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Ein fehlgeschlagener Ansatz<br />
In den 1870er Jahren bildete sich in Amerika “The Women´s<br />
Crusade” (“Der Kreuzzug der Frauen”). Deren<br />
Ziel, das Alkoholverbot, hatte einen tragischen Hintergrund:<br />
Dass viele Arbeiter ihren Zahltag regelmäßig in<br />
die Kneipe trugen und ihre Familien in den Ruin trieben.<br />
Dann, im Jahr 1920 war das Ziel erreicht – Amerika<br />
führte die Prohibition ein. Doch schon 13 Jahre später<br />
wurde das Urteil wieder aufgehoben. Zum einen, weil<br />
Schwarzhandel und Kriminalität aufblühten. Zum anderen,<br />
weil der Alkohol nicht das Problem und das Verbot<br />
nicht die Lösung war. Gelöst werden musste nicht der<br />
oberflächliche Umstand, DASS so viele Männer so viel<br />
tranken. Sondern die tieferliegende Ursache: warumsie<br />
es taten.<br />
Verdienste durch Raubbau am eigenen Körper<br />
Solange die Arbeiter jung waren, hielten sie sich für<br />
unbesiegbar. Sie konnten die harten Bedingungen der<br />
60- und 70-stündigen Fabrikarbeit noch gut verkraften<br />
und kamen mit ihrem Geld über die Runden. An die Zukunft<br />
dachten nur wenige: Dass die Arbeit mit steigendem<br />
Alter schwerer, die Familie (und damit die monatlichen<br />
Kosten) wachsen und die Trübsal immer größer<br />
werden würde. Ein Weg, der viele von ihnen in eine<br />
Sackgasse führte, aus der es kein Entrinnen gab.<br />
Mittlerweile gelten für eine Anstellung im Hauptberuf<br />
vielerlei Arbeitsschutzgesetze. Doch mit einem schlecht<br />
bezahlten Zweitjob manövriert sich so mancher in eine<br />
ähnliche Situation des 19. Jahrhunderts: Trotz langer<br />
und harter Arbeit reicht das Einkommen gerade, um<br />
die monatlichen Rechnungen zu begleichen. Lebensfreude<br />
und Erholung bleiben auf der Strecke, also brechen<br />
Kompensationsverhalten durch. Doch heutzutage<br />
ist es nicht nur der Alkohol. Unterschätzt wird oft die<br />
Wirkung vieler Ersatzdrogen: Süßigkeiten, Fast Food,<br />
Kabelfernsehen, Koffeinlimonaden, Streaming-Dienste,<br />
Computerspiele, Internet, soziale Medien, etc.<br />
Müsste man diese Dinge also verbieten? Das wäre ähnlich<br />
wirksam wie das misslungene Experiment der Prohibition.<br />
Denn heute, 150 Jahre später, besteht das<br />
Problem ebenfalls nicht darin, dass manche Menschen<br />
zu einem Sucht- oder Kompensationsverhalten neigen.<br />
Sondern WARUM sie es tun. Und oft liegt es an unserer<br />
Art der Arbeit. Nicht an der Stundenzahl.<br />
Sind die hohen Zusatzstunden eintöniger<br />
Nebenjobs schuld?<br />
Das kann, muss aber nicht sein. Denn es gibt zwei Bedingungen,<br />
die lange, harte und eintönige Arbeiten erträglich<br />
machen: Erstens, ein erreichbar scheinendes<br />
Ziel. Zweitens, ein absehbares Ende der hohen Belastung.<br />
Das beste Beispiel sind junge Menschen, die sich<br />
mithilfe eines Ferienjobs einen Wunsch erfüllen wollen.<br />
Manche von ihnen gehen sechs Wochen lang nicht nur<br />
einer, sondern sogar zwei unbefriedigenden Vollzeittätigkeiten<br />
nach. Doch weil das Ziel in Reichweite und<br />
der Zeitraum überschaubar bleibt, lässt sich eine Be-<br />
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