„Ist das jetzt dein Professor?“, fragte Bruno, während Sebastian, innerlich unwillig sowohl über diese ihm dreist anmutende Frage wie auch über den Anruf selber, den er mehr gefürchtet denn erwartet hatte, sich dem laut und aufdringlich läutenden Apparat näherte. ‚Alles ist in dieser Wohnung laut und aufdringlich: die knarrenden Bretter, die Toilettenspülung, das Telefon, dieser Bruno. Zum Glück geht mein Zimmer auf eine Sackgasse. Gott sei Dank ist es in meinem Zimmer ruhig.‘ Sebastian atmete, in dieser Mischung von Beklemmung und Glück, schwer und ihm war plötzlich – ‚Wie lange schon‘, fragte er sich, habe ich nicht so gefühlt? Und warum nicht?‘ – nach Weinen zumute: ‚Ja, warum habe ich nicht so gefühlt? Und jetzt das. Jetzt ruft dieser Wilmitsch mich an. Seinetwegen fühle ich so. Seinetwegen erlebe ich ein Gefühl. Dann aber wird er mich vereinnahmen, dann wird er mich binden und ich werde sein Mitarbeiter sein und dann werde ich nichts mehr empfinden, dann werde ich abstumpfen und versauern in der stickigen Luft der Archive und des Kellers. Und wozu das alles? Für die neue Edition irgendeines Werks, für das sich niemand interessiert? Wozu das alles? Kurzes Erleben, kurzes Aufflackern einer menschlichen Regung und dann soll das alles aus sein, überfrachtet und überstickt von der erbärmlichen Nichtigkeit der Wissenschaft und wozu, wozu …?‘ Sebastian hörte Professor Wilmitschs fröhliche, bubenhafte Stimme, der das beständige Lächeln eingeschrieben war wie einem Baumblatt seine Adern. Und kaum hatte Sebastian sich versehen, sagte er ein ‚Ja‘ und in diesem Augenblick, als er es aussprach, schien ihm, dass alles egal und gleichgültig sei; nicht einmal mehr der trotzende Unmut, verursacht durch die dreiste Ungezwungenheit Brunos, vermochte ihn noch zu stören. ‚Mich stört nichts, weil mir alles egal ist. Mir ist alles egal, weil ich plötzlich innerlich abgestorben bin.‘ Sebastian war, als ob er ausspucken müsste, wie nach einer 11
langen Anstrengung, die er bald auskostete und die er zugleich lächerlich übertrieben fand. Er sprach mit Wilmitsch. 12