Flanke, Kopfball, Tor! - OPUS-Datenbank - Friedrich-Alexander ...
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Hubert Gburek<br />
Let's blitz Fritz<br />
„Fußballkrieg“ in der englischen Presse<br />
‚Football is a simple game; 22 men chase a<br />
ball for 90 minutes and at the end, the<br />
Germans win.’<br />
(Gary Lineker, englischer Stürmer, am 4. 7.<br />
1990 nach dem 4:3-Sieg der Deutschen<br />
im Elfmeterschießen gegen England bei<br />
der WM in Italien.)<br />
Ob bereits Heinrich VIII Fußball spielte<br />
oder das Spiel auch nur kannte, ist unerheblich.<br />
Er hätte es können. Das Spiel<br />
wurde auf den britischen Inseln erfunden,<br />
aber vielleicht in Schottland, einem der<br />
Erzfeinde der Engländer. Die erste<br />
Erwähnung des Spiels findet sich in einem<br />
Erlass des schottischen Königs James I,<br />
der es im Jahr 1424 bei einer Strafandrohung<br />
von 4 pence verbieten läßt (‚The<br />
king forbiddes that na man play at the fut<br />
ball vnder the payne of iiij d.’ OED s. v.<br />
Football). Ein Jahr später lassen die Code<br />
Laws keinen Zweifel daran, dass Fußballspielen<br />
gegen das Gesetz verstößt:<br />
‚unlawefull games ...as dyce, tables [Brettspiele,<br />
H. G.] cardes, tenes, foteball.’<br />
(MED, s. v. fot-bal). Kein Wunder, war es<br />
doch ein Spiel für Grobiane (‚The sturdie<br />
plowman...driuing the foote ball’, OED,<br />
ib.), dem offensichtlich Verletzungen als<br />
Preis für das Vergnügen mit in die Wiege<br />
gelegt worden waren (‚Robert<br />
Lowys...was sore hurt atte the foteball’;<br />
MED, ib. für das Jahr 1473).<br />
Ob das erste Opfer auch den ersten Platzverweis<br />
nach sich gezogen hatte, ist nicht<br />
bekannt, weil es noch bis zur Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts dauern sollte, ehe<br />
<strong>Flanke</strong>, <strong>Kopfball</strong>, <strong>Tor</strong>! Wissenschaft rund um den Fußball<br />
die Engländer das Spiel sozusagen<br />
patentieren ließen. Rugby und Cambridge<br />
konnten sich nicht über die Regeln verständigen<br />
und legten sie 1863 getrennt<br />
fest zu dem, was wir heute als Rugby<br />
football (Rugger) und als Association<br />
football (Soccer) kennen. Nach der<br />
Gründung einer Liga (1888) kommt es in<br />
London zum ersten Länderspiel. England<br />
und Schottland trennen sich vor 4.000 Zuschauern<br />
0:0. Der Fußball als Mannschaftswettkampf<br />
ist geboren.<br />
Demütigungen<br />
Lange Zeit war man auf den britischen<br />
Inseln überzeugt, dass nur hier guter Fußball<br />
gespielt wird und der Sieger der<br />
Länderspiele England-Schottland, meistens<br />
die Engländer, der Welt beste Fußballnation<br />
ist. Weltmeisterschaften gab es<br />
noch nicht. Enttäuschungen, ja Demütigungen<br />
mussten folgen. Eine erste war<br />
die 5:1 Niederlage vor über 88.000 Zuschauern<br />
im Wembleystadion im November<br />
1928 gegen den Erzrivalen Schottland.<br />
1950 verlor England während der<br />
WM gegen die USA, zwar kein politischer<br />
Feind, aber ein Land, das bis heute keine<br />
Fußballiga kennt und in dem 71 Prozent<br />
der Menschen während der WM 1994<br />
nicht einmal von dem Ereignis in ihrem<br />
Lande wussten. (The Independent, 16. 6.<br />
1994).<br />
Eine nichtbritische Mannschaft gewann in<br />
Wembley erstmals bei der 6:3-Niederlage<br />
Englands gegen Ungarn 1953. Tiefpunkte,<br />
die nicht mehr allein sportlich verarbeitet<br />
wurden, folgten nach dem Gewinn der<br />
WM 1966. Es kam zu einer Serie von<br />
Niederlagen gegen Deutschland, darunter<br />
1972 mit 1:3 auch erstmalig im eigenen<br />
Lande, 1990 im Halbfinale der WM und<br />
1996 in dem der EM jeweils im Elfmeterschießen<br />
und schließlich im allerletzten<br />
Spiel vor dem Abbruch des Wembleystadions<br />
im Oktober 2000 noch einmal mit<br />
0:1 (fittingly, against Germany, wie The<br />
Sunday Telegraph damals<br />
10 uni.kurier.magazin 106/juni 2005<br />
nicht ohne einen Schuss Humor schrieb).<br />
Ist es vorstellbar, dass Engländer in einem<br />
Spiel mit deutscher Beteiligung auf<br />
deutscher Seite stehen? Höchstens wenn<br />
der Gegner Argentinien hieße. Gegen<br />
Argentinien gab es 1982 den Falklandkrieg<br />
und, fast noch schlimmer, 1986 war<br />
England im Viertelfinale der WM gegen<br />
Argentinien durch ein irreguläres, mit der<br />
Hand erzieltes <strong>Tor</strong> des Argentiniers Maradona<br />
aus dem Turnier ausgeschieden.<br />
Und der Gipfel der Dreistigkeit: Behauptete<br />
doch Maradona, es sei die Hand<br />
Gottes gewesen. Das war ein Affront<br />
gegen die Nation, deren Team in diesem<br />
Turnier ebenso wie 1990 als das fairste<br />
ausgezeichnet wurde, dessen legendärer<br />
Spieler Sir Bobby Charlton nie in einem internationalen<br />
Spiel verwarnt wurde, ein<br />
Affront gegen den Fußball als solchen und<br />
das fair play, als deren Erfinder und Hüter<br />
sich die Engländer sehen: ‚football is a<br />
game we invented’ (The Independent, 30.<br />
6. 1998). ‚Now bring on the Argies’<br />
(Salopp übersetzt: ‚Jetzt macht die<br />
Argentinier fertig’) titelte deshalb vor dem<br />
Argentinienspiel bei der WM am 30. 6.<br />
1998 die Boulevardzeitung Sun. Es half<br />
nichts. Die Engländer verloren wieder.<br />
Diesmal nach Elfmeterschießen.<br />
Hurrapatriotismus<br />
Rowdytum als Begleiterscheinung des<br />
Fußballs weist in seiner englischen Variante<br />
Besonderheiten auf, die mit den<br />
eher abgegriffenen Ausdrücken hooliganism,<br />
oaf ‚Flegel’, oafishness<br />
‚flegelhaftes Benehmen’ nicht mehr adäquat<br />
beschrieben werden. Immer häufiger<br />
tauchen thug ‚Schläger’, thuggish ‚gewalttätig,<br />
brutal’ und jingoism ‚Chauvinismus’<br />
auf und, besonders bei internationalen<br />
Veranstaltungen und im Ausland,<br />
das, was The Daily Telegraph in seinem<br />
Leitartikel am 16. 6. 1998 ‚pervertierten<br />
Patriotismus’ nannte. Im selben Jahr (3. 4.<br />
1998) veröffentlichte The Guardian die<br />
Ergebnisse einer Studie, derzufolge 61<br />
Prozent der englischen Männer den Sport<br />
aufregender (more exciting) finden als ihre<br />
Beziehungen zum anderen Geschlecht,<br />
zwölf Stunden pro Woche Sportveranstaltungen<br />
im Fernsehen verfolgen und<br />
dabei besonders viel Alkohol konsumieren.<br />
Die englische Regenbogenpresse<br />
(Sun, Daily Mirror, Daily Star) ist traditionell