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Leseprobe_Federspiel

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Eigentümlichkeiten schätzt, seiner Kanten, seiner Besonderheiten<br />

wegen, die manchmal auch kurios sein mögen. Und<br />

genau darum ging es bei seiner Rede, um Freundschaft. Er<br />

erzählte uns nämlich in ungewohnter Offenheit, dass ihm<br />

ein Freund fehle. Er wollte nicht zugeben, dass er einsam sei,<br />

und vielleicht ist er es auch nicht, denn an Bekannten fehlt<br />

es ihm durch seine Arbeit im Orchester nicht, auch hat er,<br />

soviel mir bekannt ist, zwei gute Freunde. Den einen kenne<br />

ich, es ist ein ehemaliger Schulkamerad von ihm, heute Apotheker.<br />

Vom anderen weiß ich nur aus Anekdoten. Trotzdem<br />

meinte er, dass ihm ein Freund fehle, ein dritter Freund. Er<br />

sagte, er spüre die Lücke, in die dieser Unbekannte hineinpassen<br />

würde. Ich hakte nach. Meistens lasse ich ihn einfach<br />

reden und hüte mich, ihn durch Fragen weiter anzuregen,<br />

aber in diesem Fall wollte ich mehr wissen.“<br />

„Ihre Arbeit.“<br />

„Richtig. Ich fragte ihn also, wie diese Lücke denn beschaffen<br />

sei. Ob er Genaueres dazu zu sagen wisse. Wie sich<br />

das Fehlen denn anfühle. Und mein Schwager begann, die<br />

Lücke zu beschreiben. Er hätte gern jemanden, mit dem er<br />

am Montagnachmittag Schach spielen könnte. So spezifisch<br />

fing er an. Etwas unreif vielleicht, aber warum nicht. Und<br />

dann: Manchmal spüre er, dass Dinge in ihm gesagt werden<br />

wollten, aber keiner stelle ihm die entsprechenden Fragen,<br />

und deshalb wisse er gar nicht, was da in ihm schlummere,<br />

ohne Frager könnte er nicht antworten. Er erinnerte sich an<br />

einen Freund aus Kindertagen, einen Jungen, der ihn um einen<br />

halben Kopf überragte und der ihm allein deshalb eine<br />

Empfindung von Sicherheit vermittelte. Manchmal sei ihm<br />

danach, spätnachts noch jemanden anzurufen, ohne besonderen<br />

Anlass, also nicht im Notfall. Seine beiden anderen<br />

Freunde würden ihm das nicht übel nehmen, aber es seien<br />

eben keine spätnächtlichen Freunde. Ich war übrigens durchaus<br />

erstaunt über die Feinfühligkeit seiner Beschreibung.<br />

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