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Leseprobe_Franke

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Hier könnte ich es schaffen, dachte ich. Doch zuerst musste<br />

ich mich von Altlasten befreien, alles abschütteln, um für<br />

einen Neubeginn gerüstet zu sein.<br />

Das war nicht immer so gewesen.<br />

Ich blickte auf die Uhr, ging zum Fenster, nur um zu sehen,<br />

ob mein ungebetener Gast schon verschwunden war.<br />

Es war niemand mehr vor dem Haus. Ich war zufrieden und<br />

fing an zu schreiben. Mit dieser Tätigkeit wollte ich ganze<br />

Tage zubringen. Für das Schreiben konnte man sich keinen<br />

vortrefflicheren Ort aussuchen. Und schon schweiften meine<br />

Gedanken ab, ließen mich nicht mehr los, fesselten mich<br />

so lange mit Nichtigkeiten, bis ich erschöpft aufgab, in mich<br />

zusammensank und das Schreiben nicht einmal mehr in Erwägung<br />

zog. Hier, auf Island, verloren sich die Gesetze, die<br />

Macht und die Gewohnheit im Nichts. Alles, was mein Leben<br />

bis dahin ein wenig erfüllt hatte, leidenschaftliche Gespräche,<br />

zufällige Begegnungen, unbändiges Verlangen, vielversprechende,<br />

aber letztlich doch hoffnungslose Liebesbeziehungen,<br />

das alles zählte nicht; jedenfalls nicht auf dieser Insel.<br />

Inmitten dieser Trostlosigkeit zählte nur der eiserne Wille,<br />

ein Wille, der mir aber nicht gegeben war. Ich ging zur Tür<br />

und öffnete sie vorsichtig. Nichts als Stille. Was hatte ich erwartet?<br />

Die Straßen waren ebenso leer wie das Haus, wie das<br />

Land, wie auch ich.<br />

Am darauffolgenden Tag regnete es noch immer. Oft stand<br />

ich am Fenster. Über dem Haus versammelten sich Gespinste<br />

von vollgesogenen Wolken, tiefschwarz und bedrohlich, unheilvoll<br />

sich auftürmend, nur darauf bedacht, sich schnell von<br />

ihrer schweren Last zu lösen. Wenn dann der Regen für wenige<br />

Minuten nachließ oder einer kurzen, tropfenden Stille<br />

wich, unterbrach auch ich meine Arbeit, mein Nachdenken,<br />

und in diesen Momenten stand ich vor dem Fenster, starrte<br />

in die unendliche Dunkelheit, in der Hoffnung, etwas zu<br />

erkennen, etwas wahrzunehmen oder zu erahnen, vielleicht<br />

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