Leseprobe_Federspiel
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„Beruf oder Hobby?“, fragte ich.<br />
Er warf mir einen Blick zu, ohne mich anzusehen, drückte<br />
auf den Knopf am Stiftende und ließ die Spitze der Mine<br />
verschwinden.<br />
„Zeichnen ist mein Beruf“, sagte er. „Seltsam, dass ich bei<br />
der Antwort auf diese Frage stocke. Vielleicht weil sie mir<br />
missverständlich vorkommt. Die Antwort, meine ich.“<br />
„Inwiefern?“<br />
„Woran denken Sie denn, wenn Ihnen jemand als Zeichner<br />
vorgestellt wird?“<br />
Ich rollte meine Zeitschrift zusammen, überlegte. „An<br />
Werbegraphik vielleicht. Oder an Hochbauzeichnung.<br />
Comics. Natürlich an die Pastellkreidehausierer, die vor<br />
einer Kathedrale Touristen verewigen.“<br />
Er warf einen Blick aus dem Fenster auf die Vororte, in<br />
denen sich die Stadt hinter uns rasch auflöste, nickte. „Die<br />
Zeichnung hat oft etwas Kaltes, Unzweideutiges. Auch<br />
Lumpen können zeichnen.“<br />
„Viele Maler waren Lumpen.“<br />
„Das ist eine andere Sorte Lump. Anders als die Malerei<br />
hat die Zeichnung gerade wegen ihrer Unzweideutigkeit<br />
aber auch etwas Zweckdienliches. Ich bin ein zweckdienlicher<br />
Zeichner.“<br />
Die Luft im Waggon war feucht von den regennassen<br />
Kleidern der Passagiere. Ich roch Seife, war aber nicht sicher,<br />
von wem der Duft stammte.<br />
„Sie sprechen in Rätseln“, sagte ich.<br />
„Sie haben recht. Dabei gehört es eigentlich zu meiner<br />
Aufgabe, Rätsel zu lösen.“ Er nahm einen tiefen Atemzug,<br />
schien zu überlegen, ob er mir Genaueres mitteilen wollte;<br />
aber natürlich konnte er jetzt nicht mehr zurück, ohne<br />
sich über Gebühr wichtig zu machen. „Ich bin Phantomzeichner.“<br />
„Bei der Polizei? Interessant.“<br />
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