ST:A:R_44
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4 MetzgerMensch Nr. <strong>44</strong>/2015<br />
Die<br />
Fotografie<br />
war einmal<br />
etwas sehr<br />
Besonderes.<br />
Die<br />
Fotografie<br />
ist etwas<br />
sehr<br />
Besonderes.<br />
Als ich ein kleines Mädchen war,<br />
klebte meine Mutter mit großer<br />
Sorgfalt an manchen Sonntagen<br />
Fotos mit Fotoecken in ein<br />
kunstledergebundenes Fotoalbum.<br />
Es waren kleine Farbfotos mit<br />
orangenem Farbstich und weißem<br />
Rand. Von meinem Bruder, der nur<br />
3 Jahre älter ist als ich, waren<br />
die Babyfotos noch in Schwarzweiß.<br />
Später wurden die Fotos<br />
in Alben mit selbsthaftenden<br />
Folien eingelegt. Die Bilder<br />
wurden größer, man konnte in der<br />
Oberflächenqualität zwischen<br />
glänzend und matt wählen. Die<br />
80er/90er Jahre waren die<br />
Hochblüte des Fotopapiers.<br />
Die Fotografie war etwas sehr<br />
Besonderes. Noch bevor ich wusste,<br />
wer Kandinsky war, klebten in<br />
meinem Jugendzimmer Poster von<br />
Henri Cartier Bresson.<br />
Aber - meine erste Kamera, eine<br />
Nikon F-801, war meine letzte ohne<br />
Speicherkarte.<br />
Heute ist alles anders. Smart<br />
Phones, Tablets, Laptops,<br />
Computer, ... alle haben sie<br />
Kameras mit guter Auflösung. Und<br />
die Bearbeitung der Fotos erfolgt<br />
direkt am Gerät, Lomo-Effekt,<br />
Selfie-Korrektur, etc. – für ein<br />
schnelles Posting ist das mehr<br />
als ausreichend. Qualität und<br />
Themenstellungen sind nicht so<br />
wichtig, fotografiert wird, um<br />
zu zeigen, zu notieren, nicht zu<br />
vergessen. Die Fotografie ist<br />
Teil unseres kognitiven Systems<br />
geworden ebenso wie Google das<br />
ist. Das Datenmeer ist überall<br />
aufrufbar, erweitert unser Wissen<br />
und Gedächtnis und stimuliert<br />
unsere Kommunikation. Wir sind nur<br />
mehr einen Schritt davon entfernt,<br />
dieses Extrawissen mit umfassender<br />
Bilddokumentation wie eine<br />
Simultanübersetzung permanent und<br />
überall zugespielt zu bekommen.<br />
Die Fotografie tut sich schwer<br />
damit. Immer schon war das Thema<br />
der Reproduktion ein heikler Punkt<br />
für die Fotokunst, jetzt aber, in<br />
diesem Meer von Bildern, ist nicht<br />
Christine Bärnthaler über<br />
nur das Bild endlos reproduzierbar,<br />
es ist auch jeder ein Fotograf.<br />
Binnen weniger Stunden kann ein<br />
Foto globale Aufmerksamkeit<br />
erlangen; da erschöpft sich die<br />
Frage nach dem Kopierschutz vor<br />
der Masse der Verteiler.<br />
Sich heute für<br />
den Beruf des<br />
Fotografen, des<br />
Fotokünstlers<br />
zu entscheiden,<br />
ist mutig.<br />
Wenn man sich nun umsieht in<br />
der Fotokunst, so fällt auf,<br />
dass sie heute beinahe durchwegs<br />
Konzeptkunst“ ist – wobei das<br />
Konzept vorrangig darin besteht,<br />
auf eine Art und Weise der Idee<br />
des Unikats möglichst Nahe zu<br />
kommen, sei dies über eine<br />
Bildbearbeitung, einem strengen,<br />
wiedererkennbaren Stil oder<br />
komplexen Themenstellungen.<br />
Beliebt sind schon seit einiger<br />
Zeit zum Beispiel Konzepte, die<br />
dem anonymen Bild-Fundstück über<br />
die Vereinnahmung des Künstlers<br />
eine neue Identität geben, Bild-<br />
Adoption.<br />
So viel zum Here we are now.<br />
Vor ein paar Monaten begleitete<br />
ich Heidulf Gerngross auf<br />
eine Vernissage. Er sollte<br />
eine Eröffnungsrede halten.<br />
Junge Leute, die er kennen<br />
gelernt hatte. Mehr wusste er<br />
darüber nicht zu berichten. Die<br />
Ausstellung fand im F.E.A.-<br />
Raum, im Museumsquartier, statt.<br />
Vorgelagert den Ausstellungsräumen<br />
stand ein Tisch mit einem kleinen<br />
Fleisch und Wurst Buffet. Speck,<br />
Schinken, Leberstreichwurst,<br />
Blutwurst ... die Mutter von<br />
Günther Metzger, einem jener<br />
jungen Leute“, die da ausstellten,<br />
erklärte, die Köstlichkeiten<br />
seien aus eigener Produktion.<br />
Ich stellte mir vor, wie es<br />
wäre, diese Delikatessen bei<br />
meinen“ Veranstaltungen anbieten<br />
zu können. Bei Betreten des<br />
ersten Ausstellungszimmers<br />
reklamierte die Wurst in meinem<br />
Magen. Schweineschlacht. Danke<br />
Herr Metzger. Es heißt, Schweine<br />
schreien schon bevor der Metzger<br />
den Stall betritt, sie wissen,<br />
spüren was kommt. Die Bilder<br />
führen vom wehrigen, schreienden<br />
Schwein über viel Blut bis hin<br />
zum zerlegten Kopf. Da liegen<br />
Schweinsohren im Bild, die ich<br />
als getrocknete Ware dann meinen<br />
Hunden füttern werde. Auch das<br />
Bolzenschussgerät ist da, was<br />
mich unangenehm an Haneke’s<br />
Benny’s Video denken lässt.<br />
Dieses Gemetzel hat stattgefunden<br />
und Günther Metzger hat es<br />
fotografiert. Mein Aufenthalt in<br />
diesem Raum dauerte die Zeit,<br />
die ich benötigte, mich einmal<br />
um meine eigene Achse zu drehen.<br />
Im nächsten Raum ein nackter,<br />
blasser Frauenkörper im Tanz,<br />
fliegend, schwebend, mit einem<br />
wehenden roten Rock, dazu in den<br />
Raum gehängt ein Exponat, das mich<br />
damals nicht erreichen konnte.<br />
Ich fühlte mich gefangen. Zum<br />
einen sollte ich Gerngross’ Rede<br />
dort anhören, zum anderen war der<br />
Metzger Raum“ zum Raumverschluss<br />
geworden. Bloß nicht mehr dort<br />
durch müssen. Heidulf erzählte in<br />
seiner Rede von seiner letzten<br />
Begegnung mit Helmut Richter vor<br />
dessen Tod. Vielleicht macht diese<br />
Erinnerung den Besuch nachträglich<br />
beklemmender als er tatsächlich<br />
war. Ich dachte nicht, diesen<br />
MetzgerMensch“ Künstlern nochmals