Leseprobe_Federspiel
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Phantome<br />
Es war der einzige freie Platz im Waggon. Ein Zufall also.<br />
Oder vielleicht auch kein Zufall: Den Mann umgab eine fast<br />
physisch spürbare Aura, eine Hülle der Unnahbarkeit.<br />
Er trug trotz der Wärme im Zug einen etwas abgewetzten<br />
Kamelhaarmantel, Lackschuhe mit polierten Schnallen, eine<br />
weiße Krawatte. Das Auffälligste an ihm war aber sein Bart:<br />
Breite Koteletten, die abrupt in ein schmales, behaartes Band<br />
übergingen, das wiederum entlang dem Kiefer zu einem<br />
dichten, dunklen, quaderartigen Gewebe führte. Für den<br />
Mund war eine schmale Klinse herausgeschnitten, die Lippen<br />
sahen aus, als wären sie sorgfältig aufgeklebt worden.<br />
Ich war verblüfft.<br />
„Ist hier frei?“, fragte ich.<br />
Der Mann hatte die Beine übereinandergeschlagen und<br />
war dabei, etwas auf einen kleinen Zeichenblock zu kritzeln,<br />
und die Hand mit dem Fallminenstift schien sich auf<br />
dem Blatt wie ferngesteuert einfach weiterzubewegen, als er<br />
zu mir aufsah, mich kurz musterte und „Bitte“ sagte.<br />
Eine tiefe, kehlige Stimme, etwas metallisch. Er zeichnete<br />
weiter.<br />
Die Krawatte war, genau besehen, schwarzweiß, aber über<br />
dem dunkelblauen Hemd stach vor allem ein senkrechter<br />
weißer Streifen vor seiner Brust heraus, wie eine leuchtende<br />
Öffnung zu seinem Innersten. Keine, die man berühren<br />
wollte, eher eine Schramme, vor deren Empfindlichkeit<br />
man zurückschreckte.<br />
7