ST:A:R_45
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Nr. <strong>45</strong>/2015<br />
50<br />
Literatur<br />
17<br />
Buch VII – Literatur Nr. 24/2010<br />
DAS GEHIRN ALS BIOTECHNISCHE IN<strong>ST</strong>ALLATION<br />
Alexander Schießling<br />
Wäre die Erde ein Ort des Friedens,<br />
der Freiheit und Gerechtigkeit,<br />
gäbe es tatsächlich keinen Grund,<br />
die technischen Revolutionen der Vergangenheit<br />
und der Zukunft skeptisch zu<br />
betrachten. Technoprogressiv oder Ökokonservativ?<br />
Da stellt sich die Vorfrage,<br />
bei wem sich technische Macht akkumuliert.<br />
Macht und Technik hängen innerhalb<br />
einer Feedbackschleife voneinander<br />
ab. Während der ägyptischen Revolution<br />
wurde das Mobilfunknetz einfach ausgeschaltet,<br />
der türkische Premierminister<br />
Erdogan wollte das Gleiche mit Twitter<br />
tun. Wünscht man etwa im Sinne einer<br />
Utopie den Cyborg, muss man schon die<br />
Frage stellen, wer ihn zu welchem Zweck<br />
kreieren wird. Wer sich selbst steuernde,<br />
technische Systeme einfach schön findet,<br />
müsste konsequenterweise auch von<br />
Drohnen begeistert sein.<br />
Der<br />
wissenschaftlich-technische<br />
Fortschritt schreitet unaufhaltsam<br />
fort und die Erde sieht jetzt aus wie ein<br />
inputabhängiger, sich selbst regulierender<br />
kosmischer Automat. Sie sieht auch<br />
wie ein blaues, mehrdimensionales offenes<br />
System mit einer genau errechenbaren<br />
Lebenserwartung aus. Allgemeiner<br />
gesagt, ist das herrschende „Weltbild“<br />
im wesentlichen durch die Naturwissenschaften<br />
bestimmt. Vor einiger Zeit<br />
nun haben Forscher begonnen, sich mit<br />
dem Gehirn zu beschäftigen. Das Gebiet<br />
der Neurobiologie ist daraus hervorgegangen.<br />
Man hat meist elegant darüber<br />
hinweggesehen, dass es ein DAS Gehirn<br />
in einem bestimmten Sinn nicht gibt: Es<br />
gibt nur ein Gehirn. Dieses ist ganz und<br />
gar das Gehirn eines bestimmten Wesens.<br />
Diese Besitzverhältnisse sind im Auge zu<br />
behalten, wenn es um Optogenetik geht.<br />
Mit der Optogenetik steht jetzt ein neurobiologisches<br />
Kontrollinstrument für<br />
das Gehirn sowohl eines Menschen als<br />
auch eines Tieres zur Verfügung, bei dem<br />
es sehr darauf ankommen wird, wie man<br />
es einsetzt. Wenn man es beim Menschen<br />
einsetzen sollte, wäre der erste menschliche<br />
Automat Realität.<br />
FERN<strong>ST</strong>EUERUNG DES GEHIRNS<br />
MITTELS LICHT<br />
Optogenetik wird beschrieben als<br />
Methode, Nervenzellen in lebenden<br />
Geweben oder Organismen mithilfe<br />
von (kurzwelligem) Licht berührungslos<br />
zu steuern. Ihre Vorgeschichte im engeren<br />
Sinn beginnt im Jahr 2002 mit der<br />
Entdeckung des lichtsensitiven Proteins<br />
Chanelrhodopsin2 (ChR2) in der Grünalge<br />
Chlamydomonas reinhardtii. Die<br />
Alge besteht aus lediglich einer Zelle, die<br />
nur wenige (10–20) Mikrometer groß ist.<br />
Der Direktor des Max-Planck-Institutes<br />
für Biophysik Ernst Bamberg und sein<br />
Kollege Peter Hegemann beobachteten<br />
nun ein erstaunliches Phänomen bei der<br />
Alge: Wurde dieses winzige augenlose<br />
Wesen von einem Lichtstrahl getroffen,<br />
machte es Schwimmbewegungen (ein<br />
lustiges Pflänzchen). Die Frage drängte<br />
sich auf, wie die Alge das Licht wahrnehmen<br />
konnte. 2002 gelang den beiden<br />
Forschern die Auflösung des Rätsels.<br />
Sie isolierten das lichtsensitive Chanelrhodopsin2,<br />
das auf Licht mit der<br />
Bildung eines Ionenkanals reagiert,<br />
aus der Zellwand der Alge. Dieser Kanal<br />
läßt positiv geladene Atome, also Ionen,<br />
in die Zelle strömen, die sich daraufhin<br />
depolarisiert und ein Aktionspotenzial<br />
(Schwimmbewegung) auslöst. Lichtreize<br />
werden auf diese Weise in der Zelle in<br />
elektrische und chemische Signale umgewandelt.<br />
Zwei Jahre nach der Entdeckung<br />
dieses Kanalrhodopsins brachte es Karl<br />
Deisseroth mittels einer hinterhältigen<br />
Methode in das Gehirn einer Maus ein.<br />
Karl Deisseroth ist Psychiater, Bioingenieur<br />
und Neurobiologe an der Stanford<br />
University. Manche Medien schreiben<br />
ihm die Erfindung der Optogenetik zu.<br />
Er hatte das Gen, das die Herstellung des<br />
Kanalrhodopsins codiert, aus der Alge<br />
isoliert. Dieses Gen (Gene sind nichts<br />
anderes als „Bauanleitungen“ für Proteine,<br />
die in jeder Zelle „hergestellt“ werden)<br />
implantierte er anschließend einem<br />
als harmlos bezeichneten Virus, das er<br />
mit einem Promotor (Die wichtigste<br />
Eigenschaft eines Promotors ist die spezifische<br />
Wechselwirkung mit bestimmten<br />
DNA-bindenden Proteinen, welche den<br />
Start der Transkription des Gens durch<br />
die RNA-Polymerase vermitteln und als<br />
Transkriptionsfaktoren bezeichnet werden)<br />
koppelte. Dieses gentechnisch veränderte<br />
Virus injizierte er in das Gehirn<br />
der kleinen Labormaus. Dort setzte das<br />
Virus nun das Genschnipsel in durch<br />
den Promotor ausgewählte Zellen ein, die<br />
daraufhin begannen, das lichtempfindliche<br />
Rhodopsin in der Zellmembran zu<br />
exprimieren, die in der Folge lichtsensitiv<br />
wurde. Dadurch wurde es prinzipiell<br />
möglich, bestimmte Zellen mittels Lichtreiz<br />
zu aktivieren. Nur mußte man der<br />
Maus noch die Lichtquelle in den Schädel<br />
einsetzen. Das tat man, indem man ihr<br />
ein Glasfaserkabel operativ implementierte.<br />
Durch dieses Kabel konnte man<br />
nun einen Laserlichtblitz senden, der<br />
die beleuchteten Zellen dazu bringt, ihre<br />
Aktionspotenziale freizusetzen. Sobald<br />
also ein Lichtblitz gesendet wird, tut die<br />
OPTOGENETIK 2014<br />
Maus genau das, wofür die angesteuerten<br />
Neuronen in ihrem Gehirn zuständig<br />
senschaften erwiesen und könnte eines<br />
als äußerst interessant für die Neurowis-<br />
sind. Diese Technik wird in den Medien<br />
Tages auch zu neuartigen Therapieformen<br />
als „Fernsteuerung des Gehirns mittels<br />
führen. Das Problem: Bislang werden die<br />
Licht“ bezeichnet. Nun wollen Neurowissenschaftler<br />
aber Nervenzellen nicht<br />
nur an einzelne Punkte im Gehirn ausge-<br />
notwendigen Lichtstrahlen normalerweise<br />
nur „einschalten“, sie wollen Gehirnaktivitäten<br />
auch „ausschalten“ können. Hier<br />
komplexen Sequenz von Aktivierungen in<br />
liefert, obwohl die Hirnaktivität aus einer<br />
kamen ihnen andere Proteine aus Bakterien<br />
und Quallen zu Hilfe, unter anderen<br />
verschiedenen Bereichen besteht.“<br />
E<br />
das Halorhodopsin. Auch dieses Protein<br />
in neuartiger 3-D-Chip soll die<br />
ist lichtsensitiv. Während das Kanalrhodopsin<br />
auf blaues Licht reagiert und die<br />
Optogenetik deshalb in die dritte<br />
Dimension führen – mit der Möglichkeit,<br />
Nervenzelle aktiviert, reagiert das Halorhodopsin<br />
auf gelbes Licht und deakti-<br />
Lichtmuster an Nervenzellen fast überall<br />
im Gehirn zu senden, berichtet Technology<br />
Review in seiner Online-Ausgabe.<br />
viert sie. Miteinander in die Zellwand der<br />
Neuronen von Versuchstieren exprimiert,<br />
„In den nächsten Jahren wird es zahlreiche<br />
ergeben sie einen Ein-Aus-Schalter. So<br />
dieser Geräte geben‘, glaubt Ilker Ozden,<br />
können Zellen beliebig mittels Laserlicht<br />
Forschungsdozent am Nanophotonics and<br />
aktiviert und deaktiviert werden. Deisseroth<br />
beschreibt dies in einem Interview<br />
Neuroengineering Laboratory der Brown<br />
University, der an ähnlichen Technologien<br />
so: „Optogenetik bedeutet: Wir benutzen<br />
Licht und Optik, um einzelne, ganz<br />
Diese Fortschrittssprachregelung findet<br />
arbeitet.“ (Technology Review)<br />
bestimmte Zellen zu kontrollieren. Mit<br />
sich in fast allen Publikationen. Die Ausnahmen<br />
seien erwähnt: Michael Lange<br />
Optogenetik lassen sich Zellen in einem<br />
lebenden Gewebe und sogar in einem<br />
mit seiner Radio-Dokumentation über<br />
lebenden Tier gezielt an- und ausschalten.<br />
Optogenetik im Deutschlandfunk weist<br />
Wir kontrollieren zum Beispiel Nervenzellen<br />
genau so wie ein Dirigent die einzelnen<br />
genetik hin, ebenso Julia Offer in Labor-<br />
auf die Mißbrauchspotentiale der Opto-<br />
Instrumente in einem Orchester kontrolliert.“<br />
[Michael Lange, Deutschlandfunk,<br />
journal, Ausgabe 5, 2010 1.<br />
2012]<br />
Die in der medialen Berichterstattung<br />
Die mit bloßem Auge sichtbaren Wirkungen<br />
dieser Technologie sprechen<br />
eine noch deutlichere Sprache. Eine<br />
Maus, aus deren Kopf ein Glasfaserkabel<br />
ragt, sitzt ruhig in ihrem Käfig. Ein blauer<br />
Lichtblitz läuft durch das Kabel. Die Maus<br />
beginnt wie verrückt im Kreis zu rennen.<br />
Ein gelber Lichtblitz durchläuft das Kabel:<br />
Sofort, buchstäblich auf Knopfdruck, verfällt<br />
die Maus wieder in Bewegungslosigkeit.<br />
Gero Miesenböck, Neurowissenschaftler<br />
aus Österreich an der Oxford<br />
University, wird laut Deutschlandfunk<br />
von seinen Studenten als „genialer, aber<br />
ein wenig verrückter“ Wissenschaftler<br />
beschrieben. Er hat die Optogenetik an<br />
Fruchtfliegen ausprobiert.<br />
Auch der „Mensch“ ist<br />
für diese Wissenschaft<br />
ein kybernetisches „System“<br />
Seine Ergebnisse sind denkwürdig. Er<br />
meint: „Wir üben diese Fernsteuerung<br />
nicht aus, um die Fliegen zu willfährigen<br />
Exekutoren unserer größenwahnsinnigen<br />
Pläne zu machen, sondern um zu<br />
verstehen, wie das Gehirn funktioniert.<br />
Ab einem bestimmten Punkt ist es ganz<br />
wesentlich, das System beeinflussen zu<br />
können. Und das hat in der Neurobiologie<br />
für lange Zeit gefehlt, oder es war zumindest<br />
sehr schwierig.“<br />
Der Begriff „System“ verrät etwas<br />
über die Beziehung der Wissenschaft<br />
zu ihren „Tiermodellen“. Auch<br />
der „Mensch“ ist für diese Wissenschaft<br />
ein kybernetisches „System“. Ein System,<br />
das im Prinzip einem „Tiermodell“<br />
gleich ist: Sonst könnten anhand von<br />
Tiermodellen keine für humanmedizinische<br />
Zwecke signifikanten Erfahrungen<br />
gemacht werden. Das Gehirn als System,<br />
das man „ab einem bestimmten Punkt“<br />
manipulieren muß, will man es zur Gänze<br />
verstehen.<br />
Und man will.<br />
Miesenböck hat ein Stück DNA eines<br />
lichtgesteuerten Ionenkanals, also eines<br />
Proteins, auf die beschriebene Weise in<br />
einen Fliegenembryo injiziert, das sich in<br />
das Genom der Fliege integrierte, von da<br />
in die Keimbahn des Tieres gelangte und<br />
so das lichtsensitive Protein an alle ihre<br />
Nachkommen weitergab. Der Ionenkanal<br />
wurde nun in ganz bestimmte Zellen des<br />
armen Fliegenhirns exprimiert, Zellen,<br />
die der Neurologe „den großen Kritiker“<br />
nennt. Werden diese Zellen aktiviert,<br />
werden die aktuellen Handlungen<br />
der Fliege mit Unlustgefühlen besetzt,<br />
die Fliege denkt, sie macht gerade etwas<br />
Falsches und vermeidet dieses Verhalten<br />
zukünftig. „Hunderte Fliegen laufen in<br />
einer Art Setzkasten hinter Glas kreuz und<br />
quer durcheinander. Durch kleine Tore<br />
können sie von der einen in die andere<br />
Kammer des Kastens gelangen. Zu sehen<br />
gibt es wenig, aber zu riechen. Ein für<br />
Fliegen angenehmer Geruch von links,<br />
„we was thinking about how to use this on<br />
humans, and the answer is:<br />
just make them like all that shit.“<br />
Marcus Hinterthür<br />
ein weniger angenehmer von rechts. Also<br />
bevorzugen die Fliegen die linke Seite. Nur<br />
vereinzelt schauen Fliegen rechts vorbei.<br />
Dann ein Lichtblitz. Die Vorliebe der Fliegen<br />
ändert sich von einem Moment zum<br />
anderen. Sie zieht es nun zur anderen<br />
Seite, bis sich fast alle Fliegen auf der rechten<br />
Seite des Kastens aufhalten.“ (Michael<br />
Lange, Deutschlandfunk, 2012)<br />
Mittlerweile wird diese Technik weltweit<br />
eingesetzt und die Fernsteuerung<br />
gelingt nicht nur bei Mäusen und Fliegen,<br />
sondern auch bei Affen.<br />
Ebenfalls 2012, am 27. Juli, war in<br />
der österreichischen Tageszeitung<br />
Der Standard zu lesen: „Wie Wim<br />
Vanduffel und Kollegen im Fachblatt<br />
Current Biology schreiben, gelang es ihnen<br />
erstmals an Affen, deren Augenbewegungen<br />
mittels Lichtimpuls im Hirn zu steuern.<br />
Sie kamen damit der Hoffnung näher,<br />
Optogenetik irgendwann bei Menschen zu<br />
therapeutischen Zwecken einzusetzen.“<br />
D<br />
ie Optogenetik „erlaubt“ es, das<br />
Verhalten von Lebewesen fernzu-<br />
steuern und ihr Bewußtsein mit falschen<br />
Informationen zu versorgen. „Die Fliegen<br />
lernten also aus Fehlern, die sie gar nicht<br />
begangen hatten“, sagt Gero Miesenböck.<br />
Hierzu ein unheimliches Beispiel:<br />
„Unbeweglich liegen die etwa zwei bis<br />
drei Zentimeter langen Fische in einer<br />
flachen Wanne. Sie sind fast durchsichtig<br />
bis auf die dunklen Streifen, die ihnen<br />
den Namen geben: Zebrafische. Ihr Leben<br />
scheint ereignislos, ohne jegliche Zerstreuung.<br />
Aber das ist nur scheinbar so, denn<br />
ihre Augen sind auf Computermonitore<br />
gerichtet und ihre Gehirne unterwegs in<br />
einer fremden Welt. In seinem Labor an<br />
der Harvard Universität in Boston arbeitet<br />
der junge Professor Florian Engert mit<br />
Fischen. Er beraubt sie jeglicher Freiheit<br />
und erforscht dennoch ihr Schwimmverhalten.<br />
’Da kann man lernen, was die<br />
Rolle einzelner Neuronen, also Nervenzellen<br />
ist beim Verhalten.’ Um die<br />
Nervenzellen der nahezu durchsichtigen<br />
Fische in Ruhe zu untersuchen, mußte<br />
Engert die Tiere lähmen oder sie in Gel<br />
einbetten. Mit den natürlichen Bewegungen<br />
der Tiere war es dann vorbei. Deshalb<br />
versetzte Florian Engert seine Versuchstiere<br />
in eine virtuelle Welt, in der sie sich<br />
frei bewegten. Nur in Gedanken. Genauso<br />
wie die Menschen im Kinofilm Matrix ist<br />
die ganze Welt dieser Fische eine Illusion<br />
aus dem Computer.“ (Michael Lange,<br />
Deutschlandfunk)<br />
Die Optogenetik verändert die Neurowissenschaften<br />
von Grund auf, indem sie<br />
es erstmals ermöglicht, neuronale Aktivität<br />
in einem lebenden Gehirn in Echtzeit<br />
zu beobachten.<br />
„Obwohl die Optogenetik erst vor<br />
wenigen Jahren aufkam, hat sie schon<br />
bemerkenswerte Fortschritte ermöglicht.<br />
So ließen sich damit weit reichende<br />
funktionelle Schaltkreise im Gehirn kartieren.<br />
Außerdem gelang es, den neuronalen<br />
Informationsaustausch zwischen<br />
den beiden Hemisphären der Hirnrinde<br />
von Mäusen sichtbar zu machen. Auch<br />
Voruntersuchungen über neurologische<br />
Erkrankungen haben Forscher mit<br />
der Optogenetik schon am Tiermodell<br />
durchgeführt. Dabei konnten sie mittels<br />
Channel- und Halorhodopsin jene<br />
Schaltkreise charakterisieren, die bei der<br />
so genannten Tiefenhirnstimulation zur<br />
Therapie von Parkinsonpatienten im späten<br />
Erkrankungsstadium erregt werden.<br />
Selbst der Heilige Gral der Neurowissenschaften<br />
liegt dank der Optogenetik<br />
in Reichweite: die Entschlüsselung der<br />
komplexen Abläufe im lebenden Gehirn.<br />
(Offizielle Information des Max-<br />
Planck-Instituts)<br />
Der Einsatz der optogenetischen<br />
Manipulation führt zur Erweiterung<br />
des neurologischen Wissens,<br />
das seinerseits die Perfektionierung der<br />
Techniken zur Manipulation „des Sys-<br />
tems“ “ vorantreibt. Technik und Wissenschaft<br />
optimieren sich gegenseitig und<br />
der „Fortschritt“ beschleunigt sich grund dieser Logik. Es ist also nur eine<br />
auf-<br />
Frage der (immer „kürzer“ werdenden)<br />
Zeit, bis diese Technik so weit gereift sein<br />
wird, daß sie beim Menschen zum Einsatz<br />
kommt.<br />
Die techno(büro)kratische Ausdrucksweise<br />
der Wissenschaftler bringt jene<br />
Ideologie zum Ausdruck, die ein Teil<br />
ihrer Wissenschaft ist. Diese Ideologie<br />
zeigt sich in der Metapher des Gehirns<br />
als Schaltkreis oder Computer, als im<br />
Prinzip rationales System – ebenfalls eine<br />
Metapher. Anders läßt sich das „Gehirn“<br />
in der Naturwissenschaft kaum noch<br />
sehen: als Schaltkreis, System, Informationsverarbeitungsmaschine.<br />
Wenn es eine<br />
Gefährlichkeit der Neurobiologie gibt,<br />
dann bekundet sie sich in der verwendeten<br />
Sprache einer Terminologie, die nicht<br />
zwischen lebendigen Wesen und Maschinen<br />
zu unterscheiden vermag. Daß<br />
auch eine Maus ein schmerzfühlendes,<br />
autogenes und autonomes Einzelwesen<br />
genannt werden kann, hat nur einen technischen<br />
Sinn. Sie ist ein Tiermodell, ein<br />
manipulierbar-studierbares System. Es<br />
lebt zwar, das ist ja das Rätsel, aber das ist<br />
irrelevant: Wissen erfordert eben Opfer,<br />
insbesondere jenes Wissen, das von sich<br />
Selbst der Heilige Gral der Neurowissenschaften<br />
liegt dank der Optogenetik<br />
in Reichweite: die Entschlüsselung der<br />
komplexen Abläufe im lebenden Gehirn<br />
erfolgreich den Mythos verbreitet hat, es<br />
wäre das einzig zuverlässige Instrument,<br />
die Wirklichkeit zu verstehen. In diesem<br />
technokratisch sich selbst optimierenden<br />
System gibt es die zwingende Logik seiner<br />
Weiterentwicklung. Die Wissenschaft, die<br />
alles berechnet, ist selbst das Berechenbarste<br />
geworden.<br />
vielen Texten zum Thema handelt<br />
Bei es sich um Fortschrittspropaganda,<br />
wie es Paul Virilio genannt hätte. Reale<br />
Gefahren oder ethische Einwände werden<br />
nicht einmal ignoriert. Zwei Beispiele sollen<br />
veranschaulichen, wie breit der optogenetische<br />
Konsens mittlerweile ist. „Die<br />
Optogenetik eignet sich zur Untersuchung<br />
neurologischer Erkrankungen wie Epilepsie,<br />
Parkinson, Depression oder Altersblindheit.<br />
Wichtiges Hilfsmittel sind dabei<br />
genetisch veränderte Tiere mit Krankheitsbildern,<br />
die menschlichen Erkrankungen<br />
ähneln und die mit Rhodopsin-Genen<br />
ausgestattet sind. Ziel ist es, im Gehirn<br />
oder im Auge der Tiere Nervenzellen mit<br />
Licht kontrolliert an- oder abzuschalten.<br />
Dadurch sollen die entsprechenden Krankheitsphänomene<br />
aufgehoben, beziehungsweise<br />
durch einen Gendefekt erblindeten<br />
Mäusen das Sehvermögen zurückgegeben<br />
werden. Die erfolgreichen Tierversuche<br />
eröffnen eine Perspektive für biomedizinische<br />
Anwendungen.“ (DIE ZEIT, 23. April<br />
2013)<br />
„Die sogenannte Optogenetik kombiniert<br />
gentechnisch manipulierte Nervenzellen<br />
mit einer Lichtquelle, um selektiv<br />
Gehirnbereiche an- und auszuschalten.<br />
Das Verfahren hat sich im Tierversuch<br />
vernachlässigten Anwendungsmöglichkeiten<br />
der Optogenetik sind weitreichend.<br />
Man könnte das Suchtverhalten<br />
beeinflussen, das Aggressionsverhalten,<br />
man könnte das Gedächtnis manipulieren<br />
und man könnte Blinde sehend machen.<br />
Man könnte jedes als „Störung“ definierte<br />
Verhalten beeinflussen – sowohl mit als<br />
auch ohne die Einwilligung der betroffenenen<br />
Personen.<br />
Die Optogenetik hat das Potential,<br />
die Zukunft dessen zu verändern,<br />
was man mit Michel Foucault Bio-<br />
Macht nennen muß. Daß diese Technik<br />
im medizinischen Bereich Verbesserungen<br />
bringen kann, scheint jede Kritik<br />
daran von Vorneherein steril zu machen.<br />
Wer könnte sich gegen den Einsatz einer<br />
Technik aussprechen, die „möglicherweise<br />
einen ganz neuen Ansatz zur Wiederherstellung<br />
der Nervenfunktion bei Blindheit<br />
oder bei einer Degeneration des Gehirns<br />
sowie zur Behandlung einer ganzen Reihe<br />
anderer neurologischer und psychiatrischer<br />
Störungen“ bietet?<br />
„Chancen und Risiken“<br />
Image Courtesy: Manash P. Barkataki<br />
Die Mißbrauchsmöglichkeit dieser<br />
Technologie ist mit ihrem positiven Versprechen<br />
unauflöslich verbunden. Bei<br />
beidem handelt es sich sicherlich noch<br />
um „Chancen und Risiken“. Sinnvolle<br />
Kritik ist nur mit einer gewissen Unsicherheit<br />
im Rahmen einer „Technikfolgenabschätzung“<br />
möglich. Sowohl der<br />
medizinische Wert der Optogenetik als<br />
auch die Gefahren, die mit ihr verbunden<br />
sind, stellen zur Zeit bloß ferne Möglichkeiten<br />
dar.<br />
Die Möglichkeit medizinischer Anwendung<br />
muß in Europa schon aus rechtlichen<br />
Gründen in den Vordergrund<br />
gerückt werden, da bei biomedizinischen<br />
Forschungen die „Benefizienz“ für das<br />
menschliche Individuum, laut Bioethik-<br />
Konvention des Europarates von 1997,<br />
vom Gesetzgeber verlangt wird. Laut<br />
Artikel 2 dieser Konvention haben bei<br />
biomedizinischen Forschungen und<br />
Anwendungen das Wohl und das Interesse<br />
des menschlichen Individuums Vorrang<br />
gegenüber dem „bloßen Interesse<br />
der Gesellschaft oder der Wissenschaft.“<br />
Europäische Forschungen in diesem<br />
Bereich finden stets als Erforschung<br />
neuer Therapieformen statt, da sie<br />
nur so stattfinden dürfen.<br />
Doch wird sichtbar, daß neben dem<br />
therapeutischen Sinn der Optogenetik<br />
andere Anwendungsmöglichkeiten entstehen.<br />
Solche zusätzlichen Potentiale<br />
biomedizinischer Forschungsfortschritte<br />
haben den Europarat 2005 zu einem<br />
„erläuternden Bericht“ zur Bioethik-<br />
Konvention aus 1997 veranlaßt.<br />
Die rasanten, umwälzenden Entwicklungen<br />
im Bereich der Biomedizin gaben<br />
europaweit Anlaß zu „Besorgnissen wegen<br />
des ambivalenten Charakters vieler dieser<br />
Fortschritte. Die Wissenschaftler und<br />
die Praktiker, die dahinter stehen, verfolgen<br />
ehrenwerte Ziele, die sie häufig auch<br />
erreichen. Aber einige der bekannten oder<br />
vermuteten Entwicklungen ihrer Arbeit<br />
nehmen aufgrund einer Verfälschung ihrer<br />
ursprünglichen Zielsetzungen eine gefährliche<br />
Richtung oder bergen zumindest diese<br />
Wann es zur Erprobung der<br />
Optogenetik am Menschen kommt<br />
ist nur eine Frage der Zeit<br />
Gefahr. Die heute immer komplexere und<br />
sich auf immer weitverzweigtere Bereiche<br />
erstreckende Wissenschaft zeigt daher eine<br />
Licht- und Schattenseite, je nachdem wie<br />
sie angewandt wird.“<br />
Die „Schattenseite“ im Fall der<br />
Optogenetik kann nur ans Licht<br />
kommen, wenn man sich vergegenwärtigt,<br />
in welch sensible Bereiche diese<br />
Technik eindringt. Gemeint ist hier<br />
einerseits das Gehirn und andererseits,<br />
da es sich um ein Instrument vor allem<br />
innerhalb der Neuropsychiatrie handelt,<br />
der Bereich der psychiatrischen „Kli-<br />
nik“, , jene geschlossenen Bereiche, die,<br />
für die Öffentlichkeit meist unzugäng-<br />
lich, Menschen beherbergen, die aus dem<br />
öffentlichen Diskurs verschwunden sind.<br />
Man muß sich vor Augen halten, daß die<br />
Optogenetik erst durch Anwendung<br />
am Menschen bewährt<br />
werden kann. Die Versuche am<br />
„Tiermodell“ haben nur begrenzte<br />
Aussagekraft. Die Forschung am<br />
Menschen ist für diese Technik von<br />
entscheidender Bedeutung und ihr<br />
erklärtes (medizinisches) Ziel. Die erste<br />
Gefahr, die sich abzeichnet, ist mit der<br />
ersten Anwendung der Optogenetik am<br />
Menschen verbunden. Entscheidend für<br />
eine solche Anwendung sind neben den<br />
medizinischen Fragen aber auch solche<br />
des Rechts.<br />
Für biomedizinische Forschung gibt<br />
es je nach Rechtsraum unterschiedliche<br />
Regelungen. Die strenge europäische<br />
Bioethikkonvention ist verbindlich<br />
nur in Europa, in den USA, China,<br />
Japan, Israel hingegen, in Ländern<br />
also, die starke biotechnologische Forschungssektoren<br />
ausgebildet haben und<br />
weiter ausbilden, gelten weitmaschigere<br />
Regelungen. Die Forschung hat sich globalisiert<br />
und ist de facto nicht einheitlich<br />
zu regulieren. Es fließen in allen wissenschaftlich<br />
entwickelten Ländern große<br />
Summen an biotechnologische Forschungslabors.<br />
Dieses Geld kommt aus<br />
zwei Quellen: den Forschungsbudgets der<br />
Staaten und den großen Pharma-Konzernen.<br />
Die Optogenetik hat international<br />
Aufsehen erregt; in über hundert Laboren<br />
weltweit arbeitet man an ihrer Perfektionierung.<br />
Wann es zur Erprobung<br />
der Optogenetik am Menschen kommt,<br />
ist nur eine Frage der Zeit; es gibt bereits<br />
nationale Vorstöße, die biomedizinische<br />
Forschung am Menschen zu erleichtern.<br />
Die Bioethikkommissionen von Italien<br />
und Österreich haben sich dafür eingesetzt,<br />
biomedizinische Forschungen<br />
an nicht einwilligungsfähigen Personen<br />
(Kindern, Demenzkranken, Menschen<br />
mit „kognitiven Defiziten“) zu erlauben.<br />
Auch wenn man Sciencefiction vermeiden<br />
möchte, erkennt man leicht weniger<br />
integre Anwendungsmöglichkeiten und<br />
Mißbrauchspotentiale der Optogenetik.<br />
Die imaginäre Ausgestaltung dieser Möglichkeiten<br />
glaube ich, an diesem Punkt,<br />
weglassen zu können, sie dürften dem<br />
Leser bereits selbst möglich geworden<br />
sein.<br />
Eine Methode, die die technische<br />
Fernsteuerung von Verhalten und<br />
die gezielte Veränderung von Bewußtsein<br />
erlaubt, ist nichts, was man ignorieren<br />
könnte. Der internationalen Entwicklung<br />
der Optogenetik kann letztlich nur<br />
eine ebenso internationale Diskussion<br />
über ihre Zulässigkeit antworten. Ist die<br />
Verwandlung eines Gehirns in ein ferngesteuertes<br />
hybrides System zulässig?<br />
Trotz aller medizinischer Vorteile, die<br />
diese Technologie zu bieten scheint, sind<br />
die mit ihr verbundenen Risiken eindeutig<br />
zu groß. Eine kritische Öffentlichkeit<br />
muß dem blinden Zweckoptimismus, der<br />
unfehlbar jeden wissenschaftlich-technischen<br />
Fortschritt begleitet, die Gefolgschaft<br />
verweigern. Noch ist es möglich,<br />
über den Einsatz der Optogenetik zu diskutieren,<br />
aber wie lange noch?<br />
2014, Alexander Schießling