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Prattinge Frühjahr 2020

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Tuxer Prattinge – Ausgabe Frühjahr 2020

„Heute spüre ich, dass ich in meinem

künstlerischen Tun bin, wer ich

bin. Heute bin ich so gerne Frau.

Heute will ich keine Männer mehr

nachahmen. Heute bin ich eine

Frau, ein Mensch, ein ICH, das sich

selbst liebt ... mit all seinen Fehlern.“

An Ihren Texten lässt sich ablesen,

dass Sie sich als Frau gefunden

haben. Wie war Ihr Weg bis

zu diesem runden, gesunden

Frauenbild?

Claudia Wisiol: Mein Weg zu meinem

jetzigen Gefühl als Frau war

ein langer und es hat mich ordentlich

„durchgebeutelt“ und immer

wieder hin- und hergeworfen.

Als Kind ist man zuallererst einmal

Mensch. Man ist klein und groß zugleich

und das ist das Wunderschöne

daran, weil man von all dem,

was einen noch gesellschaftlich einengen

wird, nichts weiß. Ich war ein

sehr freier, kreativer Geist mit einem

unbändigen Freiheitsdrang,

aber sehr früh habe ich gespürt, dass

es da eine mir völlig unergründliche

und unverständliche Macht gab, die

bei den Buben lag. Vieles schien

leichter zu sein, wenn man in der

Haut eines Buben steckte. Die einzige

Möglichkeit, um den gleichen

Wert zu erlangen wie meine männlichen

Spielfreunde, die ich damals

als kleines Mädchen für mich sah,

war, im Spiel bewusst klassische

„Bubenrollen“ einzunehmen.

Erinnern Sie sich an Stationen in

Ihrem Leben, die für Ihr Wachstum

besonders bedeutsam waren?

Wisiol: In der Pubertät – mit der

Veränderung des eigenen Körpers

und dem Vergleichen mit anderen

jungen Frauen – schlich sich der

Wunsch, gefallen zu wollen, in

mein Leben. Zu diesem Zeitpunkt

habe ich mich aus heutiger Sicht

zum ersten Mal „klein gemacht“,

kleiner als ich in Wirklichkeit war.

Ich habe begonnen, mein wahres Ich

zu verstecken und ein anderes, wie

mir schien „gesellschaftlich willkommeneres

Ich“ vorzutäuschen.

Dies stürzte mich in eine Sinnkrise.

So begann ich mit ca. 13 Jahren zu

schreiben. Wer bin ich eigentlich?

Wo komme ich her? Wohin gehe

ich? Wie lebe ich mein Menschsein

hier auf dieser Erde als Frau? Was

wäre anders, wenn ich ein Mann

wäre? Ich denke, Schreiben war

schon damals therapeutisch für

mich.

Welche Frauenbilder wurden für

Sie wichtig?

Wisiol: Ich habe mich als junge

Frau viel mit dem Frauen- und Männerbild

in der Kirche auseinandergesetzt.

Ich habe nie verstanden,

warum das Menschsein in der Kirche

nicht über dem Mann- und Frausein

steht. Mit Partnerschaft, Familie

und Kindern erfüllte ich und erfüllte

mich das Frauenbild zur

Gänze. In dieser Zeit wandelte sich

etwas in mir.

Ich begann es zu lieben, eine Frau

zu sein. Ich liebte es, Leben in mir

wachsen zu spüren, ich liebte es,

diese innige Beziehung, wie sie einzig

eine Mutter haben kann, zu meinen

Kindern zu spüren, ich liebte es,

Mama zu sein, ich liebte es, mich als

Frau so voll und rund und ganz

wahrnehmen zu dürfen.

Als meine Söhne dann in ihr eigenes

Leben einzutauchen begannen, meldete

sich der große Wunsch nach

mir selbst wieder in mir. Der große

Wunsch, meinem Selbst entgegen

zu leben. Meine künstlerische Arbeit

ist im Grunde eine intensive Begegnung

mit meinem Selbst, mit

meinem Ich.

Was bedeutet Frausein für Sie?

Wisiol: Frausein ist für

mich Menschsein mit all

den Möglichkeiten, die

dieses Menschsein als

Frau bietet. Frausein hat so

unendlich viele Nuancen,

so viele Farben und Zwischentöne.

Jede Frau ist

ein Kunstwerk, wenn sie

sich traut, mit ihren eigenen

Farben zu malen.

Frausein bedeutet für

mich, dass ich mich in einer

ungeheuren Kraft

wahrnehmen darf, in einer

Verbindung mit Mutter

Erde und mit dem Kosmos.

Frausein bedeutet für

mich, dass ich mich als

Wesen erkennen darf, in

dem Leben entstanden und

gewachsen ist und ich bin unendlich

dankbar für dieses Lebensgeschenk.

Worin liegen für Sie die größten

Stärken der Frauen?

Wisiol: In unserer Verbindung zur

Natur, in unserer Intuition, in unserer

Sinnlichkeit, in unserer Achtsamkeit,

in unserem guten Gespür

für Menschen und Situationen. Unsere

Intuition, unsere „innere

Stimme“, unser untrügliches

Bauchgefühl, führt uns durch unser

Leben, wenn wir sie lassen, wenn

wir sie hören und wenn wir auch

nach ihrer Stimme zu handeln beginnen.

Was sind die größten Herausforderungen

für uns Frauen heute?

Wisiol: Dran zu bleiben und weiterzugehen.

Uns aus dem immer noch

vorherrschenden Energie- und Gesellschaftsmuster

zu befreien, uns

aus Opferrollen zu befreien, uns bewusst

zu entscheiden, den weiblichen

Weg der weiblichen Energie

folgend zu gehen. Dann, so bin ich

fest überzeugt, kann Großes passieren.

Für einen friedvollen Gleichklang

aller Energien auf unserer

Erde braucht es die weibliche Energie

genauso wie die männliche.

Was wünschen Sie Frauen auf ihrem

Weg?

Wisiol: Ich wünsche Frauen, jung

wie alt, dass sie sich selbst lieben

können, genauso wie sie sind. Ich

wünsche uns Frauen, dass wir mutig

sind und uns trauen.

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