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68 Literatur<br />
Städteplanung / Architektur / Religion<br />
16.6.2012<br />
„INMITTEN DER EWIGKEIT“<br />
FÜR GÜNTHER DOMENIG<br />
GEDANKEN AN EINEN FREUND<br />
Am Himmel fliegt ein weißer Strich seine<br />
Runden, zwischen hohen Bergen. Bald<br />
werde ich selbst in der Luft sein, auf dem<br />
Flug über die Alpen und entfernt von den<br />
Dingen. Günther Domenig ist nicht mehr.<br />
Der Halbstarke, den ich 1972 kennenlernte,<br />
mit den hohen Holzpantoffeln, der tief hängenden<br />
Gliederkette hinter dem halbgeöffneten<br />
Hemd, und der Vokuhila-Frisur wird für<br />
immer Erinnerung sein. 1972 war Günther<br />
Domenig Gastprofessor für Entwerfen an der<br />
TU Graz. Professoren hatten damals noch<br />
weiße Mäntel an _was ihre Position nicht<br />
unbedingt verbesserte. Günther Domenig<br />
hat viele Gesichter. Dahinter steht immer<br />
derselbe Mensch. Er war unendlich scheu,<br />
oft fast wortlos, ging Auseindersetzungen<br />
am liebsten aus dem Wege _ und schrie und<br />
verletzte andere, wenn er sich selbst verletzt<br />
fühlte. 7 Jahre, wilde, unendlich spannende<br />
Jahre folgten der ersten Bekanntschaft, Jahre<br />
voller Auseinandersetzungen und getragen<br />
von einer Freundschaft, die man nach außen<br />
hin nicht zeigt.<br />
Wie so oft im Leben von Architekten sind die<br />
besseren Entwürfe nicht gebaut worden. Die<br />
besseren Projekte verloren Wettbewerbe. Die<br />
großartigen Projekte aus der Partnerschaft<br />
mit Eilfried Huth, Medium Total, die Ragnitz<br />
und Floraskin blieben unrealisiert. Die Ragnitz<br />
geplant mit den besten Studenten der<br />
Architekturfakultät fand zumindest weltweite<br />
mediale Verbreitung. Floraskin erlebte seine<br />
Teilverwirklichung im Restaurant-Pavillon<br />
der Schwimmhalle, die anläßlich der Olympischen<br />
Spiele 1972 in München von Günther<br />
Behnisch und Frei Otto gebaut wurde. Doch<br />
das seltene Beispiel für eine zeitgenössische<br />
Raumskulptur von konstruktiver Schönheit<br />
wurde vor ein paar Jahren abgerissen. Die<br />
Pädagogische Akademie in Graz-Eggenberg,<br />
Zeugnis des Beton Brut in Graz, wurde<br />
inzwischen fragwürdig saniert und ergänzt.<br />
Das Forschungszentrum der Montanunion in<br />
Leoben, 40 Jahre lang das beste Beispiel für<br />
neue Architektur in der Steiermark außerhalb<br />
von Graz und Umgebung, wurde schlichtweg<br />
verunstaltet. Die grandiose Rauminstallation<br />
vor dem Künstlerhaus in Graz anläßlich<br />
Trigon `67 war von Vornherein temporär<br />
geplant und ist Geschichte. Und schließlich<br />
der Speisesaal der Schulschwestern in Graz-<br />
Eggenberg, eigentlich ein Mehrzwecksaal,<br />
meine erste örtliche Bauleitung. Eine wunderschöne<br />
Idee im Konstruktiven wie im Formalen.<br />
Später von kopflosen Barbaren eingerüstet<br />
mit Blech.<br />
Günther Domenig + Volker Giencke, Biennale Venedig 20<br />
Flamenco Sänger schreien ihre Enttäuschung<br />
in die Welt hinaus und bewegen damit zumindest<br />
Flamenco Tänzerinnen. Als Günther<br />
Domenig anläßlich der Eröffnung der Landesausstellung<br />
in Hüttenberg die Ignoranz<br />
und Verhinderungsmentalität des Bürgermeisters<br />
öffentlich geißelte, verließ dieser<br />
den Raum, aber nicht sein Amt.<br />
Wäre der Wettbewerbsentwurf Domenigs<br />
für die Neubebauung des Ballhausplatzes in<br />
Wien tatsächlich gebaut worden, die zeitgenössische<br />
Architektur in Österreich hätte ab<br />
1975 eine andere Richtung genommen. So<br />
aber setzten sich postmoderner Quatsch und<br />
eine widerlich verbrämte Kisten-Architektur<br />
durch, die beide selbst von Fachjurien bis<br />
heute stolz als gemeinsamer Nenner für das<br />
Nichts in der Architektur präsentiert werden.<br />
Günther Domenig mußte sich mit einer<br />
Bankfiliale für die „Z“ auf einem kleinem<br />
Grundstück in Wien- Favoriten begnügen.<br />
Diese Bauvorhaben wurde während des Bauens<br />
von der Creme der Wiener Architektur,<br />
der sog. Wiener Klassik, ignoriert und<br />
danach für entbehrlich empfunden.<br />
Dank Krista Fleischmann/ORF und<br />
ausländischen Architekturmedien<br />
wurde dieses Projekt aber<br />
in jedes Werkverzeichnis über<br />
Ermerging Architecture ab<br />
1970 aufgenommen. Günther<br />
Domenig war plötzlich<br />
international bekannter als<br />
die Wiener Partie und hofiertes<br />
Mitglied der Szene.<br />
Nur Walter Pichler war<br />
ein Freund auf gleicher<br />
Augenhöhe. Der aus Paris<br />
nach Wien zurückgekehrte<br />
Helmut Richter, als Student<br />
in den 60-er Jahren Mitarbeiter<br />
im Grazer Büro, und<br />
ich, wir waren die bevorzugten<br />
Gesprächspartner im<br />
ehemaligen Cafe Erzherzog<br />
Rainer, beim Chinesen in<br />
der Schleifmühlgasse und<br />
ab 22:00 überall sonst.<br />
Domenig und ich waren uns<br />
einig, dass es heute in Jurien<br />
schwieriger ist die eigenen<br />
Kollegen von der Qualität der<br />
Architektur zu überzeugen als<br />
Bürgermeister und Bauträger.<br />
Dass viele dieser kollegialen Gespenster<br />
auch noch akademische<br />
Karrieren erleben, macht die Situation<br />
unerträglich. Nicht zuletzt deshalb verließ<br />
Domenig vorzeitig die Fakultät. Doch das persönliche<br />
16.6.2012 Beispiel bewirkte nichts. Im Gegenteil,<br />
„Inmitten man war der froh Ewigkeit“ einen Mahner weniger zu<br />
haben, bestellte die Mittelmäßigkeit als Ersatz<br />
und machte so weiter wie bisher _mittelmä-<br />
Für GÜNTHER DOMENIG<br />
Gedanken an einen Freund<br />
Am Himmel fliegt ein weißer Strich seine Ru<br />
Luft sein, auf dem Flug über die Alpen und<br />
Günther Domenig ist nicht mehr.<br />
6.4.2. Jeder Einzelne muss den Freiheitsgrad spüren.<br />
6.4.3. Wenn man verändert, dann geht man nicht<br />
von der Masse aus, sondern vom Einzelnen.<br />
Veränderungen gehen nicht von der Masse<br />
Der Halbstarke, den ich 1972 kennenlernte<br />
aus, sondern vom Einzelnen.<br />
Gliederkette hinter dem halbgeöffneten Hem<br />
1972 war Günther Domenig Gastprofessor<br />
noch Auge’-Verständnis. weiße Mäntel an _was ihre Position ni<br />
Gesichter. Dahinter steht immer derselbe M<br />
realisiert zu werden.<br />
Er war unendlich scheu, oft fast wortlos, gin<br />
schrie realisieren. und (Le verletzte Corbusier) andere, wenn er sich se<br />
7 Jahre, wilde, unendlich spannende Jahre<br />
Massenkultur.<br />
Auseinandersetzungen und getragen von ei<br />
6.4.4. Jeder Mensch ist wichtig. (Robert Schwan)<br />
6.4.5. Keine ‚Auge um Auge’-Politik, sondern ‚Auge in<br />
6.4.6. Träume und Visionen verlangen danach<br />
6.4.7. Das Schöne an den Träumen ist, dass wir sie<br />
6.4.8. Es geht um eine neue Definition der<br />
6.4.9. Die Gemeinschaftskultur. Vom Individuum zum<br />
Gemeinschaftswesen.<br />
Wie so oft im Leben von Architekten sind di<br />
Projekte verloren Wettbewerbe. Die großart<br />
Total, die Ragnitz und Floraskin blieben unr<br />
als Form. Nichts ist statisch. Auch nicht immer.<br />
Architekturfakultät fand zumindest weltweite<br />
(Barbara Doser)<br />
Teilverwirklichung im Restaurant-Pavillon de<br />
in München von Günther Behnisch und Fre<br />
zeitgenössische Raumskulptur von konstrukt<br />
6.4.10. Computer lernen vergessen.<br />
6.4.11. Wir sind immer am Anfang.<br />
6.4.12. Alles ist Form in Bewegung und Bewegung<br />
6.4.13. Im Streben leben.<br />
6.4.14. Die Ganzheitlichkeit ist übermenschlich.<br />
6.4.15. Ich bin ein Detail. Im Detail liegt die Wahrheit.<br />
6.5. Die Umstülpung geschieht automatisch.<br />
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