kultur Nr. 165
Magazin der Theatergemeinde BONN - April 2020
Magazin der Theatergemeinde BONN - April 2020
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kultur Nr. 165_Kopie von Ausgabe 12.qxd 22.03.2020 22:22 Seite 7
Mädchen wie die
von evan Placey in der Werkstatt
Machtverhältnisse im Zeitalter des Cybermobbing
Eine scheinbar sichere Gemeinschaft zerbricht. Mitten im Geschichtsunterricht
– es ging gerade um Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert
– ist es passiert. Alle Smartphones
leuchteten auf. Alle Mädchen waren
plötzlich hellwach: Jemand hatte ein
Nacktfoto ihrer Klassenkameradin Scarlett
gepostet. In wenigen Minuten wissen
es alle: Scarlett ist eine Schlampe.
Dabei ist St. Helens eine Eliteschule. Nur
zwanzig hochbegabte Mädchen pro
Jahrgang werden aufgenommen. Seit ihrem
fünften Lebensjahr haben sie alle
Lebenserfahrungen miteinander geteilt,
sind wie eine perfekte Familie zusammengewachsen
und nun in dem Alter,
wo die sexuelle Neugier erwacht.
Die Klassen sind zwar streng nach Geschlechtern
getrennt, aber Jungs gibt’s
an der Schule auch. Man trifft sich auf
dem Schulhof oder bei Partys, flirtet und
probiert Annäherungen aus. Und nun
dieses Foto – Mädchen wie Scarlett bringen
die ganze Gemeinschaft in Verruf.
Schlagartig ist die Freundschaft vorbei.
Eine bringt es auf den Punkt: Es ist wie
bei den Hühnern, die plötzlich grausam
auf eine geschwächte Artgenossin einhacken.
Um Mobbing geht es in dem
2013 in Birmingham uraufgeführten,
mehrfach preisgekrönten und an etlichen
deutschen Bühnen gespielten
Stück Mädchen wie die aber nur vordergründig.
Der kanadisch-britische Autor
evan Placey deckt dahinter Geschlechtsrollen-Klischees
auf. Als kurz danach ein Nacktfoto des allseits beliebten
Schülers Russell auftaucht, steigert das eher sein Ansehen. Sehr deutlich
macht der Autor das mit der „Schlüsseltheorie“: „Ein Schlüssel, der eine
Menge Schlösser aufkriegt, ist ein richtig guter Schlüssel.(…) Aber ein
Schloss, das eine Menge Schlüssel öffnen können, ist ein echt beschissenes
Schloss.“ Was Jungs dürfen, ist für Mädchen strikt tabu.
Die Regisseurin Carina eberle hat in der Werkstatt von Theater Bonn den
Text auf vier junge Profischauspielerinnen verteilt. Soraya Abtahi, Julia
hofstaedter, dorothée Neff und Joana tscheinig verkörpern einzeln
oder im Chor sprachlich bravourös und mit viel Energie alle Figuren des
bösen Spiels. Und sie zeigen, was in den Köpfen der Mädchen vorgeht,
die froh sind, dass es nicht sie getroffen hat. Sie lassen sich auf riesige
Und noch eine gute Nachricht
Soraya Abtahi, dorothée Neff, Joana tscheinig,
Julia hoffstaedter © thilo beu
rote Kissen fallen, verstecken sich gelegentlich darunter und geraten
doch zwischen die hellblauen Spinnenfäden des Gebildes, das auf der anderen
Bühnenseite hängt (Ausstattung: Karen Simon). Sie mimen auch
die Jungs, die sich auf Partys mit Youporn-
Videos brüsten und keinesfalls als
schwach oder gar schwul abgestraft werden
wollen.
Wie die Mädchen ihre bisherige Freundin
nicht nur verbal demütigen, geht unter die
Haut. Per Live-Kamera wird in Großaufnahme
gezeigt, wie sie Scarletts Gesicht
grausam entstellen und ihr Chips zwischen
die geschlossenen Lippen pressen. Die aus
der Gemeinschaft verbannte Scarlett hat
freilich auf alles nur eine lakonische Antwort:
„Klar“. Keine Wut, keine Verteidigung,
keine Verzweiflung, nur dieses
nüchterne „Klar“. Mitunter erscheinen die
Mädchen per Video als Frauen früherer
Generationen. Die Urgroßmutter, die für
das Frauenwahlrecht kämpfte, die ersten
Vertreterinnen in Parlamenten. Die Großmutter,
die in den 1960er Jahren unter
dem Motto „Mein Körper gehört mir“
neue Freiheiten eroberte. Die Mutter, die
sich unbeirrt eine berufliche Führungsposition
erarbeitete. Hat die Generation der
Internet-Natives das vergessen? Sind
weibliche Solidarität und Vertrauen so
schnell verschwunden in der Welt des
Cybermobbings und der brutalen
Hackordnung?
Zum unter Jugendlichen weit verbreiteten
„Sexting“ (Kofferwort für Sex und Texting)
gibt es im Netz mittlerweile zahlreiche
Warnungen. Aber auf allen Kanälen kursieren erotische Selfies. „I feel
pretty“ (auf das Musical West Side Story spielt der originale Stücktitel
„Girls like that“ an) und möchte das zeigen. Stars und Influencer machen
es vor. Leider sind intime Postings leicht weiterzuleiten. Manchmal mit
tödlichen Folgen. Die spannende Inszenierung lässt den Ausgang offen.
Ohne pädagogischen Zeigefinger spielt sie unterhaltsam mit den unverschämt
witzigen Momenten der ernsten Geschichte. Überzeugter Beifall
vom überwiegend jungen Publikum (darunter viele Mitglieder der Jungen
Theatergemeinde BONN) bei der ausverkauften Premiere. e.e.-K.
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kulturKritisches
KUrz
&
iNtereSSANt
Kurz vor Aschermittwoch kam nach langem Warten die erlösende Nachricht: Das euro theater
Central erhielt grünes Licht zum Erwerb des städtischen Gebäudes Budapester Straße 19 und
zum Umbau des Hauses zu einer neuen Spielstätte. Die Verträge sind unterzeichnet; die
Wiedereröffnung muss jedoch nun aufgrund der aktuellen Lage auf unbestimmte Zeit verschoben
werden. Nach all den Mühen ist das bitter, aber Geduld haben wir ja schon so gut geübt,
dass ein paar Monate jetzt wohl auch noch durchzuhalten sind.
hier, in der budapester Straße, weiterhin ganz zentral
– hinter dem Stadthaus –
entsteht das neue domizil des euro theater Central.
© ubi
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