kultur Nr. 165
Magazin der Theatergemeinde BONN - April 2020
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kultur Nr. 165_Kopie von Ausgabe 12.qxd 22.03.2020 22:22 Seite 9
kulturEssay
„Anstiftung zur Mündigkeit: Über die Relevanz von Kultur und Bonn als Möglichkeitsraum“
Beim traditionellen Kulturpolitischen
Aschermittwoch des
Kulturkreises Bonn, einem Zusammenschluss
von 65 Bonner
Kulturfördervereinen, hielt die
Sport- und Kulturdezernentin
dr. birgit Schneider-bönninger
vor ca. 120 geladenen
Gästen aus Kultur, Medien, Politik,
Wirtschaft und Wissenschaft
einen viel beachteten
Vortrag unter dem oben genannten
Titel. Die Veranstaltung
fand am 26. Februar 2020
auf der Bühne der Oper statt.
Die Organisation übernahm
die Theatergemeinde BONN.
Wir dürfen hier Auszüge aus
der Rede veröffentlichen:
Es ist für mich eine Ehre, dass ich in diesem Jahr die Festrede am kulturpolitischen
Aschermittwoch halten darf – nach einem sehr intensiven
ersten Jahr in Bonn.
Ich möchte heute über die Relevanz von Kultur (für Bonn) sprechen und
habe dazu fünf Thesen mitgebracht:
1. Kultur macht mündig.
Gegenwärtig erleben wir ein Erstarken des Rechtsextremismus und eine
Zunahme rechten Terrors. Rassismus scheint wieder gesellschaftsfähig.
Das freie Denken und künstlerische Ausdrucksformen werden offen angegriffen.
Kulturorte sind in dieser „Demokratiegefährdungsgesellschaft“ Orte des
politischen Diskurses - oder anders ausgedrückt: Wir brauchen dringend
Widerstandshäuser und Widersprechkünstler. Bonn steht für Weltoffenheit
und eine lebendige Erinnerungskultur. Als Geburtsstadt des Grundgesetzes
ist Bonn eine Chiffre für Demokratie. Auf dieser Basis kann Bonn
ein Narrativ entwickeln und eine Leuchtturmfunktion für die Zukunft der
Demokratie einnehmen. Im besten Fall wird Bonn zur ersten Adresse für
Meinungsbildung und Aufklärung.
Beethoven war politisch ambitioniert und – aus seiner Zeit in Bonn heraus
– beflügelt von der Aufklärung. Seine Konzerte waren „Veränderungskonzerte“
und haben den Weg bereitet für „Veränderungskunst“.
Fazit: Kultur ist politisch relevant und macht mündig!
2. Kultur schafft Synergien.
Meine Vision für Bonn: Eine grenzüberschreitende Kulturlandschaft mit
vielen weiteren Schnittstellen. Dazu benötigen wir ein Synergie-Cluster,
das Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft produktiv
verbindet.
Zu der neuen „WIR-Kultur“ passt auch der Paradigmenwechsel, den ich
mit meinem Amtsantritt durchgesetzt habe. Damit meine ich nicht nur,
dass ich meine Zeit zu gleichen Teilen auf Sport und Kultur aufteile. Der
Paradigmenwechsel liegt insbesondere darin, beide Ressorts zusammen
zu denken und das Verbindende, das Gemeinsame hervorzuheben. Wir
müssen konsequent in Inhalten statt in Zuständigkeiten denken, ressortübergreifend
arbeiten, das Visionieren vor das Verwalten setzen. Wir
müssen vor allem zu einer kollektiven Zukunftsverantwortung gelangen.
Es geht um die Schlüsselfrage: Wie wollen wir als Gesellschaft in Bonn zusammen
leben?
Fazit: Kultur fördert das WIR und das UND.
3. Kultur kurbelt die
Imagination an.
Kunst und Kultur verändern
das Sehen der Welt. Die schönen
Künste sind zusammengenommen
große „Fragenproduktionsanstalten“,
die im
besten Fall zum Weiterdenken
animieren und uns zugleich
das Träumen lehren.
In unserem postdigitalen Zeitalter
kommt Kultur zudem eine
zunehmend sinnstiftende und
erdende Funktion zu. Ohne
sinnstiftende Geschichten
kann keine Kultur gedeihen. So
sorgen allabendlich die Bonner
Theater für die „friedliche Anarchie“
auf der Bühne - und
wir können uns zumindest
einbilden, dass aus der Kunst, aus der rettenden Fantasie die Kraft kommen
kann, eine menschenwürdige Welt zu gestalten.
Fazit: Kultur kann neue Wahrnehmungshorizonte erschließen und den
ganzen Apparat der Vorstellungskraft in Gang setzen.
dr. birgit Schneider-bönninger © www.theaternacht.de
____ kulturseite 9 ____
4. Kultur baut Möglichkeitsräume
Bonn ist eine starke Kulturstadt. Das kulturelle Erbe, die Dichte und Qualität
der kulturellen Einrichtungen von Bund, Land und Stadt, Festivals,
Freie Szene und Initiativen sind einzigartig.
Ziel der kommunalen Kulturförderung muss es sein, dieses geballte Potenzial
zu verteidigen, idealerweise Bonn zum „Kulturschutzgebiet“ zu erklären.
Ziel muss es aber auch sein, das Kulturumfeld ständig weiterzuentwickeln.
Der Imperativ von der „Kultur für alle“ ist in einer heterogenen Stadtgesellschaft
mit fast 180 Nationen aktueller denn je. Mein Anliegen ist es,
die Kulturformel mit Blick auf die Herausforderungen des 21. Jahrhundert
„umzudrehen“. Aus „Kultur für alle“ wird „Alle für Kultur“! Mit einem
„Alle für Kultur“-Appell können wir in Bonn die Chance ergreifen, die
nächste Generation von Konzert, Theater und Museum zu kreieren, indem
wir die Akteure der Stadt zu Mit-Gestaltern machen bzw. den gesellschaftlichen
Auftrag der Kultureinrichtungen von den Menschen mitdefinieren
lassen, die sie bisher noch nicht nutzen.
Fazit: Möglichkeitsräume bilden den Nährboden für Stadtverwandlung.
5. Kultur macht „Zukünfte“.
Kultur hat die Mission, „Zukünfte“ in Bewegung zu bringen.
Bonn ist als UN-Klima-Standort den 17 Nachhaltigkeitszielen besonders
verpflichtet. Ich bin davon überzeugt, dass die Wende zu einer nachhaltigen
Entwicklung nur als kultureller Wandel gelingen kann und dafür ist
Kunst als Ausdrucksform und Intervention ganz elementar. Nachhaltigkeit
ist eine Zivilisationsangelegenheit und hat ganz viel mit einer humanistischen
Wertehaltung zu tun. In Bonn agieren bereits viele Pioniere des
Wandels, Kulturschaffende, Kreative und zivilgesellschaftliche Initiativen.
Sie alle können den Wandel in den Köpfen mobilisieren.
Fazit: Kultur ist als Zukunftsmacherin relevant und kann uns zeigen, wie
künftige Generationen leben wollen und sollen.
Ausblick:
Meine Aufgabe ist, für die Zukunft des Kulturstandortes zu streiten und
ihn immun zu machen gegen Spar-Szenarien und Angriffe auf die freie
Kulturszene der Stadt wie auch auf unsere „Kulturtanker“.