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Leseprobe_Kirchner_Der Mann von Pölarölara

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Chowanski wird ermordet, sein Gegner, der Fürst, ins<br />

Straflager verbannt, die Sekte der Altgläubigen stirbt den<br />

selbst gewählten religiösen, qualvollen Feuertod. Paata<br />

Burchuladze, der georgische Sänger, singt den Part ihres Anführers.<br />

Sein schwarzer, expressiver Bass wurde <strong>von</strong> Karajan<br />

mit Schaljapin verglichen. Paata gelingt es, inmitten des Verbrennens,<br />

Alfred am Regiepult <strong>von</strong> der Bühne herunter mit<br />

seinem großen, orthodoxen, goldenen Kreuz ein wenig zu<br />

blenden, ein wenig mit ihm zu flirten.<br />

Abbado tritt ans Pult. Er ist so hübsch! <strong>Der</strong> Blick scheint<br />

zuweilen nach oben gerichtet, als ob er sich in den eigenen<br />

Kopf schauen möchte. Er dirigiert auswendig.<br />

Das Orchester ist vollkommen eingenommen <strong>von</strong> seinem<br />

Charisma. Wenn die ersten Töne des Vorspiels erklingen, ist<br />

es nicht einfach Musik: Man meint, ein Wiegenlied des Todes<br />

zu hören. Doch diese Musik explodiert auch in wilden Ausbrüchen<br />

und erinnert an Hegels dramatische Perspektive der<br />

„Schlachtbank der Weltgeschichte“ – also brutal an unsere<br />

gegenwärtige globale Wirklichkeit.<br />

<strong>Der</strong> tolle Chor aus Bratislava singt in einer überwältigenden<br />

Szene, <strong>von</strong> keinem Ton des Orchesters begleitet, die Klage<br />

eines verlorenen Volkes. <strong>Der</strong> Klang der Stimmen steht für<br />

sich vollkommen ruhig, frei im Raum. Und berührt – berührt<br />

– berührt.<br />

Alfred, am Regiepult der Wiener Staatsoper – da sitzt man<br />

auch nicht jeden Tag –, kommt sein Schwabenbruder Hölderlin<br />

in den Sinn:<br />

„Ihr wandelt droben im Licht<br />

Auf weichem Boden, selige Genien!<br />

Glänzende Götterlüfte<br />

Rühren euch leicht,<br />

Wie der Finger der Künstlerin<br />

Heilige Saiten. (…)<br />

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