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ST:A:R_45

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6 Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Kunsthaus Zug Nr. <strong>45</strong>/2015<br />

7<br />

Von Wien nach Zug: Das Ehepaar Wotruba im Exil<br />

Dreh- und Angelpunkt der beziehungsreichen Geschichte ist<br />

der Aufenthalt des Wiener Bildhauers Fritz Wotruba während<br />

dem Zweiten Weltkrieg in Zug. Mit Hilfe des damaligen<br />

Zuger Bundesrats Philipp Etter, den der international<br />

angesehene Künstler bei der Eröffnung seiner Ausstellung<br />

in der Kunsthalle Bern 1937 kennengelernt hatte, erhielten<br />

er und seine ebenfalls bildhauerisch tätige jüdische Frau<br />

Marian die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung im Kanton<br />

Zug. Bald wurde der Künstler in die örtliche Kunstszene<br />

eingebunden und nahm an lokalen Ausstellungen teil. Auch<br />

nach der Rückkehr in seine Heimatstadt, wo er als Dozent<br />

und später als Professor an der Aka-demie der Künste tätig<br />

war, blieb die gegenseitige Verbundenheit bestehen: Für die<br />

Zuger Kunst-freunde, die in den 1950er-Jahren die Zuger<br />

Kunstgesellschaft gründeten, war er ebenso wichtig wie für<br />

junge Kunstschaffende. In den 1970er-Jahren kehrte er für eine<br />

Ausstellung in die Stadt zurück, was von der Kunstgesellschaft<br />

und ihrem Präsidenten Rainer Peikert mit einem Essen<br />

grandios gefeiert wurde. 1992 fand im neuen Kunsthaus<br />

Zug, wo ich inzwischen als Leiter amtete, die erste posthume<br />

Retrospektive des etwas in Vergessenheit geratenen Bildhauers<br />

statt, die Otto Breicha und ich kuratierten.<br />

Von Zug nach Wien und zurück nach Zug: Die Galerie<br />

Würthle und die Sammlung Kamm<br />

Ein weiterer Faden der Geschichte entwickelte sich ab den<br />

1940er-Jahren entlang der Freund-schaft zwischen dem<br />

Ehepaar Wotruba und Fritz und Editha Kamm. Editha Kamm,<br />

geborene Ehr-bar, stammte aus der gleichnamigen Wiener<br />

Klavierbauerdynastie. Bis heute existiert der Ehrbar-saal beim<br />

Konservatorium, worin Schönberg einst Konzerte gab. Editha<br />

und ihr Schweizer Mann Fritz Kamm kamen wegen den Nazis<br />

aus Deutschland in die Schweiz. In Zug liessen sie sich mit<br />

ihren zwei Kindern nieder und Fritz Kamm arbeite in Zürich<br />

in seiner bankähnlichen Firma.<br />

Der gemeinsame Wiener Hintergrund brachte die Familien<br />

einander näher. Das Künstlerehepaar weckte bei Kamms das<br />

Interesse für die moderne Kunst, was auf Anraten Wotrubas<br />

1953 zum Erwerb der Wiener Galerie Würthle durch Kamm<br />

führte. Der überzeugte Künstler-Sozialist Wotruba wollte<br />

der von Nazitum und Krieg gezeichneten Bevölkerung die<br />

Kunst der europäischen und österreichischen Moderne bis<br />

zur Gegenwart neu vermitteln. Über zehn Jahre bestimmte<br />

er das Programm, das sich durch Interdisziplinarität,<br />

Transkulturalität und Progressivität auszeichnete. Erstmals<br />

wurde Adolf Loos wieder in Wien gezeigt und<br />

Robert Musil zur Diskussion gestellt. In dessen<br />

Genfer Nachbarschaft hatten die Wotrubas während<br />

dem Krieg zeitweise gelebt, während Wotrubas<br />

Schwester in Wien um den Hausrat der Musils<br />

besorgt war. Wiederentdeckt und in der Würthle<br />

vorgestellt wurde auch das malerische Werk von<br />

Richard Gerstl. Zudem förderte man die jungen<br />

Künstlertalente der Stadt und organisierte erste<br />

Ausstellungen von heute international eta-blierten<br />

Künstlern wie Maria Lassnig, Oswald Oberhuber,<br />

Arnulf Rainer und Gerhard Rühm. Die von Wotruba<br />

vor dem Krieg geknüpften internationalen Kontakte<br />

waren für die Galerie von Nutzen. So kam es zu<br />

Ausstellungen der Kubisten, von Malewitsch, Klee,<br />

Kupka und Schlemmer etc. Aus den Aktivitäten<br />

ging mit Wotrubas Beratung die private Sammlung<br />

Kamm hervor, die als Künstler-sammlung gelten<br />

kann. Sie wurde 1998 von der zweiten Generation<br />

der Familie als Stiftung im Kunsthaus Zug<br />

domiziliert. Es handelt sich um die bedeutendste<br />

Kollektion der Wiener Moderne ausserhalb<br />

Österreichs in Europa und um die<br />

erste Privatsammlung dieser Art<br />

nach dem Krieg (unter Einbezug<br />

des französischen Kubismus und<br />

der deutschen Kunst). Auch die<br />

zweite Kamm-Generation war<br />

und ist mit Wien eng verbunden<br />

geblieben. So amtet Christa Kamm<br />

bis heute als Vizepräsidentin der<br />

Fritz Wotruba Privatstiftung und<br />

war eng mit dem Bildhauer Karl<br />

Prantl be-freundet, der regelmässig<br />

nach Zug kam. Ihr verstorbener<br />

Bruder und Architekt Peter Kamm<br />

war in Wien einst vom Architekten<br />

Roland Rainer geprägt worden<br />

und sammelte zusammen mit<br />

seiner Frau, der Kunsthistorikerin<br />

Christine Kamm-Kyburz<br />

kenntnisreich Objekte der Wiener<br />

Werkstätte und von Josef Hoffmann.<br />

Als 1998 die Werkgruppen von Egon<br />

Schiele, Gustav Klimt, Richard Gerstl,<br />

Josef Hoffmann, Oskar Kokoschka,<br />

Herbert Boeckl, Joannis Avramidis u.v.a.<br />

im Kunsthaus untergebracht wurden,<br />

konnte Wotrubas Werk in Dialog mit<br />

der von ihm mitaufgebauten Sammlung<br />

gebracht werden.<br />

Sie hat das Kunsthaus Zug als Leihgeber<br />

für andere Häuser in Wien, aber auch<br />

weltweit zur attraktiven Adresse<br />

gemacht. In der Albertina zeigte man die<br />

Sammlung Kamm und konnte von dort<br />

umgekehrt Schiele im Kunsthaus Zug<br />

vorstellen, wir gaben Klimt-Gemälde ins<br />

Museum Leopold und erhielten dessen<br />

Kubin-Bestände für eine Retrospektive<br />

oder kooperierten eng mit dem Arnold<br />

Schönberg Center für die Zuger<br />

Ausstellung über Gerstl, Schönberg<br />

und Kandinsky zusammen. Die Zuger<br />

Kunsthistorikerin Nicole Pfister-Fetz,<br />

der kürzlich verstorbene Rainer Peikert<br />

und ich sind bzw. waren seit Jahren im<br />

wissenschaftlichen Beirat der Wotruba-<br />

Stiftung aktiv, die im 21er Haus ein<br />

Wotruba Museum für den künstlerischen<br />

Nachlass eröffnen konnte.<br />

In die Tiefe: Fokus Wien<br />

Mein Bestreben lag und liegt nun darin, eine<br />

Art von Aktualisierung des Geschichtlichen<br />

in Zusammenarbeit mit zeitgenössischen<br />

Künstlern zu suchen, damit die Sammlung<br />

lebendig bleibt und sich weiterentwickelt.<br />

Den Fokus zu Zeiten Kamms auf Wien zu<br />

legen war ungewöhnlich, zumal der Blick<br />

der Museen und Schweizer Privatsammler in<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderte zuerst<br />

auf Paris und dann auf New York gerichtet<br />

war. Das Kunsthaus Zug bekam durch diesen<br />

Wien-Schwerpunkt ein eigenständiges Profil<br />

in der Museumslandschaft, das es weiter<br />

zu pflegen gilt. Mein besonderes Interesse<br />

gilt der Interdisziplinarität, dem „Kochtopf<br />

Wien“ sozusagen mit Literatur, Kunst,<br />

Musik, Philosophie, Naturwissenschaften,<br />

Architektur, Theater etc. Die pulsierende<br />

kreative Vitalität fasziniert mich, die im<br />

Kampf gegen konservative Kräfte, sei dies<br />

um 1900 oder nach dem Naziregime, zu<br />

radikalen Leistungen führte. Wie Gerhard<br />

Rühm einleuchtend formulierte: Wenn<br />

man sowieso mit negativer Beurteilung<br />

und Ablehnung rechnen musste, dann<br />

konnte kann man auch gleich richtig<br />

radikal sein. Bis heute ist diese Energie<br />

spürbar und ich wollte einige der<br />

Exponenten des aktuellen Wiens nach<br />

Zug einladen. Es ist faszinierend, was<br />

sich über Generationen in der relativ<br />

überschaubaren Stadt alles abspielt<br />

und wie die Dinge in dieser eigenen<br />

Welt zusammenhängen, mehr als die<br />

Protagonisten es sich manchmal bewusst<br />

sind.<br />

Der erste Wiener Künstlergast in Zug<br />

war Franz West mit seinen Freunden,<br />

Assistenten und Schülern, dann kam<br />

Heimo Zobernig, der ein Display für<br />

eine Ausstellung zu Wiener Werkstätte<br />

und Josef Hoffmann erarbeitete.<br />

Dabei entstanden neue Arbeiten von ihm,<br />

die Eingang in die Sammlung fanden. Wir<br />

realisierten Retrospektiven von Günter<br />

Brus, Heinz Gappmayer und Hans Weigand.<br />

Regelmässig kooperieren wir mit<br />

Peter Kogler, der u.a. die Kunsthaus Bar<br />

gestaltete, die sehr beliebt ist, und das neue<br />

Kunsthaus Zug mobil bespielte. Eine weitere,<br />

im Wortsinn wachsende Verbindung schuf<br />

Michael Kienzer mit seiner Aluminiumarbeit<br />

Parasites (2010). Über die Zeit hinweg<br />

wachsen Pflanzen in den Zwischenräumen<br />

und Tiere finden willkommene Verstecke<br />

im Aluminiumdrahtgeflecht. Im gepflegten<br />

Museumshof wird die Natur zum Parasiten<br />

der parasitären Kunst.<br />

Über die Zeit hinweg: Zeitgenössische<br />

Künstler reagieren auf die Sammlung<br />

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet<br />

die künstlerischen Entwicklungen im<br />

Kunsthaus Zug, wird ein feines Netz von<br />

gegenseitigen Beeinflussungen, Bezugnahmen<br />

oder Anlehnungen erkennbar. Aus jeder<br />

Begegnung, mit neuen Projekten öffnen sich<br />

weitere Wege und Zugänge, besonders zum<br />

Gesamtthema Wien. Es ist anregend, immer<br />

neue Verknüpfungen aufzuspüren und sie<br />

auch wissenschaftlich zu bearbeiten. Ein<br />

jüngstes Beispiel ist das Projekt Und weg<br />

mit den Minuten. Dieter Roth und die Musik.<br />

Die Musik, die Dieter Roth mit seinen<br />

Wiener Freunden Christian Ludwig Attersee,<br />

Günter Brus, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer,<br />

Gerhard Rühm, Dominik Steiger und Oswald<br />

Wiener im Rahmen der Konzertreihe Selten<br />

gehörte Musik spielte, nahm dabei eine<br />

zentrale Rolle ein. Wunderbar, dass Attersee,<br />

Nitsch, Rühm und Wiener vor wenigen<br />

Monaten den Weg nach Zug auf sich<br />

nahmen, um hier noch einmal ein Konzert<br />

Selten gehörte Musik für uns zu geben.<br />

Auch Künstler ausserhalb des Wiener<br />

Kontextes interessieren sich für die<br />

Sammlung. So ist Richard Tuttles Skulptur<br />

Replace the Abstract Picture Plane II im Kunsthaus<br />

Garten eine bewusste Anlehnung an Wotrubas<br />

Aussenraumfiguren und ist eine Referenz an den<br />

Bildhauer, dessen Arbeiten der Amerikaner als junger<br />

Mann in New York schätzen gelernt hatte. Ein Werk,<br />

das so stark mit der Geschichte eines Hauses verwoben<br />

ist, lässt sich nicht einfach an einen anderen Ort<br />

transferieren. Sie wird selber zu einem Teil dieser<br />

Geschichte. So hat auch der Moskauer Künstler Pavel<br />

Pepperstein für ein Sammlungsplakat von uns das<br />

Selbstporträt von Schiele paraphrasiert und ihm eigene<br />

Gesichtszüge eingezeichnet.<br />

Ein anderes Beispiel ist die walisische, heute in<br />

Berlin lebende Künstlerin Bethan Huws, die 2013<br />

die monumentale Neonarbeit The Large Glass für<br />

unsere Sammlung schuf, die sich auf eine Vase von<br />

Josef Hofmann in der Sammlung bezieht. In der<br />

heutigen Zeit, in welcher vieles austauschbar wird,<br />

alles sich schnell verändert und Bindungen nicht mehr<br />

selbstverständlich sind, finde ich diese Praxis des<br />

ortsbezogenen Arbeitens sinnvoll und wertvoll. Man<br />

könnte fast sagen, es ist die Kontinuität innovativer<br />

künstlerischer Interventionen, die diesen Ort geprägt<br />

hat. Mir gefällt die Art, wie einzelne Fäden frei<br />

weitergesponnen werden können, wie Künstler aus<br />

verschiedenen Lebenswelten oder Zeiten miteinander in<br />

Dialoge treten, wodurch das Historische aktualisiert, das<br />

Neue sich in einem historischen Kontext verankert, und<br />

auch das Publikum Teil dieser Wirkungsgeschichte wird.<br />

Zug - Wien - Budapest: Wege der Sammlung<br />

Für die aktuelle Sammlungsausstellung Zug – Wien<br />

– Budapest konnten wir den Wiener Architek-ten<br />

und Künstler Heidulf Gerngross einladen. Ich freue<br />

mich sehr auf seine „Archistrierung“ (Gerngross) der<br />

Wiener Moderne in Verbindung mit<br />

eigenen Arbeiten. Der Weg dieser<br />

Sammlungspräsentation führt über<br />

den ungarischen Schriftsteller und<br />

Fotografen Péter Nadás, der uns sein<br />

fotografisches Oeuvre geschenkt<br />

hat, nach Mitteleuropa. Den Faden<br />

nehmen wir mit dem Schweizer<br />

Christoph Rütimann auf, der auf der<br />

ganzen Welt „Handlaufvideos“ dreht,<br />

auch in Österreich und Ungarn. Sein<br />

Weg führt ihn öfters nicht zuletzt<br />

wegen seiner Partnerin dorthin, der<br />

aus Ungarn stammenden und in der<br />

Schweiz lebenden Schriftstellerin<br />

Zsuzsanna Gahse. So können wir mit<br />

ihm und Gerngross eine Reise durch<br />

die Sammlung machen, die von Zug<br />

über Wien nach Budapest führt,<br />

durch Raum und Zeit ins Reich des<br />

einstigen „Kakanien“ und wieder<br />

zurück.<br />

Wie sich die Wiener Secession um<br />

1900 als internationaler Ort verstand,<br />

sieht sich auch das Kunsthaus Zug –<br />

ohne das Örtliche zu vernachlässigen<br />

– als grenzüberschreitenden<br />

Ausgangs- und Begegnungsort der<br />

kreativen Arbeit und ihrer kreativen<br />

Vermittlung.<br />

In enger Zusammenarbeit mit unserer<br />

Kunstvermittlerin Sandra Winiger<br />

hat Heidulf Gerngross ein Projekt für<br />

eine mobile Kunstvermittlungsstation<br />

entwickelt, die wir in der neuen<br />

Ausstellung erstmals als Entwurf<br />

präsentieren und zur Diskussion<br />

stellen, das WerkstattForum mobil.<br />

Es könnte dereinst auch nach Wien<br />

reisen.<br />

Matthias Haldemann<br />

(Redaktion Isabelle Zürcher)

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