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hoermen

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Die Seele der Holzpferde

«Und kommen Sie mir jetzt bloss nicht mit diesem unseligen

Tucholsky-Zitat», beschied vor einiger Zeit ein zutiefst

verärgerter Leserbriefschreiber, dem es nicht genügte, sein

M A R C O R A T S C H I L L E R

Missfallen über einen satirischen

Beitrag in unserer Zeitschrift

zu Papier zu bringen, sondern vorweg auch schon

festgelegt haben wollte, welche Gegenargumente er nicht

ins Feld geführt sehen möchte.

Ob es im konkreten Fall ein Beitrag von Hermann

Schmutz war, der zur Forderung geführt hatte, gefälligst

nicht auf das allseits bekannte «Satire darf alles» zu verweisen,

ist meiner Erinnerung entschwunden. Tatsache ist,

dass «Hörmen» zuverlässig eine gewisse Grundauslastung

unseres Leserbriefkastens zu garantieren vermochte. Und

das ist gut so.

Der verärgerte Briefeschreiber hatte allerdings grundsätzlich

nicht Unrecht: Im Werk des vor 75 Jahren verstorbenen

deutschen Schriftstellers Kurt Tucholsky finden sich

weit bessere Weisheiten, als dass man sich mit einem trotzigen

«Satire darf alles» jeder Kritik am eigenen Schaffen zu

entziehen versuchen müsste – und das Zitat, das für unsere

Zeit und für dieses Buch kaum geeigneter sein könnte,

heisst: «Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist.» Ist er das?

Muss er das sein?

Offen gestanden: Der Glaube an starre Definitionen,

Normen und Regeln ist mir in der Kunst- und Humor kritik

seit Jahren zuwider. Früher hegte ich Bewunderung für

Leute, die mit scheinbar fundierter Fachkompetenz ihr absolutes

Urteil über gut oder schlecht, richtig oder falsch,

über gelungene oder misslungene Pointen fällten und nur

schon immer trennscharf wussten, was Humor oder Satire,

was Karikatur oder Cartoon sei – obwohl es die letztgenannte

Unterscheidung in den meisten Sprachen so gar

nicht gibt. Heute bewundere ich bestenfalls die Fähigkeit

dieser Leute, am neusten Stand des Forschungsdiskurses

vorbei die eigene Subjektivität unbeirrt zur Norm erklären

zu können.

Gerade um den Begriff der Karikatur ist, seit Annibale

Carracci im 16. Jahrhundert seine ersten «überladenen» (=

caricatura) Porträts von Handwerkern, Bettlern und Gauklern

anfertigte, eine unüberblickbare Zahl von Definitionsversuchen

zusammengekommen, und dennoch ist mir bis

jetzt noch keine restlos taugliche begegnet. Eigentlich würde

ein Blick auf die heutige Breite bildsatirischer Techniken

und Stile dafür genügen: Wer diese Gattung in Bausteine

und Kompositionsregeln zerlegen will, muss zwangsläufig

an ihrem steten Wandel scheitern. Und zwar, weil er die

falsche Frage gestellt hat. Das eigentliche Wesen der Satire

liegt weniger im «Womit?» als vielmehr im «Wozu?». Und

hier kommt der gekränkte Idealist wieder ins Spiel.

Satiriker sind kleine Agitatoren. Sie wollen etwas bewegen.

Ob es ihnen gelingt, ist zugegeben oft schwer zu ermitteln.

Leichter ermitteln lässt sich, wie sie das tun – mit

dem Bau von Trojanischen Pferden. Als Hülle des Pferdes

dient der Humor, beziehungsweise all das, was an frechen

Überzeichnungen, geistreichen Vereinfachungen oder

überraschenden Vergleichen die Leute zum Schmunzeln

und Nachdenken bringt. Die Fracht des Pferdes ist die Absicht,

sein Gegenüber im Sinne der eigenen Analyse und

Position zu beeinflussen.

Wie dies gelingt, hat zuerst einmal nichts mit richtig oder

falsch, gut oder schlecht, links oder rechts zu tun. Sondern

mit der Frage, wie der Karikaturist, Kolumnist oder

Kabarettist beim jeweils angepeilten Zielpublikum reüssiert.

So gesehen darf Satire alles – alles, was es braucht, um

das Trojanische Pferd hinter die Stadtmauern zu bringen.

Stösst Satire aber statt auf Zuspruch und konstruktiven Widerspruch

nur noch auf einhel lige Ablehnung, oder erntet

Satire einzig den Beifall jener, die sie schon zuvor auf ihrer

Seite hatte, hat sie ihr Ziel kaum erreicht. Dann ist das «Alles

dürfen» nur die trotzige Ausflucht zum eigenen Scheitern.

Müssen Satiriker also gekränkte Idealisten sein? Idealisten,

weil sie es im Gegensatz zu den meisten anderen nicht

aufgegeben haben, in der Unübersichtlichkeit unserer pluralistischen

Gesellschaft klare Positionen und Antworten zu

suchen? Gekränkt, weil letztlich nur eigenes Leiden auch

die Leidenschaft weckt, sich für etwas zu engagieren?

Mit Blick auf das, was uns heute im Bereich der satirischen

Kunst oft geboten wird, kommt man nicht umhin zu

vermuten, dass grösstenteils nur noch Trojanische Pferde

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