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und ganze Hass und der große und ganze Ekel befreien könnte;<br />
dass erst in dem Nichtgedachten, in dem Unüberlegten,<br />
in dem nicht von der Angst Zerfressenen sich der Ekel Bahn<br />
brechen könne, weil er so groß würde, so übermächtig groß,<br />
dass er, wie das Moos die Gießkanne, alle Angst überwuchere<br />
und in sich einsauge wie eine Schlange ihre Beute, mag sie<br />
noch so groß sein, mag sie auch so groß sein, dass die Schlange<br />
an dieser Beute innerlich zerplatze, und so groß auch, dass<br />
sie tatsächlich zerplatze: dass also ihre Haut reiße und alles<br />
Gedärm sich ihr entwinde, samt der Beute, samt allen<br />
Eingeweiden. Solch einen Hass und Ekel hätte sich Sebastian<br />
gerne herbeigewünscht; und ihm schien, dass einer der<br />
Gründe, weshalb er solcher Aufwallungen nicht fähig sei,<br />
in Lydia bestünde. Nicht in ihrer Lethargie und langsamen<br />
Verfasstheit, sondern darin, dass sie einfach da war: er hatte<br />
eine Freundin; und manchmal hasste er sich dafür; aber<br />
der Hass reichte nicht aus, um den einen großen Hass zu<br />
bilden und zu gestalten, der es vermocht hätte, eine Veränderung<br />
herbeizuführen. Das spürte und wusste Sebastian;<br />
und indem er es spürte, hasste er Lydia. Aber das war kein<br />
Hass, nur ein Hässchen, kein Ekel, sondern ein Ekelchen,<br />
etwas nicht Ganzes, etwas Halbes, etwas, im Grunde, Unwürdiges.<br />
Was war es dann? Indolenz? Feigheit? War es ein<br />
Sicheinrichten im Leben, in den Gewohnheiten; eine rein<br />
intellektuelle Einstellung, eine Verkostung der Dinge des<br />
Lebens, eines Lebens, das immer die anderen lebten, man<br />
selber aber niemals? Man verkostete da ein bisschen, dort ein<br />
bisschen, schließlich war man ja gebildet; man las hier ein<br />
bisschen, dort ein bisschen; informierte sich da ein bisschen<br />
über diese und jene gedankliche Strömung, las und studierte<br />
ein bisschen diese Theorie und jene Gedanken, aber leben …<br />
das sollen die anderen machen. Sebastian schien es trivial,<br />
sich solche Vorwürfe zu machen; und gerade darin, dass es<br />
ihm trivial erschien, glaubte er einen Hauch der Möglichkeit<br />
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