Man darf sich nicht ergeben
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» Riesa hat auch bei uns einen<br />
Lernprozess bewirkt.«<br />
Interview mit NGG-Gewerkschaftssekretär Thomas Lißner<br />
Kein Tarifvertrag, kein Betriebsrat, Löhne<br />
knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn<br />
– das galt für Teigwaren Riesa 30 Jahre<br />
lang. Wie typisch ist das für die Ernährungswirtschaft<br />
in Sachsen?<br />
Auf jeden Fall sehr typisch. Leider. Die<br />
Tarifbindung in Sachsen ist laut einer<br />
Studie vom Mai 2019 mit 39 Prozent der<br />
Beschäftigten besonders niedrig. Das gilt<br />
über alle Branchen hinweg. Zum Vergleich:<br />
In Nordrhein-Westfalen sind fast 70<br />
Prozent der Beschäftigten tarifgebunden.<br />
Die Unternehmen in Sachsen kämpfen<br />
auch besonders engagiert gegen Gewerkschaften.<br />
Und die Politik lässt das zu.<br />
Woran machen Sie das fest?<br />
Ich erlebe das tagtäglich. Geschichten<br />
wie die eines Pizzalieferanten in Chemnitz<br />
sind überall zu finden. Drei Männer<br />
aus Chemnitz wollten einen Betriebsrat<br />
gründen. Dem Hauptinitiator wurde gekündigt,<br />
die anderen eingeschüchtert.<br />
Sie hatten zu einer Versammlung zur<br />
Wahl des Wahlvorstands eingeladen. Vor<br />
Gericht boten die Arbeitgeber mehrere<br />
Tausend Euro als Abfindung an, verbunden<br />
mit der drohenden Ansage: ›Bei<br />
uns werden sie eh <strong>nicht</strong> mehr glücklich<br />
und Pizza können sie auch bei anderen<br />
ausfahren‹. Na, und was machen Menschen,<br />
die noch nie so viel Geld hatten?<br />
Unternehmen lassen <strong>sich</strong> es einiges kosten,<br />
einen Betriebsrat zu verhindern.<br />
So ist es. Für lange Zeit wird dort niemand<br />
mehr das Wort Betriebsrat in den Mund<br />
nehmen. So funktioniert das. In der sächsischen<br />
Ernährungsindustrie gibt es viele<br />
Betriebe, aber wenig Betriebsräte und<br />
Tarifverträge. Deshalb sind tarifgebundene<br />
Firmen wie Frosta in Lommatzsch, Cargill<br />
in Riesa, Bautz‘ner Senf oder Unilever in<br />
Auerbach so wichtig. Aber auch dort wird<br />
noch weniger verdient als in vergleichbaren<br />
Betrieben im Westen.<br />
Das sind im Einzelfall?<br />
Zum Beispiel etwa 800 Euro Abstand<br />
zwischen Ost und West beim Weltkon-<br />
Thomas Lißner, 40, arbeitete 20 Jahre bei Annaberger<br />
Backwaren GmbH, einer Bäckerei im Erzgebirge<br />
mit 190 Beschäftigten, bevor er hauptamtlich<br />
zur NGG wechselte. Als langjähriger Betriebsrat<br />
weiß er, wie man Beschäftigte überzeugt und<br />
organisiert.<br />
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