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kultur Nr. 165

Magazin der Theatergemeinde BONN - April 2020

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kultur Nr. 165_Kopie von Ausgabe 12.qxd 22.03.2020 22:22 Seite 3

Die Fledermaus

von Johann Strauss in der oper

Süße Rache und die Majestät des Champagners

Bei der ausverkauften Premiere konnte man noch witzeln über die

Furcht vor Corona. Wenige Tage später übernahm das Virus die Weltherrschaft.

Dass ein falscher Feueralarm dem Premierenpublikum auch

noch ein Duett des Frosch (samt Hund des Regisseurs) mit einer Sirene

bescherte, erschien im ersten Moment wie inszeniert bei der ungemein

vergnüglichen Vorstellung in der Regie von Aron Stiehl, der in Bonn zuletzt

mit hinreißendem Esprit mozarts Hochzeit des Figaro auf die Bühne

brachte. Ein großer Teil des Ensembles ist auch wieder dabei in

Johann Strauss‘ Fledermaus, dem Inbegriff der klassischen Wiener Operette.

kulturKritisches

von den Librettisten Carl haffner und richard genée bearbeitet. Mit der

unsterblichen Operettenmusik des Walzerkönigs Johann Strauss (Sohn)

kam die Fledermaus 1874 im Theater an der Wien heraus. Leicht verzögert

durch den Börsenkrach 1873, der die Spekulationsblase der „Gründerzeit“

platzen ließ. Das neureiche Bürgertum tanzt indes weiter im

schönen Baden bei Wien. Auf Österreichisch klingt „Boan“ fast wie Bonn,

erklärt der notorisch besoffene Gefängniswärter Frosch, herrlich komisch

verkörpert von Christoph Wagner-trenkwitz, der am 20. Februar

noch aus dem „Quarantäne-Kaschterl“ spitzzüngig den Wiener Opernball

kommentierte. Und wo wir nun schon im Rheinland sind, ist Mitsingen

erwünscht beim Karnevalshit „Da simmer dabei!“

Den Champagner als Grundnahrungsmittel scheint man im Hause Eisenstein

vorsorglich gehamstert zu haben. Rosalinde versteckt

ihren Lover Alfred jedenfalls in einem bestens gefüllten

Kühlschrank. Der junge lyrische Tenor Kai Kluge,

der in Bonn zuletzt als „Christus am Ölberge“ in Beethovens

Oratorium gefeiert wurde, singt und spielt verführerisch

den hoffnungsvollen Opernstar, an den Eisensteins

Gattin ihr Herz verloren hat. Die beliebte Sopranistin

Anna Princeva ist als Rosalinde ein sängerisches und komödiantisches

Ereignis. Selbst wenn sie unten in der Küche

wütend im dampfenden Suppentopf rührt (möglicherweise

der Alarmauslöser), bleibt sie die elegante

Dame. Als geheimnisvolle ungarische Gräfin blendet sie

mit wachsendem Vergnügen ihren nicht sonderlich treuen

Ehemann. Der Tenor Johannes mertes gibt absolut

Foto links: giorgos Kanaris (Falke), Johannes mertes (eisenstein),

martin tzonev (Frank), Susanne blattert (orlofsky), Anna Princeva

(rosalinde), Chor

Foto unten: Anna Princeva (rosalinde), Johannes mertes

(eisenstein), tänzerinnen und tänzer; Chor

© thilo beu

Schon bei der vom beethoven orchester unter der Leitung

von daniel Johannes mayr spritzig gespielten

Ouvertüre lüftet sich der rote Samtvorhang. Man sieht

tanzende Füße, mitunter auch kopfüber zappelnde

Gestalten. Die Choreografie von bärbel Stenzenberger,

die zudem noch Adeles reizende Schwester Ida spielt, ist

ein absolutes Glanzstück des von witzigen Einfällen nur so

sprühenden Abends. Vor allem beim Maskenball im Palais

des reichen russischen Prinzen Orlofsky liefern die eigens

für diese Produktion engagierten neun Tänzerinnen

und Tänzer eine fulminante Show ab. Wobei einer wegen

einer Probenverletzung im Rollstuhl sitzend mit Kopfhörern

als merkwürdig geistesabwesende Gestalt vom Gastgeber

besonders aufmerksam betreut wird. Die rollenerfahrene

Mezzosopranistin Susanne blattert singt und

spielt die große Partie glänzend in einem eleganten halb

männlichen, halb weiblichen Outfit (wunderbare Kostüme:

okarina Peter), und auch sonst dürfen die Geschlechterrollen

beim rauschenden Fest munter vertauscht

werden. „Chacun à son goût“ heißt schließlich die Devise. Beim

Erscheinen seiner fürstlichen Hoheit mit „Pomp and Circumstance“ fordert

der Dirigent das Publikum auf, sich von den Sitzen zu erheben. Was

dieses ebenso fröhlich mitmacht wie später das Klatschen beim „Radetzkymarsch“

von Johann Strauss (Vater), zu dem die Gefängnisinsassen

im dritten Akt aus ihren Zellen in den Zuschauerraum verduften. Fabelhaft

präsent ist auch der ungemein spielfreudige und bewegliche, von

marco medved einstudierte Opernchor.

Die Geschichte hat ihre Wurzeln auf dem Boulevard. Zugrunde liegt ein

deutsches Lustspiel, das als Vorlage für eine Vaudeville-Komödie des berühmten

französischen Autorenduos henri meilhac und Ludovic halévy

diente. Das 1872 in Paris mit großem Erfolg uraufgeführte Stück wurde

formidabel den betrogenen Betrüger Eisenstein. Rosalindes Kammerzofe

Adele (bezaubernd selbstbewusst: marie heeschen) genießt den gemopsten

Schampus direkt aus der Flasche, um sich dann als hochtalentierte

Nachwuchs-Sopranistin Olga ins schillernde Ballgeschehen zu mischen.

Natürlich darf dabei auch Beethoven nicht fehlen. Verkleidet als

größter Bonner Sohn greift Korrepetitor igor horvat zum Czardas beherzt

in die Tasten eines vom Bühnenhimmel hängenden bemoosten

Flügels.

Bühnenbildner timo dentler hat für den ersten Akt eine Art Setzkasten

mit sechs Zimmern entworfen, in denen alle ihre Fäden spinnen und hoffen,

dass ihre Lügen nicht auffliegen. Das bürgerliche Puppenstuben-Ambiente

öffnet sich im zweiten Akt für die wilde Party des amüsierwilligen

____ kulturseite 3 ____

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