />

Verurteilung von Anwälten wegen Geldwäsche ist daran zu<br />

erinnern, dass sich nach dem Gesetzeswortlaut jedermann<br />

nach § 261 StGB strafbar machen kann, wenn er Vermögenswerte<br />

von einer Person annimmt, die aus gewerbsmäßig<br />

betriebenen Vermögensdelikten stammen, § 261<br />

Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB. Das bezieht sich praktisch auf<br />

alle Arten von Vermögensdelikten und schließt insbesondere<br />

den Fall der Untreue (§ 266 StGB) ein, dem im Be-<br />

reich der wirtschaftsanwaltlichen Beratung häufiger zu begegnen<br />

ist, weil sich die Strafverfolgungsbehörden mit<br />

diesem Vorwurf leicht den Binnenbereich von Wirtschaftsunternehmen<br />

zugänglich machen können. Selbst wenn der<br />

Vortäter nicht gewerblich handelte, reicht es für<br />

§ 261 StGB aus, wenn er als Mitglied einer Bande tätig<br />

wurde. Verabreden sich etwa drei Personen 38 zu fortgesetzten<br />

Betrugs- oder Untreuestraftaten, so genügt bereits die<br />

einmalige Begehung einer solchen Tat zur Annahme einer<br />

Bande 39 . Die Annahme des aus dieser Tat erlangten Geldes<br />

als Honorar kann daher bereits nach § 261 Abs. 1 Satz 2<br />

Nr. 4 lit. a StGB als Geldwäsche strafbar sein. Nahezu<br />

sämtliche Vermögensdelikte, auch wenn sie nur Vergehen<br />

sind, sind nach dieser Vorschrift qualifizierende Delikte.<br />

Auch Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und Fälschung beweiserheblicher<br />

Daten (§ 269 StGB) kommen als Vortaten<br />

in Betracht. Als bemakelter Vermögenswert gilt, und dies<br />

ist entscheidend, auch das Surrogat für die Beute des Vortäters,<br />

also die in jedweder Form als Bankguthaben, Sachwert,<br />

Firmenbeteiligung, etc. vorhandene Bereicherung des<br />

Vortäters aus seinen Straftaten, solange noch ein „Vermögenszusammenhang“<br />

identifizierbar ist 40 . Hierin liegt gerade<br />

die ratio des § 261 StGB, weil die Verwertung der<br />

Beute selbst durch einen anderen bereits nach § 259 StGB<br />

als Hehlerei unter Strafe gestellt ist. Die Annahme solcher<br />

Vermögenswerte kann auch im Rahmen eines zivilrechtlich<br />

gültigen Vertrages mit dem Vortäter erfolgen, insbesondere<br />

eines anwaltlichen Mandatsvertrages. Bereits fahrlässige<br />

Unkenntnis des Anwalts davon, dass der Vermögenswert<br />

aus einer einschlägigen Vortat herrührt, genügt für seine<br />

Strafbarkeit. Anwälte laufen insoweit ein besonderes Risiko<br />

bei der Annahme von Mandantenhonoraren, weil bei ihnen<br />

vermutet wird, dass sie am ehesten über die wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse ihrer Mandanten informiert sind 41 .<br />

2. Der Verbrechenstatbestand des § 370 a AO<br />

Verbrechen i. S. d. § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG ist<br />

auch der Straftatbestand der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen<br />

Steuerhinterziehung nach § 370 a AO.<br />

§ 370 AO ist als Teil des Steuerverkürzungsbegrenzungsgesetzes<br />

(StVBG) vom 19.12.2001 eingefügt worden42<br />

. Die Vorschrift sah zunächst vor, dass mit Freiheitsstrafe<br />

vom einem bis zu zehn Jahren bestraft wird, wer<br />

gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur<br />

fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, Steu-<br />

37 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl. 2003, § 27 Rn. 6.<br />

38 Nach der Entscheidung des Großen Senats des BGH vom 22.3.2001, GSSt 1/<br />

00, liegt eine Bande nicht mehr schon bei einer Mitgliederzahl von zwei, sondern<br />

erst von drei Personen vor, BGH NJW 2001, 2266 ff.<br />

39 BT-Drs. 12/6853, S. 28.<br />

40 Tröndle/Fischer, StGB, § 261 Rn. 8; Lackner/Kühl, Kommentar zum StGB, 24.<br />

Aufl. 2001, § 261 Rn. 5; Schönke/Schröder/Stree, Kommentar zum StGB, 26.<br />

Aufl. 2001, § 261 Rn. 8.<br />

41 Vgl. Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (644). Auf die besonderen Probleme<br />

des Geldwäschetatbestandes im Bereich der Strafverteidigung ist hier nicht<br />

einzugehen. Hinzuweisen ist jedoch auf die heftig umstrittene Verurteilung einer<br />

Strafverteidigerin (und ihres mit ihr in Sozietät verbundenen Ehemannes)<br />

durch das Landgericht Frankfurt a. M. zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.<br />

Das Urteil vom 4.5.2000 ist vom BGH im Wesentlichen inhaltlich<br />

bestätigt worden. Der BGH hat hierbei – entgegen einer vielbeachteten Entscheidung<br />

des OLG Hamburg (NJW 2000, 673) – eine äußerst restriktive Haltung<br />

eingenommen und insbesondere § 261 StGB jede objektiv berufsregelnde<br />

Tendenz für die Anwaltschaft abgesprochen (s. Urt. v. 7.7.2001, –2 StR 513/<br />

00, NJW 2001, 2891; dazu Scherp, NJW 2001, 3242 ff.). Hiergegen richten<br />

sich die derzeit anhängigen Verfassungsbeschwerden (2 BvR 1520 und 1521/<br />

01). Der Verfassungsrechtsausschuss des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s hat die Verfassungsbeschwerden,<br />

über die am 19.11.2003 vor dem BVerfG mündlich verhandelt<br />

wurde, in seiner Stellungnahme vom September 2002 dezidiert unterstützt.<br />

Zum Ganzen Ambos, JZ 2002, 70 ff.; Scherp, NJW 2001, 3242 ff.;<br />

jüngst auch Brüssow/Petri, AnwBl 2004, 114 ff.<br />

42 Die Vorschrift trat am 20.12.2001 in Kraft, BGBl. I S. 3922.


206<br />

MN<br />

ern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte<br />

Steuervorteile erlangt.<br />

Die Vorschrift führte zu massiver Kritik insbesondere<br />

von Seiten der Anwaltschaft. Das Tatbestandsmerkmal der<br />

Gewerbsmäßigkeit war und ist nämlich unter Berücksichtigung<br />

der bisherigen Rechtsprechung sehr weit auszulegen<br />

und liegt immer schon dann vor, wenn der Täter in der Absicht<br />

handelt, sich durch wiederkehrende Begehung von<br />

Straftaten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger<br />

Dauer und einigem Umfang zu verschaffen 43 . Unabhängig<br />

von der Höhe hätte bei entsprechender Absicht deshalb der<br />

einmalige Bezug unversteuerter Einkünfte genügt, um den<br />

Tatbestand eines Verbrechens zu verwirklichen. Die Qualifizierung<br />

als Verbrechen über die Höhe der Strafandrohung<br />

nahm § 370 a AO von der Möglichkeit einer strafbefreienden<br />

Selbstanzeige nach § 371 AO aus, da diese nur möglich war<br />

bei Vergehen im Sinne des § 12 Abs. 2 StGB. Als Verbrechenstatbestand<br />

war § 370 a AO ferner automatisch taugliche<br />

Vortat im Sinne des § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB 44 .<br />

Hinzu kam, dass durch die ebenfalls neu gefasste Regelung<br />

des § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB praktisch das gesamte<br />

Vermögen des Steuerhinterziehers „infiziert“ wurde 45 .Bemakelte<br />

Gegenstände waren danach nämlich im Falle des<br />

§ 370 a AO „unrechtmäßig erlangte Steuervergünstigungen“<br />

und alle „Vermögensbestandteile, hinsichtlich derer Abgaben<br />

hinterzogen worden sind“. Für den anwaltlichen Berater<br />

eines „gewerbsmäßigen“ Steuerhinterziehers bestand damit<br />

die Gefahr, dass er sich durch die Annahme des<br />

Honorars selbst der Geldwäsche schuldig machte, weil es<br />

keinen „unbemakelten“ Vermögensbestandteil mehr gab.<br />

3. Neufassung des § 370 a AO<br />

Etwas versteckt, nämlich in Art. 7 Nr. 4 und in Art. 8<br />

des Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-<br />

Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen<br />

vom 23.7.2002 46 , sind mit Wirkung vom 27.7.2002 die gravierendsten<br />

Folgen dieser Änderung rückgängig gemacht<br />

worden.<br />

Ein Verbrechen nach § 370 a AO liegt deshalb jetzt nur<br />

noch vor, wenn der Steuerpflichtige gewerbsmäßig oder<br />

bandenmäßig Steuern „in großem Ausmaß“ hinterzieht.<br />

Insbesondere das letzte Tatbestandsmerkmal beinhaltet einen<br />

großen Unsicherheitsfaktor. Aber auch die Merkmale<br />

„gewerbsmäßig“ und „bandenmäßig“ können nicht ohne<br />

weiteres in der existierenden Auslegung zu den gleichlautenden<br />

Merkmalen bei Diebstahl und Raub angewendet<br />

werden. Hier können sich Besonderheiten ergeben.<br />

a) „Gewerbsmäßige“ Steuerhinterziehung<br />

In der aktuellen Literatur herrscht Einigkeit darüber,<br />

dass die bestehende Auslegung zur Gewerbsmäßigkeit, wie<br />

sie etwa zum gewerbsmäßigen Diebstahl entwickelt wurde,<br />

auf die schwere Steuerhinterziehung nicht übertragbar ist 47 .<br />

Aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sei eine Einschränkung<br />

geboten. Es könne nicht schon jede Steuerhinterziehung,<br />

die auf eine Wiederholung angelegt ist und dem<br />

Täter Einnahmen bzw. Ersparrnisse von einigem Gewicht<br />

verschaffen soll, als schwere Steuerhinterziehung gelten 48 .<br />

Teilweise wird im Wege der telelogischen Interpretation sogar<br />

so weit gegangen, dass man die Fälle der gewerbsmäßigen<br />

Steuerhinterziehung auf diejenigen Fälle begrenzt, in<br />

denen eine systematische Steuerhinterziehung durch erheblichen<br />

logistischen, apparativen und personellen Aufwand<br />

vorliegt 49 . Dann bliebe aber für die gewerbsmäßige Steuer-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

hinterziehung neben der bandenmäßigen kaum noch Raum.<br />

Vorgeschlagen wird auch, die gewerbsmäßige Steuerhinterziehung<br />

auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen der<br />

Steuerpflichtige plant, durch die Steuerhinterziehung zusätzliche<br />

Einnahmen und nicht bloß Einsparungen zu erzielen<br />

50 . Es wird abzuwarten sein, wie die Rechtsprechung<br />

reagiert.<br />

b) „Bandenmäßige“ Steuerhinterziehung<br />

Seit dem Beschluss des BGH vom 22.3.2001 braucht es,<br />

wie erwähnt, für eine Bande drei, über einen gemeinsamen<br />

Willen zur Begehung noch ungewisser Straftaten eines Deliktstypus<br />

verbundene natürliche Personen, wobei aber ein<br />

zeitliches und örtliches Zusammenwirken von mindestens<br />

zwei Mitgliedern bei der Begehung der Tat nicht (mehr)<br />

erforderlich ist 51 . Vereinzelt wird für den Bereich der bandenmäßigen<br />

Steuerhinterziehung verlangt, dass der Bandenbegriff<br />

hier so zu modifizieren sei, dass er drei Steuerrechtssubjekte<br />

fordert 52 . Hingewiesen wird insbesondere auf den<br />

Fall, dass etwa eine Handwerker-GbR, die Schwarzgelder<br />

vereinnahmt, als Bande behandelt werden könnte, während<br />

ein einzelner Handwerksmeister nur wegen einfacher Steuerhinterziehung<br />

verfolgt werden könnte 53 . Die meisten Stimmen<br />

in der Literatur scheinen jedoch auf eine solche Einschränkung<br />

verzichten zu wollen 54 . Auch hier wird die<br />

Reaktion der Rechtsprechung abzuwarten sein.<br />

c) Steuerhinterziehung in „großem Ausmaß“<br />

Der Begriff ist nicht legaldefiniert. Nach einhelliger Auffassung<br />

kann die Schwelle zum großen Ausmaß auch nicht<br />

absolut festgelegt werden 55 . Die bisherige Rechtsprechung zu<br />

dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal in § 370 Abs. 3<br />

Satz 2 Nr. 1 AO ging davon aus, dass insoweit regelmäßig<br />

ein Millionen(DM)-Betrag vorauszusetzen sei, teilweise wurden<br />

jedoch auch schon Gesamtbeträge von 350.000 E als<br />

„großes Ausmaß“ angesehen 56 . In der Literatur wird allerdings<br />

darauf hingewiesen, dass das nach § 370 Abs. 3 Satz 2<br />

Nr. 1 AO kumulativ geforderte subjektive Merkmal „aus grobem<br />

Eigennutz“, nicht auf § 370 a AO übertragen wurde und<br />

deshalb eine Übernahme der bisherigen Rechtsprechung<br />

ohne Weiteres nicht möglich sei 57 . Außerdem wird das Merkmal<br />

als bedenklich im Hinblick auf das verfassungsrechtliche<br />

43 Tröndle/Fischer, StGB, vor § 52 Rn. 37; Schönke/Schröder/Stree, StGB, vor<br />

§52ff.Rn.95f.<br />

44 Zur Kritik daran Spatscheck/Wulf, DB 2001, 2572 (2573 f. m. w. N., auch zur<br />

Gegenansicht).<br />

45 Meyer, BRAK-Mitt. 3/2002, 105/108; zur Kritik an dieser Folge siehe Spatschek/Wulf,<br />

DB 2001, 2572 (2574); Bittmann, wistra 2003, 161 (166). A.A.<br />

auch Ambos, JZ 2002, 70 (71) der eine „Teilkontamination“ in Höhe der inkriminierten<br />

Wertsumme annimmt; das Anwaltshonorar sei dann aus dem „sauberen<br />

Teil“ beglichen.<br />

46 BGBl. I S. 2715.<br />

47 Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2985); Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370a<br />

AO Rn. 11; Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 370 a AO Rn. 26.<br />

48 Klein, AO, § 370 a Rn. 12.<br />

49 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 a AO Rn. 13.<br />

50 Hellmann in HHSp, § 370 a AO Rn. 18f.<br />

51 BGH-GSSt, Beschluss vom 22.3.2001, NStZ 2001, 421.<br />

52 Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2986).<br />

53 Klein, AO, § 370 a Rn. 13.<br />

54 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 a AO Rn. 16; Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen,<br />

§ 370a AO Rn. 37c; Hellmann in HHSp, § 370a AO Rn. 23.<br />

55 BGH NJW 2001, 2485 f.; Bittmann, wistra 2003, 161 (164).<br />

56 BGH wistra 1984, 174 (Körperschaftsteuerhinterziehung von 3,3 Mio DM);<br />

BGH wistra 1987, 71 (Umsatzsteuerhinterziehung von 700.000 DM); s.a. Meyer,<br />

BRAK-Mitt. 3/2002, 105/107. Nach Bittmann, wistra 2003, 161 (169) sollen<br />

jedenfalls Summen unter 50.000 nicht ausreichen; ebenso Weyand, INF 2003,<br />

115 (117).<br />

57 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 a AO Rn. 12; Klein, AO, § 370a Rn. 14.


AnwBl 4/2004 207<br />

Aufsätze MN<br />

Bestimmtheitsgebot angesehen 58 . Auch hier wird schließlich<br />

abzuwarten sein, wie die Rechtssprechung damit umgeht.<br />

d) Minderschwerer Fall<br />

Von Bedeutung ist, dass der neue § 370 a Satz 2 AO die<br />

Strafandrohung für minderschwere Fälle auf drei Monate<br />

bis fünf Jahre senkt und ein minderschwerer Fall insbesondere<br />

dann vorliegen soll, wenn die Voraussetzungen des<br />

§ 371 AO vorliegen, also eine Selbstanzeige (Berichtigung<br />

oder Ergänzung unrichtiger oder unvollständiger Angaben<br />

oder Nachholung unterlassener Angaben) erfolgt. Wegen<br />

§ 12 Abs. 3 StGB entfällt damit jedoch nicht die Verbrechensqualifizierung<br />

nach § 370 a Satz 1 AO. Damit kann<br />

eine Selbstanzeige auch nicht den Anknüpfungspunkt für<br />

§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB entfallen lassen. Eine<br />

Selbstanzeige kann den Rechtsanwalt damit nicht vor einer<br />

drohenden Strafverfolgung abschirmen.<br />

e) § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB<br />

Teilweise entschärft wurde auch § 261 Abs. 1 Satz 3<br />

StGB. Nach der Neufassung gelten nur noch die „durch die<br />

Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen und unrechtmäßig<br />

erlangten Steuererstattungen und -vergütungen“ als<br />

tauglicher Gegenstand der Geldwäsche. Das übrige Vermögen<br />

des Steuerpflichtigen ist somit nicht mehr infiziert 59 .<br />

Unklar ist allerdings, wie eine solche „Ersparnis“ vom restlichen<br />

Vermögen abzugrenzen ist 60 . Es kann sich hier allenfalls<br />

um einen rechnerischen Teil des Gesamtvermögens<br />

handeln. Vereinzelt wird aber gerade in der Unmöglichkeit<br />

der Konkretisierung des Geldwäschegegenstandes im Falle<br />

einer bloßen Ersparnis die Notwendigkeit erblickt, die<br />

schwere Steuerhinterziehung generell auf die Fälle der Erlangung<br />

steuerlicher Zuflüsse zu beschränken 61 . Diese sind<br />

konkretisierbar und tauglicher Geldwäschegegenstand.<br />

Auch hier bleibt die Entwicklung der Rechtsprechung noch<br />

abzuwarten.<br />

Im Ganzen hat sich die Unsicherheit für anwaltliche Berater<br />

des Steuerhinterziehers in Honorarfragen etwas verringert.<br />

Da § 261 Abs. 5 StGB jedoch nach wie vor das leichtfertige<br />

Nichterkennen der rechtswidrigen Herkunft des<br />

Gegenstandes für die Strafbarkeit genügen lässt, bleibt eine<br />

Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Feststellung durch den<br />

Anwalt, aus welchem Vermögensbestandteil die Honorarzahlung<br />

des Mandanten stammt.<br />

4. Vorsichtsmaßnahmen bei Verdachtsfällen<br />

Da die Tatbestandsmerkmale des § 370 a AO sehr unbestimmt<br />

sind, bleibt es der Rechtsprechung überlassen, diese<br />

Tatbestandsmerkmale auszufüllen. Bis dahin herrscht jedoch<br />

weitgehende Unsicherheit über die schwere Steuerhinterziehung<br />

als Geldwäschevortat. Dies muss zu erhöhten<br />

Vorsichtsmaßnahmen führen, wenn eine Steuerhinterziehung<br />

erkannt wird und es sich nicht offensichtlich um einen<br />

Bagatellfall handelt.<br />

Generell ist es sinnvoll, innerhalb der eigenen Beratungspraxis<br />

eine Grenze zwischen problematischem und<br />

unproblematischem Rechtsrat zu definieren 62 . Diese Grenze<br />

sollte dann mit der notwendigen Konsequenz eingehalten<br />

werden. Ferner ist Wessing zu folgen, der eine Beweisregel<br />

des BGH zur Untreueproblematik, nach der bestimmte verschleiernde<br />

Momente den Schluss auf einen Vorsatz im<br />

Hinblick auf eine strafbare Handlung zulassen, für den Beratungsbereich<br />

fruchtbar machen will 63 . Wessing schlägt<br />

vor, daraus im Umkehrschluss eine Art Verhaltensregel zu<br />

gewinnen, die darauf gerichtet ist, solche verschleiernden<br />

Momente auszuschließen. Zu fordern ist danach innerhalb<br />

der Beratungspraxis ein differenziertes Gefahrbewusstsein,<br />

die Wahrung notwendiger Distanz zum Mandanten sowie<br />

Offenheit und Dokumentation der Beratung, soweit das mit<br />

dem Mandatsgeheimnis zu vereinbaren ist.<br />

Ist unklar, ob das Honorar aus bemakelten Vermögensbestandteilen<br />

des Mandanten stammt, erscheinen im Übrigen,<br />

wenn das Mandat dessen ungeachtet angenommen<br />

werden soll, bestimmte Vorsichtsmaßnahmen sinnvoll.<br />

a) Da hinsichtlich der Kenntnis des Anwalts von der Infizierung<br />

der für sein Honorar verwendeten Vermögensgegenstände<br />

des Mandanten auf den Zeitpunkt des Erhalts<br />

der Mittel abzustellen ist, sollte der Anwalt möglichst<br />

frühzeitig Vorschüsse anfordern. Eine nach Bedienung der<br />

Vorschussanforderung später erlangte Kenntnis schadet<br />

nicht mehr 64 .<br />

b) In Verdachtsfällen könnte der Mandant gebeten werden,<br />

im Einzelnen durch geeignete Nachweise glaubhaft zu<br />

machen, dass die Mittel aus legalen Mitteln stammen 65 . Dieser<br />

Weg dürfte in der wirtschaftsanwaltlichen Beratung häufig<br />

kaum praktikabel sein und zum Mandatsverlust führen.<br />

c) Anwalt und Mandant können vereinbaren, dass die<br />

Zahlung des Honorars durch einen – nicht selbst verdächtigen<br />

– Dritten erfolgt, der glaubhaft machen kann, die Mittel<br />

nicht vom Mandanten erhalten zu haben 66 .<br />

d) Bei Dauermandanten können Mandantenunterlagen<br />

gesammelt werden, die legale Einkommensquellen dokumentieren,<br />

etwa Kontoauszüge, Gehaltsabrechnungen, Bilanzen,<br />

Steuerbescheide, Subventionsbescheide etc 67 .<br />

e) Ein ebenso sicherer wie eleganter Weg ist es, den<br />

Staat zur „Geldwäsche“ zu instrumentalisieren, indem der<br />

Mandant dem Anwalt geleistete Kautionen (§ 116 a StPO)<br />

oder sichergestellte Mittel abtritt. In der Strafverteidigung<br />

generell üblich, wird dieser Weg im Rahmen der wirtschaftsberatenden<br />

Anwaltstätigkeit praktisch nur bei einer<br />

Beschlagnahme von Vermögen im Wege des dinglichen Arrests<br />

(§§ 111 d StPO, 917 ff. ZPO) in Betracht kommen.<br />

Wird der dingliche Arrest bei Verfahrensabschluss aufgehoben<br />

oder eine Kaution zurückgezahlt (sofern kein Verfall,<br />

§ 124 StPO), wird die Honorarforderung vom Staat<br />

„beglichen“, der durch die Freigabe der Mittel zur Zahlung<br />

dokumentiert, dass die Mittel nicht dem Verfall (§ 261<br />

Abs. 7 i.V. m. §§ 73, 73 d StGB) unterliegen. 68<br />

Dass die vorgenannten Wege in der wirtschaftsanwaltlichen<br />

Beratungspraxis auf praktische Vorbehalte und<br />

Schwierigkeiten stoßen, steht ebensowenig außer Zweifel<br />

wie die Sicherheit des letzten Auswegs, der in der Nichtannahme<br />

des Mandats liegt.<br />

58 Klein, AO, § 370 a Rn. 14; Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983 (2984); jüngst<br />

auch Harms, in: FS Kohlmann, 2003, 413 (426).<br />

59 Bittmann, wistra 2003, 161 (167).<br />

60 Vgl. Tröndle/Fischer, StGB, § 261, Rn. 8 a.<br />

61 Spatschek/Wulf, NJW 2002, 2983 (2987).<br />

62 So auch Wessing, NJW 2003, 2265 (2271).<br />

63 Wessing, NJW 2003, 2265 (2270f.).<br />

64 Vgl. Schönke/Schröder/Stree, StGB, § 261 Rn. 18; Götz/Windholz, AnwBl<br />

2000, 642 (647).<br />

65 Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (649).<br />

66 Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (649); differenzierend Brüssow/Petri,<br />

AnwBl 2004, 114 (116).<br />

67 Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370a AO Rn. 57.<br />

68 Götz/Windholz, AnwBl 2000, 642 (649).


208<br />

MN<br />

Die Zukunft des Marktes<br />

für Rechtsberatung<br />

Prof. Dr. Barbara Grunewald, Köln<br />

I. Einleitung<br />

In den letzten Jahren ist verstärkt die Frage gestellt worden,<br />

wem die Beratung in Rechtsfragen gestattet sein soll.<br />

Die Antworten gehen weit auseinander: Während manche<br />

die Rechtsberatung – von wenigen Ausnahmen abgesehen –<br />

der Rechtsanwaltschaft vorbehalten wollen 1 , gehen andere<br />

davon aus, dass der Marktzutritt im Grundsatz jedermann offenstehensollte<br />

2 . Eine Abteilung des nächsten Deutschen<br />

Juristentages wird die Fragestellung aufgreifen. Im Folgenden<br />

soll versucht werden, diese Diskussion auf eine breitere<br />

Grundlage zu stellen. Zum einen werden die Regelungen des<br />

Rechtsberatungsgesetzes in die allgemeine Diskussion des<br />

Verbraucherschutzes eingeordnet. Zum anderen werden die<br />

ökonomischen Implikationen eines regulierten Zugangs zum<br />

Rechtsberatungsmarkt geschildert. Abschließend werden die<br />

Folgerungen dargestellt, die eine Liberalisierung des Marktes<br />

für Rechtsberatung für die Vermarktung anwaltlicher Dienstleistungen<br />

nach sich ziehen sollte.<br />

II. Zielsetzung des Rechtsberatungsgesetzes<br />

1. Grundlagen<br />

So unterschiedlich die Antworten auf die Frage nach der<br />

Öffnung des Rechtsberatungsmarktes auch sind: Im Ausgangspunkt<br />

besteht Einigkeit. Das Rechtsberatungsgesetz<br />

verfolgt vorrangig zwei Regelungsziele: Zum einen schützt<br />

es den Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat und<br />

zum anderen soll es im Interesse eines reibungslosen<br />

Rechtsverkehrs ungeeignete Personen von der geschäftsmäßigen<br />

Besorgung von Rechtsangelegenheiten fern halten<br />

3 . Es geht also nicht um dem Schutz der Anwaltschaft<br />

vor Konkurrenz 4 . Dem entspricht, dass das BVerfG betont<br />

hat, dass ein Eingriff in die Berufsfreiheit derer, die neben<br />

der Anwaltschaft Rechtsrat erteilen wollen, nicht mit dem<br />

Argument gerechtfertigt werden könne, dass nur so ein effektiver<br />

Konkurrenzschutz erreichbar sei 5 . Schutz vor Wettbewerb<br />

ist – so das Gericht – allenfalls dann geboten, wenn<br />

sonst die Gemeinwohlbelange gefährdet würden, denen die<br />

Zugangsschranken oder Berufsausübungsregelungen eines<br />

Berufes gerade zu dienen bestimmt sein. Auf die Rahmenbedingungen<br />

gesetzlich festgelegter Berufe sei in diesem<br />

Zusammenhang Bedacht zu nehmen.<br />

2. Verbraucherschutz<br />

Wenn es demgemäß vorrangig um den Schutz der Rechtsuchenden<br />

und den reibungslosen Ablauf des Rechtsverkehrs<br />

geht, dann muss auch die rechtspolitische Diskussion<br />

diese Aspekte in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen.<br />

Der Aspekt „Schutz des Rechtsuchenden“ kann in den<br />

großen Zusammenhang des Verbraucherschutzes eingeordnet<br />

werden, der allerdings im Prinzip auch nur ein Teil der<br />

allgemeinen Problematik der Störung der Vertragsparität<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsätze<br />

ist 6 . Das macht auch gerade die hier zu diskutierende Fragestellung<br />

deutlich: Auch Unternehmer sollen vor unqualifiziertem<br />

Rechtsrat geschützt werden. Die Verbraucherdefinition<br />

von § 13 BGB ist insoweit ohne Bedeutung.<br />

Damit stellt sich die Frage, wovor genau der Auftraggeber<br />

geschützt werden soll. In der Literatur wird – wie geschildert<br />

7 – vielfach gesagt, es ginge um den Schutz vor unqualifiziertem<br />

Rechtsrat. Das allein würde allerdings ein<br />

Beratungsmonopol der Anwaltschaft nicht rechtfertigen.<br />

Denn nicht jeder Volljurist – und dieses Kriterium soll ja<br />

wohl den qualifizierten Rechtsrat garantieren – ist Rechtsanwalt.<br />

Der Verbraucherschutz bezieht sich also auch auf<br />

die in der BRAO niedergelegten besonderen Berufspflichten<br />

der Anwaltschaft, also etwa auf die Unabhängigkeit<br />

und Verschwiegenheit der Anwaltschaft sowie auf das Verbot<br />

der Vertretung widerstreitender Interessen. Diese Berufspflichten<br />

sind teilweise sogar strafrechtlich abgesichert<br />

(§§ 203, 356 StGB), und teilweise in der StPO auch vor einer<br />

Aufweichung im Strafverfahren geschützt (§§ 53, 97<br />

StPO). Hinzu tritt die gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung<br />

mit einer Mindestdeckungssumme<br />

von EUR 250.000,– (§ 51 BRAO) 8 . Dies alles gewährleistet<br />

einen Qualitätsstandard, der für die Verbraucher von erheblichem<br />

Interesse ist.<br />

3. Reibungsloser Ablauf des Rechtsverkehrs<br />

Das Rechtsberatungsgesetz hat des Weiteren das Ziel,<br />

den reibungslosen Ablauf des Rechtsverkehrs sicherzustellen.<br />

Damit ist einmal gemeint, dass die Abwicklung von Verfahren<br />

vor Gerichten und Behörden erheblich erleichtert<br />

wird, wenn die Vertretung der Betroffenen in der Hand von<br />

qualifizierten Personen, nämlich von Juristen, liegt9 .Dasses<br />

gerade Rechtsanwälte sind, ist wohl weniger wichtig, da die<br />

besonderen Berufspflichten der Anwaltschaft für das Funktionieren<br />

der staatlichen Einrichtungen wenig bedeutsam sind.<br />

Ebenfalls zu bedenken sind die Interessen weiterer Personen,<br />

die von der Rechtsberatung neben den Behörden<br />

ebenfalls als Dritte betroffen sind10 . Ein Rechtsanwalt, so<br />

kann man annehmen, wird auf Grund seiner Ausbildung<br />

wie seiner Berufspflichten die Rechte dieser Dritten eher<br />

achten als eine andere Person.<br />

1EtwaDombeck BRAK-Mitt. 2001, 89 ff.; Henssler AnwBl. 2001, 525 ff.; Zuck<br />

BRAK-Mitt. 2001, 105, 106.<br />

2 Kleine-Cosack NJW 2000, 1593, 1596; Lehmann NJ 2000, 337; Rasehorn<br />

DRIZ 2000, 442.<br />

3 Siehe BVerfGE 41, 378, 390 = NJW 1976, 1349; BVerfGE 75, 246, 275 = NJW<br />

1988, 545, 546; BVerfGE 98, 481, 482; Berger KTS 1991, 85, 94; Dombeck<br />

BRAK-Mitt. 2001, 98; Henssler NJW 2003, 241, 244; Rennen/Caliebe RBerG<br />

3. Aufl. Art. 1 § 1 Rdn. 11; Weth in Henssler/Prütting Einleitung RBerG Rdn. 5,<br />

6; Zuck BRAK-Mitt. 2001, 105, 106.<br />

4 So noch Begründung zum RBerG <strong>193</strong>5, Reichsgesetzblatt <strong>193</strong>5, 1528; wie hier<br />

Kleine-Cosack NJW 2000, 1593, 1596, ders. NJW 2003, 3009, 3011; Taupitz<br />

NJW 1995, 369, 370; Weth (s. o. Fn. 3) Einleitung RBerG Rdn. 4; Zuck BRAK-<br />

Mitt. 2001, 105, 106; siehe auch Becker-Eberhard JZ 2003, 358, 359 und<br />

Henssler NJW 2003, 241, 243: Nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung; a. A.<br />

Berger KTS 1991, 85, 94; Rennen/Caliebe (s. o. Fn. 3) Art. 1 § 1 Rdn. 11.<br />

5 BVerfG NJW 1998, 3481, 3483.<br />

6 Bülow/Arzt, Verbraucherprivatrecht 2003, S. 8; Fleischer, Informationsasymmetrie<br />

im Vertragsrecht, 2001, S. 570.<br />

7 S. o. Fn. 3.<br />

8 Siehe den Hinweis von Henssler AnwBl. 2001, 525, 527.<br />

9 Siehe Rennen/Caliebe (s. o. Fn. 3) Art. 1 § 1 Rdn. 11; Weth (s. o. Fn. 3) Einleitung<br />

Rdn. 6.


AnwBl 4/2004 209<br />

Aufsätze MN<br />

III.Wege zur Erreichung dieses Zieles<br />

1. Verbraucherschutz<br />

a) Informationsmodell<br />

Der klassische und von der Europäischen Union bislang<br />

nahezu stets favorisierte Weg zur Erreichung eines umfassenden<br />

Verbraucherschutzes ist das sogen. Informationsmodell.<br />

Um dem Nachfrager zu einer sachgerechten Wahrnehmung<br />

seiner Vertragsfreiheit zu verhelfen, werden ihm<br />

die hierfür benötigten Informationen verschafft. Die Vertragsparität,<br />

die durch den Informationsvorsprung des gewerbsmäßig<br />

Handelnden aus dem Gleichgewicht geraten<br />

war, wird so wieder hergestellt 11 . Auf den hier zur Diskussion<br />

stehenden Fall bezogen würde dies heißen, dass ein<br />

Anbieter von Rechtsrat, der kein Rechtsanwalt ist, auf die<br />

Nachteile hinzuweisen hätte, die eine Beratung durch ihn<br />

im Vergleich zu einer Beratung durch einen Rechtsanwalt<br />

mit sich bringt. Volljuristen, die nicht Rechtsanwälte sind,<br />

müssten etwa das Fehlen einer Versicherung (so sie denn<br />

keine abgeschlossen haben) ebenso offen legen wie die Tatsache,<br />

dass für sie die genannten weiteren Berufspflichten<br />

nicht gelten. Personen, die keine Volljuristen sind, müssten<br />

auch dieses offen legen.<br />

b) Verbotsmodell<br />

Dem Informationsmodell steht das sogen. Verbotsmodell<br />

gegenüber. Dieses ist in zweierlei Varianten denkbar: Entweder<br />

wird die Erteilung von Rechtsrat von vornherein (nahezu)<br />

jeder Person verboten, die nicht Rechtsanwalt ist, wobei<br />

der Erhalt einer Ausnahmeerlaubnis im Einzelfall<br />

möglich ist (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, Modell des<br />

Rechtsberatungsgesetzes), oder die Beratung wird erst einmal<br />

erlaubt und dann gegebenenfalls einzelnen Personen<br />

verboten, die diese Befugnis missbrauchen. Dieses Modell<br />

führt einerseits zu einer gewissen Bevormundung des Verbrauchers,<br />

andererseits aber auch dazu, dass nicht qualifizierter<br />

Rechtsrat bzw. auch qualifizierter Rechtsrat, der nicht<br />

von berufsrechtlich gebundenen Personen erteilt wird, weitgehend<br />

nicht gegeben wird. Dabei bleibt die Variante, die in<br />

einem ersten Schritt davon ausgeht, dass jedermann Rechtsrat<br />

erteilen dürfe, und dann in einem zweiten Schritt per Verbot<br />

diejenigen vom Rechtsberatungsmarkt ausschließt, die<br />

sich als ungeeignet erwiesen haben, in zweierlei Hinsicht<br />

hinter dem „prinzipiellen Verbotsmodell“ zurück: Sowohl<br />

der Eingriff in die Berufsfreiheit derjenigen, die Rechtsrat<br />

erteilen wollen, wie auch der Schutz derer, die vor diesen<br />

Beratern bewahrt werden sollen, ist weniger intensiv.<br />

2. Reibungsloser Ablauf des Rechtsverkehrs<br />

a) Informationsmodell<br />

Der reibungslose Ablauf des Rechtsverkehrs kann durch<br />

das Informationsmodell nicht gewährleistet werden. Denn<br />

den Behörden und Gerichten ist nicht geholfen, wenn sie<br />

darüber informiert werden, dass eine Person ohne besondere<br />

Rechtskenntnisse vor ihnen agiert. Da sie den Vertreter<br />

akzeptieren müssen, geht es nicht um eine wohl informiert<br />

zu treffende Entscheidung, sondern allein um die Pflicht,<br />

die Entscheidung eines anderen hinzunehmen. Gleiches gilt<br />

für den Schutz anderer von der Rechtsbesorgung betroffener<br />

Personen.<br />

b) Verbotsmodell<br />

Das Verbotsmodell trägt demgegenüber den Interessen<br />

von Behörden und Gerichten sowie von sonstigen Dritten<br />

umfassend Rechnung. Dies gilt in besonderem Ausmaß für<br />

das „prinzipielle Verbotsmodell“ (mit Erlaubnisvorbehalt),<br />

eingeschränkt aber auch für die Variante, nach der in einem<br />

zweiten Schritt ungeeignete Personen vom Beratermarkt<br />

ausgeschlossen werden. Hier wird es vor einem Verbot<br />

zwar regelmäßig zu einem nicht pflichtgemäßen Verhalten<br />

des Betroffenen gekommen sein, da nur dann davon ausgegangen<br />

werden kann, dass die Behörden auf diese Person<br />

aufmerksam werden und gegen sie einschreiten. Aber wirklich<br />

häufige und gravierende Verstöße werden unterbunden<br />

werden. Hinzu tritt eine gewisse Abschreckungswirkung,<br />

wie sie von durchgesetzten Verboten regelmäßig ausgeht.<br />

IV.Vor- und Nachteile<br />

1. Vor- und Nachteile des Verbotsmodells<br />

a) Verringerung der Angebotspalette auf dem Markt der<br />

Rechtsberatung<br />

Nicht von ungefähr wird auf der Ebene der Europäischen<br />

Union im Rahmen des Verbraucherschutzes das Verbotsmodell<br />

trotz der damit verbundenen effektiven Ausschaltung<br />

ungeeigneter Anbieter so gut wie nie gewählt.<br />

Der Hauptnachteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass<br />

solche Verbote das Angebot der am Markt offerierten Leistungen<br />

einschränken. Davon betroffen sind vielfach auch<br />

Tätigkeiten, die jedenfalls den Interessen einzelner Nachfrager<br />

entsprechen. Für das Verbot des Rechtsberatungsgesetzes<br />

ist dies offensichtlich: Subventionsberater, uneigennützig<br />

tätige Berater, Rechtsschutzversicherungen,<br />

Banken und viele Personen mehr wollen Rechtsrat im weitesten<br />

Sinne des Wortes anbieten, der vielfach auch nachgefragt<br />

werden würde. Sie werden hieran aber durch das<br />

Rechtsberatungsgesetz gehindert. Kein Zweifel: Der so zu<br />

erhaltende Rat wird u. U. von schlechterer Qualität sein als<br />

der, den ein Rechtsanwalt erteilt. Aber das allein besagt<br />

nicht, dass er nicht erteilt werden sollte. Nahezu jeder<br />

Markt wird von Produkten geprägt, die unterschiedliche<br />

Qualität (und Preise) aufweisen. Die Präferenzen der Nachfrage<br />

sind individuell verschieden 12 .<br />

Auch die Judikatur des BGH liegt nunmehr auf dieser<br />

Linie. In einer Entscheidung, in der es um die Tätigkeit von<br />

Erbenermittlern und damit um die Abgrenzung zwischen<br />

den diesen Personen nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubten<br />

und nicht erlaubten Tätigkeiten ging, hat der BGH<br />

betont, dass diese Grenzziehung nicht ohne Rücksicht auf<br />

den vom Auftraggeber gewünschten Inhalt der Geschäftsbesorgung<br />

vorgenommen werden kann. Die insoweit<br />

maßgebliche Erwartung des Auftraggebers richte sich im<br />

Zweifel nach der Person und Qualifikation des Geschäftsbesorgers<br />

13 . Das impliziert, dass es Sache des Auftraggebers<br />

ist, selbst zu entscheiden, welche Dienstleistung er bei qualifizierten<br />

und welche bei weniger qualifizierten (dafür aber<br />

vielleicht billigeren) Anbietern nachfragen will.<br />

10 OLG Hamm NJW-RR 2000, 509, 510; Rennen/Caliebe (s. o. Fn. 3) Rdn. 11;<br />

siehe auch Berger KTS 1991, 85, 97 zu Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 RBerG<br />

a. A. Armbrüster RIW 2000, 583, 587; Michalski ZIP 1994, 1501, 1505.<br />

11 Siehe Bülow/Arzt (s. o. Fn. 6) S. 8; Grundmann JZ 2000, 1133, 1137; Fleischer<br />

(s. o. Fn. 6) S. 570 ff.<br />

12 Dazu, dass dies als Ausgangspunkt wirtschaftswissenschaftlicher Theoriebildung<br />

gilt: Grundmann JZ 2000, 1133, 1137.<br />

13 BGH NJW 2003, 3046, 3048; siehe Kleine-Cosack NJW 2003, 3009, 3011:<br />

Bei nichtanwaltlichen Auftragnehmern spreche eine Vermutung gegen die Annahme,<br />

es liege ein unter das RBerG fallender Rechtsberatungsauftrag vor.


210<br />

MN<br />

Letztlich ist dies auch der Grund fçr die geplante Novellierung<br />

der Handwerksordnung. Nach der Begrçndung 14<br />

wird der so genannte Meistervorbehalt nur noch fçr die<br />

Handwerke aufgestellt, die im Hinblick auf Leben und Gesundheit<br />

gefahrgeneigt sind. Qualitåt, so heiût es in der Begrçndung<br />

weiter, regele sich çber den Markt. Hierauf vertraut<br />

man etwa auch im Bereich der Anlageberater und der<br />

Versicherungsmakler.<br />

b) Folgeprobleme eines Verbotes<br />

Weitere Nachteile des Verbotsmodells treten hinzu: Jedes<br />

Verbot muss durchgesetzt werden. Sofern in der<br />

Bevælkerung ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein besteht,<br />

das Verbot also gångigen Wertungen der Gesellschaft<br />

entspricht, ist dies meist weniger aufwåndig. Die Verbote,<br />

die das Rechtsberatungsgesetz enthålt, werden nicht von einer<br />

solchen allgemeinen Ûberzeugung getragen. Auch die<br />

Befçrworter mahnen neue Ausnahmen von dem Grundtatbestand<br />

des Verbotes an 15 . Diese Ausnahmen sind genauso<br />

wie die bereits bestehenden einzelfallbezogen und ohne<br />

Systematik, was zu immer neuen Abgrenzungsschwierigkeiten<br />

fçhrt. Dem entspricht, dass trotz 70-jåhriger Gçltigkeit<br />

des Gesetzes immer noch Sachverhaltsgestaltungen aufgespçrt<br />

werden, die nach Ansicht des BGH jahrzehntelange<br />

Verstæûe gegen das Rechtsberatungsgesetz offenbaren 16 .<br />

c) Entwicklungen in Europa<br />

Ein weiterer Nachteil des Verbotsmodells tritt hinzu:<br />

Der Rechtsberatungsmarkt wird sich europaweit æffnen.<br />

Manche Interpretationen des RBerG (wie etwa das Verbot<br />

der Testamentsvollstreckung fçr auslåndische Kreditinstitute)<br />

werden sogar schon jetzt als unzulåssige Beschrånkung<br />

des Dienstleistungsverkehrs und damit als nicht europarechtskonform<br />

angesehen 17 . Es liegt daher nahe, eine<br />

Regelung zu suchen, die zum einen sicher EU-rechtskonform<br />

ist und zum anderen vielleicht sogar als Vorbild fçr<br />

eine gesamteuropåische Vorschrift dienen kann. Es bestehen<br />

in Europa zwar die unterschiedlichsten Formen der Reglementierung<br />

des Rechtberatungsmarktes und Deutschland<br />

steht mit seiner relativ strikten Marktzutrittsschranke auch<br />

keineswegs allein 18 . Eine von der Generaldirektion Wettbewerb<br />

der Europåischen Kommission in Auftrag gegebene<br />

Studie vom Januar diesen Jahres hat allerdings ergeben,<br />

dass Deutschland im Bereich des Zutritts zum Rechtsberatungsmarkt,<br />

was die Intensitåt der Regelungen betrifft, im<br />

Spitzenfeld (hinter Ústerreich, Frankreich und Luxemburg<br />

auf Platz 4) liegt 19 . Auch wenn die Aussagekraft dieser Studie<br />

mit guten Grçnden angezweifelt worden ist 20 , so kann<br />

doch nicht in Abrede gestellt werden, dass sie zumindest<br />

Indizien fçr eine Ûberreglementierung enthålt 21 . Das gibt<br />

zu denken, zumal nicht bekannt ist, dass in den anderen<br />

Låndern der Europåischen Union die Qualitåt der Rechtsberatung<br />

zu wçnschen çbrig lieûe 22 . Die Studie empfiehlt<br />

daher auch keineswegs den Ausbau, sondern den Abbau<br />

von Marktzutrittschancen 23 .<br />

2. Vor- und Nachteile des Informationsmodells<br />

Die Nachteile des Verbotsmodells sind zugleich die Vorteile<br />

des Informationsmodells: Je mehr Anbieter am Markt<br />

zugelassen werden, desto breiter wird die Angebotspalette.<br />

Der Verbraucher kann selber entscheiden, welches Gut er<br />

wåhlt. Fçr die Rechtsschutzversicherer hieûe dies etwa: Entweder<br />

hat der Nachfrager das Recht, einen Rechtsanwalt<br />

frei zu wåhlen, muss dann aber auch eine hæhere Pråmie be-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aufsåtze<br />

zahlen, oder er beauftragt den Hausjuristen des Versicherers<br />

und spart an der Pråmie. Dies wçrde in etwa dem sogen.<br />

¹Hausarztmodellª der Krankenkassen åhneln, das niemand<br />

als anstæûig empfindet und das daher eigentlich auch fçr<br />

den Beratungsmarkt tragbar sein mçsste 24 .<br />

Das Informationsmodell wçrde es auch ermæglichen, die<br />

mit dem Rechtsberatungsgesetz zwangslåufig verbundene<br />

Rechtsunsicherheit einzudåmmen. Unsystematische Ausnahmen<br />

wåren obsolet. Auch hierzu ein Beispiel: Vielfach<br />

wird gefordert, dass die kostenlose Erteilung von Rechtsrat<br />

uneingeschrånkt zulåssig sein sollte 25 . Demgegençber ist<br />

mit guten Grçnden darauf hingewiesen worden, dass auch<br />

diese Personen schutzwçrdig sind 26 . Allerdings hat Qualitåt<br />

ihren Preis. In das Informationsmodell låsst sich die Zulåssigkeit<br />

kostenloser Rechtsberatung daher problemlos integrieren:<br />

Denn natçrlich muss auch derjenige, der ohne Gegenleistung<br />

beråt, auf die Art seiner Beratung hinweisen.<br />

Zugleich erçbrigt sich die mit der Schaffung einer Ausnahme<br />

fçr kostenlosen Rechtsrat stets verbundene Frage,<br />

wann dieser Rat kostenlos erteilt wird und wann nicht doch<br />

vielleicht mittelbare Vorteile erwartet und gewåhrt werden.<br />

Das heiût nicht, dass die Beratungshilfe eingeschrånkt oder<br />

gar auf nicht anwaltliche Rechtsberater çbertragen werden<br />

sollte. Denn auch Personen, die die Beratungskosten nicht<br />

selber tragen kænnen, sollen Zugang zu qualifiziertem Rat<br />

erhalten. Aber wer die Beratung selber bezahlt, sollte zwischen<br />

verschiedenen Marktsegmenten wåhlen kænnen.<br />

Auf die Vorteile mit Blick auf Europa wurde schon hingewiesen:<br />

Das Informationsmodell entspricht gångiger Gestaltungspraxis<br />

der Europåischen Union und kann daher als<br />

Modell fçr ein Gemeinschaftsrecht auch in diesem Bereich<br />

dienen.<br />

Das Informationsmodell ist allerdings auch nicht ohne<br />

Nachteile: So wurde bereits darauf hingewiesen, dass von<br />

der Beratung betroffene Dritte, insbesondere Behærden und<br />

Gerichte, mit Informationen nicht geschçtzt werden. Auch<br />

bleibt zu prçfen, wie sich eine Beseitigung der Zugangsschranken<br />

zum Rechtsberatungsmarkt auf die wirtschaftliche<br />

Situation der Anwaltschaft auswirken wçrde. Niemandem<br />

wåre mit einer Proletarisierung der Rechtsanwaltschaft<br />

14 Begrçndung zum Entwurf eines dritten Gesetztes zur Ønderung der Handwerksordnung<br />

und anderer gewerberechtlicher Vorschriften.<br />

15 Etwa Henssler AnwBl. 2001, 525, 529: Ehrenamtliche Beratungståtigkeit; åhnlich<br />

Zuck BRAK-Mitt. 2001, 105, 108; Henssler NJW 2003, 241, 248: Diplompsychologen<br />

und Sozialpådagogen fçr Familienmediation; Zuck BRAK-Mitt.<br />

2001, 105, 109 f. fçr Rechtsberatung in den Medien durch Rechtsanwålte.<br />

16 Siehe etwa zu Treuhandmodellen BGH NJW 2003, 1594, BGH NJW 2003,<br />

2088 kritisch dazu Kleine-Cosack BB 2003, 1737; zur Zusammenarbeit von Inkassobçros<br />

und Mietwagenunternehmen bei Schadensregulierungen BGH ZIP<br />

2003, 1608.<br />

17 Lange, ZEuP 2003, 51.<br />

18 Dazu etwa Dombeck AnwBl. 2001, 98, 100; Henssler AnwBl. 2001, 525, 530.<br />

19 Siehe Seite 50 der Studie des Instituts fçr hæhere Studien, Wien, Iain Paterson,<br />

Marcel Fink, Anthony Ogust.<br />

20 Siehe Henssler/Kilian in einem von DAV und BRAK veranlassten Positionspapier<br />

zu dieser Studie.<br />

21 Die Kritik von Henssler/Kilian (s. o. Fn. 20) bezieht sich in erster Linie auf die<br />

Bewertung Deutschlands im Zusammenhang mit der Reglementierung des Zugangs<br />

zur Anwaltschaft (hier ist Deutschland in der Tat liberal). Im vorliegenden<br />

Zusammenhang geht es aber um den Zugang zum Beratungsmarkt.<br />

22 Siehe den Hinweis von Kleine-Cosack NJW 2000, 1593, 1597; in Bezug auf<br />

die Liberalisierung der Handwerksordnung wird dieses Argument auch in der<br />

Begrçndung (s. o. Fn. 14) angefçhrt.<br />

23 AaO (s. o. Fn. 19) S. 127 ff.<br />

24 Kritisch in Bezug auf ein Verbot der Rechtsberatung durch Versicherer auch<br />

Kleine-Cosak NJW 2003, 3003, 3012.<br />

25 Henssler AnwBl. 2001, 525, 530; Lehmann NJ 2000, 337.<br />

26 Scharf BRAK-Mitt. 2001, 98.


AnwBl 4/2004 211<br />

Aufsätze MN<br />

gedient. Um festzustellen, ob diesen Problembereichen<br />

Rechnung getragen werden kann, wird nun das Informationsmodell<br />

näher entwickelt.<br />

V. Die Ausgestaltung des Informationsmodells im Einzelnen<br />

1. Anwendungsbereich<br />

Das Informationsmodell stößt wie geschildert an seine<br />

Grenzen, wenn es um den Schutz Dritter geht. Für den reibungslosen<br />

Ablauf des Verfahrens vor Behörden und Gerichten<br />

ist die Einschaltung von Volljuristen, die das Procedere<br />

kennen, hilfreich. In vielen Verfahren kann der<br />

Betroffene allerdings auch selbst auftreten, sodass von<br />

vornherein ein rechtlich geschultes Agieren nicht gewährleistet<br />

ist 27 . Das spricht dafür, auch eine Vertretung durch<br />

beliebige andere Personen und damit eben auch durch<br />

Nichtjuristen zuzulassen. Nur in den Fällen, in denen das<br />

Gesetz von vornherein einen Anwaltszwang vorschreibt,<br />

überwiegt nach Ansicht des Gesetzgebers das Interesse am<br />

reibungslosen Ablauf des Verfahrens gegenüber dem Interesse<br />

des Betroffenen, selbst aufzutreten bzw. einen frei gewählten<br />

Dritten beauftragen zu können.<br />

Die besonderen Berufspflichten der Anwaltschaft<br />

schützen allerdings zum großen Teil nicht diese Dritten,<br />

sondern die jeweiligen Auftraggeber. Doch gilt dies nicht<br />

für alle Normen. So wird in § 43 BRAO festgelegt, dass der<br />

Anwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben hat, und<br />

§ 43 a Abs. 3 BRAO enthält das so genannte Sachlichkeitsgebot.<br />

Hinzu tritt die Sorgfalts- und die Fortbildungspflicht<br />

(§ 43 a Abs. 5, 6 BRAO). Dies alles lässt es angebracht erscheinen,<br />

nicht jeden Volljuristen, sondern nur Rechtsanwälte<br />

in den genannten Verfahren als Vertreter zu akzeptieren.<br />

Wo also Anwaltszwang besteht (s. § 78 ZPO), sollte<br />

es dabei bleiben. Ein vergleichbares (beschränktes) Anwaltsmonopol<br />

besteht in vielen Staaten Europas 28 .<br />

2. Das Informationsmodell im Einzelnen<br />

Eine sachgerechte Entscheidung des Auftraggebers über<br />

die angebotene Art der Rechtsberatung setzt voraus, dass er<br />

die Unterschiede zwischen Volljuristen und anderen Beratern<br />

sowie zwischen Volljuristen und Rechtsanwälten kennt.<br />

Um das sicherzustellen, muss jedem, der berät, ohne Volljurist<br />

zu sein, ein entsprechender Hinweis angesonnen werden.<br />

Dies ist zwar sonst nicht üblich. So muss etwa eine<br />

Person, die nicht Meister ist, beim Anbieten handwerklicher<br />

Leistungen dies nicht offen legen. Doch wird man<br />

für die Rechtsberatung schon deshalb anders entscheiden<br />

müssen, weil es bislang nur eine Art von Anbietern auf<br />

dem Rechtsberatungsmarkt gab, eben den Rechtsanwalt.<br />

Das war auf den Märkten, die bislang nur mit Meisterbrief<br />

zugänglich waren, anders: Hier erschien regelmäßig zur<br />

Durchführung der Arbeit sowieso oftmals nicht der Meister,<br />

sondern der Geselle.<br />

Gegenüber der Mandatierung eines Rechtsanwalts hat<br />

die Beauftragung aller anderen Personen einen weiteren<br />

Nachteil: Die Person ist nicht an die Berufspflichten der<br />

Anwaltschaft gebunden. Insbesondere entfällt die in § 51<br />

BRAO niedergelegte Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung.<br />

Auch hierauf ist hinzuweisen. Allerdings<br />

wird man nicht eine komplette Aufzählung der<br />

Standespflichten verlangen können. Dies wäre schon deshalb<br />

nicht sinnvoll, weil der Mandant dann die Übersicht<br />

verlieren würde. Aber eine Nennung des fehlenden Schutzes<br />

durch die Kernwerte der anwaltlichen Standespflichten<br />

(Verschwiegenheitspflicht, Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen, Unabhängigkeit) wird man verlangen<br />

können. Diese Belehrung kann evtl. auch durch den Hinweis<br />

ergänzt werden, dass eine entsprechende vertragliche<br />

Verpflichtung eingegangen werde. So informiert sind die<br />

Nachfrager dann in der Lage, eine sachgerechte Entscheidung<br />

zu treffen.<br />

Werden diese Informationspflichten nicht befolgt, so hat<br />

der Mandant Schadensersatzansprüche (§§ 311, 280 Abs. 1<br />

BGB). Hinzutreten sollte ein Widerrufsrecht nach § 355<br />

BGB, da nur so gewährleistet ist, dass der Auftraggeber in<br />

jedem Fall von dem Vertrag wieder loskommen kann.<br />

3. Auswirkungen auf die Anwaltschaft<br />

Es bleibt die Frage nach den Auswirkungen des geschilderten<br />

Modells auf die Anwaltschaft. Dass der Erhalt einer<br />

funktionsfähigen Anwaltschaft im Allgemeininteresse liegt,<br />

war bereits geschildert.<br />

Unbestritten besetzt die Anwaltschaft ein Qualitätssegment<br />

auf dem Beratermarkt. Kein anderer Berater ist jedenfalls<br />

im Regelfall besser qualifiziert und kein anderer Berater<br />

ist vergleichbar standesrechtlich gebunden. Daher ist<br />

anwaltlicher Rat sein Geld regelmäßig auch wert. Konkurrenz<br />

kann daher mit guten Gründen auf Abstand gehalten<br />

werden. Dies setzt allerdings voraus, dass am Markt die<br />

Vorzüge der Beauftragung der Anwaltschaft deutlich werden.<br />

Dies kann auf zweierlei Weise erreicht werden. Zum einen<br />

muss jedem Berater, der nicht Rechtsanwalt ist, auferlegt<br />

werden, nicht mit einer Bezeichnung zu werben, die<br />

auch nur entfernt den Eindruck erweckt, der Berater sei<br />

Anwalt. Dies folgt auch aus § 3 UWG, da eine solche Werbemaßnahme<br />

irreführend wäre. Zum anderen muss die<br />

Möglichkeit bestehen, die besondere Qualität der anwaltlichen<br />

Leistung am Markt zu verdeutlicht. § 43 b BRAO<br />

muss – sofern er dem entgegensteht 29 – einschränkend ausgelegt<br />

werden 30 .<br />

VI. Zusammenfassung<br />

Das dem RBerG zu Grunde liegende Verbotsmodell<br />

sollte durch ein Informationsmodell abgelöst werden.<br />

27 Siehe den Hinweis von Zuck BRAK-Mitt. 2001, 105, 107.<br />

28 Henssler BRAK-Mitt. 2001, 525, 531 nennt Belgien, Griechenland, Großbritannien,<br />

Irland, Italien, Luxemburg, Norwegen, Portugal und Spanien.<br />

29 Berechtigte Zweifel daran bei Kleine-Cosack BB 2000, 2109, 2115.<br />

30 Siehe den Hinweis von Becker-Eberhard JZ 2003, 358, 361 auf Werbemaßnahmen,<br />

die § 43 b BRAO verbietet. Das genannte Beispiel (Überreden des Kunden)<br />

beinhaltet allerdings keine Werbemaßnahme. In der bei Becker-Eberhard<br />

weiter genannten Entscheidung des OLG Hamburg, OLG Report 2000, 50, war<br />

ein Inkassounternehmen „unaufgefordert“ an den Zedenten herangetreten.<br />

Dem Sachverhalt lässt sich Genaueres nicht entnehmen. Daher bleibt unklar,<br />

ob diese Vorgehensweise einem Rechtsanwalt erlaubt wäre.


212<br />

MN KOMMENTA R<br />

Vertrauensschadensfonds<br />

der Rechtsanwälte<br />

für kriminelle<br />

Kollegen?<br />

� Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Präsident<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s von<br />

1998 bis 2002 und Mitglied des Präsidiums<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Aufgefordert durch den Petitionsausschuss<br />

prüft das Justizministerium<br />

in Berlin die Installierung eines Instruments,<br />

mit dem ein fehlender Versicherungsanspruch<br />

eines Anwaltsmandanten<br />

aufgefangen werden kann.<br />

Betroffen sind die vorsätzlichen Schadenszufügungen<br />

durch Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, insbesondere<br />

die Unterschlagung von<br />

Fremdgeldern. Beide Schäden werden<br />

von der Haftpflichtversicherung nicht<br />

gedeckt. Muss die Anwaltschaft insgesamt<br />

in irgendeiner Weise für diese<br />

kriminell tätigen Kollegen einstehen?<br />

Wer spontan Nein sagt, stellt irritiert<br />

fest, dass gleichwohl das fordernde<br />

Auge der Politik auf die Gesamtheit<br />

der Anwaltschaft gerichtet ist.<br />

Erwogen wird die Einrichtung eines<br />

Vertrauensschadensfonds durch die Anwaltschaft,<br />

den diese aus eigenen finanziellen<br />

Mitteln bildet und aus dem derartige<br />

Schäden abgedeckt werden.<br />

Der Grundgedanke, dass innerhalb<br />

eines Berufs die Berufsträger für vorsätzliche<br />

Schädigungen von Kunden,<br />

Mandanten, Klienten, Patienten unter-<br />

einander haften, ist unserem Wirtschafts-<br />

und Rechtssystem fremd. Es<br />

gibt keinen Berufszweig – weder in der<br />

gewerblichen Industrie noch im Handwerk<br />

noch bei anderen freien Berufen –,<br />

in dem die einzelnen Unternehmer für<br />

das kriminelle Verhalten von Wettbewerbern<br />

haften. Soweit dies im politischen<br />

Bereich erwogen wird: Auch Politiker<br />

untereinander und auch politische Amtsträger,<br />

z. B. Minister, haften untereinander<br />

nicht für Vorsatztaten.<br />

Auch in der Familie haftet<br />

die Schwester nicht für den<br />

Bruder<br />

Mit dem Begriff des „Vertrauensschadensfonds“<br />

wird suggeriert, dass<br />

das Vertrauen der Bürger in den Beruf<br />

dahingehe, das eine solche „Querhaftung“<br />

greift. Das ist nicht der Fall.<br />

Kein Mandant geht davon aus, dass<br />

die Anwaltschaft haftet, wenn sein beauftragter<br />

Anwalt, seine beauftragte<br />

Anwältin seine Gelder unterschlägt.<br />

Auch das Vertrauen des Patienten geht<br />

nicht dahin, dass der Arzt in Passau<br />

für den vorsätzlichen Kunstfehler des<br />

Kollegen in Emden einsteht.<br />

Selbst in der engsten Solidargemeinschaft,<br />

der Familie, haftet die<br />

Schwester nicht für den Bruder.<br />

Die Einrichtung eines solchen Fonds<br />

kann im Übrigen kontraproduktiv wirken.<br />

Die Hemmschwelle bei Berufsträgern,<br />

sich an dem Vermögen der Mandanten<br />

zu vergreifen, wird sinken,<br />

wenn letztlich der Mandant nicht geschädigt<br />

wird, sondern die Kolleginnen<br />

und Kollegen für den Schaden geradestehen.<br />

Eine derartige Wirkung wird<br />

zwar von Strafrechtlern bestritten. Ich<br />

habe aber große Bedenken, mit einem<br />

Vertrauensschadensfonds das Experiment<br />

einzugehen, wer hier Recht hat.<br />

Es wird diskutiert, ob die Einrichtung<br />

eines solchen Fonds aus Marketinggründen<br />

notwendig sei. Auch dies<br />

ist abzulehnen. Einmal würde der<br />

Mandant geradezu darauf hingewiesen,<br />

dass die vorsätzliche Schädigung durch<br />

Anwälte eine reales Problem ist, das<br />

einen solchen Fonds erfordert. Soweit<br />

die Schäden, die der Fonds abdeckt,<br />

gedeckelt werden (z. B. auf 25.000 E),<br />

wird zum anderen eher das Gegenteil<br />

eines positiven Marketingeffekts erreicht.<br />

Der Geschädigte, um den es<br />

AnwBl 4/2004<br />

hier geht, wird in der Regel einen<br />

höheren Schaden aufweisen. Wird er<br />

nun mit einem geringeren Betrag „abgespeist“,<br />

wird dies eher den Ärger<br />

des Betroffenen auslösen, als wenn die<br />

Haftung, weil auch nicht erweitert, abgelehnt<br />

wird.<br />

Der Fonds bringt, im Übrigen nicht<br />

kalkulierbare Kosten mit sich. Es ist<br />

nicht von ungefähr, dass Haftpflichtversicherer<br />

für Vorsatztaten nicht haften.<br />

Auch unter diesem Aspekt stellt<br />

sich erneut die Frage, ob etwaige Ansprüche<br />

begrenzt werden sollen. Wenn<br />

es aber eine sinnvolle Ersatzpflicht<br />

gibt, so doch gerade in den Fällen, in<br />

denen die Mandanten existenziell betroffen<br />

sind, indem sie ihr eigenes<br />

Haus, ihre gesamten Ersparnisse, ihre<br />

Altersversorgung verlieren. Diese Beträge<br />

liegen immer über einer angedachten<br />

Deckelung. Zum anderen:<br />

Wenn die Anwaltschaft den ersten<br />

Schritt unternimmt und den Fonds mit<br />

Deckelung akzeptiert, wird die Grenze<br />

durch die Jahre immer weiter nach<br />

oben verschoben werden. Denn die<br />

grundsätzlich ablehnenden Erwägungen<br />

können nicht mehr ins Feld<br />

geführt werden. Es kann nur noch um<br />

die „Angemessenheit“ der Ersatzpflichtbegrenzung<br />

gehen.<br />

Dem steht nicht entgegen, dass die<br />

Notare verpflichtet sind, eine Vertrauensschadensversicherung<br />

zu unterhalten<br />

(§§ 67 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 3<br />

BNotO). Diese Regelung für die Notare<br />

ist eine absolute Ausnahmeregelung<br />

und kann nicht Maßstab sein.<br />

Zum anderen übt der Notar ein öffentliches<br />

Amt aus; es war der Staat, der<br />

hier die ggf. ihn treffende Ersatzpflicht<br />

abwehren wollte.<br />

Auch die Tatsache, dass einzelne<br />

Rechtsanwaltskammern bereits im beschränkten<br />

Bereich und mit eindeutiger<br />

Deckelung derartige Fonds geschaffen<br />

haben, spricht nicht gegen<br />

die Ablehnung. Ich halte diese Einrichtung<br />

für ebenso verfehlt wie die<br />

Einrichtung eines Fonds für die gesamte<br />

Anwaltschaft. Im Übrigen gibt<br />

es keine Rechtsgrundlage dafür, Kammerbeiträge<br />

zur Abdeckung solcher<br />

Schäden zu verwenden.<br />

Mit guten Gründen haben sich inzwischen<br />

Präsidium und Vorstand des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s einmütig gegen<br />

die Einrichtung eines solchen Vertrauensschadensfonds<br />

ausgesprochen.


AnwBl 4/2004 213<br />

THEMA<br />

Der Rechtsanwalt –<br />

Organ der Rechtspflege<br />

oder Kaufmann?<br />

Nationale und internationale Entwicklungen in der<br />

Anwaltschaft<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />

Frankfurt am Main, Präsident des Rates der Anwaltschaften<br />

der Europäischen Union (CCBE)*<br />

Die deutsche Anwaltschaft ist längst in Europa und in<br />

der Welt angekommen. Es gibt kaum noch Rechtsgebiete,<br />

die nicht von europäischen oder internationalen Regelungen<br />

beeinflusst werden. Das gilt auch für das Berufsrecht<br />

der Rechtsanwälte. Jeder Anwalt ist betroffen, werden<br />

doch jetzt die Weichen dafür gestellt, wie der Anwalt in<br />

den nächsten Jahren seinen Beruf ausüben kann. Der Autor<br />

– seit Jahren profunder Kenner der europäischen und<br />

internationalen Entwicklungen, Mitglied im Vorstand des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s und nun Präsident des CCBE,<br />

der wichtigsten Anwaltorganisation in Europa – beschreibt,<br />

wo die Anwaltschaft steht und auf welche Fragen<br />

sie eine Antwort finden muss.<br />

A. Ein Blick auf die innere Lage der Anwaltschaft<br />

I. Die Jahrestagung der International Bar Association von<br />

1998 in Vancouver diskutierte das Thema “Grenzüberschreitende<br />

Zusammenarbeit und Allianzen von Anwaltskanzleien“.<br />

Das Podium war sich einig: Wir konkurrieren<br />

mit den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, und deshalb<br />

darf unsere internationale Tätigkeit in keiner Weise<br />

eingeschränkt werden, auch nicht durch berufsrechtliche<br />

Regeln. Der erste Sprecher aus dem Publikum war ein alter<br />

Anwalt aus Jamaika, großgewachsen und schlank, tiefschwarze<br />

Haut, silberweißes Haar, eine eindrucksvolle Erscheinung.<br />

Er rief dem Podium zu: “Shame on you! You betray<br />

the law! You are not lawyers, you are traders. Traders<br />

who sell their knowledge of the law like a commodity!“<br />

(Schämen Sie sich! Sie verraten das Recht! Sie sind nicht<br />

Anwälte, Sie sind Händler. Händler, die ihre Rechtskenntnis<br />

wie eine Ware verkaufen!) Betroffenes Schweigen.<br />

Schließlich kam die Antwort des Vorsitzenden, ein Anwalt<br />

aus London: “Thank you for this voice from the wilderness.“<br />

(Vielen Dank für diese Stimme aus der Wildnis.) Ich<br />

werde dieses Erlebnis nie vergessen. Die zentrale Frage der<br />

Anwaltschaft – Organ der Rechtspflege oder Kaufmann –<br />

hätte nicht deutlicher gemacht werden können. 1<br />

Vier Jahre später, nach Enron/Andersen und weiteren<br />

Skandalen, bei denen nicht nur Wirtschaftsprüfer, sondern,<br />

weniger bekannt geworden, auch Anwälte involviert waren,<br />

setzte der amerikanische Kongress einen Ausschuss zur Untersuchung<br />

der Frage ein, ob das anwaltliche Berufsrecht<br />

auf die Interessen der Öffentlichkeit angemessen Rücksicht<br />

nimmt. Ein zorniger Abgeordneter sprach damals drohend<br />

aus: “If you behave like businessmen we will treat you like<br />

businessmen.“ (Wenn Sie sich wie Geschäftsleute benehmen,<br />

werden wir Sie wie Geschäftsleute behandeln.)<br />

Dieser zweite Vorfall zeigt: Die zentrale Frage – Organ<br />

der Rechtspflege oder Kaufmann – ist inzwischen zu einem<br />

Thema der Politik geworden. Diese Feststellung gilt nicht<br />

nur für die USA, sie gilt auch für Europa. Im Folgenden<br />

will ich versuchen, die derzeitigen Entwicklungen in ihren<br />

wichtigsten Einzelheiten darzustellen und in ein Gesamtbild<br />

einzuordnen – ein beunruhigendes Gesamtbild, wie ich<br />

schon jetzt bemerken möchte.<br />

Die Situation der Anwaltschaft hat<br />

sich drastisch geändert<br />

MN<br />

II. Das Umfeld und die eigene Situation der Anwaltschaft<br />

haben sich in Deutschland wie im Ausland gegenüber dem<br />

Stand vor zwanzig, ja noch vor zehn Jahren drastisch verändert.<br />

Ich skizziere, im Sinne eines Berichts, nicht einer Bewertung:<br />

9 Zunehmende Internationalisierung, ja Globalisierung der<br />

geschäftlichen Aktivitäten der Mandanten und der anwaltlichen<br />

Tätigkeit. Dies alles im Größtmaßstab wie<br />

DaimlerChrysler und im kleinen Maßstab wie Kooperationen<br />

von zwei Handwerksbetrieben in Kehl und<br />

Straßburg oder die Zusammenarbeit von zwei kleinen<br />

Kanzleien in Oberhausen und Nijmwegen.<br />

9 Zunehmende Komplexität der Sachverhalte und der<br />

Rechtsnormen, daraus resultierend die zunehmende Notwendigkeit<br />

der Spezialisierung.<br />

9 Zunehmende Technisierung. EDV, Telefax, E-Mail, Internet<br />

etc. eröffnen für Mandanten und Anwälte ungeahnte<br />

Möglichkeiten, aber auch Belastungen.<br />

9 Der Wettbewerb um anwaltliche Mandate nimmt ständig<br />

zu. Die inländischen Anwaltszahlen steigen ständig. Für<br />

Deutschland sind die Zahlen Ende 1960: 18.000; Ende<br />

1985: 48.000; derzeit: rund 127.000; Ende 2006: ca.<br />

150.000. In den anderen Ländern in Europa ist die Entwicklung<br />

ähnlich.<br />

9 Hinzu kommt der Wettbewerb durch Angehörige anderer<br />

Berufe, insbesondere Wirtschaftsprüfer, Steuerberater<br />

aber auch Inkassounternehmen, Banken, Rechtsschutzversicherer,<br />

Verbraucherverbände, Schuldnerberatungseinrichtungen,<br />

Haus- und Grundbesitzervereine, Unternehmensberater<br />

etc. Auch diese Entwicklung ist nicht<br />

auf Deutschland beschränkt.<br />

Daneben gibt es Entwicklungen, die auf Deutschland<br />

beschränkt oder dort besonders ausgeprägt sind.<br />

Seit den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts<br />

zum anwaltlichen Standesrecht von 1987 und der Novellierung<br />

der Bundesrechtsanwaltsordnung von 1994 werden die<br />

Bandagen im Wettbewerb härter. Vor allem kleinere und<br />

mittlere Kanzleien in Deutschland und in weiten Teilen des<br />

übrigen Europas greifen mehr und mehr zu den traditionellen<br />

Mitteln kommerzieller Werbung, wenn wir auch von<br />

* Diese Veröffentlichung ist die überarbeitete und fortgeschriebene Fassung eines<br />

Vortrags, den der Verfasser am 29.9.2003 vor der Rechts- und Staatswissenschaftlichen<br />

Vereinigung e. V., Düsseldorf, gehalten hat. Die Vortragsform wurde<br />

beibehalten. Die Veröffentlichung gibt die persönliche Meinung des Verfassers<br />

wieder.<br />

1 Zum Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege siehe Jaeger NJW 2004, 1 ff.<br />

Den Begriff des Organs der Rechtspflege gibt es auch in anderen Rechtsordnungen<br />

(instrument of justice, officer of the court, instrument de justice usw.)


214<br />

MN<br />

den Exzessen anwaltlicher Werbung in den USA weit entfernt<br />

sind und hoffentlich immer bleiben.<br />

Die Kämpfe vor Gericht, um das nach „Masterpat“ 2 und<br />

anderen Urteilen noch verbliebene anwaltliche Monopol<br />

nach dem Rechtsberatungsgesetz durchzusetzen, werden<br />

immer erbitterter und, wenn ich an die Auseinandersetzungen<br />

mit Medien oder gemeinnützigen Einrichtungen denke,<br />

immer kontraproduktiver. Die bevorstehende Änderung des<br />

Rechtsberatungsgesetzes wird den Monopolschutz der Anwaltschaft<br />

mit Sicherheit weiter reduzieren. Er ist heute in<br />

der Tat in einigen Punkten nicht mehr zu halten, insbesondere<br />

auch im internationalen Vergleich.<br />

Die Anwaltschaft driftet zunehmend<br />

auseinander<br />

Die Gegensätze in der wirtschaftlichen Lage der Anwälte<br />

werden immer größer. Auf der Sonnenseite steht eine<br />

vergleichsweise kleine Anzahl von Anwälten, meist Wirtschaftsanwälte,<br />

deren Jahresgewinn bei 6- bis 7-stelligen<br />

Beträgen liegt. Auf der Schattenseite fristen mehr und mehr<br />

Anwälte ein kümmerliches Dasein. Viele bieten, soweit sie<br />

nicht als Taxifahrer o. ä. arbeiten, ihre Dienste zu Dumpingpreisen<br />

an, was das Handelsblatt bereits als “Aldisierung“<br />

bezeichnet hat. Der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

spricht offen von zunehmender Verarmung<br />

der Anwaltschaft. Welche Gefahren sich daraus für den<br />

Verbraucherschutz ergeben, bis hin zu Verstößen gegen das<br />

Berufs- und Strafrecht, wissen wir alle.<br />

III. Auch die Liberalisierung der grenzüberschreitenden<br />

Anwaltstätigkeit ist zu erwähnen. Für Europa nenne ich die<br />

Richtlinie zur Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs<br />

der Rechtsanwälte von 1977, die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie<br />

von 1988 und vor allem die Niederlassungsrichtlinie<br />

von 1998, sämtlich im jetzigen Gesetz<br />

über den Europäischen Rechtsanwalt umgesetzt.<br />

Die Niederlassungsrichtlinie insbesondere verändert<br />

mehr und mehr die Anwaltslandschaft in Europa in den<br />

Großstädten und im grenznahen Bereich. Nach dieser<br />

Richtlinie hat jeder Rechtsanwalt aus einem Mitgliedsstaat<br />

der EU das Recht, sich unter seiner heimatlichen Berufsbezeichnung<br />

in jedem anderen Mitgliedsstaat niederzulassen<br />

und dort dieselben beruflichen Tätigkeiten auszuüben<br />

wie ein örtlicher Rechtsanwalt, einschließlich der Rechtsberatung<br />

im Recht des Aufnahmestaates und einschließlich<br />

der Vertretung vor den Gerichten des Aufnahmestaates.<br />

Nach drei Jahren effektiver und regelmäßiger Tätigkeit im<br />

Aufnahmestaat und im Recht des Aufnahmestaates kann<br />

dieser ausländische Anwalt den anwaltlichen Berufstitel<br />

des Aufnahmestaates erwerben. Auf diese Weise kann ein<br />

englischer Solicitor oder ein französischer Avocat von Anfang<br />

an in Deutschland im deutschen Recht tätig werden<br />

und nach drei Jahren deutscher Rechtsanwalt sein, umgekehrt<br />

kann aber auch ein deutscher Rechtsanwalt ins europäische<br />

Ausland gehen, dort im örtlichen Recht arbeiten<br />

und nach drei Jahren italienischer Avvocato oder niederländischer<br />

Advocat werden. Die Niederlassungsrichtlinie erleichtert<br />

also sowohl den Import als auch den Export von<br />

Anwälten. Ausweislich der Statistiken halten sich für<br />

Deutschland Export und Import etwa die Waage.<br />

Für den außereuropäischen Bereich ist das General<br />

Agreement on Trade in Services (GATS) von 1994 zu nennen.<br />

Dieses Abkommen hat das Prinzip der Liberalisierung<br />

des Handels mit Waren – Stichwort GATT – auf Dienstleistungen<br />

ausgedehnt. Handel mit Rechtsdienstleistungen –<br />

was zu Beginn der GATS-Verhandlungen Ende der 80er<br />

Jahre für die meisten Anwälte wie ein Schock wirkte, ist<br />

heute eine Selbstverständlichkeit. Deutschland ist, was den<br />

Import ausländischer Anwälte angeht, überdurchschnittlich<br />

liberal. Nach § 206 Abs. 2 BRAO dürfen Anwälte aus Mitgliedstaaten<br />

des GATS, die laut rechtsverordnungsmäßiger<br />

Feststellung des Bundesministeriums der Justiz in Ausbildung<br />

und beruflichen Befugnissen einem deutschen Rechtsanwalt<br />

entsprechen, sich in Deutschland niederlassen und<br />

hier im Recht ihres Heimatstaates und im Völkerrecht beraten.<br />

Die Zahl ausländischer Anwälte aus dem Bereich EU<br />

und GATS, die in Deutschland tätig sind, liegt unter 1.000.<br />

Gleichwohl ist es entscheidend eine Folge der Liberalisierung<br />

der grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit in<br />

Europa und weltweit, dass sich die Tätigkeit und vor allem<br />

das Verhalten und Denken von Anwälten in allen Ländern<br />

Europas zunehmend verändert: Die Landschaft wird mehr<br />

und mehr angloamerikanisch.<br />

Dies ist zunächst ein Thema der Sprache – etwa 70 bis<br />

80 % der Dokumente in Brüssel sind im Erstentwurf auf<br />

Englisch abgefasst. Es ist vor allem ein Thema des materiellen<br />

Rechts. In Brüssel ist die Entwicklung des Gesell-<br />

Die Landschaft wird<br />

mehr und mehr amerikanisch<br />

AnwBl 4/2004<br />

Thema<br />

schaftsrechts, zu Beginn der Harmonisierung vor über 30<br />

Jahren fest in deutscher Hand, heute angelsächsisch geprägt.<br />

Schon längst haben wir auch bei uns die englischen<br />

Regelungsinstrumente des sog. soft law übernommen, etwa<br />

beim Rechnungslegungsstandard. Besonders deutlich ist die<br />

Entwicklung – schon in der sprachlichen Bezeichnung –<br />

bei der Corporate Governance mit dem Corporate Governance<br />

Kodex3 . Recht und Praxis der Kapitalmärkte und<br />

Börsen sind insbesondere mehr und mehr angelsächsisch<br />

geprägt. Das Strafverfahren im Falle Mannesmann hat vielleicht<br />

einen tieferen Grund auch in den Unterschieden, ja<br />

Spannungen zwischen deutschem und angelsächsisch geprägtem<br />

Denken auf den Gebieten Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht-und<br />

–praxis, was die Gewichtung des shareholder<br />

value-Gedankens und die Höhe von<br />

Managervergütungen angeht. Angelsächsisches Denken hat<br />

in weite Teile des Verbraucherschutzrechts oder des Umweltschutzrechts<br />

Eingang gefunden.<br />

Weitere Auswirkungen dieser Angloamerikanisierung<br />

zeigen sich bei der anwaltlichen Vertragspraxis. Geradezu<br />

serienweise haben angloamerikanische Vertragstypen Eingang<br />

in die kontinentaleuropäische Rechtspraxis gefunden,<br />

etwa Leasing- und IT-Verträge und die vielen kapitalmarktund<br />

finanzrechtlichen Vertragstypen, die nur den Spezialisten<br />

bekannt sind. Und bei den traditionellen deutschen Vertragstypen<br />

ersetzen angloamerikanischer Kasuismus und<br />

Defaitismus zunehmend das deutsche Denken in größeren<br />

Systemen. Davon abgesehen: Vergleichen Sie einmal auf<br />

den Gebieten Schuldrecht, Sachenrecht, allgemeines Handelsrecht,<br />

Gesellschaftsrecht und Unternehmenskauf die<br />

Formularbücher von vor zwanzig Jahren mit denen von<br />

2 BVerfG NJW 1998, 3481 ff<br />

3 Einzelheiten für einen Teilbereich bei Hellwig, AnwBl. 2002, 566 ff


AnwBl 4/2004 215<br />

Thema MN<br />

heute. Angelsächsischer Kasuismus und Detaillismus haben<br />

das deutsche Denken in größeren Systemen stark zurückgedrängt.<br />

Die Entwicklung wird weitergehen: Die Rechtsprechung<br />

des EuGH, zuletzt in den Urteilen Überseering4 und Inspire<br />

Art5 , wird dazu führen, dass die deutsche GmbH und die<br />

AG – wirtschaftlich gesprochen – Marktanteile an ausländische<br />

Kapitalgesellschaftsformen verlieren werden und dass<br />

vor allem die englischen Private und Public Limited Companies,<br />

die wesentlich einfacher zu handhaben sind und<br />

dem Management mehr, den Minderheitsgesellschaftern<br />

aber weniger Rechte geben, mit Geschäftsleitung in<br />

Deutschland zu Tausenden in den hiesigen Registern eingetragen<br />

werden, wie es in den Niederlanden und Skandinavien<br />

bereits geschehen ist. Dort haben die örtlichen Anwälte,<br />

soweit sie sich nicht schleunigst in das englische<br />

Recht eingearbeitet haben, die gesellschaftsrechtliche Beratung<br />

dieser Gesellschaften an die holländischen oder skandinavischen<br />

Büros englischer Kanzleien verloren.<br />

IV. Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Auch Landschaft<br />

und Denken der Anwaltschaft haben sich drastisch<br />

verändert und sind mehr und mehr angelsächsisch geworden,<br />

bei uns und im übrigen Europa. In allen diesen Ländern sind<br />

inzwischen Groß- und Größtkanzleien von mehreren hundert<br />

Anwälten vertreten, meist unter englischer oder amerikanischer<br />

Führung. Die größte Kanzlei der Welt, hervorgegangen<br />

aus der Fusion von drei Kanzleien in England, Deutschland<br />

und den USA, ist heute mit über 3.000 Anwälten in 26 Ländern<br />

tätig. In diesen weltweit operierenden Kanzleien lassen<br />

die Londoner Partner die ersten Entwürfe für komplexe Verträge<br />

auf der Grundlage der in der Kanzleisoftware gespeicherten<br />

Muster von sog. Paralegal-Mitarbeitern über Nacht<br />

in Indien fertigen – das ist schneller und billiger als in London.<br />

Gewiss, in Deutschland liegt die Zahl der in Großkanzleien<br />

tätigen Anwälte, je nach Abgrenzung, nur bei etwa 5<br />

bis 8 % der Gesamtanwaltszahl, doch prägen diese Kanzleien<br />

vielerorten das Erscheinungsbild der Anwaltschaft, insbesondere<br />

in der Berichterstattung der Medien. Zudem haben<br />

diese Kanzleien mit ihrem stark wettbewerblich, kommerziell<br />

ausgerichteten Auftritt das Verhalten vieler kleinerer<br />

Kanzleien, bis hin zu Einzelanwälten, entscheidend beeinflusst,<br />

wie bei den Beratungen der Satzungsversammlung zur<br />

Berufsordnung für Rechtsanwälte immer wieder deutlich geworden<br />

ist.<br />

Großkanzleien prägen das Bild des<br />

Anwalts in den Medien<br />

Wer da meint, der entscheidende Anstoß für die Entwicklung<br />

zu Großkanzleien in Deutschland liege in der<br />

Entscheidung des BGH zur überörtlichen Sozietät aus dem<br />

Jahre 1989 6 , der irrt. Der Anstoß zum Wachstum durch<br />

überörtliche Fusionen, das schneller ist als internes Wachstum,<br />

kam aus London. Dort war nämlich in den 60er Jahren<br />

eine Regelung im englischen Companies Act aufgehoben<br />

worden, wonach eine Anwaltskanzlei nicht mehr als zwanzig<br />

Partner haben durfte. Dieser Federstrich des englischen<br />

Gesetzgebers hatte weitreichende Folgen: Die Solicitor<br />

Firms in London, im Gegensatz zu den Barristers ganz<br />

überwiegend auf die Beratungstätigkeit ausgerichtet, wuchsen<br />

explosionsartig und gründeten Büros auf dem europäischen<br />

Kontinent und in der ganzen Welt. Die Folge war<br />

eine Welle von Kanzleifusionen in den Niederlanden. Der<br />

Wettbewerbsdruck durch die wesentlich größeren und leistungsfähigeren<br />

englischen und niederländischen Kanzleien<br />

und zusätzlich durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

zwang die deutschen Kanzleien zu überörtlichen Zusammenschlüssen,<br />

um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es war<br />

also letztlich die Aufhebung einer berufsrechtlichen<br />

Schranke in England, die die Anwaltslandschaft dort und<br />

im übrigen Europa entscheidend verändert hat.<br />

V. Damit nicht genug der Veränderungen. Es ist zu einer zunehmenden<br />

Änderung des berufsrechtlichen Verhaltens und<br />

damit verbunden zu einer Erosion des derzeitigen Berufsrechts<br />

gekommen. Begünstigt worden ist diese Entwicklung<br />

dadurch, dass es eine Harmonisierung des anwaltlichen Berufsrechts<br />

in Europa bisher nicht gibt. Der Code of Conduct<br />

des CCBE gilt nämlich nur für die grenzüberschreitende,<br />

nicht für die nationale Tätigkeit eines Anwalts. Er ist auch<br />

insoweit keine Vollharmonisierung, sondern beschränkt sich<br />

vielfach auf Prinzipien und lässt in den Details nationale<br />

Abweichungen zu. Vor allem: Neben der selbst gesetzten<br />

Berufsordnung gelten für die Anwaltschaft in jedem Land<br />

die nationalen Gesetze. Deshalb ist – und dies wird in der<br />

Dienstleistungs- und der Niederlassungsrichtlinie sowie im<br />

CCBE Code of Conduct ausdrücklich anerkannt – der<br />

grenzüberschreitend tätige Anwalt zwei Berufsrechten unterworfen,<br />

dem seines Heimatlandes und dem des Ziellandes,<br />

in dem er als reisender oder niedergelassener Anwalt<br />

tätig ist. Der Glaube, dass die Berufsrechte in den einzelnen<br />

Ländern identisch sind, ist ein Irrglaube. Auf dem Kontinent<br />

hat das Berufsrecht mehr das Organ der Rechtspflege im<br />

Auge, in England und in den skandinavischen Ländern<br />

mehr den Anwalt als Dienstleister. 7<br />

Fehlende Harmonisierung führt zu<br />

einer Erosion des Berufsrechts<br />

Hierzu einige Beispiele: In Frankreich und anderen romanischen<br />

Ländern kann der Anwalt vom Mandanten nicht<br />

von der Verschwiegenheitspflicht entbunden werden, in den<br />

meisten anderen Ländern hingegen wohl, weil der Anwalt<br />

als Dienstleister oder der Mandant als Herr des Geheimnisses<br />

angesehen wird.<br />

Noch größere Unterschiede bestehen bei dem Verbot des<br />

Interessenkonflikts. Wir Deutschen heben bekanntlich darauf<br />

ab, ob es sich ganz oder teilweise um dieselbe Rechtssache<br />

handelt. Das österreichische Recht verbietet jede auch<br />

nur wirtschaftliche Interessenkollision. Das französische<br />

Recht hebt wie das deutsche Recht auf dieselbe Rechtssache<br />

ab, nimmt aber bei ungleichzeitigen Mandaten eine Einschränkung<br />

vor. Ist das frühere Mandat beendet, dann ist<br />

dem Avocat die Tätigkeit für den neuen Mandanten in derselben<br />

Rechtssache nur verboten, wenn Informationen aus<br />

dem früheren Mandat in ihrer Vertraulichkeit gefährdet sind<br />

oder in nicht gerechtfertigter Weise zu Vorteilen für den<br />

neuen Mandanten führen würden. Daneben kennt das<br />

französische Recht zusätzlich das Institut der “Délicatesse“. 8<br />

In England ist der Interessenkonflikt zunächst einmal ein<br />

Konflikt zwischen zwei zivilrechtlichen Pflichten des An-<br />

4 EuGH NJW 2002, 3614 ff<br />

5 EuGH NJW 2003, 3331 ff<br />

6 BGH NJW 1989, 2890 ff<br />

7 Zum Folgenden siehe auch Hellwig BRAK-Mitt. 2002, 52 ff<br />

8 Vgl. BVerfG NJW 2003, 2520 ff


216<br />

MN<br />

walts bzw. der Kanzlei, nämlich der Pflicht, das, was man<br />

von Mandant A erfahren hat, vertraulich zu behandeln, und<br />

der Pflicht, dem Mandanten B alles offenzulegen, was man<br />

an Nützlichem für seinen Fall weiß, einschließlich der Informationen<br />

von Mandant A, und umgekehrt. Hier handelt<br />

es sich um Vertragsansprüche, so dass jeder Mandant sich<br />

damit einverstanden erklären kann, dass ihm die Informationen<br />

des anderen Mandanten nicht offengelegt werden.<br />

Dieser Verzicht wird in der Praxis häufig ausgesprochen,<br />

insbesondere wenn zwischen den Anwälten, die für die beiden<br />

Mandanten tätig sind, sog. Chinese Walls errichtet werden.<br />

Neben diesem Konflikt der zivilrechtlichen Anwaltspflichten<br />

gibt es das berufsrechtliche Verbot, in einem<br />

Konflikt von Mandanteninteressen tätig zu sein. Dieses berufsrechtliche<br />

Verbot ist unverzichtbar. Jedoch: Wenn beide<br />

Mandanten die zivilrechtliche Kollision zwischen Vertraulichkeits-<br />

und Offenlegungspflicht durch Einverständnis geregelt<br />

haben, bleibt der weiterhin bestehende berufsrechtliche<br />

Verstoß ohne Folgen – die Law Society of England<br />

and Wales wird in der Praxis nur auf Antrag tätig. Ein solcher<br />

Antrag wird auch von solchen Mandanten, die mit der<br />

kollidierenden Tätigkeit nicht einverstanden sind, nicht gestellt<br />

werden, denn die Law Society kann die kollidierende<br />

Tätigkeit nicht verhindern, sondern nur ahnden. Diese Mandanten<br />

versuchen vielmehr, ihre zivilrechtlichen Vertraulichkeitsansprüche<br />

im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes<br />

vor Gericht durchzusetzen. Für die Praxis bedeutet dies:<br />

Sind die Mandanten einverstanden, dann sind viele der großen<br />

Londoner Kanzleien interessenkollidierend tätig.<br />

Es gibt einen Wettbewerb<br />

europäischer Berufsrechte<br />

Auf dem Gebiet anwaltlicher Werbung geht die Bandbreite<br />

in Europa von völligem Verbot bis hin zu völliger,<br />

uneingeschränkter Liberalisierung. Bei den Spezialistenbezeichnungen<br />

sieht es ähnlich aus. Einige Länder verbieten<br />

sie völlig, andere haben Fachanwaltsregelungen, wieder andere<br />

kennen die Spezialistenbezeichnung kraft – zutreffender!<br />

– Selbsteinschätzung. 9<br />

Diese Unterschiede führen dazu, dass der Wettbewerb<br />

innerhalb der europäischen Anwaltschaft auch ein Wettbewerb<br />

der europäischen Berufsrechte ist, und dabei ist das<br />

strengere Berufsrecht gegenüber dem liberaleren Berufsrecht<br />

bzw. gegenüber der liberaleren Berufsrechtspraxis im<br />

Nachteil. Um es noch einmal zu betonen: Berufsrecht in<br />

diesem Sinne sind nicht nur die vom Beruf selbst geschaffenen<br />

Berufsordnungen, sondern auch nationale Gesetze,<br />

soweit sie das berufliche Verhalten von Anwälten regeln.<br />

VI. Der genannte Wettbewerb zeigt sich in vielen Einzelpunkten.<br />

Dass Anwaltskanzleien mit ihren Umsätzen werben,<br />

geht auf die Praxis im angelsächsischen Markt zurück,<br />

genauso wie das Zeithonorar. 10 Der Kapitalmarkt kennt den<br />

sogenannten “Tombstone“ (Grabstein). Dies ist nicht etwa<br />

ein Gedenkstein für die zahllosen Opfer des Kapitalmarkts,<br />

sondern eine Zeitungsanzeige, mit der der Abschluss einer<br />

Emission oder einer M&A-Transaktion bekanntgegeben<br />

wird. Dabei werden nicht nur die Finanzberater, sondern zunehmend<br />

auch die eingeschalteten Anwaltskanzleien genannt.<br />

Bei der Einwerbung von Mandaten im sog. Schönheitswettbewerb<br />

– inzwischen auch bei mittelgroßen und<br />

kleineren Mandaten weit verbreitet – werben Anwälte mit<br />

AnwBl 4/2004<br />

Thema<br />

Referenzmandaten. Wen das stört, der sollte bedenken: Bei<br />

Börsentransaktionen werden kraft börsenrechtlicher Vorschriften<br />

und weltweiter Übung die Namen der tätigen Anwaltskanzleien<br />

im Prospekt veröffentlicht, und die Offenlegung<br />

von Referenzmandaten wird durch das europäische<br />

und nationale Vergaberecht sogar gesetzlich gefordert. Was<br />

die Machtverhältnisse innerhalb internationaler Kanzleien<br />

angeht, sind in den meisten Fällen die englischen Partner liberaler<br />

als die kontinentaleuropäischen, und das englische<br />

Berufsrecht, jedenfalls die englische Berufsrechtspraxis, ist<br />

liberaler als das Berufsrecht der anderen beteiligten Länder.<br />

Die Folge ist: Die Praxis wird stark vom englischen Berufsrecht<br />

geprägt. Dass die anderen nationalen Berufsrechte<br />

deshalb überall vielfach faktisch erodieren, liegt wohl auch<br />

daran, dass gegen die nationalen Berufsrechtsverstöße der<br />

internationalen Sozietäten von Seiten der Anwaltsorganisationen<br />

nur selten, und dann meist in Äußerlichkeiten wie<br />

der Gestaltung des Briefkopfes, vorgegangen wird. Will<br />

man sich nicht mit den Großkanzleien anlegen? Weiß man<br />

mangels Beschwerden keine Einzelheiten? Hat man vielleicht<br />

auch ein wenig den Glauben an das eigene Berufsrecht<br />

und dessen Überlebensfähigkeit im gesamteuropäischen<br />

Anwaltsmarkt und -wettbewerb verloren?<br />

Wir haben es mit einer Gesamtentwicklung zu tun, die<br />

vielfach als Kommerzialisierung der Anwaltschaft bezeichnet<br />

worden ist. Auf die Konsequenzen und Gefahren, die<br />

sich aus dieser Entwicklung für traditionelle Grundwerte<br />

im Verständnis vom Rechtsanwalt ergeben können, ist seit<br />

Ende der 90er Jahre auf der Ebene der weltweit tätigen International<br />

Bar Association und der nationalen Anwaltsorganisationen,<br />

auch in Europa und insbesondere hier in<br />

Deutschland – ich erinnere an die Anwaltstage der letzten<br />

Jahre -, mehrfach und in verschiedensten Formen hingewiesen<br />

worden, von Informationsveranstaltungen bis hin zu<br />

Resolutionen – Stichwort: Kommerz versus Ethos. Als jemand,<br />

der sich dabei stark engagiert hat 11 , muss ich feststellen:<br />

Bewirkt hat dies in der Anwaltschaft wenig, in der Öffentlichkeit<br />

gar nichts.<br />

Treibende Kraft dieser Entwicklung für Europa war und<br />

ist, wie gesagt, die Praxis der großen Londoner Kanzleien.<br />

Diese haben sich in diesen Fragen, die von der der Expertise<br />

auf den Feldern der anwaltlichen Tätigkeit sehr wohl<br />

zu unterscheiden sind, am Markt und im Wettbewerb als<br />

überlegen erwiesen. Man sollte einmal den Gründen für<br />

diese Überlegenheit nachgehen. Liegen sie in der englischen<br />

Kaufmannsmentalität, die an der Wiege des Britisch<br />

Empire Pate stand? Oder liegen die Gründe in der Zweiteilung<br />

des englischen Anwaltsberufs – hier der Barrister, der<br />

im wesentlichen nur vor Gericht tätig ist, dort der Solicitor,<br />

der ohne Monopol und im Wettbewerb mit anderen Beratungsberufen<br />

das Beratungsgeschäft betreibt? Mit dieser<br />

Frage will ich andeuten, dass es bei der jetzt festzustellenden<br />

Entwicklung außerhalb Englands mittel- und langfristig<br />

vielleicht auch um die Einheitlichkeit des Anwaltsberufs<br />

und die Einheitlichkeit des anwaltlichen Berufsrechts geht.<br />

Wenn zu lesen war, dass eine der Londoner Großkanzleien<br />

mit weltweiten Büros auf dem Kapitalmarkt bzw. bei Banken<br />

150 Mio Dollar (in 2002) und dann noch einmal (in<br />

2003) 50 Mio Pfund aufgenommen hat, dann ist dies sicher<br />

ein Extremfall, aber gewiss kein Einzelfall. Derselbe Berufsstand<br />

wie ein nationaler Einzelanwalt? Dasselbe Berufs-<br />

9 Im Einzelnen siehe Hellwig, Beilage zum AnwBl. 4/2002, 23 ff<br />

10 Hellwig AnwBl. 1998, 623 ff<br />

11 Vgl. Hellwig Sonderheft zu AnwBl. 2/2000, 29 ff; AnwBl. 2000, 705 ff


AnwBl 4/2004 217<br />

Thema MN<br />

recht für beide Organisationsformen anwaltlicher Betätigung?<br />

Ein Grundproblem scheint mir zu sein, dass die Berufsrechte<br />

aller Länder, was Rechte und Pflichten des Anwalts<br />

angeht, historisch bedingt am Einzelanwalt anknüpfen, unabhängig<br />

von der Organisationsform der anwaltlichen Tätigkeit<br />

und deren Größe. Die Situation von heute wird aber<br />

am<br />

Das Anwaltsbild der Öffentlichkeit<br />

löst sich vom Einzelanwalt<br />

Markt und zunehmend in den Augen der Öffentlichkeit<br />

nicht mehr durch den einzelnen Anwalt geprägt, sondern<br />

durch die Kanzlei. Die Kanzlei ist Träger der Mandate, der<br />

ausländischen Büros etc. Und die Kanzlei ist eindeutig stärker<br />

als der einzelne, in ihr tätige Anwalt. Wer setzt bei berufsrechtlichen<br />

Meinungsverschiedenheiten in der Kanzlei<br />

unterhalb der Ebene der eindeutigen Strafbarkeit freiwillig<br />

seinen Arbeitsplatz aufs Spiel, zumal in der heutigen Zeit?<br />

Dies gilt umso mehr, als sich mit wachsender Größe der<br />

Kanzlei die Rolle des einzelnen Anwalts verändert. Je<br />

größer die Kanzlei, umso mehr werden die allermeisten<br />

Anwälte – überspitzt formuliert – zu leitenden Angestellten<br />

mit Kapital- und Gewinnbeteiligung. Dies ist zwangsläufig<br />

– ab einer gewissen Größe bedarf jede Kanzlei gewisser<br />

Management- und Hierarchiestrukturen, wenn nicht Chaos<br />

herrschen soll. Mit der Identifizierung des Problems ist<br />

aber für die Lösung noch nichts gewonnen. Wie schwierig<br />

schon im nationalen Bereich die Anknüpfung der Anwaltsrechte<br />

und -pflichten bei der Sozietät, der Partnerschaft<br />

oder der GmbH selbst sein würde, hat sich bei den Beratungen<br />

der Satzungsversammlung zu § 33 BORA gezeigt. Bei<br />

international zusammengesetzten Organisationsformen anwaltlicher<br />

Tätigkeit sind die Probleme noch viel schwieriger.<br />

Soweit der Blick sozusagen auf die innere Situation der<br />

Anwaltschaft – ein diffuses Bild mit teilweise zentrifugalen<br />

Tendenzen und vielfachen Erosionen des nationalen Berufsrechts<br />

in der Praxis.<br />

B. Der Druck von aussen auf die Anwaltschaft<br />

I. Auch von außen gerät die Anwaltschaft, nicht nur bei<br />

uns, sondern in ganz Europa und weltweit, mit ihren Grundwerten<br />

Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Verbot von<br />

Interessenkollision, zwischen denen vielfache Wechselbeziehungen<br />

bestehen, zunehmend unter Druck. Dabei muss<br />

man sich vergegenwärtigen, dass die sog. Anwaltsvorrechte,<br />

insbesondere die Durchsuchungs- und Beschlagnahmefreiheit<br />

der anwaltlichen Akten und das anerkannte<br />

Recht zur Zeugnisverweigerung, als wesentliche Flankierungsmaßnahmen<br />

zur Sicherung der anwaltlichen Verschwiegenheit<br />

keine Vorrechte des Anwalts darstellen, wie<br />

sie vielfach missverstanden und teilweise von der Anwaltschaft<br />

selbst dargestellt werden. Ausgangspunkt ist vielmehr<br />

die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht, die dem Anwalt<br />

im Interesse des Rechtsstaates und der Mandanten auferlegt<br />

wird. Wir alle sollten deshalb darauf bedacht sein, mehr<br />

von den Grundpflichten eines Rechtsanwalts zu sprechen.<br />

Aus der Verschwiegenheitspflicht leitet sich im Interesse<br />

des Rechtsstaats und des Mandanten das Recht auf Durchsuchungs-<br />

und Beschlagnahmefreiheit und auf Zeugnisverweigerung<br />

ab.<br />

Bevor ich im einzelnen auf die Angriffe auf anwaltliche<br />

Grundwerte eingehe, auch hier ein kurzer Blick auf das<br />

Umfeld, denn diese Angriffe sind eingebettet in eine Gesamtentwicklung,<br />

bei der es um das Verhältnis zwischen individueller<br />

Freiheit einerseits und kollektiver Sicherheit andererseits<br />

geht, etwa die Bekämpfung von Terrorismus,<br />

Drogenhandel, Schwerkriminalität, Geldwäsche usw. Schon<br />

seit Jahren geht das Pendel immer mehr in Richtung öffentliche<br />

Sicherheit, erst recht nach den Terroranschlägen vom<br />

11. September 2001. In einem Vortrag auf dem Münchener<br />

Anwaltstag von 2002, dem ersten öffentlichen Vortrag nach<br />

ihrem Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht, hat<br />

Jutta Limbach eindringlich gewarnt, das Verhältnis zwischen<br />

kollektiver Sicherheit und individueller Freiheit<br />

müsse ausgewogen sein und der Rechtsstaat dürfe nicht<br />

zum Präventionsstaat verkommen 12 . Es ist gut, dass die Öffentlichkeit<br />

in dieser Frage inzwischen etwas problembewusster<br />

geworden ist.<br />

Diese zunehmende Zurückdrängung von individuellen<br />

Freiheitsrechten im Allgemeinen hat eine Parallele bei der<br />

Anwaltschaft im Besonderen. Der große Lauschangriff auf<br />

die anwaltliche Verschwiegenheit wurde 1997/98 nach heftigen<br />

Diskussionen in der Öffentlichkeit abgewehrt. Kaum<br />

einer nimmt heute mehr Notiz davon, dass ähnliche<br />

Abhörmöglichkeiten in die Polizeigesetze der Länder eingeführt<br />

werden sollen.<br />

Wie anwaltliche Grundwerte<br />

bewahren?<br />

II. Inzwischen geht es nicht nur um die Duldung von<br />

Abhörmaßnahmen, sondern um anwaltliche Meldepflichten.<br />

Als die EU-Kommission 1998 ihren Entwurf einer Charta<br />

für die freien Berufe vorlegte, wollte sie verlangen, dass<br />

ein Anwalt beim Risiko ungesetzlichen oder gar strafbaren<br />

Verhaltens des Mandanten das Mandat niederlegen musste;<br />

der bloße Beratungshinweis auf die Gesetzeswidrigkeit<br />

oder gar Strafbarkeit wäre unzulässig gewesen. Die entsprechende<br />

Vorschrift wurde schließlich dahin geändert,<br />

dass der Anwalt zu prüfen hat, ob er nach seinem Berufsrecht<br />

zur Niederlegung verpflichtet ist.<br />

Heiß umstritten war der Entwurf von 1999 zur Änderung<br />

der Geldwäscherichtlinie von 1991, bei dem es vor allem<br />

um die Einführung einer anwaltlichen Verdachtsmeldepflicht<br />

ging. Bei den Beratungen im CCBE hierüber waren<br />

die Diskussionsbeiträge der Vertreter der EU-Beitrittsländer<br />

besonders eindrucksvoll. Sie verwiesen auf die Geschichte<br />

dieser ehemaligen Ostblockstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />

Alle diese Staaten arbeiteten mit Spitzeln und Spionen,<br />

doch keiner ging soweit, Meldepflichten kraft Berufszugehörigkeit<br />

aufzuerlegen. Das gab es, soweit ich sehe,<br />

auch nicht im Dritten Reich. Einer dieser Anwälte aus Osteuropa,<br />

ein älterer Kollege, formulierte, ihm sei ein Leben<br />

in Freiheit mit allen damit verbundenen Risiken lieber als<br />

ein Leben im sicheren Gefängnis. Diese Äußerung zeigt,<br />

welche Bedeutung unser Gesamtthema für den Einzelnen je<br />

nach seiner Herkunft und Geschichte haben kann. Insofern<br />

besteht zwischen diesem osteuropäischen Anwaltskollegen<br />

und dem eingangs von mir erwähnten Anwalt aus Jamaika<br />

durchaus eine Querverbindung.<br />

12 Limbach AnwBl. 2002, 454 ff


218<br />

MN<br />

Mit dem 11. September 2001 war die politische Auseinandersetzung<br />

entschieden. Vor allem dem Einsatz des<br />

EP-Berichterstatters Lehne ist es zu verdanken, dass die anwaltliche<br />

Verschwiegenheit zumindest in Umsetzungswahlrechten<br />

für die einzelnen Mitgliedsstaaten einigermaßen<br />

hoch gehalten werden konnte. 13<br />

Natürlich führt die unterschiedliche Ausnutzung dieser<br />

Wahlrechte zu einer von Land zu Land unterschiedlichen<br />

Reichweite der Verdachtsmeldepflicht. Es kommt zu einem<br />

Flickenteppich. Deutschland hat alle Umsetzungswahlrechte<br />

zugunsten der anwaltlichen Verschwiegenheit ausgenutzt,<br />

mit der einzigen Ausnahme, dass der Anwalt den<br />

Mandanten nicht von der erfolgten Verdachtsmeldung in<br />

Kenntnis setzen darf. In Holland hingegen hat die Umsetzung<br />

insbesondere bei den Identifizierungspflichten zu<br />

nachgerade polizeistaatlichen Ergebnissen geführt. Die weitestehenden<br />

Meldepflichten hat England. Dort besteht eine<br />

Meldepflicht nicht nur bei Verdacht auf eine künftige Straftat,<br />

sondern auch bei Verdacht auf eine bereits begangene<br />

Straftat. In diesem Sinne hat jedenfalls ein englisches Gericht<br />

vor einigen Monaten das Gesetz ausgelegt und den betreffenden<br />

Anwalt für einige Jahre ins Gefängnis geschickt.<br />

Die Pflicht zur Verschwiegenheit wird<br />

durchlöchert<br />

Dies führt mich zu einem besonders dringenden Problem<br />

bei jeder Form der grenzüberschreitenden Anwaltstätigkeit,<br />

nämlich dem Konflikt zwischen Meldepflicht nach dem<br />

Recht des einen Landes und der Verschwiegenheitspflicht<br />

nach dem Recht des anderen Landes. Ein deutscher Rechtsanwalt,<br />

in London niedergelassen tätig, ist nach englischem<br />

Recht in einem Umfang meldepflichtig, der weit über die<br />

Meldepflicht nach deutschem Recht hinausgeht. Er unterliegt<br />

daneben der deutschen Verschwiegenheitspflicht. Beide<br />

Rechtspflichten sind strafbewehrt – ein unlösbarer Konflikt<br />

für den Betroffenen. Ein weiteres Beispiel: Die Einhaltung<br />

der Meldepflichten nach englischem Recht wird von der<br />

englischen Law Society, die damit Wirtschaftsprüfer beauftragt,<br />

auch bei den Solicitors überwacht, die auf dem Kontinent<br />

niedergelassen tätig sind und deshalb der dortigen<br />

Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Wiederum ein unlösbarer<br />

Konflikt. Diese widersprüchliche Berufsrechtslage<br />

macht nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Anwälten<br />

verschiedener Berufsordnungen in einer Anwaltskanzlei<br />

schwierig, sie ist auch eine Gefahr für die Zusammenarbeit<br />

im Mandat zwischen Anwaltskanzleien verschiedener Länder.<br />

Darf ein deutscher Rechtsanwalt vertrauliche Mandanteninformationen<br />

an seinen englischen Korrespondenzkollegen<br />

geben, wenn er damit rechnen muss, dass dieser<br />

daraufhin den Staatsanwalt informieren wird?<br />

Die Harmonisierung der Meldepflichten in Europa<br />

würde diese Konfliktprobleme lösen, allerdings zu Lasten<br />

des Umfangs der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht<br />

und zu Lasten der rein nationalen Anwaltstätigkeit. Aus der<br />

Sicht von Anwälten mit geringeren Meldepflichten und höherem<br />

Verschwiegenheitsschutz als in England und aus der<br />

Sicht ihrer Mandanten kann dies nicht erwünscht sein. Ich<br />

habe deshalb vorgeschlagen, in die Dienstleistungs- und die<br />

Niederlassungsrichtlinie so, wie es bei der E-Commerce-<br />

Richtlinie bereits geschehen ist, eindeutige Konfliktsregeln<br />

einzuführen – vergleichbar denen des internationalen Privatrechts<br />

-, die, soweit irgend möglich, für die grenzüber-<br />

schreitende Beratungstätigkeit innerhalb der Dienstleistungsrichtlinie<br />

nur das Heimatrecht und innerhalb der<br />

Niederlassungsrichtlinie nur das Ziellandrecht zur Anwendung<br />

berufen. Dieser Vorschlag wird jetzt beim CCBE<br />

geprüft, dessen Mitglieder sich damit schwer tun. Auch die<br />

EU-Kommission hat inzwischen das Problem der sog. Double<br />

Deontology – d. h. des divergierenden oder gar widersprüchlichen<br />

Berufsrechts – als Hindernis für die grenzüberschreitende<br />

Dienstleistungstätigkeit erkannt. Ich komme<br />

darauf zurück.<br />

III. Das Schlüsselerlebnis, das die neue Geldwäscherichtlinie<br />

von 2001 für die Anwaltschaft in Europa gewesen ist,<br />

waren für die amerikanische Anwaltschaft der Sarbanes-<br />

Oxley Act von 2002 und die nachfolgende Verordnung der<br />

Die Entwicklung in den USA<br />

AnwBl 4/2004<br />

Thema<br />

amerikanischen Securities and Exchange Commission<br />

(SEC) zur Regulierung des Verhaltens anwaltlicher Berater.<br />

Auf die vielfachen Probleme der grenzüberschreitenden<br />

Wirkung und Kollision dieser Verordnung möchte ich nicht<br />

näher eingehen, sondern beschränke mich auf Folgendes.<br />

Der Entwurf sah vor, dass ein Anwalt Verletzungen von<br />

wesentlichen Rechtspflichten durch das Unternehmen unternehmensintern<br />

melden muss, sozusagen „die Leiter hoch“<br />

(up the ladder) bis zum Board of Directors. Die Meldungen<br />

und die gegenseitige Reaktion muss der Anwalt schriftlich<br />

dokumentieren. Dies ist das sog. „internal reporting“. Bleiben<br />

die Meldungen insgesamt erfolglos, musste der Anwalt<br />

nach dem Entwurf das Mandat niederlegen und dies der<br />

SEC als „Mandatsniederlegung aus berufsrechtlichen<br />

Gründen“ mitteilen – sog. „noisy withdrawal“ -, woraufhin<br />

die SEC hätte die Meldedokumentation beschlagnahmen<br />

und gegen die Verantwortlichen im Unternehmen vorgehen<br />

können. Gegen die Pflicht zum noisy withdrawal ist die<br />

amerikanische Anwaltschaft Sturm gelaufen und hat dabei<br />

die Unterstützung des CCBE und der IBA gefunden. Die<br />

geschlossene Ablehnung der Pflicht zum sog. noisy withdrawal,<br />

d. h. der externen Meldepflicht, hat übrigens dazu<br />

geführt, dass die SEC einstweilen darauf verzichtet hat und<br />

jetzt als Alternative darüber nachdenkt, den anwaltlichen<br />

Berater nur zur internen Mandatsniederlegung zu verpflichten.<br />

Der amerikanische Gesetzgeber hat im sog. Patriot Act<br />

für das gesamte Wirtschaftsleben weitgehende Meldepflichten<br />

eingeführt, die über die bei uns bestehenden Meldepflichten<br />

noch weit hinausgehen. Die amerikanische Regierung<br />

ist derzeit bemüht, die amerikanischen Anwälte in<br />

dieses Meldesystem einzubeziehen – die sog. Gatekeeper<br />

Initiative. Ziel ist es, Anwälte und andere Gatekeeper, d. h.<br />

Inhaber besonderen öffentlichen Vertrauens, in das staatliche<br />

Überwachungssystem einzubinden. Orwell lässt grüßen.<br />

C. Liberalisierung des Berufsrechts<br />

I. Ein für die Anwaltschaft besonders wichtiges rechtspolitisches<br />

Thema der jüngeren Vergangenheit ist das Verhältnis<br />

zwischen Wettbewerbsrecht und Berufsrecht. Schon seit<br />

mehr als fünf Jahren interessieren sich die nationalen Wettbewerbsbehörden<br />

der Mitgliedsstaaten für das Berufsrecht<br />

der freien Berufe, insbesondere der Anwälte. In Dänemark,<br />

13 Für Einzelheiten zur Geschichte der Richtlinie siehe Hellwig AnwBl. 2002,<br />

144 ff mwN


AnwBl 4/2004 219<br />

Thema MN<br />

den Niederlanden, Irland und Norwegen haben diese<br />

Behörden zahlreiche Regelungen der anwaltlichen Tätigkeit<br />

zum Teil heftig kritisiert. Die Kritik betraf vor allem das<br />

gesetzliche oder verbandsrechtliche Verbot des Erfolgshonorars<br />

und der quota litis. Darum geht es auch bei einem<br />

wettbewerbsrechtlichen Gerichtsverfahren in Spanien. Der<br />

besonders umfangreiche Bericht des Londoner Office of<br />

Fair Trading vom März 2001 stellte eine ganze Anzahl von<br />

anwaltlichen Regeln aus Gründen des Wettbewerbsrechts in<br />

Frage. Es geht neben dem – bei uns nicht bestehenden –<br />

Verbot interprofessioneller Sozietäten um die Werbebeschränkungen<br />

und unverbindlichen Gebührenempfehlungen<br />

der Law Society, das Institut des Queen’s Counsel bei<br />

den Barristers, das Verbot für Solicitor, vor den meisten<br />

Gerichten aufzutreten etc. Vor dem Hintergrund, dass das<br />

englische Recht kein Rechtsberatungsmonopol kennt,<br />

wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob der Schutz der<br />

Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant durch das<br />

sog. Legal Privilege nicht einen unzulässigen Vorteil für<br />

den Solicitor im Wettbewerb mit anderen Beratungsberufen<br />

darstellt. Auch in Deutschland hat die Monopolkommission<br />

schon vor einigen Jahren eine Liberalisierung des Rechtes<br />

der freien Berufe gefordert.<br />

EU-Kommissar Monti will<br />

Berufsrecht im Wettbewerbsrecht<br />

aushebeln<br />

Die Entwicklung auf der europäischen Ebene ist durch<br />

folgende Ereignisse gekennzeichnet: 14<br />

9 Die in den Jahren 2002/2003 im Auftrag der Brüsseler<br />

GD Wettbewerb vom Wiener Institut für Höhere Studien<br />

durchgeführte Studie über die wirtschaftlichen Auswirkungen<br />

der Berufsregeln der freien Berufe,<br />

9 die Rede, mit der Wettbewerbskommissar Monti die Ergebnisse<br />

dieser Studie bei der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

im März 2003 in Berlin vorgestellt hat,<br />

9 der anschließende Fragebogen der GD Wettbewerb, zu<br />

dem aus Kreisen der freien Berufe rund 250 Antworten<br />

eingegangen sind.<br />

9 die Anhörung der GD Wettbewerb am 28.10.2003 in<br />

Brüssel 15 und<br />

9 der abschließende Bericht der GD Wettbewerb unter der<br />

Überschrift „Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen<br />

Dienstleistungen, verabschiedet von der EU-Kommission<br />

am 9.2.2004.<br />

Durch diese Entwicklung ziehen sich mehrere rote Fäden<br />

hindurch. Einer von ihnen ist die Aufforderung der GD<br />

Wettbewerb an die Berufsorganisationen und an die Mitgliedstaaten,<br />

das Berufsrecht auf Konformität mit dem<br />

Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu überprüfen und inkonforme<br />

Vorschriften aufzuheben oder anzupassen. Insofern<br />

ist von Bedeutung, dass Art. 81 EGV seinem Wortlaut<br />

nach nur an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen<br />

gerichtet ist, worunter auch Anwaltskammern, <strong>Anwaltverein</strong>e<br />

und die Satzungsversammlung fallen, jedoch nach<br />

ständiger Rechtsprechung des EuGH über Art. 3 Abs. 1 g)<br />

und Art. 10 EGV mittelbar auch für die Mitgliedstaaten gilt.<br />

Im Urteil Arduino vom 18.2.2002 16 , bei dem es um die wettbewerbsrechtliche<br />

Zulässigkeit der als staatliche Regelung<br />

qualifizierten italienischen Rechtsanwaltsgebührenordnung<br />

ging, ist der EuGH hierauf nicht näher eingegangen. Er hat<br />

jedoch die Geltung von Art. 81 EGV auch für die Mitgliedstaaten<br />

in dem späteren Urteil CIF vom 9.9.200317 stark<br />

betont und ausgeführt, dass wegen des grundsätzlichen Anwendungsvorrangs<br />

des Gemeinschaftsrechts Rechtsvorschriften<br />

des nationalen Rechts, die gegen das Wettbewerbsrecht<br />

der Gemeinschaft verstoßen, keine Anwendung<br />

finden dürfen, und dass neben der EU-Kommission auch<br />

die nationalen Wettbewerbsbehörden gehalten sind, dem<br />

Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts insoweit zur<br />

Durchsetzung zu verhelfen, indem sie gegen entgegenstehendes<br />

nationales Recht und Verhalten vorgehen. Dies ist<br />

deswegen besonders wichtig, weil ab 1.5.2004 die verwaltungsmäßige<br />

Anwendung von Art. 81 EGV in erster Linie<br />

bei den nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichten<br />

liegt. Zur Vorbereitung darauf hat die GD Wettbewerb seit<br />

gut zwei Jahren laufend Gespräche mit den nationalen<br />

Wettbewerbsbehörden geführt. Im Bericht der Kommission<br />

vom Februar 2004 heißt es, dass die GD Wettbewerb die<br />

künfige Tätigkeit der nationalen Wettbwerbsbehörden koordinieren<br />

und steuern wird und sich die Möglichkeit von<br />

Vertragsverletzungsverfahren vorbehält, wenn eine nationale<br />

Wettbewerbsbehörde – salopp formuliert – „nicht<br />

spürt“.<br />

Auch inhaltlich zieht sich durch die Aktivitäten der GD<br />

Wettbewerb ein roter Faden. Als besonders kritisch angesehen<br />

werden<br />

9 Gebührenordnungen mit verbindlichem oder empfehlendem<br />

Charakter,<br />

9 Werbebeschränkungen und<br />

9 Beschränkungen bezüglich der Rechtsform und der Zusammenarbeit<br />

mit anderen Berufen, sowie<br />

9 im Abschlußbericht vom Februar 2004 erstmals als gesonderte<br />

Rubrik erwähnt, quantitative und qualitative Beschränkungen<br />

beim Zugang zum Beruf und die Reservierung<br />

bestimmter Tätigkeitsgebiete für bestimmte Berufe<br />

(d. h. Tätigkeitsmonopole).<br />

Kommissar Monti hat angekündigt, dass die GD Wettbewerb<br />

demnächst mit den Organisationen der freien Berufe<br />

Gespräche darüber führen wird, wie ihre einzelnen berufsrechtlichen<br />

Regeln wettbewerbsrechtlich zu beurteilen<br />

sind.<br />

II. Ausgehend von der im Jahr 2000 verabschiedeten Binnenmarktstrategie<br />

der EU-Kommission für den Dienstleistungssektor<br />

und auf der Grundlage des Sachstandsberichts<br />

vom Juli 2002 hat Binnemarktkommissar Bolkestein einen<br />

für alle freien Berufe geltenden Vorschlag einer Richtlinie<br />

über die Dienstleistungen im Binnenmarkt erarbeitet, der<br />

von der Kommission am 13.1.2004 verabschiedet worden<br />

ist. Dieser Vorschlag hat sich aus Gründen des Binnenmarktes<br />

die weitere Liberalisierung bei den freien Berufen zum<br />

Ziel gesetzt. Für die Anwaltschaft ist dieser Richtlinienvorschlag<br />

in seiner Bedeutung der geltenden Dienstleistungsrichtlinie<br />

und der Niederlassungsrichtlinie vergleichbar. Ich<br />

beschränke mich im folgenden auf einige mir besonders<br />

wichtig erscheinende Einzelpunkte.<br />

14 Zu den Massnahmen der GD Wettbewerb im einzelnen siehe Hellwig BRAK-<br />

Mitt. 2004, 19 ff. und Weil BRAK-Mitt. 2003, 346 ff.<br />

15 Dazu siehe Lühn AnwBl 2003, 688 ff.<br />

16 NJW 2002, 882 ff.<br />

17 NJW 2004, 351 ff. mit Besprechungsaufsatz Koch/Eichele NJW 2004, 334 ff.


220<br />

MN<br />

Nach Kapitel I „Allgemeine Bestimmungen“ enthält Kapitel<br />

II „Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer“<br />

mehrere Artikel zur Vereinfachung der Verfahren,<br />

über etwa erforderliche Genehmigungen und darüber, welche<br />

Anforderungen im Niederlassungsstaat aufgestellt und<br />

überprüft werden dürfen und welche nicht. Art. 15 enthält<br />

eine Liste von Beschränkungen, die von den Mitgliedsstaaten<br />

gegenüber der Kommission innerhalb von zwei Jahren<br />

nach Inkrafttreten der Richtlinie gerechtfertigt werden<br />

müssen, darunter Mindest-bzw. Höchstgrenzen in Gebührenordnungen.<br />

Kapitel III „Freier Dienstleistungsverkehr“ sieht in Art.<br />

16 für die grenzüberschreitende Dienstleistungstätigkeit mit<br />

Blick auf das Berufsrecht das Herkunftslandprinzip (Recht<br />

des Dienstleistungserbringers) vor. Davon macht jedoch<br />

Art. 17 für die Anwaltschaft eine Ausnahme, weil sich<br />

diese noch nicht schlüssig geworden ist, ob sie es bei der<br />

Parallelanwendung des Berufsrechts von Herkunftsland und<br />

Zielland, wie in der Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte<br />

vorgesehen, belassen oder, wie in der E-Commerce-Richtlinie<br />

bereits geschehen und von mir, wie erwähnt,<br />

vorgeschlagen, auf das Herkunftslandprinzip<br />

umschwenken will.<br />

Liberalisierung auch ein Ziel des<br />

Binnenmarkts<br />

Besonders wichtig ist Kapitel IV „Qualität der Dienstleistungen“,<br />

das für die grenzüberschreitende und die niedergelassene<br />

Tätigkeit gleichermaßen gilt. Artikel 26 stellt<br />

sicher, dass dem Dienstleistungsempfänger bestimmte Informationen<br />

über den Dienstleistungserbringer zur Verfügung<br />

stehen. Auf Anfrage muss der dienstleistende Rechtsanwalt<br />

folgende Zusatzinformationen mitteilen: die<br />

Hauptmerkmale der Dienstleistung, den Preis oder, wenn<br />

kein genauer Preis angegeben werden kann, die überprüfbare<br />

Vorgehensweise zur Preisberechnung oder einen hinreichend<br />

ausführlichen Kostenvoranschlag, den Rechtsstatus<br />

und die Rechtsform der dienstleistenden Kanzlei und<br />

die Angabe, welche berufsrechtlichen Regeln im Herkunftsmitgliedsstaat<br />

für die Kanzlei gelten und wie diese<br />

zugänglich sind.<br />

Nach Art. 29 sind die in einigen Ländern für reglementierte<br />

Berufe noch bestehenden „Totalverbote der kommerziellen<br />

Kommunikation“ (d. h. insbesondere Werbeverbote)<br />

aufzuheben. Beschränkungen sind nur durch Standesregeln<br />

zulässig, die insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde<br />

und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des<br />

Berufsgeheimnisses des jeweiligen Berufes gewährleisten<br />

und mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.<br />

Noch bemerkenswerter ist Art. 30. Zunächst wird den<br />

Mitgliedsstaaten vorgegeben, dass multidisziplinäre Tätigkeiten<br />

grundsätzlich zulässig sind. Sodann wird aber ausdrücklich<br />

anerkannt, dass Angehörige reglementierter Berufe<br />

(z. B. Rechtsanwälte einerseits und Wirtschaftsprüfer<br />

andererseits) Beschränkungen unterworfen werden können,<br />

die zur Einhaltung der verschiedenen Standesregeln im<br />

Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Berufe erforderlich<br />

sind. Wenn multidisziplinäre Tätigkeiten erlaubt<br />

sind, müssen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass<br />

Interessenkonflikte und Unvereinbarkeiten zwischen bestimmten<br />

Tätigkeiten vermieden werden, dass die Unabhängigkeit<br />

und die Unparteilichkeit, die bestimmte Tätigkeiten<br />

AnwBl 4/2004<br />

erfordern, gewährleistet sind und dass die Anforderungen<br />

der Standesregeln für die verschiedenen Tätigkeiten miteinander<br />

vergleichbar sind, insbesondere im Hinblick auf<br />

das Berufsgeheimnis.<br />

Nach Art. 31 sollen die Mitgliedsstaaten zusammen mit<br />

der Kommission Maßnahmen ergreifen, um die Dienstleistungserbringer<br />

zu ermutigen, freiwillig Maßnahmen zur Sicherung<br />

der Qualität der Dienstleistungen zu ergreifen, insbesondere<br />

durch Zertifizierung und Evaluierung oder durch<br />

die Einführung von Qualitätssicherungssystemen und Gütesiegeln<br />

der Berufsorganisationen. Dabei ist die Entwicklung<br />

von freiwilligen europäischen Standards angestrebt.<br />

Als geradezu sensationell empfinde ich Kapitel VI<br />

„Konvergenzprogramm“. Nach Art. 39 haben die Mitgliedsstaaten<br />

die Ausarbeitung gemeinschaftsrechtskonformer<br />

Verhaltenkodices auf Gemeinschaftsebene zur Regelung<br />

insbesondere folgender Fragen zu fördern:<br />

9 Inhalt und Modalitäten kommerzieller Kommunikation<br />

(d. h. insbesondere Werbung) von Angehörigen der reglementierten<br />

Berufe und Berücksichtigung der Besonderheiten<br />

des jeweiligen Berufs, womit an Art. 29 angeknüpft<br />

wird, und<br />

9 die Standesregeln der reglementierten Berufe, die unter<br />

Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Berufs<br />

vor allem die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit<br />

und die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten<br />

sollen.<br />

Die Mitgliedsstaaten müssen die nationalen Berufsorganisationen<br />

ermutigen, die in dieser Weise auf Gemeinschaftsebene<br />

verabschiedeten Verhaltenskodices auf nationaler<br />

Ebene anzuwenden. Aus den Gesprächen mit der<br />

Kommission ist bekannt, dass Vorbild für diesen Vorschlag<br />

der CCBE Code of Conduct gewesen ist. Dessen Geltungsbereich<br />

ist bisher, wie ich ausgeführt habe, auf die grenzüberschreitende<br />

Anwaltstätigkeit beschränkt. Nach Art. 39<br />

ist dieser Regelungsbereich auf die rein nationale Anwaltstätigkeit<br />

auszudehnen.<br />

III. Vergleicht man die wettbewerbsrechtliche Sicht und die<br />

Sicht des Binnenmarktes, so ergeben sich manche Gemeinsamkeiten,<br />

aber auch Unterschiede. Monti wie Bolkestein<br />

verlangen, dass Gebührenordnungen gerechtfertigt und totale<br />

Werbeverbote aufgehoben werden müssen. Aufzuheben<br />

sind auch per se-Verbote multidisziplinärer Zusammenschlüsse.<br />

Monti und Bolkestein im Vergleich<br />

Thema<br />

Anders als Bolkestein sieht Monti qualitative und quantitative<br />

Zugangsbeschränkungen und Vorbehaltsaufgaben<br />

(Monopole) als kritisch an. Hier besteht für die deutsche<br />

Anwaltschaft Handlungsbedarf. Monti hat mehrfach erklärt,<br />

das Qualitätsargument für Zugangsschranken zum Beruf sei<br />

wenig glaubwürdig, wenn der betreffende Beruf für die anschließende<br />

Aufrechterhaltung der Qualität keine Sorge<br />

trage. Aus Kreisen der GD Wettbewerb war hierzu zu<br />

hören, wenn die Berufsorganisationen Schwierigkeiten haben<br />

sollten, die Fortbildungspflicht einzuführen oder effektiv<br />

durchzusetzen, dann spreche dies nicht gegen die Fortbildungspflicht,<br />

sondern gegen die Berufsorganisationen<br />

(und für die Übertragung dieser Aufgaben auf den Staat)<br />

oder gegen das Qualitätsargument beim Zugang zum Beruf.<br />

Wesentliche Unterschiede bestehen in systematischer<br />

Hinsicht. Bolkestein will mit seinem Richtlinienvorschlag


AnwBl 4/2004 221<br />

Thema MN<br />

sozusagen als Gesetzgeber tätig werden, Monti hingegen<br />

wendet bestehendes Recht (Art. 81 EGV) an. Bolkesteins<br />

Ziel ist der Binnenmarkt, der die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit<br />

und der Niederlassungsfreiheit der Angehörigen<br />

der freien Berufe sicherstellt. Beschränkungen dieser<br />

Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts sind nach ständiger<br />

Rechtsprechung des EuGH nur aus zwingenden Gründen<br />

des Allgemeininteresses zulässig. Montis Ziel ist die Sicherstellung<br />

des freien Wettbewerbs. Dort sind Einschränkungen<br />

aus ausreichenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig.<br />

Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn es sich um Beschränkungen<br />

handelt, die bei vernünftiger Betrachtung als<br />

notwendig angesehen werden, um die ordnungsgemäße Berufsausübung<br />

sicherzustellen, wofür im Fall des Anwaltsberufs<br />

die Unabhängigkeit, die Verschwiegenheitspflicht und<br />

das Verbot der Interessenkollision ausdrücklich genannt worden<br />

sind. Der Maßstab zur Beurteilung von Einschränkungen<br />

ist also bei der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit<br />

strenger als bei der Wettbewerbsfreiheit.<br />

Bei Monti hat man den Eindruck, als akzeptiere er die<br />

Grundaussagen des EuGH in Wouters 18 nur unwillig. Dazu<br />

hat maßgeblich beigetragen, dass er in seiner Berliner Rede<br />

die Berufsorganisationen in die Nähe von Kartellen gerückt<br />

hat.<br />

Bolkestein hingegen anerkennt, dass der Rechtsanwalt<br />

nicht nur Dienstleister für den Mandanten ist, was in dessen<br />

Interesse bestimmte Regelungen erforderlich und andere<br />

unzulässig macht, sondern auch Organ der Rechtspflege,<br />

und dass diese Funktion gegenüber dem Aspekt des kaufmännischen<br />

Dienstleisters den Vorrang hat, nicht generell,<br />

aber so weit, wie die Grundwerte und –pflichten der Anwaltschaft<br />

es erfordern.<br />

IV. Auch auf nationaler Ebene ist die Entwicklung weitergegangen.<br />

Der Berliner Appell von Monti an die Mitgliedsstaaten<br />

blieb nicht ohne Wirkung. Frau Zypries, Bundesministerin<br />

Schon jetzt<br />

nationale Auswirkungen<br />

der Justiz, hat bei ihrem Grußwort auf dem Anwaltstag<br />

Ende Mai 2003 19 unter Hinweis auf die Wiener Studie ausdrücklich<br />

erklärt, die Wesensmerkmale, die das Organ der<br />

Rechtspflege ausmachen, müssten immer wieder entsprechend<br />

der sich ändernden Realität fortentwickelt werden.<br />

Berufsrecht diene nicht dem Schutz vor Konkurrenz. Deshalb<br />

solle in dieser Legislaturperiode das Rechtsberatungsgesetz<br />

an die gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst werden.<br />

Den Wirtschaftsjuristen und Absolventen anderer<br />

juristischer Studiengänge sei der Zugang zu einer selbständigen<br />

Rechtsbesorgungstätigkeit nicht allein deshalb zu versagen,<br />

weil auch Rechtsanwälte in diesem Berufsfeld tätig<br />

sind. Es komme nur darauf an, die unterschiedlichen Qualifikationen<br />

und demzufolge die unterschiedlichen Leistungsangebote<br />

zu verdeutlichen – erinnern Sie sich daran, was<br />

Herr Monti zur Frage der Qualität der Dienstleistung gesagt<br />

hat? Auch das Berufsrecht der Anwaltschaft, so Frau Zypries,<br />

müsse fortlaufend überprüft und, wo nötig, angepasst<br />

werden, etwa beim Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen, dem Verbot der Sternsozietät und der Zulassung<br />

der Rechtsanwaltschaft beim BGH. Noch einen Schritt weiter<br />

gingen Wirtschaftsminister Clement, der ganz im Sinne<br />

Montis die gesetzlichen Gebührenordnungen prinzipiell in<br />

Frage stellte, und der Antrag von über 70 SPD-Bundestagsabgeordneten,<br />

alle Berufskammern einfach abzuschaffen.<br />

Zu einem wahren Paukenschlag ist es inzwischen in<br />

London gekommen. Am 24.7.2003 kündigte die englische<br />

Regierung Pläne an, die zu einer völligen Umgestaltung der<br />

Rechtsberatung in England und Wales führen werden. Gedacht<br />

wird daran, dass Anwaltskanzleien Nicht-Berufsträger<br />

als Partner aufnehmen und an die Börse gehen können;<br />

dass normale Wirtschaftsunternehmen – seit langem gibt es<br />

entsprechende Absichten der Supermarktkette Tesco – ihren<br />

Kunden Rechtsrat erteilen dürfen; dass interprofessionelle<br />

Sozietäten zugelassen werden; dass die Law Society und<br />

der Bar Council ihre Regulierungsbefugnisse verlieren und<br />

dass stattdessen eine Legal Services Authority geschaffen<br />

wird, vergleichbar der Financial Services Authority, die bekanntlich<br />

das Vorbild für die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

gewesen ist. Die neue Legal<br />

Services Authority wäre zuständig für die Beaufsichtigung<br />

der über 20 verschiedenen Rechtsberatungsberufe, die es in<br />

England und Wales gibt. Die Aufsicht würde also nicht<br />

mehr am Dienstleister, sondern an der Dienstleistungstätigkeit<br />

anknüpfen, was für die Berufsrechte und -pflichten<br />

Zentrale Aufsichtsbehörde<br />

in England?<br />

weitreichende Folgen haben kann. An der Regulierung<br />

durch die Legal Services Authority würden die einzelnen<br />

Berufe mitwirken, wären aber gegenüber Vertretern des öffentlichen<br />

Interesses in der Minderheit. Auslöser für diesen<br />

“Big Bang“ in London ist die große Unzufriedenheit der<br />

englischen Regierung und Öffentlichkeit mit der Arbeit der<br />

Berufsorganisationen, insbesondere von Law Society und<br />

Bar Council. Die Liste der Beschwerdepunkte ist eine bedrückende<br />

Lektüre! Besonders scharf kritisiert wird die als<br />

völlig unbefriedigend empfundene Behandlung von Mandantenbeschwerden.<br />

Das Nebeneinander der Selbstverwaltungsorganisationen<br />

der über 20 verschiedenen Rechtsberatungsberufen<br />

wird als überholt, unflexibel, überkomplex<br />

und nicht ausreichend verantwortlich und transparent bezeichnet<br />

– ein vernichtendes Urteil. Einer der wenigen positiven<br />

Punkte ist, dass das Legal Privilege und die anwaltliche<br />

Verschwiegenheitspflicht nun doch nicht angetastet<br />

werden sollen.<br />

Der Chairman einer großen Versicherungsgesellschaft,<br />

Mr. Clementi, ist mit einer umfassenden Studie in diese<br />

Zielrichtungen beauftragt worden. Er hat in diesem Thema<br />

praktische Erfahrungen, war er doch als Deputy Governor<br />

der Bank of England mit der Einführung der Financial Services<br />

Authority befasst. Mr. Clementi wird jetzt sehr kurzfristig<br />

ein Konsultationspapier veröffentlichen, zu dem die<br />

Berufsorganisationen Stellung nehmen werden, nicht nur<br />

die englischen, sondern auch der CCBE und wahrscheinlich<br />

auch die IBA. Mr. Clementi muss seinen abschließenden<br />

Bericht bis Ende 2004 vorlegen. Mit Sicherheit ist davon<br />

auszugehen, dass Mr. Clementi erhebliche Änderungen im<br />

derzeitigen System der Regulierung und in der Regulierungsdichte<br />

vorschlagen und dass jedenfalls die derzeitige<br />

englische Regierung diese Vorschläge umsetzen wird.<br />

18 NJW 2002, 877 ff.<br />

19 Zypries, AnwBl. 2003, 381 ff


222<br />

MN<br />

Diese Entwicklung in England sollte im übrigen Europa<br />

mit größter Aufmerksamkeit verfolgt werden. Es geht nicht<br />

nur um das Berufsrecht der Anwaltschaft, sondern auch um<br />

ihre Berufsorganisation und darum, dass die Selbstregulierung<br />

durch eine neue Form der Regulierung ersetzt wird,<br />

die sich in erster Linie am öffentlichen Interesse (darunter<br />

insbesondere das Verbraucherinteresse) ausrichtet und bei<br />

der die Anwälte nur noch eine Minderheitenrolle spielen.<br />

Hier gibt es manchen Berührungspunkt mit den Überlegungen<br />

von Herrn Monti. Dies zeigt sich schon äußerlich daran,<br />

dass die englische Regierung bei ihrer Ankündigung letztes<br />

Jahr ausdrücklich auf die früheren Untersuchungen der englischen<br />

Wettbewerbsbehörde Office of Fair Trading verwiesen<br />

hat. Bedenkt man, wie sehr die Entwicklung des Berufsrechts<br />

und der Berufspraxis in England, wie ich ausgeführt<br />

habe, die Entwicklungen auf dem Kontinent beeinflusst hat,<br />

dann sind mit größter Wahrscheinlichkeit auch von der jetzigen<br />

Entwicklung in England erhebliche Auswirkungen auf<br />

das übrige Europa zu erwarten. Ich gehe davon aus, dass bei<br />

dieser Entwicklung in England, insbesondere soweit es um<br />

die rechtsberatende und –besorgende Tätigkeit geht, der<br />

Dienstleistungsaspekt – der Anwalt als Kaufmann – im Vordergrund<br />

stehen wird und dass das im internationalen Maßstab<br />

liberale und damit die Wettbewerbsposition insbesondere<br />

der englischen Großkanzleien stärkende englische<br />

Berufsrecht im Interesse des internationalen Kanzleistandorts<br />

London und des englischen Rechtsexports nicht verschärft,<br />

sondern weiter liberalisiert wird.<br />

D. Resumee und Ausblick<br />

I. Der Rechtsanwalt – Organ der Rechtspflege oder Kaufmann?<br />

Der Gesamtbefund der aufgezeigten Entwicklungen<br />

ist nicht einheitlich. Die Anglisierung – ich spreche hier bewusst<br />

nicht von Angloamerikanisierung – des wirtschaftsrechtlichen<br />

Rechtsberatungs- und -besorgungsgeschäfts lässt<br />

in zunehmenden Teilen der Anwaltschaft, vor allem aber in<br />

den Augen der Öffentlichkeit angesichts des Verhaltens der<br />

besonders visiblen Großkanzleien den Kaufmann in den<br />

Vordergrund und das Organ der Rechtspflege in der Hintergrund<br />

treten. Die anwaltlichen Berufsorganisationen – dies<br />

gilt im europäischen Vergleich insbesondere auch für<br />

Deutschland – haben sich mit dieser Entwicklung nicht ausreichend<br />

befasst. Die Diagnose ist wichtig, sie ist seit einiger<br />

Zeit bekannt. Wichtiger ist die Frage, ob und wie man<br />

dieser Entwicklung zielführend entgegenwirken will und<br />

kann. Es geht um mehr als Kurzbezeichnungen, Briefkopf<br />

und Firmenschild! Hier liegt eine große Herausforderung<br />

für die Anwaltsorganisationen, nicht nur gegenüber der Anwaltschaft,<br />

sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit!<br />

Das Menetekel an der Wand<br />

Was bei den Wirtschaftsprüfern passiert ist, sollte die<br />

Anwaltschaft als Menetekel an der Wand nehmen. Die<br />

Wirtschaftsprüfer – vor allem die bildprägenden Big Eight,<br />

die es ursprünglich einmal waren – haben über lange Zeit<br />

ihr weitestgehend selbst geschaffenes Berufsrecht immer laxer<br />

gestaltet oder gehandhabt. Dies gilt insbesondere für<br />

das Thema Beratung und Prüfung gegenüber demselben<br />

Unternehmen (sog. one stop shop-Philosophie), wo sich bei<br />

den Grundwerten Unabhängigkeit und Verbot von Interessenkollisionen<br />

zentrale Probleme stellen. Die immer lauter<br />

werdenden Fragen der Öffentlichkeit hat der Berufsstand<br />

nicht hören wollen. Seitdem bei Andersen, aber auch bei<br />

anderen Gesellschaften, der Öffentlichkeit nähere Einzelheiten<br />

bekannt geworden sind, haben die Wirtschaftsprüfer<br />

weltweit das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren. Inzwischen<br />

haben die meisten Länder durch gesetzliche Maßnahmen<br />

das Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer drastisch verschärft<br />

oder sind dabei, es zu tun. In vielen Ländern haben<br />

die Wirtschaftsprüfer das Recht der Selbstregulierung verloren<br />

und sind Regulierungseinrichtungen geschaffen worden,<br />

in denen die Wirtschaftsprüfer nur noch als Minderheit<br />

vertreten sind. Wir sollten aufpassen, dass uns Anwälten<br />

nicht dasselbe passiert.<br />

Dies gilt erst recht, seit bei dem Parmalat-Skandal auch<br />

europäische Anwälte involviert sind. Bolkestein hat inzwischen<br />

nicht nur die Wirtschaftsprüfer, sondern auch die Anwälte<br />

öffentlich aufgefordert, gegen die “Gauner“ in deren<br />

Reihen vorzugehen.<br />

Wer das Berufsrecht lax nimmt,<br />

wird unglaubwürdig<br />

AnwBl 4/2004<br />

Thema<br />

II. Bei uns Anwälten tritt noch ein weiterer Aspekt hinzu,<br />

den es so bei den Wirtschaftsprüfern nicht gab, nämlich unsere<br />

systemische Stellung in einem Rechtsstaat mit Freiheitsrechten<br />

des Einzelnen und unserer Verantwortung<br />

dafür. Es ist den Anwaltsorganisationen nicht gelungen, allen<br />

unseren Berufskollegen und der Öffentlichkeit die Bedeutung<br />

des Anwalts, seiner Grundpflichten und insbesondere<br />

der anwaltlichen Verschwiegenheit für die<br />

Gesellschaft klarzumachen. Die Diskussion in den USA<br />

und in vielen anderen Ländern, ob ein Anwalt nicht auch<br />

bei drohender Gefahr für Leben und Gesundheit oder bei<br />

drohenden schweren Verbraucherschäden seine Verschwiegenheitspflicht<br />

brechen dürfe (und ggf. müsse), zeigt, dass<br />

die Öffentlichkeit in vielen Ländern die heute geltende Balance<br />

zwischen Verschwiegenheit einerseits und ihren Einschränkungen<br />

andererseits nicht mehr per se hinnimmt,<br />

sondern in Frage stellt. Wir müssen darüber mit der Öffentlichkeit<br />

ins Gespräch kommen. A priori-Positionen, mit denen<br />

aus der Sicht der Öffentlichkeit letztlich die Frage negiert<br />

wird, helfen nicht weiter. Sie erwecken vielmehr<br />

leicht den Eindruck, als gehe es der Anwaltschaft nur um<br />

die Verteidigung eigener Vorrechte. Die Öffentlichkeit hat<br />

Schwierigkeiten damit, dass die anwaltliche Verschwiegenheit<br />

sozusagen sakrosankt sein soll. Erst recht hat die Öffentlichkeit<br />

Schwierigkeiten damit, wenn sich jemand auf<br />

die anwaltliche Verschwiegenheit als Anwaltsrecht beruft,<br />

seine Anwaltspflichten aber lax handhabt.<br />

Zwischen diesen beiden Aspekten – kurz gesagt dem<br />

der Kommerzialisierung einerseits und der systemischen<br />

Verantwortung der Anwaltschaft andererseits – gibt es also<br />

eine Querverbindung. Um es auf den Punkt zu bringen:<br />

Eine Anwaltschaft, die in bildprägenden Teilen der Öffentlichkeit<br />

als Kaufmann erscheint, ist geschwächt, wenn sie,<br />

wieder systemisch gesprochen, als Organ der Rechtspflege<br />

ihre Stimme erhebt, etwa zum Thema Einschränkung von<br />

Freiheitsrechten des Einzelnen. Dies gilt insbesondere,<br />

wenn diese Freiheitsrechte die Tätigkeit des Anwalts selbst<br />

betreffen.


AnwBl 4/2004 223<br />

u<br />

„Bild“ ist keine Tageszeitung, sondern<br />

der tägliche Missbrauch der Pressefreiheit.<br />

Die Lüge ist ihre Geschäftsgrundlage,<br />

der Rufmord ihr Kapital,<br />

und das entblößte Schamhaar der lukrative<br />

Inbegriff der Aufklärung, wie<br />

sie die „Bild“-Zeitung betreibt – als<br />

Befreiung der Leser aus ihrer selbstverschuldeten<br />

Mündigkeit. Das rechtskräftige<br />

Urteil über dieses Blatt ist<br />

längst gesprochen. Der VI. Zivilsenat<br />

des Bundesgerichtshofs erkannte in<br />

ihm „Fehlentwicklungen eines Journalismus“,<br />

der die Aufgabe der Presse<br />

und ihre Verantwortung aus dem Auge<br />

verloren habe. Das war vor 23 Jahren,<br />

und seitdem ist kaum ein Tag vergangen,<br />

an dem die „Bild“-Zeitung diese<br />

Entscheidung nicht auf das Nachdrücklichste<br />

bestätigt hätte.<br />

Dem Gemeinen, heißt es, ist alles<br />

gemein und dem Schwein die ganze<br />

Welt ein Saustall. Es liegt also in der<br />

Natur der Sache, dass die „Bild“-Zeitung<br />

auch in der Betrachtung der deutschen<br />

Justiz nichts anderes als einen<br />

„Saustall“ zu erkennen vermag. Unter<br />

diesem Sudelwort führt sie seit Monaten<br />

eine in der bundesdeutschen<br />

Geschichte beispiellose Hetz- und Verleumdungskampagne<br />

gegen den Bundesgerichtshof.<br />

Einerseits ist bedrückend,<br />

dass das Blatt die jahrzehntealte<br />

höchstrichterliche Einschätzung<br />

damit nochmals unwiderleglich bestätigt.<br />

Andererseits – und das nicht weniger<br />

– ist beklemmend, dass die von<br />

dieser Perversion des Journalismus<br />

insgesamt betroffene Justiz – nicht nur<br />

die Richter und Staatsanwälte, auch<br />

die Rechtsanwälte – dem BGH mit<br />

keinem Wort zur Seite springen. BGH-<br />

Präsident Günter Hirsch hat vom<br />

Deutschen Presserat eine Rüge der<br />

„Bild“-Zeitung verlangt. Eine Rüge!<br />

Die betrachtet die Chefredaktion vermutlich<br />

mit demselben Vergnügen wie<br />

ein Krimineller seinen Steckbrief. Geboten<br />

wäre ein gemeinsamer Protest<br />

aller Organe der Rechtspflege gegen<br />

das Ausscheidungsorgan der Presse:<br />

„Bild lügt.“<br />

„Saustall Justiz“, „Skandalrichter“.<br />

Unter diesen Überschriften präsentierte<br />

das Blatt wochenlang Berichte über<br />

angeblich unbegreiflich milde Urteile<br />

zweier BGH-Strafsenate zu Sexualverbrechen.<br />

Doch bestand der Skandalwert<br />

der Entscheidungen ausschließlich<br />

in der verlogenen Darstellung der<br />

„Bild“-Zeitung. In einem Fall hatte der<br />

4. BGH-Strafsenat ein Urteil des Land-<br />

gerichts Bochum gegen einen mehrfach<br />

vorbestraften Vergewaltiger wegen<br />

eines schweren Rechtsfehlers<br />

aufgehoben. Der Angeklagte hatte in<br />

einem Schwimmbad zwei 12-jährigen<br />

Mädchen an den Po gefasst und war<br />

dafür zu zwei Jahren Freiheitsstrafe<br />

und anschließender Sicherungsverwahrung<br />

verurteilt worden. Die Freiheitsstrafe<br />

war offensichtlich überzogen,<br />

allerdings erforderlich, um die Sicherungsverwahrung<br />

anordnen zu können<br />

– das war das eigentliche Ziel der Bochumer<br />

Richter. Der 4. Strafsenat hob<br />

das Urteil mit der Begründung auf, es<br />

sei unzulässig, die Strafe über das der<br />

Schuld entsprechende Maß anzuheben,<br />

nur um damit die Voraussetzungen der<br />

Sicherungsverwahrung zu erhalten.<br />

Mit anderen Worten: Der Zweck<br />

heiligt nicht die Mittel. Das Urteil des<br />

Landgerichts habe deshalb aus zwingenden<br />

rechtlichen Gründen aufgehoben<br />

werden müssen. „Bild“ behauptet,<br />

der Mann habe nach seiner Haftentlassung<br />

erneut eine junge Frau vergewaltigt.<br />

Durch seine „skandalöse Entscheidung“<br />

trage der BGH dafür die<br />

Verantwortung: „Im Klartext: Die<br />

Richter stellen die Rechte des Triebtäters<br />

über den Schutz der Opfer“<br />

(12. Dezember 2003). Was ist für die<br />

„Bild“-Zeitung ein Mangel? Eine Lüge<br />

ohne anschließenden Rufmord. Den<br />

reichte sie in diesem Fall am 23. Januar<br />

nach: „Saustall Justiz! Richter<br />

ließen Serienvergewaltiger laufen, obwohl<br />

die Polizei warnte“ und „Wer<br />

schützt uns künftig vor solch milden<br />

Richtern“. In der Tat sind milde Richter<br />

vermutlich der einzige Grund, warum<br />

die „Bild“-Chefredaktion sich auf<br />

freiem Fuß befindet. Das nutzt sie wenige<br />

Tage später zum nächsten Rufmord-Versuch:<br />

„Schämen Sie sich,<br />

Herr Richter!“ Die beteiligten BGH-<br />

Richter wurden auf Fotos wie Verbrecher<br />

gezeigt, das vermeintliche Opfer<br />

als „Justizopfer“ bezeichnet und mit<br />

den Worten zitiert: „Diese Richter sind<br />

genau so schlimm wie mein Peiniger.“<br />

Zu Recht hat der BGH-Präsident beklagt,<br />

mit dieser Berichterstattung<br />

würde dem Gericht „letztlich Rechtsbruch<br />

angesonnen“. Denn „Bild“<br />

schwebe wohl vor, die „vom Gesetzgeber<br />

statuierten Regeln bei Sexualstraftätern<br />

zu missachten und gleichsam<br />

außer Kraft zu setzen“. So ist es.<br />

Dagegen hilft keine Rüge, dagegen<br />

hilft nur der geschlossene Protest.<br />

„Bild“ lügt<br />

Christian Bommarius, Berliner Zeitung<br />

MN


224<br />

MN ANWALTSAUSBILDUNG<br />

Anwaltsorientierte Juristenausbildung<br />

– wer zahlt dafür?<br />

Streitgespräch zwischen der Geschäftsführerin der<br />

Rechtsanwaltskammer Köln und dem DAV-Hauptgeschäftsführer zur<br />

Mitfinanzierung der Juristenausbildung durch die Anwaltschaft<br />

Die Juristenausbildung soll anwaltsorientierter<br />

werden – eine alte<br />

Forderung der Anwaltschaft. Mit der<br />

Reform des vergangenen Jahres<br />

wurde die Anwaltsstation auf mindestens<br />

neun Monate verlängert. Bei jährlich<br />

rund 10.000 neuen Referendaren<br />

kommt Arbeit auf die Anwaltschaft zu.<br />

Inzwischen trägt die Anwaltschaft zunehmend<br />

auch die Kosten der Juristenausbildung.<br />

Eine ganze Reihe von<br />

Kammern zahlen weitgehend die Honorare<br />

für Anwälte, die Arbeitsgemeinschaften<br />

leiten, oder organisieren<br />

Einführungskurse. In<br />

Nordrhein-Westfallen wird eine halbe<br />

Stelle für eine Anwältin finanziert, die<br />

Anwaltsthemen ins zweite Examen<br />

einbringt. In Hamburg will die Kammer<br />

eine jährliche Ausbildungsumlage<br />

von 25 Euro erheben. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

bat Rechtsanwältin Dr. Susanne<br />

Offermann-Burckart, Geschäftsführerin<br />

der Rechtsanwaltskammer Köln,<br />

und Dr. Dierk Mattik, Hauptgeschäftsführer<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />

zum Streitgespräch<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist es richtig, dass<br />

die Anwaltschaft dem Staat bei der<br />

Finanzierung der Juristenausbildung<br />

unter die Arme greift?<br />

Mattik: Dass die Anwaltschaft sich<br />

bei der neuen Juristenausbildung engagiert,<br />

ist eine SelbstverstaÈ ndlichkeit.<br />

Eine andere Frage ist, ob die Anwaltschaft<br />

die staatliche Juristenausbildung<br />

mitfinanzieren soll.Ich sehe keinen<br />

Grund dafuÈ r.Es gibt keine<br />

gesetzliche Verpflichtung.Oder anders<br />

ausgedruÈ ckt: Kein Land ± und es sind<br />

die LaÈ nder, die die Juristenausbildung<br />

umsetzen muÈ ssen ± koÈ nnte die in einer<br />

Kammer versammelten AnwaÈ lte dazu<br />

zwingen, finanzielle BeitraÈ ge zu erbringen.Jede<br />

Leistung der Anwaltschaft<br />

ist also freiwillig.<br />

Es gibt viele Gründe, die gegen solche<br />

freiwilligen Leistungen sprechen.<br />

Der erste ist die wirtschaftliche Situation<br />

der Anwaltschaft. Wir werden vermutlich<br />

Anfang 2004 die Zahl von<br />

130.000 zugelassenen Anwälten in<br />

Deutschland erreicht haben. Die Anwaltschaft<br />

wächst derzeit jährlich –<br />

bei Berücksichtigung zurückgegebener<br />

Zulassungen – um ca. 6.000 Anwälte<br />

netto. Diese Zunahme geht einher mit<br />

einem seit Jahren zunehmend schwierig<br />

werdenden wirtschaftlichen Umfeld:<br />

Rezession, Bevölkerungsrückgang,<br />

Arbeitsplatzabbau, aus allem<br />

resultiert ein enormer Kostendruck,<br />

sinkende Umsätze und Erlöse. In dieser<br />

Situation kann die Anwaltschaft<br />

„Jeder, der dieses<br />

System der<br />

staatlichenJuristenausbildung<br />

durch<br />

finanzielle Beiträge<br />

unterstützt, ist<br />

mitverantwortlich für<br />

die Misere der<br />

Anwaltschaft“<br />

nicht freiwillig eine staatliche Aufgabe<br />

mitfinanzieren.<br />

Offermann-Burckart: Vorweg eine<br />

Klarstellung: Ich spreche als Privatperson<br />

und nicht als offiziell entsandte<br />

Vertreterin der Kammern. Manches<br />

von dem, was ich denke, wird aber sicher<br />

der Meinung vieler Kammern<br />

entsprechen. Zunächst einmal ist es<br />

Aufgabe der Kammern, sich an der<br />

Ausbildung und der Prüfung des Nachwuchses,<br />

insbesondere der Referendare,<br />

zu beteiligen. Der Gesetzgeber hat<br />

den Kammern diese Aufgabe in § 73<br />

BRAO ausdrücklich zugewiesen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Reichweite dieser<br />

Vorschrift ist umstritten.Diesen Streit<br />

werden wahrscheinlich die Gerichte<br />

entscheiden muÈ ssen.Es geht vor allem<br />

um die politische Frage: Wie soll sich<br />

die Anwaltschaft beteiligen?<br />

Mattik: Gleichwohl lassen Sie mich<br />

einen Satz noch dazu sagen. In § 73<br />

AnwBl 4/2004<br />

BRAO steht „mitwirken“ und nicht beteiligen.<br />

Und nun können wir lange<br />

streiten ...<br />

Offermann-Burckart: ... was Mitwirkung<br />

und was Beteiligung ist. Ist<br />

das strafrechtlich zu verstehen? Spaß<br />

beiseite. Ich wehre mich gegen die<br />

Formulierung, dass die Kammern<br />

staatliche Aufgaben übernehmen und<br />

finanzieren.<br />

Wir tun das sicher nicht, indem wir<br />

Arbeitsgemeinschaftsleiter zur Verfügung<br />

stellen. Denn diese Arbeitsgemeinschaftsleiter<br />

werden von den<br />

Ländern bezahlt, egal ob es Richter,<br />

Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte oder<br />

eben Rechtsanwälte sind. Die bekommen<br />

alle ihre Vergütung vom Staat.<br />

Das sind bei uns in Nordrhein-Westfalen<br />

24 E pro geleisteter Unterrichtsstunde.<br />

Die Kammer Köln zahlt 70 E<br />

pro Zeitstunde dazu. Dem Staat ist es<br />

in finanzieller Hinsicht völlig egal, ob<br />

wir Anwälte uns beteiligen.<br />

Die meisten Kammern haben<br />

sich zur Zuzahlung entschlossen,<br />

weil wir sonst<br />

keine qualifizierten Anwälte<br />

finden. Es gibt aber<br />

eine Menge junger Anwälte,<br />

die herzlich gerne<br />

auch für 24 E pro Unterrichtsstunde<br />

tätig würden.<br />

Richtig ist, dass die drei<br />

nordrhein-westfälischen<br />

Kammern, also Düsseldorf,<br />

Hamm, und Köln, zu dritt<br />

eine Halbtagskraft im Landesjustizprüfungsamt<br />

finanzieren.<br />

Aber auch hier entlasten wir den Staat<br />

nicht. Es handelt sich um eine zusätzlich<br />

geschaffene Stelle im Rahmen eines<br />

Pilotprojektes. Die Finanzierung<br />

erfolgt zunächst für einen Zeitraum<br />

von drei Jahren. Wenn sich das Projekt<br />

bewährt – wovon wir ausgehen – dann<br />

wird der Staat die Finanzierung übernehmen.<br />

Es gibt einige andere Kammern,<br />

die über Vergleichbares nachdenken.<br />

Derzeit ist es eine<br />

nordrhein-westfälische Besonderheit.<br />

Ich gebe Ihnen Recht: Das finanzieren<br />

wir, aber nur in einem sehr überschaubaren<br />

Rahmen.<br />

Mattik: Selbst wenn es auch bloß<br />

ein Beitrag von 3 E pro Anwalt waÈ re,<br />

ist dieser Betrag aus grundsaÈ tzlichen<br />

UÈ berlegungen zu hoch.Wer dem<br />

Staat in einer Lage, in der die Finanzminister<br />

staÈ ndig auf der Suche nach<br />

Entlastung sind, den kleinen Finger<br />

reicht, wird gleich mit dem ganzen


AnwBl 4/2004 225<br />

Anwaltsausbildung MN<br />

� Wer soll die Kosten für eine anwaltsorientierte Juristenausbildung tragen? Es diskutieren<br />

Dr. Susanne Offermann-Burckart und Dr. Dierk Mattik.<br />

Arm gegriffen.Das passiert schon<br />

jetzt.Bisher hat die Anwaltschaft nur<br />

das SalaÈ r der Arbeitsgemeinschaftsleiter,<br />

die AnwaÈ lte sind, aufgebessert.<br />

Das war die erste Stufe.Die zweite<br />

Stufe gehen jetzt die drei nordrheinwestfaÈ<br />

lischen Kammern mit der Finanzierung<br />

einer halben Stelle im<br />

LandesjustizpruÈ fungsamt.<br />

Kommen wir zu dem Punkt, der<br />

mir der allerwichtigste ist: Jeder, der<br />

dieses System der staatlichen Juristenausbildung<br />

durch finanzielle Beiträge<br />

unterstützt, ist mitverantwortlich für<br />

die Misere der Anwaltschaft: Denn<br />

dieses System der Juristenausbildung<br />

ist mitursächlich dafür, dass wir heute<br />

130.000 und in zehn Jahren voraussichtlich<br />

180.000 bis 200.000 zugelassene<br />

Anwälte haben. Diese Zahlen sind<br />

die Folge unseres Systems: ein finanziertes<br />

Studium und eine finanzierte<br />

Referendarausbildung. Marktmechanismen<br />

greifen erst, nachdem die zweite<br />

Staatsprüfung abgelegt worden ist. Das<br />

ist meines Erachtens ein Irrweg, den<br />

wir seit vielen Jahren gehen, obwohl<br />

wir wissen, dass die Antwort auf dieses<br />

Problem die Spartenausbildung ist.<br />

Spartenausbildung bedeutet für die Anwaltausbildung:<br />

Nach einem ersten<br />

Universitäts- oder Staatsexamen kann<br />

nur der zum Anwalt ausgebildet werden,<br />

der bei einem Anwalt einen Ausbildungsplatz<br />

findet. Einen Ausbildungsplatz<br />

findet nur der, der die<br />

Eignung, die Fähigkeiten und die nötigen<br />

Qualifikationen hat. Das Ausbildungssystem<br />

der Steuerberater zeigt<br />

uns seit Jahren, wie es funktionieren<br />

kann. Für mich stellt sich die Frage,<br />

wie geht es mit diesem Berufsstand eigentliche<br />

weiter. In zehn Jahren haben<br />

wir voraussichtlich 180.000 bis<br />

200.000 Anwälte auf einem Markt, der<br />

immer enger wird. Wir dürfen jetzt das<br />

alte System nicht noch dadurch stärken,<br />

dass wir mit finanziellen Mitteln<br />

dieses System stützen, sondern wir<br />

müssen umsteuern.<br />

Offermann-Burckart: Ich gehe<br />

noch einmal zuruÈ ck zu Ihren ersten<br />

Punkten.Ich bin nicht der Meinung,<br />

dass wir den Staat entlasten.Wir zahlen<br />

zu, weil wir gute Leute wollen.Es<br />

muss der Kammerversammlung als<br />

dem SouveraÈ n der Kammer moÈ glich<br />

sein, Zuzahlungen fuÈ r anwaltliche Ar-<br />

„Wenn wir uns<br />

verweigern, passiert<br />

nur das, wovor<br />

besonders zu warnen<br />

ist. Dann werden<br />

eben nicht Anwälte,<br />

sondern Richter und<br />

Staatsanwälte die<br />

zukünftigen Anwälte<br />

ausbilden“<br />

beitsgemeinschaftsleiter zu beschlieûen.NatuÈ<br />

rlich muÈ ssen die Kammerversammlungen<br />

ausdruÈ cklich gefragt<br />

werden.Das koÈ nnten die Kammern<br />

nicht in ihren Etats verstecken, und<br />

das tun sie selbstverstaÈ ndlich nicht.<br />

Mattik: Da bin ich mit Ihnen einer<br />

Meinung, soweit es um die Entscheidungsfreiheit<br />

der Kammerversammlung<br />

geht. Das Absurde ist, dass der<br />

Staat die Anwälte genauso wie Staatsanwälte<br />

und Richter mit 24 E pro<br />

Arbeitsgemeinschaftsleiterstunde entlohnt.Der<br />

Anwalt hat aber kein festes<br />

staatliches Monatsgehalt und muss daher<br />

schon aus betriebswirtschaftlichen<br />

GruÈ nden einen deutlich hoÈ heren Stundensatz<br />

verlangen.Die Rahmenbedin-<br />

gen zwischen Staatsdienst und Anwaltschaft<br />

sind voÈ llig unterschiedlich.<br />

Offermann-Burckart: So groß sind<br />

die Unterschiede gar nicht. Auch der<br />

Staat hat Schwierigkeiten, Richter und<br />

Staatsanwälte für die Ausbildung zu<br />

begeistern.<br />

Zu der Anwältin im Landesjustizprüfungsamt:<br />

Es ist nicht so, dass<br />

unser Justizprüfungsamt auf die Kammern<br />

zugekommen ist. Wir sind auf<br />

das Ministerium zugegangen. Das sensationell<br />

Neue ist, dass wir sagen: Im<br />

Landesjustizprüfungsamt muss ein<br />

Anwalt sitzen. Deshalb der Testlauf,<br />

den die Anwaltschaft finanziert. Ohne<br />

diesen Anstoß wäre es nicht gelungen,<br />

dort einen Anwalt zu etablieren.<br />

Nun zu dem Thema: Wie sieht es<br />

mit der Anwaltschaft, mit der Anwaltschwemme,<br />

aus? Ich bin völlig mit Ihnen<br />

einer Meinung, dass wir viel zu<br />

viele Anwälte haben und dass wir<br />

noch viel mehr Anwälte bekommen.<br />

Dieses Problem lässt sich aber über<br />

die Juristenausbildung erst in zweiter<br />

Linie lösen. Wir müssen alles tun, um<br />

zu verhindern, dass junge Menschen,<br />

die überhaupt keinen Hang zum Anwaltsberuf<br />

haben, denen die unternehmerischen<br />

Fähigkeiten fehlen, denen<br />

die Kreativität fehlt, Anwälte werden.<br />

Aber das schaffen wir<br />

doch nicht, indem wir uns<br />

der Ausbildung verweigern.<br />

Damit würden wir<br />

gerade den umgekehrten<br />

Weg gehen. Wir wollen zumindest<br />

dafür sorgen, dass<br />

alle die, die der Staat ausbildet,<br />

anwaltliches Knowhow<br />

lernen – und wir ihnen<br />

die Schwierigkeiten des<br />

Berufs nahe bringen. Wir<br />

können die Ausbildungsreform<br />

gut oder schlecht<br />

finden, sie schafft die Situation,<br />

mit der wir in den<br />

nächsten Jahren leben müssen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Es scheint offensichtlich<br />

immer mehr Kollegen zu geben,<br />

die sich schon freuen wuÈ rden, wenn<br />

sie nur einmal die Woche eine sichere<br />

Einnahme von 24 E pro Stunde als<br />

Arbeitsgemeinschaftsleiter zu haben.<br />

Und die Situation wird sich verschaÈ rfen,<br />

wenn die Anwaltschaft weiter<br />

waÈ chst und weiter wachsen wird.<br />

Offermann-Burckart: Ob wir nun<br />

an der Ausbildung mitwirken oder ob<br />

wir uns verweigern, das wird an den<br />

Zahlen nichts ändern. Wenn wir uns<br />

verweigern, passiert nur das, wovor<br />

besonders zu warnen ist. Dann werden<br />

eben nicht Anwälte, sondern Richter


226<br />

MN<br />

und Staatsanwälte die zukünftigen Anwälte<br />

ausbilden. Wenn wir schon diesen<br />

erheblichen Zustrom haben, dann<br />

müssen wir wenigstens dafür sorgen,<br />

dass die Leute gut vorbereitet sind.<br />

Damit sie eine Chance haben, am<br />

Markt zu bestehen und damit sie zumindest<br />

keinen Schaden anrichten. Alles<br />

andere wäre für den Ruf und das<br />

Ansehen der Anwaltschaft verheerend.<br />

Denn auch die Schlechten haben<br />

immer mal ein Mandat. Und ein enttäuschter<br />

Mandant sagt oft nicht, ich<br />

gehe beim nächsten Mal zu einem besseren<br />

Anwalt. Er fragt sich vielmehr,<br />

ob er beim Mieterverein, bei der Verbraucherzentrale<br />

oder bei einem Steuerberater<br />

besser aufgehoben ist.<br />

Mattik: Sie sagen es. Der Rechtsberatungsmarkt<br />

wird auch durch die<br />

nichtanwaltlichen Berater, die auf den<br />

Markt der Rechtsberatung drängen,<br />

immer enger. Aus diesem Grunde<br />

kann die Anwaltschaft weiterhin nicht<br />

mehr tatenlos die hohen Steigungen<br />

bei den Zulassungszahlen hinnehmen.<br />

Der Berufsstand würde ein weithin<br />

unbegrenztes Wachstum nicht überstehen.<br />

Zurück zur Juristen- und Anwaltsausbildung:<br />

Es bestand Einigkeit,<br />

dass die praktische Ausbildung mindestens<br />

ein Jahr betragen muss und diese<br />

praktische Ausbildung begleitet werden<br />

muss durch einen theoretischen<br />

Kursus zur Vertiefung. Dieser theoretische<br />

Kursus sollte ca. 360 Zeitstunden<br />

umfassen. So sollte eine theoretische<br />

Ausbildung aussehen. Bei der DAV-<br />

Anwaltausbildung beträgt z. B. die<br />

theoretische Ausbildung 450 Stunden.<br />

Was die Länder an Einführungskursen<br />

planen, hat aber in der Regel lediglich<br />

einen Umfang von ca. 60 bis 70 Stunden.<br />

Es ist keine Anwaltausbildung,<br />

die hier vermittelt wird, auch wenn<br />

bald in Stuttgart, München oder Hamburg<br />

die Kammerbeiträge von Kollegen<br />

dazu eingesetzt werden.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Besteht hier Einigkeit?<br />

Offermann-Burckart: Richtig ist,<br />

dass die Juristenausbildungsreform<br />

2003 nicht das Maximum dessen ist,<br />

was wir gefordert haben. Sie ist aber<br />

auch nicht so schlecht, wie viele sagen,<br />

wenn der Rahmen vernünftig ausgefüllt<br />

wird. Der Kammer Köln ist es<br />

gelungen, ein Optimum herauszuholen.<br />

Und ich weiß, dass sich andere<br />

Kammern genauso intensiv um die<br />

Ausbildung bemühen.<br />

Mattik: Um nicht missverstanden<br />

zu werden. Ich würde es begrüßen,<br />

wenn die Anwälte den Hauptanteil der<br />

Arbeitsgemeinschaftsleiter stellen wür-<br />

den. Es geht auch nicht darum, die<br />

Nachwuchsjuristen im Regen stehen<br />

zu lassen. Wir müssen aber eine Trendwende<br />

schaffen. Wir müssen eine Antwort<br />

auf die Frage finden, wie die Anwaltschaft<br />

in zehn Jahren aussieht.<br />

Wir werden getrennte Ausbildungsgänge<br />

für die einzelnen juristischen Berufe<br />

bekommen müssen. Ein erstes<br />

Examen, ein Universitäts- oder ein<br />

Staatsexamen, wird die Eingangsqualifikation<br />

für die Anwaltausbildung sein.<br />

Die Anwaltschaft bildet dann ihren<br />

benötigten Nachwuchs selber aus und<br />

bezahlt ihn auch. Das funktioniert nur<br />

auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Darauf<br />

beruht auch die DAV-Ausbildung.<br />

Warum folgen die Kammern bei<br />

der Finanzierung der staatlichen Juristenausbildung<br />

nicht auch dem Prinzip<br />

der Freiwilligkeit, indem sie z. B. Finanzierungsfonds<br />

schaffen, die nur aus<br />

freiwilligen Zahlungen der Anwaltschaft<br />

gespeist werden? Damit hätte<br />

ich keine Probleme.<br />

Offermann-Burckart: Bei der Kammer<br />

Köln wurde 1996 erstmalig über<br />

Zuzahlungen für anwaltliche Arbeitsgemeinschaftsleiter<br />

entschieden. Damals<br />

wurde gefragt: Sind Sie als Kammermitglieder<br />

damit einverstanden, dass<br />

wir aus dem vorhandenen Beitragsaufkommen<br />

einen bestimmten Teil für die<br />

Ausbildung verwenden? Das ist damals<br />

einstimmig beschlossen worden.<br />

Eine erneute Reform der<br />

Juristenausbildung ist nötig<br />

Mattik: 1996 hatten wir ca. 85.000<br />

zugelassene Anwälte und wir hatten<br />

eine andere Situation. Durch den Aufbau<br />

Ost in Justiz, Verwaltung und Anwaltschaft<br />

war der Druck auf dem<br />

Rechtsberatungsmarkt nur begrenzt.<br />

Ich will aber die Souveränität der<br />

Kammerversammlung überhaupt nicht<br />

anzweifeln. Wir streiten darüber, ob<br />

die Anwaltschaft das nötige berufspolitische<br />

Bewusstsein hat.<br />

Offermann-Burckart: Sie sagen,<br />

das berufspolitische Bewusstsein fehlt,<br />

weil die Anwälte nicht erkennen, dass<br />

sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen.<br />

Ich argumentiere genau von der<br />

anderen Seite: Berufspolitisches Bewusstsein<br />

heißt, dass die Kollegen<br />

wissen, es geht um die Anwaltschaft<br />

als Ganzes. Nur wenn diese so gut wie<br />

möglich ausgebildet ist, hat sie überhaupt<br />

eine Überlebenschance.<br />

Da bin ich dann jetzt wieder bei<br />

dem ersten Punkt. Es wäre das Beste<br />

für uns alle, wenn wir einen Numerus<br />

AnwBl 4/2004<br />

Anwaltsausbildung<br />

Clausus für die Juristenausbildung und<br />

wenn wir eine ernst zu nehmende<br />

Zwischenprüfung bekommen würden.<br />

Das ist zur Zeit nicht durchsetzbar.<br />

Denn der Anwaltsberuf ist so ungefähr<br />

das Schönste, was die Politik sich unter<br />

Arbeitsmarktgesichtspunkten vorstellen<br />

kann. Sie wird nichts tun, um<br />

gerade den Zugang zu einem Beruf zu<br />

verschließen, der in eine so wunderbare<br />

Selbstständigkeit (Stichwort: Ich-<br />

AG) mündet, in eine oft verdeckte Arbeitslosigkeit,<br />

die in keiner Statistik<br />

auftaucht. Ich bin aber einig mit Ihnen<br />

darüber, dass wir die Ausbildungsdiskussion<br />

wieder beginnen müssen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ich fasse zusammen:<br />

Sie sind sich einig bei dem Vermassungsproblem.<br />

Sie sind sich einig bei<br />

der Ausbildungsfrage. Losgelöst von<br />

der Frage, wie die Juristenausbildung<br />

im Referendariat finanziert wird, was<br />

muss jetzt passieren?<br />

Mattik: Wir müssen der Politik ein<br />

klares Signal geben: Das Problem des<br />

unbegrenzten Zuwachses der Anwaltschaft<br />

ist im Interesse der Gesellschaft<br />

an einer funktionierenden Anwaltschaft<br />

und damit im Interesse auch der<br />

Anwaltschaft zu lösen. Ein Weiter so<br />

wie bisher darf es nicht geben. Aus<br />

diesem Grunde darf die Anwaltschaft<br />

die staatliche Juristensausbildung nicht<br />

mitfinanzieren. Wir müssen darüber<br />

diskutieren, wie die Juristenausbildung<br />

reformiert werden kann. Wir müssen<br />

wieder in die Diskussion einsteigen.<br />

Numerus Clausus wäre schön, werden<br />

wir nicht durchsetzen können. Zwischenprüfung<br />

wäre schön, werden wir<br />

nicht durchsetzen können.<br />

Offermann-Burckart: Die Zwischenprüfung<br />

vielleicht schon ...<br />

Mattik: Die Zwischenprüfung vielleicht<br />

gerade, aber ich glaube es nicht.<br />

Das Wesentliche ist, dass wir die Spartenausbildung<br />

bekommen. Die Berufsentscheidung<br />

muss dem Abschluss des<br />

juristischen Studiums fallen.<br />

Offermann-Burckart: Ja, wir müssen<br />

mit der Politik reden. Ich halte es<br />

aber für einen frommen Wunsch, Herr<br />

Mattik, zu glauben, dass wir etwas erreichen,<br />

indem wir uns verschließen.<br />

Ich denke nicht, dass der Staat finanziell<br />

so notleidend ist. Ich fürchte<br />

mich vor den schlecht ausgebildeten<br />

und vorbereiteten Anwälten, die den<br />

Ruf wirklich ruinieren können.<br />

Mattik: Das Problem ist richtig beschrieben.<br />

Wir lösen es nicht dadurch,<br />

das wir versuchen, die Masse als Anwälte<br />

auszubilden.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wir danken Ihnen<br />

für das Gespräch. nil


AnwBl 4/2004 227<br />

DAV-FORUM MEDIATION<br />

Justiz treibt die Mediation voran:<br />

Anwaltschaft hat Nachholbedarf<br />

Bundesjustizministerin Zypries: Zurückhaltung<br />

bei gesetzlichen Regelungen für die Mediation<br />

� Die Mediation wird von der Politik gefördert: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />

(links), hier zusammen mit dem Präsidenten des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut Kilger,<br />

berichtete über ihre Erfahrungen mit der Mediation wie auch die Berliner Justizsenatorin<br />

Karin Schubert (rechts). Rund 400 Anwälte, Richter, Professoren, Politiker sowie<br />

Vertreter der Justiz, der Wirtschaft und von Verbänden nahmen am DAV-Forum Mediation<br />

teil.<br />

Was ist ein juristisches Einhorn?<br />

Ein Fall, über den alle reden, ohne<br />

ihn je in der Praxis erlebt zu haben.<br />

Das galt lange auch für die Mediation.<br />

Der Ausbildungsmarkt für Mediatoren<br />

boomt, über Ausbildungskonzepte<br />

wird heftig diskutiert, doch<br />

über erfolgreiche Mediationsverfahren<br />

konnten lange nur wenige berichten.<br />

Das ändert sich. Das DAV-Forum Mediation<br />

hat Anfang Februar gezeigt,<br />

dass sich die Mediation langsam<br />

durchsetzt. Vor allem beflügelt durch<br />

die Justiz. Mit bemerkenswerter Innovationsfreude<br />

entwickeln Richter in<br />

der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

neue Tätigkeitsfelder. Die Anwaltschaft<br />

ist herausgefordert.<br />

In seinem Grußwort verriet der Präsident<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Privates. Hartmut Kilger berichtete,<br />

wie ihm einst ein Kollege bei einem<br />

Waldspaziergang erklärt habe, warum<br />

die Mediation Unsinn sei. Genau dieser<br />

Kollege war auf dem DAV-Forum Mediation<br />

ein Verfechter der Mediation.<br />

„Der heutige Referent hat dazugelernt“,<br />

bemerkte Kilger. Damit hatte Kilger einen<br />

wichtigen Punkt angesprochen:<br />

Beim Thema Mediation sind fast immer<br />

auch Emotionen mit im Spiel. Für die<br />

einen ist es Scharlatanerie, für die anderen<br />

das Konfliktlösungsmittel erster<br />

Wahl. Die Wahrheit liegt wohl – wie so<br />

häufig – in der Mitte.<br />

Die Resonanz auf das DAV-Forum<br />

Mediation war unerwartet groß: Rund<br />

400 Anwälte, Richter, Professoren,<br />

Politiker sowie Vertreter der Justiz,<br />

der Wirtschaft und von Verbänden kamen<br />

Anfang Februar in Berlin zusammen.<br />

Der DAV hatte eigene Vorschläge<br />

für eine rechtliche Rahmenregelung<br />

angekündigt (siehe dazu den gesonderten<br />

Bericht auf Seite 230). Die Diskussion<br />

über eine Regulierung der Mediation<br />

erklärt die hohe Teilnehmerzahl<br />

aber nicht allein. Ausschlaggebend<br />

dürfte nach Meinung von Kennern der<br />

Mediationsszene vielmehr sein, dass<br />

die Mediation nun auch von der Politik<br />

gefördert wird. Damit könnten sich die<br />

Mandate im Mediationsbereich stark<br />

erhöhen.<br />

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />

und die Berliner Justizsenatorin<br />

Karin Schubert warben für die Mediation.<br />

Zypries berichtete über erste Erfolge<br />

beim Aufbau einer Mediationskultur.<br />

So seien im Verbraucherschutz<br />

bei Streitigkeiten um Time-Sharing-<br />

Verträge und bei deutsch-französischen<br />

Ehescheidungsverfahren erfolgreich<br />

professionelle Mediatoren eingesetzt<br />

worden. Im Bundesjustizministerium<br />

werde eine Datenbank für<br />

Mediation und Streitschlichtung aufgebaut.<br />

Zu einer gesetzlichen Regelung<br />

der Mediation sagte Zypries:<br />

„Wir sollten zurückhaltend sein und<br />

Berufszugang und -ausübung nicht regeln.“<br />

Sie betonte, dass die Mediation<br />

freiwillig sei und auch auf dieser<br />

Grundlage funktioniere. Sie könne daher<br />

nur schlecht rechtlich reguliert<br />

werden. Dafür werde sie im Bundestag<br />

werben.<br />

Noch positiver als die Bundesjustizministerin<br />

äußerte sich die Berliner<br />

Justizsenatorin. Mediation sei schon<br />

seit vielen Jahren ein Anliegen von ihr.<br />

Viele Lebenssachverhalte seien nicht<br />

mit einer streitigen Entscheidung zu<br />

regeln. „Die Mediation bewährt sich<br />

überall“, sagte die ehemalige Richterin.<br />

Das Berliner Pilotprojekt der Gerichtsmediation<br />

im Verwaltungsprozess<br />

Justizsenatorin Schubert:<br />

„Die Mediation bewährt<br />

sich überall“<br />

MN<br />

sei erfolgreich (siehe dazu das Interview<br />

mit dem Berliner Gerichtsmediator<br />

Prof. Dr. Karsten-Michael Ortloff auf<br />

Seite 229). Schubert war sich sicher,<br />

dass dieses Projekt auf andere Gerichtsbarkeiten<br />

in Berlin ausgedehnt wird.<br />

Beim Täter-Opfer-Ausgleich könne sie<br />

sich z. B. auch Mediationsverfahren vorstellen.<br />

Zum Zivilverfahren verwies<br />

Schubert darauf, dass sich die Parteien<br />

gerade bei hohen Streitwerten gerne des<br />

Schiedsverfahrens bedienten.<br />

Wieviele Mediationsprojekte es in<br />

der Justiz bereits gibt, belegte der Vortrag<br />

von Prof. Dr. Karsten-Michael<br />

Ortloff im Arbeitskreis I des DAV-Forums.<br />

Er berichtete nicht nur über das<br />

von ihm betreute Projekt am Verwaltungsgericht<br />

Berlin. In Niedersachsen<br />

wird gerichtsnahe Mediation im Zivilprozess<br />

beim Landgericht Göttingen,


228<br />

MN<br />

� DAV-Vizepräsident Rembert Brieske:<br />

„Mediation ist nicht für Mediatoren da.“<br />

Was plant die<br />

EU-Kommission?<br />

Die EuropäischeKommission<br />

wird<br />

noch in diesem<br />

Jahr einen<br />

Richtlinienentwurf<br />

zu alternativenStreitbeilegungsver-<br />

fahrenvorlegen. Das<br />

stellte auf dem<br />

� Henrik Nielsen<br />

DAV-Forum Mediation Henrik Nielsen<br />

von der Generaldirektion Justiz<br />

und Inneres der Europäischen Kommission<br />

in Aussicht. Seit dem<br />

Grünbuch von April 2002 werde<br />

über Mediation und alternative<br />

Streitbeilegungsverfahren diskutiert.<br />

Die Kommission verfolgt nach den<br />

Worten Nielsens einen doppelten<br />

Ansatz. Zum einen werde geprüft,<br />

ob rechtliche Regelungen notwendig<br />

seien. Regelungsbedarf könnte bei<br />

dem Verhältnis von Mediation und<br />

Zivilprozess, bei Verjährungsvorschriften<br />

und bei der Vollstreckbarkeit<br />

von Mediationsvergleichen bestehen.<br />

Zum anderen solle die<br />

Selbstregulierung gefördert werden.<br />

Ein Europäischer Verhaltenskodex<br />

für die Mediation solle angestrebt<br />

werden. Themen könnten die Unabhängigkeit,<br />

Unparteilichkeit und<br />

Vertraulichkeit von Mediatoren sein.<br />

nil<br />

Hannover und Hildesheim angeboten.<br />

Das Verwaltungsgericht sowie das Sozialgericht<br />

Hannover haben nachgezogen.<br />

In Mecklenburg-Vorpommern<br />

gibt es beim Verwaltungsgericht<br />

Greifswald eine Mediationskammer.<br />

Das Landgericht sowie das Oberlandesgericht<br />

Rostock versuchen die Mediation.<br />

Ein Projekt läuft am Verwaltungsgericht<br />

Freiburg. In Sachsen,<br />

Hessen und Brandenburg ist die Idee<br />

ebenfalls bereits aufgegriffen. „Es<br />

zeichnet sich eine Bewegung in der<br />

Justiz ab, eine neue Streit- und Verfahrenskultur<br />

anzubieten“, sagte Ortloff.<br />

Das wichtigstes Ziel der Justizprojekte:<br />

Der Mediationsgedanke soll<br />

gefördert werden. Zugleich verschwieg<br />

Ortloff jedoch nicht, dass es zumindest<br />

bei dem Berliner Projekt auch um Kosteneinsparungen<br />

gehe. Für ihn als Gerichtsmediator<br />

sei zwar eine zusätzliche<br />

Stelle geschaffen worden, er solle aber<br />

mit seiner Tätigkeit die Kammern am<br />

Verwaltungsgericht entlasten. „Wenn<br />

ich für einen Fall zehn Stunden brauche,<br />

ist das billiger, als wenn sich eine<br />

Kammer damit beschäftigt.“ Dass das<br />

Berliner Projekt derzeit den Parteien<br />

kostenfrei angeboten wird, kritisierte<br />

DAV-Präsident Hartmut Kilger als unzulässige<br />

Wettbewerbverzerrung.<br />

Werbung für die Mediation machte<br />

auch Rechtsanwalt Dr. h. c. Ludwig<br />

Koch. Der Markt wachse. Zugleich<br />

warnte er. „Es genügt nicht, dass einige<br />

Anwälte vorausschauend arbeiten“,<br />

sagte das Mitglied des DAV-Ausschusses<br />

Außergerichtliche Konfliktbeilegung.<br />

Die Anwaltschaft habe ei-<br />

AnwBl 4/2004<br />

DAV-Forum Mediation<br />

nen erheblichen Nachholbedarf bei der<br />

Mediation. Das DAV-Forum zeigte,<br />

dass Mediation im vielen Großkonzernen<br />

zum Alltag gehört.<br />

Das Vordringen der Mediation in<br />

Deutschland deckt sich mit einem internationalen<br />

Trend. Der belgische<br />

Rechtsanwalt Luc Demeyere aus Antwerpen<br />

berichtete vor allem über die<br />

rechtlichen Regelungen zur Mediation<br />

in den USA, Kanada und vielen europäischen<br />

Ländern. Er betonte, dass alternative<br />

Streitbeilegungsverfahren in<br />

den USA vor allem entwickelt worden<br />

seien, um die Kosten zu senken. In<br />

England und Wales sei mit der so genannten<br />

Woolf-Reform den Gerichten<br />

die Möglichkeit gegeben worden, die<br />

Parteien zur Mediation zu verpflichten.<br />

Wer sich weigere, könne von den Gerichten<br />

sanktioniert werden. Auch<br />

wenn England und Wales bisher am<br />

weitesten gegangen seien, fänden sich<br />

inzwischen in vielen Prozessordnungen<br />

Regelungen, die Mediationsverfahren<br />

ermöglichten.<br />

Der Mediationsgedanke muss<br />

gefördert werden. Soweit herrschte Einigkeit<br />

unter den Teilnehmer. Auch dass die<br />

Mediation ein wachsender Markt sei, war<br />

konsensfähig. Das DAV-Forum Mediation<br />

hat aber auch gezeigt: Wer als Mediator<br />

Verhandlungen moderiert, und sich gerade<br />

aus Sachfragen heraushalten muss, also<br />

kein Interessenvertreter mehr ist, kann in<br />

eigenen Sachen durchaus kämpferisch<br />

sein. So bestand durchaus keine Einigkeit<br />

bei der Frage, ob und wie die Ausbildung<br />

zum Mediator zu regeln sei.<br />

� Rechtsanwalt Dr. Christian Duve (links) stellte die DAV-Vorschläge für eine rechtliche<br />

Regelung der Mediation vor. Gesamtmoderator des DAV-Forums war Rechtsanwalt Dr.<br />

Reiner Ponschab (rechts). In der Mitte: DAV-Geschäftsführerin Angelika Rüstow.


AnwBl 4/2004 229<br />

DAV-Forum Mediation MN<br />

� Internationale Zusammenarbeit: Rechtsanwalt Dr. h.c. Ludwig Koch (rechts) und sein<br />

belgischer Kollege Luc Demeyere aus Antwerpen referierten auf dem DAV-Forum.<br />

Der DAV hat in seinen Vorschlägen<br />

jegliche Reglementierung der Ausbildung<br />

abgelehnt. Im Arbeitskreis III<br />

sind diese Vorschläge zurückgewiesen<br />

worden. Die in der Ausbildung aktiven<br />

Verbände sollten sich auf einheitliche<br />

Standards einigen und ihre Ausbildungskonzepte<br />

gegenseitig anerkennen,<br />

forderte der Arbeitskreis. Die<br />

Diskussion am Nachmittag drehte sich<br />

dann vor allem um die Frage, wieviele<br />

Stunden Ausbildung ein Mediator<br />

brauche.<br />

Die eigentliche Herausforderung<br />

für die Anwaltschaft wird jedoch nicht<br />

die Ausbildung zum Mediator sein.<br />

Entscheidend wird es darauf ankom-<br />

Berliner Pilotprojekt:<br />

Gerichtsmediation<br />

Interview mit Karsten-Michael Ortloff<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Sie bezeichnen sich<br />

auf ihrer Visitenkarte als Gerichtsmediator.<br />

Was macht ein Gerichtsmediator?<br />

Ortloff: Ein Gerichtsmediator ist<br />

ein Richter, der als Mediator arbeitet,<br />

und zwar in solchen Prozessen, die<br />

bei seinem Gericht anhängig sind. Er<br />

hilft den Prozessbeteiligten bei dem<br />

Bemühen um eine gütliche Beilegung<br />

des Rechtsstreits. Dabei geht es nicht<br />

um eine juristische Aufarbeitung des<br />

Streitstoffes, sondern um eine interessenorientierte<br />

Konfliktlösung.<br />

Das Pilotprojekt Gerichtsmediation<br />

am Verwaltungsgericht Berlin läuft<br />

seit Oktober 2003. Die Senatsverwaltung<br />

für Justiz hat dem Gericht eine<br />

men, die Mediation da anzubieten, wo<br />

sie von Mandanten nachgefragt wird<br />

oder für diese günstig ist. „Mediation<br />

ist nicht für Mediatoren da. Wir müssen<br />

Unternehmen und Verbrauchern<br />

vermitteln, dass es Alternativen zum<br />

Rechtsstreit gibt“, sagte DAV-Vizepräsident<br />

Rembert Brieske und Berichterstatter<br />

des Arbeitskreises IV. Dann<br />

wird auch die Anekdote Geschichte<br />

sein, die der Moderator des DAV-Forums<br />

Rechtsanwalt Dr. Reiner Ponschab<br />

erzählte: „In großen Kanzleien<br />

fragen sich die Partner immer, ob man<br />

als Mediator zu einer Sekte gehört.“<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />

Berlin<br />

zusätzliche<br />

R 2-Stelle<br />

(Vors. Richter<br />

am VG) zur<br />

Verfügung gestellt,<br />

auf der<br />

ich ausschließlich<br />

als<br />

Mediator arbeite.<br />

Hierfür<br />

hat das Präsidium<br />

des Gerichts<br />

mich zu<br />

100 % von<br />

Rechtsprechungsaufgabenfrei-<br />

� Prof. Dr. Karsten-<br />

Michael Ortloff, Vors.<br />

Richter am Verwaltungsgericht<br />

Berlin<br />

gestellt. Das dürfte bundesweit<br />

einmalig sein!<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Welche Ziele verfolgt<br />

das Berliner Pilotprojekt<br />

Ortloff: Mindestens zwei Ziele sollen<br />

damit erreicht werden: In erster Li-<br />

nie soll herausgefunden werden, ob<br />

diese Form alternativer Konfliktlösung,<br />

die an sich ein außergerichtliches Verfahren<br />

ist, auch gerichtsintegriert funktioniert.<br />

Dabei gibt es im Verwaltungsprozess<br />

ja die Besonderheit, dass dem<br />

Bürger zumeist eine Behörde gegenübersteht,<br />

die nach einer noch verbreiteten<br />

Ansicht wegen der Gesetzesbindung<br />

kaum „Verhandlungsmasse“ hat.<br />

Außerdem geht es darum, die Streitkultur<br />

zu verbessern. Denn wenn die Beteiligten<br />

nicht mehr gegeneinander streiten,<br />

sondern über ihre Interessen reden<br />

– auch die Behördenmitarbeiter verfolgen<br />

Interessen! – und kooperativ über<br />

einen Interessenausgleich verhandeln,<br />

verändern sie ihr Verhalten. Sie gestalten<br />

ihre eigenen Interessen autonom,<br />

statt die Entscheidung auf den Richter<br />

zu delegieren. Diese veränderte Streitkultur<br />

kann sich auch positiv auf die<br />

mündliche Erörterung der Streitsachen<br />

im regulären Prozess auswirken.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Wie läuft das Verfahren<br />

ab?<br />

Ortloff: Das Mediationsverfahren<br />

stellt ein möglichst kurzes Zwischenverfahren<br />

dar. Als Gerichtsmediator<br />

darf ich aus Gründen des Datenschutzes<br />

Streitakten nur einsehen, wenn die<br />

Prozessbeteiligten einverstanden sind.<br />

Daher geht die Initiative in einem geeigneten<br />

Fall entweder vom zuständigen<br />

Richter oder von den Beteiligten<br />

aus. Stimmen alle zu, übergibt mir die<br />

zuständige Kammer die Streitakte samt<br />

Verwaltungsvorgängen. Ich schreibe<br />

zunächst den Beteiligten und erläutere<br />

in einem beigefügten Merkblatt das<br />

Verfahren. Dann vereinbare ich mit den<br />

Prozessbeteiligten – und gegebenenfalls<br />

mit weiteren am Konflikt Beteiligten<br />

– einen Verhandlungstermin in der<br />

Regel für drei Stunden. In der nicht öffentlichen<br />

Mediationsverhandlung vereinbaren<br />

alle Seiten Vertraulichkeit.<br />

Der Gerichtsmediator leitet die Gespräche;<br />

dabei gibt er keine rechtlichen<br />

Hinweise und macht auch keine Lösungsvorschläge.<br />

Wenn sich die Beteiligten<br />

einigen, wird dies in einem<br />

Ergebnisprotokoll festgehalten. Prozessbeendigende<br />

Erklärungen müssen<br />

gegenüber der zuständigen Kammer<br />

abgegeben werden; der Gerichtsmediator<br />

gibt die Streitakte – zumeist mit<br />

diesem Protokoll – an die Kammer zurück.<br />

Einigen die Beteiligten sich nicht,<br />

bedarf es auch keiner Protokollierung.<br />

Der Mediator gibt die Streitakte, mit<br />

dem Hinweis auf die Nichteinigung zurück.InbeidenFällensagterdenzuständigen<br />

Richtern nichts über den Inhalt<br />

der Mediationsverhandlung.


230<br />

MN<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Welche Fälle sind für<br />

die Gerichtsmediation geeignet? Wie<br />

hoch ist die Erfolgsquote?<br />

Ortloff: Geeignet sind nach meinem<br />

Eindruck etwa 10 % alle Streitsachen –<br />

beim VG Berlin sind derzeit über<br />

25.000 Verfahren anhängig! Dabei geht<br />

es vor allem um Dauerbeziehungen<br />

zwischen Bürger und Verwaltung oder<br />

auch zwischen Bürgern wie etwa in<br />

bau- und umweltrechtlichen Nachbarstreitigkeiten.<br />

Denn mit der Mediation<br />

soll – anders als durch ein Urteil, das<br />

die Vergangenheit bewältigt – die Zukunft<br />

gestaltet werden. Außerdem sind<br />

Fälle geeignet, die so „verfahren“ oder<br />

„verknotet“ sind, dass jede Entscheidung<br />

neue Prozesse produzieren würde.<br />

Die Erfolgsquote liegt in den seit<br />

Oktober 2003 abgeschlossenen Mediationsverfahren<br />

bei rund 60 %; verlässliche<br />

statistische Werte lassen sich je-<br />

Normen für die Mediation –<br />

Die Vorschläge des DAV<br />

Mediation ist bislang im deutschen<br />

Recht ausdrücklich nicht geregelt.<br />

Das gilt sowohl für das Verfahren<br />

als auch für die Ausbildung zum<br />

Mediator. Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

hat auf dem DAV-Forum Mediation<br />

seine Vorschläge für rechtliche<br />

Rahmenbedingungen vorgestellt. Bemerkenswert<br />

an den vier Thesen:<br />

Der DAV sieht derzeit nur wenig Regelungsbedarf.<br />

„Mediation soll die<br />

Privatautonomie fördern“, sagte<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian Duve,<br />

Vorsitzender des DAV-Ausschusses<br />

Außergerichtliche Konfliktbeilegung.<br />

Daher seien alle Regelungen abzulehnen,<br />

die die Privatautononmie gefährdeten.<br />

Das gelte auch für Forderungen,<br />

die Aus- und Fortbildung<br />

zum Mediator zu reglementieren.<br />

„Wir glauben an die Qualitätssicherung<br />

durch den Markt“, betonte<br />

Duve. Eine Regelung des Mediationsverfahrens<br />

sei sinnvoll, solange<br />

es sich um dispositives Recht handele.<br />

Duve kündigte an, dass der<br />

DAV noch im Laufe des Jahres ein<br />

ausführliches Gesetzgebungsmodell<br />

für das Mediationsverfahren erarbeiten<br />

werden.<br />

Die DAV-Vorschläge im Einzelnen:<br />

9 Einer Regelung der Mediation im<br />

novellierten Rechtsberatungsgesetz<br />

bedarf es nicht. Die Assoziierung<br />

und Kooperation mit Mediatoren<br />

doch erst nach einer längeren Zeit<br />

feststellen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Die Gerichtsmediation<br />

beim Verwaltungsgericht Berlin ist<br />

kostenfrei. Ist es nicht der falsche<br />

Weg, wenn die Justiz Leistungen anbietet,<br />

die Private genauso gut erbringen<br />

könnten?<br />

Ortloff: Zur Zeit: Nein. Denn erstens<br />

gibt es kaum Private, die im Verwaltungsrecht<br />

Mediation anbieten. Das<br />

wird sich ändern, wenn die Verwaltungen<br />

neugierig geworden sein werden<br />

und sich auch auf außergerichtliche<br />

Mediationen einlassen. Außerdem wird<br />

man nach Abschluss dieses Projektes<br />

und nach den Erfahrungen in anderen<br />

Bundesländern mit ähnlichen Projekten<br />

(derzeit an den Verwaltungsgerichten<br />

Freiburg, Hannover und Greifswald)<br />

über die Einführung von<br />

Gerichtsgebühren diskutieren müssen.<br />

nicht juristischer Berufe sollte der<br />

Anwaltschaft ermöglicht werden.<br />

In der Begründung der Vorschläge<br />

heißt es dazu u. a., dass der Mediator<br />

als allparteilicher, unabhängiger Unterstützer<br />

für den Kommunikationsprozess<br />

der Konfliktparteien auftrete.<br />

Sachfragen (und dazu gehörten auch<br />

Rechtsfragen) habe er nicht zu klären.<br />

Bei diesem Verständnis von Mediation<br />

gebe es keinen Konflikt mit<br />

dem Rechtsberatungsgesetz. Der Anwaltschaft<br />

solle es ermöglicht werden,<br />

mit Mediatoren nicht juristischer<br />

Berufe zu kooperieren.<br />

9 Es sind keine gesetzlichen Vorschläge<br />

zur Regelung von Aus- und/<br />

oder Fortbildung zum Mediator/zur<br />

Mediation zu erlassen.<br />

Diese Forderung war auf dem<br />

DAV-Forum Mediation heftig umstritten.<br />

In der Begründung der Vorschläge<br />

wird betont, dass die Parteien<br />

die Möglichkeit haben sollen,<br />

jede Person als Mediator auszuwählen,<br />

die ihnen als Verhandlungshelfer<br />

geeignet erscheint. Zudem sei nicht<br />

gesichert, welche Voraussetzungen<br />

eine qualitativ hochwertige Aus- und<br />

Fortbildung im Bereich der Mediation<br />

erfüllen müsse. Jede Regelung<br />

führe außerdem zu einer nicht gerechtfertigten<br />

Abschottung der Ausgebildeten<br />

gegenüber den Nichtausgebildeten.<br />

AnwBl 4/2004<br />

DAV-Forum Mediation<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Sie sind ein erfahrener<br />

Verwaltungsrichter. Haben Sie<br />

kein ungutes Gefühl, wenn Sie jetzt<br />

als Gerichtsmediator ohne jegliche gesetzliche<br />

Grundlage tätig werden?<br />

Ortloff: Eigentlich nicht. Zwar habe<br />

ich meine Robe ausgezogen, arbeite<br />

ohne die Stütze des Gesetzes und habe<br />

nichts mehr zu „sagen“. Das ist gewöhnungsbedürftig.<br />

Andererseits kann<br />

ich mit professioneller Verhandlungsführung<br />

ohne eigene Entscheidungsmacht<br />

dem Bürger und der Verwaltung<br />

helfen, (wieder) miteinander zu sprechen<br />

und eine für beide akzeptable Lösung<br />

zu erarbeiten. Was eigentlich gibt<br />

es für einen Richter der 1. Instanz<br />

Schöneres als streitenden Menschen<br />

ihre Autonomie zurückzugeben und zu<br />

einem Konsens zu verhelfen, der sicherlich<br />

besser ist als ein Konsenssurrogat<br />

(das Urteil)?! nil<br />

9 Eine Stärkung der gerichtsnahen<br />

Mediation durch ein Verweisungsrecht<br />

des Gerichts oder eine<br />

Prüfungspflicht der Parteien wird<br />

befürwortet. Die Möglichkeit, eine<br />

Kostensanktion zu verhängen, wird<br />

abgelehnt.<br />

Das Verweisungsrecht fordert der<br />

DAV bereits seit 1999. Umstritten ist<br />

darüber hinaus, ob der Einigungsdruck<br />

auf die Parteien im Mediationsverfahren<br />

dadurch erhöht werden soll, dass<br />

bei einer gescheiterten Mediation Kostensanktionen<br />

drohen. Eine solche Regelung<br />

gibt es in Großbritannien.<br />

Diese wird in der Begründung der<br />

Vorschläge abgelehnt.<br />

9 § 769 a ZPO ist durch einen Absatz<br />

2 mit folgendem Wortlaut zu ergänzen:<br />

„Ein Vergleich kann ferner<br />

für vollstreckbar erklärt werden,<br />

wenn die Parteien den Vergleich unter<br />

Einschaltung eines Rechtsanwaltes<br />

als Mediator abgeschlossen haben<br />

(Mediationsvergleich).“<br />

Der Mediationsvergleich – so die<br />

Begründung der Vorschläge – soll den<br />

Anwaltsvergleich erweitern. Ziel ist<br />

es, den Parteien im Mediationsverfahren<br />

die Möglichkeit zu geben, schnell<br />

und einfach einen vollstreckbaren Titel<br />

zu erhalten, sofern ein Rechtsanwalt<br />

als Mediator aufgetreten ist.<br />

Die DAV-Vorschläge zusammen<br />

mit der ausführlichen Begründung<br />

sind im Internet unter http://www.<br />

anwaltverein.de/01/mediation.html<br />

abrufbar. nil


AnwBl 4/2004 231<br />

5 %<br />

Rechtspolitiker setzen sich für das<br />

Gebührenrecht ein<br />

Parlamentarischer Abend: DAV-Vorstand sprach mit Bundestagsabgeordneten<br />

Der Parlamentarische Abend des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Mitte Februar<br />

stand ganz im Zeichen des<br />

Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.<br />

„Bei der Wahl des Termins müssen sie<br />

eine Vision gehabt haben“, sagte der<br />

Vorsitzende des Rechtsausschusses im<br />

Bundestag, Andreas Schmidt (CDU),<br />

zu DAV-Präsident Hartmut Kilger. Der<br />

Rechtsausschuss hatte am gleichen<br />

Tag das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />

einstimmig passieren lassen,<br />

das vom Bundestag dann am folgenden<br />

Tag in dritter Lesung beschlossen<br />

wurde. Schmidt und die Bundesjustiz-<br />

� DAV-Vizepräsident Georg Prasser (links) gratulierte Klaus Uwe Benneter<br />

(SPD) zu seiner neuen Aufgabe als SPD-Generalsekretär.<br />

ministerin Brigitte Zypries konnten<br />

auch die gute Nachricht überbringen,<br />

dass sich die Bundesregierung mit den<br />

Ländern auf einen Kompromiss geeinigt<br />

hätte. Mit der Zustimmung des<br />

Bundesrates zu dem Gesetz sei daher<br />

zu rechnen. Der Präsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s Hartmut Kilger<br />

sagte, dass die Anwaltschaft beim<br />

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz „von<br />

der Hoffnung lebe“.<br />

Erfreulich aus Sicht der Anwaltschaft<br />

war das klare Bekenntnis von<br />

Schmidt zu einer gesetzlichen Regelung<br />

des Gebührenrechts. „Die völlige<br />

Liberalisierung des Gebührenrechts<br />

wäre fatal“, so Schmidt. Gesetzliche<br />

Regelungen seien für die Kostenerstattung<br />

im Prozess und die Prozesskostenhilfe<br />

notwendig. Zugleich betonte<br />

er, dass ein Mechanismus gefunden<br />

� DAV-Vizepräsidentin Verena Mittendorf, DAV-Vorstand und<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>-Herausgeber Dr. Michael Kleine-Cosack, Bundesministerin<br />

Brigitte Zypries und DAV-Vizepräsident Dr.<br />

Hans Lühn (v. l. n. r.).<br />

MN<br />

werden müsse, der<br />

eine Anpassung der<br />

Anwaltsvergütung in<br />

den nächsten Jahren<br />

ermögliche. Er<br />

spielte damit darauf<br />

an, dass die Gebühren<br />

der Rechtsanwälte<br />

zuletzt vor<br />

zehn Jahren erhöht<br />

worden seien. „Das<br />

darf sich nicht wiederholen“,<br />

meinte<br />

Schmidt.<br />

Weitere Themen<br />

des Abends: DAV-Präsident Kilger kritisierte<br />

die Pläne der Bundesregierung<br />

zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe.<br />

Bundesjustizministerin<br />

Zypries sprach vor allem zur Reform<br />

des Rechtsberatungsgesetzes. Sie zweifele<br />

daran, dass eine qualitätsvolle<br />

Rechtsberatung nur von berufsrechtlich<br />

gebundenen Personen erbracht werden<br />

könne. Auch außerhalb der Rechtsanwaltschaft<br />

sei Rechtsberatung möglich.<br />

Ausdrücklich nannte sie die Gewerkschaften.<br />

Kilger berichtete, dass<br />

sich der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> mit einem<br />

eigenen Reformentwurf an der<br />

Diskussion beteiligen werde.<br />

� Parteiübergreifende Diskussionen: Andreas Schmidt (CDU, rechts) diskutierte mit Jerzy<br />

Montag (Bündnis 90/Die Grünen, links) und DAV-Präsident Hartmut Kilger.


232<br />

MN<br />

� DAV-Vorstand und <strong>Anwaltsblatt</strong>-Herausgeber<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

(rechts) sprach mit Otto Fricke (FDP).<br />

Der Parlamtentarische Abend findet<br />

jährlich statt. Der Vorstand des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s lädt Bundestagsabgeordnete<br />

und die Spitze des Bundesjustizministeriums<br />

ein, um aktuelle<br />

berufs- und rechtspolitische Themen<br />

außerhalb des Alltagsgeschäfts zu diskutieren.<br />

nil<br />

� Dr. Norbert Röttgen (CDU) im Gespräch<br />

mit DAV-Vorstand Robert Erdrich<br />

(rechts).<br />

Aus der Gästeliste: Andreas<br />

Schmidt (CDU, Vorsitzender des<br />

Rechtsausschusses), Hermann Bachmaier<br />

(SPD, stellvertretender Vorsitzender<br />

des Rechtsausschusses), Dr.<br />

Norbert Röttgen (CDU), Klaus Uwe<br />

Benneter (SPD, designierter Generalsekretär<br />

der SPD), Jerzy Montag<br />

(Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Peter<br />

Danckert (SPD), Ronald Pofalla<br />

(CDU), Jörg van Esssen (FDP), Otto<br />

Fricke (FDP), Rainer Funke (FDP),<br />

Alfred Hartenbach (Parlamentarischer<br />

Staatssekretär des Bundesjustizministeriums),<br />

Hansjörg Geiger<br />

(Staatssekretär des Bundesjustizministeriums),<br />

Brigitte Zypries (Bundesjustizministerin).<br />

� Der Stellvertretende Vorsitzende des<br />

Rechtsausschusses Hermann Bachmaier<br />

(SPD) mit DAV-Vorstand Klaus Zehner (links).<br />

<strong>Deutscher</strong> Anwaltstag<br />

Alte Klage: „Bedenkliche<br />

Überfüllung des<br />

Juristenberufes“<br />

Der Deutsche Anwaltstag in Hamburg<br />

1929 – und 75 Jahre später<br />

„Die deutsche Justizreorganisation<br />

ist jetzt an einem Abschnitt angelangt.<br />

Sie schaut auf den Zeitraum eines halben<br />

Jahrhunderts zurück. Wird man<br />

auch mit gewisser Genugtuung die<br />

Entwicklung der deutschen Rechtseinheit<br />

auf diesem Gebiet, die glückliche<br />

Überwindung vieler Schwierigkeiten<br />

während des Krieges und in der Nachkriegszeit<br />

feststellen können, so kann<br />

man der weiteren Entwicklung und<br />

der Zukunft des deutschen Juristenstandes<br />

noch nicht ohne eine gewisse<br />

Sorge entgegensehen, muss man doch<br />

leider feststellen, dass wie so viele Berufe,<br />

und gerade akademische, in<br />

Deutschland zurzeit stark mit Anwärtern<br />

überfüllt sind. So dies in ganz besonderem<br />

Maße von dem juristischen<br />

Beruf gilt. Der übermäßige Andrang<br />

birgt nicht nur für die betroffene Jugend,<br />

sondern auch für die Allgemeinheit<br />

und vornehmlich für die deutsche<br />

Anwaltschaft schwere Gefahren.<br />

Wie in Zukunft voraussichtlich der<br />

Überfluss an jungen Juristen sich in<br />

die Anwaltschaft ergießen wird, zeigt<br />

deutlich die Entwicklung der Zahl der<br />

Rechtsanwälte in Hamburg in den letzten<br />

Jahren. 1920 hatten wir in Hamburg<br />

329, 1928 525 Rechtsanwälte.<br />

Auch im Reiche kann man mit einer<br />

Verdreifachung der Zahl der juristisch<br />

Studierenden rechnen. Nachdem die<br />

bisherigen staatlichen Versuche, diesen<br />

Zufluss zu stoppen, misslangen, hat der<br />

Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> im Februar ein<br />

Preisausschreiben erlassen: ,Welche<br />

durch Gesetz oder Verordnung einzuführenden<br />

Maßnahmen werden vorgeschlagen,<br />

um eine Überfüllung des<br />

Anwaltsstandes vorzubeugen?‘“<br />

Vieles ist wieder aktuell<br />

Was sich wie eine aktuelle Zusammenfassung<br />

heutiger Probleme der<br />

Anwaltschaft liest, wurde so in der 5.<br />

Beilage zum Hamburger Fremdenblatt<br />

am 12. September 1929 unter dem Titel<br />

„Bedenkliche Überfüllung des Juristenberufes“<br />

veröffentlicht. Der Text<br />

wurde von dem Vorstand der hamburgischen<br />

Justizverwaltung, Senator Dr.<br />

Nöldeke, anlässlich des 24. Deutschen<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Anwaltstages vom 11. bis 14.9.1929<br />

in Hamburg verfasst. Ob das Preisausschreiben<br />

einen Sieger und damit einer<br />

Lösungsansatz für die benannten Probleme<br />

hervorbrachte, konnte nicht<br />

mehr recherchiert werden. Die Fragestellung<br />

an sich ist heute freilich<br />

wieder aktuell.<br />

Nicht der erste Anwaltstag in Hamburg<br />

Der Deutsche Anwaltstag war damals<br />

eine Mitgliederversammlung des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s. 1929 existierte<br />

der <strong>Anwaltverein</strong> beinahe sechs<br />

Jahrzehnte nach seiner Gründung im<br />

Jahre 1871 in Bamberg. In ihm hatten<br />

sich etwa 14.000 der rund 16.000 deutschen<br />

Rechtsanwälten zusammengeschlossen.<br />

Schon vor Gründung des<br />

Vereins hatten in den Vierzigerjahren<br />

des 19. Jahrhunderts drei Anwaltstage<br />

stattgefunden, von denen einer bereits<br />

die Gründung eines deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

in Aussicht genommen hatte.<br />

Seit seiner Gründung im Jahre 1871<br />

hatte der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> vor<br />

1929 bereits 23 ordentliche Anwaltstage<br />

abgehalten, sodass der 1929 in<br />

Hamburg durchgeführte Anwaltstag der<br />

24. in der Gesamtreihe und der zweite in<br />

der Hansestadt war. Weitere drei Anwaltstage<br />

wurden in der Folgezeit in<br />

Hamburg abgehalten. In den ersten Jahrzehnten<br />

des Bestehens des Deutschen<br />

Anwaltsvereins lag der Schwerpunkt<br />

seiner Tätigkeit in der Veranstaltung<br />

dieser Anwaltstage, die sich mit einer<br />

Fülle wichtiger Fragen der Gesetzgebung<br />

und des Standes befassten.<br />

Bereits 1929 stellte die wachsende<br />

Zahl der Anwälte eine Besorgnis für<br />

die Anwaltschaft dar. Stichworte wie<br />

Freizügigkeit der Advokatur, Beschränkung<br />

der Zahl der Richter sowie<br />

Einführung eines Numerus clausus fielen<br />

in diesem Zusammenhang und<br />

wurden auf dem damaligen Anwaltstag<br />

erörtert.<br />

Lockerung der Gebührenordnung<br />

Aber auch andere Themen waren<br />

von großem Belang, wie Auszüge aus<br />

dem Hamburger Fremdenblatt sowie<br />

den Hamburger Nachrichten zeigen.<br />

Die Reichsgebührenordnung für die<br />

Rechtsanwaltschaft wurde diskutiert.<br />

Insbesondere wurde über eine Lockerung<br />

der Gebührenordnung nachgedacht.<br />

Auch wurde der Grundsatz<br />

der Erstattungspflicht kritisiert. Heute<br />

steht das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />

unmittelbar vor seinem<br />

Abschluss und wird sicherlich auf dem


AnwBl 4/2004 233<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

� Das „Hamburger Fremdenblatt“ berichtete vor 75 Jahren in einer Sonderbeilage über den 24. Deutschen Anwaltstag in Hamburg.


234<br />

MN<br />

55. Deutschen Anwaltstag im Jahr<br />

2004 diskutiert werden. Es sieht nach<br />

wie vor die gesamte Erstattung der<br />

Kosten des Rechtsstreites vor.<br />

Nichtanwaltliche Konkurrenz<br />

Gegenüber dem <strong>Anwaltverein</strong><br />

wurde die Forderung laut, dieser habe<br />

als Kollektivum dafür Sorge zu tragen,<br />

dass die Anwaltschaft ihrer Aufgabe<br />

der Rechtsberatung umfassend nachkommen<br />

könne, auch und gerade im<br />

Eigeninteresse der Anwälte. Als unterversorgt<br />

und unterbesetzt wurde z. B.<br />

das Gebiet der Beratung Minderbemittelter<br />

und der gesamte Amtsgerichtsprozess<br />

angesehen. Man hatte diese<br />

Aufgaben Konkurrenten oder dem Vater<br />

Staat überlassen, nicht ohne diese<br />

zu schelten. Es wurde bemängelt, die<br />

Anwaltschaft habe keine anwaltliche<br />

Rechtsauskunftsstelle organisiert.<br />

Auch damit könne der Anwalt durchaus<br />

sein Brot verdienen. Als eine der<br />

bedenklichsten Erscheinungen für das<br />

Tätigkeitsgebiet der Anwälte wurde<br />

die Flucht der Wirtschaft von den ordentlichen<br />

Gerichten hin zu Schiedsgerichten<br />

genannt. Dem <strong>Anwaltverein</strong><br />

und der Anwaltskammer wurde vorgeworfen,<br />

sie hätten nichts unternommen,<br />

diese Bewegung abzufangen. Vor<br />

allem wurde gerügt, dass es bis dato<br />

unterlassen wurde, einen Antrag auf<br />

Zulassung anwaltlicher Gütestellen zu<br />

stellen.<br />

Im Vergleich zur heutigen Zeit haben<br />

sich die Rahmenbedingungen<br />

zwar grundlegend geändert, gleichwohl<br />

ist auch der heutige Anwalt der<br />

Konkurrenz nichtanwaltlicher Berater<br />

ausgesetzt. Beispielsweise versuchen<br />

Versicherer, karitative Verbände sowie<br />

Inkassounternehmen Tätigkeitsgebiete<br />

für sich zu vereinnahmen, bei denen<br />

es die Anwaltschaft offensichtlich versäumt,<br />

diese für sich zu besetzen.<br />

Rechtsanwälte als Richter?<br />

Der damalige Präsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Justizrat Dr. Drucker,<br />

erinnerte am 10. September 1929<br />

anlässlich des Empfangs des Senats im<br />

Hamburger Rathaus in seiner Erwiderung<br />

auf die Ansprache des Bürgermeisters<br />

Dr. Petersen an die Hamburger<br />

Niedergerichtsordnung von 1622,<br />

wonach die Urteiler, also die Richter,<br />

sich vom Rat der Stadt einen oder<br />

zwei Prokuratoren erbitten konnten,<br />

die mit ihnen in die Rechtsfindung gehen<br />

oder gar die Rechtsfindung selbst<br />

einbringen sollten. Der Richter konnte<br />

also zeitweilig seinem Amte zu Gunsten<br />

des Rechtsanwalts entsagen. Heute<br />

gibt es in der Rechtspolitik durchaus<br />

Denkmodelle, wonach Rechtsanwälte<br />

zugleich auch Richter sein sollen.<br />

Auch mit diesem Thema beschäftigt<br />

sich die Anwaltschaft heute und damit<br />

auch der kommende Anwaltstag.<br />

Die Diskussion um Fachanwaltschaften<br />

Eine Stärkung der Stellung des Anwalts<br />

gegenüber den nichtanwaltlichen<br />

Beratern sollte die Einführung der<br />

Fachanwaltschaft im Sinne der Kundmachungserlaubnis<br />

bewirken. Hervorzuheben<br />

sind hier die Gebiete des<br />

Steuerrechts und des Verwaltungsrechts.<br />

In der Abgeordnetenversammlung<br />

am 11. September 1929 im Hotel<br />

Esplanade sprach sich der Abgeordnete<br />

Rechtsanwalt Dr. Hally II (Dresden)<br />

für die Einführung der Fachanwaltschaft<br />

aus. Gleichzeitig lehnte<br />

er aber die Einführung von Vorbeugungsmaßregeln<br />

ab, wie z. B. das Verbot<br />

des gleichzeitigen Betriebs der allgemeinen<br />

Praxis sowie die Einführung<br />

von Prüfungen, Befähigungsnachweisen<br />

oder Konzessionen. Er empfahl jedoch<br />

den Erwerb des Fachanwaltstitels<br />

nur nach 10-jähriger Zulassung als<br />

Anwalt.<br />

Bis heute ist die Diskussion um die<br />

Fachanwaltschaften nicht beendet. Allerdings<br />

wird heute nur noch um die<br />

Frage der Zulassung weiterer Fachanwaltschaften<br />

auf bestimmten Gebieten,<br />

nicht mehr über die Fachanwaltschaft<br />

an sich diskutiert.<br />

<strong>Deutscher</strong> Anwaltstag 2004<br />

Die Themen des 24. Deutschen Anwaltstages<br />

im Jahre 1929 haben wieder<br />

an Aktualität gewonnen und werden<br />

auch den 55. Anwaltstag 2004 in Hamburg<br />

inhaltlich prägen. Die Anwaltszahlen<br />

haben sich in den letzten zehn<br />

Jahren von rund 60.000 auf 120.000<br />

verdoppelt – im selben Zeitraum hat<br />

der Umsatz der gesamten Anwaltschaft<br />

pro Kopf aber um ein Fünftel abgenommen:<br />

ein dramatisches Verhältnis.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung<br />

haben die Fragen nach der<br />

Einkommenssituation und der -entwicklung<br />

der Anwaltschaft, das Massenproblem<br />

sowie der Regelung des<br />

Zugangs akut an Bedeutung gewonnen.<br />

Das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />

belegt augenscheinlich die Tatsache,<br />

dass auch das Modell der an-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

waltlichen Vergütung insgesamt<br />

Gegenstand der Diskussion ist.<br />

Die Anwaltschaft muss sich zudem<br />

darauf konzentrieren, den eigenen<br />

Nachwuchs auszubilden. Nur mit einem<br />

kompetenten Anwaltsnachwuchs<br />

kann sie sich und ihre eigenen Felder<br />

verteidigen, und zwar nicht untereinander,<br />

sondern gegenüber Dritten.<br />

Die Tätigkeit von Nichtjuristen auf<br />

dem Rechtsberatungsmarkt muss von<br />

der Anwaltschaft genau beobachtet<br />

werden, insbesondere im Hinblick darauf,<br />

dass das Rechtsberatungsgesetz<br />

vor einer Novellierung steht und EU-<br />

Kommissar Monti die Frage aufgeworfen<br />

hat, inwieweit man bisher eindeutig<br />

den Rechtsanwälten zugeordnete<br />

Tätigkeiten für jedermann freigeben<br />

könne.<br />

Motto: Zukunft der Anwaltschaft<br />

Mit dem 55. Deutsche Anwaltstag<br />

vom 20. bis 22. Mai 2004 im Congresscenter<br />

(CCH) findet zum sechsten<br />

Mal ein Anwaltstag in Hamburg<br />

statt. Über die Fachveranstaltungen hinaus<br />

steht die Veranstaltung unter einem<br />

durchlaufenden Konzept mit dem<br />

Motto „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

und verfügt damit über ein Programm,<br />

welches sich u. a. mit oben benannten<br />

Themen beschäftigen wird. Die Anwaltschaft<br />

setzt sich hier in mehreren<br />

Schritten mit ihrem Stand im Wandel<br />

der Zeit auseinander. Wird zunächst<br />

der Anwalt auf dem Dienstleistungsmarkt<br />

dargestellt und analysiert, wendet<br />

sich die Veranstaltung danach dem<br />

Thema Konfliktlösung „ohne Recht“<br />

zu. In einem dritten Schritt werden<br />

Vorschläge diskutiert, wie sich die Anwaltschaft<br />

auf dem Markt besser positionieren<br />

kann und muss. Abschließend<br />

wird sich ein letzter Teil der<br />

Veranstaltung mit den Sicherungssystemen<br />

der Anwaltschaft beschäftigen.<br />

Auch wenn der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

seit den ersten Anwaltstagen inzwischen<br />

eine Anzahl von Aufgaben,<br />

die seinerzeit dem Anwaltstag zufielen,<br />

einer von den Mitgliedern des Vereins<br />

gewählten Abgeordnetenversammlung<br />

übertragen hat, so ist und bleibt er<br />

doch die Zusammenkunft, in der die<br />

grundsätzlichen Fragen, welche den<br />

Anwaltsstand angehen, erörtert und zu<br />

Gehör gebracht werden. Mit Hamburg<br />

für den 55. Deutschen Anwaltstag im<br />

Jahr 2004 hat der DAV einen in jeder<br />

Hinsicht passenden Ort gewählt.<br />

Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin


AnwBl 4/2004 235<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

DAV-Rednerwettstreit auf<br />

dem Deutschen Anwaltstag<br />

Anwältinnen und Anwälte<br />

mit Rhetorik – wieder<br />

DAV-Rednerwettstreit<br />

Auch beim 55. Deutschen Anwaltstag,<br />

der vom 20. bis 22. Mai 2004 in<br />

Hamburg stattfindet, gibt es wieder<br />

den DAV-Rednerwettstreit.<br />

Anwaltliche Tätigkeit lebt nicht zuletzt<br />

von dem Umgang mit der Sprache.<br />

Als der DAV den Rednerwettstreit<br />

aus der Taufe gehoben hat, musste<br />

festgestellt werden, dass der Sprache<br />

und dem Umgang mit ihr in Deutschland<br />

kein angemessener Stellenwert<br />

zukommt. So gibt es auch noch Nachholbedarf<br />

im Vergleich zu anderen<br />

Ländern. In Frankreich gibt es mehrere<br />

Rednerwettstreite und Rednerwettbewerbe<br />

für Juristen und für<br />

Nichtjuristen. Das Fach Rhetorik spielt<br />

in Deutschland an den Universitäten<br />

so gut wie keine Rolle. In der Ausbildung<br />

zur Anwaltschaft kommt sie bisher<br />

nicht vor.<br />

Dieser Wettbewerb dient dazu das<br />

Bewusstsein für dieses Problem zu<br />

schaffen. Ein weiterer Zweck ist es,<br />

auch Talente zu finden, die vielleicht<br />

bisher kein Forum hatten.<br />

Teilnehmen können alle Anwältinnen<br />

und Anwälte, die Mitglied eines<br />

örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>s sind, die Mitglieder<br />

des Forums Junge Anwaltschaft<br />

und die Teilnehmer der DAV-<br />

Anwaltausbildung. Sie dürfen zum<br />

Zeitpunkt des Vortrages am 20. Mai<br />

2004 in Hamburg nicht älter als 39<br />

Jahre sein. In diesem Jahr werden, anders<br />

als in den vergangenen Jahren,<br />

nicht drei, sondern nur zwei Themen<br />

vorgegeben. Allerdings haben die Teilnehmer<br />

auch die Möglichkeit ein eigenes<br />

Thema ihrer Wahl festzulegen.<br />

Die vorgegebenen Themen lauten:<br />

9 Das Kreuz mit dem Kopftuch<br />

9 Sind Anwälte wirklich „Edel und<br />

Star(c)k“?<br />

Die Themen sind dabei bewusst<br />

auch so gesetzt, dass man außerhalb<br />

der engen Berufstätigkeit auch in ironischer<br />

oder künstlerischer Weise auf<br />

den Anwaltsbereich übergreifen kann.<br />

Der Jury ist daran gelegen, dass durchaus<br />

Themenbereiche aufgearbeitet werden,<br />

die nicht direkt die anwaltliche<br />

Arbeit wiederspiegeln. Einen rhetorisch<br />

geschlagenen Anwalt muss es<br />

auch auszeichnen, dass er mit nicht<br />

sehr fachgebundenen Themenbereichen<br />

sprachlich gut umgehen kann. Die Teil-<br />

nehmerinnen und Teilnehmer müssen<br />

ihre Rednerbeiträge bis zum 25. April<br />

2004 beim DAV einreichen. Die Jury<br />

ist hochkarätig besetzt. Neben dem<br />

Vorsitzenden der Jury, Rechtsanwalt<br />

Georg Prasser, Vizepräsident des DAV,<br />

gehören Präsident des Verbandes Redenschreiber,<br />

Dr. Thilo von Trotha,<br />

der Inhaber des einzigen Lehrstuhls in<br />

Tübingen für allgemeine Rhetorik,<br />

Prof. Dr. Gert Ueding, und die Justizsenatorin<br />

a. D., Dr. Lore Peschel-Gutzeit<br />

dazu. Daneben als anwaltliche<br />

Vertreter noch den Vizepräsidenten<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer, Dr.<br />

Ulrich Scharf und Rechtsanwalt Dr.<br />

Bernd Hirtz.<br />

Als Preise werden vergeben:<br />

2.500 E (1.Preis), 1.000 E (2.Preis)<br />

und 500 E (3.Preis).<br />

Die Ausschreibung und die Teilnehmerbedingungen<br />

finden Sie im Internet<br />

unter www.anwaltverein.de/<br />

DAT/index.html.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Berlin<br />

Pressemitteilungen<br />

Lob und Tadel für<br />

Bundesverfassungsgericht<br />

DAV fordert Politik bei Sicherungsverwahrung<br />

zu Augenmaß auf<br />

Auf die beiden Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen<br />

vom 5.2 und<br />

10.2.2004 zur nachträglichen bzw. vorbehaltenen<br />

(zeitlich nicht befristeten)<br />

Sicherungsverwahrung hat der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> (DAV) unterschiedlich<br />

reagiert. Besorgnis erregend sei die<br />

Reaktion der Politik, schnellstmöglich<br />

handeln zu wollen und damit unter<br />

Druck setzt. „Dabei darf es für die Bundesregierung<br />

und die Opposition nicht<br />

darum gehen, die Lufthoheit über die<br />

Stammtische zu gewinnen“, so Rechtsanwalt<br />

Georg Prasser, Vize-Präsident<br />

des DAV. Vielmehr müsste ein Diskussionsentwurf<br />

erarbeitet werden, der mit<br />

Augenmaß alle Interessen berücksichtigt<br />

und gerichtliche Überprüfungen der<br />

Entscheidungen ermöglicht.<br />

Zunächst sei es erfreulich und beruhigend,<br />

dass das Bundesverfassungsgericht<br />

zum einen deutlich gemacht<br />

habe, Sicherungsverwahrung dürfe<br />

nicht einfach lebenslanges Wegsperren<br />

bedeuten. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht<br />

klargestellt, dass<br />

die Hoffnung auf Besserung nie aufgegeben<br />

werden dürfe und dazu einige<br />

Vorgaben formuliert, an denen sich die<br />

Praxis orientieren wird. So muss beispielsweise<br />

regelmäßig überprüft werden,<br />

ob die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung<br />

im konkreten Fall<br />

noch gegeben sind. Auch bezüglich<br />

der praktischen Ausgestaltung des Verwahrvollzugs<br />

wurden Vorgaben erteilt,<br />

die letztlich sicherstellen sollen, dass<br />

auch bei Sicherungsverwahrung das<br />

Recht auf ein menschenwürdiges Leben<br />

gewährleistet ist.<br />

Auch sei die Entscheidung vom<br />

10.2.2004, mit der das Bundesverfassungsgericht<br />

die von einigen Bundesländern<br />

geschaffene Möglichkeit, gefährliche<br />

Straftäter nach Verbüßung<br />

ihrer Haft weiterhin in Gewahrsam zu<br />

halten, für verfassungswidrig erklärt<br />

hat, so erwartet worden. Der DAV hatte<br />

bereits vor Erlass seiner (verfassungswidrigen)<br />

Ländergesetze im Zuge von<br />

Anhörungsverfahren zu den Gesetzesvorhaben<br />

darauf hingewiesen, dass<br />

diese u. a. wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz<br />

der Länder massiven<br />

Bedenken begegneten. Irritierend<br />

und unverständlich sei jedoch, dass das<br />

Bundesverfassungsgericht die verfassungswidrigen<br />

Gesetze bis zum<br />

30.9.2004 fortgelten lasse. Dies unter<br />

zwei Aspekten: Erstens gälten damit<br />

Gesetze, die der zuständige Gesetzgeber<br />

– der Bund – gerade nicht habe erlassen<br />

wollen. Zweitens habe der Bund<br />

jetzt politisch keine andere Wahl, als<br />

diese Gesetze eben doch zu erlassen.<br />

Könnten in Zukunft kleine Einheiten<br />

Vorschriften aufstellen, für die sie nicht<br />

zuständig sind? Was mache das Bundesverfassungsgericht,<br />

wenn demnächst<br />

eine Kommune etwa auf Grund ihrer<br />

Satzung zur Gefahrenabwehr (und zur<br />

Aufrechterhaltung von Sicherheit und<br />

Ordnung) als gefährlich eingeschätzte<br />

Menschen kurzerhand inhaftiere? Blieben<br />

diese dann ebenfalls in Haft, bis das<br />

insoweit gesetzgebungskompetente Organ<br />

(Landes- oder Bundesgesetzgeber)<br />

die Gelegenheit hatte, selbst eine entsprechende<br />

gesetzliche Grundlage für<br />

die Inhaftierung zu schaffen?<br />

Weil das Gericht aus Respekt vor<br />

den guten Absichten des unzuständigen<br />

Gesetzgebers auf klare Konsequenzen<br />

verzichte, entwerte es wichtige<br />

Schutzmechanismen.<br />

(DAV-Pressemitt. 06/04)


236<br />

MN<br />

Anwälte lehnen EU-Asylverfahrensrichtlinie<br />

ab<br />

Der Entwurf für eine gemeinsame<br />

Asylverfahrensrichtlinie stand am 19.<br />

und 20.2.2004 auf der Tagesordnung<br />

der Ratssitzung der Justiz- und Innenminister<br />

der EU-Mitgliedsstaaten in<br />

Brüssel.<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Ausländer-<br />

und Asylrecht im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />

(DAV) lehnte in einer gemeinsamen<br />

Stellungnahme mit<br />

verschiedenen Menschenrechtsorganisationen,<br />

so unter anderem amnesty<br />

international und ProAsyl, diese EU-<br />

Asylverfahrensrichtlinie entschieden<br />

ab und warnte vor ihrer Verabschiedung.<br />

Der derzeitige Entwurf würde<br />

einen starken Rückschritt für den europäischen<br />

Flüchtlingsschutz bedeuten<br />

und stehe nicht im Einklang mit internationalen<br />

Standards. Besonders bedenklich<br />

sei die vorgesehene Drittstaatenregelung,<br />

wonach auch solche<br />

Problemstaaten wie Russland, Weißrussland<br />

und die Ukraine potenziell als<br />

sichere Drittstaaten angesehen werden<br />

sollen. Besorgnis erregend wäre auch<br />

der künftige fehlende Rechtschutz von<br />

Flüchtlingen gegen abgelehnte Asylanträge<br />

durch die Ausweitung so genannter<br />

beschleunigter Verfahren.<br />

„Die Bundesregierung soll ihren<br />

Versuch aufgeben, die deutsche Drittstaatenregelung<br />

in der künftigen Asylverfahrensrichtlinie<br />

der EU zu verankern“,<br />

so Rechtsanwältin Susanne<br />

Schröder, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaften<br />

Ausländer- und Asylrecht<br />

im DAV.<br />

Die gemeinsame Stellungnahme zu<br />

dem Entwurf der EU-Verfahrensrichtlinie<br />

finden Sie im Internet unter<br />

http://www.anwaltverein.de/05/28/<br />

06.html. (DAV-Pressemitt. 05/04)<br />

DAV begrüßt Überlegungen<br />

für eine Reform des<br />

Strafverfahrens<br />

Der von den Regierungsfraktionen<br />

im Februar der Öffentlichkeit vorgestellte<br />

Diskussionsentwurf zur Reform<br />

des Strafverfahrens wird vom<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (DAV) in einer<br />

ersten Stellungnahme positiv bewertet.<br />

Bemerkenswert sei, dass nach<br />

Jahrzehnten punktueller – teilweise unnötiger,<br />

teilweise kontraproduktiver –<br />

Versuche, Strafverfahren zu beschleunigen,<br />

dem Gesetzgeber es nunmehr<br />

erkennbar um eine qualitative Verbesserung<br />

des Strafverfahrens gehe.<br />

„Das Bemühen, die berechtigten<br />

Interessen des Angeklagten, die des<br />

Staates und Opferschutzüberlegungen<br />

auswogen zu berücksichtigen, ist<br />

unübersehbar“, so DAV-Vizepräsident<br />

Georg Prasser in einer ersten Bewertung.<br />

So gelte es die Unschuldsvermutung<br />

einerseits gegenüber dem Interesse<br />

an effektiver Strafverfolgung<br />

auszugleichen. Sicherlich müssten die<br />

Vorschläge im Einzelnen nunmehr kritisch<br />

auf ihre Zweckmäßigkeit hin untersucht<br />

und diskutiert werden.<br />

„Die Anwaltschaft freut sich auf<br />

diese Diskussion“, so Prasser. Dabei<br />

müsse im Detail untersucht werden,<br />

ob nicht der ein oder andere Vorschlag<br />

zu weit gehe, andere Ideen aber noch<br />

mutiger umgesetzt werden müssten,<br />

als dies die Koalition vorschlage.<br />

„Schließlich wird es auf die Ausgewogenheit<br />

einer reformierten Strafprozessordnung<br />

im Ganzen ankommen“,<br />

so Prasser weiter.<br />

(DAV-Pressemitt. 04/04)<br />

Neue Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwältinnen<br />

Die Ziele der neuen<br />

Arbeitsgemeinschaft<br />

Gründungsversammlung auf dem<br />

Anwaltstag im Mai<br />

Über den Arbeitskreis „Anwältinnen<br />

im DAV“ wurde an dieser Stelle<br />

bereits mehrfach berichtet. Das im Vergleich<br />

zu ihren männlichen Kollegen<br />

deutlich geringere Einkommen und das<br />

gesellschaftliche Bild, wonach Frauen<br />

in Führungsgremien offenkundig unterrepräsentiert<br />

sind (übrigens auch in<br />

den Organen des DAV) waren die<br />

Hauptgründe für die Einsetzung des<br />

Arbeitskreises. Einmal angefangen, die<br />

Ursachen hierfür zu untersuchen, eröffneten<br />

sich dem Arbeitskreis immer<br />

neue Perspektiven, wie die Situation<br />

der Anwältinnen verbessert werden<br />

könnte. Aus der Erkenntnis, dass diese<br />

Aufgabe in Umfang und Bedeutung<br />

die Kapazität eines Arbeitskreises<br />

übersteigt, hat der Vorstand des DAV<br />

in seiner Sitzung am 11.2.2004 beschlossen,<br />

die Arbeitsgemeinschaft<br />

„Anwältinnen im DAV“ zu gründen.<br />

Wir haben uns das Ziel gesetzt, die<br />

speziellen Belange der Berufstätigkeit<br />

der Rechtsanwältinnen im Einvernehmen<br />

mit dem DAV zu fördern, um die<br />

paritätische Teilhabe der Rechtsanwäl-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

tinnen erwerbswirtschaftlich und berufspolitisch<br />

herzustellen und zu sichern.<br />

Hierzu haben wir uns für dieses<br />

Jahr folgende Schwerpunkte gesetzt:<br />

9 Fortbildung speziell für Anwältinnen,<br />

z. B. durch Seminare zum<br />

Thema Honorarverhandlungen,<br />

Kommunikation und Selbstmanagement;<br />

9 Förderung der Vereinbarkeit von Familie<br />

und Karriere, z. B. durch Auszeichnung<br />

von Kanzleien mit familienfreundlichen<br />

Arbeitszeitmodellen;<br />

9 Aufbau eines berufsspezifischen<br />

Netzwerkes und Kooperation mit<br />

branchenübergreifenden Netzwerken<br />

(monatlicher Newsletter);<br />

9 Mentoring (persönliche Berufs- und<br />

Karriereberatung durch erfahrene<br />

Anwältinnen);<br />

9 Öffentlichkeitsarbeit zur Stärkung<br />

des Berufsprofils der Anwältinnen.<br />

Wer Interesse hat, sich mit anderen<br />

Kolleginnen als Anwältin in eigener<br />

Sache zu engagieren, sollte der Arbeitsgemeinschaft<br />

„Anwältinnen im<br />

DAV“ beitreten. Interessierte Kolleginnen<br />

und Kollegen sind aufgerufen, zur<br />

Gründungsveranstaltung auf dem DAT<br />

am 20.5.2004 um 16:00 Uhr im CCH<br />

Congress Centrum Am Dammtor,<br />

20335 Hamburg zu erscheinen.<br />

Rechtsanwältin Ute Stattler, Berlin<br />

Einladung zur Gründung der<br />

Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwältinnen im DAV<br />

Hiermit wird eingeladen zur<br />

Gründungsversammlung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Anwältinnen am<br />

Donnerstag, dem 20.5.2004,<br />

16.00 èUhr – 18.00 èUhr<br />

CCH Congress Centrum<br />

Am Dammtor/Marseiller Str.è2<br />

20335 Hamburg<br />

Tagesordnung:<br />

1. Gründungsbeschluss<br />

2. Beschlussfassung über die Geschäftsordnung<br />

3. Beitritt der Gründungsmitglieder<br />

4. Wahl des ersten Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

5. Beschlussfassung über die Höhe<br />

des Mitgliedsbeitrages<br />

6. Verschiedenes<br />

Frau Kollegin Sabine Leutheusser-<br />

Schnarrenberger, Justizministerin<br />

a. D., wird die Veranstaltung mit einem<br />

einführenden Vortrag eröffnen.


AnwBl 4/2004 237<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Ihre Anmeldungen zur Gründungsversammlung,<br />

Kandidaturen für die<br />

Wahl zum Geschäftsführenden Ausschuss<br />

und weitere Vorschläge zur Tagesordnung<br />

werden erbeten bis<br />

30.4.2004 an die Geschäftsstelle des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s e.V, z. Hd.<br />

Annegret Seiffert, Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin, Tel.: 0 30/7 26 15 21 47, Fax:<br />

0 30/7 26 15 21 96, seiffert@anwaltverein.de<br />

Ansprechpartner in der DAV-Geschäftsführung<br />

ist Rechtsanwältin<br />

Dr. Malaika Ahlers, Littenstr. 11,<br />

10179 Berlin, Tel.: 0 30/7 26 15 21 27,<br />

Fax: 0 30/7 26 15 21 96, ahlers@<br />

anwaltverein.de.<br />

AG Sportrecht<br />

Mitgliederversammlung 2004<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> lädt<br />

ein zur Mitgliederversammlung am<br />

11.6.2004, 17:30 Uhr, Maritim<br />

Strandhotel Travemünde, Trelleborgallee<br />

2, 23570 Lübeck-Travemünde.<br />

Tagesordnung:<br />

1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses und Aussprache<br />

2. Kassenberichte 2002 und 2003 und<br />

Aussprache<br />

3. Wahl des Kassenprüfers und seines<br />

Stellvertreters für das Haushaltsjahr<br />

2004<br />

4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

5. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

6. Termine 2005<br />

7. Verschiedenes<br />

Nach § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung<br />

der Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

sind Anträge und Ergänzungen<br />

zur Tagesordnung bis 21 Tage vor der<br />

Mitgliederversammlung an die Geschäftsstelle<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

(Littenstr. 11, 10179 Berlin) zu richten.<br />

FORUM Junge Anwaltschaft<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

Ich möchte alle Mitglieder des<br />

FORUMs Junge Anwaltschaft zur Mitgliederversammlung<br />

am 21.5.2004 von<br />

15.00 Uhr bis 17.00 Uhr im Congress<br />

Centrum Hamburg einladen.<br />

Tagesordnung:<br />

1. Begrüßung<br />

2. Feststellung der Beschlussfähigkeit<br />

3. Genehmigung der Tagesordnung<br />

4. Verlesung und Genehmigung des<br />

Protokolls der letzten MV<br />

5. Bericht des Vorsitzenden mit Vorstellung<br />

neuer Projekte<br />

6. Bericht des Schatzmeisters<br />

7. Bericht der Kassenprüfer<br />

8. Entlastung des GFA<br />

9. Wahl der Kassenprüfer<br />

10. Antrag auf Satzungsänderung (Anpassung<br />

des Wortlauts der Geschäftsordnung<br />

an die neuen gesetzlichen<br />

Regelungen zur<br />

Juristenausbildung)<br />

11. Allgemeine Aussprache und Sonstiges<br />

Rechtsanwalt Martin Lang, Vorsitzender<br />

des Forum Junge Anwaltschaft<br />

AG Ausländer- und<br />

Asylrecht<br />

Einladung zur Mitgliederversammlung<br />

2004 in Köln<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Ausländerund<br />

Asylrecht im DAV lädt alle Mitglieder<br />

ein zur Mitgliederversammlung<br />

am Samstag, den 5.6.2004, von<br />

14.00 bis ca. 16.00 Uhr, im Kolpinghaus<br />

International in Köln, St.-<br />

Apern-Straße 32, 50667 Köln, Tel.:<br />

0221/20 930.<br />

Vorschlag zur Tagesordnung:<br />

TOP 1 Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 2 Bericht des Schatzmeisters<br />

TOP 3 Bericht des Kassenprüfers<br />

TOP 4 Aussprache zu Punkten 1–3<br />

TOP 5 Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

TOP 6 Wahl eines Kassenprüfers<br />

TOP 7 Festsetzung des Mitgliedsbeitrages<br />

TOP 8 Verleihung der Ehrenmitgliedschaft<br />

an Prof. Dr. Holger<br />

Hoffmann<br />

TOP 9 Anregung für Aktivitäten der<br />

Arbeitsgemeinschaft (Fortbildung,<br />

Sonstiges)<br />

TOP 10 Verschiedenes<br />

Anträge von Mitgliedern sind auf<br />

die Tagesordnung zu setzen, wenn sie<br />

spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />

dem Geschäftsführenden<br />

Ausschuss schriftlich vorliegen und<br />

von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt<br />

werden (§ 6 Abs. 3 der GO).<br />

Bitte schicken Sie die Anträge an die<br />

Geschäftstelle der Arbeitsgemeinschaft<br />

beim Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>,<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin.<br />

Die Vorsitzende Rechtsanwältin<br />

Susanne Schröder, Hannover<br />

Personalien<br />

Georg Greißinger 70<br />

Am 13. Februar 2004 hat unser Georg<br />

Greißinger in Hildesheim seinen<br />

70. Geburtstag gefeiert – in großer<br />

Runde und in alter Frische. Er hatte –<br />

frei nach Albert Schweizer – das Motto<br />

ausgegeben, das Alter runzle zwar<br />

die Haut, aber die Seele runzle nur,<br />

wenn der Enthusiasmus nachlasse.<br />

Enthusiasmus ist, was Georg Greißinger<br />

auszeichnet, Enthusiasmus für seinen<br />

Beruf und für die Basis. Für das Verkehrsrecht<br />

zuerst, Existenzgrundlage für<br />

viele Anwälte. Sein jahrzehntelanger<br />

Einsatz auf diesem Gebiet ist inzwischen<br />

jedermann geläufig, er dauert in alter Intensität<br />

noch heute an. Dann aber auch<br />

für den rechtssuchenden Verbraucher:<br />

das Beratungshilfegesetz trägt seine<br />

Handschrift. Und schließlich im Einsatz<br />

für das Allgemeine, im <strong>Anwaltverein</strong><br />

vornehmlich, verbunden mit allen Aufgaben,<br />

die dort zu bewältigen sind. Greißinger<br />

war schließlich Vizepräsident des<br />

DAV, blieb aber immer, ich wiederhole<br />

es, der Basis verbunden. Seine Verdienste<br />

sind anderweitig umfangreich im Einzelnen<br />

gewürdigt: er erhielt im Jahr 2002<br />

das Ehrenzeichen der deutschen Anwaltschaft<br />

– als ein Anwalt, der die Sorgen<br />

und Nöte unserer Kolleginnen und Kollegen<br />

kannte wie kein anderer.<br />

Und die Sorge, daß Georg Geißinger<br />

nach seinem Siebzigsten in seinem<br />

Enthusiasmus nachlassen werde,<br />

braucht uns keine Runzeln auf die<br />

Stirn treiben: am Höhepunkt seiner<br />

Geburtstagsfeier erklärte er laut und<br />

deutlich, er könne vom Anwaltsberuf<br />

nicht lassen. Etwas anderes hätte seine<br />

Frau, die ihn 40 Jahre kennt, wohl<br />

auch gar nicht erwartet. Wir alle gratulieren<br />

Georg Greißinger herzlich zum<br />

runden Geburtstag und wünschen ihm<br />

ein langes, weiter gesundes Leben!<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Auszeichnung von Anwälten<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Heinrich<br />

Albert Ku h r, Münster, das Verdienstkreuz<br />

1. èKlasse des Verdienstordens<br />

der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Frau<br />

Rechtsanwältin Christiane S c h r e i b e r,<br />

St. Wendel, das Verdienstkreuz 1. Klasse<br />

des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.


238<br />

MN EUROPA<br />

Montis Bericht über den Wettbewerb<br />

bei freiberuflichen Dienstleistungen<br />

Die Kommission der Europäischen<br />

Gemeinschaft hat am 9. Februar 2004<br />

den Bericht über den Wettbewerb bei<br />

freiberuflichen Dienstleistungen vorgelegt.<br />

Und was steht nun in dem sogenannten<br />

Monti-Bericht? Zunächst<br />

einmal nichts Überraschendes. Dass<br />

ein Spannungsverhältnis zwischen Reglementierungen<br />

der Freien Berufe<br />

und den Wettbewerbsregelungen des<br />

EU-Vertrages besteht, ist nicht neu.<br />

Für Monti ist aber weiter klar, dass aus<br />

wettbewerbspolitischer Sicht Handlungsbedarf<br />

im Bereich der Freien Berufe<br />

besteht, das heißt für konkrete<br />

Deregulierung bei den Anwälten.<br />

Hintergrund<br />

Der Bericht ist Teil eines wirtschaftspolitischen<br />

Reformprogramms,<br />

mit dem die Union bis zum Jahr 2010<br />

zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten<br />

wissensbasierten Wirtschaftsraum<br />

der Welt werden soll. So<br />

hatte es der Europäische Rat im März<br />

2000 in Lissabon beschlossen. Die Generaldirektion<br />

Wettbewerb unter EU-<br />

Kommissar Mario Monti prüft seitdem<br />

die Berufsrechte in den EU-Staaten<br />

und legte im vergangenen Jahr bereits<br />

die sogenannte IHS-Studie vor (siehe<br />

dazu Lühn, AnwBl 2003, 688, und in<br />

diesem Heft Hellwig, Seite 213).<br />

Grundsätzlich Neues?<br />

Im Monti-Bericht identifiziert die<br />

Kommission vor allen fünf Gruppen<br />

von restriktiven Regeln für die Freien<br />

Berufe: 1. verbindliche Festpreise, 2.<br />

Preisempfehlungen, 3. Regeln für die<br />

Werbung, 4. Zugangsvoraussetzungen<br />

und ausschließliche Rechte und 5. Vorschriften<br />

für die zulässige Unternehmensform<br />

und die berufsübergreifende<br />

Zusammenarbeit. Sie hält erneut fest,<br />

dass Regelungen von Berufsverbänden<br />

und staatliche Reglementierungen gegen<br />

EU-Wettbewerbsrecht verstoßen<br />

können. Dabei ist nach Auffassung der<br />

Kommission bei der Überprüfung aller<br />

Regelungen nach dem Grundsatz der<br />

Verhältnismäßigkeit zu verfahren. Sie<br />

fordert, gemeinsame Anstrengungen<br />

zu unternehmen, um nicht gerechtfertigte<br />

Regeln zu reformieren und aufzuheben.<br />

Dabei wendet sie sich an die<br />

nationalen Regulierungsbehörden und<br />

an die Berufsverbände. Sie wird weiter<br />

im Jahre 2005 über die Beseitigung<br />

restriktiver und nicht gerechtfertigter<br />

Regeln berichten. Was bedeutet das für<br />

die Anwaltschaft in Einzelnen?<br />

Neuregulierungen im Berufsrecht?<br />

Der Bericht enthält für die deutsche<br />

Anwaltschaft in vielerlei Hinsicht Brisantes.<br />

Mindestpreise, und damit Gebührenordnungen,<br />

seien regulatorische<br />

Instrumente, die dem Wettbewerb am<br />

meisten schaden könnten und die Vorteile<br />

wettbewerbsfähiger Märkte für<br />

Verbraucher ausschalteten und nachhaltig<br />

beeinträchtigten (s. Ziffer 31 des Berichts).<br />

Vom DAV zur Rechtfertigung<br />

vorgetragenen Argumente, Gebührenordnungen<br />

würden die Qualität der<br />

Dienstleistungen schützen, überzeugen<br />

die Kommission nicht. Festpreise<br />

könnten skrupellose Berufsangehörige<br />

nicht davon abhalten, qualitativ minderwertige<br />

Dienstleistungen zu erbringen<br />

(siehe Ziffer 33). Sie böten keinen finanziellen<br />

Anreiz für Berufsangehörige,<br />

Qualität und Kosten zu verringern.<br />

Außerdem gebe es eine Vielfalt weniger<br />

restriktiver Maßnahmen, um die<br />

Qualität zu sichern und die Verbraucher<br />

zu schützen. Dazu zählten beispielsweise<br />

mehr und bessere Informationen<br />

über freiberufliche Dienstleistungen.<br />

Gerade im gerichtlichen Bereich wird<br />

es aber wohl möglich sein, Gebührenordnungen<br />

zu rechtfertigen.<br />

Ein weiterer Punkt ist, dass die<br />

Kommission ankündigt, das Rechtsberatungsmonopol<br />

auf den Prüfstand<br />

zu stellen. In Ziffer 50 heißt es, dass<br />

eine übermäßige Reglementierung der<br />

Zulassung das Angebot an Dienstleistern<br />

verringere mit negativen Folgen<br />

für den Wettbewerb und die Qualität<br />

der Dienstleistung. In einigen Ländern,<br />

und hier wird Australien zitiert, habe<br />

die Lockerung der Beschränkungen für<br />

bestimmte Berufe zu einem Preisrückgang<br />

ohne offensichtlichen Qualitätsverlust<br />

geführt. Der Bericht nennt einen<br />

Rückgang von 12 % der gesamten<br />

Rechtskosten. Diese Argumentation ist<br />

für die Anwaltschaft gefährlich.<br />

In der Schusslinie der Kommission<br />

steht das Werberecht (siehe Ziffer 42<br />

ff.). Der Bericht weist positiv darauf<br />

hin, dass in Deutschland in den vergangenen<br />

Jahren das Werbeverbot für<br />

Freie Berufe gelockert worden ist. Daher<br />

wohl Entwarnung.<br />

Einem Verbot von bestimmten<br />

Rechtsformen, insbesondere Kapitalgesellschaften,<br />

steht die Kommission<br />

sehr kritisch gegenüber. Zugleich setzt<br />

sie sich für einen one-stop-shop zur<br />

Versorgung des Verbrauchers ein. Auch<br />

hier eher Entwarnung, da bestimmte<br />

Rechtsformen und interprofessionelle<br />

Sozietäten in Deutschland erlaubt sind.<br />

Im Gesamtüberblick? Zumindest<br />

nicht Neu ist die Erkenntnis im Monti-<br />

Bericht, dass wettbewerbsbeschränkende<br />

Regelungen gerechtfertigt werden<br />

können, hier greift die<br />

EuGH-Entscheidung “Wouters“, wenn<br />

sie notwendig für die Verfolgung bestimmter<br />

Ziele sind. Nach dem Grundsatz<br />

der Verhältnismäßigkeit dürfen<br />

allerdings die wettbewerbsbeschränkenden<br />

Wirkungen nicht darüber hinausgehen,<br />

was erforderlich ist, um<br />

eine ordnungsgemäße Berufsausübung<br />

sicher zu stellen. Also doch eine<br />

Chance, das gesamte anwaltliche Berufsrecht<br />

in Deutschland zu erhalten?<br />

Das wäre vielleicht zu früh gegriffen.<br />

Allerdings ist die Anwaltschaft im<br />

Rechtfertigungszwang. Und das nicht<br />

nur gegenüber der EU, sondern auch<br />

gegenüber den nationalen Wettbewerbsbehörden.<br />

Ab Mai 2004 wird<br />

die Durchsetzung der EU-Wettbewerbsregelungen<br />

in den Freien Berufen<br />

hauptsächlich Aufgabe der nationalen<br />

Wettbewerbsbehörden sein.<br />

Fazit<br />

AnwBl 4/2004<br />

Also nur Bedenkliches für das deutsche<br />

anwaltliche Berufsrecht? Wichtig<br />

ist, dass die Anwaltschaft aktiv wird.<br />

Sie muss sich darauf einstellen, dass<br />

die Vereinbarkeit des Berufsrechts mit<br />

den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts<br />

zukünftig gründlich analysiert<br />

wird. Wenn Brüssel überzeugt wird,<br />

dass die geltenden Beschränkungen<br />

ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses<br />

verfolgen, dass sie notwendig<br />

sind, um dieses Ziel zu erreichen, und<br />

dass es nicht weniger einschneidende<br />

Mittel gibt, ist “grünes Licht“ in Sicht.<br />

Diesen Ansatz kennen wir übrigens<br />

bereits vom Bundesverfassungsgericht.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL. M., Berlin


AnwBl 4/2004 239<br />

9<br />

Gedanken zur Zusammenlegung von<br />

Gerichtszweigen<br />

Leserzuschrift zu dem Beitrag „Integration<br />

der Sozialgerichtsbarkeit in<br />

die Verwaltungsgerichtsbarkeit?“ von<br />

Rechtsanwalt Joachim Francke, AnwBl<br />

2004, 106:<br />

In Deutschland erfreut sich das Justizwesen<br />

einer Ausdifferenzierung, die<br />

kaum Ihresgleichen hat. Nach dem<br />

Scheitern einer VwPO Mitte der 80er-<br />

Jahre kommen nun erneut Forderungen<br />

nach einer Zusammenlegung von Gerichtszweigen<br />

auf 1 , so von Staatsminister<br />

de Maizière auf dem Richter- und<br />

Staatsanwaltstag 2003 2 und ihm folgend<br />

von Bundesministerin Zypries 3 .<br />

Die Justizministerkonferenz am 6. November<br />

hat inzwischen eine Arbeitsgruppe<br />

eingesetzt, die bis zur nächsten<br />

Jumiko Vorschläge zur Errichtung einer<br />

einheitlichen öffentlich-rechtlichen<br />

Fachgerichtsbarkeit erarbeiten soll 4 .<br />

Diese teilt sich bekanntlich in VG/<br />

OVG/BVerwG sowie SG/LSG/BSG<br />

und FG/BFH 5 . Dabei fällt schon ein<br />

grundlegender Unterschied auf, und<br />

zwar die Zweistufigkeit in der Finanzgerichtsbarkeit.<br />

Diese hat sich bewährt,<br />

erscheint jetzt sogar als die modernere<br />

Variante, denn bei VG (§§ 124 f.<br />

VwGO) und – eingeschränkt – SG<br />

(§ 144 SGG) wird die Konzentration<br />

auf eine Tatsacheninstanz angestrebt.<br />

Damit sind wir bei einem der<br />

Hauptargumente, der Effizienz der<br />

Justiz. Die „knappe Ressource Recht“ 6<br />

darf angesichts enger Haushalte, allgemeiner<br />

Sparzwänge und vor der generellen<br />

„Modernisierung ... unserer<br />

Gesellschaft“ 7 nicht vergeudet werden.<br />

Dies reicht als Begründung aber nicht<br />

aus, denn wer verändern will, hat die<br />

Beweislast dafür, dass es hinterher<br />

besser funktioniert. Zunächst lässt sich<br />

dies für die räumliche Zusammenlegung<br />

von Gerichten ohne weiteres feststellen.<br />

Das Hamburger „Haus der Gerichte“<br />

ist hierfür ein gutes Beispiel. In<br />

Schleswig-Holstein z. B. verfügen VG<br />

und OVG, die in einem Gebäude untergebracht<br />

sind, zudem noch über eine<br />

gemeinsame Gerichtsverwaltung.<br />

Eine institutionelle Verschmelzung<br />

hätte darüber hinaus noch den Vorteil,<br />

dass der Einsatz der Richterinnen und<br />

Richter flexibler nach dem jeweiligen<br />

Geschäftsanfall gesteuert werden<br />

könnte. Ein Wechsel zwischen den Gerichtsbarkeiten<br />

ist bisher regelmäßig<br />

nur mit Zustimmung des (Lebenszeit-)Richters<br />

möglich, anders als die<br />

Betreuung mit anderen Aufgaben im<br />

Rahmen der Geschäftsverteilung<br />

(§ 21 e GVG). Gehen also etwa die<br />

Asylverfahren zurück, steigen aber<br />

zeitgleich die Streitigkeiten im Bereich<br />

der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />

an, kann hierauf zurzeit nur<br />

begrenzt durch Verschiebungen von<br />

manpower reagiert werden. Dies wäre<br />

einfacher, würden beide Verfahrensgegenstände<br />

innerhalb derselben Gerichtsbarkeit<br />

verhandelt.<br />

Dem kann auch nur begrenzt die<br />

fehlende Sachkenntnis entgegengehalten<br />

werden, die Notwendigkeit der Einarbeitung<br />

in eine fremde Rechtsmaterie.<br />

Warum soll der (übliche) Wechsel<br />

vom Miet- über das Straf- zum Erboder<br />

Handelsrecht möglich sein, nicht<br />

aber der vom Sielbeitrags- zum Grundsteuer-<br />

oder Rentenrecht? Noch weiter:<br />

eine Einarbeitung in neues materielles<br />

Recht ist angesichts der Aktivitäten der<br />

Gesetzgeber auf nationaler und europäischer<br />

Ebene ständig erforderlich8 .<br />

Schließlich: Bereits jetzt gibt es erhebliche<br />

Überschneidungen in den Rechtsbereichen,<br />

Sozial(hilfe)- und Sozialversicherungsrecht<br />

sind im Einzelfall oft<br />

kaum abgrenzbar und bedienen sich<br />

beide des SGB X als Verwaltungsverfahrensregelung.<br />

So wird auch die Bürgerfreundlichkeit<br />

einer Zusammenlegung deutlich,<br />

denn die Wahl des Rechtswegs wird<br />

erheblich erleichtert. Dies ist besonders<br />

bedeutsam, weil in der ersten Instanz<br />

kein Anwaltszwang besteht und<br />

oft ohne solchen geklagt wird. Aber<br />

auch anwaltliche Fehlberatungen<br />

können insoweit nicht mehr vorkommen.<br />

Zu regeln ist natürlich die bisher<br />

noch sehr unterschiedliche Struktur.<br />

Neben der schon erwähnten Zweistufigkeit<br />

FG/BFH gibt es vor allem Differenzen<br />

bei der Besetzung der<br />

Spruchkörper. Beim SG bestehen diese<br />

aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen<br />

Richtern, aus Arbeitnehmer-<br />

und -geberlager. Bei VG/FG findet<br />

sich die Besetzung 3/2, oder aber,<br />

deutlich zunehmend, wenn nicht schon<br />

durchweg, der Einzelrichter/entscheidender<br />

Berichterstatter 9 (jeweils § 6<br />

VwGO/FGO, § 87 a VwGO, § 79 a<br />

MN<br />

FGO) ohne Ehrenamtliche. Die Senate<br />

des OVG entscheiden fast nur noch im<br />

Beschlusswege und damit auch nur<br />

durch die Berufsrichter. Die Mitwirkung<br />

von Ehrenamtlichen steht damit<br />

grundsätzlich in Frage, unabhängig<br />

von ihrer Sinnhaftigkeit angesichts zunehmend<br />

komplexer Rechtsfragen. Insoweit<br />

ist eine Angleichung also wohl<br />

ohnehin überfällig und dürfte nicht<br />

allzu problematisch werden. Bei den<br />

Zivilgerichten gibt es schließlich ebenfalls<br />

Kammern mit und ohne Ehrenamtliche<br />

(„Handelsrichter“).<br />

Die zweite Tatsacheninstanz könnte<br />

dann auch in der Theorie abgeschafft<br />

werden. Praktisch hat sie kaum noch<br />

Bedeutung, jedenfalls bei VG/OVG,<br />

und es besteht nach allgemeiner Meinung<br />

auch kein Anspruch auf mehrere<br />

gerichtliche Prüfungen (Art. 19 Abs. 4<br />

GG, Art. 6 EMRK, Art. 47 EU-<br />

Grundrechtecharta). In Ländern mit<br />

mehreren erstinstanzlichen Gerichten<br />

kommt zumindest dem OVG auch<br />

noch die Aufgabe zu, das Landesrecht<br />

einheitlich auszulegen. Auch der Einwand,<br />

der gesetzliche Richter<br />

(Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) könne nicht<br />

mehr präzise bestimmt werden, verfängt<br />

nicht. Die Zuweisung an einen<br />

Gerichtszweig wäre vielmehr eindeutiger<br />

möglich.<br />

Die notwendigen Angleichungen<br />

im Verfahrensrecht von VwGO/SGG/<br />

FGO stellen heute kaum noch eine<br />

ernsthafte Herausforderung dar, sie<br />

sind oft schon in den verschiedenen<br />

„Reform“-Gesetzen erfolgt. Effizienz,<br />

Effektivität und Transparenz dürfen<br />

unbegrenzt verbessert werden.<br />

Rechtsanwalt Hans Arno Petzold,<br />

Hamburg<br />

1 S. schon Verf. in MHR 4/1999, S. 28 (www.richter<br />

verein.de).<br />

2 Die Rede ist auf der Internet-Seite des DRB<br />

(www.drb.de) nachzulesen; vgl. auch NJW-aktuell,<br />

Heft 40/2003, S. XII.<br />

3 Pressemeldung Nr. 77/03 v. 24. September 2003,<br />

http://www.bmj.bund.de; vgl. auch NJW-aktuell,<br />

Heft 42/2003, S. XII und Heft 44/2003, S. XII.<br />

4 http://www.jura.uni-sb.de/JuMiKo/jumiko_nov03/<br />

TOP-C.II.3.htm, http://www.justiz.nrw.de/JM/justiz<br />

politik/jumiko/herbstkonferenz03/c_verschiedenes/<br />

C_II_3. html, s. dazu auch das Presse-Echo auf<br />

der Seite www.richterverein.de.<br />

5 Vgl. auch Art. 95 Abs. 1 GG, der natürlich anzupassen<br />

wäre.<br />

6 Zypries, Fn. 2.<br />

7AaO.<br />

8 Vgl. dazu auch die Veranstaltungsberichte „Europarecht<br />

in der Praxis“ in MHR<br />

(www.richterverein.de).<br />

9 Vgl. dazu NJW-aktuell, Heft 43/2003, S. X und<br />

Presseinformation 124/2003 des Hess. JM vom<br />

26.09.2003, http://www.justiz.hessen.de – Presse.


240<br />

MN MITTEILUNGEN<br />

Berufsrecht<br />

Freigabe der<br />

Fachanwaltschaften –<br />

Durchbruch oder Chaos?<br />

Unter dieser Überschrift lud die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

und die Rechtsanwaltskammer Hamburg in Berlin<br />

zu einem Symposium ein, an dem etwa 65 Teilnehmer teilnahmen.<br />

In Fortsetzung des bereits in Februar 2002 stattgefundenen<br />

„DAV-Forums Zukunft der Anwaltschaft: Fachanwaltschaften<br />

– Eine Forderung des Marktes“* standen sich im<br />

Wesentlichen die Vertreter einer vorsichtig kontrollierten<br />

und einer nahezu völligen Freigabe weiterer Fachanwaltschaften<br />

gegenüber. Dabei wurden die Theorien von Prof.<br />

Dr. Quaas, Stuttgart, und Rechtsanwalt Hartmut Scharmer,<br />

Hamburg, Geschäftsführer der RAK Hamburg, gegenübergestellt.<br />

Das Quaas-Modell<br />

Für Prof. Quaas führt eine vorsichtige Ausweitung der<br />

Fachanwaltschaften zur Qualitätssicherung. Damit könne<br />

auch der Rechtsschutz der Bürger verbessert werden. Er<br />

geht dabei von drei Eckpfeilern aus: Einmal dem Berufsbild,<br />

das sich aus dem Gesetz ergibt. Dort werde von „allen“<br />

Rechtsgebieten gesprochen, also von dem Allgemeinanwalt.<br />

Daraus resultiere die Aufgabe, den Allgemeinanwalt<br />

zu schützen. Als zweiten Eckpfeiler nannte er die Notwendigkeit<br />

der Spezialisierung der Anwaltschaft. Des Weiteren<br />

müsse als Drittes das Verhältnis zu den Interessens- und Tätigkeitsschwerpunkten<br />

geklärt werden. Daher habe er Kriterien<br />

erarbeitet, mit denen die Satzungsversammlung feststellen<br />

kann, ob eine Fachanwaltschaft notwendig sei oder<br />

nicht. Seiner Einschätzung nach führe die konsequente Anwendung<br />

dieser Kriterien durch die Satzungsversammlung<br />

zu einer Ausweitung der Fachanwaltschaften. Er betonte<br />

stets, dass dies kontrolliert geschehen und gegebenenfalls<br />

begrenzt werden müsse.<br />

Das Scharmer-Modell<br />

Demgegenüber ging der Kollege Scharmer zwar auch<br />

von drei Punkten aus, die jedoch unterschiedlichen Inhalts<br />

waren: So zeige die Nachfragesituation, dass Kriterien für<br />

die Suche nach einem geeigneten Anwalt notwendig sind.<br />

Dies ergebe also der Markt. Auf Seiten der Anwaltschaft<br />

sei festzustellen, dass Fachanwälte mehr verdienen, und die<br />

Anwältinnen und Anwälte ein Recht und ein Interesse daran<br />

hätten, ihre erworbenen Kenntnisse zu vermarkten und mit<br />

ihnen zu werben. Außerdem würden die vielzähligen Erfahrungen<br />

mit schlechten Anwälten die Notwendigkeit geprüfter<br />

Qualität zeigen. Ausgangspunkt dürfte nicht das Berufsbild<br />

des Allgemeinanwalts sein. Die derzeitige Vergabe des<br />

Fachanwaltstitels sei ein formalisiertes Verfahren und kein<br />

zuverlässiges System. Seiner Ansicht nach müsse es Mög-<br />

lichkeit geben, nachzuweisen, dass eine Qualifikation vorliegt.<br />

Gerade jüngere Kolleginnen und Kollegen können es<br />

sich oft zeitlich und finanziell nicht leisten, einen Fachanwaltskurs<br />

zu belegen. Als Lösung bietet er an, echte<br />

Prüfungen durchzuführen, in denen die Qualifikation nachgewiesen<br />

werden kann. Jeder Anwalt, der mindestens drei<br />

Jahre seinen Beruf ausübt, solle diese Prüfung in dem von<br />

ihm gewünschten Rechtsgebiet durchführen können. Auch<br />

wenn dies zu einer unbeschränkten Anzahl von Fachanwaltschaften<br />

führen könne, habe die Satzungsversammlung<br />

lediglich das Recht, die formalen Kriterien festzulegen.<br />

Sie dürfe nicht massiv in den Anwaltsmarkt dadurch<br />

eingreifen, dass sie lediglich acht Fachanwaltschaften zulässt.<br />

Im Übrigen diene die Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

auch einem öffentlichen Gut: Jeder Mandant<br />

müsse das Recht haben, für seinen Fall geprüfte Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte zu finden. Die Begrenzung<br />

auf das Führen von zwei Fachanwaltstiteln müsste dann fallen.<br />

In der folgenden Diskussion wechselten sich die<br />

Befürworter und die Gegner der jeweiligen Meinungen ab.<br />

Die stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />

Allgemeinanwalt im DAV, Rechtsanwältin Gitta Kitz-Trautmann,<br />

lehnte in ihrem Beitrag eine unkontrollierte Vielzahl<br />

von Fachanwaltschaften ab. Die Tätigkeitsbereiche der Allgemeinanwälte<br />

dürften nicht ausgehöhlt werden.<br />

Der Markt verlangt mehr Fachanwaltschaften<br />

AnwBl 4/2004<br />

Für Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Vizepräsident des<br />

DAV, war es evident, dass die Fachanwaltschaften eine Forderung<br />

des Marktes sind. Dies habe allein schon das Forum<br />

des DAV in Frankfurt gezeigt. Letztlich gehe es nur noch<br />

darum, ob es eine langsame oder eine beschleunigte Entwicklung<br />

zur Ausweitung der Fachanwaltschaften gebe.<br />

Begrenzende Modelle würden dabei nicht helfen. Der Allgemeinanwalt<br />

werde weiter seinen Raum haben. Für die<br />

Geschäftsführerin der RAK Köln, Rechtanwältin Dr. Susanne<br />

Offermann-Burckart, gibt es keinen Zweifel, dass die<br />

Rechtssuchenden eine Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

wollen. Nach ihrer Ansicht könne es aber nur eine maßvolle<br />

Ausweitung geben. Dies sei notwendig, damit die Ratsuchenden<br />

den Überblick bewahren können. Die Anwaltschaft<br />

selber sehe dies differenzierter. So drängen viele<br />

Kolleginnen und Kollegen auf eine Ausweitung der Fachanwälte,<br />

während beispielsweise Allgemeinanwälte gegen<br />

eine planlose Ausweitung wären. Auch würden Fachanwaltsträger<br />

der bestehenden Fachanwaltschaften teilweise<br />

eine Ausweitung ablehnen. Dies gelte auch für Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, die sich auf Gebieten spezialisiert<br />

haben, für die es noch kein Fachanwalt gibt. Eine<br />

Umfrage der Kammer Köln habe ergeben, dass etwa 50 %<br />

der Anwältinnen und Anwälte für eine Ausweitung seien.<br />

In München waren dies sogar 64,3 %. Dabei ist zu beachten,<br />

dass ab dem Zulassungsdatum von 1983 die Zustimmung<br />

steigt. Die jüngeren Kolleginnen und Kollegen befürworteten<br />

eine Ausweitung der Fachanwaltschaften, aber<br />

auch die zwischen 40- und 50-jährigen. Nach Angaben aus<br />

München wurden bei der Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

etwa 30 Rechtsgebiete genannt.<br />

* <strong>Anwaltsblatt</strong> 2002, 220 ff. und Beilage des <strong>Anwaltsblatt</strong>es 4/02.


AnwBl 4/2004 241<br />

Mitteilungen MN<br />

Bei der Frage nach einem objektiven Interesse ist festzustellen,<br />

dass die Fachanwaltschaft ein Erfolgsmodell ist.<br />

Dann würde nicht nur das Publikum ihrer Anwälte finden,<br />

sondern auch die Anwälte ihr Publikum. Im Übrigen sei<br />

die Fachanwaltschaft ein probates Mittel der Profilierung<br />

gegenüber der Konkurrenz durch nicht anwaltliche Berufe.<br />

Das Qualitätsargument werde aber von den Befürwortern<br />

der Ausweitung zu sehr forciert. Eine „Atomisierung“ des<br />

Instituts der Fachanwaltschaften würde zu einer Beliebigkeit<br />

führen. In der folgenden Diskussion warnte Rechtsanwalt<br />

Prof. Dr. Hellwig, Präsident des CCBE und<br />

Vorstandsmitglied des DAV, vor einem „Kartell von Berufsträgern“,<br />

die über die Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen<br />

zu befinden hätten.<br />

Die Sicht der Richter: Neue Argumente<br />

Wirklich neue Argumente brachte der Beitrag der Präsidenten<br />

des Kammergerichts Berlin, Monika Nöhre, unter<br />

dem Titel „Vor- und Nachteile von Fachanwaltschaften aus<br />

richterlicher Sicht“. So habe sie im bundesweiten Kollegenkreis<br />

nachgefragt, welche Themen aus ihrer Sicht die Anwaltschaft<br />

beschäftigen, bzw. welche auch für die Richterschaft<br />

interessant sind. Das Thema der Ausweitung der<br />

Fachanwaltschaften spielte dabei eine untergeordnete Rolle.<br />

Als Begründung führte die Präsidentin aus, dass die Richterschaft<br />

mit den Verfahrensordnungen leben und arbeiten.<br />

Darum gebe es allerdings keine Berufsbezeichnung „Fachanwalt“.<br />

Die Verfahrensordnungen, die Protokolle und Urteile<br />

kennen lediglich den Anwalt, den Prozessbevollmächtigten<br />

etc.<br />

Daraus könne man vielleicht den Schluss ziehen, dass<br />

Richter der Ausweitung der Fachanwaltschaften neutral gegenüberstehen.<br />

Diese Feststellung reichte Frau Nöhre allerdings<br />

nicht aus. Daher bat sie ihre Kammerrichter jeweils<br />

fünf Argumente pro und contra der Ausweitung der Fachanwaltschaften<br />

zu benennen. Überraschend war dabei, dass<br />

aus richterlicher Sicht keine Nachteile benannt wurden.<br />

Die Gegenargumente waren die, die bereits von der Anwaltschaft<br />

genannt wurden. Demgegenüber gab es allerdings<br />

neue Argument aus richterlicher Sicht, die für eine<br />

Ausweitung sprechen. Einige Beispiele:<br />

9 Die Bezeichnung „Fachanwalt“ erleichtert dem Richter<br />

die Einschätzung der Qualifikation.<br />

9 „Waffengleichheit“ gerade bei der Spezialgerichtsbarkeit.<br />

9 Fachanwälte können mehr Einfluss auf die Rechtsfortbildung<br />

nehmen.<br />

9 Da beim Strafrecht auf der einen Seite ein absoluter<br />

Profi, der Staatsanwalt, sitzt, müsse auf der anderen Seite<br />

in der Regel auch ein Anwalt mit besonderer Qualifikation<br />

sitzen.<br />

Weiter führte sie aus, dass die Richter längst ihre Spezialisierungen<br />

vorgenommen hätten. Sie verwies dabei auf<br />

die Sonderzuständigkeiten in den Geschäftsverteilungsplänen<br />

der Amtsgerichte, der Landgerichte und der Oberlandesgerichte.<br />

Sie kam daher zu dem Schluss, dass die Ausweitung<br />

der Fachanwaltschaften nur Vorteile bringen<br />

könne.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

Steuerrecht<br />

Verbleibendes Restrisiko:<br />

Gewerblichkeit des<br />

Rechtsanwalts<br />

Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht Dr. Klaus<br />

Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, Berlin1 Die Ausweitung der Gewerbesteuer auf alle Freiberufler<br />

und damit auf die Rechtsanwälte ist glücklicherweise<br />

verhindert worden. Das Gesetz zur Reform der Gewerbesteuer<br />

vom 23.12.20032 wurde im Vermittlungsausschuss<br />

weitgehend abgemildert3 . Geblieben sind im Wesentlichen<br />

die Einschränkung des Verlustvortrags in § 10 a GewStG<br />

sowie die Festschreibung eines Mindesthebesatzes i. H. v.<br />

von 200 % (§ 16 Abs. 4 GewStG) 4 .<br />

Diese Entwarnung bedeutet im Umkehrschluss aber<br />

nicht, dass der Rechtsanwalt ohne die Gesetzesänderung<br />

nicht doch gewerblich werden kann. Es besteht lediglich<br />

der Grundsatz, nachdem der Rechtsanwalt einen so genannten<br />

Katalogberuf i. S. v. § 18 Abs. Nr. 1 EStG ausübt<br />

und damit gewerbesteuerfreie Einkünfte aus selbstständiger<br />

Arbeit erzielt. In Ausnahmesituationen kann der<br />

Rechtsanwalt auch nach der bisherigen Rechtslage in die<br />

Gewerblichkeit geraten. Der Beitrag zeigt die Risiken auf.<br />

Risikobereiche<br />

Das Risiko der Gewerblichkeit wächst, je mehr man<br />

sich von der klassischen Anwaltstätigkeit (insb. Prozessführung,<br />

Gestaltungsberatung etc.) entfernt. Betroffen sind im<br />

Wesentlichen folgende Bereiche:<br />

9 Vermittlung von Vermögensanlagen (z. B. Immobilien,<br />

Gesellschaftsanteile, Fondsbeteiligung) 5 ;<br />

9 Treuhändertätigkeit bei Bauherrengemeinschaften, soweit<br />

sie nicht als typische Rechts- oder Steuerberatung gewertet<br />

werden kann6 , strenger bei Treuhandtätigkeiten im<br />

Rahmen der Baubetreuung, da es hier keine klassische<br />

Rechtsberatung geben soll7 ; unschädlich bleibt die treuhänderische<br />

Führung einer fremden Kanzlei;<br />

9 typische Handelsgeschäfte (z. B. Veräußerung von<br />

Büchern, gewerblicher Grundstückshandel8 );<br />

9 standeswidrige Geldgeschäfte (z. B Darlehens- und Bürgschaftsgeschäfte<br />

gegen Entgelt. Soweit es um die Rettung<br />

einer aus der Berufstätigkeit entstandenen Forderung<br />

geht, sind solche Geschäfte unproblematisch9 , vergleichbare<br />

Rechtsgeschäfte zur Rettung des Mandanten dürfen<br />

nur unentgeltlich erfolgen10 ). Standeswidrige, aber berufstypische<br />

Geschäfte (z. B. Strafverteidigung gegen Er-<br />

1 Die Autoren sind Partner der Rechtsanwaltskanzlei Streck Mack Schwedhelm.<br />

2 BGBl. 2003 I, 2922.<br />

3 Vgl. zu den ursprünglichen Änderungsplänen Olbing, AnwBl. 2003, 554.<br />

4 Vgl. dazu Melchior, DStR 2004, 65, 70; Pauka, NWB F 5, 1539 (Heft 3/04).<br />

5 BFH IV R 208/85 vom 8.2.1990, BFH/NV 1991, 435 (zu Steuerberatern).<br />

6 BFH IV R 99/93 vom 21.4.1994, BStBl. 1994 II, 650 (zu Steuerberatern).<br />

7 BFH IV R 42/89 vom 1.2.1990, BStBl. 1990 II, 534.<br />

8 BFH XI R 34/99 vom 9.5.2001, BFH/NV 2001, 1545.<br />

9 BFH VIII R 236/77 vom 22.4.1980, BStBl. 1980 II, 571 (zu Steuerberatern).<br />

10 BFH IV R 80/88 vom 24.8.1989, BStBl. 1990 II, 17.


242<br />

MN<br />

folgshonorar) führen hingegen nicht zur Gewerbsmäßigkeit11<br />

;<br />

9 Beschäftigung einer Vielzahl von angestellten Anwälten,<br />

sodass der Berufsträger nicht mehr leitend und eigenverantwortlich<br />

tätig ist12 . Beispiel: Rechtsanwalt A hat in<br />

seiner Einzelpraxis zehn angestellte Rechtsanwälte und<br />

fünf Referendare beschäftigt, die weitestgehend selbstständig<br />

arbeiten. A beschränkt sich auf die Akquise und<br />

die Betreuung einiger weniger Großmandate;<br />

9 die rein kapitalmäßige Beteiligung an einer Sozietät13 .<br />

Beispiel: wie eben, nur ist A auch noch an anderen Sozietäten<br />

beteiligt. Ist er dort nicht zumindest teilweise aktiv<br />

tätig, erzielen auch diese Gesellschaften gewerbliche<br />

Einkünfte. Die Gewerblichkeit droht u. E. nicht, wenn A<br />

seine Tätigkeit auf interne Geschäftsführungsmaßnahmen<br />

beschränkt;<br />

9 Beteiligung eines Berufsfremden an einer Sozietät14 ; die<br />

interprofessionelle Zusammenarbeit von Freiberuflern ist<br />

gewerbesteuerrechtlich unschädlich, selbst wenn sie standeswidrig<br />

ist15 ;<br />

9 die letzte richterliche Ausweitung der Gewerblichkeit bei<br />

Rechtsanwälten betrifft deren Tätigkeit als Insolvenzverwalter.<br />

Der BFH hat in seiner Entscheidung vom<br />

12.12.200116 die gesamte Tätigkeit einer Rechtsanwalts-<br />

GbR, die überwiegend Gesamtvollstreckung betrieben<br />

hat, der Gewerbesteuer unterworfen17 .<br />

Aufgrund dieser Entscheidung und der vom BFH verwendeten<br />

Argumentation wird zum Teil befürchtet, dass<br />

sich die Gewerblichkeit auf weitere Tätigkeitsbereiche der<br />

Rechtsanwälte ausdehnt. Ernst zu nehmen sind diese Überlegungen<br />

in allen Fällen, in denen der Rechtsanwalt vermögensverwaltend<br />

tätig wird (z. B. als Testamentsvollstrecker,<br />

Treuhänder, Vormund, Pfleger). Bindet der Rechtsanwalt<br />

hierbei mehr als einen qualifizierten Mitarbeiter ein, besteht<br />

ein hohes Risiko der Gewerblichkeit.<br />

Gefährdet sollen auch die Bereiche sein, die nicht mehr<br />

dem Rechtsanwalt vorbehalten sind (z. B. M & A, Strafverteidigung,<br />

Vertretung vor dem Arbeitsgericht, Schiedsverfahren)<br />

18 . Die Finanzverwaltung will diesen Teilbereich bisher<br />

zu Recht nicht aufgreifen, da es sich hierbei trotz der<br />

teilweisen Öffnung für Dritte um typische – freiberufliche<br />

– Anwaltstätigkeiten handelt.<br />

Häufig stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, wenn<br />

man gelegentlich gewerbesteuerschädliche Tätigkeiten<br />

ausübt (sog. gemischte Tätigkeit). Bei einer Einzelpraxis<br />

lässt sich der Schaden leicht begrenzen, da freiberufliche<br />

und gewerbliche Einkünfte getrennt ermittelt und besteuert<br />

werden19 . So infiziert z. B die gelegentliche Vermittlung<br />

von Vermögensanlagen i. d. R. nicht die sonstigen Einkünfte<br />

aus der Rechtsanwaltspraxis.<br />

Sehr viel gefährlicher ist die teilweise gewerbliche Tätigkeit<br />

innerhalb der Sozietät. Ist einer der Partner auch nur<br />

teilweise gewerblich tätig, wird die gesamte Tätigkeit der<br />

Gesellschaft gewerblich (sog. Abfärbewirkung nach § 15<br />

Abs. 3 Nr. 1 EStG). Eine Trennung wie bei der Einzelpraxis<br />

ist nicht möglich. Allein bei äußerst geringfügiger gewerblicher<br />

Tätigkeit sieht der BFH von der Abfärbung ab20 . Beispiel:<br />

In einer Sozietät mit 15 Partnern ist ein Partner<br />

schwerpunktmäßig als Insolvenzverwalter tätig. Hierbei<br />

setzt er fünf qualifizierte Angestellte ein. Sein Anteil am<br />

Gesamtumsatz beträgt 10 %. Nach Ansicht des BFH wären<br />

die gesamten Einkünfte der Gesellschaft gewerblich, auch<br />

AnwBl 4/2004<br />

Mitteilungen<br />

wenn die anderen Partner sich auf die klassische Anwaltstätigkeit<br />

beschränken.<br />

Rechtsfolge: Gewerbesteuerpflicht<br />

Primäre Rechtsfolge der Gewerblichkeit ist die Gewerbesteuerpflicht<br />

der Einkünfte nach § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG<br />

i. V. m. § 15 EStG. Der Gewerbesteuermessbescheid wird<br />

vom Finanzamt erlassen (§§ 14 ff. GewStG). Die Gemeinde<br />

setzt auf Grund ihrer individuellen Hebesatzautonomie die<br />

Gewerbesteuer fest (§§ 16 ff. GewStG). Die Gewerbesteuer<br />

ist abzugsfähige Betriebsausgabe.<br />

Für Veranlagungsjahre ab 2001 ist eine weitere Entlastung<br />

eingetreten. Als Neuerung der am 1.1.2001 wirksam<br />

gewordenen Unternehmenssteuerreform sieht § 35 Abs. 1<br />

EStG eine pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer<br />

auf die Einkommensteuer vor. Abhängig vom jeweiligen<br />

Hebesatz der Gemeinde und unter der Voraussetzung, dass<br />

ein entsprechendes Einkommensteuerpotenzial zur Verfügung<br />

steht, kann eine Neutralisierung der Gewerbesteuerlast<br />

erfolgen. Eine Neutralisierung tritt bei einem Hebesatz<br />

von 360 von Hundert und einem Höchststeuersatz von<br />

48,5 % annähernd ein. Bei einem Steuersatz von 42 % ist<br />

die Gewerbesteuer bei einem Hebesatz von 310,5 % neutralisiert.<br />

Bei höheren Hebesätzen verbleibt eine effektive<br />

Steuerbelastung. Bei niedrigeren Gewerbesteuerhebesätzen<br />

führt die Anrechnung zu einer Überkompensierung und damit<br />

zu einem steuerlich positiven Effekt.<br />

Allerdings birgt die Anrechnung gem. § 35 EStG auch<br />

Probleme. Die Gewerbesteuer ist i. d. R. quartalsweise im<br />

Voraus zu entrichten. Die Anrechnung nach § 35 EStG<br />

erfolgt zeitlich versetzt erst bei der späteren Einkommensteuerveranlagung.<br />

Hier entstehen Liquiditäts- und Zinsnachteile.<br />

Zudem ist bei Sozietäten Schuldner der Gewerbesteuer<br />

die Gesellschaft, anrechnungsberechtigt der<br />

einzelne Gesellschafter. Da sich die Verteilung des anrechenbaren<br />

Betrags gem. § 35 EStG nach dem allgemeinen<br />

Gewinnverteilungsschlüssel richtet und dabei Sondervergütungen<br />

und Gewinnvorabs unberücksichtigt bleiben 21 ,<br />

kann es zu einer ungerechten Verteilung der Gewerbesteuerlast<br />

und der Begünstigung durch die Anrechnung kommen<br />

22 .<br />

Beispiel: Zehn Rechtsanwälte haben sich zu einer Sozietät<br />

zusammengeschlossen. Alle Partner sind zu je 1/10 am<br />

Gewinn beteiligt, die beiden geschäftsführenden Seniorpartner<br />

erhalten einen Gewinnvorab i. H. v. jeweils 15 %<br />

des Gewinns. Ein Partner ist überwiegend als Insolvenzverwalter<br />

tätig. Wird die Sozietät dadurch gewerblich, erhalten die<br />

11 Vgl. Wacker, in:Schmidt, aaO, § 18 Rz. 101.<br />

12 Vgl. dazu Wacker, in: Schmidt, EStG, 22. Aufl. 2003, § 18 Rz. 25, m. w. N; speziell<br />

für die Rechtsanwälte Streck, NJW 1991, 2252, 2254.<br />

13 FG Saarland 1 K 227/98 vom 3.8.1998, EFG 1998, 1583, vgl. dazu auch<br />

Kamps/Alvermann, NJW 2001, 2121, 2127 f.<br />

14 BFH IV R 48/99 vom 23.11.2000, BStBl. 2001 II, 241 (Zusammenschluss eines<br />

Arztes mit einem Diplom-Dokumentar).<br />

15 Wacker in: Schmidt, aaO, Rz. 43.<br />

16 XI R 56/00, BStBl. 2002 II, 202.<br />

17 Vgl. dazu Frystatzki, EStB 2003, 102; Korn, KÖSDI 2003, 13605, 13610; Olbing/Kamps,<br />

AnwBl. 2002, 168.<br />

18 Vgl. dazu Frystatzki, EStG 2003, 106, 108, m. w. N.<br />

19 Vgl. dazu Wacker in: Schmidt, aaO, § 18 Rz. 50 m. w. N.<br />

20 So waren nach BFH XI R 12/98 vom 11.8.1999, BStBl. 2000 II, 229, ein gewerblicher<br />

Anteil i. H. v. 1,25 % unschädlich; vgl. dazu auch Wacker in<br />

Schmidt, aaO, § 18 Rz. 44.<br />

21 Vgl. dazu Tz. 18 ff. des BMF-Schreibens IV A 5 – S 2296 a – 16/02 vom<br />

15.5.2002, DB 2002, 1077.<br />

22 Korn, KÖSDI 2002, 13196.


AnwBl 4/2004 243<br />

Mitteilungen MN<br />

Seniorpartner jeweils „nur“ 10 % der nach § 35 EStG pauschal<br />

anzurechnenden Gewerbesteuer, obwohl sie jeweils<br />

22 % (= 15 % + 10 % von 70) ertragsteuerlich zu versteuern<br />

haben.<br />

Zum annähernden Ausgleich dieser Verschiebung bedarf<br />

es komplizierter Steuerklauseln im Gesellschaftsvertrag.<br />

Ähnliche Vereinbarungen sind u. U. notwendig, um den<br />

Steuerschaden bei den nichtgewerblich tätigen Partnern<br />

auszugleichen. Beispiel: wie eben. Die Gemeinde, in der<br />

die Kanzlei tätig ist, hat einen hohen Hebesatz – z. B. Berlin,<br />

Hamburg oder München. Dadurch kompensiert § 35<br />

EStG nicht vollständig die Gewerbesteuerbelastung. Der<br />

Gewinn der Gesellschaft und damit der Gewinnanteil der<br />

Gesellschafter ist durch die Gewerbesteuer stärker belastet<br />

als durch die pauschale Anrechnung. Sollen die nicht gewerblich<br />

tätigen Partner gegen den die Sozietät „infizierenden“<br />

gewerbetreibenden Partner einen Anspruch auf Ausgleich<br />

des Steuerschadens haben, ist i. d. R. eine<br />

entsprechende Steuerklausel notwendig.<br />

Die weiteren Rechtsfolgen der Gewerblichkeit gehen<br />

darüber weit hinaus:<br />

9 Der Rechtsanwalt kann nach § 141 AO buchführungspflichtig<br />

werden. Ausstehende Forderungen und „unfertige<br />

Leistungen“ sind dann zu aktivieren. Dieses führt im<br />

Jahr der ersten Bilanzierung zu einer u. U. nicht unerheblichen<br />

Gewinnrealisierung. Beispiel: Eine Sozietät mit<br />

drei Partnern hat Rechnungen in Höhe von 150.000 E geschrieben,<br />

die bisher noch offen sind. Als Freiberufler ermitteln<br />

die Sozien ihren Gewinn durch eine einfache<br />

Einnahme-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). Erst<br />

mit Zahlungseingang erhöht sich der Gewinn. Muss die<br />

Sozietät zur Bilanzierung übergehen, sind die offenen<br />

Rechnungen unabhängig vom Zahlungseingang zu aktivieren.<br />

Der Gewinn erhöht sich schlagartig um<br />

150.000 E. Die spätere Zahlung ist dann ertragsteuerlich<br />

irrelevant. Wird die Honorarforderung später uneinbringlich,<br />

ist sie nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG teilwertzuberichtigen,<br />

was den Gewinn reduziert.<br />

9 I. d. R. ist im Rahmen der Umsatzsteuer von der Ist-Besteuerung<br />

(nach dem vereinnahmten Entgelt, § 16 UStG)<br />

zur Soll-Besteuerung zu wechseln. Auch dieses führt im<br />

Umstellungsjahr zu einer u. U. erheblichen Mehrbelastung:<br />

Beispiel: Wie eben. Mit der Gewerblichkeit muss<br />

die Sozietät die Umsatzsteuer auch auf die noch nicht<br />

eingenommenen, aber in Rechnung gestellten Honorare<br />

abführen (16 % auf 150.000 E = 24.000 E). Wird das Honorar<br />

später tatsächlich vereinnahmt, hat dieses keine<br />

Auswirkungen auf die Umsatzsteuer. Die spätere Uneinbringlichkeit<br />

wird nach § 17 UStG berücksichtigt.<br />

Gestaltungsmöglichkeiten<br />

Lässt sich die Gewerblichkeit nicht vermeiden oder will<br />

man die lukrative gewerbliche „Nebentätigkeit“ (z. B. als<br />

Insolvenzverwalter) nicht aufgeben, stellen sich die Gestaltungsfragen,<br />

wie man die freiberufliche anwaltliche Tätigkeit<br />

von der gewerblichen sauber abgrenzt. Entsprechende<br />

Überlegungen sollten vorsorglich bereits dann angestellt<br />

werden, wenn die ernsthafte Möglichkeit der Gewerblichkeit<br />

besteht.<br />

Im Rahmen einer Einzelpraxis ist die Gestaltung relativ<br />

einfach. Die verschiedenen Tätigkeitsfelder sind sauber zu<br />

trennen. Zumindest in der Buchhaltung müssen die Ge-<br />

schäfte gesondert aufgezeichnet werden, um eine eigenständige<br />

Gewinnermittlung zu ermöglichen.<br />

Um eine Rechtsanwaltssozietät nicht über eine gewerbliche<br />

Nebentätigkeit zu infizieren, muss diese Tätigkeit auf<br />

eine eigenständige Gesellschaft ausgelagert werden. Steuerrechtlich<br />

ist es zulässig, neben der freiberuflichen Sozietät<br />

eine personenidentische gewerbliche Gesellschaft zu betreiben.<br />

Berufsrechtlich ist die sog. Sternsozietät jedoch problematisch<br />

23 . Die Kammern greifen einen Verstoß gegen<br />

das Verbot der Sternsozietät i. d. R. nicht auf. Bei der Ausgliederung<br />

ist jedoch darauf zu achten, dass steuerrechtlich<br />

die Buchwerte fortgeführt werden können (§§ 6 Abs. 5, 16<br />

Abs. 3 EStG) und keine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung<br />

24 begründet wird.<br />

Beispiel: A, B und C haben sich zu einer Sozietät zusammengeschlossen.<br />

Die Kanzlei befindet sich in einer Immobilie,<br />

die den Partnern gehört. A und B machen ihren<br />

Umsatz zu je 75 % als Insolvenzverwalter und beschäftigen<br />

dazu 15 qualifizierte Mitarbeiter. Um eine eventuelle Gewerblichkeit<br />

der Tätigkeit als Insolvenzverwalter auf diese<br />

Einkünfte zu beschränken, wird eine Insolvenzverwalter-<br />

GbR gegründet, an der A, B und C beteiligt sind. Wird<br />

diese GbR in den bisherigen Räumlichkeiten betrieben und<br />

schließt diese GbR dazu einen Mietvertrag mit A, B und C<br />

ab, liegen die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen<br />

für eine Betriebsaufspaltung vor. Die Einkünfte der Anwaltssozietät<br />

werden über dieses steuerliche Gebilde gewerblich<br />

von der Insolvenzverwalter-GbR infiziert. Die Gestaltung<br />

hätte nicht den gewünschten Effekt erzielt.<br />

Weiterer Gefahrenherd ist die eingangs erwähnte rein<br />

kapitalmäßige Beteiligung. Sind in dem Beispielsfall A und<br />

B weiterhin an der alten Sozietät beteiligt, dort aber nicht<br />

aktiv tätig und dennoch am Gewinn beteiligt, droht unter<br />

diesem Gesichtspunkt die Gewerblichkeit. Es muss daher<br />

eine entsprechende Tätigkeit von A und B in der ursprünglichen<br />

Sozietät nachgewiesen werden können.<br />

Unabhängig von diesen Gestaltungsüberlegungen ist zu<br />

beachten, dass sich bei der Frage, ob ein Rechtsanwalt gewerbliche<br />

Einkünfte hat, in aller Regel ein Rechtsstreit<br />

lohnt. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Nur<br />

wenige Fälle dürften so eindeutig liegen, dass darüber nicht<br />

gestritten werden könnte.<br />

23 Vgl. dazu Römermann, in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung,<br />

2. Aufl., 2001, § 31 BerufsO Rz. 18 ff.; Henssler, NJW 1999, 241, 245 f.; Kilian,<br />

NJW 2001, 326 ff.; Deichfuß, AnwBl. 2001, 645 ff.<br />

24 Vgl. dazu Schmidt, in:Schmidt, aaO, § 15 Rz. 855 ff.; Wacker in Schmidt, aaO,<br />

§ 18 Rz. 55.


244<br />

MN<br />

Anwaltsrecht<br />

Bücherschau<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln*<br />

Sozietätsrecht<br />

Nachdem die letzten Jahre eine Vielzahl von wissenschaftlichen<br />

Veröffentlichungen zu Berufsausübungsgesellschaften<br />

in der Rechtsform der PartG und der GmbH<br />

hervorgebracht haben, hat sich das anwaltliche Gesellschaftsrecht<br />

ein wenig beruhigt 1 . Doch es bleiben Bereiche,<br />

die weiterhin Raum für vertiefte Auseinandersetzung lassen.<br />

Das anwaltliche Gesellschaftsrecht ist daher aufgrund<br />

der reizvollen Verschränkung mit dem allgemeinen Zivilrecht<br />

und dem Berufsrecht weiterhin beliebter Gegenstand<br />

von Dissertationsschriften.<br />

9 Die normative Behandlung der Anwaltsaktiengesellschaft<br />

in der BRAO ist, nachdem ihre grundsätzliche Zulässigkeit<br />

von der Rspr. (BayObLG NJW 2000, 1647) bestätigt<br />

worden ist, eine der anstehenden Aufgaben des Gesetzgebers.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Studie „Die Aktiengesellschaft<br />

als neue Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse:<br />

Zulässigkeit und Ausgestaltung“ von Malte<br />

Passarge 2 eine willkommene Neuerscheinung auf dem<br />

Büchermarkt, handelt es sich doch um die, soweit ersichtlich,<br />

erste monothematische Arbeit zum Thema. Die relativ<br />

straffe Untersuchung ist eine von Habermeier betreute<br />

Greifswalder Dissertation, die sich wenig überraschen in<br />

längeren Passagen mit dem anwaltlichen Kapitalgesellschaftsrecht<br />

im Allgemeinen auseinandersetzt. Passarge<br />

sieht in der Kapitalgesellschaft und insbesondere in der Aktiengesellschaft<br />

eine nicht nur aus haftungsrechtlichen<br />

Gründen sondern auch mit Blick auf die Außendarstellung<br />

empfehlenswerte Organisationsform. Die von ihm für die<br />

Diversifizierung des anwaltlichen Leistungsangebots vorgeschlagenen<br />

Holdingskonstruktionen werfen allerdings die<br />

– nicht näher behandelte – Frage mit der Vereinbarkeit solcher<br />

Holdings mit dem Verbot der Sternsozietät auf. Im<br />

Hinblick auf die praktische Ausgestaltung der Anwalts-AG<br />

lehnt Passarge die analoge Anwendung der BRAO-Vorschriften<br />

zur Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ab und gewinnt<br />

Gestaltungsvorgaben aus dem Gesamtkontext des<br />

Berufsrechts. Er gelangt zur Notwendigkeit eines berufsrechtlichen<br />

Zulassungsverfahren, sieht die Anwalts-AG als<br />

postulationsfähig an und verzichtet auf die allgemein angenommene<br />

Notwendigkeit der ausschließlichen oder zumindest<br />

mehrheitlichen Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat<br />

mit Berufsträgern. Seine Ergebnisse werden aus diesem<br />

Grunde nicht unwidersprochen bleiben. Gerade deshalb<br />

kann die Arbeit aber die rechtspolitische Diskussion befruchten<br />

und voranbringen.<br />

9 Besonders Interesse findet das anwaltliche Gesellschaftsrecht<br />

vor allem wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten,<br />

durch Rechtsformwahl eine Haftungsbegrenzung<br />

herbeizuführen. Die von Wendeling-Schröder in Hannover<br />

betreute Untersuchung von Marc Wendt zur „Die Entwicklung<br />

des Rechts der Haftungsbeschränkung im Falle fehlerhafter<br />

Berufsausübung durch Rechtsanwälte“ 3 greift<br />

die Thematik mit einem rechtsformübergreifenden Ansatz<br />

auf, nachdem in den vergangenen Jahren nicht wenige Untersuchungen<br />

zu einzelnen Rechtsformen von Berufsaus-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Mitteilungen<br />

übungsgesellschaften wie<br />

der GbR, PartG oder<br />

GmbH speziell mit Blick<br />

auf die jeweilige Haftungsverfassung<br />

der fraglichen<br />

Gesellschaftsform<br />

vorgelegt worden sind.<br />

Die Studie birgt demgemäss<br />

wenig neue Erkenntnisse<br />

und ist eher als eine<br />

die (junge) Geschichte der<br />

anwaltlichen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten<br />

nachzeichnende Kompilation<br />

angelegt. Das erste � Rechtsanwalt Dr. M. Kilian<br />

Fünftel der Untersuchung<br />

widmet sich der Haftung<br />

des Einzelanwalts und insbesondere den Freizeichnungsmöglichkeiten<br />

in § 51a BRAO. Die sich anschließenden Kapitel<br />

behandeln die Haftung in der GbR und finden insoweit<br />

Interesse, als sie eine der ersten Darstellungen zur Haftungsverfassung<br />

von Anwaltssozietäten nach dem grundlegenden<br />

Urteil des BGH vom 29. Januar 2001 zur Teilrechtsfähigkeit<br />

der GbR enthalten. Manche spannende<br />

Frage bleibt hierbei aber unbeantwortet, etwa die Bedeutung<br />

der neueren GbR-Rspr. für die Haftung in interprofessionellen<br />

oder internationalen Sozietäten, in denen in der<br />

Vergangenheit die Reichweite der Vertragsverhältnisse und<br />

damit der vertraglichen Haftung unter Berücksichtigung der<br />

Erfüllungsberechtigung der jeweiligen Gesellschafter beurteilt<br />

wurde. Neben einer allgemeinen Schilderung der Haftungssituation<br />

wird in kürzeren Passagen die Haftung einund<br />

austretender Sozien und angestellter Rechtsanwälte sowie<br />

die jeweilige Bedeutung des § 51a BRAO für solche<br />

Konstellationen erörtert. Anschließende Abschnitte widmen<br />

sich mit ähnlicher Aufteilung der Haftung in PartG, GmbH<br />

und – knapp – der AktG. Bekannte Streitfragen – etwa<br />

nach der Möglichkeit der Haftungskonzentration auf angestellte<br />

Anwälte oder nach den Kriterien der Bearbeitung eines<br />

Mandats in § 8 Abs.2 PartG bei der Delegation von<br />

Mandaten – arbeitet Wendt jeweils heraus und nimmt meinungsfreudig<br />

Stellung. Dem bereits umfassend informierten<br />

Sozietätsrechtler wird die Arbeit wenig neue Erkenntnisse<br />

bringen, dem an einer überblicksartigen Darstellung Interessierten<br />

für einen Einstieg in die Materie aber eine solide<br />

aufgearbeitete Untersuchung bieten.<br />

9 Durch die Neigung vieler assoziierter Rechtsanwälte,<br />

angestellte Kollegen oder freie Mitarbeiter in der Außendarstellung<br />

als sog. „Briefkopfpartner“ oder „Außensozien“ zu<br />

führen, kommt der Rechtsscheinhaftung im anwaltlichen<br />

Gesellschaftsrecht eine besondere Bedeutung zu. Die<br />

Schwierigkeiten vieler Bürogemeinschaften, die Trennlinie<br />

zwischen einer bloßen Innengesellschaft und einer Berufsausübungsgesellschaft<br />

deutlich zu kommunizieren, sind<br />

eine andere Spielart des Problems. Christian Schulte beleuchtet<br />

in einer von Oppermann betreuten Arbeit mit dem<br />

* Rechtsanwalt in Köln; Vorstand des Soldan-Instituts für Anwaltmanagement<br />

e.V., Essen. kilian@anwaltsrecht.org.<br />

1 Martin Henssler / Michael Streck (Hrsg.), Handbuch des Sozietätsrechts, Verlag<br />

Dr. Otto Schmidt, Köln 2001, 1120 S., ISBN 3-504-1820-X, 124,00 EUR.<br />

2 Malte Passarge, Die Aktiengesellschaft als neue Rechtsform für anwaltliche Zusammenschlüsse:<br />

Zulässigkeit und Ausgestaltung, Band 55 der Schriftenreihe<br />

des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln, Anwaltverlag, Bonn<br />

2003, 184 S., ISBN 3-8240-5219-9, 48,50 EUR.<br />

3 Marc Wendt, Die Entwicklung des Rechts der Haftungsbeschränkung im Falle<br />

fehlerhafter Berufsausübung durch Rechtsanwälte, Dr. von Göler Verlagsgesellschaft,<br />

München 2003, 247 S., ISBN 3-935911-03-3, 24,80 EUR.


AnwBl 4/2004 245<br />

Mitteilungen MN<br />

Titel „Die Rechtsscheinhaftung im Gesellschaftsrecht der<br />

freien Berufe“ 4 dieses wichtige, bislang aber im Schrifttum<br />

wenig aufgearbeitete Thema. Neben den Rechtsanwälten<br />

beleuchtet die Studie – deren Schriftbild ein wenig<br />

gewöhnungsbedürftig ist – auch die Haftungssituation der<br />

Ärzte. Sie gibt zunächst in Grundzügen einen Überblick<br />

über die beiden Berufen zur Verfügung stehenden Organisationsmodelle<br />

und deren Haftungsverfassung. Nach rund<br />

90 Seiten Hinleitung widmet sich Schulte sodann der<br />

Rechtsscheinhaftung. Bedauerlicherweise entscheidet er<br />

sich gleich zu Beginn für die Verwendung des gebräuchlichen,<br />

wenngleich inhaltlich unscharfen Begriffs des<br />

„Scheinsozius“ – die Rechtsscheinhaftung begründet aber<br />

keine „scheinbare“ Gesellschafterstellung, sondern im Außenverhältnis<br />

eine Gesellschafterstellung kraft Rechtsscheins.<br />

Schulte zeichnet die dogmatischen Grundlagen der<br />

allgemeinen Rechtsscheinhaftung nach, um zum Ergebnis<br />

zu gelangen, dass diese bei anwaltlichen Handlungsformen<br />

oftmals nicht greifen, weil entsprechende Vertrauenstatbestände<br />

zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags zumeist<br />

noch nicht gesetzt sind. Er hält auch den Umweg<br />

über die Annahme einer Duldungs- oder Anscheinsgenehmigung<br />

für wenig überzeugend, ebenso wie er die Behandlung<br />

des Erfordernisses durch die Rspr., dass der gesetzte<br />

Rechtsschein kausal für das Mandantenhandeln sein muss,<br />

kritisiert. Ob allerdings Mandanten, wie Schulte annimmt,<br />

oftmals tatsächlich aufgrund eines besonderen Vertrauens<br />

zu einem einzelnen in der Sozietät tätigen Rechtsanwalt<br />

das Mandat erteilen, wird man bezweifeln können. Verdienstvoll<br />

ist die Erörterung der Grundsätze der anwaltlichen<br />

Rechtsscheinhaftung mit Blick auf die „modernen“<br />

Gesellschaftsformen der PartG und GmbH, bei denen Modifikationen<br />

der Rechtsprechungsgrundsätze zur GbR unvermeidlich<br />

sind.<br />

Juristenausbildung<br />

9 Das bekannte Autorenteam Römermann/Hartung hat<br />

sich auch in diesem Bereich zusammengespannt und dem<br />

2002 erschienenen Werk „Anwaltliches Berufsrecht“, das<br />

einen lehrbuchartigen Überblick über die verschiedenen<br />

Bereiche des Anwaltsrechts gibt, das auf Referendare zielende<br />

Werk „Die Anwaltsstation nach neuem Recht“ 5<br />

nachfolgen lassen, für das sie als Herausgeber verantwortlich<br />

zeichnen. Ebenfalls in der Beck’schen Reihe “Studium<br />

und Praxis“ erschienen, erläutert das Buch nicht nur im<br />

Umfang von jeweils 10 – 25 Seiten die Bearbeitung von<br />

Mandaten im Zivil-, Wirtschafts-, Familien-, Arbeits-,<br />

Straf-, Verwaltungs-, Straf- und Steuerrecht, sondern auch<br />

in einem allgemeinen Teil die Grundlagen einer solchen<br />

Mandatsbearbeitung. So werden Anleitungen zum Umgang<br />

mit Mandanten und der Arbeitsorganisation gegeben. Naturgemäß<br />

können in einem knapp 300seitigen Werk all’<br />

diese Aspekte der anwaltlichen Tätigkeit nicht erschöpfend<br />

behandelt werden, bieten sie doch schon jeweils für sich<br />

genommen hinreichend Stoff für ein eigenes Buch. Ein vertiefte<br />

Befassung kann von einem Referendar aber auch<br />

schwerlich verlangt werden, so dass überblicksartige Darstellungen,<br />

die eine erste Orientierung ermöglichen, konzeptionell<br />

richtig liegen.<br />

9 Auf die selbe Zielgruppe der Referendare zielt das in<br />

Skriptform gehaltene, zweibändige Werk „Anwaltsrecht“,<br />

das in der Reihe „Referendarausbildung Recht“ des Verlages<br />

Richard Boorberg erschienen ist. Ein Team von mehr<br />

als zwei Dutzend Autoren, die sämtlich Dozenten der von<br />

den Rechtsanwaltskammern organisierten anwaltsorientierten<br />

Ausbildungsangebote sind, hat die Skripten bewusst als<br />

Ausbildungsmaterial konzipiert, weshalb auch Mengenrabatte<br />

bei der Abnahme größerer Stückzahlen und ein reduzierter<br />

Paketpreis beim Erwerb beider Titel eingeräumt werden.<br />

Der erste Band 6 befasst sich mit den Grundlagenfragen<br />

der anwaltlichen Berufstätigkeit und erörtert Fragen des Berufsrechts<br />

im engeren Sinne, der Kanzleigründung, der<br />

Vergütung des Rechtsanwalts und des Steuerrechts. Die Arbeit<br />

mit diesem Band soll die theoretischen Grundlagen legen,<br />

während sich der zweite, umfangreichere Band 7 den<br />

Tätigkeitsfeldern der anwaltlichen Praxis widmet. Neben<br />

den klassischen Rechtsgebieten (Zivil-, Arbeits-, Straf-,<br />

Verwaltungs-, Familien- und Erbrecht) wird mit Kapiteln<br />

zu schlichtender und mediierender Tätigkeit, der Zwangsvollstreckung<br />

und der Vertragsgestaltung des Anwalts auch<br />

typischen rechtsgebietübergreifenden Handlungsformen<br />

Rechnung getragen. Eine interessante Besonderheit der<br />

Skripten ist ihre Verzahnung mit einem Online-Support-<br />

Dienst, über den weiterführende Materialien, Klausurentipps<br />

und ausbildungsbezogene Mitteilungen der Anwaltskammern<br />

abgerufen werden können.<br />

Steuern des Anwalts<br />

Die hitzige Diskussion über die angedachte Erstreckung<br />

der Gewerbesteuerpflicht auf Freiberufler hat das Thema<br />

“Steuern des Anwalts“ wieder in Erinnerung gerufen. Ein<br />

im Boorberg-Verlag erschienenes Werk von Demuth mit<br />

dem Titel „Steuern, Buchführung und Bilanz der Anwaltskanzlei“<br />

8 will das notwendige Basis-Know-how für Rechtsanwälte<br />

zur gegenwärtigen Rechtslage vermitteln. Dargestellt<br />

werden die Bereiche Einkommens-, Lohn- und<br />

Umsatzsteuer sowie die steuerlichen Auswirkungen der<br />

Gründung, Eintritt in und Ausscheiden aus Berufsausübungsgesellschaften.<br />

Demuth beschränkt sich nicht auf<br />

die Vermittlung des steuerrechtlichen Wissens, das der<br />

Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten beherrschen<br />

sollte. In weiteren Abschnitten erörtert der Autor die für<br />

die Mandatspraxis wichtigen Grundlagen von Buchführung<br />

und Jahresabschluss. Besonders hilfreich ist ein 40seitiger<br />

Abschnitt zu den Grundzügen einer Bilanzanalyse. Ein<br />

Glossar rundet die gelungene, auf den steuerrechtlichen<br />

Einsteiger zugeschnittene Darstellung ab.<br />

Vorschau: Die nächste Bücherschau wird sich schwerpunktmäßig<br />

mit Neuerscheinungen zum anwaltlichen<br />

Marketing und zum anwaltlichen Satzungsrecht befassen.<br />

4 Christian Schulte, Die Rechtsscheinhaftung im Gesellschaftsrecht der freien Berufe:<br />

Eine exemplarische Untersuchung am Beispiel der Anwalts- und Arzthaftung,<br />

Mensch & Buch Verlag, Berlin 2002, 273 S., ISBN3-89820-315-8, 24,00<br />

EUR.<br />

5 Volker Römermann / Wolfgang Hartung, Die Anwaltsstation nach neuem Recht:<br />

Ein Lehrbuch, Verlag C.H. Beck, München 2003, 316 S., ISBN 3-406-50454-X,<br />

24,00 EUR.<br />

6 Mario Axmann u.a., Anwaltsrecht I, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2003,<br />

236 S., ISBN 3-415-03141-1, 25,00 EUR (zusammen mit Band II 48,00 EUR).<br />

7 Frank Adler u.a., Anwaltsrecht II, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2003, 416<br />

S., ISBN 3-415-03143-8 , 28,00 EUR. (zusammen mit Band I 48,00 EUR)<br />

8 Björn Demuth, Steuern, Buchführung und Bilanz der Anwaltskanzlei: Basis-<br />

Know-how für Rechtsanwälte, Richard Boorberg-Verlag, Stuttgart 2003, 157 S.,<br />

ISBN3-415-03157-8, 27,50 EUR.


246<br />

MN HAFTPFLICHTFRAGEN<br />

Anforderungen im Rahmen<br />

der vorläufigen<br />

Vollstreckbarkeit<br />

Assessorin Jacqueline Bräuer<br />

Allianz Versicherungs-AG München<br />

1. Einleitung<br />

Der Weg zum Titel ist oftmals lang und beschwerlich.<br />

Aber eigentlich ist es nicht der Titel, den der Mandant erstrebt<br />

hat, sondern ihm geht es um die Erfüllung eines Anspruchs,<br />

die Begleichung einer Schuld im weiteren Sinne.<br />

Leistet der Schuldner angesichts des Tenors „im Namen des<br />

Volkes“ nicht von selbst und freiwillig, so bedarf es bei der<br />

Durchsetzung des titulierten Anspruchs wiederum der Inanspruchnahme<br />

staatlicher Hilfe. Das System der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

ist komplex und birgt aus anwaltlicher<br />

Sicht manche Fehlerquelle. Dies soll uns aber an<br />

dieser Stelle nicht näher beschäftigen. Denn für den Anwalt<br />

– und natürlich für den Mandanten – stellt sich zuvor<br />

zwangsläufig die Frage nach dem Ob und Wann der Vollstreckung.<br />

Kann zunächst nur ein vorläufig vollstreckbarer<br />

Titel erlangt werden, so sind hinsichtlich dessen Durchsetzung<br />

diverse Formalien zu beachten. Der Schuldner-Anwalt<br />

ist ebenfalls gefordert, stehen doch seinem Mandanten bestimmte<br />

(Abwehr)-Rechte zu. Dieses Wechselspiel der Instrumentarien<br />

soll im Folgenden näher beleuchtet werden.<br />

2. Das gesetzliche System der endgültigen und der vorläufigen<br />

Vollstreckbarkeit<br />

Die Vollstreckung erfordert immer einen Titel. Dies<br />

können Endurteile sein, § 704 ZPO oder andere Titel, die<br />

in § 794 Abs. 2 ZPO aufgelistet sind. In der Praxis relevant<br />

sind hiervon insbesondere<br />

9 der Vergleich (Ziff. 1),<br />

9 der Kostenfestsetzungsbeschluss (Ziff. 2),<br />

9 der Vollstreckungsbescheid (Ziff. 4) und<br />

9 die vollstreckbare Urkunde (Ziff. 5).<br />

Endgültig vollstreckbar sind alle diejenigen Titel, die<br />

grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden können, die<br />

also im weiteren Sinne rechtskräftig sind. Da hier im normalen<br />

Verlauf der Dinge eben keine Abänderung des Titels<br />

mehr zu befürchten steht, besteht auch kein Grund, dem<br />

Gläubiger etwa nur eine vorläufige Vollstreckung zu erlauben,<br />

um den Schuldner vor Nachteilen zu schützen. Titel<br />

dagegen, die noch keinen endgültig sicheren Bestand haben,<br />

können nur für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.<br />

Dies entspricht einer Abwägung der Interessen von Gläubiger<br />

und Schuldner. Der Gläubiger soll nicht übermäßig bevorzugt<br />

werden, der Schuldner nicht unnötig benachteiligt,<br />

indem vollendete Tatsachen geschaffen werden.<br />

Beide, sowohl Schuldner als auch Gläubiger, brauchen, sofern<br />

sie anwaltlich vertreten sind, auch zur Vollstreckungsthematik<br />

anwaltliche Beratung. Diese sollte möglichst frühzeitig<br />

erfolgen, also nicht erst dann, wenn das Urteil zugestellt ist,<br />

sondern möglichst schon, wenn sich die Notwendigkeit eines<br />

Verfahrens an sich abzeichnet. Schließlich braucht der Mandant<br />

zumindest potentiell die Möglichkeit, sich auf das Kom-<br />

AnwBl 4/2004<br />

mende einzustellen. Er muss<br />

wissen, dass bis zur endgültigen<br />

Durchsetzung seines Anspruchs<br />

im schlimmsten Fall<br />

viele Jahre vergehen können,<br />

er muss auch wissen, dass er<br />

unter Umständen zumindest<br />

vorübergehend eine Sicherheitsleistung<br />

wird erbringen<br />

müssen. Gerade der Zeitfaktor<br />

spielt bei vielen Überlegungen<br />

eine entscheidende<br />

Rolle. Hat etwa der Gläubiger<br />

seinem Anwalt einen<br />

Auftrag zur Durchführung<br />

der Zwangsvollstreckung aus � Jacqueline Bräuer<br />

einem vorläufig vollstreckbaren<br />

Urteil erteilt, führt der<br />

Anwalt diesen Auftrag aber<br />

nicht zeitnah aus und ist später beim Schuldner nichts mehr<br />

zu erlangen, so macht sich der Anwalt schadenersatzpflichtig,<br />

wenn die zeitnahe weisungsgemäße Vollstreckung erfolgreich<br />

gewesen wäre (OLG Köln NJW-RR 86, 222).<br />

3. Die gesetzliche Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit<br />

a) Vorläufige Vollstreckbarkeit entweder ohne oder gegen<br />

Sicherheitsleistung<br />

Als lediglich vorläufig vollstreckbare Titel kommen nur<br />

Endurteile in Betracht, §§ 704 Abs. 1, 300 ZPO. Die ZPO<br />

unterscheidet solche Endurteile, die grundsätzlich von<br />

Amts wegen ohne Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu<br />

erklären sind, § 708 ZPO, und solche, die grundsätzlich<br />

von Amts wegen nur gegen Sicherheitsleistung für vollstreckbar<br />

zu erklären sind, § 709 ZPO. § 708 ZPO enthält<br />

eine abschließende Aufzählung der in Betracht kommenden<br />

Endurteile, § 709 ZPO betrifft alle Fälle von Endurteilen,<br />

die in § 708 ZPO nicht genannt sind. Hinzu kommt, dass<br />

Urteile der Arbeitsgerichte bereits mit ihrer Verkündung<br />

ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar sind, und zwar von<br />

Gesetzes wegen, ohne Vollstreckungsausspruch im Tenor,<br />

§ 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG. Für den Gläubiger, der das ihm<br />

günstige Urteil nun zumindest einmal vorläufig vollstrecken<br />

möchte, macht es natürlich einen erheblichen Unterschied,<br />

ob er zuvor noch eine Sicherheit stellen muss oder<br />

nicht, verständlicherweise vor allem bei größeren Beträgen.<br />

Die geleistete Sicherheit dient jedoch den Interessen des<br />

Schuldners genau für den Fall, dass der vorläufig vollstreckbare<br />

Titel abgeändert/aufgehoben wird, also als Vollstreckungsgrundlage<br />

entfällt. Hier stünde sonst der Schuldner,<br />

der die Vollstreckung über sich ergehen lassen musste,<br />

hinterher mit leeren Händen da, wenn er das Vollstreckte<br />

vom Gläubiger nicht zurückerlangen kann.<br />

b) Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung<br />

Die in der Praxis wichtigsten Fälle des § 708 ZPO dürften<br />

sein<br />

9 das Anerkenntnisurteil (Ziff. 1),<br />

9 das Versäumnisurteil (Ziff. 2),<br />

9 das Urteil im Urkundenprozess (Ziff. 4),


AnwBl 4/2004 247<br />

Haftpflichtfragen MN<br />

9 Urteile zwischen Mietvertragsparteien über Wohnraummietverhältnisse<br />

(Ziff. 7),<br />

9 Unterhaltsurteile (Ziff. 8) und<br />

9 Urteile der Oberlandesgerichte in vermögensrechtlichen<br />

Streitigkeiten (Ziff. 10).<br />

In diesen Fällen gibt das Gesetz den Interessen des obsiegenden<br />

Gläubigers den Vorzug, weil der Schuldner den<br />

Verfahrensausgang entweder selbst zu verantworten hat<br />

(z. B. Versäumnisurteil), weil der Gläubiger dringendst auf<br />

die Leistung angewiesen ist (z. B. Unterhaltstitel) oder weil<br />

das Urteil eine gesteigerte Vermutung der materiellen Richtigkeit<br />

in sich trägt (z. B. OLG-Urteil).<br />

c) Abwendungsbefugnis des Schuldners<br />

Das Gesetz bevorzugt hier schematisch den Gläubiger,<br />

aber bekanntlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Unter<br />

bestimmten Umständen hat der Schuldner die Möglichkeit,<br />

eine Vollstreckung des Gläubigers ohne Sicherheitsleistung<br />

abzuwenden. Dies aber wiederum nur in bestimmten Fällen<br />

und nur unter besonderen Voraussetzungen. So gibt es bei<br />

den Urteilen nach § 708 Ziff. 1–3 ZPO keine Abwendungsbefugnis,<br />

also z. B. beim Versäumnisurteil und beim<br />

Anerkenntnisurteil. Die Abwendungsbefugnis kommt also<br />

nur bei den Urteilen nach Ziff. 4–11 in Betracht. Die Abwendungsbefugnis<br />

ist von Amts wegen im Tenor auszusprechen.<br />

Im Detail richtet sich die Abwendungsbefugnis<br />

des Schuldners dann nach § 711 ZPO: Der Schuldner kann<br />

durch eigene Sicherheitsleistung (oder Hinterlegung) verhindern,<br />

dass der Gläubiger gegen ihn ohne Sicherheitsleistung<br />

vollstreckt. Es findet dann also keine Vollstreckung<br />

durch den Gläubiger statt, das Leistungsinteresse des Gläubigers<br />

wird bereits durch die Sicherheitsleistung des<br />

Schuldners hinreichend befriedigt. Dies kann allerdings der<br />

Gläubiger wieder dadurch unterlaufen, dass er nun entgegen<br />

dem Grundprinzip des § 708 ZPO doch eine Sicherheit<br />

erbringt, dann darf er nämlich gegen den Schuldner<br />

vollstrecken. Kann der Gläubiger die Sicherheit nicht aufbringen,<br />

will er aber unbedingt vollstrecken, kann ihm die<br />

Verweisung auf § 710 ZPO helfen, danach kann er nämlich<br />

unter bestimmten Voraussetzungen dann doch wieder ohne<br />

Sicherheitsleistung vollstrecken. Hier ist jeweils ein entsprechender<br />

Antrag erforderlich, § 714 ZPO, und zwar vor<br />

dem Schluss der mündlichen Verhandlung.<br />

Besteht ein übergeordnetes Interesse des Schuldners dahingehend,<br />

dass gegen ihn nicht vollstreckt wird (egal, ob<br />

der Gläubiger ohnehin Sicherheit leisten müsste oder nicht),<br />

so kommt § 712 ZPO in Betracht. Der Schuldner müsste<br />

hier allerdings darlegen können, dass ihm ansonsten ein<br />

nicht zu ersetzender Nachteil entstünde. Der Schuldner hat<br />

hierfür die volle Beweislast. Und was vielleicht für den<br />

Schuldner persönlich noch viel schlimmer ist: er muss seine<br />

Vermögensverhältnisse vollständig offen legen. Der praktische<br />

Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung ist<br />

eher gering. Jedenfalls wäre auch hier ein Antrag gemäß<br />

§ 714 ZPO vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung<br />

erforderlich.<br />

d) Beratungsbedarf<br />

Dieses kompliziert verschachtelte System kann selbst<br />

der Jurist nur schwer verinnerlichen, dem Mandanten ist es<br />

sicher kaum nahe zu bringen. Dennoch muss der Anwalt<br />

auch hierbei die Interessen des Mandanten wahren. Will der<br />

Mandant schon vollstrecken oder vorerst noch nicht? Ist er<br />

eventuell auf die Vollstreckung dringend angewiesen?<br />

Könnte er im Bedarfsfall eine Sicherheit in der konkreten<br />

Höhe überhaupt stellen? Ist eventuell zu befürchten, dass<br />

bei längerem Zuwarten beim Schuldner nichts mehr zu erlangen<br />

ist? Alle diese Fragen müssen letztlich geklärt werden.<br />

Der Mandant von sich aus wird das Thema vermutlich<br />

kaum ansprechen. Der Anwalt wird nicht einfach abwarten<br />

können, ob der Mandant bezüglich der Vollstreckung auf<br />

ihn zukommt. Er muss ihn beraten und ihm seine Möglichkeiten<br />

aufzeigen, genauso aber auf die Möglichkeiten des<br />

Gegners hinweisen. Der Anwalt muss auch erläutern, wie<br />

die Sicherheitsleistung funktioniert. Schließlich kann die<br />

Sicherheit nicht nur durch eine Bürgschaft erbracht werden<br />

– was sicherlich die bekannteste Variante ist –, es kommt<br />

zum Beispiel auch die Hinterlegung bestimmter Wertgegenstände<br />

in Betracht. Der Mandant wird die Art und Weise<br />

der Sicherheitsleistung in der Regel nach seinen persönlichen<br />

Verhältnissen und Möglichkeiten einrichten wollen.<br />

Das wird aber nur zufriedenstellend gelingen, wenn dies<br />

ohne Zeitdruck möglich ist. Es müssen zielgerichtete Anträge<br />

rechtzeitig gestellt werden. Die zeitliche Grenze ist<br />

hierbei immer der Schluss der mündlichen Verhandlung.<br />

Der Anwalt muss also vorausschauend arbeiten.<br />

e) Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung<br />

Zur Anordnung einer Sicherheitsleistung kann es also<br />

auf verschiedenen Wegen kommen. Das Gericht muss die<br />

Höhe und die Art und Weise der Sicherheitsleistung bereits<br />

im Tenor angeben. Der Betrag der Sicherheitsleistung ist im<br />

Vollstreckungsverfahren (innerhalb der Instanz) nicht abänderbar.<br />

Da durch die Sicherheit der Schuldner vor einem<br />

Vollstreckungsschaden geschützt werden soll, muss sie<br />

möglichst sein vollständiges Interesse abdecken und im<br />

Zweifel eher etwas zu hoch als zu gering bemessen sein. In<br />

der Gerichtspraxis ist immer häufiger zu beobachten, dass<br />

nicht ein absoluter Betrag genannt wird, sondern beispielsweise<br />

wird formuliert „in Höhe von 120 % des beizutreibenden<br />

Betrages“. Hier müsste der Anwalt also rechnen.<br />

Über das Sicherungsmittel können im Bedarfsfall Schuldner<br />

und Gläubiger eine abweichende Vereinbarung treffen.<br />

f) Versehen des Gerichts<br />

Fehlt im Urteil ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit,<br />

obwohl ein solcher eigentlich erforderlich<br />

wäre, so kann nach § 321 ZPO die Ergänzung des Urteils<br />

innerhalb der 2-Wochen-Frist nach Absatz 2 beantragt werden,<br />

vgl. § 716 ZPO.<br />

g) Besondere prozessuale Situationen<br />

Ist die Berufungsfrist abgelaufen, ohne dass Berufung<br />

eingelegt wurde, so ist da Urteil formal betrachtet rechtskräftig,<br />

vgl. § 705 ZPO. Allerdings kann es sein, dass Wiedereinsetzung<br />

beantragt wird. Theoretisch wäre das Urteil<br />

erster Instanz uneingeschränkt vollstreckbar, der Schuldner<br />

jedoch, der mit seinem Wiedereinsetzungsantrag durchdringt,<br />

hätte das Nachsehen. Hier gibt § 707 ZPO dem<br />

Schuldner die Möglichkeit, einen Antrag auf Einstellung<br />

der Zwangsvollstreckung zu stellen. Sinnvollerweise sollte<br />

der Antrag zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag<br />

gestellt werden. Wohlgemerkt: Der Antrag nach § 707 ZPO<br />

erfolgt – unter bestimmtem Voraussetzungen – erst, wenn<br />

ein Urteil schon vorliegt. Dagegen sind Maßnahmen nach<br />

§§ 710,711,712 ZPO nur vor Ergehen eines Urteils zu beantragen,<br />

da der Ausspruch der entsprechenden Anordnung ja<br />

bereits in dem Urteil erfolgt.


248<br />

MN<br />

Ähnlich wie bei der Wiedereinsetzung ist die Interessenlage<br />

auch beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil.<br />

§ 719 Abs. 1 ZPO verweist auf § 707 ZPO. § 719 Abs. 1 S.<br />

2 ZPO stellt hier eigene Voraussetzungen für einen Vollstreckungsschutz<br />

zugunsten des Schuldners auf: entweder<br />

ist das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen<br />

oder der Schuldner macht glaubhaft, dass seine Säumnis<br />

unverschuldet war. Diese Voraussetzungen sind eine<br />

wesentlich niedrigere Hürde als die des § 707 ZPO. Deshalb<br />

ist strittig, ob die Tatbestandsmerkmale des § 707<br />

ZPO in diesem Fall kumulativ gegeben sein müssen (vgl.<br />

dazu Karst MDR 03, 1391). Das OLG Stuttgart hat mit Beschluss<br />

vom 21.10.2002 entschieden, dass die Voraussetzungen<br />

des § 707 ZPO nicht zusätzlich vorliegen müssen<br />

(NJW-RR 03, 713).<br />

Die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit stellt sich<br />

am häufigsten in der ersten Instanz. In rund der Hälfte aller<br />

Verfahren wird Berufung eingelegt. Es liegt also absehbar<br />

kein rechtskräftiges Urteil vor.<br />

Auch in der zweiten Instanz kann sich wiederum die<br />

Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit neu stellen, falls<br />

noch nicht aufgrund des erstinstanzlichen Urteils vollstreckt<br />

wurde. Es wird leicht übersehen, dass es hier keinen Automatismus<br />

gibt. Auf die Vollstreckung gerichtete Anträge<br />

sind in der zweiten Instanz erneut zu stellen. Wurde das<br />

übersehen, könnte man meinen, sich nach Ergehen des zweitinstanzlichen<br />

Urteils in der Revisionsinstanz noch über<br />

§ 719 Abs. 2 ZPO (einstweilige Einstellung der Vollstreckung<br />

bei nicht zu ersetzendem Nachteil) retten zu können.<br />

Hier geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, dass sich<br />

der Schuldner auf einen nicht zu ersetzenden Nachteil nur<br />

berufen darf, wenn er Vollstreckungsschutz schon in der Berufungsinstanz<br />

beantragt hatte (BGH NJW-RR 02, 1650;<br />

BGH NJW-RR 02, 573). Ähnlich ergeht es dem Gläubiger.<br />

Auch er darf Versäumnisse aus der Vorinstanz nicht heilen,<br />

da schließlich § 714 ZPO mit der zeitlichen Grenze keine<br />

unzumutbare Hürde darstellt (so OLG Karlsruhe NJW-RR<br />

89, 1470). Fazit: Da es bei derartigen Versäumnissen keine<br />

Heilung gibt, trifft der Vorwurf letztlich den Anwalt.<br />

4.Vollstreckungsschäden<br />

Ein vorläufig vollstreckbares Urteil ist eben gerade deshalb<br />

nur vorläufig vollstreckbar, weil es nicht rechtskräftig<br />

ist und potentiell aufgrund eines Rechtsmittels geändert<br />

werden könnte. Daraus resultiert das Schutzbedürfnis des<br />

Schuldners vor irreversiblen Maßnahmen. Andererseits<br />

muss sich der Gläubiger darüber im Klaren sein, dass er die<br />

vorläufige Vollstreckung letztlich auf eigene Gefahr betreibt<br />

und dass sich aus diesem zeitlich vorgezogenen Dürfen<br />

auch nachteilige Konsequenzen für ihn ergeben können. So<br />

nämlich die Schadenersatzpflicht gemäß § 717 Abs. 2<br />

ZPO. Diese ergibt sich zugunsten des vormaligen Schuldners<br />

(der vielleicht aufgrund des abändernden Urteils gar<br />

kein Schuldner mehr ist) für den Gläubiger dann, wenn aus<br />

der betriebenen vorläufigen Vollstreckung dem Schuldner<br />

ein Schaden erwachsen ist oder er zur Abwendung der Vollstreckung<br />

Aufwendungen getätigt hat, die er gern ersetzt haben<br />

möchte. Diese Schadenersatzpflicht trifft den Gläubiger,<br />

der eigentlich nur von einem ihm gesetzlich bzw.<br />

gerichtlich zugestandenen Recht Gebrauch gemacht hat,<br />

vollkommen verschuldensunabhängig. Letztlich muss er<br />

für sein Vertrauen in die Richtigkeit der ursprünglichen gerichtlichen<br />

Entscheidung büßen. Eine Konsequenz, die den<br />

juristischen Laien sicher überrascht. Umso wichtiger er-<br />

scheint es, dass der Anwalt den Mandanten, bevor dieser<br />

eine vorläufige Vollstreckung betreibt, auf diese mögliche<br />

Gefahr deutlich hinweist. Dass beispielsweise die erstinstanzliche<br />

Entscheidung für richtig befunden wird bzw.<br />

die Erfolgsaussichten des Schuldners in der Berufungsinstanz<br />

gering eingeschätzt werden, gibt nur eine trügerische<br />

Sicherheit. Grundsätzlich immer sollte die Möglichkeit<br />

in Betracht gezogen werden, dass die zweite Instanz doch<br />

entgegen der eigenen Auffassung des Anwalts entscheidet,<br />

egal wie gut die Beweislage ist oder wie simpel die rechtliche<br />

Problematik.<br />

Ob ein Schadenersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO<br />

gegeben ist, weiß man erst, wenn das Verfahren rechtskräftig<br />

abgeschlossen ist. Dennoch empfiehlt es sich, einen Vollstreckungsschaden<br />

möglichst frühzeitig geltend zu machen,<br />

nämlich noch in dem laufenden Verfahren. Dies aus dem<br />

Grund, dass nach gesetzlicher Fiktion bei diesem Vorgehen<br />

der Schadenersatzanspruch rückwirkend zum Zeitpunkt der<br />

Leistung rechtshängig wird mit der Folge, dass auch Zinsen<br />

schon ab dem zurückliegenden Zeitpunkt laufen. Theoretisch<br />

ist hinsichtlich des Schadenersatzanspruchs auch eine separate<br />

Klage nach Abschluss des ursprünglichen Verfahrens<br />

möglich, hier gibt es allerdings den Vorteil der Rückwirkung<br />

nicht, was sich bei größeren Beträgen bezüglich der Zinsen<br />

für den Mandanten durchaus spürbar auswirken kann. Ausgeschlossen<br />

ist der Schadenersatzanspruch in dieser Form jedoch<br />

bei der vorläufigen Vollstreckung eines OLG-Urteils in<br />

einer vermögensrechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 708<br />

Ziff. 10 ZPO, vgl. § 717 Abs. 3 ZPO. In die Richtigkeit eines<br />

OLG-Urteils soll der vollstreckende Gläubiger nun denn<br />

doch vertrauen können. Hier hat der Schuldner nur einen Bereicherungsanspruch.<br />

5. Exkurs: Anwaltshaftung beim Versäumnisurteil<br />

AnwBl 4/2004<br />

Haftpflichtfragen<br />

Das Versäumnisurteil ist – wie oben dargestellt – immer<br />

ohne Sicherheit des Gläubigers vollstreckbar, § 708 Ziff. 2<br />

ZPO Eine Abwendungsbefugnis des Schuldners nach § 711<br />

ZPO gibt es hier nicht. Der Schuldner kann sich aber nach<br />

§ 712 ZPO wehren, hier muss er eine eigene Sicherheit erbringen.<br />

Versetzt man sich nun in die Lage des anwaltlich<br />

vertretenen Schuldners, dessen Anwalt durch einen Fehler<br />

ein Versäumnisurteil ergehen lässt, so trifft den Schuldner-<br />

Mandanten dieses – für den Gläubiger vorläufig vollstreckbare<br />

– Urteil wie ein Keulenschlag. Darauf, plötzlich eine<br />

Sicherheit leisten zu müssen, war er natürlich nicht vorbereitet.<br />

Vielfach wird in dieser Situation verlangt, der Anwalt,<br />

ggf. seine Berufshaftpflichtversicherung, müsse die<br />

Sicherheit – in der Regel eine Bürgschaft – stellen. Dem ist<br />

allerdings im Ergebnis nicht so. Die Sicherheit hat lediglich<br />

eine vorübergehende Sicherungsfunktion. Wird das Versäumnisurteil<br />

aufgehoben, entspricht das genau der Argumentation<br />

des Schuldner-Mandanten, der Anspruch gegen<br />

ihn bestehe gar nicht. Die Sicherheit ist bei dieser Konstellation<br />

vom Gläubiger an den Schuldner zurück zu gewähren,<br />

dieser steht sich dann wirtschaftlich kaum schlechter,<br />

als wenn ein Versäumnisurteil nie ergangen wäre. Ein<br />

Schaden des Mandanten bleibt nur in der Höhe der Kosten<br />

für die Beschaffung der Sicherheit. Diese, aber nur diese<br />

fallen in der Tat unter das Stichwort Anwaltshaftung. Wird<br />

das Versäumnisurteil dagegen durch streitiges Urteil bestätigt,<br />

so hat der Mandant gar keinen Schaden im rechtlichen<br />

Sinne das Versäumnisurteil entsprach sowieso der materiellen<br />

Rechtslage. Wo aber kein Schaden ist, da besteht natürlich<br />

auch kein Schadenersatzanspruch gegen den Anwalt.


AnwBl 4/2004 249<br />

7<br />

Anwaltsrecht<br />

GG Art. 3 Abs. 1; GewStG § 2 Abs. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1<br />

1. An der Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuerpflicht kraft<br />

Rechtsform gem. § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG bestehen keine ernstlichen<br />

Zweifel.<br />

2. Dies gilt auch für die Gewerbesteuerpflicht einer Mitunternehmerschaft,<br />

an der neben freiberuflich tätigen Mitunternehmern<br />

eine Kapitalgesellschaft beteiligt ist, deren Gesellschafter<br />

und (hier) Geschäftsführer wiederum sämtlich freiberuflich tätig<br />

sind.<br />

BFH, Beschl. v. 3.12.2003 – IV B 192/03<br />

Sachverhalt: Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin)<br />

ist eine Rechtsanwaltssozietat in der Rechtsform einer<br />

Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). In den Streitjahren 1995<br />

bis 2000 waren nicht nur mehrere Rechtsanwälte Gesellschafter<br />

der GbR, sondern auch eine Wirtschafts- und Steuerberatungs-<br />

GmbH (GmbH), auf die 79 v. H. der Anteile an der GbR entfielen.<br />

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt FA) behandelte<br />

die Antragstellerin wegen der Beteiligung der GmbH als<br />

Gewerbebetrieb und erließ Gewerbesteuermessbescheide. Gegen<br />

die Bescheide für 1995 bis 1999 hat die Antragstellern nach erfolglosen<br />

Einspruch Klage erhoben. Über den Einspruch gegen den<br />

Gewerbesteuermessbescheid 2000 ist noch nicht entschieden. Nach<br />

Ablehnung der Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV)<br />

durch das FA hatte ein beim Finanzgericht (FG) gestellter Antrag<br />

Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte EFG 2003, 1640). Das<br />

FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Anträge auf<br />

AdV abzulehnen.<br />

Aus den Gründen: Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur<br />

Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung der Anträge<br />

auf AdV.<br />

Bei der gebotenen summarischen Prüfung bestehen keine ernstlichen<br />

Zweifel i. S. d. § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung<br />

(FGO) an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gawerbesteuermessbescheide.<br />

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH entfaltet eine Mitunternehmerschaft<br />

nur dann eine freiberufliche Tätigkeit i. S. d. § 8<br />

Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn alle ihre Mitunternehmer freiberuflich tätig<br />

sind (vgl. etwa Beschluss des Großen Senats vom 25.6.1984<br />

GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; BFH-Urt. v.<br />

11.6.1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; vom<br />

23.11.2000 IV R 48/99, BFHE <strong>193</strong>, 482, BStBl II 2001, 241).<br />

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn an einer Personengesellschaft<br />

auch eine Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Denn eine Kapitalgesellschaft<br />

kann die Merkmale eines freien Berufs nicht<br />

erfüllen, weil ihre Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG stets als<br />

Gewerbebetrieb gilt.<br />

2. Der beschließende Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit<br />

des § 2 Abs. 2 S. 1 GewStG.<br />

a) Der BFH hat mehrfach entschieden, dass die Entscheidung<br />

des Gesetzgebers, die Tätigkeit jeder Kapitalgesellschaft als gewerblich<br />

anzusehen, keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des<br />

Art. 3 Abs. 1 GG darstellt (BFH-Urteile in BFHE 120, 265,<br />

BStBl II 1977, 10, und in BFHE 122, 318, BStBl II 1977, 669). Die<br />

gegen diese Entscheidungen eingelegten Verfassungsbeschwerden<br />

wurden nicht zur Entscheidung angenommen (Beschlüsse des<br />

BVerfG in HFR 1977, Nr. 264, und vom 23.12.1977 1 BvR 715/77,<br />

HFR 1976, Nr. 78).<br />

Es ist daran fest zu halten, dass Kapitalgesellschaften sich von<br />

natürlichen Personen bzw. Personengesellschaften in der Rechtsordnung<br />

so wesentlich unterscheiden, dass ihre Behandlung als Gewerbebetrieb<br />

ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit im Einzelnen sachlich<br />

gerechtfertigt erscheint. Infolge ihrer Ausstattung mit einem Mindestkapital<br />

(§ 7 des Aktiengesetzes AktG; § 5 des Gesetzes betreffend<br />

die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH) und ihrer<br />

Unabhängigkeit von Art und Zahl der Mitglieder (§ 1 AktG; § 13<br />

Abs. 1 GmbHG) sind Kapitalgesellschaften Gebilde mit eigener<br />

wirtschaftlicher Kraft und zur wirtschaftlichen Betätigung bestimmt.<br />

b) Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, dass sich aus<br />

dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000,<br />

160 die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der Gewerbesteuerpflicht<br />

kraft Rechtsform ergäbe. Diesem Beschluss zufolge verbietet<br />

der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine allein nach der<br />

Rechtsform eines Unternehmens differenzierende Umsatzsteuerbefreiung.<br />

Die Entscheidung stellt darauf ab, dass nach des Konzeption<br />

des Umsatzsteuerrechts eine Umsatzsteuerbefreiung nicht von<br />

der Rechtsform des leistenden abhängig gemacht werden dürfe,<br />

denn systemgerecht seien nur Vergünstigungen im Interesse der<br />

Verbraucher, nicht aber einzelner Unternehmergruppen. Eine solche<br />

Konzeption, die ein Anknüpfen an die Rechtsform verbietet,<br />

liegt dem Gewerbesteuerrecht jedoch nicht zu Grunde. Sie kann<br />

insbesondere nicht aus dem Äquivalenzprinzip abgeleitet werden.<br />

Die Rechtsprechung des BVerfG steht auch nicht der Behandlung<br />

einer Mitunternehmerschaft als Gewerbebetrieb entgegen,<br />

wenn an ihr neben freiberuflich tätigen Mitunternehmern eine Kapitalgesellschaft<br />

beteiligt ist. Zwar hat das BVerfG im Zusammenhang<br />

mit dem Beschluss in BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160<br />

auch entschieden, eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 des<br />

Umsatzsteuergesetzes dürfe nicht mit der Begründung versagt werden,<br />

der Unternehmer übe mangels beruflicher Qualifikation keinen<br />

freien Beruf i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus (BVerfG-<br />

Beschl. v. 29.10.1999 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, BStBl II<br />

2000, 155, und vom 10.11.1999 2 BvR 1820/92, BStBl II 2000,<br />

158). Der beschließende Senat hat diese Grundsätze jedoch für<br />

nicht auf das Einkommen- und Gewerbesteuerrecht übertragbar gehalten<br />

(Urt. v. 29.11.2001 IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II<br />

2002, 149, und vom 19.9.2002 IV R 45/00, BFHE 200, 317,<br />

BStBl II 2003, 21). Die gegen das letztgenannte Senatsurteil eingelegte<br />

Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen<br />

(BVerfG-Beschl. v. 9.7.2003 I BvR 2317/02). Dementsprechend<br />

kann aus den Entscheidungen des BVerfG zur<br />

Umsatzsteuer auch nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuerpflicht<br />

von Mitunternehmerschaften, an denen eine Kapitalgesellschaft<br />

beteiligt ist, geschlossen werden.<br />

Anmerkung der Redaktion: Der BFH hebt eine Entscheidung<br />

des Finanzgerichts Sachsen-Anhalt auf, die in der Diskussion um<br />

die Ausweitung der Gewerbesteuer auf die Freiberufler im Sommer<br />

2004 viel Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Gewerbesteuerpflichtigkeit<br />

der Rechtsanwalts-GmbH wird vom BFH bestätigt. Allerdings<br />

droht Rechtsanwälten die Gewerbesteuerpflicht nicht nur<br />

über die Wahl der Rechtsform. Verbleibende Restrisiken, die zur<br />

Gewerblichkeit des Rechtsanwalts führen könne, behandeln Olbing/<br />

Kamps in einem Beitrag auf Seite 241 in diesem Heft.<br />

Rechtsberatungsgesetz<br />

MN<br />

RBerG Art. 1 §§ 1, 5, 6 Nr. 2, § 7; UWG §§ 1, 13 Abs. 2 Nr. 2<br />

a) Ein Automobilklub stellt regelmäßig weder eine auf berufsständischer<br />

Grundlage errichtete Vereinigung noch eine berufsstandsähnliche<br />

Vereinigung i. S. d. Art. 1 § 7 RBerG dar.<br />

b) Zu den Voraussetzungen der Verbandsklagebefugnis gem.<br />

§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, wenn ein Verstoß gegen § 1 UWG<br />

i.V. m. Art. 1 § 1 RBerG geltend gemacht wird.<br />

BGH, Urt. v. 20.11.2003 – I ZR 104/01<br />

Sachverhalt: Der Kl ist ein dem Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> e.V.<br />

angehörender örtlicher Anwaltsverein. Er verfolgt nach § 4 seiner<br />

Satzung den Zweck, die beruflichen Interessen der im Bezirk des<br />

LG Frankfurt am Main zugelassenen Rechtsanwälte zu fördern.<br />

Der Bekl ist ein Automobil- und Reiseklub. Er versteht sich<br />

nach seiner Satzung als Interessengemeinschaft von Verkehrsteil-


250<br />

MN<br />

nehmern des öffentlichen Dienstes. Mitglied kann neben Angehörigen<br />

des öffentlichen Dienstes, vergleichbarer Einrichtungen sowie<br />

von Selbsthilfeeinrichtungen für den öffentlichen Dienst jeder<br />

Verkehrsteilnehmer werden, sofern er den Zwecken und Zielen des<br />

Vereins zustimmt.<br />

Eine Tochtergesellschaft des Bekl, die A. GmbH, bietet Rechtsschutzversicherungen<br />

an, die der Bekl vermittelt.<br />

Der Kl nimmt den Bekl, der über keine Erlaubnis zur Rechtsberatung<br />

verfügt, wegen einer in dessen Mitgliederzeitschrift, Ausgabe<br />

3/99, unter der Überschrift „JUR-INFO: Rechtsinformation<br />

rund um die Uhr!“ erschienenen Werbung für eine telefonische<br />

Hotline auf Unterlassung in Anspruch. Er sieht in der über die Hotline<br />

abrufbaren Dienstleistung eine unerlaubte Rechtsberatung des<br />

Bekl. Der Bekl ist dem entgegengetreten.<br />

Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben.<br />

Die Berufung des Bekl ist ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt<br />

am Main GRUR-RR 2002, 37). Mit der Revision, deren Zurückweisung<br />

der Kl beantragt, verfolgt der Bekl seinen Antrag auf<br />

Klageabweisung weiter.<br />

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hat den Betrieb der<br />

Hotline durch den Bekl als eine unerlaubte Rechtsberatung und daher<br />

diesen Betrieb sowie die Werbung für ihn als Verstoß gegen<br />

§ 1 UWG angesehen. Dazu hat es ausgeführt:<br />

Die Mitglieder des Bekl könnten, wie dieser eingeräumt und in<br />

seiner Werbung auch herausgestellt habe, unter der vom Bekl betriebenen<br />

Hotline grundsätzlich erlaubnispflichtige Rechtsberatung<br />

i. S. d. Art. 1 § 1 RBerG abrufen. Die Dienstleistung werde aus der<br />

insoweit maßgeblichen Sicht der angesprochenen Verkehrskreise<br />

von dem Bekl selbst erbracht. Dieser sei keine berufsständische<br />

oder auf ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigung und könne daher<br />

auch nicht die Rechtsberatung im Bereich Auto, Reise und Verkehr<br />

gem. Art. 1 § 7 RBerG erlaubnisfrei erbringen. Ebenfalls<br />

ohne Erfolg berufe sich der Bekl auf Art. 1 § 5 RBerG, da er weder<br />

Rechtsschutzversicherer sei noch Rechtsschutzversicherungen vertreibe.<br />

Die Anwendung des Erlaubnisvorbehalts des Rechtsberatungsgesetzes<br />

verstoße nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG; denn der<br />

Bekl biete eine umfassende und vollwertige Rechtsberatung an.<br />

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung<br />

stand.<br />

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Bekl aus<br />

der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise über die in dem<br />

„JUR-INFO“ angegebene Hotline eine von ihm selbst zu erbringende<br />

Rechtsberatung i. S. d. Art. 1 § 1 RBerG angeboten hat.<br />

Diese Beurteilung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen (vgl.<br />

BGHZ 98, 330, 332 – Unternehmensberatungsgesellschaft I) und<br />

wird auch von der Revision nicht beanstandet.<br />

2. Ohne Erfolg greift die Revision die Beurteilung des Berufungsgerichts<br />

an, der Bekl könne sich, soweit es um Rechtsberatung<br />

außerhalb der Bereiche Auto, Verkehr und Reisen gehe, nicht<br />

auf die Bestimmung des Art. 1 § 5 RBerG stützen. Dabei kann dahinstehen,<br />

inwieweit die A. GmbH gemäß dieser Vorschrift berechtigt<br />

ist, die in der in Rede stehenden Werbung beschriebenen<br />

rechtsbetreuenden Tätigkeiten selbst in eigener Person vorzunehmen.<br />

Jedenfalls nämlich darf sie sich nicht des Bekl in der in der<br />

Werbung dargestellten Weise bedienen. Soweit die Revision gegenteiliger<br />

Auffassung ist, übersieht sie die Bestimmung des Art. 1 § 6<br />

Nr. 2 RBerG. Danach darf die Erledigung von Rechtsangelegenheiten<br />

durch Personen oder Stellen der in Art. 1 §§ 1, 3 und 5 RBerG<br />

bezeichneten Art nur auf zu diesen in einem Angestelltenverhältnis<br />

stehende Personen übertragen werden. Der Begriff des Angestellten<br />

ist zwar weit auszulegen. Er setzt aber immerhin voraus, dass<br />

eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit im Betrieb eines anderen<br />

ausgeübt wird (RGSt 72, 313, 314; Weth, in: Henssler/<br />

Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, Art. 1 § 6 RBerG Rn 4<br />

m. w. N.). Im Streitfall fehlt es an einem solchen Rechtsverhältnis<br />

zwischen dem Bekl und seiner als Rechtsschutzversicherer tätigen<br />

Tochtergesellschaft A. GmbH.<br />

3. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, der Bekl könne<br />

sich bei der Rechtsberatung in den Bereichen Auto, Verkehr und<br />

Reisen nicht auf Art. 1 § 7 RBerG stützen, damit begründet, dass<br />

Zusammenschlüsse, die – wie der Bekl – der Förderung von Interessen<br />

dienten, die jedermann haben könne, nicht zu den in dieser<br />

AnwBl 4/2004<br />

Rechtsprechung<br />

Bestimmung privilegierten Vereinigungen zählten. Diese Beurteilung<br />

hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung ebenfalls stand.<br />

a) Der Bekl stellt, anders als die Revision meint, keine auf berufsständischer<br />

Grundlage errichtete Vereinigung dar. Denn bei<br />

ihm kann außer den Angehörigen des öffentlichen Dienstes und<br />

den diesen gleichgestellten Personen auch jeder andere Verkehrsteilnehmer<br />

Mitglied werden, der den Zwecken und Zielen des Bekl<br />

zustimmt. Es fehlt damit eine Verbundenheit der Vereinsmitglieder<br />

bei der Wahrnehmung beruflicher Standesinteressen (vgl. Chemnitz/Johnigk,<br />

Rechtsberatungsgesetz, 11. Aufl., Rn 671).<br />

b) Es handelt sich bei dem Bekl aber auch nicht um eine berufsstandsähnliche<br />

Vereinigung i. S. d. Art. 1 § 7 RBerG. Eine solche<br />

liegt dann vor, wenn die Vereinigung auf der Grundlage der gleichen<br />

oder ganz ähnlichen wirtschaftlichen oder sozialen Stellung<br />

ihrer Mitglieder zur Wahrnehmung der für diese Stellung bezeichnenden<br />

wirtschaftlichen oder sozialen Interessen gebildet worden<br />

ist (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.1985 – I ZR 29/83, GRUR 1986, 79, 80 –<br />

Mietrechtsberatung; BVerwG DVBl 1983, 1249, 1250). Danach<br />

sind insbesondere Mietervereine als auf ähnlicher Grundlage errichtete<br />

Vereinigungen i. S. d. genannten Bestimmung anzusehen<br />

(vgl. BGH GRUR 1986, 79, 80 – Mietrechtsberatung; Chemnitz/<br />

Johnigk, aaO, Rn 721–723, jeweils m. w. N.). Dasselbe soll nach einer<br />

im Schrifttum vertretenen Auffassung auch für Automobilklubs<br />

gelten, da diese hinsichtlich der (eher geringen) Homogenität ihrer<br />

Mitglieder mit Mietervereinen unmittelbar vergleichbar seien (Rennen/Caliebe,<br />

Rechtsberatungsgesetz, 3. Aufl., Art. 1 § 7 Rn 8).<br />

Dem kann nicht zugestimmt werden. Ein Automobilklub stellt wegen<br />

der sehr großen Zahl der in Betracht kommenden Mitglieder<br />

aus fast allen Bevölkerungsschichten regelmäßig keine Vereinigung<br />

mehr dar, die auf der Grundlage einer gleichen oder ganz ähnlichen<br />

wirtschaftlichen oder sozialen Stellung ihrer Mitglieder zur Wahrnehmung<br />

der dafür bezeichnenden wirtschaftlichen oder sozialen<br />

Interessen gebildet ist (Weth, in: Henssler/Prütting, aaO, Art. 1 § 7<br />

RBerG Rn 46; Chemnitz/Johnigk, aaO, Rn 732). Der Bekl versteht<br />

sich nach seiner Satzung zwar als Interessengemeinschaft von Verkehrsteilnehmern<br />

des öffentlichen Dienstes. Mitglied kann aber neben<br />

Angehörigen des öffentlichen Dienstes, vergleichbarer Einrichtungen<br />

sowie von Selbsthilfeeinrichtungen für den öffentlichen<br />

Dienst auch jeder andere Verkehrsteilnehmer werden, sofern er den<br />

Zwecken und Zielen des Vereins zustimmt. Damit steht der Bekl<br />

grundsätzlich nahezu jedermann offen. Dementsprechend kann bei<br />

ihm von einer – zumindest – gewissen Homogenität des Kreises<br />

von Personen, die als Mitglieder in Betracht kommen, sowie von<br />

einer dort vorhandenen gleichgerichteten Interessenlage keine Rede<br />

sein.<br />

4. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu der Frage<br />

getroffen, ob die vom Kl, dessen Klagebefugnis sich allein aus<br />

§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ergeben kann (vgl. Chemnitz, AnwBl<br />

1998, 528 f.), beanstandete Verhaltensweise des Bekl den Wettbewerb<br />

auf dem relevanten örtlichen und sachlichen Markt, d. h.<br />

auf dem Gebiet der Rechtsberatung in dem Bereich, in dem die<br />

beim LG Frankfurt am Main zugelassenen Rechtsanwälte tätig sind,<br />

wesentlich zu beeinträchtigen vermag. Diese Beurteilung kann jedoch<br />

auf der Grundlage der sonstigen vom Berufungsgericht getroffenen<br />

Feststellungen sowie des unstreitigen Sachverhalts nachgeholt<br />

werden (BGH, Urt. v. 28.11.1996 – I ZR 197/94, GRUR<br />

1997, 767, 770 = WRP 1997, 735 – Brillenpreise II). Zu berücksichtigen<br />

ist insbesondere, dass der in Art. 1 § 1 RBerG geregelte<br />

grundsätzliche Erlaubniszwang für rechtsbesorgende Tätigkeiten<br />

nicht nur berufsständischen Interessen, sondern auch dem allgemeinen<br />

Interesse an einer zuverlässigen Rechtspflege dient und seine<br />

Missachtung daher regelmäßig ohne das Hinzutreten weiterer Umstände<br />

als wettbewerbswidrig anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v.<br />

16.3.1989 – I ZR 30/87, GRUR 1989, 437, 438 = WRP 1989, 508<br />

– Erbensucher; Urt. v. 13.3.2003 – I ZR 143/00, GRUR 2003, 686,<br />

889 = WRP 2003, 1103 – Erbenermittler; GroßKomm. UWG/Teplitzky,<br />

§ 1 Rn G 116 m. w. N. in Fn. 479). Außerdem begründet die<br />

Verhaltensweise des Bekl die erhebliche Gefahr, dass Mitbewerber<br />

in entsprechender Weise gegen das Verbot der unerlaubten Rechtsberatung<br />

verstoßen werden (vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1994 – I ZR<br />

138/92, GRUR 1995, 122, 124 = WRP 1995, 104 – Laienwerbung<br />

für Augenoptiker; BGH GRUR 1997, 767, 769 – Brillenpreise II).<br />

Ohne Erfolg macht die Revision auch geltend, der Bekl überschreite<br />

mit seiner beanstandeten Verhaltensweise jedenfalls nicht<br />

die Grenzen einer Erstberatung i. S. d. § 20 Abs. 1 S. 2 BRAGO.


AnwBl 4/2004 251<br />

Rechtsprechung MN<br />

Die Revisionserwiderung weist hierzu mit Recht darauf hin, dass<br />

der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Regelung dem Rechtsrat<br />

Suchenden den Gang zum Rechtsanwalt erleichtern wollte,<br />

nicht aber zu nicht autorisierten Rechtsberatern. Gerade auch eine<br />

erste Beratung i. S. d. genannten Vorschrift hat qualifiziert zu sein,<br />

da anderenfalls die Gefahr besteht, dass der Rechtsuchende von<br />

ihm in rechtlicher Hinsicht gegebenenfalls zustehenden Angriffs-,<br />

Verteidigungs- oder Gestaltungsmöglichkeiten schon überhaupt<br />

keine Kenntnis erlangt. Aus diesem Grund spricht der von der Revision<br />

herausgestellte Umstand, dass sich die vom Bekl geleistete<br />

Beratungstätigkeit nach den vom Berufungsgericht getroffenen<br />

Feststellungen auf eine „grobe Prüfung“ beschränke, keineswegs<br />

gegen die Klagebefugnis des Kl gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Der<br />

Beurteilung der wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs<br />

steht nicht entgegen, dass der beklagte Verein nach seiner Einlassung<br />

für die Erteilung von Rechtsrat Rechtsanwälte einschaltet.<br />

Damit erfährt die beanstandete Tätigkeit des Vereins als verbotene<br />

Rechtsberatung wettbewerbsrechtlich keine andere Gewichtung.<br />

Gebührenrecht<br />

BRAGO § 6 Abs. 1<br />

Bei Aktivprozessen einer Sozietät von Steuerberatern und<br />

Rechtsanwälten hat insbesondere bei der Eingehung von Honorarforderungen<br />

die Sozietät Vorsorge dafür zu treffen, dass<br />

diese Aufgabe durch ein anwaltliches Sozietätsmitglied allein erledigt<br />

wird, eine Erhöhungsgebühr nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO<br />

fällt daher nicht an.<br />

BGH, Beschl. v. 5.1.2004 – II ZB 22/02<br />

Aus den Gründen: I. Die Kl, die in Form einer Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts eine Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- und<br />

Rechtsanwaltssozietät betreiben, haben die Bekl auf Zahlung von<br />

Gebühren für steuerberatende Tätigkeiten in Anspruch genommen.<br />

Das AG Charlottenburg hat mit Urt. v. 14.3.2001 der Klage stattgegeben<br />

und die Kosten des Rechtsstreits der Bekl auferlegt. Die<br />

Bekl hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und zusätzlich mit einer<br />

hilfsweise erhobenen Widerklage die Kl sowie die aus den Kl<br />

und weiteren Rechtsanwälten bestehende „L. und Kollegen GbR“<br />

gesamtschuldnerisch auf Zahlung in Anspruch genommen. Mit<br />

Urt. v. 4.3.2002 hat das LG die Berufung zurückgewiesen und die<br />

Widerklage abgewiesen. Mit Kostenfestsetzungsbeschl. v.<br />

24.4.2002 ist dem Antrag der Kl auf Festsetzung einer Erhöhungsgebühr<br />

gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO in Höhe von 872,39 E stattgegeben<br />

worden.<br />

Die sofortige Beschwerde der Bekl, die sich gegen die für die<br />

Berufung festgesetzte Erhöhungsgebühr in Höhe von 226,32 E,<br />

nicht aber gegen den auf die Widerklage entfallenden Erhöhungsbetrag<br />

in Höhe von 646,07 E richtete, hat das LG mit Beschl. v.<br />

24.7.2002 zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde<br />

wendet sich die Bekl nunmehr gegen die gesamte für<br />

die Berufungsinstanz festgesetzte Erhöhungsgebühr in Höhe von<br />

872,39 E.<br />

II. Die Rechtsbeschwerde hat zum Teil Erfolg.<br />

1. Hinsichtlich der in der Berufungsinstanz für die Widerklage<br />

gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO festgesetzten Erhöhungsgebühr in<br />

Höhe von 646,07 E ist die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil<br />

diese Festsetzung mangels Anfechtung durch die Bekl nicht Gegenstand<br />

des Beschwerdeverfahrens vor dem LG war und deshalb<br />

auch nicht mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden kann.<br />

2. In Höhe von 226,32 E ist die Rechtsbeschwerde zulässig<br />

(§ 574 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 3 ZPO i. V. m § 26 Nr. 10 EGZPO) und<br />

in der Sache begründet.<br />

a) Zu Unrecht geht das LG davon aus, dass auch in der Berufungsinstanz<br />

die Erhöhungsgebühr gem. § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO<br />

angefallen ist. Nach dieser Vorschrift erhöhen sich die Geschäftsgebühr<br />

und die Prozessgebühr in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt<br />

für mehrere Auftraggeber in derselben Angelegenheit tätig<br />

wird.<br />

Für Aktivprozesse einer Anwaltssozietät, insbesondere bei Honorarklagen,<br />

fällt nach der ganz überwiegenden obergerichtlichen<br />

Rechtsprechung und h. M. in der Literatur eine Erhöhungsgebühr<br />

nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO für den die Anwaltssozietät vertretenden<br />

Rechtsanwalt nicht an (vgl. OLG Düsseldorf MDR 2000,<br />

351, 352 und NJW-RR 2002, 645, 646; OLG Nürnberg MDR 1997,<br />

689, 690; OLG Koblenz JurBüro 2002, <strong>256</strong>; 1998, 302 ff. sowie<br />

1994, 729; Hans. OLG Hamburg MDR 1999, <strong>256</strong>; im Ergebnis<br />

OLG Köln JurBüro 1994, 94; von Eicken, in: Gerold/Schmidt/von<br />

Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 6 Rn 15 m. w. N.; Frauenholz,<br />

in: Riedel/Sußbauer, BRAGO 8. Aufl. 2000, § 6 Rn 13;<br />

a. A. KG Berlin MDR 1999, 1023 m. w. Hinweisen auf die Gegenansicht).<br />

Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Eine Anwaltssozietät<br />

kann ohne weiteres dafür Vorsorge treffen, dass eine so<br />

häufig vorkommende Aufgabe wie die Einziehung einer Honorarforderung<br />

durch ein Sozietätsmitglied allein erledigt wird und dadurch<br />

die Prozessführungskosten im Interesse des vertretenen<br />

Mandanten möglichst gering gehalten werden. Dahinstehen kann,<br />

ob demgegenüber bei einer nur aus Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern<br />

bestehenden Sozietät bei Aktivprozessen § 6 Abs. 1 S. 2<br />

BRAGO zur Anwendung kommt (bejahend OLG Braunschweig<br />

OLGR 1995, 179 und OLG Schleswig JurBüro 1994, 731). Die<br />

Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO scheidet jedenfalls<br />

aber dann aus, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Sozietät neben<br />

Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern auch aus Rechtsanwälten<br />

besteht. Nicht entscheidend ist, ob sine solche Sozietät Honoraransprüche<br />

für rechtsanwaltliche oder für steuerberatende<br />

Tätigkeiten geltend macht. Auch in den letztgenannten Fällen besteht<br />

für eine Sozietät die Verpflichtung, den für den Mandanten<br />

kostengünstigsten Weg zu beschreiten.<br />

b) Ohnedies ist nach der grundlegenden Entscheidung des Senats<br />

zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft vom 29.1.2001 (II<br />

ZR 331/00, BGHZ 146, 341) – nach Ablauf einer gewissen Übergangszeit<br />

(vgl. BGH, Beschl. v. 18.6.2002 – VIII ZB 6/02, NJW<br />

2002, 2958 und Beschl. v. 26.2.2003 – VIII ZB 69/02, BRAGO-<br />

Report 2003, 89) – für die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 S. 2<br />

BRAGO jedenfalls beim Aktivprozess einer BGB-Gesellschaft<br />

kein Raum mehr.<br />

BRAGO §§ 7, 13<br />

a) Einem Rechtsanwalt ist es jedenfalls nicht erlaubt, einseitig<br />

und ohne hinreichenden Sachgrund anstehende Verfahren eines<br />

Auftraggebers zu vereinzeln, statt sie nach ihrer objektiven<br />

Zusammengehörigkeit als eine Angelegenheit zu behandeln,<br />

bei der die Gegenstandswerte zusammenzurechnen<br />

sind.<br />

b) Ist sowohl eine getrennte als auch eine gehäufte Verfahrensführung<br />

ernsthaft in Betracht zu ziehen, muss der<br />

Rechtsanwalt das Für und Wider des Vorgehens unter Einbeziehung<br />

der Kostenfolge dem Auftraggeber darlegen und<br />

seine Entscheidung herbeiführen.<br />

BRAGO § 17<br />

Ein Vorschuss für Rahmengebühren darf nicht im Umfang der<br />

Höchstgebühr angefordert werden, wenn sich noch nicht übersehen<br />

lässt, ob der tatsächliche Aufwand der Mandatserfüllung<br />

diese Gebührenhöhe rechtfertigt. Wenn nötig, kann nach Klärung<br />

der Umstände ein weiterer Vorschuss angefordert werden.<br />

BGH, Urt. v. 11.12.2003 – IX ZR 109/00<br />

Sachverhalt: Der Bekl beauftragte die Sozietät des Kl 1991 mit<br />

seiner anwaltlichen Vertretung in Grundstücks- und Vermögensangelegenheiten<br />

im Beitrittsgebiet. Außerdem sollte die Sozietät<br />

des Kl die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaften zwischen<br />

dem Bekl und seiner Schwester Waltraud W. betreiben, denen das<br />

Eigentum an mehreren Grundstücken oder mögliche Rückübertragungsansprüche<br />

gesamthänderisch zustanden. Der Kl verlangt von<br />

dem Bekl die gesetzliche Vergütung für diese Tätigkeiten durch<br />

Zahlung an sich und die übrigen Mitglieder seiner ehemaligen Sozietät.<br />

Aus den Gründen: II. Die zuerkannten Vergütungsansprüche<br />

für die Aufträge des Bekl, die den Grundbesitz der Erbengemein-


252<br />

MN<br />

schaften im Beitrittsgebiet und etwaige Rückübertragungsansprüche<br />

der Miterben bzw. des Bekl als Testamentsvollstrecker<br />

betrafen (im Folgenden kurz: vermögensrechtliche Mandate), hat<br />

das Berufungsgericht gleichfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet.<br />

1. Gebührenangelegenheit(en)<br />

Die Abgrenzung der Angelegenheiten i. S. v. § 13 BRAGO, die<br />

mehrere Auftragsgegenstände umfassen können, ist unter Berücksichtigung<br />

der jeweiligen Lebensverhältnisse im Einzelfall ebenso<br />

wie die Feststellung des Auftragsinhalts grundsätzlich Aufgabe des<br />

Tatrichters (BGH, Urt v. 9.2.1995 – IX ZR 207/94, NJW 1995,<br />

1431). Denn dabei ist insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags<br />

maßgebend (BGH aaO).<br />

a) Das Berufungsgericht hat eine Mehrzahl von Angelegenheiten<br />

bejaht. Dagegen stellt die Revision die Ansicht des Bekl zur<br />

Prüfung, dass nur eine einzige vermögensrechtliche Angelegenheit<br />

vorgelegen habe. Das Berufungsgericht hat demgegenüber zutreffend<br />

gemeint, die möglichen Rückübertragungsansprüche des Kl<br />

und seiner Miterbin seien nach den Grundstücksbelegenheiten<br />

(§ 35 Abs. 2 VermG) und dem Unternehmenssitz des Gärtnereibetriebes<br />

(§ 25 Abs. 1 VermG; § 15 Abs. 1 URüV), dem die Grundstücke<br />

Nr. 4 bis 7 zugeordnet waren, in die Zuständigkeit von vier<br />

verschiedenen Ämtern gefallen, sodass verfahrensrechtlich eine<br />

Zusammenfassung der verschiedenen Auftragsgegenstände in eine<br />

einzige Angelegenheit nicht möglich gewesen sei. Mit dieser Lage<br />

war zugleich der einheitliche Tätigkeitsrahmen gesprengt, in dem<br />

sich eine Gebührenangelegenheit bewegen muss (vgl. BGH, Urt. v.<br />

29.6.1978 – III ZR 49/77, LM BRAGebO § 6 Nr. 1; BVerwG NJW<br />

2000, 2289 a. E. f). Der vom BVerwG (aaO) entschiedene Fall, der<br />

parallele Widerspruchsverfahren gegen gleichliegende Leistungsbescheide<br />

mit identischer Widerspruchsbegründung bei derselben<br />

Behörde betraf, kann deshalb für die Vergütung des vermögensrechtlichen<br />

Mandats des Bekl nicht herangezogen werden.<br />

b) Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, welches<br />

für das vermögensrechtliche Mandat des Bekl insgesamt acht<br />

Grundstücksangelegenheiten angenommen hat, begegnen jedoch<br />

rechtlichen Bedenken und sind insbesondere nach seinem Ausgangspunkt<br />

beim Auftragsinhalt nicht folgerichtig. War Auftragsinhalt<br />

die Durchführung der nötigen Restitutionsverfahren, so kam<br />

es bei objektiver Häufung mehrerer Restitutionsbegehren in einem<br />

Antrag oder entsprechender Verfahrensverbindung, die nach § 31<br />

Abs. 7 VermG, § 10 VwVfG zulässig war (vgl. Kopp/Ramsauer,<br />

VwVfG, 8. Aufl., § 9 Rn 46; s. ferner § 93 S. 2 VwGO), auf die<br />

Zahl dieser Verfahren an, von denen vier im Berufungsurteil genannt<br />

sind.<br />

Einem Rechtsanwalt ist es zumindest nicht gestattet, anstehende<br />

Verfahren des Auftraggebers nur im eigenen Gebühreninteresse zu<br />

vereinzeln, statt sie in ihrer objektiven Zusammengehörigkeit gebührenrechtlich<br />

als eine Angelegenheit zu behandeln, bei der die<br />

einzelnen Gegenstandswerte nach § 7 Abs. 2 BRAGO zusammenzurechnen<br />

sind. Wenn die einseitige Trennung der Verfahren durch<br />

den Rechtsanwalt überhaupt rechtlich möglich ist und entsprechende<br />

Gebühren auslösen kann, dann ist die ohne hinreichende<br />

Gründe vollzogene Trennung jedenfalls pflichtwidrig und der<br />

Rechtsanwalt kann die Mehrgebühren nicht fordern, weil er sie als<br />

Schadensersatz dem Auftraggeber sogleich wieder zu erstatten<br />

hätte. Verfahrensgründe oder wirtschaftliche Zweckmäßigkeitserwägungen,<br />

die aus anwaltlicher Sicht gegen das Gebühreninteresse<br />

des Auftraggebers eine getrennte Einleitung und Durchführung<br />

der Verwaltungsverfahren ratsam erscheinen ließen, hat der<br />

Kl bisher nicht ausreichend dargelegt. Seine Mitteilung an den<br />

Bekl vom 11.7.1991 (Anlage K 3, S. 1), die insoweit auf das sachlich<br />

und rechtlich unterschiedliche Schicksal der Vermögenswerte<br />

abstellte, genügt dafür angesichts der Verfahrensverbindung durch<br />

die zuständigen Verwaltungsbehörden bei Bescheidung der Rückgabeanträge<br />

allein noch nicht. Verbundene Restitutionsanmeldungen<br />

bei der selben Behörde waren üblich und sachgerecht; denn zur<br />

Vermeidung von Doppelermittlungen und anderer Mehrarbeit haben<br />

spätestens die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen sonst<br />

die getrennten Anmeldungen in der Regel – wie auch hier – verbunden.<br />

Sie haben ferner – wo möglich – unproblematische Teilanmeldungen<br />

vorab beschieden, um unnötige Hemmnisse des Grundstücksverkehrs<br />

zu vermeiden. Das unterschiedliche Schicksal der in<br />

einer Sammelanmeldung enthaltenen Vermögenswerte konnte sich<br />

erst nach dem Bescheid des Amtes zur Regelung offener Ver-<br />

AnwBl 4/2004<br />

Rechtsprechung<br />

mögensfragen auswirken, soweit die Restitution versagt und in diesen<br />

streitigen Fällen Widerspruch erhoben wurde. Auch solche<br />

Widerspruchs- und spätere Klageverfahren wurden aber zweckmäßigerweise<br />

vielfach gehäuft geführt. Der Kl wird zu einer Ergänzung<br />

seines Vorbringens dazu im zweiten Berufungsdurchgang<br />

Gelegenheit haben.<br />

Gründe der Trennung hätte er zudem unter Darlegung der Kostenfolgen<br />

mit dem Bekl erörtern müssen, wenn sie nicht so zwingend<br />

waren, dass zu einer getrennten Verfahrensführung auch aus<br />

der Sicht des Auftraggebers eine vernünftige Alternative nicht bestehen<br />

konnte (vgl. OLG Hamburg AnwBl 2003, 114, 115 m. krit.<br />

Besprechung Bischof, aaO, 100, 102).<br />

Das Berufungsgericht hat danach im Hinblick auf den bisherigen<br />

Sachvortrag zu Recht die Restitutionsanmeldungen zu den vier<br />

Flurstücken des Anwesens zu 1) als eine Angelegenheit angesehen,<br />

obwohl es um zwei verschiedene Teilenteignungen geschmälert<br />

worden war. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Anmeldungen<br />

des Kl betreffend das Anwesen zu 3)<br />

gebührenrechtlich als eine Angelegenheit gewertet. Hier gelten die<br />

gleichen Grundsätze wie für das Anwesen zu 1). Entgegen der Ansicht<br />

des Berufungsgerichts hätte in dieses Verfahren aber von Seiten<br />

des Kl auch noch die Anmeldung des Anwesens zu 2) einbezogen<br />

werden müssen, sofern es einer solchen Anmeldung überhaupt<br />

noch bedurfte, weil dieses Grundstück nicht enteignet worden war,<br />

was durch das Schreiben der Behörde vom März 1991 (Anlage<br />

B 8) bereits feststand. Zur Prüfung dieser Anmeldung war dieselbe<br />

Behörde wie bei dem Anwesen zu 3) zuständig, der Magistrat B.-<br />

M./Amt zur Regelung offener Vermögensfragen.<br />

Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine weitere entsprechende<br />

Zusammenfassung in insgesamt nur vier gebührenrechtliche<br />

Angelegenheiten abgelehnt, weil es insoweit dem Argument<br />

des Kl gefolgt ist, dass jeder einzelne Vermögenswert ein unterschiedliches<br />

Verfahren hätte auslösen können und jeweils getrennt<br />

der Rechtsweg hätte beschritten werden müssen. Das trifft – wie<br />

ausgeführt – in dieser Allgemeinheit nicht zu.<br />

2. Gegenstandswerte<br />

Das Berufungsgericht hat für sämtliche Vermögenswerte als<br />

Gegenstandswert den vollen Verkehrswert in Ansatz gebracht. Das<br />

ist nach dem Restitutionsziel des Auftraggebers grundsätzlich nicht<br />

zu beanstanden (BVerwG VIZ 1995, 35 = Anlage zum Schriftsatz<br />

des Kl vom 25.4.1995, GA 191/199; siehe außerdem Nr. 47.1.1.<br />

und 47.1.2. des Streitwertkatalogs der Verwaltungsrichter vom Januar<br />

1996, abgedruckt z. B. bei Eyermann, VwGO, 11. Aufl., Anhang<br />

1). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht beachtet, dass der<br />

Kl in den Verfahren, die sich auf den Nachlass Otto S. bezogen<br />

(Grundbesitz zu 1 bis 3 und 8), die Rückgabeansprüche des Bekl<br />

lediglich in dessen Eigenschaft als hälftiger Miterbe mit seiner<br />

Schwester für den ungeteilten Nachlass gem. §§ 2 a VermG, 2039<br />

S. 1 BGB geltend gemacht hat, anders als ausdrücklich in den Fällen<br />

des Nachlasses Elise S. Beim Restitutionsantrag eines Miterben<br />

ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (Buchholz 360 § 13 GKG<br />

Nr. 105), welcher der Senat beitritt, der Streitwert nach dem jeweiligen<br />

Erbanteil zu bemessen, der Verkehrswert der Vermögenswerte<br />

mithin entsprechend zu teilen. Das überträgt sich nach § 8 Abs. 1<br />

S. 2 BRAGO auf den hier maßgebenden Gegenstandswert der Anwaltsgebühren;<br />

denn schon das Antragsverfahren ist eine notwendige<br />

Vorstufe für den später in Betracht kommenden Restitutionsprozess.<br />

Für die Restitutionsangelegenheiten des Nachlasses Otto S. kann<br />

der Kl Gebühren nach dem vollen Verkehrswert der Grundstücke<br />

schon deshalb nicht fordern, weil er insoweit für den Bekl nicht in<br />

dessen Eigenschaft als Testamentsvollstrecker aufgetreten ist. Für<br />

die Restitutionsangelegenheit des Nachlasses Elise S., in welcher<br />

der Kl den Bekl in dessen Eigenschaft als Testamentsvollstrecker<br />

vertreten hat, wird das Berufungsgericht nach der Zurückverweisung<br />

gegebenenfalls prüfen müssen, ob der Kl von der Partei kraft<br />

Amtes beauftragt worden war. Für einen solchen Testamentsvollstreckerauftrag<br />

trägt der Kl die Darlegungs- und Beweislast. Soweit<br />

der Kl für den Bekl auftragsgemäß in dessen Eigenschaft als Testamentsvollstrecker<br />

aufgetreten ist, bewendet es bei dem vollen Verkehrswert<br />

der zur Rückübertragung angemeldeten Liegenschaften<br />

als Gegenstandswert. War er auftragsüberschreitend tätig, ist auch<br />

hier von dem halben Verkehrswert als Gegenstandswert auszugehen.


AnwBl 4/2004 253<br />

Rechtsprechung MN<br />

Dem Kl könnte nicht entgegengehalten werden, dass er auch<br />

für den Nachlass Elise S. schon aus vermögensrechtlichen Gründen<br />

nicht für den Bekl als Testamentsvollstrecker zu einer höheren<br />

Gebühr habe vorgehen dürfen. Die rechtzeitige Anmeldung vermögensrechtlicher<br />

Ansprüche durch den Testamentsvollstrecker wirkt<br />

zu Gunsten der Erben auch dann, wenn der Erbfall bereits vor dem<br />

In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes eingetreten war und der<br />

vermögensrechtliche Anspruch deshalb unmittelbar in der Person<br />

des Rechtsnachfolgers des verstorbenen Geschädigten entstanden<br />

ist (BVerwG VIZ 2003, 473). Das gilt ebenfalls, wenn eine Erbengemeinschaft<br />

– wie hier – als solche durch restitutionspflichtige<br />

Maßnahmen geschädigt worden ist (vgl. zu diesem Fall auch § 2 a<br />

Abs. 4 VermG, eingefügt mit Wirkung vom 25.12.1993 durch das<br />

Registerverfahrenbeschleunigungsgesetz).<br />

3. Gebührentatbestand und Rahmensatz des Vergütungsanspruchs<br />

Die Vorinstanzan haben dem Kl zu Gunsten seiner damaligen<br />

Sozietät im Anschluss an das Gutachten des Vorstandes der<br />

Rechtsanwaltskammer M. vom 18.11.1998 in allen Angelegenheiten<br />

der offenen Vermögensfragen eine 10/10-Geschäftsgebühr<br />

gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und – soweit entstanden – eine<br />

7,5/10-Besprechungsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO zugebilligt.<br />

Auch das hält rechtlicher Prüfung nicht uneingeschränkt<br />

stand.<br />

Das Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer in<br />

den Fällen des § 12 Abs. 2 BRAGO (ebenso bei § 3 Abs. 3 S. 2<br />

BRAGO) ist ein Rechtsgutachten, welches die Kontrolle des anwaltlichen<br />

Billigkeitsermessens durch das Prozessgericht (§ 315<br />

Abs. 3 S. 2 BGB, s. außerdem BGH, Urt. v. 23.2.1995 – IX ZR<br />

29/94, NJW 1995, 1425, 1428) unterstützen soll. Es unterliegt der<br />

freien richterlichen Würdigung. Das Revisionsgericht kann allerdings<br />

das Beurteilungsermessen des Tatrichters nicht vollen Umfangs<br />

nachprüfen (vgl. Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2001,<br />

§ 315 Rn 240 m. w. N.). Rechtlich nachprüfbar ist aber der Begriff<br />

der Billigkeit i. S. d. § 315 BGB und § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO (vgl.<br />

BGH, Urt. v. 21.3.1961 – I ZR 133/59, NJW 1961, 1251, 1252).<br />

Nachprüfbar kann ferner sein, ob der Tatrichter die sachlichen<br />

und persönlichen Verhältnisse des Auftraggebers, nach denen sich<br />

die Bedeutung der Angelegenheit erschließt, sowie seine Vermögens-<br />

und Einkommensverhältnisse hinlänglich aufgeklärt hat. Das<br />

Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer M. hat seiner<br />

Beurteilung eine überragende Bedeutung der vermögensrechtlichen<br />

Angelegenheiten für den Bekl und überdurchschnittliche Einkommens-<br />

und Vermögensverhältnisse zu Grunde gelegt. Das greift die<br />

Revision nicht an. Allerdings ist offensichtlich, dass sich die Bedeutung<br />

der Tätigkeit des Kl in der Anfangsphase seiner Auftragsdurchführung<br />

dort minderte, wo der Bekl die notwendigen Anmeldungen<br />

der Rückübertragungsansprüche bereits selbst oder durch<br />

einen anderen Bevollmächtigten vorgenommen hatte.<br />

Revisionsrechtlich nachprüfbar ist die Ausübung des Billigkeitsermessens<br />

endlich zu der Frage, ob bei der Beurteilung von<br />

Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zutreffende<br />

Maßstäbe, auch für eine Differenzierung des anwaltlichen Leistungsbildes<br />

innerhalb derselben abstrakten Gebührenangelegenheit,<br />

angewendet worden sind. Insoweit beanstandet die Revision, wenn<br />

auch unter dem nicht einschlägigen Gesichtspunkt des Streitwerts,<br />

dass die einzelnen Auftragsgegenstände zum Teil unterschiedlich<br />

gewichtet werden mussten.<br />

Aus Rechtsgründen muss zunächst unterschieden werden, was<br />

dem Kl als Vergütung zusteht und was er von dem Bekl allenfalls<br />

als Schadensersatz (§ 628 Abs. 2 BGB) verlangen kann. Diese Unterscheidung<br />

haben beide Vorinstanzen versäumt; sie findet auch in<br />

dem Gutachten dar Rechtsanwaltskammer M. keinen Niederschlag,<br />

welches ersichtlich die volle Auftragsdurchführung zu Grunde legt.<br />

Nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Kl aber nur den Teil der<br />

Vergütung fordern, der seinen bis zur Kündigung erbrachten Leistungen<br />

entspricht.<br />

Der Inhalt des erteilten Auftrages zergliederte sich in vier Stufen.<br />

Stufe 1: Der Kl sollte vorsorglich zur Anspruchssicherung für<br />

den gesamten Grundbesitz der Erbengemeinschaften des Bekl und<br />

seiner Schwester Restitutionsansprüche anmelden, auch dort, wo<br />

der Grunderwerb durch den Erblasser oder eine spätere Enteignung<br />

als Restitutionsvoraussetzung nicht sicher waren (Anmeldung).<br />

Stufe 2: Der Kl sollte die Grundbuchlage und sonstige Urkunden<br />

daraufhin prüfen, ob Eigentum der Rechtsvorgänger an dem<br />

zur Rückübertragung angemeldeten Grundbesitz entstanden und<br />

ein Vermögenswert entzogen worden war (Rechtszustandsprüfung).<br />

Stufe 3: Der Kl sollte die angemeldeten Restitutionsansprüche<br />

bei den jeweils zuständigen Behörden betreiben (Verfahrensförderung).<br />

Stufe 4: Der Kl sollte die ergangenen Bescheide prüfen und gegebenenfalls<br />

Widerspruchsverfahren einleiten (streitige Rechtsdurchsetzung).<br />

Das Verwaltungsverfahren, in dem das zuständige Amt zur Regelung<br />

offener Vermögensfragen über den Restitutionsantrag entscheidet,<br />

bildet mit einem Widerspruchsverfahren gem. § 36<br />

VermG nach § 119 Abs. 1 BRAGO eine gebührenrechtliche Angelegenheit.<br />

Eine bereits vorher entstandene Geschäftsgebühr ist<br />

nach § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO auf die Gebühr für das behördliche<br />

Verfahren anzurechnen. Das gilt nach § 20 Abs. 1 S. 4 BRAGO<br />

auch für eine bereits zuvor verdiente Gebühr für einen Rat oder<br />

eine Auskunft. Dagegen sind die behördlichen Verfahren gegenüber<br />

dem anschließenden Verwaltungsstreitverfahren, für welches<br />

nach § 114 Abs. 1 BRAGO die Vorschriften des dritten Abschnitts<br />

sinngemäß gelten, gebührenrechtlich eine gesonderte Angelegenheit.<br />

Vorbereitungen des Rechtsanwalts, die nicht erst der späteren<br />

Klage vor dem Verwaltungsgericht, sondern schon dem behördlichen<br />

Restitutionsverfahren dienen, gehören entsprechend § 37<br />

Nr. 1 BRAGO zu dieser behördlichen Instanz, wenn sie nicht in einem<br />

besonderen (weiteren) gerichtlichen oder behördlichen Verfahren<br />

stattfinden (vgl. auch BGH, Urt. v. 4.5.1972 – III ZR 27/70,<br />

LM BRAGebO § 7 Nr. 1 Bl. 2).<br />

Wenn nicht schon bei der Rechtszustandsprüfung des Kl (oben<br />

Stufe 2) einzelne Grundstücke ausfielen, weil ein Vermögenswert<br />

nicht erworben oder nicht entzogen worden war, so musste sich<br />

das Tätigkeitsbild des Kl in den vier Gebührenangelegenheiten bei<br />

voller Auftragsdurchführung mit der Prüfung der ergangenen Bescheide<br />

und möglicher streitiger Rechtsdurchsetzung (oben Stufe 4)<br />

differenzieren, je nachdem, ob eine Rückübertragung erfolgte, ob<br />

nach den Feststellungen der Behörde gar kein Eigentum entzogen<br />

worden war, ob nach Ansicht der Behörde keine restitutionsfähigen<br />

Vermögenswerte vorlagen (so nach dem Bescheid des Landratsamts<br />

L. vom 7.7.1992 zu den Parzellen zu 8) oder ob die Rückgabe<br />

wegen nicht diskriminierender Enteignung (vgl. § 1 Abs. 1<br />

Buchst. a und b VermG) abgelehnt wurde. Die beiden erstgenannten<br />

Fallgruppen (keine Entziehung; angeordnete Restitution) verlangten<br />

von dem Kl bei Fortführung des Mandats keinerlei vermögensrechtliche<br />

Prüfung. Eine solche Prüfung war für die bloße<br />

Anmeldung von Rückübertragungsansprüchen, auf welche sich die<br />

Tätigkeit des Kl neben den Besprechungen nach dem tatsächlichen<br />

Verlauf des Mandats beschränkte, ohnehin nicht erforderlich. In<br />

diesen Fällen ist, wenn nicht andere Auftragsgegenstände innerhalb<br />

derselben Angelegenheit zu einer Erhöhung des Gebührensatzes<br />

führten, nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich nur die Mindestgebühr<br />

entstanden. Sie könnte mit Rücksicht auf die Bedeutung<br />

der Angelegenheit und die persönlichen Verhältnisse des Bekl nur<br />

insoweit maßvoll erhöht werden, als der Bekl selbst noch keine<br />

Anmeldung vorgenommen hatte, diese aber zur einstweiligen<br />

Rechtssicherung und zur Rechtserhaltung notwendig war.<br />

4. Einwendung des Interessewegfalls, angemessener Vorschuss.<br />

Das Berufungsgericht ist dem Einwand des Bekl nicht gefolgt,<br />

dem Kl und seinen Sozien stünde wegen der grundlosen Kündigung<br />

nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB keinerlei Vergütung zu. Es ist<br />

weiter davon ausgegangen, dass die mit Schreiben vom 23.8.1991<br />

(Anlage K 28, S. 13) bedingt auf 40.000 DM ermäßigte Vorschussanforderung<br />

deutlich unter dem Gesamthonoraranspruch des Kl<br />

lag. Das beruht möglicherweise auf den oben unter 1. und 2. genannten<br />

Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang<br />

ferner nicht gewürdigt, dass für die anstehenden auswärtigen<br />

Besprechungen in dem genannten Schreiben weiter die<br />

Zustimmung zu einer nachträglichen Honorarvereinbarung über einen<br />

Stundensatz von 450 DM in Abweichung von § 28 BRAGO<br />

verlangt wurde, ohne dass der Kl und seine Sozietät hierauf Anspruch<br />

hatten.<br />

Nach dem revisionsrechtlich zu Grunde zu legenden Vortrag<br />

des Bekl (Anlage B11, S. 4 = Anlage B 2, S. 8) hat er dem Kl für<br />

die vermögensrechtlichen Mandate einen Vorschuss von


254<br />

MN<br />

30.000 DM angeboten. Der Kl hat die Nichterfüllung seiner Mehrforderung<br />

zum Anlass der Mandatskündigung genommen. Das<br />

weitere Schicksal des Rechtsstreits hängt davon ab, ob der Bekl<br />

sich – wie er meint – zu Recht einer überhöhten Vorschussanforderung<br />

des Kl oder ob er sich vertragswidrig einer angemessenen<br />

Vorschussanforderung widersetzt hat.<br />

Der Rechtsanwalt kann von seinem Auftraggeber für die entstandenen<br />

und die voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen<br />

nach § 17 BRAGO einen angemessenen Vorschus fordern. Der Vorschussanspruch<br />

dient der Sicherung des späteren Vergütungsanspruchs<br />

des vorleistungspflichtigen Rechtsanwalts (BGH, Urt. v.<br />

29.9.198B–1 StR 332/88, AnwBl 1989, 227, 228). Bei Rahmengebühren,<br />

wie sie hier nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO in Rede<br />

stehen, unterliegt auch die Vorschussanforderung des Rechtsanwalts<br />

billigem Ermessen gem. § 12 BRAGO. Unbillig ist es, die Rahmengebühren<br />

bereits in voller Höhe von 10/10 als Vorschuss anzufordern,<br />

wenn sich noch nicht übersehen lässt, ob die erforderliche Tätigkeit<br />

des Rechtsanwalts die Höchstgebühr rechtfertigt. Ist es mindestens<br />

ebenso gut möglich, dass für Rahmengebühren nach dem tatsächlichen<br />

Aufwand der Mandateerfüllung am Ende nur die Mittelgebühr<br />

oder die Mindestgebühr verdient ist, so darf auch nur der jeweils vorhersehbare<br />

Gebührensatz in die Vorschussbemessung einbezogen<br />

werden. Wenn nötig, kann später nach Klärung der Umstände ein<br />

weiterer Vorschuss angefordert werden.<br />

Für die hier zu bevorschussenden vermögensrechtlichen Mandate<br />

des Kl war es offen, ob die Anmeldungen ablehnend beschieden<br />

werden würden und damit die Notwendigkeit einer entsprechend<br />

sorgfältigen Prüfung der Bescheide und der Durchführung<br />

von Widerspruchsverfahren in Betracht kam. Die hierfür erforderliche<br />

Tätigkeit des Kl hätte den Aufwand für die bloßen Anmeldungen<br />

der Grundstücksrestitutionen nach allgemeinen Erfahrungen<br />

möglicherweise überstiegen. Der Kl wird deshalb im Einzelnen begründen<br />

müssen, auf Grund welcher Umstände es im Rahmen der<br />

Billigkeit gelegen haben soll, bei der ersten Vorschussanforderung<br />

für die Geschäftsgebühr und die Besprechungsgebühr mehr als den<br />

Mindestsatz zu Grunde zu legen. Diese Umstände müsste der Bekl<br />

zudem gekannt haben, wenn ihm die Nichtentrichtung eines deswegen<br />

erhöhten Vorschusses als vertragswidriges Verhalten vorgeworfen<br />

werden soll.<br />

Der Kl durfte andererseits bei seiner Vorschussanforderung für<br />

die Bemessung der Gegenstandswerte den Verkehrswert der<br />

Grundstücke, auf die sich die vermögensrechtlichen Mandate bezogen,<br />

nach seinen damaligen Erkenntnismöglichkeiten schätzen.<br />

Sachverständiger Hilfe brauchte er sich dabei nicht zu bedienen. In<br />

die Schätzung der Verkehrswerte für die Vorschussanforderung waren<br />

danach die Angaben des Bekl mit etwaigen Berichtigungen,<br />

allgemeine Erfahrungen und eine vom Kl mit der Mandatswahrnehmung<br />

gewonnene Kenntnis der einzelnen Objekte einzubeziehen.<br />

Für die Bemessung des Vorschusses nicht maßgebend, weil<br />

dem damaligen Erkenntnisstand nachgehend, sind die Feststellungen,<br />

die das LG auf Grund der eingeholten Sachverständigengutachten<br />

zu den Grundstückswerten des Jahres 1991 getroffen hat.<br />

Das Berufungsgericht wird sich danach, wenn es für die Entscheidung<br />

darauf ankommt, mit den Wertansätzen des Kl für die Vorschussanforderung<br />

unter Berücksichtigung des vertretbaren Schätzungsspielraums<br />

erneut auseinander zu setzen haben.<br />

Sollte die Vorschussanforderung des Kl sich nach den Feststellungen<br />

in der wieder eröffneten Berufungsinstanz als überhöht erweisen,<br />

wendet der Bekl möglicherweise mit Recht ein, deshalb<br />

der Sozietät des Kl nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Interessewegfalls<br />

an der Leistung des Kl nichts zu schulden (vgl. BGH,<br />

Urt. v. 8.10.1981 – III ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438; v. 7.6.1984<br />

– III ZR 37/83, NJW 1985, 41 unter II. 1.; v. 30.3.1995 – IX ZR<br />

182/94, WM 1995, 1288, 1289 unter II. d). Denn er hat nach seinem<br />

Vortrag andere Rechtsanwälte mit der Weiterverfolgung der<br />

vermögensrechtlichen Angelegenheiten beauftragt und auch deren<br />

Leistung vergütet. Die dazu erforderlichen Feststellungen wird das<br />

Berufungsgericht nach ergänzendem Vortrag der Parteien wenn<br />

nötig gleichfalls nachzuholen haben.<br />

Neben der Beauftragung anderer Rechtsanwälte und der hierfür<br />

von dem Bekl erneut aufgewendeten Gebühren kann insoweit von<br />

Belang sein, inwieweit durch Rückübertragungsanmeldungen des<br />

Kl, die nach § 30 a VermG zwar noch bis zum 31.12.1992 nachgeholt<br />

werden konnten, erstmals die in § 3 Abs. 3 VermG, dem da-<br />

maligen § 6 der Anmeldeverordnung und den §§ 1, 2 GVVO in der<br />

Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1991 (BGBl I S. 1000) vorgesehenen<br />

Sicherungen ausgelöst worden sind. Denn das zeitliche<br />

Interesse des Bekl an einem solchen – früheren – noch nicht anderweitig<br />

bewirkten Schutz seiner Rückübertragungsansprüche konnte<br />

nicht nachträglich entfallen.<br />

5. Schadensersatzanspruch<br />

Sollte die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten des<br />

Bekl veranlasst gewesen sein, weil dieser sich einer – nach den<br />

weiteren Feststellungen – erkennbar angemessenen Vorschussanforderung<br />

widersetzt hat, steht der aufgelösten Sozietät des Kl als<br />

Schadensersatz gem. § 628 Abs. 2 BGB auch der Teil der Gebühren<br />

zu, der zu ihren Gunsten bei voller Auftragsdurchführung noch angefallen<br />

wäre. Im Streitfall kann dieser Anfall anhand der tatsächlichen<br />

Entwicklung der Angelegenheiten nachvollzogen werden,<br />

die der Bekl nach Kündigung des Kl anderweitig weiterverfolgt<br />

hat. Von dem dabei in Betracht kommenden Zuwachs der Rahmengebühren<br />

sind jedoch die infolge der Kündigung ersparten anwaltlichen<br />

Aufwendungen in Abzug zu bringen (vgl. Staudinger/Preis,<br />

BGB, 13. Bearb. Stand 2002, § 628 Rn 55 zum Stichwort Vorteilsausgleichung).<br />

III. Die Anschlussberufung des Kl ist insgesamt zurückzuweisen.<br />

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Bekl dem Kl<br />

auch für die Erbauseinandersetzungen mit seiner Schwester einen<br />

Auftrag erteilt hatte. Die Auseinandersetzung der Nachlässe Otto<br />

S. und Elise S. kann rechtsfehlerfrei als eine Gebührenangelegenheit<br />

gewertet werden. Damit stand der Sozietät des Kl die geforderte<br />

5/10-Geschäftsgebühr nach den zusammengerechneten<br />

Erbteilsstreitwerten des Bekl nebst Auslagenpauschale und Erstattung<br />

der Umsatzsteuer zu (zur Frage der möglichen Anspruchsverjährung<br />

siehe auch insoweit oben unter I.). Das nimmt die Revision<br />

des Bekl hin. Sie wendet sich aber mit Recht dagegen, dass das<br />

Berufungsgericht der Anschlussberufung des Kl insoweit stattgegeben<br />

hat, als dem Kl eine 5/10-Besprechungsgebühr für das Erbauseinandersetzungsmandat<br />

zuerkannt worden ist, weil Rechtsanwalt<br />

Kr. am 29.5.1991 in der Sache mit Rechtsanwalt Dr. H. telefoniert<br />

habe [wird ausgeführt] ...<br />

Anmerkung: Die Entscheidung des BGH bleibt auch für die<br />

Zeit nach dem zu erwartenden In-Kraft-Treten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />

(RVG) insoweit relevant, als der Begriff der<br />

„Angelegenheit“ im RVG bei den §§ 15 ff. in gleicher Weise zu<br />

verstehen ist wie heute in der BRAGO. Zur Einteilung in Angelegenheiten<br />

durch das RVG vgl. N. Schneider, Kostenrechtsmodernisierungsgesetz<br />

– Das neue Rechtanwaltsvergütungsgesetz, AnwBl<br />

2004 (Heft März), 130; sowie: N. Schneider/Mock, Das neue RVG,<br />

AGS-Sonderheft 2004: RVG-Spezial, S. 7 ff. (Henke)<br />

Berufsrecht<br />

AnwBl 4/2004<br />

Rechtsprechung<br />

BRAO § 28<br />

Ein Rechtsanwalt unterhält in der Regel keinen auswärtigen<br />

Sprechtag, wenn er außerhalb seines Kanzleiorts in den Geschäftsräumen<br />

einer befreundeten Sozietät Mandanten berät,<br />

die von dieser für ihn vermittelt worden sind.<br />

(Leitsatz der Redaktion)<br />

OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.9.2003 – I-20 U 49/03<br />

Sachverhalt: Das LG hat den AGg im Wege der einstweiligen<br />

Verfügung untersagt, anwaltliche Dienstleistungen auf dem Gebiet<br />

des Familien- und Straßenverkehrsrechtes im Rahmen von auswärtigen<br />

Sprechtagen in den Geschäftsräumen der Sozietät der Streithelfer<br />

der AGg anzubieten bzw. anbieten zu lassen und abzuhalten.<br />

Den weitergehenden Antrag des ASt. auf Untersagung des Angebotes<br />

jeglicher Art von anwaltlicher Dienstleistung im Rahmen<br />

von auswärtigen Sprechtagen hat das LG zurückgewiesen.<br />

Aus den Gründen: II. 1. Die Berufung der AGg und Streithelfer<br />

ist als einheitliches Rechtsmittel (vgl. BGH NJW 1993, 2944,<br />

2945) zulässig. [wird ausgeführt]


AnwBl 4/2004 255<br />

Rechtsprechung MN<br />

2. Die Berufung ist begründet.<br />

Dem in zweiter Instanz modifizierten Untersagungsbegehren<br />

des ASt kann nicht stattgegeben werden, weil das von ihm gerügte<br />

Verhalten der AGg kein Abhalten auswärtiger Sprechtage i. S. v.<br />

§ 28 BRAO darstellt und unter diesem Gesichtspunkt nicht gegen<br />

die guten Sitten im Wettbewerb verstößt.<br />

Prüfungsgegenstand des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens<br />

ist allein ein etwaiger Verstoß der AGg gegen das<br />

in § 28 BRAO normierte Verbot des Abhaltens auswärtiger Sprechtage<br />

durch einen Rechtsanwalt. Dies ergibt der in erster und zweiter<br />

Instanz formulierte Unterlassungsantrag des ASt, für den er<br />

ausschließlich die Vorschrift des § 1 UWG i. V. m. § 28 BRAO heranzieht.<br />

Weiterführender bloßer Sachvortrag dehnt den Prüfungsgegenstand<br />

nicht aus.<br />

Im Rahmen des im gewerblichen Rechtsschutz vom 1. Zivilsenat<br />

des BGH vertretenen engen Streitgegenstandbegriffs (BGH<br />

GRUR 2001, 755 – Telefonkarte –; BGH GRUR 2001, 181 – dental<br />

ästhetika –; BGH GRUR 1999, 272 – Die Luxusklasse zum<br />

Nulltarif –; BGH NJW 2003, 2317) obliegt es dem Unterlassungskläger<br />

klarzustellen, was Gegenstand seines prozessualen Begehrens<br />

sein soll und auf welche Verbotsnorm oder Verbotsnormen er<br />

seinen Antrag (ggf. kumulativ oder alternativ) stützen will (vgl. Teplitzky,<br />

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl.,<br />

Kap. 46 Rdnr. 5). Dies hat der ASt durch die Formulierung seines<br />

Antrags und dessen Begründung in der Weise getan, dass er nur<br />

auf das Sprechtagsverbot abgestellt hat und nicht etwa § 3 UWG<br />

und den Gesichtspunkt der Irreführung durch die praktizierte Anbahnung<br />

der Mandantengespräche ins Feld geführt hat. Demgemäß<br />

erstrebt der ASt keine Überprüfung des beanstandeten Verhaltens<br />

im Hinblick auf eine mögliche Irreführung, auch wenn dieser<br />

Aspekt hier nach dem geschilderten Sachverhalt durchaus nahe gelegen<br />

hätte. Der neue Streitgegenstand hätte im Berufungsverfahren<br />

im Übrigen auch nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg in das Verfahren<br />

eingeführt werden können, weil es jedenfalls insofern<br />

offensichtlich an der Dringlichkeit fehlt.<br />

Die nunmehr in der mündlichen Verhandlung v. 2.9.2003 konkretisierten<br />

Verletzungsformen, dass durch eine Nachfrage von<br />

Rechtssuchenden nach einer anwaltlichen Vertretung in der Sozietät<br />

der Streithelfer eine Besprechung für die AGg in den Räumen<br />

dieser Sozietät in K vereinbart und durchgeführt wird (a), sowie<br />

auf Grund des Angebots in der Broschüre der Streithelfer zu 2. bis<br />

4. Besprechungen der AGg mit Rechtssuchenden in den Räumen<br />

der Sozietät der Streithelfer zu 2. bis 4. vereinbart und durchgeführt<br />

werden (b), erfüllen die Merkmale eines auswärtigen<br />

Sprechtages i. S. v. § 28 BRAO nicht.<br />

In der Kommentarliteratur zur Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

werden „Sprechtage“ von Hensler/Prütting (§ 28 BRAO Rdnr. 7)<br />

als bestimmte Tage, an denen der Rechtsanwalt außerhalb der<br />

Kanzlei Rechtsrat erteilt, definiert, wobei gefordert wird, dass die<br />

Tätigkeit ein gewisses Gewicht und eine gewisse Regelmäßigkeit<br />

habe. Feurich/Braun (5. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 4) spricht von einer<br />

von der Kanzlei räumlich getrennten Einrichtung, die nur zu<br />

bestimmten Zeiten geöffnet ist. In der Kommentarliteratur zur<br />

1. AVO zu § 1 RBerG finden sich ebenfalls Definitionen des auswärtigen<br />

Sprechtages. Nach Rennen/Caliebe (3. Aufl., § 1 RBerG<br />

1. AVO Rdnr. 21) liegt ein solcher vor, wenn sich der Rechtsberater<br />

zu bestimmten festgelegten Zelten oder jeweils bekannt gegebenen<br />

Zeiten an einem bestimmten Ort außerhalb der Kanzlei aufhält, um<br />

dort Mandanten zu beraten oder neue Mandate entgegenzunehmen.<br />

Bei Chemnitz/Jahnigk (11. Aufl., § 1 RBerG 1. AVO Rdnr. 900) findet<br />

sich eine nahezu gleich lautende Definition.<br />

Dass das wesentliche Merkmal für einen auswärtigen Sprechtag<br />

i. S. v. § 28 BRAO nach den vorgenannten Definitionen darin liegt,<br />

dass er vorher vom Rechtsanwalt festgelegt und bestimmt und<br />

möglicherweise zusätzlich noch so beworben wird, ist vor dem<br />

Hintergrund zu sehen, welchem Zweck die Vorschrift des § 28<br />

BRAO (heute noch) dienen soll. Der Gesetzeszweck des § 28<br />

BRAO besteht darin, dass der Rechtsanwalt grundsätzlich seine Berufstätigkeit<br />

nur von einer Stelle aus betreiben soll, die den Mittelpunkt<br />

seiner Tätigkeit bildet (BGH NJW 1993, 196–199, 1998,<br />

2533). Der Rechtsanwalt soll nur ein Kommunikationszentrum haben<br />

(Feurich/Braun, 5. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 4) und sich nicht<br />

mehreren Kanzleiorganisationen widmen (Schumann, NJW 1990,<br />

2089, 2094). Dahingegen passt der teilweise als Gesetzeszweck er-<br />

wähnte Umstand, dass § 28 BRAO gewährleisten solle, den zugelassenen<br />

Anwalt in der Regel an seinem Kanzleisitz erreichen zu<br />

können (so LG Bonn NJW-RR 2001, 916; OLG Karlsruhe NJW<br />

1992, 1114), nicht mehr in das heutige Berufsbild eines Rechtsanwaltes,<br />

das sich von der Vorstellung, dass der Anwalt ständig in<br />

seiner Kanzlei residieren würde und nur dort erreicht werden<br />

könne, entfernt hat. Insofern stellt Schumann (NJW 1990, 289,<br />

292, 293; vgl. auch in anderem Zusammenhang BGH NJW 2003,<br />

1527) zu Recht darauf ab, dass das Kanzleigebot nicht dahin missverstanden<br />

werden darf, dass es als Pflicht des Rechtsanwaltes aufgefasst<br />

würde, grundsätzlich in der Kanzlei anwesend zu sein.<br />

Trotz der Verpflichtung zur Institution „Kanzlei“ sei die Person<br />

„Rechtsanwalt“ ortsungebunden. Im Gegenteil würde von ihm sogar<br />

von Seiten der Mandantschaft Beweglichkeit erwartet. Insofern<br />

versteht es sich von selbst, dass der Rechtsanwalt im Rahmen seiner<br />

in Art. 12 GG garantierten Freiheit der Berufsausübung Gespräche<br />

mit Mandanten nicht zwingend in seinen Kanzleiräumen<br />

führen muss, sondern an beliebigen Orten führen kann. In Bezug<br />

auf das gerügte Verhalten der AGg gilt es somit eine zulässige Vereinbarung<br />

von Terminen, die außerhalb der Kanzlei durchgeführt<br />

werden, und eine Einrichtung und Praktizierung auswärtiger<br />

Sprechtage voneinander abzugrenzen.<br />

Mit der im Antrag unter a) genannten Verletzungsform sind die<br />

zuvor dargestellten Merkmale eines auswärtigen Sprechtages nicht<br />

erfasst. Der Umstand, dass die AGg Besprechungen mit Mandanten<br />

in den Räumen der Kanzlei der Streithelfer zu 2. bis 4. auf<br />

Grund vorheriger Vereinbarungen zwischen dem Büro der letztgenannten<br />

und dem Mandanten abhalten, erfüllt im Rahmen des<br />

§ 28 BRAO nur das Merkmal der Auswärtigkeit, nicht jedoch das<br />

des Sprechtages. Dass sich ein Rechtsanwalt aus seinen Kanzleiräumen<br />

herausbegeben darf und woanders, auch in den Räumen<br />

von Kollegen, Besprechungen abhalten darf, versteht sich von<br />

selbst und will der ASt wohl auch nicht in Zweifel ziehen. Die<br />

Frage, durch wen solche auswärtigen Termine vereinbart werden,<br />

hat mit der Frage, ob sie sich zu einem Sprechtag verfestigt haben,<br />

nichts zu tun und betrifft eher Irreführungsgerichtspunkte, die hier<br />

jedoch nicht zu behandeln sind. Insbesondere fehlt dem viel zu<br />

weit gefassten Antrag bei der unter a) genannten Verletzungsform<br />

das Abstellen auf die Bestimmung eines oder mehrerer konkreter<br />

Tage, an denen die AGg auswärts zu sprechen wären. Der ASt verweist<br />

in seiner Berufungserwiderung (Seite 7, Bl. 326) darauf, dass<br />

die Mandantengespräche der AGg in den Räumen der Streithelfer<br />

zu 2. bis 4. nach der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin S.<br />

stets Mittwochs stattfänden. Dies wäre z. B. ein Anknüpfungspunkt,<br />

der auf einen Sprechtag hindeuten könnte. Wie sehr sich ein<br />

solcher bestimmter Tag, an dem ein Anwalt außerhalb seiner Kanzlei<br />

zu sprechen ist, institutionalisiert haben und beim angesprochenen<br />

Publikum bekannt sein muss, braucht hier jedoch nicht vertieft<br />

zu werden, da der ASt mit seinem Antrag die Untersagung jedweder<br />

Termine, gleichgültig ob sie an bestimmten Tagen stattfinden<br />

oder nicht, ausgesprochen haben will und damit gerade nicht auf<br />

die Bestimmung eines oder mehrerer konkreter Tage abstellt.<br />

Auch die unter b) konkretisierte Verletzungsform vermag für die<br />

Annahme der Durchführung auswärtiger Sprechtage nichts herzugeben,<br />

weil sie ebenfalls im Wesentlichen nur auf die Auswärtigkeit<br />

der Besprechungen abstellt. Soweit diese Besprechungen mit durch<br />

die Praxisbroschüre (der Nebeninterventienten zu 2. bis 4,) informierten<br />

Mandanten stattfinden, kann dieser Werbung nicht entnommen<br />

werden, dass dort bestimmte Tage als Möglichkeit, die AGg<br />

auswärts zu sprechen, angeboten werden. In der Broschüre heißt es,<br />

dass die AGg nach Terminvereinbarung in den Räumen der Streithelfer<br />

zu 2. bis 4. zur Verfügung ständen. Allein die Inanspruchnahme<br />

der Räumlichkeiten der Nebenintervenienten zu 2. bis 4.<br />

durch die AGg führt aber nicht zur Abhaltung von Sprechtagen.<br />

Da die vom ASt gerügten Verletzungshandlungen schon nicht<br />

den Tatbestand des § 28 BRAO erfassen, kann dahingestellt bleiben,<br />

ob diese Vorschrift mit Art. 12 GG vereinbar und verfassungsgemäß<br />

ist, was in der Literatur teilweise (vgl. Kleine/Cosack,<br />

4. Aufl., § 28 BRAO Rdnr. 9) verneint wird.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Klaus Hölzle, Kevelaer<br />

Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um ein rechtskräftiges<br />

Urteil im Verfügungsverfahren. Der ASt aus dem Verfügungsverfahren<br />

hat inzwischen Hauptsacheklage erhoben.


<strong>256</strong><br />

MN<br />

Prozessrecht<br />

ZPO §§ 139, 156<br />

a) Sind die Bedenken des Gerichts gegen die Schlüssigkeit der<br />

Klageforderung nach Anhörung des Kl in der mündlichen<br />

Verhandlung nicht ausgeräumt, muss es zur Vermeidung einer<br />

unzulässigen Überraschungsentscheidung diesen unmissverständlich<br />

hierauf hinweisen und ihm Gelegenheit zum<br />

weiteren Vortrag geben.<br />

b) Zur Verpflichtung des Gerichts zur Wiedereröffnung der<br />

mündlichen Verhandlung in einem solchen Fall.<br />

BGH, Urt. v. 5.11.2003 – VIII ZR 380/02<br />

Sachverhalt: Die Kl nimmt die Bekl, die Subunternehmerin der<br />

Firma K Bau AG & Co. war, unter anderem auf Vergütung für auf<br />

der Baustelle beim Entladen der Transportbetonfahrzeuge entstandene<br />

Wartezeiten gemäß Rechnungen vom 7.8.2000 und 11.9.2000<br />

in Höhe von 120.283,66 E (235.254,41 DM) in Anspruch: Die von<br />

der Kl übersandte Auftragsbestätigung vom 10.5.2000, der die Bekl<br />

nicht widersprochen hat, enthält unter anderem die Bestimmung:<br />

„6. Preis 150,90 DM/m 3<br />

In dem Preis ist eine Entladezeit von 7 Minuten/m 3 berücksichtigt.<br />

8.5 Verlängerte Entladezeit je Minute: 1 DM/m 3 “.<br />

Die Bekl hat ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Vergütung<br />

für angefallene Wartezeiten in Abrede gestellt und im Übrigen vorgetragen,<br />

die Berechnungsmethode der Kl sei unrichtig, da diese<br />

die Wartezeiten nicht für die gesamte angelieferte Betonmenge,<br />

sondern allenfalls für die noch jeweils im Transportfahrzeug verbliebene<br />

„wartende“ Restmenge ansetzen dürfe; zudem hat sie die<br />

berechneten Wartezeiten bestritten.<br />

Das LG hat die Klage hinsichtlich des Vergütungsanspruchs<br />

wegen verlängerter Wartezeiten abgewiesen, weil die Kl nicht bewiesen<br />

habe, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung zu<br />

Stande gekommen sei, auf deren Grundlage sie eine Vergütung der<br />

dargelegten Wartezeiten ihrer Transportfahrzeuge auf der Baustelle<br />

beanspruchen könne. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Berufung<br />

der Kl zurückgewiesen.<br />

Aus den Gründen: II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen<br />

Nachprüfung nicht stand.<br />

1. Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Parteien einen Liefervertrag<br />

entsprechend der Auftragsbestätigung der Kl vom<br />

10.5.2000 geschlossen haben, somit verlängerte Entladezeiten gem.<br />

Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung vergütungspflichtig sind. Von dem<br />

Vorliegen einer entsprechenden Vereinbarung ist daher für das Revisionsverfahren<br />

auszugehen.<br />

2. Das Berufungsgericht verneint den geltend gemachten Anspruch<br />

der Kl auf Wartezeitentschädigung – anders als das LG –<br />

vielmehr mit der Begründung, die Vertragsbestimmung der Nr. 8.5<br />

der Auftragsbestätigung sei nicht eindeutig, weil sie auch die Auslegung<br />

zulasse, dass die verlängerte – vergütungspflichtige – Entladezeit<br />

sich nur auf die noch „wartende“ Betonmenge nach Teilentladung<br />

beziehe.<br />

Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht in der<br />

Verhandlung vom 13.9.2002 seiner Hinweispflicht nicht hinreichend<br />

nachgekommen ist und zudem seine Pflicht zur Wiedereröffnung<br />

der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO) verletzt hat.<br />

a) Zwar hat das Berufungsgericht, nachdem es Nr. 8.5 der Auftragsbestätigung<br />

vom 10.5.2000 nicht als ausreichende Grundlage<br />

für den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Kl angesehen<br />

hat, die Bekl in der mündlichen Verhandlung vom 13.9.2002 zu<br />

Recht auf seine Schlüssigkeitsbedenken hingewiesen (vgl. BGH,<br />

Urt. v. 7.12.2000 – I ZR 179/98, NJW 2001, 2548 unter III 1 c bb<br />

= BGHR ZPO § 139 Hinweispflicht 7 m. w. Nachw.). Hierauf haben<br />

sowohl der Prozessbevollmächtigte wie der Geschäftsführer der Kl<br />

übereinstimmend angegeben, handelsüblicherweise werde immer<br />

auf die Gesamtmenge des angelieferten Betons abgehoben, weil<br />

alle Beteiligten wüssten, dass sich technisch die Menge des „wartenden“<br />

Betons nicht ermitteln lasse. Zur Frage der Feststellung der<br />

angefallenen Wartezeiten hat der Prozessbevollmächtigte der Kl<br />

weiterhin erklärt, die jeweiligen Wartezeiten seien in dem Durchschreibesatz<br />

einheitlich eingetragen, sodass sich die Wartezeiten<br />

auch auf den Originallieferscheinen befänden: der Prozessbevollmächtigte<br />

der Bekl hat darauf erklärt, nach seiner Information<br />

stimme das nicht, er werde dies prüfen und ergänzend vortragen.<br />

AnwBl 4/2004<br />

Rechtsprechung<br />

b) Nach diesem Ergebnis der Verhandlung vom 13.9.2002<br />

durfte die Kl davon ausgehen, dass die Bedenken des Berufungsgerichts<br />

gegen die Schlüssigkeit der Klageforderung behoben waren<br />

und nunmehr die bereits in erster Instanz angebotenen Beweise<br />

zu Inhalt und Üblichkeit der Berechnungsmethode erhoben würden.<br />

Sofern das Berufungsgericht dagegen weiterhin seine Schlüssigkeitsbedenken<br />

nicht als ausgeräumt ansah, musste es zur Vermeidung<br />

einer unzulässigen Überraschungsentscheidung die Kl unmissverständlich<br />

hierauf hinweisen und ihr Gelegenheit zum<br />

weiteren Vortrag geben (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.1989 – VI ZR<br />

216/88 = NJW 1988, 2758 unter II 2 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1<br />

Überraschungsentscheidung 1; BGH, Urt. v. 8.2.1999 – II ZR<br />

261/97, NJW 1999, 2123 unter II 1 = BGHR ZPO § 139 Abs. 1<br />

Überraschungsentscheidung 3). Dass die Kl in der mündlichen Verhandlung<br />

vom 13.9.2002 keinen Schriftsatznachlass beantragt hatte,<br />

ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon deshalb unerheblich,<br />

weil die Kl mangels eines entsprechenden Hinweises des<br />

Berufungsgerichts auf die nach seiner Ansicht weiter bestehenden<br />

Schlüssigkeitsbedenken nicht von der Notwendigkeit weiteren Vortrags<br />

ausgehen musste.<br />

c) Jedenfalls hätte das Berufungsgericht auf Antrag der Kl gemäß<br />

Schriftsatz vom 21.10.2002 die mündliche Verhandlung wieder<br />

eröffnen müssen, nachdem die bisherige Verhandlung lückenhaft<br />

war und in der Berufungsverhandlung vom 13.9.2002 bei<br />

sachgemäßem Vorgehen vom Standpunkt des Berufungsgerichts<br />

aus Anlass zu weiterer Aufklärung bestanden hätte (Senatsurteil<br />

vom 7.10.1992 – VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134 unter II 2 b =<br />

BGHR ZPO § 156 Ermessen 2; BGH, Urt. v. 26.10.1999 – IX ZR<br />

341/98, NJW 2000, 142 unter II 2 = BGHR ZPO § 156 Ermessen<br />

4). Wenn das Berufungsgericht dies zu Unrecht mit Rücksicht<br />

auf einen als erforderlich gehaltenen Antrag auf Schriftsatznachlass<br />

in der letzten mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, liegt insoweit<br />

ein weiterer Verfahrensfehler vor.<br />

fotonachweis<br />

Seiten I, IV, 223: alle privat; Seiten 212, 227, 228, 229, 231,<br />

232: alle Burkhardt/Berlin; Seiten 224, 225: alle Lührig/Berlin<br />

impressum<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e.V., Littenstr. 11, 10179<br />

Berlin (Mitte), Tel. 0 30/ 726152-0, Fax 030/ 726152-191,<br />

anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig<br />

(Leitung, v. i. S. d. P.), Dr. Peter Hamacher und Udo Henke, Rechtsanwälte,<br />

Anschrift des Herausgebers.Verlag: <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag<br />

und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111<br />

Bonn, Tel. 0228/91911-0, Fax 0228/9191123; kontakt@<br />

anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17532458,<br />

BLZ 38050000. Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich<br />

(v. i. S. d. P.), Stauffenbergstr. 2 b, 22587 Hamburg, Tel. 040/<br />

86628-467, Fax 0 40/ 86628-468, info@ad-in.de. Technische Herstellung:<br />

Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />

Tel. 0201/ 8612281, Fax 0201/ 8612241; mitterbauer@soldandruck.de.<br />

Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei<br />

einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis: Jährlich<br />

126,– E (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 11,50 E<br />

(inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s ist<br />

der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über<br />

jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen<br />

Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften:<br />

Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die<br />

Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei<br />

ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-,<br />

Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für<br />

Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung<br />

des Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


XX<br />

MN<br />

BÜCHER<br />

AnwaltKommentar BGB, Gesamthrsg.<br />

Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb, RA und FA<br />

für Steuerrecht Dr. Thomas Heidel und<br />

Prof. Dr. Gerhard Ring, 5 Bände, ca. 10.000<br />

Seiten,Vorzugspreis für DAV-Mitglieder ca.<br />

748 E, ISBN 3-8240-0631-6, Normalpreis<br />

ca. 798 E, ISBN 3-8240-0642-1, <strong>Deutscher</strong><br />

Anwaltverlag, Erscheint bis ca. Oktober<br />

2004, jetzt erschienen: Band 5: Erbrecht,<br />

Bandhrsg. VorsRiLG Dr. Ludwig Kroiß,<br />

Notar Dr. Jörg Mayer, Prof. Dr. Christoph<br />

Ann, LL.M., 1. Aufl. 2004, 1.704 Seiten,<br />

178 E, ISBN 3-8240-0606-5, <strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag.<br />

Die Ziele der Gesamtherausgeber (renommierte<br />

Vertreter der Wissenschaft und<br />

anwaltlichen Praxis) sind rasch zusammengefasst:<br />

Vor dem Hintergrund der Schuldrechtsreform<br />

soll ein neuer, fünfbändiger<br />

Kommentar das neu gestaltete BGB erschließen;<br />

reformiertes Recht sowie zum<br />

Teil nur scheinbar unverändertes altes Recht<br />

verlangten nach einer Neukommentierung,<br />

die sich den Gesetzesänderungen annehme.<br />

Adressaten des Kommentars sind „Rechtsanwender“,<br />

wie die Herausgeber des dem<br />

Erbrecht gewidmeten Bandes, Kroiß (Vorsitzender<br />

Richter am Landgericht), Prof.<br />

Dr. Ann und Notar Dr. Mayer betonen.<br />

Sie setzen auf erhöhte Nachfrage: Von<br />

allen Materien des BGB-Zivilrechts verzeichne<br />

das Erbrecht den rasantesten Bedeutungs-<br />

und Nachfragezuwachs. An den<br />

Anwalt richten sich insbesondere die<br />

„praktischen Hinweise“, die sich am Ende<br />

vieler Kommentierungen finden. Die einzelnen<br />

Kommentierungen sind nach einem<br />

einheitlichen Schema („Allgemeines“, „Regelungsgehalt“,<br />

„Praktische Hinweise“)<br />

aufgebaut. Diese Gliederung ist es jedoch<br />

nicht, was den Kommentar von anderen<br />

Werken abhebt, auch nicht die eben angesprochenen<br />

Praxishinweise. Diese geben,<br />

wie sogleich an einem Beispiel dargestellt<br />

sei, Informationen wieder, die auch unter<br />

einer anderen Überschrift hätten dargestellt<br />

werden können.<br />

Beispielhaft herausgegriffen sei die<br />

Kommentierung zu § 2077 BGB, einer Vorschrift,<br />

die jüngst durch drei Entscheidungen<br />

„ins Gerede gekommen“ ist (BGH<br />

NJW 2003, 2095; KG KG-Report Berlin<br />

2003, 303; OLG Celle ZEV 2002, 328).<br />

Die Praxishinweise in der Kommentierung<br />

von Beck zu § 2077 BGB befassen sich<br />

(Rn 22 bis 25) mit prozessualen Fragen,<br />

insbesondere der Feststellungs-, Darlegungs-<br />

und Beweislast. Es ist mithin nicht<br />

so sehr die Strukturierung und Darstellungsform,<br />

die das Werk für den Praktiker<br />

interessant macht, als vielmehr die konzentrierte<br />

Darstellungsweise und der generelle<br />

„praktische Blick“ auf die Vorschriften.<br />

Auch dies sei am Beispiel des § 2077 BGB<br />

demonstriert: Entsprechend der Ankündigung,<br />

die gesetzlichen Neuregelungen zu<br />

berücksichtigen, wird auf die gesetzlich begründete<br />

Ausweitung des Anwendungsbereichs<br />

eingegangen (letztwillige Verfügungen,<br />

durch die der Erblasser seinen<br />

eingetragenen Lebenspartner bedacht hat,<br />

§ 10 Abs. 5 LPartG). Es wird – was die Aktualität<br />

des Kommentars bestätigt – die<br />

oben erwähnte Entscheidung des Bundes-<br />

gerichtshofs referiert (Näheverhältnis zwischen<br />

Schwiegereltern und Schwiegerkindern<br />

reicht nicht aus, die Wirksamkeit der<br />

Zuwendung an Schwiegerkinder nur wegen<br />

der gescheiterten Ehe in Frage zu stellen)<br />

und – wiederum praxisrelevant – die bei<br />

Redaktionsschluss einzige bekannte obergerichtliche<br />

Entscheidung zur Frage aufgenommen,<br />

ob die Vorschrift auf nicht eheliche<br />

Lebensgemeinschaften analog<br />

angewendet werden soll: Verneinend das<br />

Bayerische Oberste Landesgericht (FamRZ<br />

1983, 1226) und nunmehr auch das OLG<br />

Celle (ZEV 2003, 328). Bei der Aussage,<br />

dass § 2077 Abs. 2 BGB auf nicht eheliche<br />

Lebensgemeinschaften weder unmittelbar<br />

noch entsprechend anwendbar sei, bleibt<br />

die Kommentierung jedoch nicht stehen.<br />

Der mit der Anwendung der Vorschrift befasste<br />

Anwalt wird auf Abhilfemöglichkeiten<br />

hingewiesen. Zu Recht wird die denkbare<br />

Auslegungsvariante (Beendigung der<br />

nicht ehelichen Beziehung als auflösende<br />

Bedingung der testamentarischen Zuwendung)<br />

und die Möglichkeit der Testamentsanfechtung<br />

gem. § 2078 Abs. 2 BGB genannt.<br />

Die Kommentierung, die nochmals<br />

als Beispiel herangezogen sei, unterrichtet<br />

über den gesamten Regelungsgehalt der Vorschrift<br />

auf vier Druckseiten. Informiert wird<br />

der Leser hier, aber auch in den meisten anderen<br />

Kommentierungen, über die weiterführende<br />

Literatur, wobei Literaturhinweise<br />

häufig (nicht durchgehend) vor der<br />

Inhaltsübersicht der jeweiligen Kommentierung<br />

abgedruckt sind (am Rande: Bei den<br />

Hinweisen zu § 2077 BGB wäre der Aufsatz<br />

von Muscheler, DNotZ 1994, 733, zu nennen<br />

gewesen, der Anlass für das Kammergericht<br />

(aaO) war, im Falle der Scheidung der Ehe<br />

auch bei „Fortbestehenswillen“ gem. § 2077<br />

Abs. 3 BGB die Bindung an wechselbezügliche<br />

Verfügungen entfallen zu lassen – die<br />

Entscheidung ist nicht rechtskräftig, die Revision<br />

wurde zugelassen).<br />

Der Einfluss der Schuldrechtsreform auf<br />

das Erbrecht ist begrenzt. In den Fällen, in<br />

denen sich die Reform unmittelbar ausgewirkt<br />

hat (etwa bei Leistungsstörungen<br />

im Vermächtnisrecht), sind die Gesetzesänderungen<br />

sehr sorgfältig berücksichtigt<br />

worden (vgl. etwa die keine Fragen offen<br />

lassende Kommentierung von Mayer zu<br />

§ 2174 Rn 8 ff.). Diese Kommentierung –<br />

und sie sei ebenfalls pars pro toto genannt<br />

-- macht in vollem Umfang der Ankündigung<br />

der Herausgeber alle Ehre: Sie konzentriert<br />

sich auf das Wesentliche; unter<br />

Einbeziehung der gesetzlichen Neuregelungen<br />

wird der Leser auf den neuesten Stand<br />

gebracht. Und nicht nur dies: Hier (§ 2174<br />

Rn 18 f.) finden sich ebenso wie in einer<br />

Vielzahl weiterer Kommentierungen steuerliche<br />

Hinweise, die zwar nicht erschöpfend<br />

sind, aber zumindest Problembewusstsein<br />

schaffen und Anregungen zu vertiefter<br />

Prüfung vermitteln. Noch ein Pluspunkt: die<br />

Länderberichte (u. a. Frankreich, Großbritannien,<br />

Italien, die Türkei und die USA),<br />

die einen Überblick über die Grundzüge<br />

des in einzelnen Ländern geltenden Internationalen<br />

Privatrechts sowie das jeweilige<br />

materielle Erbrecht geben. Die Vorschriften<br />

zum EGBGB sind allerdings nicht in die<br />

Kommentierung mit einbezogen worden.<br />

Wer einen Kommentar sucht, der auf<br />

dem aktuellen Stand ist, besonderen Wert<br />

auf die Berücksichtigung der gesetzlichen<br />

Neuregelungen legt, sich auf das Wesentliche<br />

konzentriert und einen vollständigen<br />

Überblick über den Regelungsgehalt der<br />

erbrechtlichen Vorschriften verschaffen<br />

will, ist mit dem Werk hervorragend bedient.<br />

Der Kommentar kann und will nicht<br />

mit den Großkommentaren konkurrieren.<br />

Dies heißt, dass im Einzelfall Fragen offen<br />

bleiben (dürfen) und, um ein Beispiel zu<br />

nennen, etwa die Frage ausgeblendet bleibt,<br />

welchen Umfang das vorbehaltene Wohnrecht<br />

haben muss, um einem Nießbrauchsrecht<br />

gleichgestellt zu werden und dafür zu<br />

sorgen, dass die Zehn-Jahres-Frist des<br />

§ 2325 Abs. 3 BGB nicht zu laufen beginnt<br />

(vgl. zu dieser Frage Mayer, in: Bamberger/<br />

Roth, BGB, § 2325 Rn 31).<br />

Fazit: Die Anschaffung des Werkes<br />

kann dem erbrechtlichen Praktiker uneingeschränkt<br />

empfohlen werden. Dies gilt nicht<br />

zuletzt vor dem Hintergrund, dass es durch<br />

den vom Verlag angebotenen Online-Service<br />

auf dem neuesten Stand gehalten wird.<br />

Rechtsanwalt Dr. Andreas Frieser, Bonn<br />

Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts,<br />

Dr. Heinz-Bernd Wabnitz,<br />

Thomas Janovsky (Hrsg.), Verlag C. H.<br />

Beck, 2., neu bearbeitete und erweiterte<br />

Auflage 2003, 1940 Seiten, 112,– E, ISBN<br />

3-406-50516-3<br />

Wozu noch ein Handbuch, wenn man<br />

doch die wichtigsten Kommentare zum materiellen<br />

Strafrecht (neuerdings auch den<br />

erstklassigen Münchener Kommentar zum<br />

StGB) oder Verfahrensrecht schon im Regal<br />

hat? Weil damit viele Fragen aus der Beratungspraxis<br />

noch nicht zu klären sind! Die<br />

Neuauflage des Handbuches zum Wirtschafts-<br />

und Steuerstrafrechts erläutert mit<br />

einem interdisziplinären Autorenteam alle<br />

praxisrelevanten Fragen zu Gebieten, die<br />

man nur selten in voller Breite aus eigener<br />

beruflicher Erfahrung kennt, von der Geldwäsche<br />

über Wertpapierhandel, Straftaten im<br />

Gesundheitswesen, Computerkriminalität,<br />

Korruption und Produktpiraterie bis hin zur<br />

illegalen Beschäftigung und Leistungsmissbrauch.<br />

Die Stärke des Handbuches liegt vor<br />

allem in den Darlegungen der Hintergründe,<br />

Betätigungsfelder und Organisationsformen<br />

der einzelnen Delikte. Wirklich empfehlenswert<br />

ist der ausführliche Teil „EDV-Beweissicherung“<br />

von Bär, da nicht nur die Täter<br />

sich technisch weiterentwickeln, sondern<br />

auch die Ermittler immer mehr Schritt halten<br />

können. Allein schon wegen der rasanten<br />

technischen und rechtlichen Entwicklung bis<br />

hin zur Kommentierung des Einsatzes des<br />

IMSI-Catchers nach § 101 i StPO lohnt die<br />

Anschaffung der Neuauflage. Das Handbuch<br />

ist vor allem für die Praktiker geeignet,<br />

die nicht alle dort angesprochenen Bereiche<br />

täglich bearbeiten. Die Erkenntnisse können<br />

sogar für den zivilrechtlich orientierten Praktiker<br />

interessant sein und dies nicht nur wegen<br />

des Kapitels „Der Geschädigte in Wirtschaftsstrafsachen“<br />

von Wagner.<br />

Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter,<br />

Fachanwalt für Steuerrecht, Ratzeburg


XXII<br />

MN<br />

INTERNET<br />

9 Das Verfahren RegisSTAR ermöglicht<br />

die elektronische Führung der<br />

Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts-<br />

sowie Vereinsregister. Das<br />

Programm wurde im Auftrag der Länder<br />

Bayern, Nordrhein-Westfalen,<br />

Sachsen und Sachsen-Anhalt entwickelt.<br />

Zwischenzeitlich haben sich<br />

die Länder Hamburg, Hessen und das<br />

Saarland dem Verbund angeschlossen<br />

(Stand 23.2.2004). In Bayern soll die<br />

Umstellung aller Handelsregistergerichte<br />

im Frühjahr 2004 abgeschlossen<br />

werden. In Nordrhein-Westfalen wurde<br />

das gerichtliche Umstellungsverfahren<br />

bereits im Oktober 2003 beendet, alte<br />

Registerblätter sind jedoch erst zu<br />

85 % umgeschrieben; eine Beendigung<br />

wird für den Herbst 2004 erwartet.<br />

In Bayern erfolgt der sichere Zugang<br />

zum elektronischen Handelsregister<br />

wie üblich über das Internet. Dort<br />

E-Mail-Newsletter:<br />

Hinweise zum Bezug<br />

der DAV-Depesche<br />

Die DAV-Depesche – ein<br />

E-Mail-Newsletter – erhalten sämtliche<br />

Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e<br />

von denen die e-mail<br />

Adresse bekannt ist. Die DAV-Depesche<br />

erscheint in der Regel<br />

wöchentlich und fasst in kurzer<br />

Form aktuelle Themen zusammen.<br />

Weitere Informationen werden regelmäßig<br />

über weiterführende Links<br />

angeboten.<br />

Dabei wird auf den Datenbestand<br />

der Deutschen Anwaltadresse<br />

zurückgegriffen. Diese erfasst<br />

und speichert im Auftrag des<br />

DAV alle anwaltlichen Adressen und<br />

berufsbezogenen Daten. Diese sind<br />

unter anderem wichtig für die Erstellung<br />

des Anwaltsverzeichnisses,<br />

sowie andere DAV-Dienstleistungen,<br />

wie etwa der Deutschen Anwaltauskunft.<br />

Sollten sich die berufs- oder<br />

bürobezogenen Daten ändern, sollte<br />

dieses der Deutschen Anwaltadresse<br />

mitgeteilt werden:<br />

Deutsche Anwaltadresse, Littenstr.<br />

11, 10179 Berlin, Tel.: 0 30/<br />

72 61 53 – 1 70 oder – 1 71, Fax:<br />

0 30/ 72 61 53 – 177, adresse<br />

@anwaltverein.de<br />

(WAL)<br />

können auch weiterführende Informationen<br />

und ein Anmeldeformular abgerufen<br />

werden. Für die Gebührenabrechnung<br />

müssen sich derzeit auch<br />

einmalige oder gelegentliche Nutzer<br />

zum Verfahren anmelden. Die Einbindung<br />

einer Micropayment-Lösung, die<br />

Einzeleinsichten auch ohne vorherige<br />

Anmeldung zum Abrufverfahren ermöglichen<br />

soll, ist in Vorbereitung.<br />

Gebührenbeispiel für Bayern: Für regelmäßige<br />

Nutzer (verrechenbare Jahresgebühr<br />

150 E) kostet eine Online-<br />

Auskunft 4 E. Für gelegentliche Nutzer<br />

ohne Jahresgebühr kostet ein einzelner<br />

Abruf 8 E.<br />

Weiterführende Informationen sind zumeist<br />

über die Webseiten der Landesjustizverwaltungen<br />

erhältlich. Teilnehmer<br />

am Abrufverfahren benötigen<br />

grundsätzlich nur einen PC mit Internetanschluß<br />

und einen aktuellen Standard-Browser.<br />

http://www.justiz.nrw.de/IndexSeite/<br />

Organisation/projekte/registar.html<br />

http://www2.justiz.bayern.de/_bro<br />

schueren/RegisSTAR.htm<br />

https://handelsregister.justizregister.<br />

bayern.de (HIT)<br />

9 Das juristische E-zine und Portal<br />

LEGAmedia meldet im Februar die<br />

Bereitstellung der neuen Rechtstip-Datenbank<br />

LEGAtips. Das neue kostenlose<br />

Angebot wartet mit rund 2.000<br />

Rechtstips auf und umfaßt Gebiete<br />

vom Arbeitsrecht über Mietrecht bis<br />

hin zur Zwangsvollstreckung.<br />

http://www.legatips.de<br />

bzw.<br />

http://www.legamedia.net (HIT)<br />

9 Die Westlaw Datenbank GmbH,<br />

Frankfurt a.M., stellte im Februar ein<br />

neues Angebot vor. Es handelt sich<br />

um den Kommentar zur Zivilprozeßordnung<br />

Stein/Jonas aus dem Verlag<br />

Mohr Sibeck. Das verarbeitete Printmedium<br />

erschien unlängst in der<br />

22. Auflage und ist auf zehn Bände<br />

angelegt. Für das europäische Zivilprozeßrecht<br />

entsteht ein eigener Band.<br />

Der Stein/Jonas gilt als das umfangreichste<br />

Standardwerk auf dem Markt.<br />

Die online-Ausgabe bietet durch Verlinkungen<br />

mit Rechtsprechung und juristischen<br />

Fachzeitschriften einen spür-<br />

baren Mehrwert für den Nutzer. Der<br />

Online-Service Westlaw DE wurde in<br />

enger Zusammenarbeit mit Juristen<br />

speziell für den deutschen Markt aufgebaut.<br />

Neben aktueller Rechtsprechung,<br />

neuesten Gesetzestexten, renommieren<br />

Kommentaren und<br />

Fachzeitschriften sind auch die Pressemitteilungen<br />

der höchsten Gerichte<br />

verfügbar.<br />

Genauer Inhalt und Umfang der Datenbanken<br />

lassen sich am besten online<br />

sichten. Eine gute Zusammenfassung<br />

bietet die untenstehend als<br />

Adresse angegebene Informationsbroschüre<br />

im pdf-Format.<br />

http://westlaw.ems-ag.de/img/Down<br />

loads/produkt-broschuere.pdf<br />

bzw.<br />

http://www.westlaw.de (HIT)<br />

9 Nachfolgend noch zwei Notizen<br />

aus Meldungen von AFP:<br />

Gesetzesverkündung im Internet<br />

Die französischen Gesetze und andere<br />

offizielle Texte werden demnächst nur<br />

noch per Internet verkündet: Nach Angaben<br />

von Premierminister Jean-Pierre<br />

Raffarin soll die gedruckte Fassung<br />

des “Journal officiel“ völlig verschwinden.<br />

Domains mit Umlauten<br />

Am 1. März werden die ersten Netzadressen<br />

freigeschaltet, die auch Umlaute<br />

enthalten dürfen. Schon Ende Februar<br />

waren eine halbe Million<br />

Adressen vorregistriert. Umlaute lassen<br />

sich dabei nicht nur mit der Top Level<br />

Domain .de, sondern auch mit einer<br />

Vielzahl anderer Endungen wie .com,<br />

.net, .org oder .info kombinieren.<br />

Beides ist nachzulesen unter den<br />

Adressen:<br />

http://de.news.yahoo.com/040225/286/<br />

3wetb.html<br />

http://de.news.yahoo.com/040218/286/<br />

3w15d.html (HIT)<br />

Zusammengestellt von Rechtsanwalt und<br />

Fachanwalt für Steuerrecht Timm Hitzfeld,<br />

Augsburg (HIT), Rechtsanwalt Udo Henke,<br />

DAV, Berlin (HEN) und Rechtsanwalt<br />

Dr. Nicolas Lührig, DAV, Berlin (nil).

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