ST:A:R_44
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Nr. <strong>44</strong>/2015<br />
MetzgerMensch<br />
5<br />
zu begegnen. Ich hatte nicht vor,<br />
diese Ausstellung nochmals zu<br />
betreten.<br />
Einige Wochen später feierte<br />
Heidulf Gerngross seinen 75.<br />
Geburtstag. Um Mitternacht wurde<br />
ihm ein Geschenk überreicht.<br />
Ein Portrait. Eine Fotografie.<br />
Ja, doch, er hatte erzählt, die<br />
Metzger Mensch Leute wären mit ihm<br />
nach Melk gefahren, hätten dort<br />
zwei Tage verbracht, es sei eine<br />
sehr freundschaftliche Atmosphäre<br />
entstanden und die beiden hätten<br />
viel fotografiert.<br />
Aber<br />
offensichtlich<br />
hatte er<br />
selbst keine<br />
Ahnung, WAS die<br />
beiden dort<br />
fotografiert<br />
hatten.<br />
Das Gerngross Portrait hat<br />
eine magische Kraft. Es zeigt<br />
seinen nackten Oberkörper, auf<br />
dem der nackte Kopf sitzt,<br />
so überbelichtet im weißen<br />
Hintergrund, dass die Kontur des<br />
Kopfes sich auflöst. Gerngross<br />
zerrinnt mit dem Hintergrund, mit<br />
seinem Umraum. In seinem Gesicht<br />
sitzt eine Archiquant Brille als<br />
tiefschwarze Figur, in etwa so,<br />
als würden zwei dicke schwarze<br />
Ringe das Bild aufbrechen, damit<br />
man die Augen des alten Mannes<br />
nicht verfehlen kann, damit<br />
man von diesen Augen gefressen<br />
werden kann. Ich werde zum Kind<br />
vor dem Bild. Eine Achtung macht<br />
sich breit in mir. Ich sehe den<br />
Menschen vor mir, wie ich ihn<br />
kenne, wie ich ihn schon ein<br />
viertel Jahrhundert lang kenne,<br />
wie ich ihn aber nie sehen könnte,<br />
vor mir, real. Ein Paradoxon.<br />
Ich sehe, was ich kenne, was<br />
ich noch nie sah, was so“ nicht<br />
gesehen werden kann. Es gibt<br />
keinen überbelichteten schwarzweißen<br />
- nein, nicht schwarz-weiß“<br />
sondern fast nur weißen“ - Heidulf<br />
Gerngross. Aber vor der Metzger<br />
Mensch Kamera stand er so, halb<br />
in Auflösung, so erhellt, alles<br />
vor ihn tretende aufsaugend. Die<br />
Metzger Mensch Augen (4) sahen ihn<br />
so und so zeigte er sich ihnen.<br />
Wieder Wochen später findet<br />
die Finissage der Metzger<br />
Mensch Ausstellung bei F.E.A.<br />
statt. Diesmal gibt es keine<br />
Schlachtprodukte zum Empfang. Ich<br />
sehe mir die Schweineschlachtfotos<br />
immer noch mit einem Unbehagen,<br />
aber nun beruhigt an. Günther<br />
Metzger ist nicht Benny. Heidulf<br />
Gerngross hält eine großartige<br />
Rede und Kristina Mensch erklärt,<br />
was man sieht, die Suche, dabei<br />
bleibt das Schlachtzimmer<br />
unerwähnt, als wären diese Bilder<br />
schon abgehangen. Als Schlusspunkt<br />
der Ausstellung wird das Gerngross<br />
Portrait hervor geholt und vom<br />
Publikum laut beklatscht. Ich<br />
<strong>ST</strong>/A/R Fotografen MetzgerMensch<br />
denke mir: Das ist der Anfang.“<br />
und dass diese beiden jungen<br />
Künstler sehr bald sehr berühmt<br />
sein werden, wenn sie einfach nur<br />
das tun, was sie am besten können.<br />
Ein Pluspunkt der Fotografie: man<br />
SIEHT, was richtig gut ist.<br />
Wieder vergeht Zeit. Wieder<br />
fotografieren Kristina Mensch<br />
und Günther Metzger für Heidulf<br />
Gerngross. Diesmal mich. Mit<br />
meinen Hunden. Es ist mir<br />
unangenehm vor der Kamera zu<br />
stehen. Die Beiden versuchen mir<br />
einleitend mit Erklärungen zu<br />
helfen – sie sagen, um die Scheu<br />
vor der Kamera zu nehmen – im<br />
Nachhinein denke ich mir: um mir<br />
klar zu machen, dass ich vor der<br />
Kamera stehen werde, um mich dort<br />
hin zu führen, wo ich sein soll:<br />
mich zeigen wie ich bin vor einem<br />
unbekannten Gegenüber, nicht<br />
wie ich bin für mich, zu hause,<br />
entspannt, oder für MetzgerMensch,<br />
für Freunde, ... ich soll so sein,<br />
so werden vor der Kamera, wie<br />
ich mich erklären würde, damit<br />
ich gelesen werden kann auch von<br />
einem Betrachter, der nicht einmal<br />
meinen Namen kennt.<br />
Das Bild unserer Wahl zeigt<br />
Sahran, meinen jüngeren,<br />
offensiveren Windhund nahe vor der<br />
Kamera. Er geht voraus. Er ist<br />
der Kämpfer, der Gladiator, ich<br />
dahinter, mit strengem, aufrechtem<br />
Schritt, Injah, mein Seelenhund<br />
neben mir. Alle Drei sind wir<br />
Schattenfiguren. Boden und Wand<br />
hinter uns leuchten hell, der<br />
Boden glänzt als wären wir auf<br />
einer endlos großen Eisfläche mit<br />
einem flachen Horizont hinter<br />
uns. Da bin ich also, noch ein<br />
gutes Stück von jenem hellen<br />
Leuchten eines Heidulf Gerngross<br />
entfernt, aber zumindest am Weg,<br />
in Bewegung.<br />
Das eine und das andere Portrait<br />
haben augenscheinlich gar nichts<br />
miteinander zu tun. Da ist kein<br />
Stil der erkennbar verbindet. Aber<br />
das eine und das andere Portrait,<br />
Gerngross und Bärnthaler, die<br />
waren beide nur möglich durch<br />
Metzger und Mensch, MetzgerMensch.<br />
Sie haben nicht fotografiert, was<br />
sich ergeben hat, was zufällig vor<br />
ihrer Kamera war, sondern was SIE,<br />
ohne erkennbare Mittel, gestaltet<br />
haben.<br />
Fotografie heißt<br />
wörtlich: malen<br />
mit dem Licht.<br />
Eine Gabe, der<br />
das kann.<br />
Die Fotografie ist etwas sehr<br />
Besonderes. Ich wünsche mir, dass<br />
die Beiden da weiter machen, uns<br />
Menschen zeigen in Bildern, die<br />
wir lesen können, mit ein bisschen<br />
Magie und wenn es sein muss auch<br />
manchmal wenig schmeichelnd. Und<br />
ich wünsche mir, in ein paar<br />
Jahren nochmals vor dieser Kamera<br />
mit den vier Augen stehen zu<br />
dürfen.<br />
MetzgerMensch<br />
sind<br />
Fotografen,<br />
Fotokünstler.<br />
Sie arbeiten<br />
immer im Team.<br />
Vier Augen<br />
sehen.<br />
Kristina<br />
Mensch ist<br />
Anthropologin.<br />
Günther Metzger<br />
ist Soziologe.