Rahlstedter Leben September 2020
Das Stadtteilmagazin im Hamburg
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Literatur<br />
gehen<br />
LeseTERMINE<br />
oper und punk<br />
freitag, 4. september<br />
20 Uhr, Konzertmuschel<br />
Planten&Blomen:<br />
Sopranistin Katharina Kagel<br />
singt klassische Lieder und Opernarien<br />
begleitet von der<br />
Pianistin Karolina Trojok,<br />
Alexander Posch liest seine<br />
musischen Geschichten vor.<br />
bei hilde<br />
dienstag 29. september<br />
20 Uhr, Brakula:<br />
Lesebühne mit Sarah Brunotte,<br />
Nina Dobrot, Julia Jessen und<br />
Alexander Posch<br />
sibirien<br />
dienstag 13. oktober,<br />
20 Uhr, Brakula:<br />
Sascha Preiß stellt seinen<br />
Erzählband „Sibirien" vor,<br />
singt dazu einige Lieder;<br />
Alexander Posch liest eigene<br />
Russlandgeschichten<br />
Das Seehundblut, so ein kräftiges Rot auf dem Weiß, das konnte<br />
man noch wochenlang auf den Eisschollen sehen.“<br />
„Seehundblut“, murmelt mein Sohn. „Wie hieß denn der Seehund,<br />
Papa?“<br />
„Na, das ist ja eine alte Geschichte“, sage ich, „Da war ich<br />
noch ein kleiner Junge. Vielleicht hieß der Seehund Wolfgang,<br />
so wie Opa?“<br />
Mein Sohn sieht mich an und schüttelt den Kopf. „Nein“, sagt<br />
er. „Nicht Wolfgang - ich glaube, der Seehund hieß Fuchsgang.“<br />
„Ja, dann eben Fuchsgang. Kann schon sein“, sage ich. Und in<br />
diesem Moment merke ich, dass ich mich schon unendlich weit<br />
vom Kindsein entfernt habe.<br />
„Erzähl noch mehr von früher, Papa!“, drängelt mein Sohn.<br />
„Na gut“, sage ich. „Wenn ich in den Sommerferien bei meiner<br />
Oma zu Besuch war, musste ich sie überallhin begleiten. Sie<br />
ging mit mir zur Post, zum Supermarkt, überallhin. Und sie ging<br />
in etwa so.“ Ich gehe nun so zügig, dass mein Sohn neben mir<br />
hergaloppieren muss.<br />
Er lacht. Höre ich auf, so schnell zu gehen, sagt er: „Мach wieder<br />
so, wie die Oma geht!“<br />
„Ihr seid aber schnell wieder da“, wundert sich meine Frau<br />
als wir zur Haustür hereinkommen. Wir waren keine Stunde weg.<br />
„Im Freibad – da war zu viel Seehundblut“, sagt mein Sohn.<br />
Ich nicke. n<br />
a.posch@rahlstedter-leben.de<br />
Alexander Posch<br />
Alexander<br />
Posch<br />
gebührtiger Hamburger,<br />
Jahrgang '68, Autor<br />
und Familienvater<br />
aus Rahlstedt<br />
Geschichten aus Rahlstedt<br />
Anzeige<br />
Text: Alexander Posch Foto: Nadine Asfour auf pixabay<br />
Meine Frau arbeitet zu Hause: Homeoffice. Wir stören<br />
und sollen den Nachmittag im Freibad verbringen.<br />
Also gehe ich mit meinem fünfjährigen Sohn in das<br />
Freibad meiner Jugend. Das Bad liegt direkt neben dem Friedhof.<br />
Auf einer großen Reklametafel, die zwischen den beiden öffentlichen<br />
Orten steht, wirbt der Stadtteil-Konditor mit dem Slogan:<br />
'So gut, dass die Toten auferstehen!'. Auf dem Plakat steigt eine<br />
lachende Frau im Bikini aus einer rosafarbenen Torte. Hier in<br />
Rahlstedt sind die Wege kurz. Alles liegt nah beieinander: Vergnügen<br />
und Tod, gestern und heute.<br />
Schwimmt man zu weit hinaus, kitzelt er<br />
einen zunächst mit seinen Barteln,<br />
dann beißt er dem Schwimmer in die<br />
Füße und zieht ihn ins Dunkel hinab.<br />
Als ich jung war, war das Bad nur eine mit Regenwasser vollgelaufene<br />
Tongrube. Vor einiger Zeit hat die Stadt weißen Sand<br />
aufgeschüttet. Die Tongrube heißt jetzt 'Kupa piti' und ist ein<br />
Beach Club, wo die Leute in Liegestühlen am Wasser sitzen und<br />
Cocktails trinken. Alles wirkt noch provinzieller als zu meiner<br />
Zeit.<br />
Am Strand breiten wir unsere Handtücher aus. Mein Sohn<br />
stupst mich an, als wir uns umziehen: „Papa, erzähl von früher,<br />
als du hier schwimmen warst!“ Also erzähle ich von der Eisenbahn,<br />
die auf dem Seegrund verrostet. Und ich erwähne das Flug-<br />
zeug, das im 2.Weltkrieg notlanden wollte, aber im See versank.<br />
Ich berichte von dem riesigen Wels, der tief unten im Schwarzwasser<br />
lebt. Schwimmt man zu weit hinaus, kitzelt er einen zunächst<br />
mit seinen Barteln, dann beißt er dem Schwimmer in die<br />
Füße und zieht ihn ins Dunkel hinab. Und ich erzähle von den<br />
eiskalten Strömungen, die dem See unterirdisch zufließen, so<br />
dass man augenblicklich schockgefrieren und ertrinken kann,<br />
hat man das Pech, in eine solche Strömung zu geraten.<br />
Mein Sohn steht in seiner Badehose direkt am Ufer. Das Wasser<br />
ist zehn Zentimeter von seinen Zehenspitzen entfernt, aber<br />
er macht keine Anstalten sich weiter nach vorne zu bewegen.<br />
„Willst du nicht reingehen?“, frage ich. Mein Sohn schüttelt<br />
den Kopf. Er will ein Eis.<br />
Ich schwimme eine kleine Runde. Mein Sohn bleibt mit seinem<br />
Eis auf dem Handtuch sitzen.<br />
Nach einer Viertelstunde bin ich zurück und trockne mich<br />
ab. Wir packen zusammen.<br />
„Gibt es denn keine guten Geschichten von dem See?“, fragt<br />
mein Sohn, als wir aus dem Freibad gehen. „Etwas mit Tieren?<br />
Aber mit netten Tieren?“<br />
„Doch“, sage ich. „Es gibt eine Seehundgeschichte. Denn einmal<br />
hatte sich ein Seehund ins Freibad verirrt“, erzähle ich. „Das<br />
war ein extremer Winter, als sogar die ins Freibad einfließende<br />
Wandse zugefroren war. Und der See selbst war natürlich auch<br />
zugefroren. Niemand wusste, woher der Seehund kam. Das Tier<br />
lag ganz gemütlich auf den Eisschollen. Und von Zeit zu Zeit<br />
schlüpfte der Seehund durch ein Loch im Eis und fing sich einen<br />
Fisch. Aber dann hat ihn ein verrückter Angler erschossen.<br />
32 <strong>Rahlstedter</strong> <strong>Leben</strong> 03/<strong>2020</strong><br />
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