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Fachwerk 2020

Das Magazin der Denkmalpflege des Kantons Bern

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48 BERICHTE | RAPPORTS<br />

BERICHTE | RAPPORTS 49<br />

Verborgenes Wissen im Mörtel<br />

An der Kirche Zweisimmen wurden Fragmente bisher unbekannter Verputzmörtel<br />

freigelegt, welche die Baugeschichte umschreiben und neu erfahrbar machen.<br />

01 Verputz aus dem 10. Jahrhundert. Mehrere horizontal<br />

verlaufende Kellenstriche sind erkennbar (Pietra-Rasa-Verputz).<br />

Detailauf nahme, Höhe des Fotoausschnitts ca. 90 cm.<br />

02 Mörtel 11. Jahrhundert. Detailaufnahme, Breite des<br />

Fotoausschnitts ca. 30 cm.<br />

03 Mörtelfragment des 12. Jahrhunderts mit Resten von<br />

Wandmalerei.<br />

04 Mörtelfragmente des 13. Jahrhunderts um ein im 15. Jahrhundert<br />

vermauertes Rundbogenfenster gezogen. Detailaufnahme,<br />

Breite des Fotoausschnitts ca. 110 cm.<br />

05 Kirche Zweisimmen von Norden.<br />

06 Grundriss der Kirche (Plangrundlage: atelier werkidee trachsel<br />

GmbH, 3771 Blankenburg, Umzeichnung: Rolf Bachmann,<br />

Denkmalpflege)<br />

01<br />

02<br />

05 06<br />

03<br />

Die spätgotischen Wandmalereien in der Kirche Zweisimmen<br />

zeigten seit einigen Jahren vermehrt Schäden an der<br />

dem Friedhof zugewandten Nordwand. Sie sind auf einen<br />

zu dichten Putz an der Aussenfassade zurückzuführen.<br />

Als dieser Verputz im Winter 2018/19 abgenommen wurde,<br />

traten grossflächige, teilweise sehr aussergewöhnliche<br />

Verputzmörtel zu Tage, die dem Betrachter eine bislang<br />

ungeahnte Baugeschichte erfahrbar machen.<br />

Verputz − unmittelbarer Ausdruck der Architektur<br />

04<br />

Mittelalterliche Verputze sind meist nur fragmentarisch erhalten<br />

und bislang spärlich naturwissenschaftlich untersucht<br />

und dokumentiert. Umso wertvoller erschien es,<br />

die an der Nordfassade der Kirche Zweisimmen freigelegten<br />

Verputzmörtel genauer unter die Lupe zu nehmen.<br />

Putz und Farbe sind nicht nur beliebig austauschbare Verschleissschichten,<br />

sondern als das eigentliche Äussere eines<br />

Bauwerks auch unmittelbarer Ausdruck seiner architektonischen<br />

Gestaltung. Oberflächengestaltung und farbliche<br />

Erscheinungsform machen Architektur für uns sichtbar<br />

und begreifbar. Sie können Gebäuden auch eine neue<br />

Wirkung geben. In der denkmalpflegerischen Praxis betrachtet<br />

man definierbare Eigenschaften eines Denkmals<br />

im Gesamtzusammenhang. Sie werden in die Strategie zu<br />

seiner Erhaltung mit einbezogen. Dieses Vorgehen setzt<br />

das Erkennen und Verstehen baukünstlerischer Aussagen<br />

voraus, die sich anhand von Farbfassungen oder von Baumaterialien<br />

bestimmen lassen.<br />

Die Verwandlung der Kirche<br />

Es erstaunt nicht weiter, dass die Kirche Zweisimmen mit<br />

jeder baulichen Umgestaltung ein neues Äusseres erhielt.<br />

Finden Forscherinnen in den Mörteln organische Bestandteile,<br />

kann die Entstehungszeit durch Radiokohlenstoff-<br />

datierung bestimmt werden. In Zweisimmen wurden den<br />

Mörteln kleine Ästchen entnommen und vom Physikalischen<br />

Institut der Universität Bern und dem dendrochronologischen<br />

Labor des Archäologischen Dienstes Bern in<br />

Bezug auf ihre Entstehungszeit analysiert.<br />

Der älteste Verputz konnte in das 10. Jahrhundert datiert<br />

werden. Daraus lässt sich die Erbauungszeit der heutigen<br />

Kirche ziemlich genau bestimmen. Sie hatte damals die<br />

beachtlichen Ausmasse von 24 Metern Länge und ca. 8<br />

Metern Breite. Ihre Fassaden waren von Anfang an verputzt.<br />

Das muss nicht verwundern, ist es doch die Zeit, in<br />

der selbst sorgfältig bearbeitete Bauteile mit Putz oder Farbe<br />

veredelt wurden. Der erste Verputz umschloss netzartig<br />

die Mauersteine und wurde durch Ritzungen betont. Solche<br />

Putze werden als «Pietra-Rasa»-Putze bezeichnet und<br />

waren im Mittelalter weit verbreitet (Abb. 01).<br />

Im 11. Jahrhundert änderte sich der ästhetische Anspruch<br />

an das Äussere eines Bauwerks. So wurde auch die Nordfassade<br />

der Kirche vollflächig mit einem weisslich-beigen<br />

Verputz versehen, den man nur teilweise glättete (Abb.<br />

02). Als etwa 100 Jahre später grosse Umbauten erfolgten,<br />

wurden das Innere und Äussere der Kirche gestalterisch<br />

miteinander verbunden, was heute noch grossen<br />

Eindruck macht. Der rot durchgefärbte, plastisch perfekt<br />

aufgetragene Mörtel erzeugt im Zusammenspiel mit dem<br />

weissen, feinkörnigen Verputz der Fassaden ein beeindruckendes<br />

Farbenspiel. Die besondere Bedeutung der Farbe<br />

Rot als Hoheitssymbol erklärt den auf Innenwandflächen,<br />

Portalen und Fensteröffnungen beschränkten Einsatz dieses<br />

Stuckmörtels. Im Innern der Kirche diente der rot eingefärbte<br />

Verputz zusätzlich als Malgrund (Abb. 03). Diese<br />

prägende Wand- und Fassadengestaltung erneuerte man<br />

im 13. Jahrhundert und sie blieb bis kurz vor der Reformation<br />

erhalten (Abb. 04).<br />

Die heute sichtbaren Wandmalereien an der Westfassade<br />

und im Kircheninnern sowie der polygonale Chorabschluss<br />

entstanden in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.<br />

Die damals bereits stark beschädigte Nordfassade der Kirche<br />

wurde ab dieser Zeit nicht mehr in die Gestaltung eingebunden<br />

und bloss mehrfach flächig verputzt und gekalkt.<br />

Ein Teil der beeindruckenden älteren Gestaltungselemente<br />

wurde bei der letzten Restaurierung konserviert<br />

und für die Betrachtenden sichtbar belassen. Weitere Erkenntnisse<br />

zur Gestaltung der Schaufassaden können im<br />

Frühjahr <strong>2020</strong> erwartet werden. Dann erfolgen die Untersuchungen<br />

an den Chorfassaden.<br />

Zweisimmen, Kirchgasse 4d<br />

Massnahmen: Sanierung der Nordfassade, 2017 – 2019<br />

Bauherrschaft: Reformierte Kirchgemeinde Zweisimmen<br />

Architekten: atelier werkidee trachsel GmbH, Blankenburg<br />

Restauratoren: Fischer & Partner AG Restauratoren, Bern<br />

Handwerker: Jesùs Dapena AG, Interlaken<br />

Archäologischer Dienst: Armand Baeriswyl, Marco Amstutz<br />

Denkmalpflege: Fabian Schwarz, Sybille Woodford<br />

Unterschutzstellung: Kanton 1985, Bund 1949 und 1957<br />

Beiträge: Kanton (Lotteriefonds/SID)<br />

Sybille Woodford

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