Leseprobe "Naturheilkunde & Gesundheit" Oktober 2020
Die sanfte Medizin aus Ihrer Apotheke
Die sanfte Medizin aus Ihrer Apotheke
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Apotheker ohne Grenzen
Wie hat sich Ihr Alltag in der
Slum-Apotheke seit der
Corona-Pandemie verändert?
Dr. Carina Vetye: In der Apotheke
arbeiten normalerweise zehn Mitarbeiterinnen.
Die meisten sind über
70 Jahre alt, deshalb musste ich sie
zu Beginn der Pandemie nach Hause
schicken. Heute sind wir nur noch zu
dritt und extrem überlastet. Oft arbeiten
wir mehr als zehn Stunden am
Tag unter Zeitdruck, damit Kranke
Selbst wenn ein Waschbecken vorhanden
ist, ist der Wasserdruck so gering,
dass gründliches Händewaschen kaum
möglich ist.
Welche Probleme belasten die
Menschen am stärksten?
Dr. Carina Vetye: Seit Corona und
der strengen Ausgangssperre in Argentinien
haben Armut und Gewalt
zugenommen. Tausende sind arbeitslos
geworden und haben mit dem Job
Mund; und die meisten Erwachsenen
haben gar keine Zähne mehr. Vor große
Herausforderungen stellen uns auch
Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck
und Diabetes, die durch einseitiges,
ungesundes Essen begünstigt
werden. Menschen mit diesen Krankheiten
brauchen dauerhaft passgenaue
Medikamente. Zudem ist Aufklärung
wichtig: zum Beispiel über Zahnpflege,
Familienplanung und Gesundheitsrisiken
durch zu viel Zucker.
Was macht Ihnen Mut und
stimmt Sie zuversichtlich?
Farmacia: Ort der Hoffnung
20 Jahre Apotheker ohne Grenzen: Statt das Jubiläum
zu feiern, kämpft der Verein aktuell gegen die
Corona-Folgen. In einem Elendsviertel von Buenos
Aires hält die Apothekerin Dr. Carina Vetye die
Arzneimittelversorgung der Slumbewohner aufrecht.
Wir haben mit ihr gesprochen.
VON ANDREA NEUEN
Auch in Zeiten
von Corona sind
Dr. Vetye (links)
und ihre
Mitarbeiterinnen
für die Ärmsten da.
Seit 20 Jahren stellt Apothekerin
Dr. Carina Vetye ihr pharmazeutisches
Know-how in den Dienst der guten Sache.
Frau Dr. Vetye, als Corona kam,
sind weltweit viele Helfer nach
Deutschland zurückgekehrt.
Sie sind in Argentinien geblieben.
Warum?
Dr. Carina Vetye: Ich bin in Argentinien
aufgewachsen und jetzt schon
seit 20 Jahren bei Apotheker ohne
Grenzen. Im Gesundheitszentrum von
Villa Zagala, einem von vielen Elendsvierteln
in Buenos Aires, haben wir vor
zwölf Jahren eine Apotheke aufgebaut.
Unsere zwölf Quadratmeter große
„Farmacia“ versorgt die Ärmsten der
Armen bedarfsgerecht und kostenlos
mit Arzneimitteln. Ich bin für das Projekt
zuständig und die einzige Apothekerin
vor Ort. Da kann ich doch nicht
ausgerechnet jetzt weg, wo ich am
dringendsten gebraucht werde.
Fotos – AoG oder AoG/Paul Hahn
die oft lebenswichtige Medizin bekommen.
Mittlerweile sind die Mitarbeiter
unseres Gesundheitszentrums gut mit
Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln
und Seife ausgestattet. Doch den Slumbewohnern
mangelt es an allem.
Wie kann es unter diesen
Bedingungen gelingen, das Corona-
Virus unter Kontrolle zu halten?
Dr. Carina Vetye: Das ist unglaublich
schwer – und die steigenden Infektionszahlen
im Großraum Buenos Aires
zeigen es. Hier in Villa Zagala leben die
Menschen dicht an dicht, oft auf der
Straße oder mit acht Personen in einem
Zimmer. Da ist Abstandhalten unmöglich,
und Risikopatienten können
nicht rechtzeitig isoliert werden. Auch
die Hygiene ist ein riesiges Problem:
Rund 2.000 Arzneimittel
gibt die kleine
Slum-Apotheke jeden
Monat kostenlos ab.
auch ihre Krankenversicherung verloren.
Medizinische Versorgung und Arzneimittel
können die Menschen nicht
bezahlen – und sind stärker denn je auf
kostenlose Behandlungen im Gesundheitszentrum
angewiesen. Prognosen
zufolge wird die Kinderarmut bis zum
Jahresende auf über 60 Prozent steigen.
Es kommen sehr harte Zeiten auf
uns zu.
Mit welchen Krankheiten kommen
die Menschen zu Ihnen?
Dr. Carina Vetye: Hautkrankheiten
durch Parasiten, Infektionen und Kratzverletzungen,
aber auch Geschlechtskrankheiten,
Atemwegserkrankungen
und Karies sind häufige Probleme.
Schon kleine Kinder haben verfaulte
Zähne und eitrige Entzündungen im
Dr. Carina Vetye: Es gibt in Deutschland
so viele Menschen, die Apotheker
ohne Grenzen unterstützen und Geld
spenden – das ist fantastisch. Hier
wird jeder Cent gebraucht, damit wir
Medikamente bedarfsgerecht kaufen
und an die Ärmsten abgeben können.
Großartig ist auch das Engagement
der hauptberuflichen und ehrenamtlichen
Mitarbeiter vor Ort: Ärztinnen,
Krankenpfleger und viele Freiwillige
arbeiten Hand in Hand. Wir haben in
den letzten Jahren schon viel erreicht,
aber Entwicklungszusammenarbeit ist
immer eine sehr langfristige Sache.
Wann wollen Sie wieder zurück
nach Deutschland?
Dr. Carina Vetye: Wenn die Corona-
Situation es zulässt, werde ich bald
für ein paar Wochen nach Hause fliegen.
Ich freue mich darauf, in meinem
Garten zu sitzen, Geige zu spielen
und zu lesen … Aber spätestens Ende
November möchte ich wieder zurückkommen,
um hier im Slum von
Buenos Aires das zu tun, was ich kann:
pharmazeutische Hilfe leisten.
Mehr Informationen gibt es im
Internet auf der Webseite:
www.apotheker-ohne-grenzen.de
8 | naturheilkunde & gesundheit · Oktober 2020
Oktober 2020 · naturheilkunde & gesundheit | 9