Context Heft 12 (PDF, 5534 kb) - KV Schweiz
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Ratgeber<br />
context <strong>12</strong> – 20<strong>12</strong><br />
Ratgeber<br />
Haben Sie Fragen rund ums Thema Arbeitsplatz? Die Experten des <strong>KV</strong> <strong>Schweiz</strong> geben den<br />
Mitgliedern Auskunft. > beratung@kvschweiz.ch oder www.kvschweiz.ch/beratung<br />
Büroalltag<br />
Carla Weber arbeitet als Psychologin<br />
beim <strong>KV</strong> <strong>Schweiz</strong>.<br />
> carla.weber@kvschweiz.ch<br />
Ungewissheit<br />
Wie behalte ich<br />
die Nerven?<br />
In unserem Betrieb steht eine<br />
Umstrukturierung bevor.<br />
Meine Arbeitsstelle ist nicht<br />
gefährdet, aber es wird gravierende<br />
Änderungen geben. Geplant<br />
ist die Zusammenlegung<br />
verschiedener Abteilungen.<br />
Ich bin mir Veränderungen<br />
eigentlich gewohnt – es handelt<br />
sich nicht um die erste<br />
Reorganisation. Trotzdem<br />
löste die Nachricht grosse Unsicherheit<br />
bei mir aus. Vielleicht<br />
hat es damit zu tun, dass<br />
ich schlechte Erfahrungen<br />
gemacht habe. Letztes Mal<br />
kündigte eine Kollegin, die ich<br />
sehr gut mochte. Der Gedanke,<br />
dass wieder so etwas passieren<br />
könnte, macht mich nervös.<br />
Die meisten Menschen haben<br />
Mühe mit unsicheren Situationen.<br />
Wir möchten uns gerne<br />
verlassen können – auf einen<br />
sicheren Arbeitsplatz, auf unsere<br />
Beziehung, auf die Stabilität des<br />
Euro usw. Doch wir leben in einer<br />
Zeit der Veränderungen und Ungewissheiten.<br />
Gerade in der Arbeitswelt<br />
bleibt oft kein Stein<br />
auf dem anderen.<br />
Die Abneigung gegen Unsi-<br />
cherheit ist ein evolutionäres<br />
Erbe. Als die Menschen noch<br />
durch die Steppe streiften, hatte<br />
die Angst in unsicheren Situationen<br />
eine wichtige Schutzfunktion.<br />
Es war zum Beispiel gut,<br />
Beeren nicht zu essen, die man<br />
nicht kannte. Heutzutage lauern<br />
aber keine Raubtiere mehr um<br />
die Ecke und die Lebensmittel im<br />
Supermarkt sind garantiert geniessbar.<br />
Unsere Angst vor Unbekanntem<br />
ist häufig ein Hindernis.<br />
Wir sind also gefordert und<br />
sollten zunehmend mit offenen<br />
Situationen klar kommen. Für die<br />
Fähigkeit, mit Ungewissheit umgehen<br />
zu können, gibt es in der<br />
Psychologie einen Begriff: «Ambiguitätstoleranz».<br />
Menschen<br />
mit hoher Ambiguitätstoleranz<br />
können Unsicherheit aushalten<br />
und denken in Grautönen statt in<br />
Schwarz-Weiss. Sie können offene<br />
Fragen stehen lassen und<br />
bewerten unklare oder irritierende<br />
Informationen nicht sofort<br />
negativ. Unter Widersprüchlichkeit<br />
leiden sie nicht, sondern<br />
können konstruktiv damit um-<br />
gehen.<br />
Es kann durchaus sein, dass<br />
Ihre Befürchtung sich bewahrheitet.<br />
Vielleicht verschlechtert sich<br />
Ihre Arbeitssituation durch die<br />
anstehende Reorganisation erneut,<br />
vielleicht ist genau das Gegenteil<br />
der Fall. Das wissen Sie<br />
(noch) nicht. Sie kommen also<br />
nicht darum herum, Ihr Unwissen<br />
zunächst auszuhalten. Eine hohe<br />
Ambiguitätstoleranz könnte Ihnen<br />
dabei helfen. Natürlich lässt<br />
sich diese Fähigkeit nicht einfach<br />
antrainieren, aber sie lässt sich<br />
fördern, mit folgenden Haltungen<br />
und Überlegungen:Gestalten<br />
Sie die Veränderungen aktiv mit.<br />
Akzeptieren Sie dabei, dass Sie<br />
viele Ereignisse nicht unter Kontrolle<br />
haben. Trotzdem ist dies<br />
kein Grund, um in Hilflosigkeit zu<br />
erstarren. Nichts ist bis ins Detail<br />
geplant. Suchen Sie den Spielraum,<br />
den Sie nutzen können.<br />
«Katastrophendenken» verstellt<br />
den Blick auf mögliche<br />
Chancen. Klar kann es wieder zu<br />
Kündigungen kommen, aber wer<br />
weiss, vielleicht bringt die erwähnte<br />
Zusammenlegung der<br />
Abteilungen eine neue Teamkonstellation,<br />
die Ihnen ganz gut<br />
gefällt.<br />
Gönnen Sie sich ab und zu<br />
Distanz zu den Ereignissen mit<br />
der «Vogelperspektive». Schauen<br />
Sie ganz gelassen auf das, was<br />
sich da unten abspielt. Diese Umstrukturierung<br />
wird nicht die einzige<br />
gravierende Veränderung in<br />
Ihrem Leben sein. Vieles haben<br />
Sie bereits gut gemeistert. Bestimmt<br />
gab es schon einige Hürden,<br />
die zu Beginn sehr hoch<br />
schienen und die im Rüc<strong>kb</strong>lick<br />
doch gut überwindbar waren.<br />
Recht<br />
Felix Kuster arbeitet beim<br />
Rechtsdienst des <strong>KV</strong> <strong>Schweiz</strong>.<br />
> felix.kuster@kvschweiz.ch<br />
Zumutbarkeit<br />
Müssen wir Überstunden<br />
leisten?<br />
Seit einiger Zeit leisten wir in<br />
unserer Abteilung Überstunden<br />
in erheblichem Umfang.<br />
Es begann damit, dass zwei<br />
Mitarbeiter aus Spargründen<br />
entlassen wurden und deren<br />
Arbeit jetzt mehr oder weniger<br />
regelmässig auf die verbliebenen<br />
Mitarbeiter verteilt wird.<br />
Wie lange ist dieser Zustand<br />
zumutbar?<br />
Vorweg ist festzuhalten, dass<br />
der Arbeitnehmer zur Leistung<br />
von Überstundenarbeit gesetzlich<br />
verpflichtet ist (Art. 3<strong>12</strong>c Abs.<br />
1 OR). Diese Verpflichtung besteht<br />
allerdings nur dann, falls<br />
die Überstundenarbeit erstens<br />
betriebsnotwendig und zweitens<br />
für den Mitarbeiter zumutbar ist.<br />
Die Notwendigkeit zur Erbringung<br />
von Überstunden wird angenommen,<br />
wenn der Arbeitgeber<br />
einen ausserordentlichen<br />
Arbeitsanfall zu bewältigen hat,<br />
andere Mitarbeiter vorübergehend<br />
(z.B. krankheitsbedingt)<br />
ausfallen oder dringliche Arbeiten<br />
zu erledigen sind (z.B. Buchhaltungsabschlüsse<br />
am Jahresende).<br />
Die Leistung von Überstundenarbeit<br />
kann unzumutbar sein,<br />
wenn z.B. Familienpflichten mit<br />
diesen zeitlich zusammenfallen.<br />
Eine Mutter, die nach der Arbeit<br />
gewöhnlich ihre Kinder in der<br />
Schule abholt, wird nicht in der<br />
Lage sein, an diesen Tagen länger<br />
zu arbeiten. Ebenfalls als unzumutbar<br />
wird Überstundenarbeit<br />
taxiert, falls diese durch eine<br />
andere Betriebsorganisation vermieden<br />
werden könnte. Dieser<br />
Gesichtspunkt der Zumutbarkeit<br />
spielt im von Ihnen geschilderten<br />
Sachverhalt eine entscheidende<br />
Rolle: Der Arbeitgeber hat zwei<br />
Mitarbeiter entlassen, deren Arbeit<br />
offenbar inzwischen auf die<br />
verbleibenden Mitarbeiter verteilt<br />
werden muss, damit sie<br />
überhaupt noch erledigt werden<br />
kann. Falls diese Lösung für längere<br />
Zeit Anwendung finden<br />
sollte, wäre die Erbringung der<br />
entsprechenden Überstunden<br />
zwar notwendig, jedoch nicht