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NAH DRAN 01-04.4 - Kinderschutz eV

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Ausgabe 1/2005<br />

nah dran<br />

Zeitschrift des<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V.<br />

5. Jahrgang • Ausgabe 1/2005<br />

Wir fördern Zukunft!<br />

Kampagne zur Gewinnung von Fördermitgliedern für den<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V.<br />

Immer mehr Familien geraten heute in materielle und soziale<br />

Not. Stetig steigende Anforderungen, zunehmender wirtschaftlicher<br />

Druck, Armut, Arbeitslosigkeit und die um sich<br />

greifende soziale Kälte gefährden die Zukunft unserer Jugend.<br />

Wie es um unsere Gesellschaft steht, hat Marc Beise treffend in<br />

der Süddeutschen Zeitung beschrieben (siehe Kasten Seite 3).<br />

Als gemeinnütziger Verein ist der <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V. in besonderer Weise der Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen<br />

verpflichtet. Gemäß seiner Satzung und Tradition fördert<br />

er junge Menschen und deren Familien, die den Weg in eine<br />

gelungene Zukunft nicht aus eigenen Kräften meistern. Er ver-<br />

AUS DEM INHALT<br />

<strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V.<br />

sucht die bestmögliche Hilfe zur bestmöglichen Zeit in der Lebenswelt<br />

der betroffenen Menschen zu leisten: An dem Ort, an<br />

dem die Not entsteht, setzt er an, um das notwendige, besser<br />

das Not wendende, zu tun.<br />

Durch die schwierige wirtschaftliche Lage unseres Landes, sind die<br />

zur Verfügung stehenden Mittel geringer geworden. Alle die, die<br />

keine politische Lobby haben, bekommen von dem kleiner werdenden<br />

Kuchen, der zu verteilen ist, ein kleineres Stück. Das merken<br />

besonders die Wohlfahrtsverbände und ihre Sozialeinrichtungen,<br />

wie der <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V. Es ist<br />

notwendig, sich gegen den FORTSETZUNG AUF SEITE 3<br />

Nachruf: Zum Gedenken an Bernd Wilske<br />

Chance 3 : Nachruf auf eine Erfolgsgeschichte<br />

Wohngruppen: Verantwortung übernehmen für sich selbst<br />

Vollmacht: Für alle Fälle vorgesorgt?<br />


2<br />

nah dran<br />

Inhalt<br />

1 Wir fördern Zukunft!<br />

Kampagne zur Gewinnung<br />

von Fördermitgliedern für den<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V.<br />

5 Zum Gedenken<br />

an Bernd Wilske<br />

Nach 22 Jahren ehrenamtlicher<br />

Mitarbeit im Vorstand des <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz<br />

e.V. verloren wir einen Freund<br />

und weitblickenden Förderer<br />

6 Vielen Dank für<br />

Ihre Unterstützung!<br />

nah dran stellt Menschen,<br />

Initiativen und Unternehmen<br />

vor, die uns helfen, gute<br />

Angebote für junge Menschen<br />

und Familien in Not zu verwirklichen<br />

8 Chance 3 :<br />

Nachruf auf eine<br />

Erfolgsgeschichte<br />

Trotz drei sehr effizienten<br />

Jahrgängen erhielt der <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V.<br />

keine Chance zur Fortsetzung<br />

seines beruflichen Integrations-<br />

Projekts für junge Menschen<br />

in Dachau<br />

11 Verantwortung übernehmen<br />

für sich selbst<br />

Die Kurt-Seelmann-Wohngruppe<br />

3 bietet jungen Menschen<br />

Raum zum „Trainieren“, um<br />

den Schritt in ein selbständiges<br />

Leben zu schaffen<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V.<br />

Liebherrstraße 5, 80538 München<br />

Tel. (089) 23 17 16 –0<br />

Fax (089) 23 17 16 –9969<br />

info@kinderschutz.de<br />

www.kinderschutz.de<br />

Verantwortlich für den Inhalt<br />

Arno Bock, Vorstand<br />

Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht<br />

unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.<br />

Mitglieder der Redaktion<br />

Johanna Auer-Göpfert, Annette Gans,<br />

Thomas Hartkorn, Sabine Krein, Ulrike Wagner,<br />

Arno Bock, Norbert Blesch<br />

Grafik und Layout<br />

sputniks werbeagentur GmbH, München<br />

Druck<br />

JAWO Druck GmbH<br />

14 Selber kochen<br />

angesagt!<br />

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe<br />

von nah dran ist der 19. April 2005.<br />

Beiträge (als Word-Dokument per eMail oder<br />

auf Diskette) sind stets willkommen.<br />

nahdran@kinderschutz.de<br />

Unaufgefordert zugesandte Manuskripte werden<br />

nicht zurückgesandt. Ein Anspruch auf Veröffentlichung<br />

besteht nicht.<br />

nah dran wird kostenlos an Freunde und Interessierte<br />

sowie an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

des Kinderschuz und Mutterschutz e.V. verteilt.<br />

Ein Anspruch auf Belieferung besteht nicht.<br />

Nachdruck nur mit Genehmigung.<br />

© 2005<br />

Ein Bewohner der „Übergangs-<br />

WG“ im nah-dran-Interview<br />

15 10 Jahre individuelle<br />

ganzheitliche Förderung<br />

Die Kindergartengruppe der<br />

Heilpädagogischen Tagesstätte<br />

feierte ihren Geburtstag mit<br />

Schattentheater und Luftballonwettbewerb<br />

17 Georg Schammra:<br />

Allround-Handwerker im<br />

Dienst der Jugendhilfe<br />

Fast 30 Jahre im Einsatz als<br />

Hausmeister des Amalie-<br />

Nacken-Heims und der Dr.-<br />

Elisabeth-Bamberger-Schule<br />

19 Für alle Fälle<br />

vorgesorgt?<br />

Die Abteilung Rechtliche<br />

Betreuung informiert über Vorsorgemöglichkeiten<br />

durch Vollmacht,<br />

Betreuungsverfügung<br />

und Patientenverfügung<br />

21 Bürokratisch alles<br />

in Butter?<br />

Wie eine sinnverkehrte Bürokratie<br />

Initiativen und Ressourcen<br />

der sozialen Zukunftsgestaltung<br />

zunichte macht<br />

23 Leserbrief<br />

Notwendiges aussprechen,<br />

um Not zu wenden!<br />

Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser!<br />

Auf seinem Weg in die Zukunft hat der <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. zum 1. März<br />

2004 einen Generationswechsel mit Weitblick<br />

vollzogen: Nach der fast 30-jährigen<br />

Geschäftsleitung durch Arno Bock wurde<br />

Norbert Blesch, der bisherige stellvertretende<br />

Geschäftsführer durch den Vorstand zum<br />

neuen Geschäftsführer berufen. Arno Bock,<br />

der seit April 2003 in Altersteilzeit halbschichtig<br />

arbeitet, war bereits bei der letzten<br />

Mitgliederversammlung in den Vorstand<br />

gewählt worden. Er wird bis zu seinem Ruhestand<br />

sein Arbeitsverhältnis in der Position<br />

als Vorstandsmitglied weiterführen und<br />

so dem Verein auch künftig mit seiner Erfahrung<br />

und seinem kreativen Engagement zur<br />

Verfügung stehen.<br />

Norbert Blesch ist seit mehr als neun Jahren<br />

beim Verein beschäftigt. Im Jahr 2000 holte<br />

ihn Arno Bock in die Geschäftsleitung, um<br />

ihn noch im selben Jahr zum Stellvertreter<br />

vorzuschlagen. Seither hat sich Norbert<br />

Blesch insbesondere in innovativen Arbeitsfeldern<br />

des Vereins bewährt: So wirkte er<br />

maßgeblich in Projekten wie „Umbau statt<br />

Ausbau“, der Entwicklung der sozialräumlichen<br />

ambulanten Erziehungshilfen in München,<br />

und bei der kids-hotline.de, dem größten<br />

deutschsprachigen Online-Beratungsportal<br />

für Kinder und Jugendliche mit. Darüber<br />

hinaus engagiert er sich seit 1995 im<br />

Rahmen seines Lehrauftrages an der Katholischen<br />

Stiftungsfachhochschule München,<br />

Abt. Benediktbeuern für die qualifizierte Ausbildung<br />

sozialpädagogischer Fachkräfte. Als<br />

Diplom-Sozialpädagoge (FH) und Sozialbetriebswirt<br />

TWT AG (FH) besitzt Norbert Blesch<br />

neben seinen profunden sozialpädagogischen<br />

Kenntnissen auch die wirtschaftliche Kompetenz<br />

für seine neue Aufgabe.<br />

Der Vorstand dankt Arno Bock für seine zukunftsprägenden<br />

Leistungen für den Verein<br />

und wünscht Norbert Blesch gutes Gelingen!<br />

Ihr<br />

Dr. Gernot Wiegand


Die Macher der Kampagne freuen sich über die gelungene Plakataktion: (v.l.n.r.) Annette Gans (Assistentin der Geschäftsleitung), Carter Freeman<br />

(Musiker und Fördermitglied), Markus Maurer (Marketing Firma Kusch+Co.), Karola und Günther Hartkorn (Rentner und Fördermitglieder), Hans Kélen<br />

(Werbeagentur sputniks), Thomas Hartkorn (Mitarbeiter der Geschäftsstelle), Arno Bock (Vorstand) und Norbert Blesch (Geschäftsführer)<br />

Sozialabbau zu wehren, gleichzeitig<br />

aber auch nach alternativen Finanzierungsquellen<br />

Ausschau zu halten. Denn<br />

es ist nicht sicher, dass die Politik, ob<br />

Rot/Grün oder Schwarz/Gelb, die Probleme<br />

löst. Sie ist kaum langfristiger<br />

als eine Legislaturperiode angelegt.<br />

Als Alternative haben sich die Verantwortlichen<br />

im <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V. die Kampagne „Wir fördern<br />

Zukunft!“ einfallen lassen. Dieses<br />

Motto passt zur Aufgabenstellung und<br />

Tätigkeit des Vereins hervorragend: Wir<br />

helfen durch eine breites Spektrum von<br />

Leistungen jungen Menschen zu einen<br />

gelungenen Start ins Leben. Der Jugend<br />

gehört die Zukunft! Was in jungen Jahren<br />

versäumt wird, lässt sich später<br />

kaum noch einholen. „Was Hänschen<br />

nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“.<br />

Unserer Arbeit ist eine Zukunftsinvestition.<br />

Die Früchte werden erst später<br />

geerntet.<br />

Die Idee, die hinter der Kampagne<br />

steht, ist die Zuversicht, dass es Menschen<br />

gibt, die sich mit der Aufgabenstellung<br />

des Vereins identifizieren und<br />

als Fördermitglieder die Arbeit an den<br />

jungen Menschen unterstützen wollen.<br />

Dabei sind die Förderer, die wir zu wer-<br />

ben versuchen, nicht nur altruistisch<br />

gesinnte Menschen, sondern auch politisch<br />

weit blickende Bürger. Sie wissen,<br />

dass eine immer älter werdende<br />

Bevölkerung junge Menschen braucht,<br />

um ein würdiges Alter erleben zu können.<br />

Jeder Euro der in Familien, in Kinderkrippen<br />

und Kindergärten, in Schulen<br />

und anderen Bildungseinrichtungen<br />

investiert wird, ist ein gut angelegtes<br />

und gut verzinsliches Geld. Es<br />

sichert auch den Lebensstandard der<br />

Alten.<br />

Die Realisierung der<br />

Kampagne<br />

Seit Jahren arbeitet der Verein mit der<br />

Werbeagentur sputniks zusammen.<br />

sputniks vermittelt dem Verein kostenlose<br />

Werbeflächen im S-Bahn-Bereich<br />

der Stadt München. Die Großflächenplakate<br />

der Reklamefirmen werden in<br />

der Regel von der Wirtschaft für eine<br />

bestimmte Zeit angemietet. Ist diese<br />

Buchung zu Ende und liegt keine Anschlussbuchung<br />

vor, so werden die Plakatflächen<br />

überklebt. Und das ist die<br />

Chance für den Verein, in den „werbefreien“<br />

Zeiten die Plakatflächen kostenlos<br />

zu bekommen. Die Reklamefirma<br />

überlässt dem Verein die Fläche<br />

▲<br />

nah dran 3<br />

„Die Gesellschaft insgesamt erstarrt. Mit<br />

Mitte 30, so sagen die Experten, ist die Innovationsfähigkeit<br />

und der Antrieb, ein Unternehmen<br />

zu gründen, am größten. Eine<br />

Gesellschaft, in der die Älteren dominieren,<br />

die risikoscheuer sind und auch erschöpfter,<br />

verliert Dynamik und Innovationskraft.<br />

Dieser Entwicklung zu begegnen, duldet keinen<br />

Aufschub. Der Staat darf sich nicht damit<br />

beruhigen, schon viel zu tun...<br />

Wenn der Staat nicht massiv in Kinder investiert,<br />

wenn er nicht Betreuungsangebote<br />

und Teilzeitstellen in großem Stil anbietet<br />

und fördert und die Bildungseinrichtungen<br />

mit deutlich mehr Geld und Aufmerksamkeit<br />

ausstattet, wird sich an der<br />

Bevölkerungskrise nichts ändern. Gute Idee,<br />

aber dafür sei kein Geld da, sagen die Finanzminister?<br />

Es wäre Geld da, wenn Prioritäten<br />

verändert würden. Wichtiger als<br />

Kohlesubventionierung, Landwirtschaftsförderung<br />

und selbst der Straßenbau sind<br />

Investitionen in den Nachwuchs einer Gesellschaft.<br />

Es kann keine höhere Priorität geben, als in<br />

Deutschland die Bedingungen zu schaffen<br />

für mehr und besser abgesicherte Kinder. Es<br />

geht dabei und die Zukunft des ganzen Landes.“<br />

Marc Beise in der Süddeutschen<br />

Zeitung vom 5./6. März 2005


4<br />

nah dran<br />

Mit diesen Großflächenplakaten wurde für die Kampagne „Wir fördern Zukunft!“ geworben<br />

zur Nutzung für eine bestimmte Zeit. Es<br />

fallen nur die Druck- und Klebekosten für<br />

die Plakate an, aber keine Miete.<br />

Die Kosten für den Druck der Plakate und<br />

das Kleben wollte der Verein aber nicht alleine<br />

tragen. Deshalb wurde nach Sponsoren<br />

gesucht, die diese Aktion tragen. Das<br />

war eine schwierige Suche. Aber es gelang<br />

doch, namhafte Firmen zu einer finanziellen<br />

Beteiligung an der Kampagne zu gewinnen.<br />

Natürlich war die Deutsche Eisenbahnreklame<br />

GmbH mit von der Partie.<br />

Sie stellte ja die Werbeflächen zur Ver-<br />

fügung. Die Münchner Rück, der Welt<br />

größte Rückversicherer half mit, Kusch+Co<br />

als Hersteller von Objekteinrichtungen, der<br />

zahlreiche Designpreise erringen konnte,<br />

Rogg Verbandsstoffe GmbH, Lieferant für<br />

Krankenhausbedarf sowie Ellerhold, eine<br />

Spezialdruckerei die Großflächenplakate<br />

produziert, waren mit von der Partie. Sie<br />

finanzierten den größten Teil der Herstellungskosten<br />

der Plakate.<br />

Nun ging es darum, Persönlichkeiten zu<br />

finden, die mit ihrer ganzen Person die<br />

Kampagne tragen. Lydia Schwab, Kran-<br />

Herr Ullmann - „immer unter druck“<br />

Wir wollen uns an dieser Stelle auch<br />

bei der Firma Jawo Druck bedanken,<br />

die seit Jahren sehr preiswert und immer<br />

zuverlässig für uns druckt.<br />

kenschwester aus München stellte sich<br />

ebenso wie das Rentnerehepaar Karola<br />

und Günter Hartkorn, die Yogalehrerin<br />

Sonja Vogt und der Musiker Carter Freemann<br />

für die Kampagne zur Verfügung.<br />

Sie alle sind Fördermitglieder des Vereins<br />

und haben auf den Plakaten in einem kurzen<br />

Satz ihr Engagement begründet. Ihnen<br />

gilt ein ganz besonderer Dank, denn es<br />

ist nicht jedermanns Sache, werbewirksam<br />

auf Plakaten zu posieren.<br />

Die Kampagne „Wir fördern Zukunft“ hat<br />

in der Öffentlichkeit ein gutes Echo gefunden.<br />

Viele andere Münchner Vereine<br />

haben dem <strong>Kinderschutz</strong> zu dieser Aktion<br />

gratuliert. Besonders gut gefallen hat das<br />

Motto, dass auf die Wichtigkeit der Arbeit<br />

mit jungen Menschen und deren Familien<br />

hinweist.<br />

Mit der Kampagne wurden und werden<br />

Menschen gefunden, die sich als Fördermitglieder<br />

beim <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V. finanziell beteiligen - monatlich,<br />

vierteljährlich oder jährlich. Unsere<br />

Bemühungen unsere Spendenbasis zu<br />

verbreitern gehen auch 2005 weiter.<br />

Der Verein freut sich über jedes neue Fördermitglied.<br />

Mitmachen! Freunde und Bekannte<br />

für den Verein begeistern! ■


Am 20. April 2004 verstarb unser ehemaliges<br />

Vorstandsmitglied Bernd Wilske nach<br />

langer schwerer Krankheit in seinem 62.<br />

Lebensjahr. Er war seit 1979 Mitglied des<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V. und<br />

engagierte sich seit 1981 ehrenamtlich im<br />

Vorstand des Vereins. Bei der letzten Vorstandswahl<br />

im November 2003 hatte er<br />

nicht mehr kandidiert. Gezeichnet von seinem<br />

Krebsleiden wusste er, dass er sein<br />

Engagement für Kinder und Jugendliche<br />

aufgeben musste. Wenige Wochen vor seinem<br />

Tod besuchten wir ihn, um ihm für<br />

seine jahrzehntelange Vorstandstätigkeit<br />

zu danken. Dass dieses Treffen unser letzter<br />

Abschied sein würde, war uns allen<br />

nicht bewusst.<br />

Ich kannte Bernd Wilske seit 1968, als er<br />

in der Gewerkschaftsjugend aktiv war. An<br />

einem besseren Gemeinwesen mitzuarbeiten,<br />

die Vision einer gerechteren Welt<br />

zu verwirklichen - das war für ihn bereits<br />

damals Antrieb und persönliche Verpflichtung.<br />

Dabei besaß er einen kritischen,<br />

gleichsam analytischen Realitätssinn, der<br />

ihn davor bewahrte, in Illusionen „abzuheben“.<br />

Mit beiden Beinen in der Welt stehen<br />

und dabei seine humanitären Ziele<br />

nicht aus den Augen verlieren - das war<br />

seine Devise.<br />

Neben dieser Ernsthaftigkeit war Bernd<br />

Wilske aber auch stets für einen „Joke“ zu<br />

haben: Seinen Sinn für Humor wusste er in<br />

zündender Weise einzusetzen - besonders,<br />

wenn es um die „gute Sache“ ging. So habe<br />

ich ihn bei der Gewerkschaft wie auch<br />

beim <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V.<br />

in vielen Sitzungen erlebt, wie er Diskussionsbeiträge<br />

einbrachte oder Anträge<br />

stellte, die auf den ersten Blick unverständlich<br />

erschienen. Das, was man in der<br />

Sozialpädagogik „Paradoxe Intervention“<br />

Zum Gedenken an<br />

Bernd Wilske<br />

Nach 22 Jahren ehrenamtlicher Mitarbeit im Vorstand des <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V. verloren wir einen Freund und weitblickenden Förderer<br />

Soziale Verantwortung übernehmen mit<br />

Einsatzfreude und Humor: Bernd Wilske als<br />

Vorsitzender der AWO Kirchseeon bei einer<br />

Urlaubsfahrt (1999)<br />

nennt, beherrschte er meisterlich! Stets<br />

waren seine Beiträge dann doch sehr zielführend,<br />

aufklärend und emanzipatorisch<br />

– auch wenn sich das erst auf den zweiten<br />

Blick erschloss.<br />

Vor allem aber habe ich Bernd Wilske als<br />

einen Menschen kennen- und schätzen<br />

gelernt, der in seinem Leben immer mit<br />

anderen „geteilt“ hat: Teilen bedeutete für<br />

ihn, die Chancen und Möglichkeiten, die er<br />

selbst hatte oder die sich ihm boten, nicht<br />

egoistisch für sich alleine zu nutzen, sondern<br />

andere Menschen daran „teil-haben“<br />

zu lassen. Das galt ihm sowohl für den<br />

ideellen, als auch für den finanziellen Bereich<br />

als ein persönlicher Auftrag im Sinne<br />

der Menschlichkeit.<br />

Beim <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz hat<br />

er sich mit besonderem Interesse immer<br />

den Aufgaben und Einrichtungen zugewandt,<br />

die über keine so gute Finanzierung<br />

verfügten. So war er lange Jahre die<br />

Verbindungsperson des Vorstandes für die<br />

Berufsbezogene Jugendhilfe unserer<br />

Jugendberatung Kreppe. Nach der Gründung<br />

von kibs, unserer Kontakt-, Informations-<br />

und Beratungsstelle für männliche<br />

Opfer sexueller Gewalt, galt diesem Projekt<br />

seine aktive Förderung. In seiner zweiten<br />

ehrenamtlichen Tätigkeit, als Vorsitzender<br />

der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in seiner Heimatgemeinde<br />

Kirchseeon (Eglharting),<br />

machte er die dortigen Vorstände mit<br />

großem Einsatz auf die Problematik des<br />

sexuellen Missbrauchs an Jungen aufmerksam.<br />

Ein Ergebnis seines Wirkens war,<br />

dass die AWO die Beratungsstelle kibs mit<br />

einer Sachspende unterstützte. Gute Tradition<br />

war auch, dass Bernd Wilske jeweils<br />

zu seinem Geburtstag einen Scheck für ein<br />

ihm wichtiges Angebot unseres Vereins<br />

ausstellte.<br />

Mit Bernd Wilske hat der <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz ein bescheidenes, aber überaus<br />

qualifiziertes und für uns sehr wichtiges<br />

Vereins- und Vorstandsmitglied verloren.<br />

Seinem selbstlosen Engagement für<br />

die von uns betreuten jungen Menschen<br />

und Familien gedenken wir in tiefer Dankbarkeit.<br />

Der Verein und ich verloren einen<br />

Freund.<br />

Danke Bernd, dass Du immer für andere -<br />

und für uns - da warst!<br />

ARNO BOCK ■<br />

Ein Querdenker mit Realitätssinn<br />

und humanitären<br />

Visionen: So kannten wir<br />

Bernd Wilske als Vorstandsmitglied<br />

des<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz<br />

e.V.<br />

nah dran 5


6<br />

nah dran<br />

Vielen Dank für<br />

Ihre Unterstützung!<br />

Spenden statt Geschenke<br />

Ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk bekam der <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. auch im Jahr 2004 von der Firma<br />

Raechl & Mentil Werkzeugmaschinen-Service GmbH in Kirchseeon-Eglharting:<br />

Im Weihnachtsbrief an ihre Kunden bedankten<br />

sich Helmut Raechl und Claudia<br />

Mentil für die guten Geschäftsbeziehungen<br />

und teilten<br />

mit, dass sie (wie schon im Vorjahr),<br />

statt Werbe-Geschenke zu versenden, eine Geldspende an<br />

unseren Verein überweisen werden. - Eine tolle Weihnachtsüberraschung,<br />

die wir mit Freude zum Nachahmen empfehlen!<br />

Es gibt viele festliche Anlässe, die Sie unter das Motto<br />

„Spenden statt Geschenke“ zugunsten des <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. stellen können, z.B. Betriebsfeiern,<br />

Firmenjubiläen oder private „runde“ Geburtstage.<br />

Mit diesem Engagement unterstützen Sie unsere vielfältige<br />

Soziale Arbeit effektiv und schenken Kindern und<br />

Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen neue<br />

Hoffnung.<br />

Adventssingen mit sozialer Kollekte<br />

Bereits seit acht Jahren veranstaltet die Theaterabteilung der<br />

Sportfreunde Aying 1948 e.V. unter der Leitung von Annelore<br />

Czypulowski regelmäßig ein Adventssingen in der Ayinger St.-<br />

Andreas-Kirche zugunsten kranker und hilfebedürftiger Kinder.<br />

Schon im Februar wird damit begonnen, gute Sing- und Instrumentalgruppen<br />

für<br />

die vielbesuchte Veranstaltung<br />

zu organisieren.<br />

Alle Volksmusikgruppen treten dabei unentgeltlich auf.<br />

Mit der Bitte um eine Spende zum Schluss des Adventssingens<br />

konnten die Sportfreunde Aying auch im letzten Jahr eine sehr erfreuliche<br />

Kollekte erzielen, die sie erneut dem <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V. zu Gute kommen ließen.<br />

Tombola für einen guten Zweck<br />

Mit Geschenken ihrer Lieferanten veranstaltete die Brauerei<br />

Aying bei ihrer Weihnachtsfeier eine Tombola für ihre Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter. Als diese erfuhren, dass ihre ebenfalls<br />

hier beschäftigte Kollegin Annelore Czypulowski die Einnahmen<br />

nah dran stellt Menschen,<br />

Initiativen und Unternehmen<br />

vor, die uns helfen, gute<br />

Angebote für junge Menschen<br />

und Familien in Not zu<br />

verwirklichen<br />

Wenn es darum geht, die Lebenschancen von jungen<br />

Menschen und ihren Familien zu verbessern, sind Ihrer<br />

Phantasie keine Grenzen gesetzt: Haben auch Sie eine<br />

Idee dazu? Dann rufen Sie uns an. Wir freuen uns auf Ihre<br />

Kreativität!<br />

des Ayinger Adventssingens unserem Verein zugewiesen hatte,<br />

schlossen sie sich spontan mit dem Erlös der Tombola als Spender/innen<br />

an.<br />

„Weihnachtswunder“ wahr gemacht<br />

Spontane Hilfe zur Selbstversorgung<br />

erhielten die Bewohnerinnen und<br />

Bewohner einer Kurt-Seelmann-<br />

Wohngruppe des <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V. zum letzten Weihnachtsfest<br />

von Uschi Glas: Die bekannte<br />

und beliebte Film- und Fernseh-Schauspielerin,<br />

die unsere Arbeit<br />

schon mehrfach gefördert hat,<br />

fragte im Advent wieder einmal gezielt<br />

nach, welches unserer Projekte<br />

besonders dringend eine finanzielle<br />

Unterstützung benötigte. Ganz akut<br />

brauchte die Wohngruppe am Eichendorffring<br />

in Karlsfeld eine neue<br />

Die Schauspielerin Uschi<br />

Glas unterstützt seit Jahren<br />

immer wieder Projekte und<br />

Aktionen unseres Vereins,<br />

die wir nur durch Spenden<br />

verwirklichen können<br />

Küchen-Einrichtung, da die alte (bereits gebraucht erhaltene)<br />

nach mehr als 10 Jahren im WG-Einsatz schon buchstäblich „auseinander<br />

fiel“. Durch<br />

die großzügige<br />

Spende von Uschi<br />

Glas konnte 2004<br />

nun endlich eine<br />

neue Küche gekauft<br />

und eingebaut werden,<br />

in der sich die<br />

Jugendlichen gerne<br />

treffen und das Kochen<br />

für sich selbst<br />

erproben.<br />

In ihrer neuen gemütlichen und funktionellen<br />

WG-Küche können die Jugendlichen das<br />

Selbstversorgen ausprobieren


Nachbarschaftshilfe für<br />

Nationen-Treff im Sandkasten<br />

Statt eines traditionellen Geschenkes in<br />

Form von Brot und Salz hat sich der Langenscheidt<br />

Verlag in München etwas viel<br />

Nachhaltigeres zum Beginn seiner guten<br />

Nachbarschaft mit unserer Kindertagesstätte<br />

im neu erbauten Stadtteil Parkstadt<br />

Schwabing einfallen lassen: Bernhard<br />

Kellner, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

und seine Mitarbeiterin Barbara<br />

Geiß haben sich auf die Fahnen geschrieben,<br />

die 75 betreuten Kinder aus 16<br />

verschiedenen Nationen gezielt beim Lernen<br />

der deutschen Sprache zu unterstützen.<br />

Zum nachbarschaftlichen Einstand<br />

überreichte die Langenscheidt Verlagsgruppe dafür unserem Kindergarten<br />

eine große Anzahl hochwertiger Sprachlern-Programme<br />

in vielfältigen Variationen. Unter anderem helfen nun die<br />

Hexe Huckla und das Löwenzahn-Kinderlexikon den Mädchen<br />

und Jungen aus verschiedensten<br />

Kulturen beim Erwerb<br />

der Sprache ihrer<br />

neuen Heimat. Für diese<br />

wertvollen Geschenke zur Integrationsförderung bedankten sich<br />

die Kindergartenkinder persönlich bei Karl Ernst Tielebier-Langenscheidt,<br />

dem 85-jährigen Senior-Chef des Verlags, mit einer<br />

selbst gebastelten Bild-Collage, Blumen und einem eigens einstudierten<br />

Dankeschön-Lied.<br />

„Leben (und Spenden) auf<br />

der Hundestraße“<br />

Der serbische Künstler Aleksandar Ivkovic lebt seit über 20 Monaten<br />

unter der Wittelsbacher Brücke in München. Mit einer<br />

Foto-Kamera hat er dort erstaunliche und bewegende Augenblicke<br />

in der Welt der Obdachlosen eingefangen. Seine Bilder werden ergänzt<br />

durch Zeichnungen und Texte, in denen die Menschen unter<br />

der Brücke von ihrer Angst und Einsamkeit, von verlorener<br />

Liebe, aber auch von Glücksmomenten berichten. Herausgekom-<br />

rechts: Der Künstler Aleksandar<br />

Ivkovic initierte<br />

eine Ausstellung mit<br />

Spenden-Sammlung zugunsten<br />

von Obdachlosen<br />

und missbrauchten<br />

Kindern - so auch für<br />

die Betreuten von kibs<br />

ganz rechts: Momentaufnahmen<br />

vom Leben unter<br />

dem Brückenbogen: In<br />

kunstvollen Collagen<br />

gestalteten Obdachlose<br />

bewegende Zeugnisse<br />

ihrer Existenz<br />

Mit einem Bild von ihrem Kindergarten<br />

bedankten sich die Kinder mit Leiterin Tanja<br />

Aumann (rechts) und Erzieherin Felicitas<br />

Wiemer bei Senior-Verlagschef Ernst<br />

Tielebier-Langenscheidt für die spannenden<br />

Sprachlern-Geschenke<br />

nah dran 7<br />

men ist dabei eine eindrucksvolle Ausstellung<br />

mit dem Titel „Leben auf der Hundestraße“,<br />

die vom 1. Mai bis zum 13. Juni<br />

2004 unter der Wittelsbacher Brücke zu<br />

sehen war. (Mehr über dieses Leben konnte<br />

man auch in dem teilweise dokumentarischen<br />

Film „Die Wittelsbacher“ erfahren,<br />

der im Sommer in verschiedenen<br />

Münchner Kinos gezeigt wurde.) Gleichzeitig<br />

mit der Bitte um Unterstützung in<br />

ihrer eigenen schwierigen Lage sammelten<br />

die Obdachlosen im Rahmen der Ausstellung<br />

Spenden für Kinder, die sexuell<br />

missbraucht worden sind. Unsere Kontakt-,<br />

Informations- und Beratungsstelle für<br />

männliche Opfer sexueller Gewalt (kibs)<br />

haben sie dabei mit einer großherzigen<br />

Spende bedacht. Für dieses außergewöhnliche<br />

Engagement gilt allen beteiligten Menschen, die sich<br />

unter der Brücke „auf der Hundestraße“ getroffen haben, ein besonders<br />

herzlicher Dank!<br />

Für ihr finanzielles und persönliches Engagement danken wir<br />

ebenfalls:<br />

• Karola und Günter Hartkorn, Spiesen-Elversberg<br />

• Gerhard Schubert, München<br />

• NorthStar Communications GmbH, München<br />

• 4 s Marketing, München<br />

Der <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V. sagt im Namen der von<br />

ihm betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien allen Spenderinnen<br />

und Spendern ganz herzlich Dankeschön! Ebenso danken<br />

wir allen, die uns durch ihr ehrenamtliches Engagement in<br />

vielfältiger Weise unterstützen!<br />

Für alle Fragen, Anregungen und Ideen, wie auch Sie unsere<br />

Hilfeangebote unterstützen können, wenden Sie sich bitte an:<br />

Annette Gans (Assistenz der Geschäftsleitung), Tel. (089) 23 17<br />

16 -9923, a.gans@kinderschutz.de<br />

Spendenkonto 7 818 300<br />

Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 700 205 00)<br />

ANNETTE GANS ■


8<br />

nah dran<br />

Vielfältige Problemlagen - vielfältige Fähigkeiten: Auch im dritten Jahrgang „Chance 3 “ konnte<br />

Projektleiterin Julia Tröger (ganz rechts) mit Allround-Mitarbeiterin Mathilde Köberlein (2. von<br />

links) ihre Teilnehmer/innen erfolgreich fit machen für den Einstieg ins Berufsleben<br />

(Fotos: Lilly Karsten, Projekt-Absolventin)<br />

Chance 3 :<br />

Nachruf auf eine<br />

Erfolgsgeschichte<br />

Trotz drei sehr effizienten Jahrgängen erhielt der<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V. keine Chance zur<br />

Fortsetzung seines beruflichen Integrations-Projekts<br />

für junge Menschen in Dachau<br />

Erfolgsgeschichten sollte man fortsetzen<br />

- oder? Diesem Grundsatz völlig zuwider<br />

wurde das Projekt Chance des <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. in<br />

Dachau von Seiten der Agentur für Arbeit<br />

(damals noch bekannt als Arbeits-<br />

amt) zum Sommer 2002 als „erfolgreich<br />

abgeschlossen“ eingestellt (s. Bericht in<br />

nah dran, Ausgabe 3-4/2002). Die lapidare<br />

Grundangabe „mangels Bedarf“ war<br />

jedoch angesichts der zeitgleich steigenden<br />

Jugendarbeitslosigkeit und der<br />

unablässigen, selbst nach der offiziellen<br />

Schließung noch eingehenden Anfragen<br />

von Jugendlichen, Eltern und sozialen<br />

Fachdiensten nicht recht zu verstehen.<br />

Immerhin hatte der Verein in Kooperation<br />

mit der Berufsschule und dem Arbeitsamt<br />

bis dahin bereits in zwei Jahrgängen<br />

junge Menschen mit vielfältigen<br />

Problemlagen - fehlende Schulabschlüsse,<br />

soziale Defizite, Entwicklungsverzögerungen<br />

u.a. - für den Einstieg ins Berufsleben<br />

fit gemacht. Wie diese Erfolgsgeschichte<br />

dann nochmal sehr<br />

spannend wurde, das Projekt am Ende<br />

jedoch (unfreiwillig) an einen fremden<br />

„Dumping-Anbieter“ abgegeben werden<br />

musste, schildert die ehemalige Projektleiterin<br />

Julia Tröger für nah dran in einem<br />

persönlichen Nachruf auf ihre „Herzensangelegenheit“.<br />

Nach dem nicht ganz unspektakulären<br />

Ausstieg des Arbeitsamtes<br />

aus unserem Projekt Chance tat<br />

sich erst mal wenig... Weil Walter Wüst,<br />

dem Leistungsbereichsleiter des Amalie-<br />

Nacken-Heims, und mir als Projektleiterin<br />

unsere berufliche Starthilfe für junge<br />

Menschen aber sehr am Herzen lag, waren<br />

wir nicht willens, die Sache als endgültig<br />

hinzunehmen. Hartnäckig blieben wir an<br />

den öffentlichen Entscheidungsträgern<br />

„dran“. Was sich im Juni 2003 dann<br />

tatsächlich relativ kurzfristig - und auch<br />

für die jetzige Arbeitsagentur unaufwändig<br />

- lohnen sollte: Auf Abruf standen die<br />

vom Verein angemieteten Büro- und<br />

Schulungs-Räume in der Münchner Straße<br />

11 samt Ausstattung und Personal für einen<br />

Neustart zur Verfügung. So konnte das<br />

Projekt zeitnah mit brandneuem Konzept<br />

unter dem Namen „Chance3“ wiedereröffnet<br />

werden - Chance „hoch drei“ in<br />

Anspielung auf den dritten Jahrgang, die<br />

Trainingszeit von drei Monaten und die<br />

drei Schwerpunkte des Angebotes: Praktikum,<br />

Bewerbungstraining und Bewerbungsbegleitung.<br />

In der Praxis ging das wie gewohnt dynamisch<br />

zu: Ich wurde als Projektleiterin „reaktiviert“,<br />

eine Reinigungskraft tobte<br />

durch die Münchner Straße, und kurz darauf<br />

stand ich mit einer Liste von zwanzig


jugendlichen Teilnehmern in der Hand und<br />

unsere neu eingestellte Hauptschullehrerin<br />

Kerstin Freunek an meiner Seite im Schulungsraum<br />

- und wir harrten der Dinge,<br />

die da kommen sollten... Doch die kamen<br />

erst mal nicht: Aufgrund gewisser Kommunikationsprobleme<br />

im Rahmen der Belegung<br />

durch die Arbeitsagentur waren<br />

sich die angekündigten Teilnehmer/innen<br />

über die Verbindlichkeit der Anmeldung<br />

nicht so ganz im Klaren. Da half nur Nachhaken<br />

und Improvisieren. Einige Stunden<br />

und etliche Telefonate später hatten wir<br />

dann ein recht orientierungsloses Grüppchen<br />

von dreizehn Jugendlichen beisammen<br />

und waren wild entschlossen, diese<br />

nun in Lohn und Brot zu bringen.<br />

Unser neues Konzept sah nämlich vor, eine<br />

Gruppe von zwölf bis sechzehn ausbildungs-<br />

bzw. arbeitslosen Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen zwischen 15 und<br />

25 Jahren aus dem Landkreis Dachau<br />

durch eine gelungene Mischung aus Beschulung<br />

und entschiedenem sozialpädagogischen<br />

Handeln jeweils drei Monate<br />

lang anzuleiten, zu motivieren, zu<br />

fördern und zu fordern - mit dem Ziel, sie<br />

letztendlich in den beruflichen Arbeitsprozess<br />

einzufädeln. (Und wenn das sogar<br />

noch vor Ablauf der vollen Trainingszeit<br />

klappen sollte, würde sich auch die Bundesagentur<br />

für Arbeit kräftig freuen!) Die<br />

Profil-Spanne unserer ersten Runde im<br />

Schuljahr 2003/2004 reichte vom ehemaligen<br />

Auszubildenden im Einzelhandel, der<br />

den Griff in die Kasse gewagt hatte, über<br />

den funktionalen Analphabeten bis hin zur<br />

verheirateten 1,2 Abiturientin aus der<br />

Slowakei: Nicht gerade das, was man unter<br />

einer homogenen Gruppe versteht -<br />

aber nicht uninteressant!<br />

Alle unvermeidlichen Anlaufschwierigkeiten<br />

wurden, wie das im sozialen Bereich<br />

„branchenüblich“ ist, mit viel Enthusiasmus<br />

überbrückt und gemeistert: So konnten<br />

wir in relativ kurzer Zeit ein Bausteinmodell<br />

für die Beschulung mit Blockunterricht<br />

(je nach Bedarf der Gruppe als<br />

Mathewoche, Deutschwoche o.a.) und ein<br />

effektives, flexibles „Einbuchungsmodell“<br />

für die sozialpädagogische Betreuung realisieren.<br />

Neubelegungen durch die Arbeits-<br />

agentur waren täglich möglich und kamen<br />

auch kontinuierlich herein. Die Jugendlichen<br />

gingen ins Praktikum, sobald sie eines<br />

bekamen, erhielten individuelle Berufsberatung<br />

und Bewerbungstraining,<br />

und überhaupt wurde die ganze Maßnahme<br />

sehr flexibel, bedarfs- und praxisorientiert<br />

durchgeführt. Unser dynamischer<br />

Projektbetreuer Dieter Hempe von der<br />

Agentur für Arbeit Dachau trug - mit Sinn<br />

für Humor und pragmatisch-kooperative<br />

Lösungen - ebenfalls seinen Teil dazu bei,<br />

dass Chance3 sehr schnell recht erfolgreich<br />

anlief. Im August 2003 verließ uns<br />

dann unsere Hauptschullehrerin, um eine<br />

neue Stelle anzutreten. Ihre Nachfolgerin<br />

Mathilde Köberlein konnte jedoch aufgrund<br />

ihrer reichen Berufs- und Lebenser-<br />

fahrung als Hauptschullehrerin, Handelsfachwirtin<br />

und geschäftsführende Schreiner-Gattin<br />

in einem mittelständischen Betrieb<br />

aus dem Landkreis Dachau diese<br />

Lücke schnell wieder schließen.<br />

Die Zuweisung der Jugendlichen erfolgte<br />

wie im Chance-Modell des Vorjahres ausschließlich<br />

über die Arbeitsagentur. Dabei<br />

wurden nur Jugendliche aufgenommen,<br />

die aufgrund ihrer Schulabschlüsse und/<br />

oder ihrer speziellen berufsrelevanten<br />

Fähigkeiten grundsätzlich als ausbildungsoder<br />

arbeitsfähig einzustufen waren. Darüber<br />

hinaus bekamen wir bald auch Jugendliche<br />

und junge Erwachsene mit ab-<br />

nah dran 9<br />

geschlossener Berufsausbildung zugewiesen,<br />

die bisher auf dem Arbeitsmarkt nicht<br />

Fuß fassen konnten. Kleines Dilemma am<br />

Rande: Die Finanzierung des Projekts<br />

durch die Agentur für Arbeit Dachau erfolgte<br />

nach Teilnehmer-Tagen - was sich<br />

aus „wirtschaftlicher“ Sicht für den <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. relativ<br />

bald als Pferdefuß herausstellte. Denn die<br />

Teilnehmer/innen konnten in vielen Fällen<br />

sehr schnell (z.T. bereits nach zwei Wochen)<br />

in ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis<br />

vermittelt werden. Das hat uns<br />

als Projektteam natürlich trotzdem sehr<br />

gefreut und die Effektivität unseres Konzeptes<br />

deutlich gemacht. Wenn dann aber<br />

ein/e Jugendliche/r, z.B. aufgrund eines<br />

Drogen- oder ähnlichen Problems, auch<br />

Flexibles Lernen am „runden Tisch“ statt frontaler Beschulung im Pauk-Zimmer: Hauptschullehrein<br />

Mathilde Köberlein (3. von rechts) vermittelt den Berufsschulstoff individuell in lockerer Atmosphäre<br />

nach längerer Belegungszeit nicht arbeitsfähig<br />

war, schlug sich das wiederum negativ<br />

auf die Vermittlungsstatistik nieder...<br />

Bis zum Februar 2004 lagen wir mit rund<br />

80 betreuten Jugendlichen bei einer Integrationsquote<br />

von ca. 85 % und konnten<br />

damit die Anforderungen der Arbeitsagentur<br />

(50 %) wie in den Vorjahren weit<br />

übertreffen. Die nicht vermittelten Teilnehmer/innen<br />

hatten in der Regel mit Drogenkonsum,<br />

Psychosen oder Ähnlichem zu<br />

kämpfen und konnten daher auf dem Ersten<br />

Arbeitsmarkt kaum bestehen. In solchen<br />

Fällen arbeiteten wir sehr intensiv<br />

mit den entsprechenden Fachstellen<br />


10<br />

nah dran<br />

„Es ist sicherlich nicht dem Leiter der<br />

Dachauer Arbeitsagentur anzulasten,<br />

dass ihm durch die Vergabevorschriften<br />

der Bundesagentur für Arbeit die<br />

Hände gebunden sind. Wir haben es<br />

vor allem dieser Behörde zu verdanken<br />

(welche die Maßgabe zu öffentlichen<br />

Vergabeverfahren beim Abschluss<br />

ihrer eigenen Beraterverträge<br />

wohl kurzerhand unter den verstaubten<br />

Amtsschreibtisch fallen ließ), dass<br />

das Projekt Chance an einen ortsfremden<br />

Billiganbieter ging. So lässt<br />

man funktionierende Netzwerke und<br />

effektive Synergien gekonnt verpuffen!<br />

Dabei wird gemunkelt, dass der<br />

‚Preisunterschied’ zum <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. im Hunderter-<br />

Euro-Bereich lag... Wie dem auch sei:<br />

Millionenschwere Beraterverträge von<br />

zweifelhafter Effizienz werden eben<br />

anders behandelt als kleine, aber erfolgreiche<br />

soziale Projekte. In Zeiten<br />

‚knapper Kassen’ scheinen Fragen der<br />

Qualität keine Rolle mehr zu spielen.“<br />

Norbert Blesch,<br />

Geschäftsführer des <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V.<br />

(z.B. der Drogenberatung und dem Sozialpsychiatrischen<br />

Dienst) vor Ort zusammen,<br />

um die Jugendlichen nicht perspektivlos<br />

ausscheiden zu lassen, sondern ihnen<br />

den Zugang zu anderen individuell geeigneten<br />

Hilfeangeboten zu erleichtern.<br />

Da die Bundesagentur für Arbeit Projekte<br />

wie Chance3 grundsätzlich nur auf Schuloder<br />

Kalenderjahr-Dauer fördert, sollte die<br />

Maßnahme ursprünglich bereits Ende Dezember<br />

2003 auslaufen. Aufgrund der<br />

starken Nachfrage hatte es dann noch<br />

eine Verlängerung um drei Monate bis<br />

zum 31. März 2004 gegeben. Zum anschließend<br />

geplanten Neustart in den vierten<br />

Jahrgang war für den <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. aber (wieder mal)<br />

Zittern um die Weiterführung angesagt.<br />

Denn die Bundesagentur für Arbeit verlangt<br />

in ihren neuen Vergaberichtlinien<br />

auch für lokale und regionale Fördermaßnahmen<br />

eine bundesweite Ausschreibung.<br />

Und da die Zeiten bekanntlich hart sind,<br />

bekommt dabei der Anbieter mit dem „bil-<br />

ligsten“ (nicht unbedingt besten) Produkt<br />

den Zuschlag.<br />

Mit der Überzeugung, dass wir durch die<br />

Qualität unserer Arbeit der effizienteste<br />

und damit auch langfristig günstigste Anbieter<br />

sind, bewarben wir uns dennoch intensiv<br />

bei der Arbeitsagentur um eine<br />

Fortsetzung des Projekts. Leistungsbereichsleiter<br />

Walter Wüst führte immer<br />

wieder ins Feld, dass der <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V. in Dachau seit langem<br />

als Anbieter qualifizierter sozialer Dienstleitungen<br />

allseits anerkannt ist: „Wir können<br />

uns im Gegensatz zu den ortsfernen<br />

‚Riesen’ der Branche gar keine minderwertige<br />

Arbeit leisten. Wer auf uns setzt,<br />

kann auf Erfahrung, Verantwortung und<br />

Innovation vertrauen! Mit unserem Projekt<br />

Chance haben wir in dreijähriger Praxis<br />

sehr positive Kontakte zu Schulen,<br />

Lehrbetrieben und allen wichtigen Partnern<br />

der berufsbezogenen Infrastruktur<br />

aufgebaut sowie ein spezifisches, branchenübergreifendes<br />

Know-How entwickelt,<br />

dass in der Region Dachau konkurrenzlos<br />

ist. Darauf sollte die Bundesagentur<br />

für Arbeit nicht verzichten.<br />

Dass wir das Projekt nach unserer Konzeption<br />

weiterführen könnten, hoffte auch<br />

Albert Kugler, Leiter der Agentur für Arbeit<br />

Dachau. Er lobte gegenüber der Süddeutschen<br />

Zeitung (Dachauer SZ, 11. März<br />

2004) die „hervorragende Zusammenarbeit<br />

mit der Arbeitsagentur“ und kritisierte<br />

die Vorschrift zur bundesweiten Ausschreibung<br />

eines Nachfolgeprojektes: „Es<br />

gibt darüber Unmut in allen Arbeitsagenturen.<br />

(...) Örtliche Träger kennen sich in<br />

ihrem Umfeld einfach besser aus. Sie können<br />

die lokalen Gegebenheiten beurteilen.<br />

Da kann ein Fremdanbieter nicht mithalten“.<br />

Schließlich gehe es „nicht um die<br />

preisgünstigste Beschaffung von Putzmitteln,<br />

sondern um Menschen“.<br />

Es sollte jedoch anders kommen: Trotz engagierter<br />

Überzeugungsarbeit wurde das<br />

Projekt Chance gegen alle guten Argumente<br />

ab dem 1. Mai 2004 dem billigsten<br />

Konkurrenten übertragen. Erste Auswirkung:<br />

Da die Maßnahme gemäß der bundesweiten<br />

Ausschreibung erst zu diesem<br />

Mathe-Formeln und Lampenfieber im gleichen<br />

Trainingsgang bearbeiten: In der kleinen Gruppe<br />

fällt es leichter, Hemmungen aufzulösen und<br />

Ergebnisse darzustellen<br />

Termin wieder neu beginnen konnte, dem<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V. aber<br />

bis zur verordneten Schließung seines Angebotes<br />

(Ende März) von der Arbeitsagentur<br />

noch Teilnehmer/innen zugewiesen<br />

wurden, kam es zu einem vollen Monat<br />

Stillstand, während dem die Jugendlichen<br />

unversorgt bleiben mussten. Weitere Zukunftsperspektiven:<br />

Das Projekt wird im<br />

Dezember diesen Jahres (wieder mal) neu<br />

ausgeschrieben...<br />

Zum Schluss noch was Erfreuliches: Der<br />

ehemalige Einzelhandels-Azubi mit der<br />

einst zu „großzügigen“ Auslegung der Eigentumsverhältnisse<br />

hat sein Herz für die<br />

Seniorenarbeit entdeckt, die Abiturientin<br />

aus der Slowakei lernt mit viel Freude bei<br />

Vinzenzmurr, der funktionale Analphabet<br />

wird Metzgereifachverkäufer und besucht<br />

dazu die Kolping-Sonderberufsschule mit<br />

gutem Erfolg. Vor seinem Ausbildungsbeginn<br />

haben wir ihm aber noch beigebracht,<br />

wie man „Metzger“ schreibt... Wir<br />

wünschen allen ehemaligen und künftigen<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmern des<br />

Projekts Chance viel Glück und Erfolg für<br />

ihre berufliche Zukunft!<br />

JULIA TRÖGER ■


Freundlicher „Trainings“-Raum zum Hineinwachsen in die Selbständigkeit: die Kurt-Seelmann-Wohngruppe 3<br />

Verantwortung übernehmen<br />

für sich selbst<br />

Die Kurt-Seelmann-Wohngruppe 3 bietet jungen Menschen Raum zum „Trainieren“,<br />

um den Schritt in ein selbständiges Leben zu schaffen<br />

Ein gute Idee geht in die dritte Runde:<br />

Am 7. Juni 2004 konnte das<br />

Team der „Verselbständigungswohngruppe“<br />

in der Hochstraße 16 in<br />

Karlsfeld bereits auf zwei Jahre effektiver<br />

Starthilfe zum Erwachsenwerden für junge<br />

Menschen zurückblicken. Mit dieser<br />

Einrichtung gelang es dem <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V., eine Lücke im Betreuungsangebot<br />

seiner Kurt-Seelmann-<br />

Wohngruppen erfolgreich zu schließen. Als<br />

Bindeglied zwischen den beiden heilpädagogischen<br />

Wohngruppen und den<br />

stationären Angeboten der Intensiven Sozialpädagogischen<br />

Einzelbetreuung (ISE)<br />

sowie des Sozialpädagogisch Betreuten<br />

Wohnens (SBW) antwortet sie auf einen<br />

besonderen Bedarf: Zu Beginn der<br />

SBW/ISE-Maßnahmen war es immer wieder<br />

verstärkt zu Krisen gekommen, die aus<br />

einer meist massiven Überforderung der<br />

Jugendlichen resultierten. Der Wechsel<br />

zwischen den fest vorgegebenen Strukturen,<br />

wie sie in den Wohngruppen geboten<br />

werden, und dem selbständigen, eigenverantwortlichen<br />

Leben in einer Wohnung<br />

mit SBW/ISE-Betreuung bereitete ihnen<br />

vielfach große Probleme.<br />

Besondere Schwierigkeiten bringt für die<br />

Jugendlichen vor allem das plötzliche „Alleinsein“<br />

mit sich. Um der Einsamkeit zu<br />

entfliehen, lassen sie es häufig zu, dass<br />

Freundinnen/Freunde und Bekannte die<br />

Wohnung belagern, so dass sich hier statt<br />

eines persönlichen Lebensraums ein „Treffpunkt“<br />

für die ganze Clique entwickelt.<br />

Dieses Unvermögen, sich abzugrenzen,<br />

führt dann oft zu Konflikten mit Nachbarn<br />

und Vermietern. Weitere Probleme erge-<br />

ben sich aus der Herausforderung, den Tagesablauf<br />

und die eigene Versorgung nun<br />

selbständig organisieren zu müssen, z.B.<br />

morgens regelmäßig und pünktlich aufzustehen<br />

und zur Ausbildung/Arbeit zu gehen.<br />

Auch für geregelte Mahlzeiten zu sorgen,<br />

fällt vielen Jugendlichen erst mal<br />

schwer.<br />

Die dritte Kurt-Seelmann-Wohngruppe<br />

eröffnet diesen jungen Menschen einen<br />

geschützten Übungs-Raum, in dem sie<br />

schrittweise Selbständigkeit „trainieren“<br />

können. Sie bietet Platz für jeweils fünf<br />

Jugendliche bzw. junge Erwachsene von<br />

15 bis 21 (maximal 27) Jahren, die hier eine<br />

SBW- oder ISE-Betreuung erhalten. Zusätzlich<br />

zu den Einzelzimmern und Gruppenräumen,<br />

welche die Jugendlichen bewohnen,<br />

befindet sich das Büro der<br />

▲<br />

11


12<br />

nah dran<br />

SBW/ISE- Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter<br />

im Haus. Der pädagogische Rahmen<br />

der „Übergangswohngruppe“ ist sehr offen,<br />

er bietet den Bewohner/innen ein „dosiertes“<br />

Maß an Struktur an, das stützend,<br />

jedoch nicht einengend wirkt:<br />

Von 21.00 Uhr bis 8.30 Uhr werden die Jugendlichen<br />

durch Nachtdienst-Mitarbeiter/innen<br />

betreut sowie am Morgen bei<br />

Bedarf geweckt und dabei unterstützt, das<br />

eigenständige, zeitige Aufstehen zu erlernen.<br />

Gleichzeitig werden ein geregeltes<br />

Heilpädagogische Wohngruppen<br />

Die 1974 gegründeten heilpädagogischen Kurt-Seelmann-<br />

Wohngruppen 1 und 2 können als Angebote der stationären<br />

Jugendhilfe mit „Kleinstheimen“ verglichen werden: In zwei<br />

Einfamilienhäusern in Karlsfeld leben jeweils 8 Kinder und<br />

Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren in Gruppen mit familienähnlicher<br />

Struktur in einem normalen Wohnumfeld zusammen.<br />

Aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrung - geprägt<br />

von Krisen, Sozialisationsdefiziten, Gewalt- und/oder<br />

Missbraucherfahrungen in einem schwierigen Lebensumfeld<br />

- zeigen sie Symptome wie Leistungsverweigerung,<br />

Schuleschwänzen, Lehrstellenabbruch, depressives/ aggressives<br />

Verhalten, Suchtgefährdung, kriminelle Aktivitäten<br />

und soziale Randständigkeit.<br />

In den Wohngruppen werden sie durch ein festes Team<br />

(heil)pädagogischer Fachkräfte, eine Diplom-Psychologin<br />

Ruheverhalten und der maßvolle Umgang<br />

mit nächtlichem Besuch eingeübt. Die<br />

SBW/ISE-Mitarbeiter/innen Sabina Endter-Navratil,<br />

Gabriele Maier-Bolland, Peter<br />

Pippig, Marianne Sollfrank und Barbara<br />

Wolf sind dann täglich im Wechsel zwischen<br />

17.00 und 21.00 Uhr im Büro erreichbar.<br />

Die unterschiedlichen Kontaktmöglichkeiten<br />

zu den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern,<br />

Betreuerinnen/Betreuern und<br />

Nachtdienst-Mitarbeiterinnen/Mitarbei-<br />

Alleinsein überwinden: In der Gruppe finden<br />

die Bewohner/innen Kontaktmöglichkeiten,<br />

ohne ausgenutzt zu werden<br />

tern erschließen den Jugendlichen ein differenziertes<br />

Angebot an sozialer Geborgenheit,<br />

aber auch an Auseinandersetzung,<br />

das sie aktiv für sich nutzen können. Dies<br />

hilft ihnen zum einen, das Alleinsein zu<br />

überwinden, bzw. es erleichtert das Sichdaran-Gewöhnen.<br />

Zum anderen lernen sie<br />

auf diese Weise, ihren Bedürfnissen gemäß<br />

soziale Kontakte aufzunehmen, sich aber<br />

auch gegenüber anderen abzugrenzen.<br />

Durch das selbstbestimmte Entscheiden,<br />

wann und wieviel Unterstützung sie in Anspruch<br />

nehmen, sollen die Jugendlichen<br />

üben, ihren Tagesablauf eigenständig zu<br />

gestalten und Alltagstätigkeiten zur ihrer<br />

Versorgung, z.B. Kochen und Waschen, zunehmend<br />

selbst zu übernehmen.<br />

Kochen für sich selbst: Hier kann man<br />

ausprobieren, was in der eigenen Wohnung<br />

später klappen sollte<br />

sowie durch Nachtdienste rund um die Uhr betreut. Ein klar<br />

strukturierter Tagesablauf mit verbindlichen Regeln für das<br />

Zusammenleben, in dem die Bewohner/innen soziale Aufgaben<br />

übernehmen, ermöglicht ihnen, korrigierende Erfahrungen<br />

zu machen, Entwicklungsrückstände nachzuholen<br />

und neue positive Verhaltensweisen zu erproben. Über das<br />

praktische Einüben von Alltags-Fertigkeiten hinaus lernen<br />

sie dabei, Konflikte gemeinsam zu bewältigen und sich (wieder)<br />

in das Gemeinschaftsleben sowie in Schule oder Berufsausbildung<br />

zu integrieren.<br />

In sozialer Gruppenarbeit, erlebnis- und freizeitpädagogischen<br />

Maßnahmen sowie durch gemeinsame Arbeit mit den<br />

Eltern können zusätzlich eingefahrene negative Beziehungsmuster<br />

durchbrochen und neue positive Formen des<br />

Kontakts entwickelt werden.


SBW/ISE<br />

Die SBW/ISE-Angebote der Kurt-Seelmann-Wohngruppen<br />

in Dachau/Karlsfeld sind Formen der individuellen flexiblen<br />

Einzelbetreuung für Jugendliche und junge Erwachsene,<br />

die zur ihrer Verselbständigung einer sozialpädagogischen<br />

Förderung bedürfen. Ein junger Mensch erhält eine feste<br />

Bezugsperson zur Seite gestellt, die ihm - unabhängig von<br />

dem Ort, an dem er lebt - eine konstante, klare Beziehung<br />

bietet und ihm bei der Bewältigung lebenspraktischer Aufgaben,<br />

bei Fragen der Schul- und Berufsausbildung sowie<br />

bei Problemen im sozialen Umfeld unterstützt. Die Intensität<br />

und die inhaltliche wie praktische Ausgestaltung der Betreuung<br />

werden jeweils auf den tatsächlichen Bedarf und<br />

die Lebenswelt jedes Einzelnen abgestimmt. Sie sind zielorientiert<br />

und beziehen die persönlichen und sozialen Ressourcen<br />

der Betreuten und seines Umfeldes ein.<br />

Ihm Rahmen der Einzelbetreuung werden die jungen Menschen<br />

aktiv in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert<br />

und beim Aufbau ihrer Fähigkeiten unterstützt, soziale Kontakte<br />

aufzunehmen, sich gegenüber Abhängigkeiten abzu-<br />

Regelmäßige Gruppentreffen und freizeitpädagogische<br />

Maßnahmen bieten weitere<br />

Gelegenheiten, neue Beziehungen zu<br />

knüpfen und Gemeinschaft mit anderen<br />

Jugendlichen zu erleben. Ziel ist dabei,<br />

dass sich die Bewohner/innen einen eigenen<br />

positiven Freundeskreis aufbauen und<br />

sich auf ihnen wichtige Lebensbereiche<br />

konzentrieren.<br />

Auch nach dem Umzug in eine eigene<br />

Wohnung werden die Jugendlichen von<br />

ihrer/ihrem SBW/ISE-Betreuer/in weiter<br />

begleitet. Diese Kontinuität der Bezugsperson<br />

hat sich als entscheidender Vorteil<br />

erwiesen: Erst die Erfahrung verlässlicher,<br />

dauerhafter Beziehungen (im Gegensatz<br />

zu den meist zahlreichen Beziehungsabbrüchen<br />

in ihrem bisherigen Leben) ermöglicht<br />

den jungen Menschen, ein Ge-<br />

Sie bieten dann Unterstützung und Hilfe, wenn die Jugendlichen sie brauchen (von links):<br />

Peter Pippig, Gabriele Maier-Bolland, Gruppenleiterin Sabina Endter-Navratil und Marianne Sollfrank<br />

vom SBW/ISE-Team der Übergangswohngruppe<br />

grenzen, eigene familiäre Bezüge zu klären, schulische/berufliche<br />

Perspektiven zu verwirklichen sowie eine geeignete<br />

Wohnform zu finden und sinnvoll für sich selbst zu nutzen.<br />

Gruppenangebote, erlebnispädagogische Projekte, Arbeit<br />

mit den Eltern und/oder Partner/innen und Vernetzungsmöglichkeiten<br />

mit flankierenden Hilfen ergänzen und<br />

intensivieren diesen Prozess.<br />

SBW/ISE sind von ihrem Charakter her ambulante Betreuungsformen:<br />

Sie können z.B. bei den Eltern, bei Verwandten,<br />

in Wohngemeinschaften oder auch begleitend zu stationären<br />

Angeboten wie den heilpädagogischen Wohngruppen<br />

bzw. (im Anschluss daran) in „eigenen“ durch den<br />

Verein oder die Betreuten selbst angemieteten Wohnungen<br />

durchgeführt werden. Besonders im letztgenannten Fall<br />

übernimmt die Betreuungsperson mehr und mehr eine partnerschaftlich<br />

begleitende, beratende Funktion, die auf<br />

Selbsthilfe der jungen Menschen zielt. Daher müssen die<br />

Betreuten hier grundsätzlich in ausreichendem Maße zu einer<br />

eigenständigen Lebensführung in der Lage sein.<br />

nah dran 13<br />

fühl von Sicherheit und Vertrauen zu entwickeln<br />

- auch gegenüber sich selbst. Im<br />

Rahmen von SBW/ISE kann dann eine gezielte<br />

Unterstützung und Förderung in individuellen<br />

Problembereichen ansetzen,<br />

die den Jugendlichen hilft, ihr Leben mehr<br />

und mehr selbständig zu meistern.<br />

Das ursprüngliche Konzept der Übergangswohngruppe,<br />

Jugendlichen aus den<br />

stationären Betreuungs-Bereichen des<br />

<strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V. das<br />

schrittweise Hineinwachsen in die Selbständigkeit<br />

zu ermöglichen, konnte schon<br />

nach kurzer Zeit erweitert werden, um<br />

auch von externen Kooperationspartnern<br />

betreute junge Menschen aufzunehmen.<br />

So fand das Projekt bei den Jugendämtern<br />

sowie bei vielen anderen sozialen Fachdiensten<br />

der Städte und Landkreise Dachau<br />

und München großen Anklang. Bald<br />

konnten auch Jugendliche ohne „stationären<br />

Vorlauf“ auf Vermittlung der verschiedensten<br />

Jugendämter aus der Region<br />

aufgenommen werden. Diesen jungen<br />

Menschen wird die Verselbständigungswohngruppe<br />

auch künftig Raum und flexible<br />

Unterstützung für das „Abenteuer“<br />

des Erwachsenwerdens bieten.<br />

SABINA ENDTER-NAVRATIL, THOMAS HARTKORN ■


14<br />

nah dran<br />

Selber kochen<br />

angesagt!<br />

Ein Bewohner der „Übergangs-<br />

WG“ im nah-dran-Interview<br />

Michael (19 Jahre, Name von der Redaktion<br />

geändert) schildert seinen Weg<br />

in die Selbständigkeit und wie ihm die<br />

Angebote der Kurt-Seelmann-Wohngruppen<br />

dabei geholfen haben:<br />

Wie lange lebst du schon in der Übergangswohngruppe<br />

in Karlsfeld?<br />

Seit einem Jahr, kurz bevor ich meine neue<br />

Lehrstelle angefangen habe.<br />

Mit 13 Jahren bist du in eine der beiden<br />

heilpädagogischen Wohngruppen eingezogen.<br />

Wie ging es dir dort?<br />

Ich habe dort zwei Jahre verbracht, bin<br />

dann aber rausgeflogen. Anschließend bin<br />

ich wieder zu meiner Mutter gezogen, jedoch<br />

nur kurz, denn bald gab es wieder<br />

Probleme zwischen uns.<br />

Warum musstest du damals die Wohngruppe<br />

verlassen?<br />

Ich habe mich an keine der Regeln dort<br />

gehalten und nur das gemacht, wozu ich<br />

Lust hatte. Ich hatte keine Lust auf Schule,<br />

da lief eh alles schief. Ich hatte Probleme<br />

mit einem anderen Typen. Und an die<br />

strengen Regeln in der Wohngruppe wollte<br />

ich mich auch nicht gewöhnen. Aber<br />

bei meiner Mutter klappte es dann auch<br />

nicht mehr. Wir hatten ständig totalen<br />

Krach, konnten einfach nicht mehr miteinander<br />

auskommen. Deshalb wollte ich<br />

wieder Hilfe haben.<br />

Wie ging es dann für dich weiter?<br />

Auf Wohngruppe hatte ich erst mal keine<br />

Lust mehr, das wäre eh wieder schief gegangen.<br />

Ich habe dann ISE bekommen und<br />

konnte ein Jahr lang bei einem Betreuer<br />

wohnen. Das war ganz schön anstrengend,<br />

aber auch gut!<br />

Wie sah die Betreuung aus?<br />

Der ISE-Betreuer hat mir geholfen, meinen<br />

Alltag besser auf die Reihe zu bekommen,<br />

und eine Betreuerin aus den<br />

Wohngruppen hat sich mit<br />

mir um meine Schulprobleme<br />

gekümmert. In dieser Zeit habe<br />

ich eine Praktikums-Klasse<br />

in einer Hauptschule gemacht.<br />

Damit war die Schulpflicht<br />

erledigt, und ich hatte<br />

ein Zeugnis. Eine Lehrstelle als<br />

Maler und Lackierer bekam<br />

ich dann auch. Es lief alles<br />

ganz super, deshalb konnte<br />

ich schließlich in eine eigene<br />

Wohnung ziehen. Die ISE-Betreuung<br />

ging dabei weiter.<br />

Wie kamst du damit klar?<br />

Erst ging alles ganz gut, die<br />

Lehre war nicht schlecht, und<br />

der Meister war auch in Ordnung.<br />

Aber irgendwann<br />

klappte es dann nicht mehr<br />

mit dem Aufstehen am Morgen.<br />

Ich habe meinen Wecker<br />

nicht gehört, und wenn ich<br />

von meinem Betreuer geweckt<br />

wurde, bin ich nur kurz<br />

aufgestanden und dann wieder eingeschlafen.<br />

Da gab es bald Ärger in der<br />

Lehrstelle, weil die auf mich gewartet haben<br />

und deshalb nicht mehr pünktlich zu<br />

den Baustellen gekommen sind.<br />

Wie ging es mit der Lehrstelle weiter?<br />

Nachdem ich die Probezeit doch knapp geschafft<br />

hatte, habe ich mir bei einem Unfall<br />

beide Handgelenke gebrochen und war<br />

erst mal vier Monate krankgeschrieben. Irgendwann<br />

stellte sich dann heraus, dass<br />

ich den Beruf wegen der körperlichen Belastung<br />

nicht mehr machen konnte. Da<br />

musste ich mir also überlegen, was ich<br />

sonst beruflich noch machen könnte.<br />

Warum hast du dich dann für die Übergangswohngruppe<br />

entschieden?<br />

Erst hatte ich überhaupt keine Ahnung,<br />

wusste gar nicht mehr weiter. Es hat auch<br />

genervt, immer allein zu Hause zu sein -<br />

alle meine Freunde waren in der Schule<br />

oder in der Arbeit und hatten keine Zeit<br />

mehr. Ich habe dann eine neue Lehrstelle<br />

als Friseur gefunden. Damit es da gut läuft,<br />

war es mir ganz recht, dass ich in die<br />

Übergangswohngruppe wechseln sollte.<br />

Mit dem Kochbuch ein<br />

Stück Eigenständigkeit erobern:<br />

Michael packt’s an!<br />

Ich hatte nämlich Angst, dass es am Morgen<br />

wieder nicht klappt und ich meine<br />

Lehrstelle wieder verlieren könnte.<br />

Wie hat dir das Leben in der Übergangswohngruppe<br />

weitergeholfen?<br />

Vor allem habe ich gelernt, selbständig<br />

rechtzeitig aufzustehen und mehr Verantwortung<br />

für mich zu übernehmen! Ich gehe<br />

regelmäßig in die Arbeit und in die Berufsschule.<br />

Außerdem finde ich gut, dass<br />

ich in der Wohngruppe Kontakt zu anderen<br />

Leuten haben kann - oder eben mal<br />

allein sein, wenn ich es will. Hier koche<br />

ich auch öfter für mich selbst als früher.<br />

Wie soll es für dich weitergehen? Was<br />

hast du für Ziele?<br />

Als nächstes möchte ich wieder in eine eigene<br />

Wohnung ziehen und meine Lehre<br />

fertig machen. Mittlerweile traue ich mir<br />

zu, dass ich das auch schaffe.<br />

Wir danken dir für das Interview und<br />

wünschen dir alles Gute für deine Zukunft!<br />

DAS INTERVIEW FÜHRTE SABINA ENDTER-NAVRATIL ■


Die jüngsten Besucher/innen der Heilpädagogischen Tagesstätte fühlen sich gut aufgehoben beim Team ihrer Kindergartengruppe (von links):<br />

Marion Korn, Eva Klöpfer und Renate Kneißl (Foto: Toni Heigl)<br />

10 Jahre individuelle<br />

ganzheitliche Förderung<br />

Die Kindergartengruppe der Heilpädagogischen Tagesstätte feierte ihren Geburtstag<br />

mit Schattentheater und Luftballonwettbewerb<br />

Der eigene 10. Geburtstag ist für die<br />

kleinsten Besucherinnen und Besucher<br />

der Heilpädagogischen Tagesstätte<br />

(HPT) im Amalie-Nacken-Heim<br />

des <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz e.V.<br />

zwar noch ganz schön weit weg... Aber für<br />

die Einladungskarten zum 10-jährigen Jubiläum<br />

ihrer Kindergartengruppe haben sie<br />

schon mal tolle Bilder gemalt! Zur offiziellen<br />

Geburtstagsfeier am 21. November<br />

2003 konnte das HPT-Team dann auch<br />

viele Gäste in der Herrmann-Stockmann-<br />

Straße 13 in Dachau begrüßen: Gemeinsam<br />

mit dem Oberbürgermeister der Stadt<br />

Dachau, Peter Bürgel, und dem Leiter des<br />

Kreisjugendamtes, Heinz Bielmeier, nah-<br />

men der Vorsitzende des <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V., Dr. Gernot Wiegand,<br />

Vorstandsmitglied Marianne Klaffki und<br />

Geschäftsführer Norbert Blesch sowie Vertreter/innen<br />

der Frühförderstellen, Förderschulen<br />

und anderer Kindergärten aus dem<br />

Landkreis Dachau gerne teil. Ganz besonders<br />

freute sich das Team um Gruppenleiter<br />

Thomas Reinsdorf, dass auch ehemalige<br />

Mitarbeiterinnen zum Festakt wieder<br />

einmal vorbeischauten.<br />

Eine lohnende Investition<br />

in gelingende Biographien<br />

Walter Wüst, Leiter des Amalie-Nacken-<br />

nah dran 15<br />

Heims und der Heilpädagogischen Tagesstätte,<br />

blickte in seinem Grußwort zurück<br />

auf die Entstehungsgeschichte der Vorschulgruppe:<br />

Sie konnte 1993, als für 20<br />

wartende Kinder kein einziges heilpädagogisches<br />

Angebot im Landkreis zur<br />

Verfügung stand, „ganz schnell“ in der bereits<br />

seit 1977 bestehenden, mit einer<br />

Grundschul- und einer Schulgruppe geführten<br />

Tagesstätte eingerichtet werden.<br />

Kreisjugendamtsleiter Heinz Bielmeier<br />

würdigte die seitdem geleistete erfolgreiche<br />

Arbeit der Kindergartengruppe, die inzwischen<br />

über 70 Kinder und deren Eltern<br />

betreut hat. Dr. Gernot Wiegand betonte<br />

besonders vor dem Hintergrund der<br />


16<br />

nah dran<br />

Marion Korn und Eva Klöpfer stellen das Konzept des Heilpädagogischen Kindergartens vor<br />

immer knapper bemessenen öffentlichen<br />

Sozialhaushalte die Notwendigkeit solcher<br />

„lohnender Investitionen“: Da gerade kleinere<br />

Kinder noch große Chancen bei einer<br />

gezielten, effektiven Förderung haben,<br />

können so mittel- und langfristig „gute<br />

Biographien zu guten Konditionen“ gestaltet<br />

werden.<br />

Spiel- und Lern-Alltag mit<br />

gezielten Fördereinheiten<br />

Im Anschluss stellten die Mitarbeiterinnen<br />

das pädagogische Konzept und die<br />

Fördermaßnahmen ihrer Gruppe vor: In der<br />

Vorschulgruppe werden gegenwärtig ein<br />

Mädchen und sieben Jungen im Alter von<br />

4 bis 7 Jahren betreut. Sie leiden unter<br />

vielfältigen Schwierigkeiten wie Konzentrationsschwächen,<br />

Sprachstörungen, Entwicklungsverzögerungen<br />

und/oder zeigen<br />

Verhaltensauffälligkeiten, zumeist im Kontext<br />

familiärer Probleme. In der Arbeit mit<br />

den Kindern legen die Betreuerinnen deshalb<br />

besonderen Wert auf eine individuelle<br />

ganzheitliche Förderung. Dazu wird für<br />

jedes Kind ein eigener Therapie- und Förderplan<br />

erstellt, der in einen festen Tagesablauf<br />

integriert ist.<br />

Von 8.30 bis 15.00 Uhr sind gezielte Fördereinheiten<br />

wie Sprachtherapie, Sozialtraining,<br />

Spiel- und Musiktherapie, Wahrnehmungs-<br />

und Gedächtnistraining in ei-<br />

nen „ganz normalen“ Kindergartenalltag<br />

mit Freispielen, Basteln, Mahlzeiten und<br />

Toben im Garten eingebettet. Zusätzlich<br />

gibt es ein „Programm zum Aufbau von<br />

Leistungsverhalten“, bei dem die Kinder<br />

wichtige alltägliche Fertigkeiten – vom<br />

Schuhe-Zubinden bis zum Zähneputzen –<br />

erlernen. Dabei erleben sie gleichzeitig,<br />

dass zum Lernen Training, Üben und Ausdauer<br />

notwendig sind. Heißgeliebte Höhepunkte<br />

für die Kinder sind gemeinsame<br />

themenbezogene Ausflüge und Feste sowie<br />

die jährlichen Übernachtungsaktionen<br />

und Ferienfahrten, bei denen sich Spaß<br />

und spannende Aktivitäten mit körperlichem,<br />

geistigem und sozialem Lernen verbinden.<br />

Der ganzheitliche Ansatz findet<br />

auch in der engen Zusammenarbeit der<br />

Gruppenpädagoginnen Eva Klöpfer und<br />

Marion Korn mit der Diplom-Psychologin<br />

Renate Kneißl ihren Ausdruck. Neben der<br />

diagnostischen Testung der Kinder und der<br />

Spieltherapie übernimmt diese auch einzelne<br />

Teilbereiche des Gruppenalltags.<br />

Gute Zusammenarbeit<br />

mit Eltern und vernetzten<br />

Fachkräften<br />

Ein unerlässlicher Baustein für den Erfolg<br />

der heilpädagogischen Arbeit ist die intensive<br />

Kooperation mit den Eltern: Durch<br />

Elternabende und mindestens ein persönliches<br />

Elterngespräch pro Monat sollen sie<br />

in ihrer Erziehungsfähigkeit gestärkt wer-<br />

Oben:<br />

König Hupf I. vertreibt seine Regierungssorgen<br />

mit allabendlichem Bett-Hüpfen:<br />

Da konnten alle Kinder prima mitfühlen!<br />

Links:<br />

Gebannt folgten die Kinder mit ihren Müttern<br />

und Omas der Aufführung des Schattentheaters


den und gemeinsam mit den Betreuerinnen<br />

Ziele für die heilpädagogische Maßnahme<br />

finden. Als weitere wichtige Elemente<br />

der Familienarbeit bietet die HPT<br />

ihnen Beratung zur Einschulung, aber<br />

auch Unterstützung bei besonderen familiären<br />

Belastungen sowie Handlungshilfen<br />

für alltägliche Erziehungsfragen an.<br />

Darüber hinaus arbeitet das Team seit<br />

mehreren Jahren erfolgreich mit externen<br />

Fachkräften aus der Logopädie, Ergotherapie,<br />

Kindermedizin u.a. zusammen. Nicht<br />

zuletzt bietet die Vernetzung mit der Dr.-<br />

Elisabeth-Bamberger-Schule des <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft gute Möglichkeiten<br />

für eine weiterführende (sonderpädagogische)<br />

Förderung.<br />

Mit bunten Luftballongrüßen gingen die Namen<br />

der Kinder und ihres Kindergartens weit auf die<br />

Reise (Foto: Toni Heigl)<br />

Nach der Vorstellung dieser vielfältigen<br />

Angebote rundeten eine Führung durch<br />

die Gruppenräume und ein kleiner Imbiss<br />

das offizielle Fest-Programm für die<br />

„großen“ Gäste ab. Am Nachmittag zogen<br />

die Betreuerinnen dann alle Kinder, Eltern<br />

und Großeltern mit dem zauberhaften<br />

Schattentheater-Spiel „König Hupf I.“ in<br />

ihren Bann. Zum Abschluss der Jubiläumsfeier<br />

wurde bei strahlendem Sonnenschein<br />

im Garten noch ein Luftballonwettbewerb<br />

veranstaltet. Dabei konnten<br />

die Kinder Grußkarten mit ihren Namen<br />

bis weit über die Region hinaus verschicken:<br />

Die Karte des am weitesten geflogenen<br />

Ballons kam aus Wildenberg bei<br />

Regensburg zurück! - Wenn das keine tollen<br />

Geburtstagsgrüße waren...<br />

EVA KLÖPFER, THOMAS REINSDORF ■<br />

Der Schorsch macht Ernst: Georg Schammra (Mitte) hatte auch bei seiner Verabschiedung mit<br />

Heimleiter Walter Wüst und Schulrektorin Stefanie Seemüller alles im Griff<br />

Als Georg Schammra zum 1. Oktober<br />

1974 seinen Dienst beim <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. antrat, wusste<br />

er noch nicht, zu welcher „Lebensaufgabe“<br />

sich diese Beschäftigung auswachsen<br />

sollte: Fast 30 Jahre lang war<br />

der gebürtige Oberschlesier seitdem<br />

Hausmeister des Amalie-Nacken-<br />

Heims mit seiner Heilpädagogischen<br />

Tagesstätte und der Dr.-Elisabeth-<br />

Bamberger-Schule des Vereins in Dachau!<br />

Nach soviel Einsatzbereitschaft für<br />

das Wohnen und Lernen von Kindern<br />

und Jugendlichen hat „unser Schorsch“<br />

zum 1. April (!) 2004 nun (leider) keinen<br />

Aprilscherz, sondern „Ernst“ gemacht<br />

- und seinen Abschied in den<br />

wohlverdienten Ruhestand genommen.<br />

Wir blicken mit nah dran zurück:<br />

nah dran 17<br />

Georg Schammra:<br />

Allround-Handwerker im Dienst<br />

der Jugendhilfe<br />

Fast 30 Jahre im Einsatz als Hausmeister des Amalie-<br />

Nacken-Heims und der Dr.-Elisabeth-Bamberger-Schule<br />

Für sein vielseitiges Aufgabenfeld<br />

als Hausmeister war Georg<br />

Schammra durch seine Schreiner-<br />

Ausbildung und 17 Jahre Montagetätigkeit<br />

im Türen- und Fensterbau bestens<br />

gerüstet. Der Schorsch ist ein Allround–<br />

Handwerker: Ob Türen, Schlösser oder<br />

Fenster zu reparieren waren, Einrichtungsteile<br />

oder Hausgeräte instand gesetzt<br />

werden mussten oder Pflegearbeiten<br />

im Garten anstanden - er hat alles<br />

immer fachmännisch in den Griff bekommen!<br />

Auch so manches Sanitär-Problem<br />

konnte er im Hand- und Rohrzangen-Umdrehen<br />

lösen. Ein besonderes,<br />

geradezu liebevolles Verhältnis entwickelte<br />

er vor allem zu der „sensiblen“<br />

Heizanlage der beiden Häuser: Kaum<br />

war ihr „Meister“ einmal im Urlaub,<br />


18<br />

nah dran<br />

Der Allround-Handwerker in seinem Werkstatt-Reich mit Nachfolger Wolfgang Fischbach (rechts)<br />

schon streikte diese und brauchte wieder<br />

seine regulierende Hand... Von seiner technischen<br />

Anleitung profitierten auch die Zivildienstleistenden<br />

des Amalie-Nacken-<br />

Heims, denen er in seiner Werkstatt so<br />

manche Tricks und Kniffe zeigte.<br />

Neben viel handwerklichem Geschick ist<br />

es für den Hausmeister in einer heilpädagogischen<br />

Heim-Einrichtung und<br />

Schule zur Erziehungshilfe wichtig, auch<br />

ein „gutes Händchen“ im Umgang mit den<br />

betreuten Kindern und Jugendlichen zu<br />

haben. Als Familienvater hatte Georg<br />

Schammra auch darin reichlich Übung und<br />

konnte die kleinen und größeren Bewohner/innen<br />

und Besucher/innen mit Herz<br />

und Verständnis für sich gewinnen. So fragen<br />

gestern wie heute viele Ehemalige bei<br />

ihren Besuchen in Dachau nach dem Herrn<br />

Schammra und freuen sich immer, wenn<br />

sie ihn wiedersehen.<br />

Von 1976 bis 1992 engagierte sich Georg<br />

Schammra auch als Mitglied des Betriebsrates<br />

und viele Jahre als dessen stellvertretender<br />

Vorsitzender für die Interessenvertretung<br />

der Mitarbeiterinnen und<br />

Teamgeist und Rückendeckung: Hausmeister<br />

Georg Schammra (Mitte) und Heimleiter Walter<br />

Wüst (unten, links) in der Kicker-Mannschaft<br />

des Amalie-Nacken-Heims<br />

Mitarbeiter des Vereins. Nicht zuletzt im<br />

sportlichen Bereich hat der Hausmeister<br />

Teamgeist und beherztes Durchsetzungsvermögen<br />

bewiesen: Während seiner aktiven<br />

Zeit als Fußballer in der Mitarbeiter-<br />

Mannschaft des Amalie-Nacken-Heims<br />

war er ein kompromissloser Rechtsverteidiger,<br />

an dem so mancher Angriff gescheitert<br />

ist.<br />

In einer Feierstunde zu seinem Abschied<br />

bedankten sich die Leiter/innen des Amalie-Nacken-Heims,<br />

Walter Wüst und Gudrun<br />

Brunold, sowie der Dr.-Elisabeth-<br />

Bamberger-Schule, Stefanie Seemüller<br />

und Ursula Stieler, gemeinsam mit allen<br />

Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich<br />

bei ihrem Hausmeister für die vielen Jahre<br />

der guten Zusammenarbeit! Vorstand<br />

Arno Bock würdigte besonders die Weitsicht,<br />

mit der er sich als Betriebsrat u.a.<br />

für eine Betriebsrente eingesetzt hat. Als<br />

langjähriges Vereins-Mitglied wird Georg<br />

Schammra dem <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V. auch weiterhin verbunden<br />

bleiben. Nach Übergabe der Hausmeisterpflichten<br />

an seinen Nachfolger Wolfgang<br />

Fischbach will er seine privaten Hobbies<br />

nun noch intensiver pflegen und den<br />

Landkreis Dachau auf dem Radl unsicher<br />

machen. Für seinen aktiven „Un-Ruhestand“<br />

wünschen wir ihm viel Spaß und<br />

mit „Gut Schwitz!“ allzeit fröhliches Gesundheits-Tanken<br />

in der Sauna seines Familienbades.<br />

Eine Tasse Kaffee am Morgen<br />

samt Werkstatt- und Vereinsbericht<br />

haben wir in Heim und Schule immer für<br />

ihn parat. Danke Schorsch - mach’s gut<br />

und bleib fit!<br />

WALTER WÜST ■


Für alle Fälle vorgesorgt?<br />

Die Abteilung Rechtliche Betreuung informiert über Vorsorgemöglichkeiten durch<br />

Vollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung<br />

Haben Sie wirklich an alles gedacht?<br />

Lebensversicherung, Unfallversicherung,Haftpflichtversicherung,<br />

Zusatzrente, Hausratversicherung,<br />

Vollkasko, Versicherung für den vierbeinigen<br />

Freund... Da haben Sie wohl<br />

nichts vergessen - oder doch? In vielen Lebensbereichen<br />

ist das Treffen von Vorsorgemaßnahmen<br />

für weniger gute Zeiten<br />

nahezu jedem selbstverständlich - so bei<br />

der Vermögensbildung oder beim Abschluss<br />

von Versicherungen vielfältiger Art.<br />

Doch leider denken zu wenige Menschen<br />

an Vorsorge für den Fall, dass sie infolge<br />

eines Unfalls, einer schweren Erkrankung<br />

oder durch Nachlassen der geistigen Kräfte<br />

im Alter ihre Angelegenheiten selbst<br />

nicht mehr regeln könnten. Die Mitarbei-<br />

Ulrike Wagner (Rechtliche Betreuung) informiert rund um das Thema Vorsorge<br />

nah dran 19<br />

ter/innen des Betreuungsvereins (Abteilung<br />

Rechtliche Betreuung) des <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. übernehmen<br />

für volljährige Menschen in solchen Situationen<br />

die gesetzliche Vertretung. In<br />

ihrer täglichen Arbeit erfahren sie immer<br />

wieder, wie unvorbereitet viele Betreute<br />

und ihre Angehörigen von einem Verlust<br />

an Selbständigkeit getroffen wurden.<br />

Wer entscheidet im<br />

Ernstfall?<br />

Jeder Mensch sollte sich rechtzeitig die<br />

Frage stellen, wer im Ernstfall wichtige<br />

Entscheidungen (z.B. zur finanziellen Versorgung,<br />

zur medizinischen Behandlung<br />

oder zum Abschluss eines Heimvertrages)<br />

für ihn treffen darf, wenn er selbst vorübergehend<br />

oder auf Dauer dazu nicht mehr<br />

in der Lage ist. Es ist wohl menschlich, diese<br />

Fragen zu verdrängen oder auf „später“<br />

zu verschieben. Doch niemand kann sicher<br />

sein, ob nicht vielleicht schon morgen jemand<br />

anderes für ihn sprechen muss. Gäbe<br />

es für Sie eine Person Ihres Vertrauens,<br />

die dann in Ihrem Sinne handeln könnte?<br />

Und wie sollte diese Person handeln? Oft<br />

wird fälschlicherweise angenommen, dass<br />

die Ehegattin, der Ehegatte oder die Kinder<br />

in einem solchen Moment schon alles<br />

regeln würden. Doch nach bundesdeutschem<br />

Recht dürfen selbst sie nicht ohne<br />

weiteres für ihre Angehörigen entscheiden.<br />

Vorsorgevollmacht mit<br />

Betreuungsverfügung<br />

Falls hier keine Vorsorge getroffen wurde,<br />

muss das Vormundschaftsgericht eine/n<br />

rechtliche/n Betreuer/in zur gesetzlichen<br />

Vertretung bestellen. Das Gericht wird dabei<br />

zunächst prüfen, ob diese Aufgabe<br />

ein/e Angehörige/r übernehmen kann. Ist<br />

dies nicht möglich, so wird eine familienfremde<br />

Person bestellt. Man kann je-<br />


20<br />

nah dran<br />

doch seine Selbstbestimmung vorausschauend<br />

wahrnehmen, indem man die eigenen<br />

Wünsche für die Auswahl und<br />

Amtsführung einer rechtlichen Betreuung<br />

schriftlich in einer Vollmacht mit Betreuungsverfügung<br />

darlegt. Wer Angehörige,<br />

Freunde oder Bekannte hat, denen er uneingeschränkt<br />

vertrauen kann, sollte überlegen,<br />

ob er nicht eine solche Person bevollmächtigen<br />

möchte und somit die gerichtliche<br />

Bestellung einer Betreuerin/eines<br />

Betreuers unnötig macht.<br />

Patientenverfügung<br />

Insbesondere nach einem schweren Unfall<br />

oder bei unheilbarer Krankheit kann jeder<br />

in eine Situation kommen, die anderen eine<br />

noch schwierigere Entscheidung abverlangt:<br />

Sollen bei weitgehendem Verlust<br />

jeglicher körperlicher Selbständigkeit lebenserhaltende<br />

Maßnahmen (wie intensivmedizinische<br />

Behandlung, künstliche<br />

Ernährung o.Ä.) begonnen bzw. fortgesetzt<br />

werden? Wer sich diesen Fragen nicht<br />

selbst vorsorgend stellen will, muss wissen,<br />

dass im Ernstfall andere Menschen mühsam<br />

und evtl. ohne Kenntnis der persönlichen<br />

Wünsche der Patientin/des Patienten<br />

versuchen werden, deren/dessen mutmaßlichen<br />

Willen zu ermitteln. Deshalb<br />

sollte man neben der Abfassung einer Vorsorgevollmacht<br />

mit Betreuungsverfügung<br />

Nutzen Sie Ihre Vorsorge-Chance: Bestimmen<br />

Sie wichtige Entscheidungen<br />

für Ihre Zukunft (schriftlich) selbst!<br />

unbedingt auch daran denken, seine Vorstellungen<br />

für die spätere Gesundheitsfürsorge<br />

in einer Patientenverfügung niederzulegen.<br />

Zum gesamten Themenbereich Vorsorge<br />

und rechtliche Betreuung bieten die Vereinsbetreuter/innen<br />

des <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V. kompetente Information,<br />

Beratung und Unterstützung an: Neben<br />

der gesetzlichen Vertretung der Interessen<br />

und Bedürfnisse ihrer Betreuten sowie<br />

der Schulung und Begleitung ehrenamtlicher<br />

Betreuer/innen wenden sie sich<br />

an alle Interessierten, die diesen kostenlosen<br />

Service nutzen möchten. Um<br />

möglichst viele Menschen über ihre<br />

Vorsorge-Optionen aufzuklären,<br />

führt die Rechtliche Betreuerin und<br />

Querschnittsmitarbeiterin Ulrike<br />

Wagner regelmäßig Informationsveranstaltungen<br />

in verschiedenen<br />

sozialen Einrichtungen in<br />

München durch. Gerne steht sie<br />

auch Ihnen für eine persönliche<br />

Beratung zur Verfügung:<br />

Tel. (089) 23 17 16 -9732,<br />

u.wagner@kinderschutz.de.<br />

... Wenn Sie also Ihre Zukunft<br />

nicht dem Zufall<br />

überlassen möchten:<br />

Fragen Sie nach und sorgen<br />

Sie rechtzeitig vor –<br />

für alle Fälle!<br />

ULRIKE WAGNER ■<br />

Info-Veranstaltung<br />

Vorsorge für Unfall,<br />

Krankheit und Alter<br />

Der <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V. bietet allen nah-dran-Leserinnen<br />

und -Lesern die Möglichkeit,<br />

sich in einer Info-Veranstaltung von<br />

Ulrike Wagner (Rechtliche Betreuung)<br />

aktuell und kostenlos rund um<br />

das Thema Vorsorge zu informieren:<br />

Sie erhalten darin die Formulare<br />

zur Vollmacht, Betreuungsverfügung<br />

und Patientenverfügung und<br />

können alle Ihnen wichtige Fragen<br />

stellen.<br />

Anmeldung:<br />

Wenn Sie Interesse haben, melden<br />

Sie sich bitte bei Ulrike Wagner,<br />

Tel. (089) 23 17 16 -9732, u.wagner@<br />

kinderschutz.de an. Sie werden<br />

dann zum nächsten Termin schriftlich<br />

eingeladen.<br />

Die Broschüre des Bayerischen<br />

Staatsministeriums der Justiz ist erhältlich<br />

unter: www.kinderschutz.de<br />

(<strong>Kinderschutz</strong> aktuell > Dokumente<br />

> Zu unseren Angeboten und Einrichtungen<br />

> Rechtliche Betreuung)


Bürokratisch alles in Butter?<br />

Wie eine sinnverkehrte Bürokratie Initiativen und Ressourcen der sozialen<br />

Zukunftsgestaltung zunichte macht<br />

Bürokratie<br />

ist die „Form staatlicher, politischer oder<br />

privat organisierter Verwaltung, die durch<br />

hierarchische Befehlsgliederung, klar abgegrenzte<br />

Aufgaben und Zuständigkeiten,<br />

festgelegte Laufbahnen, an die jeweilige<br />

Funktion gekoppelte Bezahlung und genaue<br />

Aktenführung gekennzeichnet ist.“<br />

(Brockhaus)<br />

Eigentlich sollten wir auf unsere<br />

Bürokratie stolz sein können, weil<br />

sie als grundlegendes Organisationsprinzip<br />

das Funktionieren unseres<br />

modernen Rechtsstaates garantiert. Doch<br />

seit mehr als zwanzig Jahren nährt sich<br />

ein Zweifel in meiner Brust: Mich beschleicht<br />

der Eindruck, dass die Bürokraten<br />

unser Land fest im Griff haben! Dass Initiative,<br />

Unternehmergeist, Kreativität und<br />

Freude am Gestalten unserer sozialen Welt<br />

zunehmend durch (pseudo-)bürokratisches<br />

Handeln zunichte gemacht werden. Dazu<br />

drei Beispiele:<br />

Behördliche Bauplan-<br />

Absprachen ohne Verlass<br />

Zum Aufbau seines neuen Projektes einer<br />

Tiergestützten Pädagogik („Heilende<br />

Pädagogik mit Tieren“) für Menschen mit<br />

besonderem Zugangsbedarf hat der <strong>Kinderschutz</strong><br />

und Mutterschutz e.V. im Herbst<br />

2003 in Unterbernbach, Landkreis<br />

Aichach-Friedberg ein ländliches Wohnhaus<br />

mit Ställen erworben. Für die Genehmigung<br />

zu dessen Nutzung als<br />

pädagogisch-therapeutische Einrichtung<br />

mussten insgesamt 16 (!) Behörden konsultiert<br />

werden. Obschon wir in Vorgesprächen<br />

sehr versucht haben, alle Anforderungen<br />

an die Planeingabe zu berücksichtigen,<br />

stellte sich im Nachhinein heraus,<br />

dass die erteilten Auskünfte,<br />

Informationen und Absprachen von Seiten<br />

der Behörden zum Teil falsch, unzureichend<br />

und unvollständig waren...<br />

▲<br />

nah dran 21<br />

Beim Aufbau ihrer „Heilenden Pädagogik<br />

mit Tieren“ konnte sich Projektleiterin<br />

Ulrike Heigenmooser auf amtliche<br />

Aussagen nicht verlassen


22<br />

nah dran<br />

Behördliche Fehlinformationen in der Planungsphase<br />

führten zu teuren Verzögerungen der<br />

Umbaumaßnahmen<br />

Pech gehabt: Das bedeutete für uns zeitraubendes<br />

Um- und Neuplanen - und kostet<br />

richtig Geld! Die Umsetzung des neuen<br />

Hilfeangebotes verzögert sich und damit<br />

auch der Zeitpunkt, zu dem das Projekt<br />

sich selbst finanzieren kann.<br />

Gestiegene Heimbetreuungs-<br />

Kosten nicht verhandlungsfähig<br />

Die Entgeltsverhandlungen für einen neuen<br />

Tagespflegesatz unseres Amalie-<br />

Nacken-Heims in Dachau stehen an. Wer<br />

ein heilpädagogisches und therapeutisches<br />

Heim für Kinder und Jugendliche betreibt,<br />

braucht eine aktuelle Betriebserlaubnis, in<br />

der die Mindeststandards des Betriebes<br />

festgelegt sind. Bereits 1990 haben wir,<br />

da sich die Verhältnisse verändert hatten,<br />

eine neue Betriebserlaubnis beantragt.<br />

Diese steht jedoch bis heute immer noch<br />

aus! Die Entgeltskommission verhandelt<br />

mit uns aber erst, wenn die neue Betriebserlaubnis<br />

vorliegt... Pech gehabt: Solange<br />

wir nicht verhandeln können, können<br />

wir auch nicht die gestiegenen Betreuungskosten<br />

in Rechnung stellen. Büro-<br />

Faschingsfeier der Heimgruppen: Die Fantasie und Kreativität unserer Kinder und Jugendlichen ist<br />

ein Gewinnfaktor, an dem nicht bürokratisch gespart werden sollte<br />

kratie hilft hier tatsächlich einmal sparen<br />

– auf unserem Rücken!<br />

„Sozialbutter vom<br />

Amtsschimmel befallen“<br />

Soziale Einrichtungen können nach EU-<br />

Recht zum Abbau der Butterberge für die<br />

interne Versorgung verbilligtes Milchfett<br />

beziehen. Die „Bayerischen Sozialnachrichten“<br />

(Ausgabe 1/2004)1 berichteten<br />

unter der obigen Schlagzeile, wofür ein<br />

Heim für psychisch kranke Menschen des<br />

Diakonischen Werkes Bamberg-Forchheim<br />

Das Amalie-Nacken-Heim:<br />

Ein Zuhause für innovative<br />

heilpädagogische und therapeutische<br />

Förderung - mit Betriebserlaubnis<br />

aus dem letzten Jahrtausend<br />

behördlich gerügt wurde: Ein Kontrolleur<br />

stellte vor Ort fest, dass bei einem Imbiss<br />

unberechtigterweise auch externe Gäste<br />

(es war zufällig die ehemalige bayerische<br />

Sozialministerin MdL Barbara Stamm) von<br />

der Sozialbutter profitiert hatten... Pech<br />

gehabt: Für dieses (unwissentliche) Zollvergehen<br />

drohen der Einrichtung nun<br />

Nachforderungen in Gesamthöhe von bis<br />

zu 35 € - ein „guter“ Stundensatz für den<br />

Kontrolleur (inkl. Reisekosten und viereinhalb<br />

Stunden Prüfung unter Beiziehung<br />

von Heimleiter und Küchenchef)!<br />

Während die Jugendhilfe von der Öffentlichen<br />

Hand massiv gekürzt wird, leistet<br />

man sich gleichzeitig diese groteske und<br />

höchst ineffiziente Bürokratie. Hier sind<br />

Widerstand und Umbau dringend angesagt!<br />

Ein Bürokratie-Abbau schafft Ressourcen<br />

für die Zukunftsaufgaben unserer<br />

Gesellschaft: Wir brauchen eine junge,<br />

leistungsfähige Generation, welche die<br />

Probleme und Herausforderungen der Zu-


kunft meistern kann. Diese soziale Aufgabe<br />

hat höchste Priorität, denn jeder junge<br />

Mensch, dessen Biographie positiv verläuft,<br />

ist ein Gewinn für die Gemeinschaft.<br />

So gesehen macht jeder Euro, der in die<br />

Jugendhilfe investiert wird, die Renten sicherer.<br />

Diese Formel sollte sich die Politik<br />

ins Sparbuch schreiben...<br />

Alles in Butter? Ich denke nicht!<br />

Zu: Arno Bock: Editorial, „Heiliger St.<br />

Florian, verschon’ mein Haus - zünd’<br />

andre an!“, Norbert Blesch: Umbau statt<br />

Ausbau: Ein leidenschaftliches Plädoyer<br />

(nah dran, Ausgabe 2003)<br />

Lieber Herr Bock!<br />

ARNO BOCK ■<br />

1. Kiesewetter, Eckehard: Sozialbutter vom Amtsschimmel<br />

befallen. In: Bayerische Sozialnachrichten. Mitteilungen<br />

der Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen<br />

und freien Wohlfahrtspflege in Bayern. Ausgabe 1/2004.<br />

München: 2004. (Originaltext erhältlich über: nahdran@kinderschutz.de)<br />

Leserbrief<br />

Notwendiges aussprechen, um Not zu wenden!<br />

Mit großem Interesse las ich in der letzten<br />

Ausgabe von nah dran den Artikel „Umbau<br />

statt Ausbau“ von Norbert Blesch sowie<br />

Ihr Editorial und den „Heiligen St. Florian“:<br />

In diesen Beiträgen sprechen Sie<br />

beide Notwendiges aus (freilich erst dann<br />

Not-Wendendes, wenn noch deutlich<br />

mehr Menschen solche Impulse aufnehmen<br />

und auch selbst setzen, den Druck also<br />

noch deutlich erhöhen!). Vielen Dank<br />

dafür!<br />

Keiner kann den Karren alleine herausziehen.<br />

Aber Sie ermutigen damit auch andere,<br />

nicht nur Pflästerchen zu kleben,<br />

sondern „den Finger“ auf Wunden zu legen<br />

- nicht, um nur weh zu tun (manchmal<br />

bedarf es freilich auch solcher „Eingriffe“<br />

oder sogar Angriffe - eben nicht nur der<br />

weh-tuenden Spar-Eingriffe...), sondern<br />

Auch der Heimleiter des Diakonischen Werkes, Peter Pratsch, (hier mit verbilligtem EU-Milchfett)<br />

musste erfahren, dass bei der Bürokratie längst nicht alles in Butter ist... Der <strong>Kinderschutz</strong> und<br />

Mutterschutz e.V. grüßt ihn als Leidensgenossen! (Foto: Eckehard Kiesewetter)<br />

um den Kurs radikal umzusteuern.<br />

Ich bin froh, dass Norbert Blesch z.B. von<br />

der größten Herausforderung spricht, „geeignete<br />

Antworten auf die (angeblich) leeren<br />

öffentlichen Kassen zu finden“ - hier<br />

ist mir der Klammer-Einschub besonders<br />

wichtig! Aber wie schaffen wir alle es,<br />

auch in Fachbeiträgen solcher Art die noch<br />

grundlegendere Systemproblematik anzusprechen?<br />

Dass skandalös dabei ja vor allem<br />

der immense und immer noch gesteigerte<br />

p rivate Reichtum einiger Schichten<br />

ist: Skandalös, weil zu Lasten der öffentlichen<br />

Haushalte, und noch mehr oder<br />

unmittelbarer, weil auf Kosten der wachsenden<br />

Zahl von „Modernisierungs-Verlierern“<br />

- von Menschen mit Hoffnungen<br />

und (trotz gigantisch erweiterter technischer<br />

Möglichkeiten) zunehmend weniger<br />

Perspektiven!<br />

Schnell würden Sie, denke ich, ob solcher<br />

Systemkritik „zurechtgewiesen“, das habe<br />

nun in einem sozialen Fachaufsatz/in der<br />

Zeitschrift eines sozialen Vereins nichts zu<br />

suchen. Aber zu Recht? Selbstverständlich<br />

müssen wir - der Menschen wegen, die<br />

heute leben - auch auf brüchigen (oder<br />

gar verfaulten?) Grundlagen Lösungen für<br />

die unmittelbare Gegenwart finden. Aber<br />

müssen nicht gerade wir (zwar nicht in jedem<br />

Augenblick oder jedem Artikel, aber<br />

im Prinzip) gleichzeitig, wenn schon noch<br />

nicht die Fundamente umbauen, so doch<br />

für die Zukunft planen, wie sie „grunderneuert“<br />

werden können (und müssen)?<br />

Ich „benze“ 1 da hin an einen gerade auch<br />

durch Ihr Wirken stark gewordenen und<br />

doch - relativ - kleinen Verein - aber in<br />

der Hoffnung, dass Sie, der schon früher<br />

Außer-Gewöhnliches leistete, auch hier<br />

Entwicklungsmotor sein können (und z.T.<br />

notwendiger Störenfried, weil faulen Frieden<br />

aufdeckend).<br />

Meine besten Grüße und Wünsche für Sie<br />

und den <strong>Kinderschutz</strong> und Mutterschutz<br />

e.V.!<br />

GÜNTER WIMMER, DIPLOM-SOZIALPÄDAGOGE, MÜNCHEN<br />

1. BENZEN = ÖSTERREICHISCH UMGANGSSPRACHLICH<br />

FÜR BETTELN, BITTEN; STÄNDIG ERMAHNEN<br />

(ANMERKUNG DER REDAKTION)<br />

nah dran 23

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