im Blick - Wirtschaftsförderung Recklinghausen
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KOMMENTAR n n n<br />
Erbschaftssteuerreform 2008 und Betriebsübergabe<br />
n NOCH bis zum 31. 12. 2008 läuft die Frist, welche das<br />
Bundesverfassungsgericht Regierung und Parlament<br />
für die Erbschaftssteuerreform gesetzt hat. Die aktuelle<br />
Änderung des Erbschaftssteuerrechts geht auf ein<br />
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November<br />
2006 zurück. Das höchste deutsche Gericht stufte<br />
damals das Erbschaftssteuergesetz von 1996 als verfassungswidrig<br />
ein, weil es mit seinen Best<strong>im</strong>mungen<br />
gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz)<br />
verstieß.<br />
Der Grund: Für die Bewertung der zur Vererbung<br />
anstehenden Vermögensgegenstände war kein einheitlicher<br />
Steuertarif vorgesehen, der „unabhängig<br />
davon, aus welchen Vermögensarten sich Nachlass<br />
oder Schenkung zusammensetzen, für alle steuerpflichtigen<br />
Erwerbe“ galt.<br />
Stattdessen wurde über das Bewertungsgesetz<br />
(BewG) eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten<br />
zur Vermögensfestsetzung angeboten. Bei Betriebsvermögen<br />
stellte das Gesetz beispielsweise noch auf<br />
den Steuerbilanzwert ab. Neue Basis der Veranlagung<br />
soll nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichtes<br />
nun der Marktwert der Immobilie, des Betriebs oder<br />
der Sachwerte usw. sein. Im Gegenzug hat es dem<br />
Gesetzgeber zugestanden, Erben oder Beschenkte<br />
aus Gründen des Gemeinwohls teilweise steuerlich<br />
angemessen zu begünstigen.<br />
8 Wirtschaft <strong>im</strong> <strong>Blick</strong><br />
Im Kern zwei Reformen<br />
Damit stehen <strong>im</strong> Kern zwei Reformen an: erstens die<br />
Regelung, wie eine Vermögensübertragung demnächst<br />
in Euro und Cent zu berechnen ist, und zum<br />
zweiten, wie steuerliche Freibeträge für best<strong>im</strong>mte<br />
Gruppen von Bedachten anzupassen sind. Hier liegt<br />
eines der Probleme, denn der Marktwert liegt häufig<br />
über der Summe, die mit den bisherigen Verfahren<br />
ermittelt werden konnte.<br />
Mit ihrem Entwurf zur „Reform eines Gesetzes zur<br />
Reform des Erbschaftssteuer- und Bewertungsrechts“<br />
hat die Bundesregierung <strong>im</strong> Dezember letzten Jahres<br />
auf die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts reagiert<br />
und inzwischen auch Diskussionsentwürfe der<br />
Durchführungsverordnung zum BewG vorgelegt, mit<br />
der die Bewertung der unterschiedlichen Vermögenswerte<br />
geregelt werden soll. Das Gesetzespaket soll<br />
insgesamt die „soziale Balance“ wahren und das<br />
Erbe von Wohneigentum, etwa einem „normalen“<br />
Einfamilienhaus, steuerfrei stellen sowie den Mittelstand<br />
entlasten. Zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge<br />
soll künftig die Erbschaftssteuer für<br />
85 Prozent des Betriebsvermögens entfallen, wenn<br />
mit der Firma verbundene Arbeitsplätze mehrheitlich<br />
10 Jahre lang und das Betriebsvermögen selbst<br />
15 Jahre lang erhalten bleiben.<br />
Für die meisten Unternehmer sind diese langen Haltefristen<br />
schlicht unrealistisch. Dies zeigt auch das<br />
Beispiel der KEGO Dreherei und Schlosserei GmbH<br />
in <strong>Recklinghausen</strong>. Manfred Zeidler hatte in 2004<br />
den Betrieb übernommen und alle 26 Arbeitsplätze<br />
in dem Unternehmen gesichert. Heute schaut das<br />
Unternehmen auf eine solide Auftragsbasis, die nur<br />
durch die hohe Flexibilität von Mitarbeitern und<br />
Unternehmensführung erreicht werden konnte. Ob<br />
dieser geringe unternehmerische Handlungsspielraum<br />
aufgrund der überlangen Haltefristen groß<br />
genug bleibt, ist aus Sicht der Wirtschaft – gerade der<br />
mittelständischen Wirtschaft – fraglich.<br />
Derzeit sind die Fristen noch Gegenstand intensiver<br />
Diskussionen zwischen den Koalitionspartnern in<br />
Berlin. Ob das neue Gesetz rückwirkend zum 1.<br />
Januar 2008 in Kraft treten wird, muss nicht nur deshalb<br />
als noch offen bezeichnet werden. Vorgesehen<br />
war <strong>im</strong> Regierungsentwurf auch ein Wahlrecht des<br />
Erben, für Erbfälle ab dem 1. Januar 2007 bereits das<br />
neue Recht zu wählen. Auch insoweit ist noch alles<br />
offen.<br />
Besondere Relevanz für KMU<br />
Große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hat die<br />
vorgeschlagene Neuregelung für die Unternehmensnachfolge,<br />
die insbesondere für kleine und mittelständische<br />
Unternehmer von besonderem Interesse ist.<br />
Wie viele andere Regionen in Deutschland, ist auch<br />
die Wirtschaftsregion Nord-Westfalen, zu der auch<br />
der Kreis <strong>Recklinghausen</strong> gehört, typisch klein- und<br />
mittelständisch geprägt. Nur 0,3 Prozent aller Unternehmen<br />
haben mehr als 250 Beschäftigte. Der größte<br />
Anteil entfällt auf Kleinbetriebe mit weniger als zehn<br />
Beschäftigten.<br />
Der Anteil der mittelständischen Unternehmen mit<br />
10 bis 249 Beschäftigten beläuft sich auf 11 Prozent.<br />
Für alle diese Unternehmen hatte das Thema<br />
„Unternehmensnachfolge“ schon in den vergangenen<br />
Jahren eine besondere Relevanz.<br />
Bisher gefährdete die hohe steuerliche Belastung des<br />
Erbes häufig den Fortbestand des Betriebes und<br />
damit die Arbeitsplätze. Man ist sich in der Politik<br />
weitgehend einig, dass derartige Belastungen wegfallen<br />
oder mindestens reduziert werden müssen, fürchtet<br />
zugleich aber auch etwaige „Mitnahmen“. Etwa,<br />
dass ein Erbe der günstigeren Bedingungen wegen<br />
verspricht, den Betrieb fortzuführen, ihn aber dann<br />
doch weiterveräußert oder schließt. Deshalb hat man<br />
die günstigen Steuertarife bei der Fortführung u. a.<br />
an zwei Kriterien geknüpft (§ 13 a Erbschaftssteuergesetz<br />
–Entwurf): erstens die Garantie einer gewissen<br />
Lohnsumme, die das Unternehmen weiterhin zahlt,<br />
zweitens keine Entnahmen über den laufenden<br />
Gewinn hinaus für einen Zeitraum von 15 Jahren<br />
(Verhaftungsregel). Im Falle eines Verstoßes gegen<br />
diese Auflagen erhöht sich die zu zahlende Erbschaftssteuer<br />
in mehreren Stufen.<br />
Der neue Unternehmer soll also über einen längeren<br />
Zeitraum hinweg - derzeit sind zehn Jahre vorgesehen<br />
- eine jährliche Lohnsumme in Höhe von mindestens<br />
70% des Betrags zahlen, der in den letzten fünf Jahren<br />
vor der Übertragung erbracht wurde (Ausgangslohnsumme).<br />
Ob diese Regelung praktikabel ist, darüber<br />
herrscht Streit.<br />
So wenden Kritiker ein, dass eine solch starre Regelung<br />
nur bedingt mit Marktmechanismen zu vereinbaren<br />
ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: Was ist,<br />
wenn ein Zulieferbetrieb in der Automobilindustrie<br />
Ulrich Schäfer, Präsident der Westfälischen Notarkammer:<br />
„Wer eine Betriebsübergabe plant, muss den<br />
Reformprozess bis Jahresende <strong>im</strong> Auge behalten.“<br />
Bild: panta-rhei<br />
ohne eigenes Zutun einen Auftrag verliert und der<br />
Betrieb deshalb nur reduziert weitergeführt werden<br />
kann? In einem solchen Fall wäre eine „Nachzahlung“<br />
der Erbschaftssteuer fällig, diese Nachversteuerung<br />
würde auch die Kreditwürdigkeit des Unternehmens<br />
und damit vielleicht dessen Bestand und die<br />
Arbeitsplätze gefährden.<br />
Auch <strong>im</strong> Falle der Verhaftungsregel korrespondieren<br />
Gesetzesentwurf und betriebliche Praxis nur bedingt.<br />
Die lange Frist belastet die Unternehmensführung<br />
und behindert unternehmerische Entscheidungen in<br />
einer Zeit, da technische, wirtschaftliche und beschäftigungspolitische<br />
Perspektiven sich in kürzester Zeit<br />
verändern können.<br />
Nachjustierung zwingend erforderlich<br />
Hier bedarf es dringend einer Nachjustierung.<br />
Zudem sollte man bei den anstehenden Beratungen<br />
auch einige Aufmerksamkeit auf Sprache und Struktur<br />
des Gesetzes selbst verwenden. Kritiker vom Fach<br />
haben zu Recht moniert, dass manche Passagen der<br />
derzeitigen Fassung „nicht nur für den steuerjuristischen<br />
Laien ... nicht erfassbar und nachvollziehbar“<br />
sind. Hier stehen bei einem Generationswechsel nicht<br />
nur die ca. 2.800 eingetragenen Handwerksbetriebe<br />
<strong>im</strong> Kreis <strong>Recklinghausen</strong> vor der Frage, wie der<br />
Übergang wirtschaftlich und rechtlich zu formulieren<br />
ist. Kompetente Ansprechpartner für solche Fragen<br />
sind die 37 Notarinnen und Notare in <strong>Recklinghausen</strong><br />
und Herten. n<br />
Ulrich Schäfer, Präsident der Westf. Notarkammer<br />
www.westfaelische-notarkammer.de