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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
SOMMER
2020
+
SCHWARZES WIEN
+
FAVORITEN: WER
IST SCHULD?
+
NGOSSO IN
ZAHLEN
+
MANNSBILDER
WARUM AUCH MÄNNER
BODY POSITIVITY BRAUCHEN
Ovako će
ljeto biti
sigurno.
3
minuten
mit
Michele
Tria
Am beliebtesten Sandstrand
der Österreicher hisst er die
rote Fahne: Michele Tria ist
Rettungsschwimmer am italienischen
Strand von Grado und
erzählt, wie Corona seine Arbeit
verändert.
Von Livia Klingl
Molimo držite
odstojanje od
1 metra.
Molimo nosite zaštitnu
masku za usta i nos,
ukoliko nije moguće
držati odstojanje.
Nova ublažavanja zaštitnih mjera će donijeti mnoge
olakšice u ljetnom periodu. Jedno je sigurno: ukoliko
se i dalje budemo pridržavali zaštitnih mjera, moći
ćemo istinski uživati u ljetu. I to svi zaslužujemo!
#schauaufdich
Redovno perite
ruke.
© Livia Klingl
BIBER: Was hat sich durch Corona an
deiner Arbeit geändert?
MICHELE TRIA: Wir mussten einen
Corona-Kurs absolvieren und nur wer
am Ende das Zertifikat erhielt, durfte
arbeiten. Wir bekamen eine neue
Ausrüstung mit Handschuhen, Schutzkleidung,
Maske und Plexiglasschild.
Wir haben neue Guidelines, aber das
ist Theorie. Wenn ich einem Kind oder
einem alten Menschen helfen müsste,
dann würde ich nicht erst an Corona
denken und jemanden sterben lassen,
sondern an Lebensrettung.
Wie oft kommt so etwas vor?
Auf 1,6 Kilometer Strand haben wir
pro Saison im Schnitt einen Toten und
zehn, die wir retten. Davon sind vier bis
fünf kritische Fälle.
Was wäre jetzt in der Corona-Zeit, wenn
Mund-zu-Mund-Beatmung nötig wäre?
Das machen wir schon ein paar Jahre
nicht mehr. Alle Rettungsschwimmer
haben eine Maske mit Blasbalg in
ihrem Equipment. Und alle 300 Meter
gibt es einen Defibrilator. Wir haben
alle Walkie-Talkies und im Rettungsfall
gehen zwei ins Wasser, um den Verunglückten
herauszuholen und ein Dritter
kommt mit dem Defi. Für alle Notfälle
haben wir eine Checkliste, mit und
ohne Corona.
Was ist am Strand anders?
Die Sonnenschirme haben jetzt seitlich
einen Mindestabstand von 4,60 Meter
und nach vorne Richtung Meer fünf
Meter. Die Liegen werden jeden Morgen
desinfiziert - auch wenn das vielleicht
unnötig sein mag, weil das Virus auf
diesen Flächen nicht mehr als ein paar
Stunden überlebt. Aber das sind jetzt
eben die neuen Regeln.
Nicht alle sind nachvollziehbar?
Im Indoor-Schwimmbad dürfen nur
noch 30 Personen sein, obwohl Chlor ja
angeblich das Virus tötet.
Müsst ihr euch regelmäßig testen?
Alle von der Schwimmrettung mussten
auf Anordnung des Verkehrsministeriums
einen Test machen.
Lebst du anders als vor Corona?
Wir alle hier sind ja wegen der Zustände
in Bergamo Corona-Experten geworden.
Wir haben die Maske immer mit
und halten Abstand. Und ich wasche
mir öfter die Hände. Für Menschen in
meinem Alter ist das leichter als für die
Jungen, die in die Disco wollen oder
zum Fußball. Für die muss die Politik
mitdenken. Politiker haben einen Beruf
gewählt, in dem sie vorausschauend
und verantwortlich sein müssen oder
müssten.
Um wie viel weniger Touristen habt ihr
jetzt?
Wir haben durch die Abstandsregeln
ein Drittel weniger Sonnenschirme. Und
von denen eine Auslastung von 40 bis
50 Prozent. Aber langsam, langsam
kommen Urlauber aus Österreich und
Deutschland. Ich denke, wir müssen mit
diesem Virus leben lernen und wissen,
dass es auch wieder zurückkommen
kann. Ein bisschen ist es wie mit dem
Meer. Vor dem muss man auch Respekt
haben.
Alter: 52
Beruf: Rettungsschwimmer
Fitness-Programm: Rudern und Boxen
Besonderes: Hat viele Jahre im Nachtleben
gearbeitet. Weil das zu stressig
wurde, ist er an den Strand von Grado
zurückgekehrt und rettet dort Leben.
/ 3 MINUTEN / 3
CORONA_Sommer_Inserat_Biber_207x270abf.indd 1 09.06.20 10:10
3 3 MINUTEN MIT RETTUNGS
SCHWIMMER MICHELE
Ein Rettungsschwimmer am Sandstrand von
Grado im Schnellinterview.
8 IVANAS WELT
Wiener und Jugos sind sich in vielerlei Hinsicht
ähnlich. Außer beim Teilen von Rechnungen.
REISE
46 TRIP&TRAVEL
Andrea Grman trägt auf Reisen ihr
„Zuhause“ immer mit sich.
POLITIKA
10 EUER SCHUTZ IST
UNSERE ANGST
Drei Schwarze Wiener sprechen über ihre
Erfahrungen mit Übergriffen durch die Polizei.
16 „FRAU NGOSSO, WIE OFT
WOLLTEN SIE IN IHREM
LEBEN WEISS SEIN?“
Biber fragt in Worten, stellvertretende
Bezirksabgeordnete Mireille Ngosso
antwortet in Zahlen.
18 GEWALT IN FAVORITEN
Viele Menschen auf engem Raum, kein eigener
Laptop – über die Herausforderungen des
Home-Learnings in sozial schwachen Familien.
20 TATEN STATT WORTE!
Vanessa Spanbauer über strukturellen
Rassismus. Was kann man tun?
RAMBAZAMBA
22 BLACK VIENNA
Vom Gottesdienst zum Afro-Shop. Lisa-Marie
Idowu stellt das Schwarze Wien vor.
30 KEIN KIND? DIE SPINNT!
Über Selbstbestimmung, statt Bevormundung,
von Frauen ohne Kinderwunsch.
16
„WIE OFT WOLLEN FREMDE TÄGLICH IHRE
HAARE ANFASSEN?“
Ärztin und Politikerin Mireille Ngosso im
Interview in Zahlen.
10
EUER SCHUTZ IST
UNSERE ANGST
Rassistische
Polizeigewalt in Wien?
Betroffene erzählen
von ihren Erfahrungen.
22
BLACK VIENNA
Vom Gottesdienst
zum Afro-Shop. Das
ist das Schwarze
Wien.
IN HALT SOMMER
2020
KARRIERE
48 KARRIERE&KOHLE
Karrierefrau Anna Jandrisevits hat ein
Trostpflaster für alle, die das Ende des
Schuljahres nicht richtig feiern können.
50 „ICH HABE DURCH CORONA
HUNDERTTAUSEND EURO
VERLOREN!“
Gastroszene-Insider Mehmet Kocak über
Corona-Ausfälle.
52 „ICH BIN GASTGEBER UND
GAS-GEBER!“
Selbermacher Ali Vogel ist Barista aus
Leidenschaft und zaubert tolle Latte-Art.
TECHNIK
54 BLACK LIVES MATTER
IM GAMING
Adam Bezeczky darüber, wie #BLM in
Videospielen für Veränderung sorgt.
SOMMER SPECIAL
56 RADLN IN WIEN
Unser ultimativer Sommerguide fürs
Radfahren in und um die Stadt.
KULTUR
64 KULTURA NEWS
Nada El-Azar interviewte den Künstler Kurt von
Bley zum Thema LGBT in Polen.
66 RASSISMUS IST EINE
GEISTIGE BLOCKADE
Jad Turjman über Schubladendenken
und Alltagsrassismus.
68 HEIMATURLAUB ZWISCHEN
FLÜCHTLINGSLAGERN
Während die einen „Balkanurlaub“ machen,
sitzen dort Tausende Geflüchtete fest.
70 TODOR
Viele wollen Helden sein. Aber was ist denn ein
„Held“ heutzutage eigentlich?
LIFESTYLE
35 LIFE&STYLE
Aleksandra Tulej beneidet die Jugend von
heute um die Serien, mit denen sie aufwächst.
36 MANNSBILDER
Body-Positivity ist etwas für Frauen?
Finden wir nicht!
36
MANNSBILDER
Zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn?
Body-Positivity geht auch bei Männern!
Zoe Opratko, Julie Brass, Cover: Julie Brass
„
„Delna, würdest du sagen, dass
du weiß bist?“ fragte mich eine
türkischstämmige biber-Stipendiatin.
Die junge Frau klopfte
extra an meine Tür, es beschäftigte
sie: Als Migrantin kann
sie nicht weiß sein, oder? Die
Journalistin Vanessa Spanbauer
beschreibt in ihrem Kommentar
auf Seite 20 sehr eindringlich,
wie sich Diskriminierungserfahrungen
weißer Migranten von
Anti-Schwarzem-Rassismus
unterscheiden - und warum der
gutgemeinte Satz „Ich sehe keine
Farben“ auch nicht hilft.
Delna Antia-Tatić, “
Chefredakteurin
biber ist nicht wie die anderen. Uns fehlt es beispielsweise an etwas, das andere
Redaktionen nur zur Genüge besitzen: Männer. Zählen wir großzügig, haben
wir von ihnen drei, schauen wir uns in der Redaktionssitzung um, dann sitzt da
wöchentlich einer. Ein Mann, und der ist noch dazu weder weiß noch über 50.
Wie gesagt, wir sind anders. Dass aber „Frauenteam“ nicht „Frauenmagazin“
bedeutet, beweisen wir einmal mehr mit dieser Ausgabe.
Die positivste Männer-Story des Sommers ziert unser Cover – jenseits
toxischer Männlichkeit und „weißer, männlicher Vorherrschaft“: Denn echte
Mannsbilder wie Cedric, Sahil, Ernan, Denis, Alex und Damir präsentieren die
Badehosen-Trends des Jahres 2020. Mit haarigem Rücken, löchrigem Bart
und gemütlichem Bäuchlein. Unsere sechs Cover-Models sind „body positive“.
Warum der Trend des guten Körpergefühls nur für Frauen gelten soll, sehen sie
nicht ein – und jener biber-Redakteursmann auch nicht. Ab Seite 36
Fast hätte es aber eine andere Geschichte aufs Cover geschafft: „Black
Vienna“ (ab Seite 22) ist ein Streifzug durch das Schwarze Wien. Obwohl die
gewaltige „Black Lives Matter“-Bewegung endlich auch Österreichs Schwarzen
Mitbürgern eine Stimme und Gehör beschert hat, findet der Alltag ihrer
Community unter dem Radar statt. Schade. Oder wer von euch war schon
einmal bei einem afrikanischen Gottesdienst dabei oder weiß, wo man die
besten Bücher von Schwarzen Autoren kauft und das beste Ziegenfleisch
bekommt? Präsentiert werden diese unbekannten Szene-Ecken der Stadt
natürlich von einer Insiderin: Die Reporterin Lisa-Marie Idowu ist selbst
Schwarze. Womit wir wieder beim Anfang wären: biber ist nicht wie andere
Medien.
Die Berichterstattung österreichischer Medien benötigt dringend
mehr „Diversity“. Derzeit können sich die meisten Journalisten nicht in das
hineinversetzen, was de facto Alltag vieler Österreicher ist: Diskriminierung
und Rassismus. „50 mal“ hat sich Wiener Politikerin Mireille Ngosso schon
in ihrem Leben gewünscht, Weiße zu sein. Und 10 mal wurde die SPÖ-
Mandatsanwärterin grundlos von der Polizei angehalten, erzählt sie im
Interview in Zahlen auf Seite 16. Eine Überleitung zu unserer großen Politik-
Reportage „Euer Schutz ist unsere Angst“ ab Seite 10: Hier erzählen drei
junge, österreichische Männer, wie sie Opfer rassistischer Übergriffe durch die
österreichische Polizei wurden und wie die Angst davor, stets der Sündenbock
zu sein, ihr Leben im Alltag verändert. Klar ist, auch die Polizei braucht mehr
Vielfalt.
Wer in dieser Schwarz-Weißen Welt den Wunsch nach blauem Himmel und
grüner Wiese verspürt, dem empfehlen wir unseren „Radl-Guide“ ab Seite 58.
Denn ein Sommer daheim muss mitnichten eintönig sein. Unsere Redakteurin
ist für euch die idyllischsten Touren rund um Wien abgefahren und empfiehlt:
Rauf auf den Sattel und ab ins Grüne. Dahoam is schee!
Habt’s einen sonnigen Sommer und treibt es bunt!
Bussis,
eure biber-Redaktion
Liebe LeserInnen,
© Zoe Opratko
Christian Fürthner
IMPRESSUM
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić
STV. CHEFREDAKTEUR:
Amar Rajković
CHEFiN VOM DIENST:
Aleksandra Tulej
LEITUNG NEWCOMER:
Amar Rajković & Aleksandra Tulej
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panic, Todor Ovtcharov, Jad Turjman
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Andrea Grman, Sophie
Kirchner,Jelena Pantić- Panić, Anna Jandrisevits, Hannah
Jutz, Jara Majerus
CONTENT CREATION, CAMPAIGN
MANAGEMENT & SOCIAL MEDIA
Aida Durić
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
Sommer, Sonne, Strand & Donau.
Wer in der lebenswertesten und grünsten
Stadt der Welt wohnt, muss nicht verreisen.
Der CopaBeach bei der Reichsbrücke
ist der perfekte Ort, um in Wien Urlaub
zu machen. Das Areal wurde einem
Rundum-Lifting unterzogen und erstrahlt
rechtzeitig zu Beginn des Sommers in
neuem Glanz. Sandstrände mit direktem
Wasserzugang, Liegewiesen und Bäume,
Nebelduschen und ein bunter Mix aus Gastronomie
zaubern pures Urlaubsfeeling in die
City – und das zum Nulltarif. Ein besonderes
Highlight ist der neue CopaBeach-Plaza-
Skatepark, geplant von Skaterinnen und
Skatern im Auftrag der Stadt.
Ob mit Rad, zu Fuß, den Öffis oder dem
Auto – der CopaBeach ist top angebunden.
Schaut vorbei!
REDAKTIONSHUND:
Casper
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21, Museumsplatz 1,
E-1.4, 1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at marketing@
dasbiber.at abo@dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
LEKTORAT: Birgit Hohlbrugger
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Zweitprüfung im 2. HJ 2018:
Druckauflage 85.000 Stück
verbreitete Auflage 80.700 Stück
DRUCK: Mediaprint
BEZAHLTE ANZEIGE
DER COPABEACH SORGT FÜR
URLAUBSFEELING IN WIEN
Adresse: CopaBeach Reichsbrücke,
U1 Station „Donauinsel“
SPÖ-Klubvorsitzender und
Gemeinderat Josef Taucher:
„Als Abgeordneter setze
ich mich dafür ein, dass die
Menschen in dieser Stadt ein
gutes und gesundes Leben
führen. Der öffentliche Raum
gehört uns allen!“
6 / MIT SCHARF /
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Ivan Minić
ZAHLST DU MIR, ZAHL’ ICH DIR
Zusammen oder getrennt? Eine Frage, die man von einem Kellner am
Balkan aber ganz bestimmt nicht hören wird.
Der Wiener und der Jugo haben vieles gemeinsam.
Schimpfen zum Beispiel. Frei nach Schnauze und in
genussvoller Manier. Im Wirtshaus mit dem Hawara
abhängen können beide auch wie die Weltmeister.
Zwei, vier, zehn Bier. Wer zählt da schon... Trinken
verbindet. Zumindest bis die Rechnung kommt. Spätestens
dann, wenn der Herr Ober nach „zusammen
oder getrennt?“ fragt und der Wiener sechs Euro
fünfundsechzig für seine zwei Seiterl aus dem Börserl
kramt, weiß der Jugo, dass er sich auf kulturell fremdem
Bezahl-Territorium befindet.
DEI’ BIER IS’ MEI’ BIER
Ein Kellner am Balkan fragt höchstens „Cash oder
Karte“, knallt die Rechnung auf den Tisch und wartet,
dass sich einer schon als Gastgeber angesprochen
fühlt oder die Gesellschaft die Zeche brüderlich unter
sich ausmacht. Da gibt es keinen Rechnungs-Separatismus.
Mei’ Bier is ned deppat. Die g’schissene
Rechnerei auf zwei Kommastellen aber schon. Wieso
also einen geselligen Abend mit einer arithmetischen
Fleißaufgabe enden lassen?
Wenn ich das getoastete Roastbeef-Sandwich mit pochiertem
Bio-Ei hatte, meine Freundin bloß mit einem
Saft zufrieden war, ja na natürlich kommen die 2,40,-
für ihren Obi gespritzt auf meine Quittung. Ist doch
Ehrensache. Und nicht weiter der Rede wert. Also in
meiner (Jugo)Welt.
ICH ZAHL! NEIN, ICH! WILLST DU MICH
BELEIDIGEN?!
Haben wir ähnlich viel konsumiert und sind beide vom
cucujkic@dasbiber.at
gleichen Bezahl-Schlag, folgt einem theatralischen Gerangel
um die Rechnung –„Wag es jaaa nicht, Kellner,
zu mir her, ich zahl’ das!“ - ein ebenso symbolischer
Akt des Aufgebens des Gegenübers. Wenn die Codes
klar sind, wissen im Grunde eh beide Trink-Parteien,
wer zahlen wird und wer die Bringschuld in jedem Fall
ehrenvollerweise das nächste Mal im Gasthaus zu erfüllen
hat. Die Sache ist ganz easy… But you have to
understand the game...
ZAHLST DU GETRENNT, KOMMEN WIR NICHT
ZUSAMMEN
Bei Dates, vor allem beim ersten bitteschön, sind die
Spielregeln für mich ganz klar. Der Gentleman übernimmt
die Rechnung und murmelt bitte kein schwitziges
„Mh, ähh, ah, wie machen wir das, darf ich dich
vielleicht einladen?“. Was heißt denn, darfst du? You
had one job! Mir fällt da schon kein Zacke aus der
Emanzipationskrone, wenn ich meinem Begleiter das
letzte Stückchen geschützten Raum männlicher Behauptung
überlasse. Wer sagt denn, dass ich als Gegenleistung
für die Pizza Cardinale mit ihm ins Bett
steigen muss? Das nennt man dann ja wohl anders,
aber sicher nicht Date. Wenn sich der vermeintliche
Traumprinz am Ende als Erbsenzähler erweist und lieber
nur sein eigenes Schnitzel bezahlt, schlägt die Liebe
eher auf den Magen. Wird die Rechnung getrennt,
kommen wir sicher nicht zusammen. Ich bin da vielleicht
zu old school oder zu Balkan. Den Blumenstrauß
lass’ ich mir ja auch schenken, sagt mein Mann. Wieso
nicht auch das Dinner. Also in meiner Welt ist das romantisch.
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EUER
SCHUTZ
IST
Hose runter, Hände hoch: Immer wieder
werden Schwarze Menschen Opfer von racial
profiling durch die österreichische Polizei. Der
Wille nach Veränderung wird stärker, doch
die Politik nimmt die Verantwortung nicht in
die Hand.
Text: Anna Jandrisevits, Fotos: Zoe Opratko
UNSERE
ANGST
„
Black Lives
Matter ist ein
Lifestyle.
“
Chuka
10 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 11
Zieh die Hose runter!“, hört
Mac den Polizisten mehrmals
brüllen. Er steht mitten im
Zug, alle Augen sind auf ihn
gerichtet. Er fängt zu weinen an und
schüttelt immer wieder den Kopf, es
ist eine demütigende Situation. Aber
der Polizist hört nicht auf zu schreien
und schließlich tut Mac es. Er zieht die
Hose und Boxershorts aus und lässt sich
auf Drogen abtasten, während andere
Reisende darauf warten, durchgehen
zu können und ihn anstarren. Mac war
auf dem Weg zu einem Festival, als die
Polizei ihn und seinen Freund im Zug
kontrolliert. Sie stellen das Zugabteil auf
den Kopf, leeren sein Gepäck aus und
versuchen sogar, seinen Radiorekorder
zu zerlegen. Sie finden nichts, aber
belassen es nicht dabei. Mitten im Zug
muss sich Mac ausziehen und wird am
Körper nach Drogen durchsucht. Er wird
schikaniert. Erst danach lassen sie ihn
gehen. Mac war damals 19 Jahre alt,
mittlerweile sind 14 Jahre vergangen.
Aber er erinnert sich, als wäre es gestern
gewesen.
Als George Floyd von einem Polizisten
ermordet wurde, zeigte man hierzulande
mit dem Finger auf die USA.
Racial Profiling und Polizeigewalt wurden
weitgehend als amerikanisches Problem
abgestempelt. Dabei ist die Polizei auch
in Österreich Teil eines von Rassismus
geprägten Systems, in dem wir alle
leben. Im Jahr 2019 gab es laut Bundeskriminalamt
317 Misshandlungsvorwürfe
gegen PolizistInnen, bei denen Anzeige
erstattet wurde. Die Anzahl der Vorfälle,
die nicht gemeldet wurden, ist unklar.
Während die Polizei propagiert, für die
Sicherheit der Gesellschaft einzustehen,
fühlen sich Schwarze Menschen vor
niemandem so unsicher wie vor PolizistInnen.
Und obwohl 50.000 Menschen
auf den Straßen Wiens demonstrierten,
bleibt es in der Politik weiterhin still. Das
Problem lässt sich jedoch nicht mehr
ignorieren, Black Lives Matter hat auch
in Österreich viel zu sagen. Drei Männer
erzählen ihre Geschichten und sprechen
darüber, was sich endlich ändern muss.
LEERE TASCHEN
Vor zwei Jahren wurde Chuka in der Längenfeldgasse
festgehalten. Der 24-Jährige
war auf dem Weg zum Bus, als
ein Polizeiwagen vorbeifuhr und abrupt
stehenblieb. Chuka sah kurz hin und ging
weiter, als er bereits von einem Polizisten
am Arm gepackt wurde. „Ich dachte
mir, ich hätte nicht hinschauen sollen“,
erinnert er sich. Die Polizei verlangte
seinen Ausweis und durchwühlte seine
Taschen. „Es hat sich angefühlt, als ob
sie etwas bei mir finden wollten. Es war
demütigend.“ Als Chuka fragte, wieso
er kontrolliert wird, meinte der Polizist,
sie hätten eine Personenbeschreibung
erhalten. Sie fahnden nach einem Nigerianer.
Solche von Racial Profiling geprägten
Kontrollen sind Alltag für Schwarze
Menschen in Österreich. „Wenn ich der
Polizei nicht sofort antworte, fragen sie
gleich, ob ich Deutsch spreche“, erzählt
„
Ich bleibe an Orten
wie dem Praterstern
nicht stehen.
“Mac
Lionel. Der 23-Jährige wird immer wieder
kontrolliert, vor allem am Gürtel. Bei
der U-Bahn-Station Josefstädterstraße
hat ihn die Polizei mehrfach aufgehalten,
er musste seinen Ausweis zeigen und die
Taschen leeren. Wenn er sich beschwert,
kommt es nur zu weiteren Problemen:
„Ich will, dass sie mich in Ruhe lassen.
Also mache ich, was sie von mir wollen.“
Auch Mac wird wöchentlich durchsucht,
weshalb er an manchen Orten bewusst
nicht stehen bleibt. Als müsse er als
Schwarzer damit rechnen, an Plätzen wie
dem Praterstern kontrolliert zu werden.
„Man könnte mich mit einer versteckten
Kamera am Praterstern hinstellen,
ich würde garantiert innerhalb von 20
Minuten kontrolliert werden. Und die
Leute sehen zu und denken, ich bin ein
Drogendealer.“ Es frustriert Mac, aber
er kooperiert. Ihm bleibe nichts anderes
übrig. Wenn man sich wehren würde,
wird es nur schlimmer.
WEISSE BLINDHEIT
Rassistisch motivierte Übergriffe der
Polizei begleiten Schwarze Menschen
in Österreich seit Generationen. In einer
Studie der Fundamental Rights Agency
aus dem Jahr 2018 wurden knapp 6.000
Schwarze Menschen aus 12 Ländern der
Europäischen Union zu ihren Erfahrungen
mit rassistisch motivierter Polizeigewalt
befragt. Österreich schnitt deutlich
schlechter als die meisten Länder ab:
63% der Befragten waren hierzulande
im Zeitraum eines Jahres Opfer von
Racial Profiling, 11% erlebten einen
körperlichen Übergriff durch die Polizei.
Die Zahlen sprechen für sich, trotzdem
verschließt ein Großteil der Gesellschaft
die Augen davor. Darüber zu reden hilft,
aber nicht mit jedem, sagt Lionel: „Die
Leute machen sich ihr eigenes Bild. Auch
wenn du Dinge erzählst, die dir passieren,
„
Die Leute
werten meine
Erfahrung ab.
“
Lionel
meinen viele, das kann gar nicht sein.
Sie werten meine Erfahrung ab.“ Die
Geschichten sind nicht Beweis genug.
Wer von strukturellem Rassismus nicht
betroffen ist, will oft nicht wahrhaben,
dass er existiert. Für viele bleibt Österreich
eine friedliche Traumwelt, in der es
keinen Rassismus gibt, schon gar nicht
bei der Polizei. Mac kann es nachvollziehen:
„Für Weiße wirkt es so, als wären
wir alle freie Menschen in einem freien
Land. Sie sehen die Blicke nicht, wenn
man in ein Geschäft reingeht. Sie sehen
das Kopfschütteln von älteren Menschen
nicht. Das Abchecken von oben bis
unten.“ Als Chuka ein Kind war, hat seine
Mutter ihm gesagt, dass er nicht so viel
Zeit mit den Jungs im Hof verbringen
soll. Er sollte in keine Probleme involviert
werden, in keine Schwierigkeiten geraten.
„Denn, wenn etwas passiert, bin ich der
Schwarze. Ich bin der Sündenbock.“ Bis
zu diesem Zeitpunkt hatte Chuka nicht
darüber nachgedacht, er war ein Kind.
Seine Mutter warnte ihn, um ihn zu schützen.
„Wenn ich heute daran zurückdenke,
wird mir bewusst, dass ich schon damals
gespürt habe, dass ich anders bin. Und
das spüre ich immer noch. Die Leute lassen
dich spüren, dass du anders bist.“
12 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 13
GEZOGENE WAFFE
Lionel war 20 Jahre alt, als er zum ersten
Mal merkte, dass die Polizei ihn anders
behandelt. Er war mit einem Freund im
Auto unterwegs, als der Reifen platzte
und die beiden in einen Verkehrsunfall
verwickelt wurden. Niemand wurde
verletzt und es passierte unmittelbar vor
einer Polizeistation. „Wir dachten noch,
wie praktisch das eigentlich ist.“ Die
Männer saßen noch im Auto, als PolizistInnen
aus der Station rannten und auf
das Auto zustürmten. Sie zielten mit der
Waffe auf Lionels Gesicht. „Sie haben
geschrien, dass ich meine Hände sichtbar
machen soll. Ich saß gefühlt ewig in
diesem Auto, mit der Waffe vor meinem
Gesicht. Ich stand unter Schock.“ Die
beiden mussten aussteigen, wurden
gegen die Wand gedrückt und schließlich
in Handschellen zur Polizeistation
gebracht. „Ich dachte, ich bin im falschen
Film. Erst in der Station ist mir bewusst
geworden: Wir wurden gerade verhaftet,
weil wir einen Autounfall hatten.“ Die
BeamtInnen redeten nicht mit Lionel und
fragten ihn erst nach einer Stunde, ob
sie die Rettung rufen sollten. „Ich habe
immer wieder gefragt, warum sie uns
festgenommen haben, aber niemand hat
mir geantwortet.“ Irgendwann ließen sie
Lionel und seinen Freund gehen. Als er
nach den Dienstnummern fragte, wiesen
die PolizistInnen ihn ab und rissen Witze.
Als Grund für die Festnahme nannte
die Polizei Verdacht auf Fahrerflucht.
„Es war ein Autounfall. Würden sie auf
jeden Autounfall mit gezogener Waffe
und Handschellen reagieren? Hätten sie
so reagiert, wenn zwei Weiße im Auto
gesessen wären? Ich glaube nicht.“
WENIGE BESCHWERDEN
Lionel wollte eine Beschwerde einreichen,
tat es aber nicht: „Ich dachte, das
bringt mich nur in weitere Probleme.
Es führt wahrscheinlich zu nichts.“ So
denkt die Mehrheit: Dem Verein ZARA
(Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit)
wurden 2019 75 rassistische Übergriffe
durch die Polizei gemeldet, aber in nur
fünf Fällen konnten formale Beschwerden
eingebracht werden. Der erhebliche
Kostenaufwand, die mangelnde Sicht
auf Erfolg und die Angst überwiegen bei
den meisten Betroffenen. „Viele denken:
Wenn ich jetzt zur Beschwerdestelle
gehe, habe ich mich beschwert und
vielleicht bekommt es jemand mit. Aber
morgen werde ich wahrscheinlich wieder
aufgehalten“, meint Chuka. Ab 2021
soll eine unabhängige Beschwerdestelle
Vorwürfe von Polizeigewalt prüfen. Das
Vorhaben ist im türkis-grünen Regierungsprogramm
enthalten. Unter dem
Titel „Gute Rahmenbedingungen für eine
moderne Polizei“ sieht die Regierung
eine „konsequente und unabhängige
Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen“
vor. Auch intern dürften manche PolizistInnen
auf einen Wandel pochen. So teilte
der Wiener Landespolizeivizepräsident
Michael Lepuschitz seinen KollegInnen
in einem Brief mit, dass die Polizeispitze
Misshandlungen nicht decken wird: „In
solchen Fällen enden Verständnis und
Schutz durch Vorgesetzte und Behörde.“
Chuka ist unschlüssig, ob sich etwas verändern
wird: „Es ist ein kleiner Schritt in
die richtige Richtung. Aber wir brauchen
viel mehr. Rassismus und Polizeigewalt
existieren seit Ewigkeiten, das kann
man nicht so einfach aus dem System
löschen.“ Für Veränderung bräuchte es
die Politik. Doch die lässt Schwarze Menschen
in Österreich im Stich.
POLITISCHE
VERÄNDERUNG
Ein Großteil der Black Community kann
sich weder mit einer Partei noch mit
ihren Forderungen identifizieren. Keiner
der Männer fühlt sich von der österreichischen
Politik repräsentiert. „Ich gehe
wählen, aber nicht um eine bestimmte
Partei zu unterstützen, sondern um
andere zu verhindern“, meint Lionel. Es
liegt vor allem an Black Lives Matter,
dass sich nun viele mit dem strukturellen,
systematischen Rassismus in
unserer Gesellschaft und der Polizei
auseinandersetzen. Der Aufruf zum
Widerstand kommt von keiner Partei,
sondern der Bewegung: Man protestiert,
informiert, spendet und unterschreibt,
wo immer es geht. „Black Lives Matter
ist nicht einfach eine Redewendung,
es ist ein Lifestyle“, so Chuka. Doch es
fehle an der politischen Unterstützung:
„Es gibt genug Menschen, denen das
Problem bewusst ist und die bereit sind,
etwas zu ändern. Aber wir brauchen eine
Partei, die diese Verantwortung in die
Hand nimmt.“ Die stv. Bezirksvorstherin
des Ersten Bezirks, Mireille Ngosso,
schlägt den selben Ton an: „Anti-Rassismus-Strategien
müssen endlich politisch
aufgegriffen werden.“ Es braucht eine
Partei, die nicht nur Veränderung umsetzen
kann, sondern auch will. Eine, die
die Geschichten jener repräsentiert, die
nicht gehört werden und für die Rechte
von Schwarzen Menschen in Österreich
eintritt. Nur so ließe sich Rassismus
bekämpfen. Und Chuka glaubt daran,
dass es möglich ist: „Wir haben nicht nur
die Hoffnung, dass sich etwas ändern
kann. Wir haben den Willen.“ ●
WAS SAGT DAS
MINISTERIUM?
Antworten von Christoph
Pölzl, Ressortsprecher des
Innenministeriums (BMI)
IntegrationsWochen
CORE
für die Auszeichnung in der Kategorie
PROJEKT DES JAHRES 2020
MELISA ERKURT
für die Auszeichnung in der Kategorie
MEDIEN 2020
MIGRANTS CARE
für die Auszeichnung in der Kategorie
WIRTSCHAFT UND ARBEIT 2020
BIBER: Wie viele Schwarze Menschen
wurden 2019 von der Polizei festgenommen?
CHRISTOPH PÖLZL: Vom Bundesministerium
Inneres werden keine Aufzeichnungen
zu Festnahmen von Menschen
einzelner Ethnien geführt. Eine derartige
Unterscheidung ist gesetzlich nicht
vorgesehen und würde überdies eine
Diskriminierung darstellen. Die Achtung
der Menschenwürde (§5) legt fest, dass
Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben
alles zu unterlassen haben, das geeignet
ist, den Eindruck von Voreingenommenheit
zu erwecken oder als Diskriminierung
auf Grund des Geschlechtes, der
Rasse oder Hautfarbe, der nationalen
oder ethnischen Herkunft, des religiösen
Bekenntnisses, der politischen
Auffassung oder der sexuellen Orientierung
empfunden zu werden. Entsprechend
gibt es auch disziplinarrechtliche
Konsequenzen nach dem Beamten-
Dienstrechtsgesetz, sollte ein Fehlverhalten
einer Beamtin bzw. eines Beamten
nachgewiesen werden.
Werden Vorfälle speziell ausgewertet,
wenn diese mutmaßlich rassistisch sind?
Vorfälle werden nur anhand von Sachverhalten
ausgewertet. Wenn Tatzusammenhänge
ein rassistisches Tatbild
erkennen lassen, dann werden die
zuständigen Organisationseinheiten
mit den Erhebungen und Ermittlungen
beauftragt und die Ergebnisse
der Staatsanwaltschaft berichtet. Das
Sicherheitspolizeigesetz (§89) sieht ein
besonderes Rechtsschutzverfahren zur
Überprüfung der Einhaltung von Richtlinien
vor der Dienstaufsichtsbehörde und
in weiterer Folge vor dem Landesverwaltungsgericht
vor.
Inwiefern arbeiten das BMI und die Polizei
mit NGOs zusammen, um rassistischen
Vorfällen vorzubeugen?
Die österreichischen Migrantinnen und Migranten gratulieren:
2020
MigAward
Im Programm des BMI „Polizei.Macht.
Menschen.Rechte“ wurde der Dialog
mit Vertretern der Zivilgesellschaft im
Hinblick auf menschenrechtlich relevante
Themen mit Berührungspunkten
zu Polizei, initiiert und institutionalisiert.
Zusätzlich gibt es hier das Bemühen um
eine weitere Intensivierung des Dialogs
insbesondere mit der Black Community.
Auf zentraler (BMI) und dezentraler
(Landespolizeidirektionen) Ebene wurden
Dialoggremien eingerichtet, in denen zu
menschenrechtlich relevanten Themen
mit Berührungspunkten zur Polizei
Empfehlungspapiere in einem partizipativen
Prozess erarbeitet werden. Auf
der Startseite des Intranets, das für alle
Angehörigen des Ressorts zugänglich ist,
findet sich das Handbuch der Agentur
der Europäischen Union für Grundrechte
mit dem Titel „Ethnic Profiling erkennen
und vermeiden“. Auch in der berufsbegleitenden
Fortbildung der Polizei
gewährleistet die Einbindung von externen
Menschenrechtsexperten und NGOs
einen hohen Standard der Bildungsmaßnahmen.
HEMAYAT
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BILDUNG UND SOZIALES 2020
ARMAN T. RIAHI
für die Auszeichnung in der Kategorie
PERSÖNLICHKEIT DES JAHRES 2020
WIENER LEBENSGESCHICHTEN
für die Auszeichnung in der Kategorie
GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE 2020
14 / POLITIKA /
Frau Ngosso, wie
oft wollten Sie
in Ihrem Leben
weiß sein?
Wie oft in
Ihrem Leben
haben Sie
in Ihrer
Anwesenheit
das N-Wort
gehört?
Wie oft in
Ihrem Leben
wurden Sie
von der Polizei
grundlos
angehalten?
Wie oft in Ihrem
Leben wollten
Sie nach Afrika
zurückziehen?
Wie viele
afrikanische
Länder können
Sie aufzählen?
In welchem
Jahr wird es
spätestens
eine Schwarze
Ministerin in
Österreich
geben?
Wie oft werden
Sie wöchentlich
auf Englisch
angesprochen?
Wie oft
wollen fremde
Menschen Ihre
Haare täglich
anfassen?
Wie oft in
Ihrem Leben
haben Sie sich
gewünscht,
weiß zu sein?
Interview in Zahlen:
In der Politik wird schon genug
geredet. Biber fragt in Worten,
stv. Bezirksvorsteherin der
Inneren Stadt Mireille Ngosso
antwortet mit einer Zahl.
100
10
0
42
(von 55)
2035
6
3
50
Von Amar Rajković
Fotos: Zoe Opratko
3 Mal täglich wollen wildfremde Menschen Ngossos
Haare anfassen.
10 Mal in Ihrem Leben wurde die Allgemeinchirurgin grundlos
von der Polizei angehalten.
Von 4 GenossInnen aus der Partei ist Mireille Ngosso
schwer enttäuscht.
„Do you speak German?“ – 6 Menschen sprechen die Austro-
Kongolesin wöchentlich in englischer Sprache an.
Wie oft haben
Sie einen
Kaffee mit
Parteichefin
Pamela
Rendi-Wagner
getrunken?
Von wie
vielen SPÖ-
PolitikerInnen
sind Sie
persönlich
enttäuscht?
Wie viel
Prozent wird
die SPÖ bei den
Wien-Wahlen
im Oktober
erzielen?
Auf einer Skala
von 1-100: Wie
viele Meter
links von der
Mitte stehen
Sie?
Auf einer Skala
von 1-100: Wie
viele Meter links
von der Mitte
steht SPÖ-Chefin
Pamela Rendi-
Wagner?
Auf einer Skala
von 1-100: Wie
viele Meter rechts
von der Mitte steht
Frauen- und Integrationsministerin
Susanne Raab?
Wie hoch ist die
Wahrscheinlichkeit
in Prozent, dass Sie
im Oktober als erste
afrikanischstämmige
Politikerin in
den Wiener Landtag
einziehen werden?
Wie viele
Stunden in
der Woche
arbeiten Sie
als Allgemeinchirurgin?
Wie viele
Nachtdienste
verrichten Sie
in der Woche?
Wie viel
Prozent der
Haushaltsarbeit
verrichtet Ihr
Mann?
0
4
40
100
80
50
80
40
2
30
16 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 17
WER IST FÜR DIE
GEWALT IN FAVORITEN
VERANTWORTLICH?
Nach den Ausschreitungen zwischen linken, vorwiegend kurdischen
Gruppierungen und rechtsextremen Grauen Wölfen im Wiener
Gemeinde bezirk Favoriten rätselt die Öffentlichkeit – wer ist schuld am
plötzlichen Ausbruch der Gewalt? Zwei unterschiedliche Antworten.
Mehrere Tage lang
herrschte Chaos im 10.
Wiener Gemeindebezirk.
Die Medien berichteten
über „faschistische türkische Gruppen”,
die „kurdische Demonstrant_innen”
angriffen. Es handelte sich hierbei
mehrheitlich um 15-19-jährige Teenager,
Jugendliche mit starkem Organisations-
sowie Aggressionspotenzial.
Innerhalb kürzester Zeit formierten sie
sich zu einem wütenden Mob und ließen
sich durch Provokationen manipulieren.
Ein Grund zur Sorge.
Auf der anderen Seite fanden
Demonstrationen statt, die spätestens
am zweiten Tag von der PKK (die in der
EU verbotene Arbeiterpartei Kurdistans)
Anhänger_innen für propagandistische
Zwecke unterminiert wurden. Dass
PKK Anhänger_innen als Kurd_innen
bezeichnet werden, zeigt, wie verzerrt die Darstellung in der
österreichischen Wahrnehmung ist. Denn viele Kurd_innen
sind selbst Opfer der PKK und fühlen sich nicht durch die
militante Linie dieser Organisation vertreten.
ZU LASCHER UMGANG MIT DER PKK?
Die Wiener Bevölkerung, die sich zu Recht keine Ausschreitungen
mitten in Wien wünscht, ist empört. Die Profiteur_
innen dieser Empörung sind vor allem rechtspopulistische
Parteien. Denn sie fühlen sich in ihrem Alarmismus gegenüber
„Ausländer_innen” bestätigt. Dies führt in weiterer
Folge zu einer nachhaltigen Störung des gesellschaftlichen
Klimas. Kurz vor den Wahlen könnten sie sich kein besseres
Ereignis herbei wünschen. Also zurück zur ursprünglichen
Frage: Wer ist schuld an der Eskalation?
Hakan Gördu, 36, ist Obmann der
Wiener Partei SÖZ und war beim
Geschehen vorort.
„Wenn Jugendliche nicht zu
uns kommen, dann müssen
wir zu ihnen gehen, ob in Shisha
Bars oder in Spielhallen.“
Sind es die Behörden, die der PKK
seit Jahrzehnten Demonstrationen
erlaubt haben?
Sind es die Jugendlichen, die in
vierter Generation noch nationalistischer
wurden, als es ihre Eltern jemals waren?
Sind es Menschen, die ihren Kampf aus
der Türkei auf dem Rücken einer hier
lebenden Minderheit austragen? Sind es
die rechten Politiker, die den Rassismus
schüren und somit Jugendlichen das
Gefühl der gesellschaftlichen Zugehörigkeit
nehmen? Sind es die Eltern, die
die Kontrolle über ihre Kinder verloren
haben? Sind es Vereine, die Jugendliche
nicht mehr erreichen? Sind es die
sozialen Zustände, die fehlende Bildung,
die Diskriminierung in Schulen und
in der Arbeitswelt? Oder die gänzlich
fehlende kultursensible Sozialarbeit für
türkische sowie kurdische Jugendliche?
Ich denke, es ist die Summe all dieser Faktoren. Vor
allem ist es unsere eigene Schuld, die Schuld der Erwachsenen,
die ihren Jugendlichen schon lange nicht mehr zuhören.
Wir brauchen wieder eine Verbindung zu den jungen
Menschen und dürfen uns nicht davor scheuen, neue Wege
zu beschreiten. Wenn Jugendliche nicht zu uns kommen,
dann müssen wir zu ihnen gehen, ob in Shisha Bars oder in
Spielhallen. Wir müssen ihnen das Vertrauen an die Gesellschaft
zurückgeben. Dies erfordert gezielte Jugendarbeit
und mehr staatliche Mittel für die Umsetzung tiefgreifender
Projekte.
Wenn wir es schaffen, diesen jungen Menschen eine
Perspektive für ihre Zukunft in Österreich zu geben, werden
sie verstehen, dass sie viel mehr sind als die vermeintlichen
Beschützer ihrer eigenen Nationalität!
© SÖZ, Ben Owen-Browne
Am 24. Juni wurde im
Wiener Favoriten die
Frauenkundgebung
des links-politischen
Migrant*innenvereins ATIGF attackiert.
Die Frauen wollten auf den Anstieg der
Morde an Frauen aufmerksam machen
und verbanden die Entwicklungen auf
globaler Ebene (Angriff des türk. Militärs
auf drei kurdische Aktivistinnen in Nordsyrien).
Diese Frauenkundgebung wurde
am Viktor Adler Markt von aggressiven,
wutgeladenen, gewaltbereiten Männern
gestört und attackiert. Die Frauen
mussten sich dann in ihre Vereinsräumlichkeiten
im Ernst Kirchweger Haus
(EKH) zurückziehen und stundenlang
auf Hilfe warten. Währenddessen
sammelten sich binnen kürzester Zeit
hunderte junge Männer, Anhänger der
Grauen Wölfe.
Am 25. Juni eskalierte die Lage. Der
Demonstration, die als Protest gegen
die männliche Aggression gegen die Frauenkundgebung am
Tag zuvor organisiert wurde, wurde mit einer Racheaktion am
Abend begegnet. Die jungen Männer versammelten sich zu
hunderten rund um das EKH. Sie gingen ins Gebäude hinein,
drohten den Bewohner*innen und Vereinsmitgliedern mit
dem Tod, zeigten Messer und andere Waffen, wogegen sich
die Menschen im EKH nur mit Sesseln und Fahnenstöcken zu
wehren versuchten. Mit „Allah-u Akbar!“ und „Recep Tayyip
Erdogan!“ Slogans drohten sie, das Gebäude anzuzünden.
Es handelt sich um die gleiche Gruppe aus Favoriten, die
heuer die 1. Maikundgebung am Keplerplatz provoziert und
attackiert hatte.
KOORDINIERTE PROVOKATION
Die Männer kommen aus Kreisen der türkischen Ultranationalisten
und diversen islamischen und islamistischen
Strömungen. Sie sind in den Vereinen dieser organisiert
und scheinen auch von dort aus mobilisiert zu werden. Das
Vorgehen war geplant: Zuerst werden Teenager und Minderjährige
vorgeschickt, um die Lage in der Demonstration
Zeynem Aslan, 34, ist Autorin,
Sozialwissenschaftlerin und
Expertin im Bereich Gender- und
Diversitätsmanagement. Auch sie
war vorort.
„Bei den gewaltsamen Ausschreitungen
handelt es
sich nicht um ein Integrationsproblem.
Wir haben ein
Faschismus-, Rassismus- und
Sexismusproblem!“
abzuchecken – im Anschluss kommen
ältere Männer, um Einzelpersonen zu
provozieren. Sie kommunizieren ständig
über ihr Handy Anweisungen. Kaum
erteilt die Polizei einen Platzverweis,
kommen die nächsten und umzingeln
die Veranstaltung.
Diese Männer, die die letzten Tage
Menschen mit dem Tod und Anzündung
des EKHs bedroht haben, sind
definitiv keine Opfer. Sie nehmen mit
ihren Handykameras Videos und Bilder
von Personen auf, die sich bei den
Antifaschismusdemonstrationen und
-kundgebungen beteiligt haben, und
schicken die Infos in ihren eigenen Reihen
durch. Sie verfolgen die Menschen
und schüchtern die ein, die zum Teil im
Bezirk selbst wohnhaft sind.
Tatsächlich ist die Haltung der
Polizei besonders fragwürdig gewesen.
Zum einen scheint sie sich über die
Dimension der Situation nicht im Klaren
zu sein und/oder degradiert bewusst rassistisch das Thema
pauschal zu einem „Kurden-Türken-Konflikt im Ghetto Favoriten“.
Es fehlen die interkulturellen und sprachlichen Kompetenzen.
Die jungen Männer erzählen, drohen und sagen auf
Türkisch ganz andere Inhalte und auf Deutsch versuchen sie,
die Polizei auf die eigene Seite zu ziehen. Sie machen den
Wolfsgruß und provozieren die Teilnehmer*innen von angemeldeten
Demonstrationen mit faschistischen Slogans. Die
Polizei argumentiert, dass sie stets de-eskalierend handelt.
Viele Menschen haben tatsächlich den Eindruck, dass die
Polizei wohl darauf gewartet hat, dass sich die sogenannten
Ausländer*innen allesamt gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Das Profil dieser jungen Männer ist ein aggressives,
autoritäres, gewaltbereites marginalisiertes Männerprofil. Bei
den gewaltsamen Ausschreitungen handelt es sich nicht um
ein Integrationsproblem, die gewaltbereiten, faschistischen
Männer sprechen allesamt gutes Deutsch. Es handelt sich
auch nicht um ein Ausländerproblem – Kurden gegen Türken.
Die Ausschreitungen zeigen vor allem eines auf: Wir haben
ein Faschismus-, Rassismus- und Sexismusproblem!
18 / MIT SCHARF /
/ MIT SCHARF / 19
TATEN STATT WORTE!
Struktureller Rassismus, Polizeigewalt und weiße Vorherrschaft – diese Schlagworte
sind seit George Floyds Tod omnipräsent. Es wird an der Zeit, Lehren für
die Zukunft zu ziehen. Dazu gehören: Schulbücher umschreiben, Einbindung von
Schwarzen Vereinen und mehr Repräsentation in Politik und Medien.
Von Vanessa Spanbauer
Ein Hashtag hat es die letzten Wochen
geschafft, ein Thema an die Oberfläche zu
wirbeln, welches sehr lange ignoriert wurde:
#BlackLivesMatter. Das Schwarzsein steht
eigentlich nie im Zentrum öffentlicher Debatten,
die in den Medien ausgetragen werden. Besonders
nicht in Österreich. Doch wie in Österreich
die Ermordungen von Marcus Omofuma
(1999) oder Seibane Wague (2003) zeigen,
haben wir mit dem selben Problem
zu kämpfen wie die Amerikaner.
Verurteilungen und Konsequenzen
gibt es bei Polizist*innen, die
Gewalt ausüben, in Österreich
ebenso wie in den USA selten
bis gar nicht. Schwarze
Menschen fordern auch
in unserem Land seit
Jahrzehnten einen anderen
Umgang der Polizei mit den
Themen Racial Profiling, Polizeigewalt
oder Fehlerkultur und Konsequenzen.
Es bleibt zu hoffen, dass die
zahlreichen Forderungen von Schwarzen
Menschen in der derzeitigen Situation
nicht weiter so ignoriert werden, wie sie es
leider seit Ende der 90er Jahren geschieht.
WEISSE MIGRANTEN >
SCHWARZE MENSCHEN
Die eigenen Privilegien erkennen, ist eine
weitere Forderung, die mittlerweile immer
mehr gestellt wird. Denn die weiße Mehrheitsgesellschaft
in diesem Land ist sich
meist nicht bewusst, welche Vorteile und
KOMMENTAR
Privilegien sie genießt. Weißsein wird nicht als Kategorie
wahrgenommen, denn besonders Manfred, Manuela,
Herbert, Lisa, Daniel und Anna bestehen darauf, als Individuum
wahrgenommen zu werden. Genau diese Menschen
schaffen es allerdings immer wieder, Menschen als
„die Anderen“, die Afrikaner*innen, die Migrant*innen
und vieles weitere zu definieren und in Gruppen
einzuteilen. Diese Gruppen werden oft mit
negativen Eigenschaften und Vorurteilen
behaftet, während weiße Menschen nur
als Einzelpersonen gesehen werden
wollen. Besonders Schwarze
Menschen werden meist in einen
Topf geworfen, da sie sich
äußerlich klar von einer weißen
Person unterscheiden.
Weiß zu sein und weiße Privilegien
zu haben, heißt nicht
gleich Österreicher*in sein.
Denn auch weiße Menschen, die
Migrant*innen sind, haben klare
Privilegien gegenüber Schwarzen
Menschen. Obwohl Diskriminierung
aufgrund der Herkunft, des
Namens und der Sprache ebenso
große Probleme sind, unterscheidet
sich diese Art der Benachteiligung
und Herabwürdigung ganz klar von
Anti-Schwarzem-Rassismus. Wenn man
Schwarz ist, ist es egal, ob eine Person
deinen Namen, deine Herkunft oder deine
Sprachkenntnisse kennt. Sobald du auf
die Straße gehst und gesehen wirst, wirst
du in eine Schublade gesteckt.
Das Privileg des Weißseins gipfelt
© Helena Wimmer, Vernes Lahloh, Keith Tyler
noch in einem weiteren Thema, das endlich angesprochen
werden muss, nämlich die White Supremacy, auf
Deutsch „weiße Vorherrschaft“. Eine weiße Grundordnung,
von der weiße Menschen profitieren. Seit Jahrhunderten.
Es gibt weiße Menschen, die klar dafür kämpfen,
dass diese Ordnung bestehen bleibt. Jedoch sind die
meisten weißen Menschen nicht so klar rassistisch, sondern
achten einfach nicht drauf, dass die gesamte Welt
sie als herrschende Gruppe sieht und alles nach ihren
Bedürfnissen und Wünschen auslegt. Deswegen ist es
auch so wichtig, nicht in den „ich sehe keine Farben, für
mich sind alle gleich“ Ansatz zu verfallen, den viele weiße
Menschen, die sich als nicht rassistisch sehen wollen,
für sich gewählt haben. Es ist zwar im Gedanken schön,
wenn eine Person keinen Unterschied sieht und absolute
Gleichberechtigung will, aber mit diesem Ansatz leugnet
diese Person in der Realität gleichzeitig die Unterschiede,
die fehlenden Privilegien und die Diskriminierung, die
viele nicht-weißen Menschen täglich erleben. Geleugnet
wird dabei auch die Struktur, die es weißen Menschen
erlaubt, in allen Machtpositionen zu sein und ohne Zutun
als Norm, also als „Normalität“ gesehen zu werden.
Diese Machtposition spiegelt sich klar in Bereichen wie
dem Bildungssystem, den Medien und der Politik wider,
wo diskriminierende und rassistische Bilder von Schwarzen
Menschen immer noch dazugehören. In all diesen
Bereichen gibt es zahlreiche Forderungen zu Veränderung
und Projekte von Schwarzen Menschen, die hier etwas
verändern wollen.
SCHWARZE MENSCHEN
IN SCHULBÜCHERN
Durch #BlackLivesMatter stehen
all diese Schlagworte plötzlich auf
Schildern und Bannern, die teilweise
auch selbstkritische, reflektierte weiße
Menschen in die Luft halten. Genau
dahin sollen wir als Gesellschaft kommen,
denn egal welche Forderungen
Schwarze Menschen auch stellen,
solange die weiße Mehrheitsgesellschaft
nicht mitmacht, kann keine
notwendige Veränderung geschehen.
Die bereits seit Jahren im Raum
stehenden Forderungen beziehen sich
zum Beispiel auf mehr Repräsentation
in der Politik und Medienwelt mit einer
klaren Reduktion der kriminalisierenden
und erotisierenden Darstellungen
von Schwarzen Menschen in diesen
Bereichen. Sie beziehen sich ebenso
auf ein adäquates Afrikabild und
eine angemessene Darstellung von
Schwarzen Menschen in Schulbüchern
und dem gesamten Bildungsbereich
Vanessa Spanbauer wurde 1991 in Wien
geboren und ist Journalistin und Historikerin.
Seit 2016 ist sie Chefredakteurin
des Magazins fresh – Black Austrian Lifestyle
und seit 2019 im Redaktionsteam
des feministischen Magazins an.schläge.
Weltweit zeigen sich junge Menschen bei
#BlackLivesMatter Protesten solidarisch.
und einer Untersuchung und Entfernung von diskriminierenden
Inhalten in diesen Sektoren. Außerdem wird seit
Jahren auf die immer noch stark ausgeprägte Diskriminierung
gegen Schwarze Menschen bei der Wohnungs- und
Jobsuche aufmerksam gemacht, die
mit Hilfe von klaren Maßnahmen und
Schulungen adressiert werden muss.
Für die Polizei wurden, wie oben
bereits erwähnt, seit Jahren zahlreiche
Forderungen gestellt, die derzeit
neu veröffentlicht werden und sich
hier für eine klare Einbeziehung von
Schwarzen Vereinen in die Ausbildung
und Fehlerkultur der Exekutive
aussprechen.
Möglicherweise kommen in dem
Text Begriffe vor, die nicht jeder
Person bekannt sind. Suchmaschinen,
Podcasts und Bücher schaffen hier
Abhilfe, diese Begriffe und Konzepte
zu verstehen. Obwohl diese Begriffe
für viele Menschen neu erscheinen,
gibt es seit Jahrzehnten Schwarze
Menschen, die diese Themen – sehr
oft gratis - immer wieder erklären.
Deshalb ist es so wichtig, endlich
zuzuhören und aufzuhören, die Augen
und Ohren zu verschließen. Denn die
Forderungen sind da, nehmt sie endlich
auch wahr. ●
20 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 21
DAS SCHWARZE WIEN
Abseits der „Black Lives Matter“-
Proteste bestreitet Wiens Schwarze
Community größtenteils unbemerkt
ihren Alltag. Damit ist jetzt Schluss!
Die Journalistin Lisa-Marie Idowu
zeigt biber ihr Schwarzes Wien.
Fotos: Zoe Opratko
AFRIKANISCHER
GOTTESDIENST
Religion und die Schwarze Kultur sind stark miteinander
verwoben. Der starke Glaube eint und
beflügelt. Messen lassen kein langweiliges Stöhnen
in der Community ertönen, sondern sind
das spirituelle und gesellschaftliche Highlight
der Woche. Denn hier werden nicht monotone
Sprechchöre gehalten, sondern gesungen,
getanzt und gefeiert. Aber auch der Zusammenhalt
ist sehr stark – man versucht einander
zu unterstützen und die Community zu stärken.
Reverend Nganga John Njenga ist Priester der
englischsprachigen, afrikanischen und katholischen
Gemeinde und hält für die Community
Messen ab. Er ist nicht nur ein gläubiger,
sondern auch geduldiger Mensch: „Das Motto
unserer Messen ist ‚We don’t have the watches,
we have the time.‘ Wir lassen den Priestern für
ihre Predigten Zeit. Wir schauen nicht auf die
Uhr und warten darauf, dass der Gottesdienst
bald vorbei ist. Denn wir wissen, dass jede*r
einen anderen Punkt aus der Predigt mitnimmt.
Auch aus diesem Grund verlässt niemand nach
der Messe schnell die Kirche – ganz im Gegenteil.
Die Leute verbringen noch gemeinsam Zeit
in der Kirche, musizieren, tanzen und feiern.“
Obwohl der größte Teil der Kirchengänger aus
Westafrika kommt, lädt der Reverent Gläubige
aller Länder zu sich in die Messe ein: „Bei uns
sind alle Menschen willkommen, wir kennen
keine Grenzen. Die einzige Voraussetzung, die
wir haben, ist, eine englischsprachige Messe zu
verstehen.“
Im Gottesdienst geht es musikalisch zu.
Die englischsprachige, afrikanische und
katholische Gemeinschaft, der der Reverend
Nganga John Njenga vorsteht, hält ihre Messen
sonntags um 11:15 in der Pfarrkirche
Auferstehung Christi in der Siebenbrunnenfeldgasse
22–24, 1050.
22 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 23
AFRIEUROTEXT
Bücher von Schwarzen Autor*innen oder mit
starkem Afrika-Bezug sind in Österreich leider noch
immer Mangelware. Wer Texte und Bücher von
Maya Angelou, Richard Wright oder Audre Lorde in
Wien kaufen will, sucht lange. Und meist vergebens.
Die Initiative AFRIEUROTEXT mit der gleichnamigen
von Daniel Romuald Bitouh geleiteten Buchhandlung
will das ändern und lädt fast täglich zum Diskurs
ein. Ziel ist, die Hauptanlaufstelle für Personen zu
sein, die mehr über die afrikanische Kultur erfahren
möchten und sich engagieren wollen: „Studierende
kommen zum Recherchieren oder mit dem Wunsch,
eine Feldforschung in Afrika durchzuführen. Binationale
Familien kommen meist gemeinsam
her, um Kraft zu tanken oder Kindern mehr über
die Wurzeln ihrer Familie zu zeigen. Dies können
Bücher, Vorträge aber auch das Heranführen an
afrikanische Sprachen sein wie Bambara, Susu oder
Wolof“, nennt Bitouh die vielfältigen Gründe, in sein
Bücherreich im zweiten Bezirk einzutauchen.
Wer wirkliches Interesse an einem bestimmten
afrikanischen Land und der Kultur hat, Lust auf ein
anregendes Gespräch verspürt oder ein entspanntes
Verweilen in angenehmer Atmosphäre sucht, ist
absolut richtig in der AFRIEUROTEXT Buchhandlung.
Jeder Besuch ist ein einzigartiges Erlebnis, ein Eintauchen
in die lang ersehnte Heimat, ein Erforschen
der eigenen Wurzeln.
Farbenfroheit und Mut zum Mustermix sind bei Barbara Alli Trend.
HAND MADE
STORY
by Barbara Alli
Fashion ist ein fester Bestandteil der
Schwarzen DNA. Was nie aus der Mode
kommt, sind afrikanische Stoffe und
Muster. Sie pimpen jedes Outfit mit einer
besonderen Portion „Roots“ auf und ziehen
die Aufmerksamkeit auf sich. Traditionelle
afrikanische Kleidung zu bekommen
ist jedoch kein leichtes Unterfangen –
auch nicht in einer Großstadt wie Wien.
Geschäftsfrau, Model und Sängerin Barbara
Alli versucht mit ihrem Shop „Hand
Made Story by Barbara Alli“ diese Lücke
zu schließen. „Die Idee für den Shop kam,
nachdem ich nach Wien gezogen bin. Ich
hatte schreckliches Heimweh und fragte
mich, wie ich meine Heimat zu mir bringen
könnte“, erinnert sich Alli. Ihre Kunden
wollen entweder ein Stückchen Heimat
mitnehmen oder neugierig in eine neue
Kultur eintauchen.
Headwraps, Dresses, Accessoires
oder Hemden – wer ein Stückchen Afrika
bei sich tragen will, ist bei Barbara Alli
in den richtigen Händen. Mit den coolen
Afrobeats, der wunderbaren Stimmung
und der stylishen Mode will man den Shop
auch gar nicht mehr verlassen.
WO?
Lassallestraße 20, 1020.
https://www.afrieurotext.at/
Afrikanische Literatur wurde in Wien lang vernachlässigt.
WO?
Wiedner Landstrasse 25, 1040.
handmadestory.at
24 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 25
MAYA’S
AFRO STYLE
Haare und Hairstyles sind für die Schwarze Kultur
unfassbar wichtig – und mit Schwarzem Haar
umzugehen ist eine Kunst. Umso schwieriger ist
es, Frisör*innen zu finden, die sich damit auskennen.
Mayamisse Soura ist eine davon. Egal ob
Braids, Weave oder ein Schnitt – Maya kann das
alles mit links. Die gebürtige Burkinerin übt seit
über 16 Jahren ihr Handwerk aus und besitzt seit
vier Jahren ihren eigenen Afro Shop. „Ich denke,
dass es mehr Salons wie meinen geben sollte, die
sich auf die Haare Schwarzer Menschen spezialisieren.
In der heutigen Gesellschaft werden
Afro-Haare noch immer als ‚nicht schön‘ oder
‚befremdlich‘ angesehen“, so Soura. Aufgrund der
freundlichen Atmosphäre kommen mittlerweile
Kunden von afrikanischen wie auch lateinamerikanischen
Ländern, sowie Schwarze und weiße
ÖsterreicherInnen zu ihr in den Salon.
Lust auf eine neue Frisur oder eine Haarberatung
bekommen? Egal ob Afrohair, lockiges oder
glattes Haar – bei Maya bist du an der richtigen
Adresse.
LUKOIL
immer in Bewegung.
ImPulsTanz Dance Contest 2016, Yankalle Filtser © Karolina Miernik
WO?
Gumpendorferstraße 69, 1060.
www.mayasafrostyle.com
26 / RAMBAZAMBA /
Kund*innen mit verschiedensten Haartypen kommen in Mayas
Salon, um sich die Haare flechten zu lassen.
Gemeinsam mit dem ImPulsTanz Festival bewegt LUKOIL im Sommer ganz Wien.
So tanzen wir draußen und gratis – Public Moves im Juli und August!
www.impulstanz.com
Lukoil Anz ImPulsTanz Festival biber MP3-3.indd 1 19.05.20 10:00
AFRICAN
MEAT JOINT
am Brunnenmarkt
Zur Autorin:
Lisa-Marie Idowu ist in Graz
geboren, lebt seit sechs Jahren
in Wien und hat ihre Wurzeln
in Nigeria und Österreich. Sie
hat ihren Bachelor in Publizistik-
und Kommunikationswissenschaften
absolviert
und schließt momentan ihren
Master in Media- und Kommunikationsberatung
ab. Als freie
Journalistin setzt sie ihren
Schwerpunkt auf feministische
Themen, Diversität und Rassismus.
Ihr Text ist daher auch
gendergerecht mit * verfasst.
Ihr Blog ist unter lissiix.wordpress.com
zu finden. Auf Social
Media ist sie unter lissi_ix zu
finden.
Afrikanisches Essen ist Geschmack, Schärfe und
Liebe. Es wird in großen Mengen serviert, damit die
ganze Familie auch richtig satt wird. Im Mittelpunkt
der Speisen steht meist eine Zutat: Fleisch. Der ultimative
Hotspot, um das buchstäbliche Herz deiner
„Pepper Soup“ oder deines „Stews“ zu bekommen,
ist der African Meat Joint am Wiener Brunnenmarkt.
„Die meisten meiner Kund*innen kommen aus Nigeria,
Ghana und anderen afrikanischen Ländern“, verrät
mir der Besitzer Yusif Sunday. Der Unterschied
beim Einkaufen ist schnell erklärt: „Afrikaner*innen
kaufen viel und große Mengen – egal ob es Ziege,
Rind, Lamm oder Innereien sind. Ganz wichtig ist für
sie, dass das Fleisch von uns nochmals zerkleinert
wird, damit sie es gleich für Stew oder eine Suppe
verwenden können. Nicht-Afrikaner*innen kaufen
nur ein bestimmtes Stück Fleisch.“
Ob Rindfleisch für Meat Pies, Huhn zum Jollof
Rice (Reisgericht aus Westafrika) oder Ziegenfleisch
für Egousi Soup (nigerianische Suppe aus gemahlenen
Melonenkernen) – am African Meat Joint findest
du genau das und viel mehr. Kleiner Tipp am Rande:
Genau hinter dem Stand kannst du im Laden noch
Okra, Plaintain oder Yam kaufen, um deine Gerichte
zu vollenden.
WO?
Brunnenmarkt, Nähe Thaliastr., 1160 Wien
Im African Meat Joint bekommt man Ziegenfleisch und andere
Spezialitäten.
Polizei. Mehr als ein Beruf.
Wichtige Aufgabe. Beste Ausbildung. Spannende Herausforderung. Vielfältige Chancen.
Starker Teamgeist. Kein Tag wie jeder andere. Mehr Freiheit. Mehr Sicherheit für Österreich.
Wir sind dabei. Du auch? Bewirb dich. Jetzt.
Entgeltliche Einschaltung des Innenministeriums
28 / RAMBAZAMBA /
Mehr über deine Karriere bei der Polizei auf
polizeikarriere.gv.at
/ MIT SCHARF / 29
KEIN KIND?
Sie haben nichts gegen sie, sie wollen nur keine haben: Kinder. Doch Frauen ohne
Kinderwunsch werden nicht akzeptiert und als „unnatürlich“ abgestempelt. Über
den Wunsch nach Sterilisation, den Vorwurf des Egoismus und die Absprache der
Mündigkeit: Vier Frauen erzählen von ihren Beweggründen und darüber wie es
ist, stetig im Kreuzverhör zu stehen.
Text: Hannah Lea Jutz, Illustrationen: Linda Steiner
DIE SPINNT!
Barfuß gehe ich durch eine
Blumenwiese. Es duftet
nach Frühling und eine
leichte Brise wirbelt mir die
Haare ins Gesicht. Ich blicke nach unten
und erschrecke. Statt meiner Füße sehe
ich plötzlich einen runden, gewölbten
Bauch. Schweißgebadet wache ich auf.
Ich sitze kerzengerade in meinem Bett,
atme schwer und greife mir panisch an
den Bauch. Nur ein Traum. Gottseidank.
Was für viele ein Lebensziel ist, ist für
mich der absolute Albtraum. Ich will keine
Kinder. Sie überfordern mich. Sie sind
laut, haben zu viel Energie und brauchen
immer Aufmerksamkeit. „Du bist noch
jung, das kommt schon noch“, „Das
kannst du doch nicht sagen!“, oder „Warum
denn nicht?“ sind Sätze, die ich mir
anhören muss, wenn ich erzähle, dass
ich keine Kinder will. Eigentlich sollte es
egal sein, warum ich und andere Frauen
sich gegen Kinder entscheiden. Ob wir
das aus finanzieller Instabilität, einem
fehlenden Partner oder der Fokussierung
auf Ausbildung und Beruf bestimmen.
Ich sollte nicht rechtfertigen müssen,
dass ich zu jenen Frauen gehöre, die
mitunter dem Klima zuliebe keinen Nachwuchs
in die Welt setzen möchten. Denn
mit meinen 21 Jahren bin ich Teil der
Generation, die am stärksten vom Klimawandel
betroffen sein wird. Wie soll es
da erst meinen Nachkommen ergehen?
Laut einer schwedischen Studie spart der
Verzicht auf ein Kind mehr als zehnmal
so viel CO2 wie der auf ein Auto. Motive
für ein kinderfreies Leben gibt es viele.
Letztlich habe ich einfach kein Bedürfnis,
eines zu bekommen. Und damit bin ich
nicht allein.
SYSTEMFEHLER
Rojda * ist heuer dreißig geworden,
verheiratet und kinderlos. Sie kommt
aus einer kurdischen Gastarbeiterfamilie
und ist Migrantin in zweiter Generation.
„Für mich war es, wie für viele andere
Frauen in der Community, eine Selbstverständlichkeit,
dass ich irgendwann
Kinder habe.” In ihrer konservativen
Familie gehören Kinder zum Leben dazu.
„Meine Eltern haben immer gesagt ‘Erst
wenn du selbst Kinder hast, wirst du
mich verstehen.’ Dieser Satz hat mich
geprägt. Und er macht mir Angst. Er
war wie eine Entschuldigung für Fehler,
die sie in der Erziehung gemacht haben.
Deswegen fürchte ich mich davor, ein
eigenes Kind zu erziehen. Man kann so
viel falsch machen.”
In den letzten Jahren standen
bei Rojda Studium und ihre Arbeit im
Kunst- und Kulturbereich im Vordergrund.
„Kinder waren für mich einfach
nicht präsent. Wenn man einen Partner
und einen sicheren Job hat, fragen die
Leute aber irgendwann: ‚Und, wie sieht’s
aus?‘”. Solche Aussagen stören sie. “Nur
Frauen bekommen diese Frage gestellt.
Es ist aber eine Entscheidung, die man
gemeinsam mit dem Partner treffen
muss.” Rojdas Mann will keine Kinder.
Zumindest nicht in dem System, in dem
die beiden leben. Ihr geht es ähnlich.
„Ich habe keine Lust, das Kind in den
Kindergarten zu bringen, arbeiten zu
gehen, es wieder abzuholen und dann
für jedes Wochenende dankbar zu sein.”
30 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 31
Rojda fühlt sich von den Strukturen in
Österreich benachteiligt. Für sie würde
sich durch faire Karrieremöglichkeiten
und ein gerechteres Karenz- und Teilzeitarbeitssystem
viel ändern. „Ich will nichts
aufgeben müssen. Selbst wenn man
den perfekten Partner hat, trägt man als
Frau viel mehr Verantwortung. Es muss
normal sein, Männer mit Kindern am
Spielplatz zu sehen. Auch außerhalb von
Neubau und Mariahilf.”
DIE LÜCKE IM GESUND-
HEITSSYSTEM
Für Ina war immer schon klar, dass sie
keine Kinder will. „Ich habe nichts gegen
Kinder. Ich will nur keine eigenen.“
Im Februar hat sich die Psychologin
sterilisieren lassen. Mit 29 Jahren. Nach
jahrelanger Verhütung mit und ohne
Hormonen, jeweils mit starken Nebenwirkungen,
war es die einzige Methode,
die für sie noch in Frage kam. „Dass ich
mich irgendwann sterilisieren lassen
will, wusste ich schon vor zehn Jahren.
Ich habe mir immer gedacht, dass das
langfristig sinnvoll ist und meinen Körper
nicht unnötig mit Hormonen belastet.“
Da eine Sterilisation laut österreichischem
Gesetz erst ab 25 erlaubt ist, war
es für Ina länger kein Thema. „Entweder
man erklärt eine Person mit 18 für
mündig oder nicht. Ich verstehe nicht,
dass das Gesetz bei der reproduktiven
Selbstbestimmung einen Unterschied
macht.“ Mit 24 wurde die Sterilisation
wieder aktuell: „Zuerst habe ich lange im
Internet recherchiert und praktisch nichts
gefunden. Viele Ärzte haben mir gesagt,
dass sie es nicht bei Frauen unter 35 und
mit weniger als zwei Kinder vornehmen
würden.“ Ihr eigener Gynäkologe konnte
den Eingriff nicht durchführen, da er in
Krankenhäusern mit christlichem Träger
operiert.
SELBSTBESTIMMUNG
STATT BEVORMUNDUNG
Elke Graf leitet das Ambulatorium
„pro:woman“, eine der wenigen Anlaufstellen
für Frauen mit Sterilisationswunsch
in Wien. „Uns ist wichtig, dass
Frauen autonom und selbstbestimmt
entscheiden und ihnen das auch zugemutet
wird. Wir verstehen uns als Feministinnen
und Feministen.” Sie sieht das
Gesetz ebenfalls kritisch. „Das Alterslimit
ist nicht legitim und es gibt keine rechtliche
Grundlage. Den Gesetzgeber geht es
nichts an, ob man Kinder will oder nicht,
das ist eine unzulässige Bevormundung.”
Neben dem Gesetzgeber würden auch
viele Ärzte die Selbstbestimmung von
Frauen untergraben. „Da man keinen
Arzt verpflichten kann, den Eingriff zu
machen, ist es eine Haltungsfrage. Viele
Ärzte sind noch von der alten Schule
und denken, sie wissen es besser als
die Frauen selbst.“, so Graf. Sterilisation
und Vasektomie rentieren sich langfristig
und sind „die sichersten Verhütungsmethoden,
die es gibt.“ Die Sterilisation
rückgängig zu machen, ist schwierig
und selten erfolgreich. “Zu uns kommen
kaum Frauen, die diesen Wunsch haben.
In den letzten fünf Jahren war es vielleicht
eine.”
WENN DER KÖRPER DAS
MACHT, WAS FRAU WILL
Vor einem Jahr trennt sich Ina von ihrem
sterilisierten Freund und kontaktiert nach
längerer Suche eine Praxis in Wien. Hier
wird ihr anfangs gesagt, wie jung sie ist
und ob sie es nicht mit einer anderen
Methode versuchen möchte. „Ich erkläre
meine Situation und Gründe gerne,
aber ich will mich nicht rechtfertigen
müssen. Am Ende des Tages ist es die
Entscheidung der betroffenen Person.“
Sie entscheidet sich für die komplette
Entfernung der Eileiter. „Ich wollte etwas
Endgültiges.“ Nach einem Beratungsund
einem Aufklärungsgespräch kam
nach der Anästhesie der OP-Tag. „Man
wünscht sich diesen Eingriff so lange, da
war kein Hauch von Unsicherheit, sondern
nur Erleichterung. Es war stimmig
und ich habe mich gefreut.“ Nach der OP
ruft Ina ihre Mama und engsten Freunde
an. „Von meiner Familie und Freunden
bin ich immer unterstützt worden, auch
weil ich sehr offen mit dem Thema
umgegangen bin.“ Nervige Kommentare
gab es trotzdem: „’Jede Frau will mal ein
Kind’ und ‘das ändert sich noch’ habe ich
am häufigsten gehört.” Seltener wurde
ihr Egoismus vorgeworfen. “Wobei ich
nicht glaube, dass die Leute heutzutage
noch Kinder kriegen, um ihre soziale und
wirtschaftliche Versorgung im Alter zu
gewährleisten. Sie wollen Kinder, so wie
ich eben keine will.“ In solchen Situationen
wünscht sich Ina mehr Offenheit für
Lebensmodelle, die nicht den eigenen
Vorstellungen entsprechen. In Inas Vorstellung
gehörte die Sterilisation zu ihrem
Leben dazu. „Das Größte ist für mich die
Selbstbestimmung über meinen Körper,
meine Fruchtbarkeit oder in dem Fall
meine bewusst gewählte Unfruchtbarkeit
und mein Leben. Mein Körper macht jetzt
das, was ich mir wünsche.“
EINE ENTSCHEIDUNG
FÜRS LEBEN
„Mit vierzehn habe ich zum ersten Mal
gesagt, dass ich keine Kinder will“,
erzählt Lisa. Die Autorin ist 55 und hat
bewusst ein kinderfreies Leben gewählt.
„Ich mochte schon als Kind keine Kinder.
Wenn ich in den Hof zum Spielen
gegangen bin, hab ich gewartet bis sich
alle schleichen“, lacht Lisa, die in der
Steiermark aufgewachsen ist. Später
erfährt sie, dass sie hochsensibel ist
und sehr empfindlich auf Lärm reagiert.
„Ich brauche viel Freiraum und Ruhe.
Ich muss immer die Möglichkeit haben,
wegzukommen.“ Viele aus Lisas Umfeld
sagten, es müsse erst der Richtige
kommen, dann würde sie schon Kinder
wollen. „Wenn es der Richtige ist, wird
er mich nicht damit belasten, habe ich
dann entgegnet.“ Seit zehn Jahren ist
Lisa mit ihrer Partnerin Moni zusammen,
inzwischen sind die beiden verheiratet.
Zuvor hatte sie immer Beziehungen mit
Männern, bei denen sie früh abgeklärt
hatte, dass Kinder kein Thema sind:
“Mittlerweile bin ich in einem Alter, in
dem man mich in Ruhe lässt. Es würde
auch körperlich nicht mehr gehen.”
SELBSTVERWIRKLI-
CHUNG ABSEITS VOM
KINDER KRIEGEN (ODER
LISA ZUERST)
Rojda kann sich aktuell nicht vorstellen,
ein Kind zu haben. „Ich glaube auch
nicht, dass sich das in den nächsten
Jahren ändert. Ich will mir aber die Möglichkeit
offen lassen und mich nicht auf
eine Meinung festlegen.“ Gelegentlich
gibt es Kommentare von ihrer Mutter,
wie schön es doch wäre, Enkelkinder
zu haben. Direkte Fragen aber keine.
„Es ist nicht mehr so, wie es früher war.
Das Familienkonzept, wie sie es kennen,
verändert sich. Sie werden mit meiner
Entscheidung zu kämpfen haben, aber
sie werden sich damit abfinden müssen.“
Für viele Menschen bedeuten Kinder
Selbstverwirklichung. Nicht aber für
Rojda und ihren Partner: „Wir wollen aus
dem kapitalistischen Stadtleben aussteigen
und in einer Selbstversorgerkommune
neu anfangen. Das bedeutet auch, die
Familienplanung erstmal hinter uns zu
lassen.“
Die Familie, die sich Lisa aufgebaut
hat, ist nicht blutsverwandt mit ihr. „Auf
meine Wahlfamilie kann ich mich aber
genauso verlassen.“ In der Coronakrise
half sie ihren kinderlosen Nachbarn,
fehlende Pflege von den eigenen Kindern
war für sie nie Thema. „Das würde ich
gar nicht wollen. Die Leute sagen immer,
es ist egoistisch, wenn man keine Kinder
will. Ich finde es egoistisch, Kinder aufzuziehen
und dann von ihnen zu erwarten,
dass sie sich um einen kümmern.“
Vor acht Jahren hielt sie zum ersten Mal
ein winziges Baby in der Hand: “Ich hatte
so Angst, dass es runterfällt. Es war auch
entzückend und lieb, aber für mich kann
ich mir das einfach nicht vorstellen.” Mit
Kindern von Freunden kommt sie gut
aus, ist aber auch froh, wenn sie wieder
heimkommt. An ihrem Leben würde Lisa
nichts ändern. „Mit Kind hätte ich mein
Leben komplett anders leben müssen.
Meine Persönlichkeit wäre anders. Ich
will von niemandem abhängig sein.“
FREIHEIT VOR BABY
Auch ich wollte schon als Kind möglichst
unabhängig sein. Laut meiner Mama
habe ich meine Baby-Born Puppe regelmäßig
liegen lassen und mich allgemein
nicht sonderlich gut um sie gekümmert.
Wahrscheinlich werden das also meine
einzigen Erfahrungen als Mutter bleiben.
Und das ist in Ordnung. Familienplanung
ist schließlich ein Menschenrecht. Jede
soll für sich selbst entscheiden, wie
diese Familie aussehen soll. Ein fehlender
Kinderwunsch mag für viele unverständlich
und für einige unnatürlich sein.
Doch glücklich sein geht auch - und für
manche Frauen nur - kinderlos. ●
* Name von der Redaktion geändert.
STERILISATION
BEI DER FRAU
Bei der Sterilisation werden die
Eileiter entweder mit Clips abgeklemmt,
durchtrennt oder komplett
entfernt. Die Clips-Methode
ist das einfachste Verfahren, aber
auch das, bei dem es - trotz sehr
geringer Wahrscheinlichkeit - am
ehesten zu einer Schwangerschaft
kommen könnte. Vor der
Sterilisation gibt es kostenlose
Beratungstermine, diese sind
jedoch nicht verpflichtend. Seit
30 Jahren bietet pro:woman die
Sterilisation mit Clips an, der Eingriff
kostet 1400 Euro. Auch die
beiden anderen Methoden liegen
preislich zwischen 1400 und 2000
Euro, müssen aber im Krankenhaus
durchgeführt werden. Die
Kosten zahlt frau selbst. “Leider
übernimmt das keine Kasse und
auch keine private Versicherung.
So wie überall im Verhütungsbereich”,
erklärt pro:woman Leiterin
Elke Graf. Den Eingriff rückgängig
zu machen ist sehr aufwendig und
funktioniert nur mikroskopisch.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die
Eileiter erfolgreich verbunden
werden, ist gering. Die Sterilisation
ist ebenso wie der Schwangerschaftsabbruch
kein Teil der
gynäkologischen Facharztausbildung.
32 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 33
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Landwirten, die diese Milch für McDonald’s liefern.
100% Milch aus Österreich – wir machen’s und nennen das die
McDonald’s Machhaltigkeit. www.machhaltigkeit.at
© Marko Mestrovic, GLOV, it cosmetics, Ana Bilic
MEINUNG
Gut gealtert?
Darf man noch Friends schauen?
Oder How I Met Your Mother und
Two And A Half Men? Shows, die
vor zehn Jahren noch jeder gefeiert
hat, werden heute mit einem Naserümpfen
kritisch beäugt. Die Witze,
die damals als raffinierte Comedy
angesehen wurden, findet heute
halt keiner mehr lustig. Oder, um es
zeitgerecht auszudrücken: Problematisch.
Sexismus und Rassismus
sind in vielen beliebten TV-Shows
der Nullerjahre so stark vertreten,
als stünden sie als fixe Bestandteile
im Drehbuch. Nur dass es damals
halt keinem aufgefallen ist. Mir
auch nicht. Heute denke ich mir bei
gewissen Szenen einfach nur: Cringe
Alert. Der Zwiespalt zwischen Nostalgie
und dem unbequemen Gefühl
ist da. Das unbequeme Gefühl siegt.
Weil: Die Nostalgie wird bald durch
neue Shows ersetzt - die mit einer
anderen Art von Humor und Witz
siegen. Ich beneide die Jugend
von heute, die mit „Elite“ und „Sex
Education“ aufwächst. Bei Sendungen
dieser Art wird man nämlich mal
sagen können: Gut gealtert.
tulej@dasbiber.at
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Von Aleksandra Tulej
BYE BYE,
STÖRENFRIEDE
Ich als jemand, der mit genetischen
Augenringen des Todes
gesegnet ist, und somit als selbsternannte
Concealer-Koryphäe
habe immer dasselbe Problem:
Wenn ein Concealer gut deckt,
verwischt er nach zwei Stunden.
Wenn er nicht verwischt, deckt er
genau gar nicht.
„Bye Bye under Eye“ von IT Cosmetics
deckt wirklich verdammt
gut. Er setzt sich allerdings nach
ein paar Stunden in den Falten
ab - das tut bei mir aber jeder
Concealer. Dennoch: Mich hat
die ganze Woche schon keiner
gefragt, ob ich krank oder müde
bin, was normalerweise im
Schnitt dreimal am Tag passiert.
Bye Bye anstrengende Kommentare.
Und die nerven mehr als
Augenringe. It Cosmetics, 26 €.
Dein neuer Roman „Mein
Name ist Monika“ erzählt
auf eine heitere Art und
Weise eine eigentlich
ernstere Geschichte – es
geht um die Hürden und
Herausforderungen, mit
denen eine junge Frau
mit Migrationshintergrund
konfrontiert wird. Woher
hattest du die Idee, diese
Thematik zu behandeln?
Ich bin selbst eine Frau
mit Migrationshintergrund
und kenne viele Aspekte,
die ein solcher „Status“
mit sich bringt. Ich lebe
seit 25 Jahren in Österreich,
mein Herkunftsland
ist Kroatien.
Ist es nur die Geschichte
einer einzelnen Person, oder steht Monika
Abgeschminkt
Abschminken nur mit Wasser? Fast:
Den GLOV-Handschuh mit warmem
Wasser nass machen, dadurch wird
die elektrostatische Wirkung der
Mikrofasern aktiviert. Das Make-up
bleibt im Handschuh, den man danach
wieder auswäscht. Mein Fazit: Ziemlich
flashig das Ganze. Das Make-up verschwindet
wirklich wie von selbst und
der Handschuh fühlt sich angenehm
auf der Haut an. Ein Nachteil ist aber
das mühsame Auswaschen, das man
sich bei herkömmlichen Abschminkprodukten
spart. Ich gehe
mich jetzt bei meinem
abgeschminkten Spiegelbild
für dieses
Gejammere
auf Höchstniveau
beschweren.
GLOV-
13,90 €.
für dich stellvertretend für
andere junge Frauen, die
3
eine ähnliche Geschichte
FRAGEN AN: haben?
In Monikas Geschichte
Ana Bilić
Autorin
können sich vermutlich
viele junge Frauen
„Mein Name ist Monika“
wiedererkennen: Sie ist
Single, auf der Suche nach
einer ganz „normalen“
Beziehung, was ihr aber
nicht gelingt. Das hat mit
ihrer Stärke als Person zu
tun – sie ist alles andere
als ein bescheidenes stilles
„Weibchen“.
An wen richtet sich das
Buch?
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/ LIFESTYLE / 35
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WIR SIND
BODY-POSITIVE.
Sie haben behaarte Rücken, dünne Oberschenkel, einen löchrigen
Bart und sind 160 cm groß. Body-Positivity ist in aller Munde – aber
gilt sie auch für Männer? Die biber-Models Cedric, Sahil, Ernan,
Denis, Alex und Damir finden: „Jeder Mann ist anders und das soll
auch gezeigt werden.“ Hier kommen die Badehosen-Trends 2020
abseits von Sixpacks und glattrasierten Brustmuskeln.
FOTOS: Julie Brass
TEXT: Emiliy Zens und Magdalena Zimmermann
PRODUKTION: Ivana Cucujkić-Panić
CASTING: Emiliy Zens und Magdalena Zimmermann
STYLING: Mirza Sprecaković
MODELS: Alex, Denis, Ernan, Damir, Sahil, Cedric
LOCATION: Eventhotel Pyramide, www.eventhotel-pyramide.com
36 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 37
Endlich passt die Welt – und der Werbeslogan. In der
neuesten Kampagne des Dessous-Herstellers Palmers
präsentieren Frauen mit rundem Popo, vollen Hüften,
kleineren und größeren Brüsten die neue Bikini-Mode. Body
Positivity at its best. Auch ein „Person Of Colour“-Model ist
vertreten. Gut gemacht, möchte man loben. Und doch, eine
leise Stimme empört sich. Sie gehört einem Mann. „Warum
dürfen Frauen in der Modewerbung nun ,echt‘ aussehen, den
Männern wird allerdings weiterhin der Waschbrettbauch abverlangt
– sogar als Mid-Ager mit grauen Haaren?“.
Stimmt. Denn der einzige Herr zwischen den Palmers-Nixen
sieht aus, wie alle männlichen Bademoden-Models aussehen,
ob alt oder jung: Breite Schultern, braune Haut und dazu ein
makel- und haarloses Waschbrett als Bauch. Diese Schieflage
kann man auch auf der H&M-Website
abrufen: Während die Bikini-Mode ganz
im Trend von Body Positivity präsentiert
wird, ist Körper-Diversität in der Badehosenwelt
nicht vorhanden. Da reiht sich
ein muskulöser Jüngling an den anderen.
Ist Body Positivity bei Männern also kein
Thema?
MÄNNERKÖRPER ALS
MANGELWARE
Der eigene Körper soll so akzeptiert werden,
wie er ist. Dabei muss er nicht dem
von der Gesellschaft und der Modewelt
diktierten Schönheitsideal entsprechen.
Das ist die Grundidee der Body Positivity
Bewegung. Durch Hashtags wie
#allbodiesarebeautiful und #embraceyourcurves
hat die Bewegung in den letzten Jahren auch auf
Instagram hohe Wellen geschlagen. Dabei zeigt jedoch nur
einer kleiner Teil der fast fünf Millionen Posts unter dem Hashtag
#bodypositivity Männerkörper.
Das ist bereits auf die Ursprünge der Bewegung zurückzuführen.
Das, was wir heute „Body Positivity“ nennen, entstand
in der ersten Feminismus-Welle zwischen den Jahren 1850
und 1890. Damals legten die Frauen ihre Korsette ab, um
gegen die ihnen aufgezwungenen Körperideale zu demonstrieren.
Auch 100 Jahre später sind es noch Frauen, die den Ton
innerhalb der Debatte angeben. Im Fokus steht die Normalisierung
von dicken Körpern, alltäglichen Körperfunktionen wie der
Menstruation sowie Körperbehaarung. Große Modehäuser wie
Zara und H&M greifen genau das auf und verzichten auf das
Retuschieren ihrer Models. Sucht man nun dort nach einem
neuen Bikini, sieht man auch Frauen mit Dehnungsstreifen oder
Hängebrüsten. Das ist richtig und wichtig. Aber warum endet
die Diversität in Badehosenkampagnen bei Sixpacks in unterschiedlichen
Hauttönen?
TOXISCHE KÖRPERIDEALE
Immerhin betrifft Body Positivity auch Männer. In der Gay-Community
gibt es bereits verstärkt Ansätze, ein anderes Männerbild
als das von Adonis zu bewerben. Laut des Body Image
Reports von 2019, durchgeführt von der britischen Mental
DER MANN
IST DRAN.
Warum Body Positivity
bei Männern längst
mehr Thema sein sollte.
Von Emily Zens und
Magdalena Zimmermann
Health Foundation, hat ein Drittel der befragten queeren Personen
Selbstmordgedanken aufgrund ihres Erscheinungsbildes.
Demzufolge leiden Männer sexueller Minderheiten vermehrt
unter toxischen Körperidealen. Body Positivity soll dem entgegenwirken
und zeigen, dass die sexuelle Identität nicht von
einem athletischen Körper definiert wird.
Den Druck, den perfekten Körper zu erreichen, erleben
auch heterosexuelle Männer. Muskulöse Arme, die einen
beschützen. Einen weichen, aber trotzdem durchtrainierten
Bauch, an den man sich kuscheln kann. Körperbehaarung bitte
nur an den richtigen Stellen – Gott bewahre vor dem Rücken.
Und vor allem, größer als die Frau solle der Traummann bitteschön
sein. Die Plattformen der sozialen Medien sind voll
mit Influencern, durch deren Adern nicht nur Blut, sondern
auch haufenweise Eiweißshakes fließen.
Der erfolgreichste Fitness-Influencer
Österreichs – Johannes Bartl – zählt 1,9
Millionen AbonnentInnen auf Instagram.
Dort teilt er mit seinen FollowerInnen
Trainingsroutinen sowie Ernährungstipps
für einen perfekt gestählten Körper, ganz
ohne Aufputschmittel. Im Zuge unserer
Recherche sprechen wir Männer auf ihr
„Körpergefühl“ bei einer Straßenumfrage
in Wien an. Darunter ist der 19-jährige
Dario, der sich aus Selbstschutz von Instagram
abmeldete: „Ich wollte genauso
aussehen wie die Sportler. Das hat mich
extrem gestresst.“ Wer dem Druck nicht
entkommt, legt sich unters Messer. Im
Vergleich zum Vorjahr haben sich 2019
die Zahlen der operativen Eingriffe bei
Männern verdoppelt. Auf den ersten Plätzen liegt hier die
Fettabsaugung, wie der Verein der Deutschen Ästhetisch-Plastischen
Chirurgie angibt.
ABNEHMGEDANKEN UND DIÄTPLÄNE
SIND NICHT FEMINISTISCH
Bei Frauenkörpern ist Body Positivity mittlerweile so verbreitet,
dass „frau“ unnormal ist, wenn sie etwas an sich selbst
kritisiert, anstatt es hinzunehmen. Die 20 Kilo, die während
der Schwangerschaft dazugekommen sind, hat man zu lieben.
Abnehmgedanken und Diätpläne sind nicht feministisch. Die
Männermodels des biber-Shootings hingegen geben ehrlich
zu, was sie gerne an sich ändern würden. „Eine Haartransplantation“
kann sich Ernan vorstellen, „10kg weniger“ wünscht
sich Damir. Das zu sagen fällt ihnen leicht. Sie stehen zu sich
und sind selbstbewusst, wenn es um ihre vermeintlichen Makel
geht. „Schlimmer ist es, wenn man etwas haben will, aber
nicht bekommen kann“, so Cedic.
Die Körper der biber-Adonisse sind klein, haarig, dünn oder
dick. Die Fotos, die wir von ihnen gemacht haben, könnte man
genauso gut in der Zara-Werbung zeigen wie das hundertste
Sixpack. Body Positivity sollte endlich auch in der Männerwelt
Einzug finden. Damir, Sahil, Cedric, Ernan, Alex und Denis sind
die body-positive Vielfalt, die wir uns wünschen. ●
Denis, 24
Was magst du an dir?
Meine Augen. Für die bekomme
ich auch die meisten
Komplimente.
„Vor fünf Jahren habe ich
beschlossen, abzunehmen.
Ich habe mich selbst nie so
übergewichtig gesehen, wie
ich es war. Sechs Monate
später hatte ich schon 40kg
weniger. 2018 habe ich
dann eine Bauchstraffung
durchführen lassen. Ich
musste die Kosten dafür
selbst übernehmen. Jetzt
trainiere ich regelmäßig und
halte mein Gewicht konstant.
Es ist ein tolles Gefühl,
etwas für sich selbst zu
tun.“
Denis trägt:
Short von Just Cavalli custom made
Socken von COS: 7,00 Euro
Sneaker von Nike: 104,95 Euro
38 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 39
Damir, 32
Was magst du an dir?
Ich mag mein Gesicht und ich
bekomme viele Komplimente
für meine schlanken Beine.
„Dass jeder Mann wie ein
Model aussieht und ein Sixpack
hat, ist nicht die Wahrheit.
Jeder sieht anders aus
– am besten so, wie er sich
wohlfühlt. Früher habe ich
in der Bundesliga Basketball
gespielt, da war ich sehr
schlank. Seitdem sind ein
paar Kilos dazugekommen.“
Cedric, 33
Was magst du an dir?
Ich mag meine Augen irrsinnig
und mein Gesicht.
„Ich war früher Model und
merke jetzt, nachdem ich
ein paar Kilo zugenommen
habe, wie mich die Menschen
anders wahrnehmen.
Jetzt wirke ich eher
vertrauensstiftender und
sanfter als früher. Zu einem
bestimmten Körper gehört
auch immer ein bestimmter
Lebensstil, daraus entsteht
auch ein anderes Wesen.“
Damir trägt:
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Cedric trägt:
Sonnenbrille von Smith: 199 €
Hemd von H&M: 9,90 €
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40 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 41
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Ernan, 23
Was magst du an dir?
Eindeutig meine Waden. Die
sind austrainiert und schön.
Die f
leischlo
s e Kolumne von Zina Sayed
„Ich habe eine große Nase
und buschige Augenbrauen.
Ändern würde ich nichts
daran, weil man dadurch
sieht, dass ich vom Balkan
komme. Ich würde bloß
gerne etwas abnehmen,
um mich einfach wohler zu
fühlen.“
Schöner als Döner
Salome Dorner
KEINE
ERBSENZÄHLEREI
Sahil, 20
Was magst du an dir?
Meine Brust und meinen
Bauch. Vor allem, dass sich
nichts daran ändert, egal wie
viel ich esse oder trinke.
Nach den letzten Quarantänemonaten graut es wahrscheinlich
sogar Langzeitstudenten vor Pasta. Insbesondere, wenn
doch „low carb“ seit einiger Zeit schon unter den beliebtesten
Ernährungstrends steht. Deswegen habe ich für alle,
die Nudeln lieben, und trotzdem im Schnelldurchlauf zum
Sommerbody kommen wollen einen ganz besonders heißen
Tipp: Die Erbsenpasta von „More Than Pasta“ – erhältlich bei
Spar Gourmet. Damit schlägt man nämlich gleich zwei Fliegen
mit einer Klappe: Den Hunger auf Nudeln stillen, bei erhöhter
Eiweißaufnahme. Durch die Erbsen haben die Nudeln einen
etwas süßlicheren Geschmack. Kombiniert mit den herben
Geschmäckern von frischem Rucola, Rotkraut oder Radieschen
entfalten sie ihr volles Potential. Dazu empfehle ich ein
köstliches Dressing aus Sauerrahm, Feta, Olivenöl, Chili und
einem Schuss Zitrone – und die sommerliche Verführung ist
komplett. Der Salat eignet sich hervorragend als Mittagsproviant
für’s Büro – oder als leckeres Mitbringsel zum Picknick im
Park. So wird aus low carb keine Erbsenzählerei mehr.
Mahlzeit!
„Aufgrund meiner Größe
von 1,60 m hatte ich noch
nie einen Nachteil. Außer
bei den Klamotten, da nervt
es manchmal. Andererseits
zahle ich weniger, weil ich
Sachen aus der Kinderabteilung
tragen kann.“
Präsentiert von
Ernan trägt:
Badeshort von Colmar: 76,46 €
Sahil trägt:
Short von H&M: 9,90 €
42 / RAMBAZAMBA /
„Perfektion ist nur ein Marketing-Gag.“
Das sagen die ExpertInnen zu Body Positivity bei Männern.
Alex, 26
Was magst du an dir?
Meine Waden.
„Wir haben uns alle schon so
daran gewöhnt, dass wir nur
Männer mit Sixpacks in der
Werbung sehen. Ich hatte
eine Phase, in der ich mehr
Muskeln haben wollte, aber
es hat über Monate hinweg
nichts funktioniert. Jetzt bin
ich zufrieden mit meinem
Körper.“
Alex trägt:
Short von H&M: 39,90 €
Socken von COS: 7,00 €
44 / RAMBAZAMBA /
„Männer sind verletzlich“
Interview mit Romeo Bissuti, Psychologe
und Leiter des Männergesundheitszentrums
MEN
Ist Body Positivity bei Männern ein Thema?
Männer sind genauso verletzlich, wenn ihnen
gesagt wird, ihr Körper sei nicht gut genug.
Es ist aber kein Zufall, dass die Auseinandersetzung
von Body Positivity bei Männern so
weit hinterherhängt. Das Sprechen über sich
selbst ist riskant, man macht sich angreifbar.
Männer reden über körperliche Themen auch
nicht so häufig wie Frauen.
Warum gibt es zwischen den Geschlechtern
einen solch gravierenden Unterschied?
Männer haben das Privileg, dass sie nicht von
der Gesellschaft gezwungen werden, sich mit
ihrem Körper auseinandersetzen zu müssen.
Am Körper der Frau werden hingegen ganze
gesellschaftliche Diskurse ausgetragen, angefangen
bei Diäten, über das Kopftuch bis hin
zu Mutterschaft. Der männliche Körper reicht
hingegen, wenn er männlich ist.
Wie gehen Sie im Männergesundheitszentrum
damit um?
In Workshops für Burschen ab 13 Jahren
zeigen wir, wie sich das Idealbild männlicher
Körper verändert hat, angefangen bei der
Frisur bis hin zum Körperbau. Wir schaffen
für die teilnehmenden Jugendlichen erstmals
einen Raum, über ihren Körper zu sprechen.
Das machen wir in Schulen und Jugendeinrichtungen.
Welche Reaktionen kommen?
Die Jungs merken, wie absurd manche Idealbilder
sind, egal ob breitschultrig oder muskulös,
weil die meisten Männer dem gar nicht
entsprechen können. Daran würde auch eine
OP nichts ändern. Schon 14-Jährige gehen
mehrmals wöchentlich ins Fitnessstudio. Ein
absurdes Phänomen, wenn man bedenkt,
dass man in diesem Alter noch gar nicht
sämtliche Muskelgruppen aufbauen kann,
die die Burschen bei Älteren sehen. Diese
Hypersexualisierung wird ausgelöst durch den
Druck sozialer Medien oder Zeitschriften.
© Kristian Bissuti
© Vrinda Jelinek, Martin Darling, Shereen Deen, Xenia Trampusch
Roberta Manganelli,
Managing Director Stella
Models
„Die Werbung
soll
ein Spiegel
der breiten
Gesellschaft
sein. Body Positivity bei Männern
ist sozial gesehen längst
notwendig. Bereits 2004 fanden
unterschiedlichste Frauen
in der „dove“ Kampagne
ihren Platz in der Werbebranche.
Bei den Männern geht
diese Entwicklung schleppender
voran, wohl auch
weil sie weniger über Körper
sprechen. In der Modewelt
werden andere ästhetische
Ansprüche gestellt und nicht
erwartet, dass sich jeder darin
wiederfindet.“
bmlrt.gv.at
Julian Wiehl, Chefredakteur
von Vangardist Magazine
„Bereits
2016 hatten
wir die Ausgaben
„ugly“
und „fat“, in
denen wir
Menschen zeigten, die man
sonst nicht in Modestrecken
sieht. Es ist schwer, solche
Menschen zu finden, die sich
vor die Kamera trauen. Es ist
also ein Teufelskreis: Es gibt
gesellschaftliche Normen,
wie man auszusehen hat und
Menschen lassen sich nur
ablichten, wenn sie diesen
Normen entsprechen. Interessant
ist aber, dass Themen
wie Body Positivity oder Fat
Shaming bei uns am besten
geklickt werden.“
Umsatzsteuer senkung in
der Gastronomie auf 5 %
Marko Mestrović, Werbeund
Fashion-Fotograf
„Bei Werbefotos
entsprechen
Männer
immer Stereotypen.
Agenturen können sich gar
nicht vorstellen, dass auch
ein festerer Typ Werbung
fürs Radfahren machen kann.
Dickere spielen dann entweder
den Bauarbeiter oder
essen gerne. Es sind immer
ähnliche Typen im gleichen
System, so erkennen sich
Männer nicht selbst in der
Werbung wieder.“
Christl Clear,
Lifestyle Bloggerin
„Wenn es
nach mir ginge,
würden
wir dieses
Bodypositivity-Movement
abhaken und gleich mit der
Body-Neutrality weitermachen.
Das würde bedeuten,
dass wir unsere Körper so
hinnehmen, wie sie sind.
Unser aller Leben wäre so
viel leichter. Egal welchen
Geschlechts, egal welcher
Sexualität. Denn es gibt
immer etwas am eigenen
Äußeren, das nicht „perfekt“
scheint. Dabei ist Perfektion
nur ein Marketing-Gag, der
uns oftmals den Spaß an der
Sache nimmt.“
BIlD: © BMlRT/pIxaBay
Um Gastronomie- und Tourismusbetriebe schnell und spürbar zu entlasten,
senkt die Bundesregierung die Umsatzsteuer bei allen Speisen sowie alkoholfreien
und alkoholischen Getränken auf 5 %. Erfasst sind alle gastgewerblichen
Betriebe sowie Schutzhütten und Buschenschänke. Der ermäßigte Steuersatz
wird für den Zeitraum von 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 gelten.
Weitere Informationen unter: www.sichere-gastfreundschaft.at
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TRIP & TRAVEL
Einmal um die ganze Welt
Andrea Grman
Gewinnspiel
DAS WICHTIGSTE
WORT AUF REISEN
Wie sich Zuhause
wirklich anfühlt
„Reisen ist, zu Orten zurückzukehren, wo
du früher gelebt hast. In einem anderen
Leben“, sagt mir meine Freundin. „Sobald
du ankommst, weißt du, dass du zuhause
bist.“ Wir sehen uns gemeinsam den Sonnenuntergang
an. Die Wolken am Horizont
färben sich orange.
Papageien fliegen
über unseren Köpfen
vorbei. Alles hier
wirkt wie im Film –
du weißt schon, wie
einer dieser kitschigen
Hollywood-
Filme mit Happy
End und so. Sie hat
mich zum Nachdenken
gebracht. So
ist das also. Dann
muss ich wohl schon
viele Leben geführt
haben.
Ich habe einige Länder
besucht, die sich
wie zuhause angefühlt
haben. Dort bin
ich geblieben – bis
mich die Wanderlust
wieder eingeholt hat
und ich weiterzog.
Dann packte ich meine sieben Sachen
und reiste weiter. Doch mein Zuhause
ist kein Ort. Mein Zuhause trage ich
immer mit mir mit. Es ist ein Gefühl,
eine Tätigkeit, eine Vorfreude. Es ist klein
und passt in eine grüne Stofftasche. Mein
Zuhause riecht nach Leder und Schweiß,
aber ich habe mich so an diesen Geruch
gewöhnt, dass es genauso riecht wie ein
Zuhause eben riechen soll. Mein Zuhause
sind ein Paar Tanzschuhe, schon ziemlich
abgetragen und alt, aber voller Stories.
Meine Schuhe erzählen Geschichten von
meiner letzten Weltmeisterschaft in China,
von langen Tanzabenden auf den Stränden
Barcelonas, von Tanzstunden in Rwanda,
von einer der größten Karnevalfeiern der
Welt in Trinidad. Sie erzählen von bunten
Kostümen und zerbrochenen Glasflaschen,
von unzerbrechlichen Beziehungen und
atemberaubenden Sonnenaufgängen über
den Dächern dieser
Welt.
Keine Ahnung,
wo ich jetzt ohne
meine ständigen
Wegbegleiter wäre
und was ich wohl
gerade tun würde.
Bestimmt nicht
in der Karibik am
Strand liegen. Es ist
mehr als Tanzen. Es
ist dieses Vertrauen,
dass es mir
gutgehen wird und
dass ich Gleichgesinnte
finde – egal,
wohin es mich verschlägt.
Mit einem
Paar Tanzschuhe im
Handgepäck kann
man einfach nichts
falsch machen.
Ich reise nicht, ich tanze um die Welt. grman@dasbiber.at
Vorgeschmack für die
nächste Reise
„Wer unlösbare Probleme hat, der
wird spirituell, der muss nach Indien.
Wer keine hat, der findet sie.“ Andreas
Brendt fand im Land der Gegensätze
und Gurus nicht nur Probleme,
sondern viele kuriose Gestalten, die
seine Reise ereignisreich und sein
Buch lesenswert machen. Kein Detail
wird in der Schilderung ausgelassen,
und sei es noch so unangenehm.
Indien war bereits vor der Lektüre von
„Ganesha macht die Türe zu“ weit
oben auf meiner Next-to-Reiseliste,
ist jetzt allerdings definitiv auf Platz 1
gerückt. Wenn du für den Sommerurlaub
– sei es diesmal auch nur auf
Balkonien – frisches Lesematerial und
Reiseinspiration suchst, schick mir
ein Mail an grman@dasbiber.at. Mit
etwas Glück gehört das Buch dir!
DESTINATION:
WOHNZIMMER-COUCH
So wie es aussieht, werden wir
ausgefallene Reisepläne noch etwas
weiter in die Zukunft verschieben
müssen. Das ist allerdings kein
Grund, die Schönheiten dieser Welt
zu verpassen. Zahlreiche Museen,
Naturparks und Destinationen weltweit
liefern Virtual-Reality-Erlebnisse
und Videos, die es uns ermöglichen,
direkt von der Couch aus zu reisen.
Das ist nicht nur hygienischer, sondern
auch eindeutig günstiger als ein
Flug um die halbe Welt.
© Christoph Liebentritt, Adrian Almasan, Conbook Verlag
Foto: Getty Images
Jetzt Wohnung
digital suchen
Mehr als 60 Prozent der Wienerinnen und Wiener leben heute in einer Gemeindewohnung oder einer geförderten
Wohnung. Die Eintrittskarte zum städtischen Wohnungsmarkt ist das Wiener Wohn-Ticket, mit dem man sowohl
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46 / REISE /
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MEINUNG
Dear Class of 2020
Die diesjährigen AbsolventInnen von Schulen
und Universitäten dürfen ihren Abschluss
aufgrund der Pandemie leider nicht groß
feiern. Es gibt allerdings ein kleines Trostpflaster:
In einer virtuellen Abschlussfeier auf
YouTube hielten Michelle und Barack Obama
mit vielen Stars emotionale Reden für die
„Class of 2020“. Und so hielt auch Beyoncé
eine Rede, die ich allen empfehlen werde,
die sich je unsicher, verloren oder unmotiviert
fühlen. Die Künstlerin fasste in knapp
zehn Minuten zusammen, worauf es bei
Erfolg ankommt. Etwa darauf, sich selbst zu
respektieren, Misserfolge als Motivation zu
sehen und nie aufzuhören, an sich selbst zu
arbeiten – gerade in Zeiten wie diesen. „Es
hatten nicht genug schwarze Frauen Platz
am Tisch, also musste ich Holz fällen und
meinen eigenen Tisch bauen. Dann lud ich
die Besten ein, um Platz zu nehmen“, meinte
Beyoncé und beweist einmal mehr, dass es
schwer, aber möglich ist, eine rassistische
und sexistische Branche zu verändern. Man
kann nicht nur Möglichkeiten für sich selbst,
sondern auch für andere schaffen. So sollen
alle, die keine Chance auf der großen Bühne
bekommen, ihre eigene Bühne schaffen. Und
wer bereits auf der Bühne steht, nutzt seine
Stimme für jene, die keine Stimme haben.
Veränderung beginnt mit uns. Und wie es
Beyoncé perfekt zusammenfasst: „Ihr seid
alles, was die Welt jetzt braucht.“
jandrisevits@dasbiber.at
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Anna Jandrisevits
48 / KARRIERE /
FOMO
(„FEAR OF MISSING OUT“)
WAR GESTERN!
Sommer, Sonne, kein Plan was tun? Keine
Panik Habibi! Die VHS sorgt dafür, dass du
trotz Corona „mit Abstand die beste Bildung“
und einen coolen Sommer erlebst. Du fragst
wie? Egal ob Yoga, Hip-Hop oder Malerei,
beim Angebot der VHS hast du eine Auswahl
an 3000 Präsenzkursen sowie rund 100
Outdoor-Kursen! Ziemlich nice finden wir.
Außerdem gibt’s ab Juli auch das kostenlose
Angebot „Deutsch im Park“ welches in fünf
Bezirken in mehreren Wiener Parks stattfindet.
Du siehst mit dem flexiblen Kursformat
der VHS kannst du deine Lieblingskurse
online oder offline machen, ganz ohne FOMO.
Alle Infos gibt’s auf www.vhs.at/specials.
Serientipp
SELF MADE
Die Netflix-Serie „Self Made“ behandelt das
Leben der afroamerikanischen Unternehmerin
Madam C.J. Walker. Walker, gespielt von Octavia
Spencer, wuchs Mitte des 19. Jahrhunderts
in ärmlichen Verhältnissen in den USA auf und
arbeitete als Wäscherin, bis sie ein neuartiges
Haarpflege-Produkt entwickelte. Die Geschäftsfrau
ließ sich auf dem Weg zum Erfolg nicht von
den rassistischen Diskriminierungen unterkriegen
und erschuf mit ihrer Beauty- und Haarproduktlinie
für schwarze Frauen ein Imperium.
Sie zählt zu einer der ersten weiblichen Selfmade-Millionärinnen
in den USA, ist eine der
erfolgreichsten afroamerikanischen Geschäftsführerinnen
aller Zeiten und bis heute ein Vorbild
für schwarze Frauen auf der ganzen Welt.
Hashtag
des Monats
#PULLUPOR-
SHUTUP!
Um Bewusstsein für die
mangelnde Inklusion
in der Arbeitswelt zu
schaffen, haben viele
Unternehmen unter dem
Hashtag #PullUpOrShutUp
die Zahlen ihrer
schwarzen MitarbeiterInnen
auf Social Media
veröffentlicht. Sharon
Chuter, die Gründerin
der Kosmetiklinie Uoma
Beauty, erstellte den
Hashtag im Rahmen
ihrer Kampagne „Pull Up
For Change“, um auf die
fehlende Transparenz
in Unternehmen hinsichtlich
ihrer Diversität
aufmerksam zu machen.
Denn Solidarität mit der
„Black Lives Matter“-
Bewegung zu zeigen
reicht nicht aus und
scheint bei vielen Firmen
nur aus PR-Zwecken zu
erfolgen. An der Repräsentation
von Schwarzen
mangelt es weiterhin in
den meisten Industrien.
Spätestens jetzt müssen
auf Worte Taten folgen.
Inklusion muss auch im
Inneren von Unternehmen
stattfinden. Das gilt
nicht nur für die USA,
sondern auch für Europa
und Österreich.
© Marko Mestrovic, Amanda Matlovich/Netflix, Instagram/pullupforchange
„Ich zeig, was ich kann.
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„Ich habe
durch Corona
hunderttausend
Euro verloren!“
Mehmet Kocak ist seit
den 90er Jahren fester
Bestandteil der migrantischen
Gastro-Szene in
Wien. Trotz Corona blickt
er mit seinem Event-Center
am Stadtrand optimistisch
in die Zukunft. Um
zu überleben, dürfe man
sich nicht auf die staatlichen
Unterstützungen
verlassen, erzählt er im
biber-Interview.
Von Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko
BIBER: Mehmet, wie viel Geld hast du
vom Staat seit Ausbruch von Corona
erhalten?
MEHMET KOCAK: Ich habe vom AMS
rund 1900€ für die Kurzarbeit bekommen.
Dazu noch 1000€ von der
Wirtschaftkammer im Rahmen des
Härtefallfonds.
Der Landtmann-Besitzer Berndt Querfeld
beklagte in einem Standard-Interview die
schleppenden Staatshilfen. Er erwarte
ein Sterben der österreichischen Kaffeeund
Gasthäuser. Wie sieht es mit der
Restaurant-Szene im migrantischen
Milieu aus?
Alle jammern, aber ich kenne kein einziges
Restaurant in Favoriten, das zusperren
musste. Die drei Monate waren
natürlich nicht gut, aber jetzt läuft doch
alles wieder.
Die Regierung stand in der Kritik, weil die
Hilfen zu langsam ausbezahlt wurden,
die Abwicklung zu kompliziert war.
Müssen wir über Politik reden? Auf andere
schimpfen entspricht nicht meinem
Charakter. Ich mag das nicht.
Wie geht es mit deinem Event-Center
weiter?
Die meisten geplanten Hochzeiten im
Zeitraum von März bis August wurden
abgesagt. Dadurch habe ich ca. 30.000€
Umsatz im Monat verloren. Blöderweise
fiel der Fastenmonat Ramadan heuer
mitten in die Corona-Zeit. Auch da musste
ich auf den Umsatz von ca. 100.000€
verzichten. Seit Juni haben wir wieder
geöffnet und es geht langsam bergauf.
Aber Mehmet, als richtiger Wiener
müsstest du doch jammern und dein
Leid beklagen.
Ich habe in meinem Leben schon
zwei Lokale verloren und jammere
nicht. Ich habe das damalige „Etap“
meinem Sohn übergeben. Er hat es
leider nicht geschafft, es erfolgreich
zu betreiben und musste zusperren.
Auch das Restaurant in der Operngasse
im 1. Bezirk mussten wir
schließen.
Liegt das an deiner Mentalität?
Viele Migranten kamen aus Ländern,
in denen sie keinen Cent vom
Staat gesehen haben und trotzdem
irgendwie überleben mussten.
Ich bin in den 90er Jahren aus
Yozgat nach Wien gekommen. Ich
habe im damaligen Etap als Kellner
angefangen, bevor ich es selbst
übernommen habe. Das Einzige, was
ich aus dieser Zeit bereue, ist, dass
ich keinen ordentlichen Deutschkurs
belegt habe.
Warum hast du dein Herzensprojekt,
das „Etap“ im 16. Bezirk aufgegeben?
Die Restaurants haben mich nach
über 20 Jahren todmüde gemacht.
Ich wollte was anderes machen
und habe deswegen 2009 viel Geld
in die Hand genommen und in das
Event-Center, das ich heute führe,
investiert. Es ist eine leichtere
und vorhersehbarere Arbeit als im
Gastrogeschäft. Ich kann leichter
vorausplanen, weil ich ganz genau
weiß, dass 100 Leute zur Hochzeit
kommen. Im Restaurant weißt du
nie, wie der nächste Tag sein wird.
Darauf hatte ich keine Lust mehr.
Woher kommen die zahlenden
Kunden?
60-70% kommen aus der türkischen
Community. Dazu haben wir Gäste
aus Albanien, Bosnien und autochthone
Österreicher. Ich habe als
Unternehmer niemals Politik thematisiert,
aus diesem Grund kommen
die Leute von überall. Wir hatten
auch eine armenische Hochzeit hier,
diese Woche gibt es eine persische.
Seit dem Lockdown haben schon
wieder Hochzeiten stattgefunden.
Benehmen sich die Menschen
anders?
Die Menschen sind viel vorsichtiger.
Es kommt vor, dass 100 Gäste auf
der Liste stehen, aber nur 70 oder
80 auftauchen, weil sie Respekt vor
großen Menschenmengen aufgrund
von Corona haben. Eine Ausnahme
war letztens eine tschetschenische
Hochzeit, bei der 120 Gäste erschienen
sind. Wegen der strengen
Corona-Bestimmungen habe ich im
Nebenraum kurzerhand Tische und
Sessel aufgestellt. Somit war das
Problem gelöst!
Gibt es für den Sommer bereits viele
Reservierungen?
Viele Menschen rufen an und hoffen,
dass wir jetzt günstiger sind.
Der Trend geht weg von großen hin
zu kleineren Hochzeiten. Im August
sind ein paar Termine frei, September
und Oktober ebenfalls. Aber das
wird schon, da mache ich mir keine
Sorgen.
Woher sollen die Leute vom Etap-
Event-Center erfahren? Machst du
Werbung?
Nein, Werbung brauche ich nicht.
Die Leute wissen, dass ich gute
Arbeit mache, sie kennen meinen
Namen.
Bist du ein Chef, der alles kontrollieren
muss?
Kocak schaut zu seiner Mitarbeiterin
und beginnt zu grinsen.
Ich muss überall eingreifen, ich
muss überall helfen. Ich packe auch
selbst an. Ich kann nicht anders.
(lacht)
Der Betrieb im Etap-Event-Center
kommt nur langsam auf Touren.
Aleks Jobicić
Job?
Fix!
DIE BERUFSLEBENS KOLUMNE DES
AMS WIEN
Mein Lebenslauf in meiner Bewerbungsmappe:
Das bin ich. Also sozusagen. Es ist die
Kurzfassung all dessen, was ich bisher so
gelernt und geleistet habe. Eine Beschreibung
meiner Stärken und Fähigkeiten, und
natürlich meiner Erfahrungen.
Das klingt jetzt ein bissl zu feierlich? Naja,
aber eigentlich merkt man, wenn man zum
ersten Mal das eigene Berufsleben so in
Worte fasst, dass man schon was drauf hat.
Dass das nicht nichts ist, was man bisher
gemacht hat, weswegen ja auch die Personalverantwortlichen
als erstes ihre Nase da
hineinstecken. Und: Der Lebenslauf wächst
mit dir mit, wird dichter und interessanter,
wie das ganze Leben.
Und darauf will ich diesmal hinaus: Halte deinen
Lebenslauf aktuell! Ruh dich nicht darauf
aus, dass du eh vor einem Jahr deinen
Werdegang hübsch gestaltet hast, wenn sich
in der Zwischenzeit allerhand verändert hat!
Gerade, was du zuletzt getan und gelernt
hast, ist wichtig und darf nicht fehlen.
Und schließlich geht’s ja um nichts anderes,
als dass sich die Betriebe darum streiten, dir
einen Job oder eine Lehrstelle anbieten zu
dürfen. Glaubst du nicht? Ist so!
Tipp: Wenn der Lebenslauf, den das AMS
von dir hat, älter ist als ein Jahr, dann
schick unbedingt einen neuen. Die Leute
beim AMS wollen dich so gut wie möglich
unterstützen und können dann einfach
besser das Optimale für dich herausholen.
Mehr Infos gibt’s auch hier: ams.at/wien
50 / KARRIERE /
/ KARRIERE / 51
Selbermacher
„Ich bin
Gastgeber.
Und Gas-
Geber!“
52 / KARRIERE /
Die Liebe zu Kaffee, ein Micro-Roaster
und „leiwande“
Kunden: Das ist Ali Vogels
Erfolgsgeheimnis. Wir sprachen
mit dem Barista, der sich
zuerst als Latte-Artist in Europa
einen Namen machte, bevor
er sein eigenes Lokal eröffnet
hat: Das COWOME Vienna.
Text: Aleksandra Tulej, Fotos: Susanne Einzenberger
In der Mitte des Cafés steht ein Baum.
Ein echter. Rundherum ist die Deko
eher schlicht: Die Barhocker und
Tische sind aus Beton und Metall. Willkommen
im COWOME Vienna. Das Café im Nordbahnviertel
wurde nach den drei Materialien, mit
denen es eingerichtet ist, benannt: Concrete,
Wood und Metal – CoWoMe also.
Besitzer Ali Vogel hatte schon lange vor
der Eröffnung eine klare Vorstellung davon,
wie sein Lokal aussehen soll. „Eine eigene
Location, in der ich meine Ideen durchsetzen,
mit dem Design, den Produkten und dem
Menü experimentieren kann.“ Im Dezember
2019 war es dann soweit: Der 36-Jährige Ali
erfüllte sich seinen langersehnten Traum und
eröffnete das COWOME Vienna.
Ali, der eigentlich Vasily heißt, wurde im
Norden Transsilvaniens geboren. Seit zwölf
Jahren ist der gebürtige Rumäne Gastronom,
oder wie er selbst lachend behauptet: „Gastgeber.
Und Gas-Geber!“. Und Ali gibt tatsächlich
Gas: Er arbeitete zuerst als Barkeeper,
dann als Freelance-Barista und gewann
etliche Latte-Art-Wettbewerbe in ganz Europa,
bis er sich schließlich in Wien mit seinem
eigenen Lokal niederließ. „Der Hauptgrund
ist mein dreijähriger Sohn. Ich hatte zu wenig
Zeit für meine Familie, ich wollte einfach mal
länger an einem Ort sein.“
„DO IT“- ABER BLEIBE REALISTISCH.
Alis Tipp für junge Gründer? „Du musst ehrlich
zu dir selbst sein. Mein Motto ist „Do It“- aber
bleibe realistisch. Du musst dir darüber im
Klaren sein, dass du wirklich Bock darauf
haben musst. Du wirst härter arbeiten und
anfangs sicherlich auch weniger verdienen.
Feiertage, fixes Gehalt – all das ist in einem
eigenen Unternehmen nicht selbstverständlich.“
Man muss sich einfach entscheiden, ob
einem der Komfort einer Fixanstellung oder
© philipp nemenz/Shutterstock
© Randy Faris/Corbis
die Freiheit wichtiger ist. „Du musst dir selbst
ausrechnen, ob dir diese Freiheit das wert
ist.“, so der Barista. Bei Ali ist das der Fall:
Der Wunsch nach umsetzbarer Kreativität,
Ideen und Selbstorganisation war größer, als
in einem sicheren Angestelltenverhältnis zu
leben. „Hier handhabe ich alles so, wie ich das
will.“
LOKALE PRODUKTE
„Wir haben fast nur lokale Produkte von
kleinen Produzenten. Der Kaffee stammt von
Mikro-Roastern in Wien und Niederösterreich.
Die Eier und die Milch bekommen wir von
einem kleinen Bauernhof. Und genau dieses
Konzept, also die hohe Qualität, hat mir, denke
ich, auch in der Corona-Krise die Kundschaft
gerettet“, zuckt Ali mit den Schultern. Die
Kundschaft, das sind vor allem „coole, junge
Familien“, wie Ali selbst sagt. „Und neben
meinem Café ist ja gleich der Bank-Austria-
Campus. In guten Zeiten kamen von dort
auch viele Kunden.“ In guten Zeiten – das
heißt: Pre-Corona. Die Krise hat sein Café
aber überlebt, obwohl es anfangs nicht
danach aussah. Die ersten zwei Wochen,
nachdem das Lokal schließen musste, waren
besonders hart für den Besitzer. „Ich hatte
Alis Latte-Art könnt ihr auf Instagram
bewundern: alivogel.barista
viele Sorgen. Es war ein psychischer Kampf.
Niemand wusste, wie lange es dauern und
was noch kommen wird. Wenn ich das Lokal
hätte schließen müssen, hätte ich auch im
Supermarkt gearbeitet. Ich muss ja meine
Familie ernähren“, so Ali. Soweit kam es aber
nicht. Der Besitzer blickt positiv in die Zukunft:
„ Jetzt geht es wieder bergauf. Ich habe
immer noch Schulden. Aber die Produzenten,
mit denen ich zusammenarbeite, haben
Verständnis. Und ich kann zumindest die
Rechnungen zahlen, das ist wichtig.“
COWOME Vienna
Bruno-Marek-Allee 19, 1200 Wien
» Basis-Informationen und Tools zur Gründung
finden Sie auf unserer Webseite.
WKO-WIEN HILFT
Im Gründerservice der
WKO-Wien kann man bei
einem Beratungsgespräch
alle Fragen stellen, die die
Gründung eines Unternehmens
betreffen. Im Vorhinein
kann man sich auch
schon eigenständig online
informieren. Ob generelle
Tipps zur Selbstständigkeit,
rechtliche Voraussetzungen,
Amtswege oder
Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:
Auf
der Website kommt man
mit wenigen Klicks zu allen
wichtigen Informationen.
wko.at/wien
www.gruenderservice.at
Die Selbermacher-Serie ist
eine redaktionelle Kooperation
von das biber mit der
Wirtschaftskammer Wien.
VON DER IDEE
BIS ZUR GRÜNDUNG
» GRÜNDUNG UND ÜBERGABE
W www.gruenderservice.at/wien
Jetzt online informieren.
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
Neue Skyline für Simmering:
30 Meter hoch sind die sechs riesigen
Faulbehälter der Wiener Kläranlage.
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MEINUNG
PlayStation 5
Die neue Playstation wurde endlich
der Weltöffentlichkeit gezeigt. Die
Spielkonsole der nächsten Generation
sieht aus wie eine Mischung aus BMW
i5 und den Androiden aus „Detroit:
Become Human“. Zeitgleich wurden
Infos zum Start-Lineup präsentiert:
„Spider-Man: Miles Morales“, „Gran
Turismo 7“ und viele weitere Highlights
warten auf die Gamer. Vorgestellt
wurde auch Zubehör wie ein kabelloses
3D-Audio Headset, PlayStation-Kamera
mit 1080i Auflösung und eine Ladestation
für die Controller. Lediglich zum
Preis für die zwei Konsolen (einmal mit
4k-Bluray Laufwerk und einmal eine
Dowload-Only-Variante ohne Laufwerk)
schweigt sich Sony bisher aus.
Die Corona-Krise und die
wirtschaftlichen Schwierigkeiten
sind hier
sicher ein Faktor -
als Orientierung
dient womöglich
die PS4, die
beim Launch
399,99 Euro
gekostet hat.
bezeczky@dasbiber.at
Black Lives
Matter –
auch beim
Gaming
Rassimus ist auch in der
Online-Gamingwelt weit
verbreitet. Nazi-Logos und
rechtsradikale Usernames
sind bisher nur halbherzig
verfolgt worden. Das wird sich
ändern. Wir alle können und
sollten in Zukunft konsequent
jene Spieler melden, die sich
rassistisch aufführen. Es ist
Zeit, unser Hobby vor der
Vereinnahmung durch extreme
politische Ansichten zu
schützen!
AUS MIT DER
GESICHTSERKENNUNG
FÜR DIE POLIZEI
IBM und Amazon stoppen Programme
zur Gesichtserkennung. Obwohl
die Technologie vielversprechend ist,
wurden immer größere Bedenken
gegen den zielgerichteten Einsatz
gegen Minderheiten laut. Nun soll
der US-Kongress Gesetze beschließen,
wie dies verhindert werden
kann. Bis dahin wird die Software
der Polizei nicht mehr zur Verfügung
stehen.
SPACEX FLIEGT NUN
AUCH MENSCHEN
Das Weltraum-Startup „SpaceX“ hat
erstmals zwei Menschen aus den
USA mit einem privaten Raumschiff
zur internationalen Weltraumstation
ISS geflogen. Damit sind nach 10
Jahren die USA erstmals wieder in
der Lage, ohne russische Unterstützung
das Weltall zu erreichen.
© Marko Mestrovic, Activision, Sony Interactive Entertainment, SpaceX
© Christian Houdek
DANK GRÜNEM STROM
Schon gewusst? Jede Sekunde
gelangen ganze 6.000 Liter
Abwasser in die Kläranlage der
Stadt Wien. Damit diese gigantischen
Wassermassen gereinigt werden
können, benötigt die von der ebswien
betriebene Kläranlage mehr als ein
Prozent des von Wiens größtem Energieversorger
produzierten Stroms.
KLIMASCHUTZ MIT
KLÄRGAS
Mit dem Projekt E_OS – Energie_Optimierung
Schlammbehandlung wird
Wiens Kläranlage jetzt auch zum
Öko-Kraftwerk! Neben sauberem
Abwasser, welches die Wasserqualität
der Donau nicht beeinträchtigt, bleiben
als „Restprodukt“ des Reinigungsprozesses
68.000 Tonnen Klärschlamm
pro Jahr zurück. Klärschlamm zählt
zu den erneuerbaren Energieträgern.
Sechs jeweils 30 Meter hohe
Schlammbehälter bilden eine riesige
„Biogasanlage“, das entstehende
Klärgas wird in Blockheizkraftwerken
in Energie umgewandelt. So kann die
Wiener Kläranlage mehr Öko-Energie
erzeugen, als sie für die Abwasserreinigung
verbraucht!
SAUBERES ABWASSER –
SAUBERER STROM
E_OS ist eines der größten Umweltprojekte
der Stadt Wien und geht jetzt
in Betrieb. Das Öko-Kraftwerk Kläranlage
verbessert Wiens Klimabilanz
deutlich und spart rund 40.000 Tonnen
an CO 2
-Äquivalenten jährlich ein.
Gut für die Umwelt, gut fürs Klima!
Energie-Bedarf
63
GWh/a
78
GWh/a
Öko-Energie-Erzeugung
40
GWh/a
82
GWh/a
www.ebswien.at
54 / TECHNIK /
Radeln in Wien
1
Heurigenbesuch
DONAUKANAL
↓
KAHLENBERGERDORF
Eine der bekanntesten und einfachsten
Strecken. Direkt am Donaukanal entlang
des Wassers ist man schnell aus der Stadt
heraus und im Grünen. Perfekt lässt sich
die Tour mit einem Besuch bei einem der
zahlreichen Heurigen kombinieren.
Vom Donaukanal aus geht es
schnurgerade Richtung 19. Bezirk.
Die Holzstege in der Nähe der U2
Station Donaustadtbrücke sind
ein beliebter gratis Badeplatz.
2
Für Schwimmer
DONAUKANAL
↓
DONAUINSEL,
DONAUSTADT
BRÜCKE ODER
LOBAU
Radfahren und Schwimmen ist eine
unschlagbare Sommerkombination. Von
der Prater Hauptallee aus kommt man
über den Radweg der Donaubrücke
zum Freizeitparadies Donauinsel. Noch
ein Stückchen weiter in der Richtung
U2 Station Donaustadtbrücke gibt es
wunderschöne Holzstege an der Alten
Donau, auf denen man den ganzen Tag
verbringen könnte. Unweit befindet sich
auch die Lobau und – für ganz Mutige –
unzählige FKK-Badeplätze.
Sommerurlaub fällt ins Wasser?
Kein Problem: Wir haben den
Sommerguide für alle, die Wien
einmal mit dem Fahrrad erkunden
wollen. Von Nada El-Azar, Fotos: Eugénie Sophie
56 / SOMMER SPECIAL /
/ SOMMER SPECIAL / 57
3
Für Wanderer
GÜRTEL
↓
SCHWARZENBERG
PARK
Vom Währinger Gürtel geht’s in Richtung
Dornbacher Straße. Diese Tour eignet
sich besonders gut für heiße Sommertage
– denn der dicht bewaldete Schwarzenbergpark
spendet Abkühlung und
Schatten. Mit dem Mountainbike lässt es
sich hervorragend in den hügeligen Wienerwald
fahren. All jene, die es gemütlicher
angehen wollen, können das Rad
stehen lassen und das Ganze zu einer
Wandertour auf die über 450m hohe
Anhöhe von Hameau machen.
5
Natur & Relax
↓
SCHLOSSPARK
LAXENBURG
Der Schlosspark Laxenburg ist das
perfekte Tagesausflugsziel. Über das
Alte Landgut im 10. Bezirk braucht
man aus der Stadt etwas mehr als eine
Stunde dort hin. Im Schlosspark lassen
sich schöne Spaziergänge und Picknicks
machen, oder Tretboote ausleihen für
eine Fahrt über den märchenhaften
Teich.
Der Schwarzenbergpark in
Hernals spendet in heißen
Monaten Abkühlung.
© Anna Saini CC BY-SA
Der Schlosspark Laxenburg
bietet viele Möglichkeiten zum
Spazierengehen, Picknicken und
Bootfahren.
4
Natur & Relax
↓
WEINGARTEN
RADWEG
Von Mödling oder Bad Vöslau aus kann
man auf dem wunderschönen 23km
langen Weingartenradweg die Thermenlandschaft
Wienerwald erkunden. Der
Weg verläuft praktisch ohne Steigungen,
aber mit ganz toller Natur.
bmkoes.gv.at
Das kostenlose
Bewegungsprogramm
ohne Anmeldung
Juni – September
in ganz Österreich
Foto: © SV/APA-Fotoservice/Hörmandinger
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG DES BMKÖS
Kurse finden Sie unter bewegt-im-park.at
Frische Luft und schöne
Weingärten warten in der
Thermenlandschaft Wienerwald.
Finanziert von
In Kooperation mit
58 / SOMMER SPECIAL /
„Manche glauben nicht,
dass ich die Trainerin bin.“
Somia Babiker ist Sozialassistentin beim Verein „Die Nachbarinnen“
und stieg erstmals im Jahr 2013 auf den Fahrradsattel. Heute bringt sie
anderen neuen Wienerinnen das Radfahren bei und gibt ihnen so ein Stück
Freiheit.
Wie bist du zum Radfahren gekommen?
Ich bin über meine Kolleginnen aus der
Arbeit auf die Fahrradkurse gekommen.
Vor sieben Jahren absolvierte
ich den Anfängerkurs, heute trainiere
ich Frauen, die über verschiedenste
Organisationen wie beispielsweise der
Diakonie zu uns kommen.
Warum lernen viele Mädchen und
Frauen aus den verschiedensten Herkunftsländen
nicht Rad zu fahren?
Das hat verschiedene kulturelle Hintergründe.
Ich komme ursprünglich
aus dem Sudan. Als kleines Mädchen
kann man noch ausprobieren, aber ab
einem gewissen Alter ist Radfahren
einfach Männersache.
Was bedeutet es dir, anderen Frauen
das Radfahren beizubringen?
Das Radfahren hat mir schon mir
persönlich eine große Freiheit gegeben.
Endlich konnte ich etwas für
mich selbst lernen. Etwa zwei bis drei
Kurse leite ich jährlich für Frauen ganz
verschiedenen Alters. Es passierte
schon öfter, dass die Teilnehmerinnen
dachten, ich wäre eine von ihnen, und
nicht die Trainerin. Sie glauben einfach
nicht, dass eine kopftuchtragende
Frau wie ich den Kurs leiten kann.
Ich denke, dass ich als ein Vorbild für
diese Frauen sein kann und sie sich
mit mir identifizieren können. Viele
Frauen fühlen sich auch wohler, wenn
ich sie in ihrer Muttersprache Arabisch
anleiten kann.
Wo kann man sich für deine Kurse
anmelden?
Alle Interessierten können sich an die
Diakonie oder die Radlobby in Wien
wenden.
„Die Angst
kommt vom
motorisierten
Verkehr“
Ich will mir ein gebrauchtes Fahrrad
kaufen. Worauf muss ich achten?
Ich würde generell empfehlen, Fahrräder
bei einem Händler zu kaufen. Da
wird in der Regel gut kontrolliert, dass
alles in Ordnung ist. Sonst ist wichtig:
unbedingt Probefahren und verhandeln!
Man muss ich vorher überlegen,
wozu man das Fahrrad verwenden will.
Wenn man im Alltag unterwegs sein
möchte, und mit sauberer Kleidung
ankommen will, empfiehlt es sich kein
Rennrad zu kaufen. Rennräder haben
häufig keine Klingel, keine Kotflügel
und keine Lichtanlage. Über Kopfsteinpflaster,
Gehsteigkanten und andere
Hindernisse lässt es sich mit leichten
Rädern nicht leicht fahren. Je stabiler
das Rad ist, desto einfacher ist man in
der Stadt unterwegs.
Viele Menschen haben Angst davor, im
Alltag mit dem Fahrrad unterwegs zu
sein. Warum ist das so?
Die Leute haben tatsächlich Angst
mit dem Rad in der Stadt unterwegs
zu sein, und diese Angst herrscht vor
allem vor dem motorisierten Verkehr.
Rein statistisch gesehen ist das
Radfahren aber eine der sichersten
Verkehrsarten überhaupt, weil es im
Vergleich zum Auto- und Motorradverkehr
wenig Unfälle gibt. In Wien
machen sogenannte „Dooring“-Unfälle
etwa 10 Prozent aus. Der Begriff
„Dooring“ bezeichnet das unachtsame
Öffnen der Autotür gegenüber Radfahrenden,
oder auch Autos. In fast jeder
Gasse Wiens ist das ein Problem, weil
Autos dort den Großteil der Fläche
einnehmen.
Wie kann man „Dooring“ vorbeugen?
Es ist juristisch abgesichert, einen
Sicherheitsabstand von 1,2 Metern zu
stehenden Autos einzuhalten. Außerdem
gibt es in 80 Prozent der Wiener
© Peter Provaznik
© Eugénie Sophie
Sujet: Perndl&Co
Bezahlte Anzeige
Seitengassen ein nicht ausgeschildertes
Überholverbot, weil es für Fahrräder und
Autos inklusive eingehaltenem Sicherheitsabstand
einfach nicht genug Platz
gibt. Wir pflegen hier zu sagen: Das
Miteinander von Fahrrädern und Autos
ist häufig ein „Hintereinander“.
Darf man sein Fahrrad an der Stange
eines Verkehrsschildes anschließen,
wenn alle Radbügel besetzt sind?
Grundsätzlich ist das erlaubt, wenn die
Sicht auf das Verkehrsschild gewährleistet
ist. Aber: Es gibt ein generelles Parkverbot
für alle Fahrzeuge auf Gehsteigen,
das gilt auch für E-Scooter. Wenn ein
Gehsteig so breit ist, dass ein Auto darauf
parken könnte, und noch ein halber
Meter frei wäre, dürfte man das Rad
ohne Weiteres dort stehen lassen – das
ist in Wien aber sehr selten. Wir schätzen,
dass etwa 20.000 Abstellplätze
für Fahrräder fehlen – aber viele wissen
nicht, dass man sein Fahrrad am Rand
der Fahrbahn ebenso hinstellen darf, wo
auch ein Auto parken dürfte.
in Kooperation mit
Ausstellung
1.7.2020 - 7.3.2021
Roland Romano ist Sprecher der Radlobby Wien,
einer Interessensgemeinschaft für Radfahrer in der Stadt.
60 / SOMMER SPECIAL /
Auf den Sattel, fertig, los!
Damit ein Fahrrad in Österreich straßentauglich ist, muss man
einiges beachten. Wir haben hier eine kleine Checkliste für euch.
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Pro fehlendem Element
aus der Checkliste kann
die Polizei etwa 20 Euro
Strafe verrechnen!
HELM:
Helmpflicht besteht
prinzipiell nur für
Kinder bis 14 Jahren.
Sicher ist aber sicher!
KLINGEL
LICHT:
Jedes Fahrrad braucht eine
fest verbundene Lichtanlage.
Wenn man keine Lichtanlage
hat, kann man sich über
USB-Anschluss aufladbare
LED-Lichter holen. Vorsicht:
Das vordere weißen Licht
darf nicht blinken, dafür aber
das rote Rücklicht. Tagsüber
ist keine Lichtpflicht.
BREMSEN:
Zwei unabhängig
voneinander
wirkende Bremsen
PEDALE:
Achtung: Mit gelben
Reflektoren auf
beiden Pedalen!
ACHTUNG:
Für Rennräder gelten etwas andere Kriterien, da
es sich bei ihnen um ein Sportgerät handelt. Alle
genauen Kriterien für die Straßentauglichkeit lassen
sich unter der Fahrradverordnung nachlesen!
62 / SOMMER SPECIAL /
REFLEKTOREN:
Jeweils am Vorder- und
Hinterrad, können weiß
oder gelb rückstrahlen.
TIPP: Routenplaner für’s Rad
Wohin geht’s als nächstes? Mit dem Routenplaner
der Mobilitätsagentur Wien lassen sich leicht
neue Radtouren planen und mit Freunden teilen!
https://www.fahrradwien.at/routenplaner/
© Eugénie Sophie
Gutschein für eine
Portion Normalität.
So bringen wir die Wiener Wirtschaft wieder in Schwung:
Mit den Gastro-Gutscheinen der Stadt Wien kannst du
jetzt dir und der lokalen Wirtschaft etwas Gutes tun. Ein
herzhaftes Frühstück, feine Mehlspeisen oder ein üppiger
Brunch – genieße die gastronomische Vielfalt Wiens.
Alle Infos und eine Übersicht der teilnehmenden Lokale
findest du auf wienergastrogutschein.at.
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KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
3 FRAGEN AN…
KURT VON BLEY
Kurt von Bley (*1976 in Polen) ist ein Berlin lebender Künstler.
Über LGBT in Polen und seine Inspiration.
MEINUNG
Go big or go home
Ich war zu Schulzeiten ein totaler Grufti.
Ich weiß bis heute nicht, wie ich meine
kopftuchtragende Mutter dazu gebracht
hab, es okay zu finden, wie ich mit
Latexstiefeln und Netzstrümpfen zum
Unterricht kam. Der moderne Instagram-Makeup-Artist
würde erschrecken,
aber ich habe mir die Augenbrauen
Marilyn-Manson-Style abrasiert, nur um
sie dann so dünn wie möglich wieder
aufzumalen. Und meine pechschwarzen
Haare reichten bis zur Hüfte, in die ich
Plastik-Blumen steckte wie Nina Hagen.
Kurz nach Schulanfang 2013 begleitete
mich meine ältere Schwester zu einem
Termin, bei dem ich mir einen Backenzahn
ziehen lassen musste. Die Narkose
wirkte noch, als ich anschließend bei
Libro Schulsachen kaufen gegangen
bin. Die Leute starrten mich an, wie
immer. Als ich meine Schwester vor
dem Geschäft wiedertraf, erschrak sie.
„Hey, dir läuft ja voll viel Blut aus den
Mundwinkeln!“, sagte sie und wischte
es schnell mit einem Taschentuch weg.
Kein Wunder, dass mich die Menschen
im Geschäft so anschauten, ich sah
vermutlich aus wie Ozzy Osbourne,
nachdem er der Fledermaus den Kopf
abgebissen hatte.
el-azar@dasbiber.at
Ausstellungstipp
MISFITTING
TOGETHER
Andy Warhol und die Pop Art sind
untrennbar miteinander verbunden.
Das mumok möchte mit der Ausstellung
„Misfitting Together. Serielle
Formationen der Pop Art, Minimal Art
und Conceptual Art“ über das gemeinhin
Bekannte hinwegsehen und setzt
Warhol in den Kontext seiner Zeit und
der damals ebenfalls vorherrschenden
Minimal Art und Conceptual Art.
Vernissage am 1. Juli 2020
Kino Tipp
SOMMERKINO
Das österreichische Filmmuseum
zeigt ab 2. Juli 2020
ein Programm von 28 Filmen
im neu klimatisierten Kinosaal.
Absolutes Highlight ist eine
rare Kopie von Dziga Vertovs
„Der Mann mit der Kamera“
aus dem Jahr 1929, nebst
anderen Höhepunkten aus
der Sammlung.
Bis 16. August 2020
Film ab im Freien!
KINO AM DACH
Das Kino am Dach der Hauptbücherei
Wien startet mit 100
Filmen in den Sommer. Mit „Die
Dohnal“ als Eröffnungsfilm am
18. Juni, sowie „Paranza – Der
Clan der Kinder“ und „Queen &
Slim“ im Programm. Achtung:
Abendkassa wird es aufgrund
des mangelnden Sicherheitsabstands
nicht geben, alle Tickets
muss man online über ticket.
kinoamdach.at erwerben.
Bis 27. September 2020
© Christoph Liebentritt, The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, New York/Licensed by Bildrecht, Wien 2020, Dziga Vertov, Kurt von Bley
Was geht gerade im Wahlkampf in Polen
vor - warum wird gegen die LGBT Community
so stark polemisiert?
Der amtierende Präsident Andrzej Duda
bemüht sehr homophobe Aussagen,
die mich sehr stark an die Rhetorik der
1930er Jahre erinnern. Die LGBT-Community
wird dämonisiert und entmenschlicht,
und so dargestellt, als ob sie die
„polnische Familie“ bedrohen würde.
Ich glaube, dass dies ist ein durchschaubares
Kalkül von Herrn Duda ist.
Im Moment sieht es so aus, als müsste
er in der Stichwahl gegen den Oberbürgermeister
von Warschau Rafał Trzaskowksi
antreten, der ein sehr offener,
EU-freundlicher Politiker ist. Duda wählt
seinen aggressiven Ton um vor allem die
extrem rechten Wähler, von denen es
leider viele gibt, für sich zu gewinnen.
Normalerweise bedeutet der Monat Juni
immer: Gay Pride. Welche Auswirkungen
hat die coronabedingte Absage von
Pride-Veranstaltungen angesichts der
aktuellen Debatte in Polen?
Das ist sehr bedauernswert. In Polen sind
das sehr politische Events, anders als
in Deutschland etwa, wo Gay Pride sehr
hedonistische, kommerzielle „Familienfeste“
sind. Es gehört wirklich viel Mut
dazu, an solchen Events teilzunehmen
und sein Gesicht zu zeigen. Letztes Jahr
gab es viele Zwischenfälle, vor allem in
der ostpolnischen Stadt Białystok. Menschen
wurden verprügelt, Flaschen und
Steine wurden geworfen. Es fehlt immer
noch von Seiten der Regierung eine klare
Distanzierung und Verurteilung dieser
Vorfälle.
Welche Rollen spielen das Christentum
und Identität in deiner Arbeit als Künstler?
Als Künstler setze ich mich sehr stark mit
der Suche nach Identität und der Religion
auseinander, die in meiner Erziehung
omnipräsent war. Ich bin in eine deutschstämmige
Familie in Oberschlesien
geboren. Als ich 15 war sind wir nach
Deutschland übersiedelt. Die meisten
meiner Arbeiten sind sehr autobiografisch
und sind Objekte, Installationen
oder Fotoarbeiten, bei denen Familienandenken
und -fotos zum Einsatz kommen.
Für den Betrachter mag es zunächst
aussehen, als ob diese Andenken zerstört
wurden. Aber für mich ist es eine
Transformation in etwas Positives. Ich
entdämonisiere und emanzipiere mich
von Gegenständen, die lange Zeit negativ
konnotiert waren.
64 / KULTURA /
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KOMMENTAR
HEIMATURLAUB ZWISCHEN
FLÜCHTLINGSLAGERN
Während die Balkan-Community „runter“ auf Urlaub fährt, sitzen tausende
Geflüchtete im Grenzland zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien
fest. Mein letzter Heimatbesuch hinterließ einen bitteren Beigeschmack.
Kroatische Polizisten sind bei der Rückführung von
Flüchtlingen nach Bosnien oftmals gewalttätig.
Bereits während wir
an der kroatischbosnischen
Grenzkontrolle
im Stau
stehen, können wir sie sehen.
Viele stehen rum, einige sitzen
auf dem Boden. Doch sie alle
kommen keinen Schritt weiter.
In Bosnien und Herzegowina
stecken derzeit rund 8.000
Flüchtlinge und Migranten fest,
die immer wieder versuchen,
nach Kroatien weiterzukommen.
Vergeblich. Die kroatische Polizei
greift mittlerweile Menschen
regelmäßig an der Grenze auf
und bringt sie ohne jede Formalie
und unter Anwendung roher
Gewalt nach Bosnien zurück.
Seit Neuestem ist es sogar NGOs
und Freiwilligen verboten, die
Flüchtenden mit Nahrung oder
anderen Hilfsmitteln zu versorgen.
Und das in jenem Land, aus
dem ein Großteil unserer Familie
flüchten musste.
Einmal im Jahr fahren wir in
unser Haus nach Čehići „runter“ – 35 Kilometer von der
bosnisch-kroatischen Grenze entfernt. Das erste Mal, als
wir das Ausmaß der Flüchtlingskrise gesehen haben, war
2019. In einem Vorort der Stadt Bihać gibt es ein Hotel,
das direkt am Fluss Una liegt, wo man baden kann. Dort
haben wir schon oft schöne Nachmittage verbracht. Als
wir letztes Jahr wieder hinfahren wollten, fanden wir statt
dem Hotel eine Flüchtlingsunterkunft vor. „Bald sind sie
auch bei uns im Ort“, sagte meine Mutter fassungslos,
während wir schließlich Richtung Bihać weiterfuhren.
Von Amra Durić
Amra Duric, 29, Journalistin, geboren in Bosnien,
aufgewachsen in Tirol, lebt und arbeitet in Wien. Sie
ist stv. Kulturressortleiterin und Chronik-Reporterin
bei der Tageszeitung „Heute“.
In der Stadt angekommen,
beschlossen wir etwas Essen
zu gehen. Die Hitze war kaum
auszuhalten. „Gehen wir in ein
Restaurant, das am Wasser liegt,
dort ist es hoffentlich etwas kühler“,
schlug Mama vor.
FLÜCHTLINGSKRISE
ZUM MITTAGESSEN
Schnell sollten wir erkennen,
dass unser Mittagessen einen
bitteren Beigeschmack haben
würde. Denn während wir auf
der Terrasse des Restaurants
Platz nahmen und vor uns
Fleisch- und Fischplatten aufgetischt
wurden, blickten wir nicht
nur auf den glitzernden Fluss,
sondern auch auf Dutzende
Männer, die auf Plastiksackerln
im Gras saßen. Das Bild sorgte
am Mittagstisch für eine angespannte
Stimmung. Meine Mutter
fühlte sich sichtlich unwohl. „Es
ist beängstigend“, sagte sie. „Ich
verstehe nicht, warum die ausgerechnet
nach Bosnien kommen.“ Uns Geschwistern lag
nicht nur das Essen schwer im Magen. Wir versuchten ihr
zu erklären, warum die Männer aus Pakistan und Afghanistan
in Bosnien festsitzen. Gerade in Bosnien. In einem
Land, in dem der Krieg so tief verwurzelt ist und der
Anblick von zerschossenen Hausmauern bei vielen heute
noch schmerzhafte Erinnerungen hervorholt. „Die meisten
jungen Leute schauen, dass sie irgendwie ins Ausland
kommen und dort eine Arbeit finden. Gerade hier am
Land ist Geld zu verdienen irrsinnig schwer. Aber auch in
© Zoe Opratko, Dado Ruvic / REUTERS / picturedesk.com, Antonio Bronic / REUTERS / picturedesk.com
Eine Wohnsiedlung in Bosnien und Flüchtlinge,
die oft um nur „eine Mark“ betteln kommen.
Städten wie Sarajevo ist es nicht einfach“, erzählte unsere
Cousine Jasmina. Sie hat in Bihać studiert und arbeitet
seit einigen Jahren in Cazin als Lehrerin. Wenn die Schule
wegen einem Streik schließt, oder die Schüler zu Hause
bleiben müssen, weil im Winter die Heizung mal wieder
ausgefallen ist und die Schule sich kein neues Modell leisten
kann, sitzt auch Jasmina zwangsweise daheim, aber
ohne Bezahlung. „Wenn es schon für Einheimische schwer
ist hier zu leben, wie muss es erst für diese Flüchtlinge
sein?“. Später am Abend saßen wir bei Mamas Cousin
Nedžad. Er grillte auf seiner selbst gebauten Terrasse.
EINHEIMISCHE VERÄNGSTIGT,
REGION ÜBERFORDERT
Die Stimmung während der Grillerei war wieder etwas
ausgelassener, bis plötzlich ein Hubschrauber über uns
kreiste. „Die fliegen jeden Abend über der Grenze, wegen
den ganzen Flüchtlingen,“ erklärte uns Nedžad. Schon
drehte sich unser Gespräch wieder um die geflüchteten
Männer und unbegleiteten Minderjährigen. „Sie gehen
jeden Tag zur Grenze, die, die es nicht schaffen und
nicht verletzt werden, gehen zurück in die Stadt. So geht
das den ganzen Tag, jeden Tag“, erzählte er. Durch das
Gespräch merkten wir, dass bei der älteren Generation,
die den Großteil der Bewohner bei uns im Ort ausmacht,
das Mitgefühl durch Angst in den Hintergrund gerückt
wird. So auch bei der Mutter unseres Stiefvaters, die
„unten“ lebt. Beim Kaffee erzählte sie besorgt: „Ich sehe
diese Männer jeden Tag an meinem Haus vorbeigehen.
Deshalb sperre ich jetzt auch tagsüber die Tür zu.“ Angst
und Ungewissheit begleiten Bosnien seit Jahrzehnten. Für
Einheimische und Flüchtlinge sind sie der gemeinsame
Nenner. Angst, weil man weiß, dass der Staat Probleme
immer wieder ignoriert. Ungewissheit, wie das Leben in
Bosnien weitergeht. Durch die Pandemie hat sich die Lage
der Flüchtlinge zwar verschlimmert, sie zählt aber nicht
zu ihrem größten Problem. Die Lager sind voll, die Region
überfordert. Keine Toilette, keine Dusche, kein Platz. Viele
leben mittlerweile im Wald. Das Absurde daran: Gleichzeitig
stehen unzählige Häuser diesen Sommer leer, da viele,
die wie wir in Österreich leben, wegen Covid-19 nicht
nach Bosnien reisen dürfen. Nach einer Woche in der
anderen Heimat ging es für uns schließlich wieder nach
Österreich. An der Grenze staute es sich, die Hitze war
kaum auszuhalten. An unserem Auto ging ein barfüßiger
Mann vorbei und klopfte an die Scheibe. „Bitte eine
Mark“, sagte er auf Bosnisch und faltete dabei die Hände
vor dem Gesicht. In gebrochenem Bosnisch erzählte er,
dass er aus Afghanistan geflüchtet ist. Wir gaben ihm
unsere restlichen Mark und mussten schließlich weiterfahren.
Zurück blieb ein mulmiges Gefühl. Seither waren wir
in Bosnien nicht mehr auf Heimaturlaub.
Es ist grundsätzlich etwas seltsam, in ein Land, aus
dem unsere Familie selbst geflüchtet ist, auf Urlaub zu
fahren. Fast unerträglich ist es, zu wissen, dass nun
genau dort geflüchtete Menschen unter grauenvollen
Bedingungen festsitzen. Und dass sich niemand verantwortlich
fühlt. ●
Čehići
66 / OUT OF AUT /
/ OUT OF AUT / 67
KOLUMNE
Rassismus ist eine geistige Blockade.
Zwei Tage nach dem Mord an George Floyd
war ich mit einem schwarzen Freund in
einem Restaurant zum Abendessen. Die
Kellnerin belauschte unser Gespräch über
Rassismus und sagte beim Vorbeigehen: ”Ich
bin auch schwarz”, und ging mit zwei Burgertellern
weiter. Wir haben nicht verstanden, was sie
meinte. Nach einigen Sekunden kehrte sie mit
leeren Tellern zurück und setzte sich zu uns. “Als
ich vor Jahren aus Hamburg mit meiner Tochter
hierhergezogen bin, ging meine Tochter in die
zweite Klasse. Am ersten Tag nach der Pause
fand sie in ihrem Heft die erste Willkommensnachricht:
„Scheiß Deutsche...”, erzählte sie uns,
warum sie auch schwarz ist, obwohl sie und ihre
Tochter blond und blauäugig sind.
IMMER DIE ANDEREN
Rassismus lebt nicht per se von der Hautfarbe, sondern
von “Othering”. Der Begriff Othering kann übersetzt
werden mit “jemanden zum Anderen machen”. Es braucht
immer die „Anderen”, um auf sie alle Defizite, negativen
Eigenschaften und Hass projizieren zu können. Rassismus
ist kein Monopol der Weißen. Jeder weist auf die eine
oder andere Weise rassistische Denkmuster gegenüber
bestimmten Menschen auf. Manchmal handeln wir rassistisch
ohne es zu wissen oder zu wollen, und manchmal
wollen wir es gut meinen, wir treten ins Fettnäpfchen.
Unwissenheit schützt uns nicht davor, jemanden zu verletzten.
Vor drei Monaten hatte ich einen Zahnarzttermin
Pünktlich, wie alle Araber sind, bin ich bei dem Termin
erschienen. Die freundliche Zahnärztin wechselte betriebsam
und routiniert die zerfallene alte weiße Füllung, stand
auf, ging zum Computer und machte mir Vorschläge für
den nächsten Termin. Ich nahm währenddessen einen
kleinen Spiegel, der seitlich von mir lag, und versuchte,
die neue Füllung zu sehen. Und Boom - Überraschung!
Eine graue Füllung steckte in meinem Zahn, eine Amalgamfüllung.
Ich war irritiert und wusste nicht, was ich
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Poetry-Slammer,
Buch-Autor und
Flüchtling aus Syrien.
In seiner Kolumne
schreibt er über sein
Leben in Österreich.
sagen soll. Ich begann Ausreden auszudenken.
Vielleicht ist das nur vorübergehend,
eine provisorische Füllung. Aus irgendeinem
Grund traute ich mich nicht zu fragen. Am
Abend traf ich zufällig vor dem Haus eine
Freundin, die vor ihrer Karenz als Zahnarztgehilfin
gearbeitet hatte. Und als ich ihr von dem
Termin erzählte, sagte sie: “Oje, das haben wir
normalerweise nur den Bauern gegeben. Aber
seit Jahren verwenden wir diese Füllung nicht
mehr. Sie hätte dich fragen sollen.” Ich fühlte
Knoten im Bauch und mein Kopf begann sich die
verschiedenen Szenarien auszudenken, warum
sie das gemacht hatte. Weil ich Flüchtling bin?
Jedes Mal, wenn ich den Amalgamgeschmack
wahrnahm, stieg die Wut in mir hoch. In der Früh
rief ich sie an, ich wusste jedoch nicht, was ich sagen soll.
“Es hat mich traurig gemacht”, kamen die Worte ohne
zu überlegen aus meinem Mund. “Ich werde Sie schon
gefragt haben”, konterte sie. Ich versicherte ihr, dass ich
nicht gefragt wurde und schwieg eine Weile.
DIE SCHUBLADEN NEU SORTIEREN
Letztendlich gab sie mir einen Termin am nächsten Tag.
Sie empfing mich mit einem großen Lächeln, und sie wirkte
weniger gestresst und schaute mir länger in die Augen.
“Es tut mir leid, ich wollte Ihnen die Kosten der teuren
Füllung ersparen. Denn die weiße Füllung ist teuer”, sagte
sie mit ehrlichem Ton und begann die Füllung zu wechseln.
Es ist für niemanden mehr ein Geheimnis, dass wir
unserem Schubladendenken oft ausgeliefert sind, aber
das ist keine Rechtfertigung. Wir können darauf Einfluss
nehmen und die Schubladen neu sortieren.
Tu etwas! Sprich darüber. Lies Bücher von schwarzen
SchriftstellerInnen. Besuche Seminare und Workshops.
Rede mit Menschen, die rassistische Erfahrungen erlitten
haben, solange sie reden wollen. Denn Rassismus ist
ein seelischer, körperlicher Schmerz und eine geistige
Blockade.
Robert Herbe
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KUNST UND KULTUR FÜR DIE GANZE STADT:
WIEN DREHT AUF!
800 Acts, 2.000
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Wien ohne Konzerte, ohne Theater,
ohne Lesungen, Kabarett,
Performance und Tanz – was noch
vor wenigen Monaten undenkbar
schien, das hat die Corona-
Pandemie der Stadt aufgenötigt.
Aber: Wien ohne Kultur ist nicht
komplett, gerade bei der gesellschaftlichen
und sozialen Bewältigung
von herausfordernden
Zeiten.
Also dreht Wien wieder auf!
Am 9. Juli startet der „Kultursommer
2020“, in dessen Rahmen
von Donnerstag bis Sonntag
rund 25 Bühnen in der ganzen
Stadt bespielt werden – selbstverständlich
im Einklang mit den
Corona-bedingten Sicherheitsvorkehrungen.
Mit dem Kultursommer Wien
2020 wird die gesamte Bandbreite
der Kulturlandschaft ausgespielt.
Musik von Pop bis Klassik,
Tanz und Performance, Theater,
Lesungen, Kleinkunst, neuer Zirkus,
Figuren- und Objekttheater,
Worldmusic, Kinder- und Jugendtheater
– das alles und mehr wird
auf den Bühnen in der ganzen
Stadt Raum finden. Seien Sie
dabei beim Kultursommer 2020 –
und bitte:
Halten Sie Abstand, aber nicht zu
Kunst und Kultur!
9. Juli bis 30. August
Alle Infos unter: 01/34 35 814
kultursommerwien.at
Eintritt
frei!
68 / MIT SCHARF /
„Die Leiden des jungen Todor“
Von Todor Ovtcharov
Helden von heute
Jeder will ein Held sein. Das Problem ist, dass
sich jeder was anderes unter Heldentum vorstellt.
Ein Freund von mir zum Beispiel will,
dass er zur Testperson für die Covid-Impfung wird.
Somit wird er wie Robert Koch, der zu seiner Zeit
die Tuberkuloseimpfung an sich getestet hat. Heute
ist eines der berühmtesten Impfinstitute nach ihm
benannt. Und mein Freund stellt sich genau das vor –
sein Name in goldenen Buchstaben an der Tür eines
schönen Gebäudes. Er träumt jeden Tag davon und
nur der bloße Gedanke daran bereitet ihm Freude.
Eine andere Bekannte von mir möchte gerne eine
Heilige sein. Genau wie Mutter Teresa möchte sie
allen Kranken und Leidenden helfen. Um eine Heilige
zu sein muss man auf kleine Freuden des Lebens
verzichten, so wie Bier oder Käsekreiner, aber der
Zweck heiligt die Mittel. Stellt euch vor, wie cool es
wäre, mit einem Heiligenschein durch die Gegend
zu laufen. Man bräuchte nie wieder eine Leselampe.
Andererseits hat man den Nachteil, dass man lernen
muss, im Hellen einzuschlafen. Aber man gewöhnt
sich sicherlich daran.
Ein Dritter möchte so stark wie Arnold Schwarzenegger
im Film „Commando“ sein. Man würde
gerne alle Bösewichte bekämpfen, um seine Tochter
zu retten. Selbst wenn man gar keine Tochter hat.
Ich bin der Vater einer Tochter und stelle mir jeden
Tag vor, wie ich hunderte von bösen, schwer bewaffneten
Männern bekämpfe, um sie zu retten. Denn
was kann er, was ich nicht kann? Er war ja anfangs
bloß ein Bodybuilder aus der Steiermark. Ich muss
aber statt mit bewaffneten Männern meistens nur mit
Bürokratie kämpfen. Ich stelle mir oft vor, wie ich die
Bürokraten zusammen mit ihren Büros einfach so aus
dem Fenster hinauswerfe. Hier weicht mein Traum
vom Heldentum, der Idee von gesellschaftlich akzeptiertem
Benehmen, aber wie ich schon erwähnt habe,
gibt es unterschiedliche Definitionen von Heldentum.
Es gibt auch Menschen, die träumen, die gesamte
Gesellschaft zu verändern. Sie wollen oft den Kapitalismus
abschaffen, da er unfair und unmenschlich
ist. Doch niemand kann sagen, was man an seiner
Stelle installieren kann. Denn die Alternativen sind
in der Geschichte gescheitert. Anarchie ist geil, aber
jeder will, dass die U-Bahn pünktlich kommt. Kann
man einem anarchistischen U-Bahn-Fahrer vertrauen?
Und was wird aus meiner Pension? Braucht man
in der neuen Weltordnung überhaupt eine Pension?
Eigentum mag Diebstahl sein laut Prudhon, aber ich
will nicht, dass sich wer anderer die Zähne mit meiner
Zahnbürste putzt.
Viele wollen Helden sein. Wenige werden es tatsächlich.
Der „Joker“ aus dem Film predigt Anarchie
und der Schauspieler Joaquin Phoenix bekommt den
Oscar für die Rolle. Doch Kino ist eins und die Realität
ganz anders. Deshalb ist es am besten, wenn wir
für das Hier und Jetzt leben. Denn so tragen wir die
Verantwortung für ein besseres Morgen. ●
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