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syndicom magazin Nr. 21

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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<strong>syndicom</strong><br />

<strong>Nr</strong>. <strong>21</strong> Januar-Februar 20<strong>21</strong><br />

<strong>magazin</strong><br />

NEIN<br />

zu dieser<br />

E-ID


Anzeige<br />

für gewerkschaftliche<br />

internationale Solidarität<br />

Covid-19 heisst für viele Menschen Hunger.<br />

Die Bewegung obdachloser Arbeiterinnen und Arbeiter in Brasilien<br />

hat sogleich Volksküchen aufgebaut und zählt auf unsere Unterstützung.<br />

Der SOLIFONDS leistet rasche und direkte Solidarität.<br />

Unterstütze auch du emanzipatorische soziale Kämpfe<br />

im Globalen Süden.<br />

Unterstütze den SOLIFONDS,<br />

den Solidaritätsfonds der Schweizer Gewerkschaften.<br />

SOLIFONDS.ch/spenden


Inhalt<br />

4 Teamporträt<br />

5 Kurz und bündig<br />

6 Die andere Seite<br />

7 Gastautorin<br />

8 Dossier: Nein zur<br />

Privatisierung der E-ID<br />

16 Arbeitswelt<br />

19 Angriff auf die<br />

Medienvielfalt<br />

22 Dreifuss – Funiciello<br />

25 Recht so!<br />

26 Freizeit<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

«ist es gratis, dann bist du selbst die Ware».<br />

Wenn ich mit Google etwas suche, bringt das<br />

dem Konzern Tausende Franken. Nicht nur, weil<br />

er die Internetseiten mit Werbung zumüllt.<br />

Mein Suchprofil ist auch Handelsware – darauf<br />

gründen Techno-Giganten ihre Macht. Datenhandel,<br />

Datenmining und Big Data sind das Gold<br />

der digitalisierten Welt.<br />

Nun will der Bundesrat, der bis heute keine<br />

glaubwürdige Strategie für den digitalen Umbau<br />

und noch weniger für den Schutz unserer Daten<br />

vorlegen kann, die Ausstellung von elektronischen<br />

Identitätskarten in die Hände der Banken<br />

und Konzerne legen. Weil ihn das nichts kostet,<br />

die öffentliche Hand liefert nur unsere Daten.<br />

Laissez-faire vom Schlimmsten.<br />

Der wirkliche Preis dieser «Operation E-ID» ist<br />

absurd hoch – und wir alle bezahlen ihn. Warum?<br />

Es ist sinnvoll, dass wir uns digital ausweisen<br />

können, wenn wir im Netz eine Hose kaufen,<br />

die Steuererklärung einreichen oder Geld überweisen.<br />

Doch die Ausgabe einer E-ID muss die<br />

demokratisch kontrollierte öffentliche Hand<br />

besorgen. Ich will meinen Pass vom Passbüro,<br />

ich will ihn nicht bei der UBS bestellen müssen.<br />

Heute kann ich wählen, kein Kunde bei der<br />

UBS zu sein. Dann weiss die UBS nichts über<br />

mich. Mit dem E-ID-Gesetz des Bundesrates<br />

aber werden meine Daten zentral in einem<br />

Konzernpool gesammelt. Patientendossier inklusive.<br />

Der Missbrauch ist programmiert.<br />

Der Bundesrat verspricht Kontrolle. Nett, aber<br />

das ist kaum das Papier wert, auf dem es steht.<br />

Nein, schicken wir diese E-ID bachab!<br />

8<br />

19<br />

22<br />

27 1000 Worte<br />

28 Bisch im Bild<br />

30 Aus dem Leben von ...<br />

31 Kreuzworträtsel<br />

32 Nein zum E-ID-Gesetz<br />

Daniel Münger, Präsident <strong>syndicom</strong>


4<br />

Teamporträt<br />

Unser Erfolg zeigt, dass man gemeinsam<br />

stärker ist<br />

Daniela Aeby (52)<br />

Seit der Lehre als Betriebsassistentin<br />

bei der Post tätig, seit fünf Jahren als<br />

Fahrausweiskontrolleurin (auf Post­<br />

Auto-Linien und in Bussen anderer<br />

Transportunternehmen), Vorsitzende<br />

der Personalkommission des Fahrausweiskontroll-Pools,<br />

Mitglied der<br />

Verhandlungsdelegation für den Post­<br />

Auto-GAV.<br />

Erwin Rüegg (55)<br />

Ausbildung als uniformierter Postbeamter,<br />

in verschiedenen Städten tätig,<br />

später auch bei der Bahnpost («die<br />

schönste Zeit in meinem Berufsleben»),<br />

insgesamt 39 Jahre bei der Post, Post­<br />

Auto-Chauffeur seit acht Jahren, Vertrauensmann<br />

von <strong>syndicom</strong> am Standort<br />

Winkel; privat politisch aktiv.<br />

Dominik Hunsperger (41)<br />

Gelernter Schreiner, später u. a. bei<br />

der Leitstelle der PostAuto AG tätig,<br />

PostAuto-Chauffeur seit acht Jahren,<br />

seit vier Jahren in einem 60-Prozent-<br />

Pen sum, politisch aktiv am Wohnort<br />

Effretikon (SVP), verheiratet, ein Sohn,<br />

Vertrauensmann von <strong>syndicom</strong> am<br />

Standort Embrach.<br />

Text: Suleika Baumgartner<br />

Bild: Markus Cadosch<br />

«Manchmal muss man<br />

für Gerechtigkeit<br />

kämpfen»<br />

«Für uns war immer klar: Wir wollen<br />

nicht mehr, aber auch nicht weniger,<br />

als uns zusteht. Gerade Postauto-<br />

Chauffeure tragen eine enorme Verantwortung,<br />

müssen auf der Strasse<br />

hoch konzentriert sein und ihre<br />

Ruhe zeiten sorgfältig planen. Da<br />

sollte es selbstverständlich sein, dass<br />

die Arbeitszeiten und Spesen korrekt<br />

abgerechnet werden. Auch Fahrausweiskontrolleur*innen<br />

sind zu unterschiedlichsten<br />

Zeiten unterwegs und<br />

haben eine Kaffeepause verdient. Als<br />

2017 ans Licht kam, dass das Arbeitsgesetz<br />

von PostAuto missachtet wurde,<br />

war uns als PeKo wichtig, dass<br />

Rückzahlungen nicht individuell verlangt<br />

werden müssen, sondern dass<br />

wir das gemeinsam angehen.<br />

Bereut haben wir unser Engagement<br />

nie, allerdings gab es Momente,<br />

die zermürbend waren, teilweise<br />

auch Anfeindungen. Doch nun gibt<br />

uns der Erfolg recht. Unser Erfolg<br />

zeigt, dass man gemeinsam stärker<br />

ist! Es sind Zehntausende, die unser<br />

Arbeitgeber insgesamt zurückerstatten<br />

musste. Ohne die Gewerkschaft<br />

im Rücken hätten wir keine Chance<br />

gehabt. In der fünfköpfigen Verhandlungsdelegation<br />

unterstützten<br />

uns <strong>syndicom</strong>-Regionalsekretär Senol<br />

Kilic und Beni Schütz von der<br />

AZG-Geschäftsstelle Nord.<br />

Das Verhandeln auf Augenhöhe<br />

war nur möglich, weil wir sehr viel<br />

Zeit investierten ins Sammeln von<br />

Fakten. Ohne dies hätten wir haushoch<br />

verloren. Im Vorfeld hatten wir<br />

zweimal eine Petition eingereicht,<br />

die Unterzeichner*innen gaben uns<br />

moralische Unterstützung.<br />

Im Leben wird einem nichts geschenkt,<br />

manchmal muss man für<br />

Gerechtigkeit kämpfen. Das kann<br />

durchaus auf respektvolle Art geschehen.<br />

Wer sich in der Gewerkschaft<br />

engagiert, tut nichts Verbotenes, das<br />

Recht auf Mitwirkung gehört zu unseren<br />

Grundrechten.<br />

Kolleg*innen, die unsicher sind,<br />

wie sie ihre Ansprüche einfordern<br />

können, dürfen sich von ihrer PeKo<br />

beraten lassen, wir kommen auch<br />

mal mit zu einem Gespräch. Angst<br />

vor einer Entlassung, nur weil jemand<br />

Kritik übt, ist unbegründet.<br />

Nun, da immer mehr Frauen als Fahrerinnen<br />

arbeiten, wäre es zudem<br />

schön, wenn sie auch gewerkschaftliche<br />

Verantwortung übernehmen und<br />

beim Verhandeln ihre Stärken einbringen<br />

würden!»


Kurz und<br />

bündig<br />

Im Postauto nur mit Maske! \ PostAuto verliert Konzession in Entremont \<br />

Bessere Löhne bei Cablex \ Media F will 30 Drucker*innen entlassen \<br />

Neue Köpfe im Presserat \ Mehr Arbeitslose im Pandemiejahr 2020<br />

5<br />

Kein Konsum im Postauto<br />

Die Möglichkeit, die Maskenpflicht im<br />

Postauto durch Konsumation zu umgehen,<br />

wird immer mehr missbraucht:<br />

Manche Fahrgäste essen oder trinken<br />

absichtlich durchgehend während langen<br />

Fahrten. Das ist ein Gesundheitsrisiko<br />

für das ganze Fahrpersonal. <strong>syndicom</strong><br />

und die Berner Personalkommission<br />

von PostAuto fordern in einer Petition,<br />

dass PostAuto in der Region Bern ein allgemeines<br />

Konsumverbot einführt. Seit<br />

dem 22. Januar werden Unterschriften<br />

gesammelt, um damit Verhandlungen zu<br />

verlangen. Es ist Zeit, dass PostAuto<br />

seinem Fahrpersonal Arbeitssicherheit<br />

und Gesundheitsschutz garantiert.<br />

PostAuto verliert Buslinien<br />

in Entremont, Wallis<br />

Das Wallis und das Bundesamt für Verkehr<br />

haben nach einem sechsmonatigen<br />

Verfahren mit drei Bewerberfirmen<br />

beschlossen, den Betrieb der zehn<br />

Bus linien im Bezirk Entremont für die<br />

nächsten 10 Jahre der Firma Transports<br />

de Martigny et Régions SA (TMR) anzuvertrauen.<br />

Durch die Übergabe hat Post­<br />

Auto die Konzession verloren. <strong>syndicom</strong><br />

arbeitet daran, dass möglichst alle Mitarbeitenden<br />

übernommen werden.<br />

Lohnabschluss Cablex 20<strong>21</strong><br />

Dank <strong>syndicom</strong> macht Cablex vorwärts<br />

bei den Löhnen: Per 1. April wird die<br />

Lohnsumme um 0,8 % erhöht. Die Mitarbeitenden<br />

von Cablex und anderen<br />

Unterneh men der Netzinfrastruktur-<br />

Branche bauen das Fundament, damit<br />

wir auch in diesen Zeiten miteinander<br />

verbunden sind – über die Telekommunikationsnetze.<br />

Angesichts ihres Beitrags<br />

an die wirtschaftliche Landesversorgung<br />

werden auch alle Cablex-<br />

Mitarbeitenden an den Lohnerhöhungen<br />

beteiligt: mit zwischen 300 und<br />

500 Franken mehr Lohn im 20<strong>21</strong>.<br />

Abbau bei Media F geht weiter<br />

Schon 2017 wurden 25 Arbeitsplätze<br />

abgebaut, als die vier Druckereien der<br />

Freiburger St-Paul-Gruppe unter das<br />

Dach der Media F gebracht wurden.<br />

20<strong>21</strong> geht es weiter: Die Druck-Aktivität<br />

wird an einem Standort, in Bulle,<br />

zentralisiert. Die Konsequenz: Es werden<br />

weitere 30 Stellen abgebaut. <strong>syndicom</strong><br />

fordert die St-Paul-Gruppe und<br />

Media F auf, ihre soziale Verantwortung<br />

wahrzunehmen: Die Mehrheit der Stellen<br />

soll gerettet werden und bei den<br />

laufenden Verhandlungen muss ein guter<br />

Sozialplan herausspringen.<br />

Neues beim Presserat<br />

Folgende Journalist*innen sind die<br />

neuen, vom Stiftungsrat gewählten<br />

Mitglieder im Presserat: Joëlle Fabre<br />

(24heures), Michael Furger (NZZ am<br />

Sonntag), Fati Mansour (Le Temps) und<br />

Anne-Frédérique Widmann (RTS). Geschichtsprofessorin<br />

Monika Dommann<br />

und Anwalt Luca Allidi kommen als<br />

Stimmen des Publikums dazu. Damit<br />

steigt der Frauenanteil im Presserat<br />

erstmals auf über 50 Prozent. Das Präsidium<br />

setzt sich zusammen aus der<br />

neuen Präsidentin Susan Boos (Journalistin,<br />

Buchautorin und <strong>syndicom</strong>-<br />

Mitglied) sowie ab Mitte 20<strong>21</strong> aus Annik<br />

Dubied (Professorin für Journalistik<br />

und Dekanin an der Universität Neuenburg)<br />

und Max Trossmann (<strong>syndicom</strong>-<br />

Mitglied).<br />

Arbeitsmarkt 2020<br />

Zahlen des Seco zeigen, wie stark der<br />

Schweizer Arbeitsmarkt 2020 von der<br />

Corona-Krise geprägt ist. Dank massivem<br />

Einsatz von Kurzarbeit konnten<br />

die Auswirkungen der Krise abgedämpft<br />

werden. Gleichwohl war die Arbeitslosenzahl<br />

um 36,3 % höher als 2019.<br />

Im Jahresdurchschnitt resultierte eine<br />

Arbeitslosenquote von 3,1 % (+0,8 %).<br />

Besonders die Jugendarbeitslosigkeit<br />

stieg: von 2,2 % (2019) auf 3,2 %. 20<strong>21</strong><br />

wird uns das Thema weiterhin beschäftigen.<br />

Wichtig ist: Die Kosten der Pandemie<br />

dürfen nicht die Arbeitnehmenden<br />

tragen. Siehe auch Seite 24!<br />

Agenda<br />

März<br />

ganzer Monat<br />

Frauenpower in Bern<br />

Zum 50. Jahrestag des Frauenstimmrechts<br />

kleben seit dem 7. Februar<br />

an den Hausfassaden in der Berner<br />

Altstadt 52 Porträts mutiger Frauen.<br />

Mehr darüber: Hommage20<strong>21</strong>.ch<br />

2.<br />

Delegiertenversammlung<br />

Am 2. März findet von 9 Uhr bis 16 Uhr<br />

die Delegiertenversammlung von<br />

Post CH AG und PostFinance AG statt –<br />

online über Teams.<br />

7.<br />

Abstimmung: E-ID<br />

Nicht verpassen: Das Schweizer<br />

Stimmvolk darf am 7. März über eine<br />

privatisierte E-ID abstimmen. <strong>syndicom</strong><br />

legt NEIN ein, informiere dich in<br />

diesem Heft!<br />

April<br />

10.<br />

GV Zürich Logistik 516<br />

Am 10. April von 14 Uhr bis 16 Uhr findet<br />

online die Generalversammlung der<br />

Sektion Zürich Logistik statt. Anmeldung<br />

unter logistik@<strong>syndicom</strong>.ch. Die<br />

E-Mail-Adresse ist für die Versendung<br />

des Teilnahmelinks zwingend nötig.<br />

Mai<br />

1.<br />

Tag der Arbeit<br />

«Es ist Zeit für einen sozialen Durchbruch!»<br />

Der 1. Mai findet je nach<br />

Pandemie-Situation in angepasster<br />

Form statt. Mehr auf SGB.ch<br />

3.<br />

Welttag der Pressefreiheit<br />

Der 3. Mai ist der Welttag der Pressefreiheit:<br />

Es ist Zeit, Medien zu schützen.<br />

Information muss ein öffentliches Gut<br />

bleiben. Informationen: IFJ.org<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/agenda


6 Die andere<br />

Die traditionsreiche linke Buchhandlung Paranoia City im<br />

Seite<br />

Zürcher Kreis 4 ist seit einem Jahr in den Händen eines<br />

Frauen trios. Melina, Margot und Auline führen den Laden<br />

nach genossenschaftlichen und feministischen Grundsätzen.<br />

1<br />

Woher habt ihr den Mut genommen,<br />

einen anarchistischen Buchladen zu<br />

übernehmen?<br />

Wir wollten schon immer irgendwann<br />

eine feministische Buchhandlung<br />

eröffnen. An unseren alten Arbeitsplätzen<br />

konnten wir uns nie so<br />

einbringen, wie wir es uns wünschen.<br />

Als uns Tomi Geiger, einer der Gründer*innen,<br />

anfragte, ob wir die Genossenschaftsbuchhandlung<br />

übernehmen<br />

möchten, mussten wir nicht<br />

lang studieren. Das war unsere Chance,<br />

auch weil wir finanziell nichts investieren<br />

mussten. Paranoia City gab<br />

es seit 45 Jahren, hatte ein breites<br />

Sortiment und eine Stammkundschaft.<br />

Jetzt sagt uns niemand mehr,<br />

was wir zu tun haben.<br />

2<br />

Wie sieht die politische Stossrichtung<br />

von Paranoia City jetzt aus?<br />

Das bisherige ideologische Grundgerüst<br />

blieb erhalten, auch wir setzen<br />

uns für eine herrschaftsfreie Welt<br />

ein. Aber wir setzen einen klaren<br />

femi nistischen Schwerpunkt im Sortiment.<br />

Wir wollen Literatur verbreiten,<br />

die patriarchale Muster in allen<br />

Bereichen durchbricht, und Platz<br />

schaffen für Stimmen, die queer<br />

denken. Wir gestalten auch unsere<br />

eigenen Arbeitsbedingungen nach<br />

feministischen Grundsätzen, damit<br />

wir uns nicht ausgenutzt fühlen. Die<br />

Kundschaft reagiert sehr positiv auf<br />

den frischen Wind.<br />

3<br />

Was ist im gleichberechtigten<br />

Kollektiv anders?<br />

Wir müssen keine Bücher verkaufen,<br />

die nicht unseren Werthaltungen entsprechen.<br />

Dafür müssen wir im Kollektiv<br />

über vieles oft lange reden. Als<br />

Selbständige nehmen wir ab und zu<br />

die Arbeit mit nach Hause. Wir machen<br />

uns gegenseitig aufmerksam,<br />

wenn es zu viel wird, nehmen auch<br />

spontan frei, wenn wir uns überarbeitet<br />

fühlen. Leider haben wir bis jetzt<br />

die finanziellen Mittel nicht, um Lernenden<br />

einen Ausbildungsplatz oder<br />

Praktikant*innen ein faires Honorar<br />

anbieten zu können.<br />

4<br />

Die Buchbranche ist im Umbruch.<br />

Ist Buchhändlerin überhaupt noch<br />

ein attraktiver Beruf?<br />

Klar doch! Wir kennen die Branche<br />

gar nicht anders als permanent in der<br />

Krise. Sicher, die Margen sind klein<br />

und wir müssen viele Bücher verkaufen,<br />

um die Miete zu bezahlen.<br />

Gleichzeitig wollen wir nicht, dass<br />

Bücher viel kosten und nur wenige sie<br />

sich leisten können. Das Internet ist<br />

keine Konkurrenz für uns, höchstens<br />

bei den Preisen. Die Leute kommen<br />

zu uns, weil sie unsere Beratung toll<br />

finden und bewusst eine kleine Buchhandlung<br />

unterstützen möchten.<br />

5<br />

Zahlt ihr euch angemessene Löhne?<br />

Anfangs schufteten wir mehr, als wir<br />

uns zahlen konnten. Gleichzeitig<br />

stand fest, dass wir uns nicht über<br />

längere Zeit selber ausbeuten. Heute<br />

arbeiten wir je 60 %, mehr liegt finanziell<br />

nicht drin, und versuchen das<br />

Pensum auch einzuhalten. Wir sind<br />

meistens zu zweit im Laden, haben<br />

aber die Öffnungszeiten so gestaltet,<br />

dass auch nur eine Person anwesend<br />

sein könnte. Als Mitglieder von <strong>syndicom</strong><br />

sind wir überzeugt, dass es mega<br />

wichtig ist, einen GAV und somit<br />

Richtwerte für die Arbeitsbedingungen<br />

in der Buchbranche zu haben.<br />

6<br />

Wie wirkt sich Corona bei euch aus?<br />

Wir sehen uns nicht als das grösste<br />

Opfer dieser Pandemie. Schade ist,<br />

dass wir keine Veranstaltungen<br />

durchführen können. Den ersten<br />

Lockdown hatten wir genutzt, um<br />

Regale umzustellen und die administrativen<br />

Tätigkeiten in den Griff zu<br />

kriegen. Aktuell reichen wir zwischen<br />

13 und 17 Uhr die bestellten Bücher<br />

durchs Fenster heraus. Und wir haben<br />

Helfer*innen, die die Bücher ausliefern.<br />

Die finanziellen Auswirkungen<br />

sehen wir erst in den nächsten<br />

Monaten.<br />

Text: Nick Manouk<br />

Bild: Paranoia City


Gastautorin<br />

Am 7. März stimmen wir über eine<br />

etwas unheimliche Vorlage ab: das Gesetz über<br />

elektronische Identifizierungsdienste, kurz<br />

E-ID-Gesetz. Wir entscheiden, ob unser künftiger<br />

elektronischer Pass vom Staat ausgestellt<br />

oder privatisiert wird.<br />

Mit dem elektronischen Pass, der E-ID, erhalten<br />

wir Zugang zu öffentlichen Online-Diensten –<br />

wie der Erneuerung des Führerausweises, der<br />

Abgabe eines Stipendiengesuchs oder Antrags<br />

auf Sozialhilfe. Vielleicht stimmen wir mit der<br />

E-ID in Zukunft elektronisch ab oder verlangen<br />

Einsicht in unsere Justizakte oder ins Patientendossier.<br />

Was in der realen Welt die Identitätskarte<br />

oder der Pass aus Papier, ist im Internet<br />

die E-ID.<br />

Gemäss dem Gesetz werden private Akteure –<br />

Banken, Krankenversicherungen, Internetgiganten<br />

– diese Pässe ausstellen und nicht der Bund<br />

oder die Kantone. Mit dem Gesetz wird eine<br />

hoheitliche Aufgabe privatisiert: die Sicherung<br />

der Identität der Bürgerinnen und Bürger.<br />

Sie werden vielleicht eine von Facebook ausgestellte<br />

E-ID für die elektronische Stimmabgabe<br />

(E-Voting) nutzen müssen. Oder ein von der<br />

CSS zugeteiltes Login für den Zugang zu Ihrem<br />

elektronischen Patientendossier. Es ist klar,<br />

dass Unternehmen die E-ID nicht aus Nächstenliebe<br />

bereitstellen. Vielmehr wollen sie Daten zu<br />

Ihrer politischen Meinung, Ihrem Konsumprofil,<br />

Ihren medizinischen Bedürfnissen erhalten. Sie<br />

wollen mehr über Sie wissen, um Ihnen gezielter<br />

Produkte zu verkaufen oder Ihre politischen<br />

Entscheidungen zu beeinflussen.<br />

Es braucht also den demokratischen Schutz<br />

unserer digitalen Identität, es muss wie beim<br />

physischen Pass der Staat sein, der die elektronischen<br />

Identifizierungsmittel bereitstellt. Ich<br />

lade Sie deshalb ein, ein NEIN zum E-ID-Gesetz<br />

in die Urne zu legen und mit uns für ein Gesetz<br />

zu kämpfen, mit dem unsere Identität in öffentlicher<br />

Hand bleibt.<br />

Nein zur Privatisierung<br />

unserer Identität<br />

Nuria Gorrite ist Präsidentin des<br />

Waadtländer Staatsrates und Vorsteherin<br />

des Infrastruktur- und Personaldepartements.<br />

Sie war Museumskuratorin,<br />

Stadträtin und Stadtpräsidentin von<br />

Morges sowie Grossrätin des Kantons<br />

Waadt. Nuria ist Mitglied der SP.<br />

7


Wird der nächste Pass von der UBS ausgestellt?<br />

Estland, Vorreiter im digitalen Service public<br />

Mangelnder Datenschutz im E-ID-Gesetz<br />

Dossier 9<br />

Wenn der Staat<br />

unsere Daten<br />

verschenkt


10 Dossier<br />

Der Weg aus der digitalen Blindheit<br />

Der Bundesrat will unsere elektronische Identität<br />

in die Hände der Banken und Konzerne<br />

legen. Am 7. März kann das Stimmvolk gerade<br />

noch die Notbremse ziehen. Die brandgefährliche<br />

Affäre um die E-ID zeigt, dass die Schweiz<br />

endlich einen digitalen Service public braucht.<br />

Text: Oliver Fahrni<br />

Bild: meierproductions<br />

Die Corona-Warn-App von Singapur, dem Vorzeigeland<br />

für die Covid-Bekämpfung, rühmte man als «besonders sicher»<br />

und «unbedenklich». Jetzt wurde bekannt, dass die<br />

Polizei der kapitalistischen Diktatur die gesammelten Daten<br />

abgesaugt hat und damit ihre Repression organisiert.<br />

Estland gilt als europäisches Vorzeigeland für eine geglückte<br />

Digitalisierung. Schweizer Politiker fuhren auf<br />

Pilgerreise ins baltische Eldorado und bejammerten hernach<br />

den digitalen Rückstand der Schweiz. Kernstück ist<br />

eine elektronische ID-Karte, auf der alles über alle Estinnen<br />

und Esten gespeichert ist: Gesundheitsdossiers,<br />

Strafregister, Familie, Qualifikationen, Zahlungsmoral,<br />

Job, Versicherungen. Mit der E-ID wird auch abgestimmt<br />

und in Estland fällen Algorithmen sogar Gerichtsurteile.<br />

Als die Regierung 2017 die EU zu einem Digitalkongress<br />

nach Tallinn rief, brach wegen Sicherheitslücken das System<br />

zusammen. Mit einem Schlag hatten die Menschen<br />

keine Identität mehr, wochenlang konnten keine Renten<br />

ausbezahlt oder Pässe ausgestellt werden (s. a. Seite 12).<br />

Die Schweiz gilt als Vorzeigeland der Volksrechte und<br />

des Föderalismus. Doch nun macht der Bundesrat wieder<br />

einmal das Heidi: In geheuchelter Naivität will er die elektronische<br />

Identität der Einwohner*innen, die E-ID, in die<br />

Hände grosser Konzerne legen.<br />

Wenn der nächste Pass von der UBS kommt<br />

Die Ausgabe von Identitätspapieren ist eine zentrale hoheitliche<br />

Aufgabe der öffentlichen Hand. Das muss auch<br />

für die elektronische ID gelten, die rasch die klassischen<br />

Ausweise in immer mehr Bereichen ablösen wird. Nun<br />

aber soll der Bund die hochsensiblen Personendaten einer<br />

privaten Identifizierungsstelle liefern, die dann den<br />

elektronischen Ausweis der Benutzerin oder des Benutzers<br />

erstellt (s. a. Seiten 13–15). Mit dieser Privatisierung<br />

verstösst der Bundesrat gegen das Allgemeininteresse.<br />

<strong>syndicom</strong>-Präsident Daniel Münger nennt dies einen<br />

«gefähr lichen Irrsinn». Die Demontage öffentlicher Dienste<br />

geht weiter, demnächst auch mit PostFinance. Bereits<br />

bereiten bürgerliche Hardliner auch die Privatisierung<br />

der Swisscom vor, perverserweise von der Swisscom selbst<br />

mitfinanziert, denn sie ist weiterhin Gönnerin der Organisation<br />

AvenirSuisse, die diese Privatisierungsstrategie für<br />

die Konzerne organisiert.<br />

Für das Verscherbeln des elektronischen Passes durch<br />

die öffentliche Hand gibt es keinen triftigen Grund, ausser<br />

einem möglichen, geringen Spareffekt. Die Lösung sei<br />

«bequem», «einfach» und «sicher», argumentierte Bundesrätin<br />

Sommaruga. Das ist dürftig. Und die E-ID ist alles<br />

andere als «sicher». Bei jedem Login mit der E-ID fallen<br />

eine Menge persönlicher Daten ab. Deren Verwendung,<br />

sagt der Bundesrat, werde kontrolliert. Von einer eidgenössischen<br />

E-ID-Kommission (EIDCOM) und vom eidgenössischen<br />

Datenschützer (Amtsjargon: EDÖB). Die Daten<br />

dürfen nicht weitergegeben (also gehandelt) werden,<br />

sagt das E-ID-Gesetz. In Wahrheit können weder EIDCOM<br />

noch EDÖB eine Weitergabe erkennen, geschweige denn<br />

unterbinden. Die Behauptung des Bundesrates ist schiere<br />

Rosstäuscherei.<br />

Datenschutz: Mehr Löcher als ein Emmentaler<br />

Insgesamt ist der Schweizer Datenschutz, auch mit einer<br />

Totalrevision des Datenschutzgesetzes, löchriger als Emmentaler<br />

– er ist reaktiv gebaut, und damit grundsätzlich<br />

auf verlorenem Posten. Technisch liesse sich für eine E-ID<br />

einiges an Schutz vorkehren. Der Staat wäre sogar in der<br />

Pflicht, diese sichere E-ID zu bauen, um uns alle vor Missbrauch<br />

zu schützen.<br />

Doch offenbar ist der Bundesrat auch durch den Absturz<br />

mit dem E-Voting nicht schlauer geworden. Moderner<br />

Schutz persönlicher Daten beginnt mit dem Bau einer<br />

besonderen Programm- und Systemarchitektur und geht<br />

bis zur Dezentralisierung der Daten. Ausgerechnet die<br />

Systemkonfiguration überlässt der Bundesrat nun den<br />

Konzernen. Anders gesagt: Sie haben freie Hand.<br />

Bleibt noch die Frage, warum sich die Konzerne, darunter<br />

auch Weltkonzerne, um die E-ID reissen. Denn für<br />

den Zahlungsverkehr, Kredite, Käufe, Krankenkassen<br />

oder die Verwaltung per Internet braucht niemand eine<br />

E-ID – das haben alle Akteure längst anders gelöst.<br />

Interessant aus Sicht der Konzerne ist die E-ID, weil sie<br />

ihre Türöffnerin für Datamining ist: Die zentrale Identifizierung<br />

erlaubt die automatisierte Verknüpfung diverser,<br />

heute getrennter Datenbanken (die Krankenkasse kommt<br />

schwer an Kreditkartenabrechnungen, also an Konsumgewohnheiten)<br />

mit der enormen Menge an Daten, die wir<br />

täglich preisgeben, etwa auf Facebook, per Handy, beim<br />

Online-Kauf oder mit dem «Akzeptieren»-Knopf auf einer<br />

Internetseite (wer liest das Kleingedruckte der Geschäftsbedingungen).<br />

Im Netz ist «Freiwilligkeit» ein Popanz.<br />

Was auch immer der Bundesrat vorgibt zu glauben: In<br />

der E-ID ist angelegt, dass sehr bald auch Bankdaten, Patienten-<br />

und Personaldossiers und viele weitere Datensät-<br />

Wir brauchen<br />

eine andere,<br />

sichere E-ID:<br />

vom Service<br />

public.


ze über die Identifizierungsstelle der Konzerne verknüpft<br />

greifbar werden. Der gläserne und darum steuerbare<br />

Mensch ist die eigentliche Bestimmung ihrer Investition.<br />

Ein Blick in das SwissSign-Konsortium, das die besten<br />

Chancen hat, sich die E-ID zu greifen, lässt darüber keinen<br />

Zweifel zu. Unter den 15 Banken, Versicherungen und<br />

Krankenkassen, die sich um Post, SBB und Swisscom<br />

gruppiert haben, ist zum Beispiel die Crédit Suisse. Die<br />

Grossbank hatte sich mit dem US-Datenkraken Palantir<br />

zusammengetan, um die Mitarbeitenden zu bespitzeln.<br />

Mit einer gemeinsamen Firma sollte die Schnüffelsoftware<br />

dann in der Schweiz vermarktet werden. Palantir, ein<br />

mächtiger Big-Data-Konzern, wurde vom ultrarechten<br />

Milliardär Peter Thiel gegründet, arbeitet mit US-Geheimdiensten<br />

und steht im Verdacht, Wahlen zu manipulieren.<br />

Zwar ist der Joint-Venture des Konzerns und der Bank<br />

mit dem Namen «Signac» mittlerweile zerbrochen, aber<br />

Palantir bleibt im Gespräch, zuletzt mit dem Bundesrat in<br />

Sachen Corona-App und Covid-Strategie.<br />

E-ID: Zurück an den Absender!<br />

Am 7. März kann das Stimmvolk diesen Angriff auf unsere<br />

Datenhoheit beenden, indem es die E-ID zurück an den<br />

Absender schickt. Die E-ID gehört in den Service public –<br />

und unter strenge demokratische Kontrolle.<br />

Wie auch immer die Sache ausgeht, wirft sie ein grelles<br />

Schlaglicht auf ein doppeltes Desaster: Der Bundesrat hat<br />

noch immer keine glaubwürdige Strategie für das digitale<br />

Zeitalter. Und die Schweiz braucht dringend einen digitalen<br />

Service public.<br />

Dass sich der Bundesrat damit begnügt, in klassischer<br />

Laisser-faire-Politik den Digitalkonzernen zuzudienen,<br />

setzt die Einwohner*innen schweren Gefahren aus. Vor<br />

allem aber verpassen Regierung und Parlament die Chance,<br />

die Digitalisierung zu gestalten und sie für sozialen<br />

Fortschritt, kürzere Arbeitszeiten, mehr Transparenz,<br />

Ökologie und politisches Teilhaben zu nutzen.<br />

Ein digitaler Service public, wie ihn die Gewerkschaft<br />

<strong>syndicom</strong> einfordert, «hat zwei Dimensionen», sagt Daniel<br />

Münger. Zum einen die Digitalisierung der öffentlichen<br />

Dienste: Sie sollen so digitalisiert werden, dass sie bürger*innennah<br />

und transparent funktionieren, der Zugang<br />

für alle müsse garantiert sein. Dazu gehört auch, dass alle<br />

wichtigen Vorgänge im Behörden- und Zahlungsverkehr<br />

weiterhin im Direktkontakt möglich sind. Münger: «Zum<br />

anderen bedeutet ein digitaler Service public die Begleitung<br />

und Gestaltung des digitalen Umbruchs der Gesellschaft<br />

durch einen neu aufgestellten Service public.»<br />

Ein neuer Service public für die digitale Schweiz<br />

Ein leitendes Prinzip des Service public ist seine permanente<br />

Anpassung an die Bedürfnisse der Menschen. In<br />

Zeiten der Digitalisierung (und der Seuche) bedeutet dies:<br />

• Umfassender Schutz vor Datenmissbrauch, gebaut auf<br />

dem Prinzip der Hoheit aller über ihre eigenen Daten,<br />

• Netzausbau,<br />

• Umfassende, auf Ökologie zielende Erneuerung der<br />

Infra strukturen,<br />

• Kampf gegen digitale Hürden und die digitale Spaltung<br />

der Gesellschaft,<br />

• Digitale Bildungsoffensive,<br />

• Bereitstellung digitaler Instrumente und Plattformen<br />

für Bildung, Wissen, Forschung, politische Transparenz,<br />

Vereine, KMU etc.,<br />

• Medienökologie ab der Grundschule,<br />

• Demokratische und soziale Digitalisierung.<br />

Wollte der Bundesrat seine digitale Blindheit ablegen,<br />

könnte er, statt unsere Identitäten den Konzernen auszuliefern,<br />

der Frage nachgehen, die derzeit die Thinktanks<br />

bewegt: Was muss die öffentliche Hand eigentlich tun, damit<br />

in der digitalen Gesellschaft auch die «Cyber Citizenship»<br />

wächst, die vertiefte Demokratie autonomer Bürger*innen?<br />

Unser Online-Dossier zum E-ID-Gesetz:<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/abstimmungeid


12 Dossier<br />

Estland – die Zukunft?<br />

Seit einigen Jahren besitzen die Bürgerinnen<br />

und Bürger des baltischen Staats eine elektronische<br />

ID – ein echtes digitales Passepartout<br />

für den administrativen Alltag, das Zeit und<br />

Geld spart. Wie geht das?<br />

Text: Giovanni Valerio<br />

Bilder: meierproductions<br />

3. November 2017. Um Mitternacht sperrt die estnische<br />

Regierung die Zertifikate von über 760 000 elektronischen<br />

Identitätskarten wegen einer Schwachstelle im Mikrochip<br />

(auf dem sich die persönlichen Daten der Bürgerinnen<br />

und Bürger befinden). Wäre die Sicherheitslücke nicht<br />

entdeckt worden, hätten Hacker an diese Daten gelangen<br />

können. Sie hätten die Identität eines Bürgers annehmen<br />

und diese missbrauchen können. In Estland lassen sich<br />

online verschiedenste Dokumente erlangen und man<br />

kann innert Stunden ein Unternehmen gründen. Nur zum<br />

Heiraten und für eine Scheidung wird die physische Präsenz<br />

verlangt.<br />

Digitale Aufenthaltserlaubnis<br />

Nachdem Estland (das knapp grösser ist als die Schweiz,<br />

aber weniger als 1,5 Millionen Menschen zählt) nach fast<br />

einem halben Jahrhundert sowjetischer Besatzung 1991<br />

unabhängig geworden war, trat es 2004 der Europäischen<br />

Union bei. Schnell zog Estland ausländisches Kapital für<br />

die Gründung von Technologieunternehmen an. Hier<br />

sind Skype und weitere «Unicorns» (das sind Start-ups mit<br />

einem Börsenwert von 1 Milliarde Dollar) wie Transfer-<br />

Wise (Geldüberweisung), Taxify (Mobilität) oder Playtech<br />

(Glücksspiel) entstanden. Estland hat weltweit die meisten<br />

Start-ups pro Kopf und die welthöchste Breitbandgeschwindigkeit.<br />

Um ausländische Firmen und Forscher<br />

anzulocken, startete die Regierung 2007 ein E-Residency-<br />

Projekt: Wer möchte, kann zum digitalen Aufenthalter in<br />

Estland werden und dessen IT-Dienstleistungen nutzen.<br />

13 000 Unternehmen und 70 000 Personen (darunter der<br />

französische Präsident Macron ...) haben bisher von dieser<br />

Möglichkeit Gebrauch gemacht.<br />

Staatlich geförderte Cyberhygiene<br />

Die 2017 aufgetauchte Sicherheitslücke war ein enormes<br />

Risiko, auf das die estnischen Behörden mit transparenter<br />

Kommunikation reagierten, erklärt Florian Marcus,<br />

Digital Transformation Adviser vom E-Estonia Briefing<br />

Centre, einer öffentlichen Einrichtung, welche die digitalen<br />

Erfahrungswerte Estlands mit dem Rest der Welt teilt<br />

und Kooperationen aufbaut. «Nachdem die Schwachstelle<br />

im Chip der elektronischen Identitätskarte im August<br />

2017 entdeckt worden war, wurde die Bevölkerung laufend<br />

informiert. Nach unseren Informationen wurde sie<br />

zu keinem Zeitpunkt ausgenutzt. Durch ein Software-Update<br />

konnte der Fehler nach zwei Monaten behoben werden.<br />

Es war also nicht nötig, alle Identitätsausweise physisch<br />

zu ersetzen oder zu erneuern.»<br />

Wie kann man sich zukünftig vor Hackerangriffen<br />

schützen? «Unsere Netzwerkarchitektur ist stark dezentralisiert<br />

und distribuiert. Die Integrität besonders wichtiger<br />

Datensätze (Patientendaten, Grundbucheinträge)<br />

wird durch eine in Estland entwickelte Blockchain-Lösung<br />

gesichert.» In zu vielen Ländern, stellt Florian Marcus<br />

fest, wird die «Cyberhygiene» eher stiefmütterlich be-


handelt. Cyberangriffe gelingen in erster Linie durch<br />

Nachlässigkeit auf Seiten der Nutzer: Klickt nur ein einziger<br />

Mitarbeiter in einem Unternehmen auf ein vertrauensunwürdiges<br />

E-Mail, stehen oft alle Tore offen. Für die<br />

«Cyberhygiene» investiert Estland viel in Schulungen auf<br />

allen Ebenen.<br />

In Estland hat jeder Einwohner einen «Data-Tracker»<br />

im Staatsportal Eesti.ee, mit dem er einsehen kann, welche<br />

Behörde wann und aus welchem Grund auf seinen Datensatz<br />

zugegriffen hat. Der Zugriff auf bestimmte Daten<br />

kann selber unzugänglich gemacht werden. Ein weiterer<br />

wichtiger Punkt ist das «Once-Only-Prinzip». Das bedeutet,<br />

dass nur eine Behörde einen bestimmten Datensatz<br />

vom Bürger abfragen und speichern darf. Das Einwohnermeldeamt<br />

darf die Meldeadresse eines Bürgers abspeichern.<br />

Braucht eine zweite Behörde die Adresse, muss sie<br />

das Meldeamt fragen. So werden Daten nicht dupliziert –<br />

das trägt sowohl zur Privatsphäre als auch zur allgemeinen<br />

Cybersicherheit bei.<br />

Können wir das auch?<br />

Estland ist mit Sicherheit die weltweit fortschrittlichste<br />

digitale Gesellschaft. Könnte Estland ein Modell für andere<br />

Länder sein? «Man kann die Erfahrungen eines Landes<br />

nie komplett und ungefiltert auf ein zweites Land übertragen»,<br />

antwortet Florian Marcus. «Kleine Länder stehen vor<br />

anderen Herausforderungen als grosse – föderale Staaten<br />

können nicht so Politik machen wie stärker zentralisierte<br />

Länder. Dennoch: Aus Estlands Erfahrungen kann man<br />

mit Sicherheit lernen und die Erkenntnisse an die örtlichen<br />

Gegebenheiten anpassen. Über die letzten 25 Jahre<br />

hat Estland mit seiner Digitalisierungspolitik vieles richtig<br />

gemacht, aber auch ein paar Rückschläge verzeichnen<br />

müssen. Wir befinden uns im ständigen Austausch mit<br />

Ländern in der ganzen Welt, damit nicht jede Regierung<br />

das digitale Rad neu erfinden muss.»<br />

Das estnische Staatsportal:<br />

eesti.ee/en<br />

Schlechter Datenschutz<br />

für die Schweizer E-ID<br />

Elektronische Identifizierung ist ein Pfeiler der<br />

digitalen Demokratie, und sie wird auch für die<br />

Ausübung von Volksrechten zum Einsatz kommen.<br />

Der Gesetzgeber hat es jedoch verpasst,<br />

eine datenschutzfreundliche E-ID zu schaffen.<br />

Das Recht auf Privatsphäre muss gerade im<br />

Internet gestärkt und darf nicht weiter ausgehöhlt<br />

werden.<br />

Text: Erik Schönenberger*<br />

Eine staatliche elektronische Identifikation ist die Identitätskarte<br />

im Internet. Sie übernimmt online dieselbe<br />

Funktion, wie es ein amtlicher Ausweis beim Abholen von<br />

eingeschriebenen Briefen oder eines Betreibungsregisterauszugs<br />

tut. Es ist eine Frage der Zeit, bis mit einer elektronischen<br />

Identität auch gereist werden kann.<br />

Andersherum gilt: In den meisten Fällen ist jedoch<br />

weder ein Ausweis noch eine Unterschrift die Voraussetzung,<br />

um Dienstleistungen nutzen oder Verträge abschliessen<br />

zu können. Dies muss auch online so bleiben.<br />

Das Problem mit der SwissSign<br />

Faktisch dürfte es nur eine Firma geben, die E-IDs anbietet:<br />

Die SwissSign. Die ehemalige Tochter der Schweizer<br />

Post wurde 2017 zuerst in ein Gemeinschaftsunternehmen<br />

von Post und SBB ausgelagert. Am Digitaltag 2018<br />

wurde dann mit viel Brimborium die Überführung in ein<br />

Joint-Venture verkündet. Es besteht aus 20 gros sen<br />

Schweizer Konzernen, die das Geschäft nicht Google überlassen<br />

wollen und die Macht haben werden, das E-ID-Monopol<br />

in der Schweiz erfolgreich zu verteidigen.


Die SwissSign möchte nicht nur E-ID-Provider sein,<br />

sondern bietet zusätzlich ein zentrales Login für diverse<br />

Dienste an. Damit verschwimmt aus Sicht des Datenschutzes<br />

die Grenze zwischen amtlicher Ausweiskontrolle<br />

und simplem Anmeldevorgang auf Onlineportalen. Ein<br />

digitales Klumpenrisiko entsteht: Verliert man das eine<br />

Passwort oder wird gar der Login-Provider gehackt, sind<br />

gleich alle an das Login gekoppelten Dienste betroffen.<br />

Auch können längst nicht alle Logins durch nur eine<br />

Schweizer E-ID ersetzt werden (was sich die Befürworter<br />

erhoffen), da sie keine internationale Lösung ist. Die Einwohner*innen<br />

der Schweiz werden sich auch in Zukunft<br />

weder bei Amazon noch bei anderen internationalen<br />

Diensten mit der Schweizer E-ID anmelden können.<br />

Schlimmer noch: Das beschlossene E-ID-Gesetz verschafft<br />

auch den internationalen Tech-Giganten die Möglichkeit,<br />

zu Herausgebern der Schweizer E-ID zu werden.<br />

Apple hat mehrere entsprechende Patente angemeldet.<br />

Auch Google beschäftigt sich mit dem Thema. Zusammen<br />

kontrollieren sie den Smartphone-Markt, und fast alle von<br />

uns besitzen einen Google-Account oder eine Apple-ID.<br />

Kurz: Gegen die Datensammler hilft kein neues<br />

E-ID-Gesetz, sondern wir brauchen griffige Datenschutzbestimmungen.<br />

Und für ein sicheres und verteiltes allgemeines<br />

Login braucht es kein Schweizer Bundesgesetz –<br />

sondern internationale Standards.<br />

So soll es funktionieren<br />

Auf der Grafikseite rechts sind die Funktionsweisen bei<br />

der Erstellung und später bei der Verwendung der E-ID<br />

nach dem beschlossenen Gesetz dargestellt:<br />

Bild Mitte: Wer eine E-ID haben möchte, muss sie bei<br />

einem Provider (Herausgeber) beantragen. Diesem privaten<br />

ID-Provider (wie SwissSign) liefert der Staat die Daten<br />

zur Person: amtlicher Name, Geburtsdatum, Geschlecht,<br />

Geburtsort, Staatsangehörigkeit und das Gesichtsbild.<br />

Damit stellt der Identity Provider den Ausweis für die Person<br />

aus. Beim Bundesamt für Polizei, dem Fedpol, wird<br />

hierzu eine neue, zentrale Datenbank geschaffen, die Personenidentifizierungsdaten<br />

aus diversen Registern zusammenführt<br />

und den ID-Providern zur Verfügung stellt.<br />

Bild unten: Bei den Anbietern der E-ID fallen mit jedem<br />

Login Daten an. Möchte sich die Inhaberin etwa zur<br />

Einreichung ihrer Steuererklärung identifizieren, wird sie<br />

automatisch zum ID-Provider weitergeleitet (ähnlich wie<br />

bei einer Kreditkartenzahlung). Dieser identifiziert die<br />

Person und bestätigt der Steuerbehörde die Identität.<br />

Laut dem E-ID-Gesetz dürfen die Identitäts-Provider<br />

zwar «die Daten (...) und darauf basierende Nutzungsprofile»<br />

nicht kommerziell verwerten. Die Daten dürfen jedoch<br />

für sechs Monate gespeichert werden. Gemäss dem<br />

Prinzip der Datensparsamkeit wären sie hingegen unverzüglich<br />

zu löschen. Eine datenschutzfreundliche Lösung<br />

würde dem Prinzip «Privacy by Design» folgen und eine<br />

Systemarchitektur wählen, bei der solche Daten gar nicht<br />

erst bei einer zentralen Stelle anfallen.<br />

Online angemeldete Personen können einfach und lückenlos<br />

getrackt werden. Wenn also für alltägliche Vorgänge<br />

eine Anmeldung mehr und mehr nötig wird, um<br />

beispielsweise beim Stöbern im Onlineshop über individuelle<br />

Rabatte informiert zu werden, ist der Weg zum gläsernen<br />

Kunden mit dem personalisierten Preis nicht<br />

mehr weit. Wirkungsvolle Schranken kann auch hier nur<br />

ein griffiges Datenschutzgesetz schaffen.<br />

*Erik Schönenberger ist Informatiker und Geschäftsleiter der Digitalen<br />

Gesellschaft Schweiz. Er setzt sich seit vielen Jahren für Freiheitsrechte<br />

in einer vernetzten Welt ein und ist Co-Kampagnenleiter beim E-ID-<br />

Referen dum. Digitale-Gesellschaft.ch<br />

Fotostrecke<br />

Für die Fotostrecke haben wir uns aus Szenen eines Videoclips<br />

bedient, den der Gewerkschaftsbund SGB für die<br />

schweizweite Kampagne gegen das vorliegende E-ID-Gesetz<br />

hat herstellen lassen. Das Video wurde für die sozialen<br />

Medien konzipiert und zeigt, wie eine kommerzialisierte E-ID<br />

uns im Alltag begegnen könnte, wenn das Gesetz, über das<br />

wir am 7. März abstimmen, angenommen wird. Wir danken<br />

dem SGB und meierproductions für die Zusammenarbeit.<br />

Hinter meierproductions steckt Alexander Meier. Er führte<br />

Regie bei mehreren Kurzfilmen, darunter dem mehrfach<br />

ausgezeichneten Kurzfilm «Chyenne». 2004 gründete er die<br />

Produktionsfirma meierproductions und hat seither zahlreiche<br />

Werbefilme für internationale Unternehmen und<br />

Non-Profit-Organisationen realisiert.<br />

Eine Auswahl seiner Arbeiten: alexandermeier.com<br />

Der Videoclip ist zu sehen auf: facebook.ch/<strong>syndicom</strong>


Digitale Identifikation<br />

Die digitale Identifikation ist schon lange in unserem Alltag angekommen.<br />

Sei es für unseren Einkauf in den Online-Shops, die Bezahlung unserer<br />

Rechnungen oder das Lesen unserer Zeitung auf dem Tablet oder Handy.<br />

Die Folge sind unzählige Passwörter und unterschiedliche Systeme der<br />

Identifikation. Eine zentralisierte, vom Bund zertifizierte E-ID verspricht<br />

hier Abhilfe. Ein System für alle soll uns das Leben erleichtern. Eigentlich<br />

eine gute Idee, solange die Umsetzung und damit unsere persönlichen<br />

Daten nicht in die Hand privater Konzerne gelangen. Wie halten es die<br />

europäischen Länder damit, und wie funktioniert es genau?<br />

Öffentlich, privat – oder beides?<br />

Welche Angebote in den einzelnen europäischen Ländern dominieren.<br />

Öffentliche Angebote dominieren<br />

Öffentliche und private Angebote<br />

Private Angebote dominieren<br />

Nicht untersucht<br />

Quelle: Eurogeographics/ asquared<br />

Ausstellung einer E-ID<br />

Staat<br />

3 2 4<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Person beantragt E-ID mit Ausweis<br />

ID-Provider beantragt Übertragung der Identitätsattribute<br />

Staat verlangt Einverständnis der Person<br />

Staat liefert Attribute elektronisch<br />

ID-Provider gibt E-ID an Person ab<br />

Staat anerkennt und beaufsichtigt ID-Provider und -System<br />

E-ID-System<br />

1<br />

5<br />

Person<br />

ID-Provider<br />

E-ID<br />

Quelle: Daniel Gruber, Vizedirektor Bundesamt für Justiz BJ<br />

Einsatz einer E-ID<br />

E-ID-System<br />

1<br />

Inhaber*in möchte online eine Dienstleistung beziehen<br />

2<br />

Online-Dienstleister verlangt Identifizierung vom ID-Provider<br />

Staat<br />

3<br />

4<br />

ID-Provider<br />

5<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

ID-Provider verlangt Identifizierung von der<br />

Person/Inhaber*in mit E-ID<br />

Inhaber*in identifiziert sich mit E-ID, gibt Daten für Online-Dienstleistung<br />

frei<br />

ID-Provider bestätigt Identität mit nötigen Attributen<br />

Staat beaufsichtigt ID-Provider<br />

1<br />

Inhaber*in E-ID<br />

Online-Dienstleister<br />

Quelle: Daniel Gruber, Vizedirektor Bundesamt für Justiz BJ


16<br />

Eine bessere<br />

Arbeitswelt<br />

Ein Nein zum E-ID-Gesetz<br />

als Chance für den digitalen Umbau<br />

des Service public<br />

Jetzt die Verantwortung wahrnehmen: Die E-ID ist eine Chance für den<br />

Bund und die Service-public-Betriebe, digitale Kompetenzen aufzubauen.<br />

(© BillionPhoto, Stock.adobe.com)<br />

Mit dem vorliegenden E-ID-Gesetz wird ein entscheidender<br />

Systemwechsel angestrebt: Private Unternehmen sollen<br />

künftig den digitalen Schweizer Pass (E-ID) ausstellen<br />

und sensible private Daten verwalten. Der Bund hat es bisher<br />

verpasst, für den digitalen Umbau angemessene digitale<br />

öffentliche Dienste zu skizzieren, geschweige denn zu<br />

schaffen. Das ist inakzeptabel; denn diese Politik führt mit<br />

der Zeit zu einem digitalen Graben in der Gesellschaft, verspielt<br />

zahlreiche Chancen der Digitalisierung und stellt einen<br />

Angriff auf Datenschutz, demokratische Grundrechte<br />

und elementare soziale Errungenschaften dar.<br />

Gibt der Bund nun auch bei der E-ID die Verantwortung<br />

an private Unternehmen ab, wird dieser digitale und folglich<br />

gesellschaftliche Graben noch grösser. Um sensible<br />

Daten nicht mittelfristig absehbar der Maxime der Profitmaximierung<br />

zu unterstellen, muss die E-ID ebenso wie jeder<br />

analoge Identitätsausweis weiterhin durch den Bund<br />

ausgestellt werden.<br />

Um den Service public weiterzuentwickeln, reicht es<br />

nicht, wenn der Bund nur eine minimale Kontrollmöglichkeit<br />

hat. Vielmehr kann der digitale Schweizer Pass (E-ID)<br />

eine Chance für bundesnahe Betriebe sein, um mit dem<br />

Bund als Eigner diese öffentliche Aufgabe wahrzunehmen<br />

und damit den Service public zu stärken. Weshalb die Post<br />

sich mit der aktiven Werbung für die Vorlage diesem Weg<br />

verschliesst, entzieht sich daher nicht nur jeglicher Logik,<br />

sondern ist auch ein gefährlicher Weg für die Zukunft des<br />

Service public.<br />

Lena Allenspach<br />

Öffentliche Stellungnahme von Daniel Münger<br />

vom 2.2. auf <strong>syndicom</strong>: Bit.ly/3jfe335<br />

Der «freie» Markt ist<br />

völlig verzerrt<br />

Giorgio Pardini, Leiter Sektor ICT und<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

Die Marktliberalisierung der Grundversorgung<br />

ab Mitte der 80er hat weltweit<br />

die Konkurrenz von Anbietern auf<br />

dem freien Markt verschärft. Das Primat<br />

des «wirksamen Wettbewerbs»<br />

wurde zum Leitstern des Welthandels<br />

und der nationalen Kartellgesetze. Die<br />

An wendung der Gesetze nimmt in der<br />

Schweiz die Wettbewerbskommission<br />

wahr, um den Missbrauch marktbeherrschender<br />

Stellungen durch Konzerne<br />

zu unterbinden. Seither ist es<br />

den Behörden im Prinzip verboten,<br />

Wettbewerbsbeschränkungen zu erlassen,<br />

auch wenn dies politisch und<br />

gesellschaftlich notwendig wäre.<br />

Aus der Deregulierung ist eine<br />

neue Welt der global handelnden Riesenkonzerne<br />

wie Google, Amazon,<br />

Face book, Apple oder Microsoft gewachsen.<br />

Über soziale Medien, Plattformökonomie<br />

und Logistik nehmen<br />

sie Monopolstellungen ein, die durch<br />

ihre Marktmacht den Wettbewerb ihrerseits<br />

verzerren. Vom Kartellrecht<br />

werden sie nur unzureichend erfasst.<br />

Sie benützen die staatliche Infrastruktur<br />

mit, aber umgehen oft den Fiskus<br />

via Steueroasen. Sie monopolisieren<br />

Innovationen und schränken die<br />

Wahl frei heit der Konsumierenden<br />

ein. Das Ausmass der Abhängigkeit<br />

der Gesellschaft von diesen Konzernen<br />

hat heute ein kritisches Mass erreicht.<br />

Hier besteht auch gewerkschaftlicher<br />

Handlungsbedarf.


«Die übernommenen Chauffeure beziehen Löhne unter den<br />

Standards, die PostAuto selbst festgelegt hat.» Dominique Gigon<br />

17<br />

PostAuto gibt den Fahrern<br />

von Favre gelbe Verträge<br />

Seit dem 1. Januar sind alle zwölf Chauffeure der Favre SARL,<br />

ein Subunternehmen von PostAuto, mit einem Vertrag des<br />

gelben Riesen unterwegs. Seit geraumer Zeit hatten sie auf<br />

schwere Missstände aufmerksam gemacht, bis sie mit Unterstützung<br />

von <strong>syndicom</strong> Gehör fanden. Die Arbeitsbedingungen<br />

haben sich verbessert, doch die Lohnpolitik des neuen Regiebetriebs<br />

bleibt enttäuschend und problematisch.<br />

Sie fahren zwischen Avenches, dem<br />

Waadtländer Vully und Ins und verbinden<br />

Schulen und Bahnhöfe, wo<br />

morgens und spätnachmittags ein<br />

grosser Andrang von Schülerinnen<br />

und Schülern herrscht – fast 90 Prozent<br />

ihrer Kundschaft. Die zwölf<br />

Chauffeure, die von der (Patrick) Favre<br />

SARL, einem Subunternehmen der<br />

PostAuto Schweiz AG, in der Waadtländer<br />

Broye angestellt waren, sind<br />

nach wie vor mit den gleichen gelben<br />

Bussen unterwegs, seit dem 1. Januar<br />

aber als Angestellte des «Regiebetriebs»<br />

– der so heisst, weil er immer<br />

noch zu 100 Prozent dem Bund gehört.<br />

Nach einer ganzen Reihe von Missständen<br />

bei der Favre SARL mobilisierten<br />

sich die Chauffeure mit Hilfe<br />

von <strong>syndicom</strong> und suchten den Dialog<br />

mit PostAuto Region Westschweiz<br />

(Yverdon).<br />

Kurz vor der Arbeitsniederlegung<br />

«Dieses Mal haben wir in Erwägung gezogen,<br />

die Busse im Depot zu lassen»,<br />

sagt André Chabloz, Chauffeur und<br />

Delegierter der Personalkommission,<br />

die zur Vertretung der Interessen der<br />

Favre-Angestellten ins Leben gerufen<br />

wurde. «Schon 2016 hatten wir versucht,<br />

PostAuto Region Westschweiz<br />

auf unsere Situation aufmerksam zu<br />

machen, die sich zunehmend verschlechterte<br />

– problematische Arbeitspläne,<br />

immer häufigere Lohnrückstände<br />

etc. Wir wurden an Patrick<br />

Favre verwiesen, obwohl wir aufgezeigt<br />

hatten, dass unsere Versuche<br />

bisher erfolglos geblieben waren.»<br />

Unbezahlte Überstunden<br />

Diese Episode wirft einmal mehr ein<br />

Schlaglicht auf gewisse intransparente<br />

Praktiken von PostAuto, die <strong>syndicom</strong><br />

schon früher angeprangert hat.<br />

Unter anderem die Bedingungen der<br />

Verträge mit den Subunternehmen.<br />

«Aufgrund der Grösse des Unternehmens<br />

hätte es zusätzliche Mittel gebraucht,<br />

um eine funktionierende<br />

Adminis tration und den Fahrzeugunterhalt<br />

sicherzustellen. Aber Post-<br />

Auto hat sich damals aus der Verantwortung<br />

gezogen. Aus dieser Situation<br />

haben wir gelernt. Wir haben auf Rat<br />

von <strong>syndicom</strong> eine Personalkommission<br />

gegründet, und dieses Mal sind<br />

unsere Forderungen angekommen»,<br />

erklärt André Chabloz. Denn neben<br />

den wiederkehrenden Problemen mit<br />

der Arbeitsplangestaltung warteten<br />

die meisten Chauffeure seit 2018 auf<br />

die Bezahlung ihrer Überstunden.<br />

Niedriglohnpolitik<br />

Dominique Gigon, Leiter Region Romandie<br />

bei <strong>syndicom</strong>, betont ebenfalls,<br />

dass die Missstände bei diesem<br />

Unternehmen schwerwiegend und<br />

anhaltend waren. Nachdem das Ausmass<br />

des Problems bekannt war, habe<br />

PostAuto aber konsequent und rasch<br />

reagiert. Trotz des Konkurses der<br />

Favre GmbH sei die Zahlung der Lohnrückstände<br />

übernommen worden.<br />

Hingegen bedauert er die widersprüchliche<br />

Lohnpolitik des Regiebetriebs.<br />

«Die Löhne bleiben sehr tief.<br />

Die Lohnbedingungen der übernommenen<br />

Chauffeure liegen unter den<br />

Standards, die PostAuto selbst festgelegt<br />

hat. In den nächsten Jahren muss<br />

es substanzielle Aufwertungen geben,<br />

um diesen Rückstand aufzuholen.»<br />

Kein Erfahrungsaufstieg<br />

André Chabloz von der Personalkommission<br />

zeigt sich zwar zufrieden mit<br />

der Verbesserung für einige der jüngsten<br />

Kollegen. Er kritisiert aber die Politik<br />

des gleichen Lohns für alle, der<br />

die Erfahrung nicht berücksichtigt<br />

und auf jeden Fall keine marktfähige<br />

Perspektive bietet. «Aber ich verliere<br />

die Hoffnung nicht. Wir haben jetzt einen<br />

Dienstchef, wir erhalten unsere<br />

Arbeitspläne weit im voraus – schon<br />

das ist ein Fortschritt. <strong>syndicom</strong> wird<br />

mich weiterhin dabei unterstützen,<br />

die Lohnverhandlungen voranzubringen.<br />

Ich möchte mich unter anderem<br />

für eine Erhöhung unseres Beschäftigungsgrads<br />

einsetzen, denn er ist<br />

nicht für alle geeignet. Die meisten<br />

Chauffeurinnen und Chauffeure der<br />

PostAuto Schweiz AG sind zu 80 Prozent<br />

angestellt. Die zahlreichen Überstunden,<br />

die wir seit Anfang Januar bereits<br />

angesammelt haben, dürften für<br />

uns sprechen.»<br />

Muriel Raemy<br />

Die Gleichstellung aller PostAuto Chauffeur*innen betrifft Lohn und Arbeitsbedingungen. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/gavpostauto<strong>21</strong>


18 Arbeitswelt<br />

«20<strong>21</strong> ist ein dreifaches Jubiläumsjahr für die Frauen.<br />

Alle Errungenschaften haben sie sich hart erkämpft.» Patrizia Mordini<br />

GAV Localsearch: Von der<br />

analogen in die digitale Welt<br />

Localsearch befindet sich mitten in der Transformation von<br />

der Herstellerin des analogen Telefonbuchs hin zur digitalen<br />

Begleiterin von KMU im Online-Dschungel. Ihr GAV hilft dabei.<br />

Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) bei<br />

Localsearch hat die digitale Umgestaltung<br />

nun bereits per 1. Januar 20<strong>21</strong> erfolgreich<br />

vollzogen. Der Inhalt des<br />

weiterentwickelten Gesamtarbeitsvertrags<br />

trägt den Veränderungen der Arbeitswelt<br />

durch die fortschreitende<br />

Digitalisierung Rechnung.<br />

Das Verhandlungsergebnis zeigt<br />

auf, dass in einer Sozialpartnerschaft<br />

auch während einer einschneidenden<br />

Krise und mit digitalen Mitteln gute<br />

Lösungen für die Arbeitnehmenden<br />

vereinbart werden können. Die Verhandlungen<br />

und Versammlungen<br />

konnten über digitale Kanäle nahtlos<br />

fortgeführt und schliesslich abgeschlossen<br />

werden.<br />

Lohn. Der neue Mindestlohn liegt<br />

bei 52 000 Franken und das Lohnsystem<br />

muss für die Mitarbeitenden<br />

transparent sein. Lohnkontrollen und<br />

Massnahmen zur Beseitigung von allfälligen<br />

Lohnunterschieden zwischen<br />

den Geschlechtern erfolgen jährlich.<br />

Für unregelmässige Nacht- und Sonntagsarbeit<br />

und Pikettdienst gibt es höhere<br />

Zuschläge.<br />

Arbeitszeit. Ab 20<strong>21</strong> gibt es mehr<br />

arbeitsfreie Zeit, zum Beispiel im Mutterschaftsurlaub<br />

von 18 Wochen zu<br />

100 % Lohn plus bis zu 4 Wochen unbezahltem<br />

Urlaub. Der Vaterschaftsurlaub<br />

dauert 3 Wochen zum vollen<br />

Lohn mit der Möglichkeit eines unbezahlten<br />

Urlaubs von 20 Arbeitstagen.<br />

Die Mitarbeitenden haben zudem ein<br />

ausdrückliches Recht auf Nicht-Erreichbarkeit<br />

in ihrer Freizeit.<br />

Homeoffice und Weiterbildung.<br />

Die Arbeit im Homeoffice ist grundsätzlich<br />

freiwillig, Localsearch muss<br />

die Mitarbeitenden mit dem nötigen<br />

Arbeitsgerät ausstatten. Die Arbeitgeberin<br />

hat auch dafür zu sorgen, dass<br />

die Mitarbeitenden über gesetz liche<br />

Bestimmungen und gesundheitliche<br />

Risiken informiert sind, die sie im<br />

Homeoffice berücksichtigen müssen.<br />

Die Weiterbildung unterstützt Localsearch,<br />

indem besonders auch Arbeitszeit<br />

zur Verfügung gestellt wird.<br />

Vom Telefonbuch zu Localsearch. Der neue GAV<br />

modernisiert auch die Arbeitsbedingungen.<br />

(© Digihelion, Stock.adobe.com)<br />

Schutz und Mitbestimmung. Der<br />

Schutz der Persönlichkeit und der<br />

Daten schutz werden ausgebaut. Mitarbeitende<br />

können bezüglich Gleichstellung/Diskriminierung<br />

kostenlos<br />

und anonym an eine externe Beratungsstelle<br />

gelangen.<br />

Ab zwanzig Anstellungsjahren sowie<br />

ab fünfzig Altersjahren bei zehn<br />

Anstellungsjahren gilt eine verlängerte<br />

Kündigungsfrist. Einen umfassenden<br />

Kündigungsschutz gibt es für die<br />

Mitglieder von Firmen- und Branchenvorständen<br />

sowie für die Mitglieder<br />

der Personalvertretung.<br />

Der Sozialplan schliesslich sieht<br />

nach Altersklassen abgestufte Massnahmen<br />

vor, die bei Stellenverlust auf<br />

eine möglichst baldige Anschlusslösung<br />

hinwirken.<br />

Digitale Rechte. Den Mitarbeitenden<br />

gehören die Rechte an Designs,<br />

Marken, Werken und Leistungen sowie<br />

Computerprogrammen, die während<br />

der Ausübung der dienstlichen<br />

Tätigkeit, aber nicht in Ausübung der<br />

arbeitsvertraglichen Pflichten, getätigt<br />

werden. Dies gilt auch für Entwicklung<br />

vor dem Arbeitsverhältnis<br />

oder in der Freizeit.<br />

Ein Gesamtarbeitsvertrag kann<br />

erst dann vereinbart werden, wenn<br />

beide Seiten dem Verhandlungsergebnis<br />

zustimmen können. In diesem<br />

Sinne gebührt der Dank den Mitgliedern<br />

der Verhandlungsdelegation,<br />

des Firmenvorstandes sowie der Delegation<br />

der Arbeitgeberin – im Andenken<br />

an den Verhandlungspartner, der<br />

kurz nach Inkrafttreten des GAV tragisch<br />

aus dem Leben geschieden ist.<br />

Daniel Hügli<br />

Alles zum neuen GAV:<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/branchen/it/localsearch<br />

Dreifacher Jubel für<br />

die Frauen!<br />

20<strong>21</strong> ist ein dreifaches Jubiläumsjahr:<br />

Wir feiern 50 Jahre Frauenstimm- und<br />

-wahlrecht, 40 Jahre Verankerung der<br />

Gleichstellung in der Bundesverfassung<br />

und 30 Jahre 1. Frauenstreik.<br />

Doch zum Jubeln scheint es mir<br />

nicht, wenn wir sehen, wie lange es<br />

zur Gleichstellung tatsächlich dauerte<br />

und dauert. Alle Errungenschaften haben<br />

sich die Frauen hart erkämpft.<br />

Erstmals verlangten 1868 Zürcherinnen<br />

anlässlich der Zürcher Verfassungsrevision<br />

vergebens ihr Stimmrecht.<br />

Kurz darauf gründeten erwerbstätige<br />

Frauen den Schweizerischen<br />

Arbeiterinnenverband, der 1893 das<br />

Stimm- und Wahlrecht für Frauen forderte.<br />

1904 nahm die SP das Frauenstimmrecht<br />

in ihr Programm auf. Diverse<br />

Stimmrechtsvereine schlossen<br />

sich 1909 zum Schweizerischen Verband<br />

für Frauenstimmrecht zusammen.<br />

1912 galt das Begehren offiziell<br />

als Kampfmittel gegen die Ausbeutung<br />

des Proletariats durch die kapitalistische<br />

Klasse.<br />

Ein ewig langer Kampf, mit mehreren<br />

verlorenen Abstimmungen, bis<br />

das eidgenössische Stimmrecht 1971<br />

Realität wurde. Doch erst nach einem<br />

Bundesgerichtsentscheid konnten<br />

wirklich alle – auch die Innerrhoder<br />

Frauen – kantonal abstimmen.<br />

Der Jubel gilt also den hartnäckigen<br />

Frauen und Wegbereiter*innen –<br />

gleich dreifach!!!<br />

Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung,<br />

Mitglied der Geschäftsleitung


«Trotz dem bekannten Tamedia-Mantra: Weniger Leute können<br />

nicht mehr Qualität und mehr Vielfalt schaffen.» Stephanie Vonarburg<br />

19<br />

Mehr sparen, weniger Zeitung<br />

Der Einheitsbrei aus dem Hause Tamedia breitet sich nun auch<br />

im Regionalteil aus. Das Personal verteidigt die Vielfalt und verlangt<br />

Information, Transparenz und einen guten Sozialplan.<br />

Im August 2020 hat Tamedia erneut<br />

einschneidende Sparmassnahmen<br />

angekündigt. Der Umfang wurde auf<br />

70 Millionen Franken angesetzt.<br />

Begründung: Rückgang der Werbeeinnahmen.<br />

Diese sind tatsächlich<br />

rückläufig und verschieben sich seit<br />

Jahren ins Internet. Die Corona-Krise<br />

hat im letzten Frühling einen zusätzlichen<br />

Rückgang verursacht – die Lage<br />

erholte sich aber im Lauf des Jahres.<br />

Mantelmodell nun auch regional<br />

Nun setzt die Tamedia-Leitung weitere<br />

Zentralisierungspläne um: die regionalen<br />

Zürcher Redaktionen müssen<br />

in Zukunft enger zusammenarbeiten.<br />

Betroffen sind der Tages-Anzeiger und<br />

die Zürcher Regionalzeitungen: Der<br />

Landbote, die Zürichsee-Zeitung, der<br />

Zürcher Unterländer und der Zürcher<br />

Oberländer. Zusammen bilden sie ab<br />

Juni 20<strong>21</strong> den «Zürcher Zeitungsverbund».<br />

In Zukunft gibt es somit nur<br />

eine Redaktion für die kantonale Berichterstattung.<br />

Die Zeitungen rücken<br />

organisatorisch wie inhaltlich zusammen.<br />

Die Konsequenz: Der Einheitsbrei<br />

breitet sich auch in der regionalen<br />

Berichterstattung aus.<br />

Bisher beschränkte sich das Mantelmodell<br />

auf die nationale und internationale<br />

Berichterstattung: Politik,<br />

Wirtschaft, Kultur, Sport. Nun kommt<br />

es für den Regionalteil, auch wenn die<br />

Redaktionen behalten werden. Benjamin<br />

Geiger, der designierte Chefredaktor<br />

der Zürcher Regionalzeitungen,<br />

beteuert, dass die einzelnen<br />

Zeitungen ihr Profil behalten und weiterhin<br />

ihr eigenes Publikum ansprechen<br />

würden. Und dennoch ist der<br />

Verlust der Medienvielfalt eingeleitet,<br />

wenn es nur noch eine zentrale Redaktion<br />

für den regionalen Mantel gibt.<br />

Tamedia hält an ihrem bekannten<br />

Mantra fest: Mit der Zusammenlegung<br />

der Redaktionen komme ein<br />

qualitativer Fortschritt und sie garantiere<br />

die Medienvielfalt. Ausgeblendet<br />

wird, dass die Zentralisierung ein<br />

Sparprojekt ist und wieder Stellen bei<br />

den Redaktor*innen und beim technischen<br />

Redaktionspersonal abgebaut<br />

werden. Wie viele, verrät der Verlag<br />

noch nicht. Die Entlassungen sollen<br />

Protestfrühstück 2017 bei Tamedia in Bern: Eine<br />

Form der Aktion, aber nicht die einzige. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

offenbar in Zürich und in Bern je einstellig<br />

bleiben. Klar ist, dass weniger<br />

Leute nicht mehr Qualität und mehr<br />

Vielfalt garantieren können.<br />

Und klar ist, dass das Personal einen<br />

guten Sozialplan erwartet, der<br />

sich an den besten der Branche orientiert:<br />

insbesondere am Sozialplan bei<br />

der SDA 2018 und bei Le Matin 2019.<br />

TX Group hat die Mittel dafür.<br />

Noch im letzten Frühling hat<br />

sie Dividenden im Umfang von 37<br />

Mio. Franken verteilt.<br />

Aktionen werden diskutiert<br />

In Bern wurde die Zusammenlegung<br />

von Bund und Berner Zeitung schon im<br />

Oktober angekündigt, aber auch hier<br />

sind bis heute keine Details der faktischen<br />

Fusion bekannt. Gleiches gilt<br />

für die Romandie. Nun formiert sich<br />

Widerstand. In der Deutschschweiz<br />

finden unter Beteiligung von <strong>syndicom</strong><br />

virtuelle Personalversammlungen<br />

über Redaktionen hinweg statt. Es<br />

wird diskutiert, ob Resolutionen, Petitionen,<br />

Aktionen oder gar Streiks organisiert<br />

werden sollen. In der Romandie<br />

will das Personal vorab wissen,<br />

woran es ist, bevor die Sozialplan-Verhandlungen<br />

aufgenommen werden.<br />

<strong>syndicom</strong> unterstützt überall das<br />

Personal in seinen Forderungen nach<br />

Transparenz, Respekt, Mitwirkung<br />

und Medienvielfalt und bei den Verhandlungen<br />

zum Sozialplan. Wie weit<br />

die Kolleg*innen dabei gehen müssen,<br />

wird auch vom Verhalten von Tamedia<br />

abhängen. Dass die Journalist*innen<br />

kämpfen können, haben<br />

sie in den letzten Jahren verschiedentlich<br />

bewiesen.<br />

Stephanie Vonar<br />

burg<br />

Unsere News-Seite zu den Medien:<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/aktuell/medien<br />

GAV PostAuto:<br />

Wieder auf Anfang<br />

Nach dem Verhandlungsunterbruch<br />

im Sommer 2020 und der Verlängerung<br />

– mit Verbesserungen – des Gesamtarbeitsvertrags<br />

(GAV) 2016 um<br />

ein Jahr wurden die Verhandlungen<br />

für den GAV PostAuto und PU nun am<br />

3. Februar 20<strong>21</strong> wieder aufgenommen.<br />

Die Verlängerung brachte Stabilität<br />

und ermöglicht uns, die Verhandlungen<br />

gelassener anzugehen. Das<br />

Ziel bleibt aber ehrgeizig: Damit der<br />

neue GAV im Januar 2022 in Kraft treten<br />

kann, müssen die Verhandlungen<br />

rechtzeitig abgeschlossen werden. Die<br />

Angestellten und Fahrer*innen, die<br />

nach wie vor mit den Änderungen von<br />

2016 und einer neuen Rechtsgrundlage<br />

leben, haben hohe Erwartungen.<br />

Deshalb operieren wir mit Arbeitsgruppen<br />

in Anwesenheit von Kolleg*innen<br />

der Basis. Die Themen sind<br />

komplex: Das neue Arbeitszeitmodell,<br />

die Ausnahmen nach AZG und das<br />

Format der Rahmenbedingungen für<br />

die PU-Unternehmen werden Gegenstand<br />

intensiver Verhandlungen sein.<br />

Es ist deshalb wichtig, die Angestellten<br />

laufend zu informieren. Die Gewerkschaft<br />

wird noch stärker vor Ort<br />

präsent sein, um den Puls zu fühlen.<br />

Bei Bedarf führen wir wieder Blitzumfragen<br />

durch und vereinbaren so die<br />

nächsten Schritte. Mit einer partizipativen<br />

Dynamik können wir die Delegation<br />

in ihren Aktionen während der<br />

Verhandlungen optimal unterstützen.<br />

Matteo Antonini ist Leiter des Sektors Logistik und<br />

Mitglied der <strong>syndicom</strong>-Geschäftsleitung


20 Arbeitswelt<br />

«Natürlich kann man ein Buch verschicken. Aber der Versand<br />

von Kleinstmengen rechnet sich kaum.» Tanja Messerli, SBVV<br />

Trotz Lockdown eine<br />

schwarze Null im Buchhandel<br />

Dank kreativen Buchhändlerinnen und solidarischen Kunden<br />

gelang es dem Schweizer Buchhandel, das Krisenjahr 2020 auf<br />

Vorjahresniveau abzuschliessen. Im Dezember verzeichnete die<br />

Branche sogar ein Umsatzplus von 6,4 Prozent.<br />

Buch in Karton packen, Adresse drauf,<br />

verschicken – man könnte glauben,<br />

dass es für Buchhandlungen ein Leichtes<br />

war, aufgrund der Corona-Krise<br />

vermehrt auf den Postversand zu setzen.<br />

Ein Trugschluss, wie Tanja Messerli,<br />

Geschäftsführerin des Schweizer<br />

Buchhändler- und Verleger-Verbands<br />

(SBVV), erklärt. «Natürlich kann man<br />

ein Buch verschicken. Bei den ohnehin<br />

geringen Margen rechnet sich der<br />

Versand von Kleinstmengen aber<br />

kaum.» Trotzdem sind zahlreiche<br />

Buchhandlungen der Krise mit viel<br />

Kreativität und Engagement begegnet.<br />

Das Buch kommt mit dem Velo<br />

«Unsere portofreie Velolieferung in<br />

Zürich Nord war eine gute Werbung<br />

für unsere Buchhandlung», sagt Ruth<br />

Schildknecht Bubendorf, Geschäftsführerin<br />

der Buchhandlung Nievergelt<br />

in Oerlikon. Die Kund*innen haben<br />

den Sondereffort belohnt. «Unsere<br />

Buchhandlung hat im gesamten Jahr<br />

eine solide Umsatzsteigerung gegenüber<br />

2019 erlebt», erklärt sie.<br />

Auch Marianne Sax, Inhaberin des<br />

gleichnamigen Bücherladens in Frauenfeld,<br />

verkündet ein «sehr gutes Geschäftsjahr<br />

2020»; genauso wie der<br />

Wie gross ist das Corona-Loch der Buchhandlungen<br />

nach der Krise? (© adrienne, stock.adobe.com)<br />

Bücher laden Appenzell, wo sich Inhaberin<br />

Carole Forster über ein «ausgesprochen<br />

gutes 2020» freut. «Wir<br />

konnten unsere Nähe zu den Kundinnen<br />

und Kunden spüren, die aus Solidarität<br />

und Kauf-lokal-Gedanken zu<br />

uns gekommen sind», berichtet Forster.<br />

Die Kleinen haben es<br />

besser geschafft<br />

Weniger euphorisch klingt es bei Orell<br />

Füssli Thalia, wo sich ein Teil des stationären<br />

Umsatzes während der Lockdowns<br />

auf den E-Commerce-Bereich<br />

verlagert hat. «Diese Verlagerung<br />

konnte die stationären Umsätze nicht<br />

kompensieren», sagt Mediensprecher<br />

Alfredo Schilirò. Auch Roman Horn,<br />

Geschäftsleitungsmitglied von Lüthy<br />

Balmer Stocker, erklärt: «Während<br />

dem ersten Lockdown haben wir sehr<br />

viel Umsatz verloren. Anschliessend<br />

konnte ein Teil des Umsatzes wieder<br />

aufgeholt werden. Die zweite Welle<br />

hat uns wieder Umsatz gekostet.» Und<br />

auch die Lesestoff-Buchhandlungen<br />

und -Verlage haben je nach Standort<br />

Umsatzrückgänge von bis zu 25 Prozent<br />

verzeichnet. Messerli vom SBVV<br />

ist nicht überrascht. «Vor allem kleine,<br />

inhabergeführte Buchhandlungen<br />

konnten während der Krise zulegen.»<br />

Nachhaltige Ideen zum<br />

Erhalt des Buchhandels gefragt<br />

Zum Jahresende konnte der Deutschschweizer<br />

Buchhandel insgesamt eine<br />

schwarze Null verzeichnen. Im Dezember<br />

gabs sogar ein Umsatzplus<br />

von 6,4 Prozent und das trotz gestrichener<br />

Sonntagsverkäufe. Doch das<br />

Resultat hat seinen Preis.<br />

«Die ,Wir schaffen das‘-Euphorie<br />

des ersten Lockdowns ist einer Ermüdung<br />

und Ernüchterung gewichen.<br />

Denn so wichtig Sympathie auch ist,<br />

die Buchhändlerin kann von der Velolieferung<br />

nicht leben, es braucht nachhaltigere<br />

Lösungen für den Erhalt<br />

dieses wichtigen Netzes von Buchhandlungen<br />

als Lieferanten von Kultur<br />

und Bildung», so Tanja Messerli.<br />

Nicole Krättli<br />

Das tun wir in der Branche Buch:<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/branchen/buchundmedienhandel<br />

CH Media Print<br />

tritt aus dem GAV aus<br />

Am 31. Dezember 20<strong>21</strong> läuft der Gesamtarbeitsvertrag<br />

für die grafische<br />

Industrie aus. Zu diesem Termin können<br />

die Unternehmen auch ihre Mitgliedschaft<br />

im Arbeitgeberverband<br />

Viscom kündigen und so aus dem GAV<br />

austreten. Dass Viscom 2018 einen Arbeitgeberverband<br />

ohne GAV gegründet<br />

hatte (P+C), veranlasste ebenfalls<br />

einige Betriebe zu diesem Schritt. Der<br />

Austritt von CH Media Print kommt<br />

daher nicht überraschend.<br />

Zwar verbleiben noch fast 300 Firmen<br />

unter dem GAV. Mit seinen zwei<br />

Druckzentren in Aarau und St. Gallen<br />

und 180 Beschäftigten ist CH Media<br />

aber ein sehr wichtiger Akteur im Zeitungsdruck.<br />

Deshalb nehmen wir diesen<br />

Entscheid, der von den Angestellten<br />

keineswegs gutgeheissen wird,<br />

sehr ernst. <strong>syndicom</strong> steht den Mitarbeitenden<br />

und ihren Vertreterinnen<br />

und Vertretern engagiert und motiviert<br />

zur Seite, damit sie auch ab 2022<br />

solide und sichere Arbeitsbedingungen<br />

haben.<br />

Unser Ziel ist, CH Media Print zum<br />

Verbleib im GAV oder zur Aushandlung<br />

eines Unternehmens-GAV mit<br />

<strong>syndicom</strong> (wie es bei Stämpfli geschah)<br />

zu bewegen. <strong>syndicom</strong> ist auch<br />

bereit, die Möglichkeit eines GAV nur<br />

für die Branche Zeitungsdruck zu prüfen,<br />

die Viscom bei der letzten Sitzung<br />

des Berufsamts der grafischen Industrie<br />

angesprochen hat.<br />

Angelo Zanetti ist Zentralsekretär Sektor Medien


«Die unsichtbare Hand des Marktes schnappt sich wieder das<br />

Filetstück und lässt die Reste für die Allgemeinheit.» Matthias Loosli<br />

<strong>21</strong><br />

Privatisierung der PostFinance?<br />

Unsinn bekämpfen!<br />

Der Bundesrat schlägt dem Parlament eine Privatisierung der<br />

PostFinance vor. Die Idee ist eine Gefahr für den gesamten Service<br />

public der Schweiz. <strong>syndicom</strong> wird sich mit allen Mitteln dagegen<br />

wehren, wenns sein muss, auch mit einem Referendum.<br />

Die Kommunikationswege, die Logistiknetze<br />

und die Fi nanz infra struktur<br />

sind zentral für das Funktionieren einer<br />

Wirtschaft und für eine selbstbestimmte<br />

Bevölkerung. Sie sind auch<br />

die wesentlichen Wettbewerbsvorteile<br />

des Post-Konzerns. Genau deshalb<br />

spricht man vom Service public als Gemeinwohl,<br />

vom Rückgrat der Schweiz.<br />

Wer diese Systeme aus den Händen<br />

gibt, überlässt sie profitorientierten<br />

Privaten und begibt sich in eine unerwünschte<br />

Abhängigkeit.<br />

Unerwünschte Folgen<br />

Die Idee einer Privatisierung von Post-<br />

Finance birgt weitreichende Gefahren<br />

– für die tausenden Arbeitnehmenden<br />

der Schweizerischen Post wie für die<br />

Allgemeinheit. Privatisierung und Liberalisierung<br />

gehen zulasten der ganzen<br />

Gesellschaft, indem die Qualität<br />

der Dienstleistungen abnimmt. Folglich<br />

sinkt die allgemeine Lebensqualität.<br />

Eine Zerstückelung der Post würde<br />

sich zudem negativ auf die Arbeitsbedingungen<br />

aller Post-Angestellten<br />

auswirken.<br />

Der Wert einer guten öffentlichen<br />

Grundversorgung wurde der Bevölkerung<br />

während der Coronakrise einmal<br />

mehr bewusst – nichts weniger als diese<br />

setzt der Bundesrat mit seinem Vorschlag<br />

aufs Spiel. Das ist nicht nur unverantwortlich,<br />

sondern es zeigt, wie<br />

weit entfernt der bürgerlich dominierte<br />

Bundesrat an den Bedürfnissen der<br />

Bevölkerung vorbeiregiert.<br />

Der Vorschlag zur Privatisierung<br />

ist ein hilfloser Versuch des Bundesrats,<br />

sich der Diskussion über die<br />

Staatsgarantie für PostFinance und<br />

über die Aufhebung des Kredit- und<br />

Hypothekarverbots zu entledigen. Dabei<br />

würde eine Kapitalgarantie die Zukunft<br />

von PostFinance langfristig sichern.<br />

Offensichtlich verweigert sich<br />

der Bundesrat dieser Diskussion aber<br />

aus ideologischen Gründen.<br />

«Unsichtbare Hand»<br />

Ein Beispiel, wie die Privatisierung einer<br />

Postbank abläuft, lieferte Deutschland.<br />

Dort ist die Postbank nach der<br />

Privatisierung in den 90er-Jahren an<br />

die Deutsche Bank übergegangen. Sie<br />

wird seitdem als Marke weitergeführt,<br />

mit der sich wenige Private das Vertrauen<br />

der Allgemeinheit erschleichen.<br />

Es ist auch die leidige Geschichte<br />

vom Filetstück, welches sich Private<br />

einverleiben, und den schwerverdaulichen<br />

Resten, die die «unsichtbare<br />

Hand des Marktes» nur zu gerne der<br />

Post zerstückeln, Service public aufs Spiel setzen?<br />

Wir sagen Nein! (© occitandu34; CC BY-SA4.0)<br />

Allgemeinheit überlässt. Oder anders<br />

gesagt: Gewinne privat, Verluste dem<br />

Staat.<br />

Untauglicher Weg<br />

Die PostFinance voll zu privatisieren,<br />

dürfte kaum mehrheitsfähig sein.<br />

Und selbst wenn das Parlament dem<br />

noch zustimmen würde: die 2,4 Millionen<br />

Kund*innen von PostFinance<br />

werden zu den Aussichten auf höhere<br />

Gebühren und eingeschränkte Leistungen<br />

ebenso Nein sagen wie die gesamte<br />

Schweizer Bevölkerung. Denn<br />

eine Zerschlagung des Post-Konzerns<br />

würde mit der Verschlechterung der<br />

postalischen Dienstleistungen einhergehen.<br />

Entsprechend entschieden<br />

und zuversichtlich ist <strong>syndicom</strong>, ein<br />

allfälliges Referendum zu gewinnen.<br />

Der Bundesrat riskiert mit dieser<br />

Strategie, wertvolle Zeit zu verlieren.<br />

<strong>syndicom</strong> wird deshalb alles daransetzen,<br />

dass bereits das Parlament neue<br />

Vorschläge verlangt.<br />

Matthias Loosli<br />

Nein zur Zerschlagung der Post auf<br />

<strong>syndicom</strong>.ch: Bit.ly/3rcMRou<br />

UberEats ist offiziell<br />

ein Postdienstleister<br />

Seit Jahren mahnt <strong>syndicom</strong>, dass<br />

Kurier dienste eine postalische Dienstleistung<br />

erbringen. Nun fällte die<br />

Postkommission (PostCom) einen<br />

wegweisenden Entscheid: Die Lieferdienste<br />

von Uber Eats fallen unter das<br />

Postgesetz. Pakete mit kalten oder<br />

warmen Mahlzeiten sind auch Pakete.<br />

Darum müssen Firmen, die Essen<br />

ausliefern, nicht nur die Post-<br />

Com-Standards wie den Mindestlohn<br />

einhalten, sondern auch einen GAV<br />

verhandeln. Sagt das Gesetz. «Dieser<br />

Entscheid geht in seiner Tragweite<br />

weit über die Firma Uber hinaus», sagt<br />

David Roth, Zentral sekretär von <strong>syndicom</strong>,<br />

«er ist die Grundlage dafür, dass<br />

Food kurier*innen in der Schweiz<br />

nicht prekarisiert werden.»<br />

Was nun folgt, schreibt der Gesetzgeber<br />

vor: Firmen, die postalische<br />

Dienstleistungen anbieten, sind meldepflichtig.<br />

Sie registrieren sich bei<br />

der PostCom und werden von ihr überprüft.<br />

Die Firmen führen mit den Personalverbänden<br />

Verhandlungen über<br />

einen Gesamtarbeitsvertrag.<br />

David Roth dazu: «<strong>syndicom</strong> ist im<br />

ständigen Austausch mit den Angestellten<br />

der Foodkurierfirmen und<br />

lädt die Firmen zum Dialog mit uns<br />

ein.» Fast 20 Kurierfirmen sind dieser<br />

Pflicht bereits ohne Druck des Gesetzes<br />

nachgekommen und haben mit<br />

<strong>syndicom</strong> den GAV «Velokurier und<br />

urbane Kurierdienstleistungen» abgeschlossen.<br />

Zentral ist neben den<br />

Mindestlöhnen vor allem die Mindest-Einsatzdauer.<br />

Sie verhindert,<br />

dass Kurier*innen auf Minutenbasis<br />

beschäftigt werden, wie das immer<br />

mehr Usus ist.<br />

Uber hat das Urteil der PostCom<br />

am Bundesverwaltungsgericht angefochten<br />

– so wie das dieser internationale<br />

Multi mit jedem Behördenentscheid<br />

tut. Uber fährt lieber seine<br />

Anwälte auf, statt sich ums Wohl seiner<br />

Angestellten zu kümmern.<br />

Matthias Loosli<br />

Zum Postcom-Entscheid auf <strong>syndicom</strong>.ch:<br />

t1p.de/08b5


22 Politik<br />

Zwei Kämpferinnen.<br />

Eine gemeinsame Sache.<br />

Generationengespräch zwischen<br />

Ruth Dreifuss und Tamara Funiciello<br />

Ruth Dreifuss und Tamara Funiciello haben einiges gemeinsam.<br />

Sie waren beide zu Beginn ihrer politischen Karriere Mitglieder<br />

des Berner Stadtrats und sind beide Vorkämpferinnen<br />

der Gleichstellung. Ruth Dreifuss wurde 1993 die zweite Frau,<br />

die es in den Bundesrat schaffte. 1999 wurde sie zur ersten<br />

Bundespräsidentin gewählt. Tamara Funiciello war Juso-Präsidentin<br />

(2016–19) und ist seit 2019 Nationalrätin. Beide haben<br />

einen gewerkschaftlichen Hintergrund. Patrizia Mordini, Leiterin<br />

Gleichstellung bei <strong>syndicom</strong>, traf sie zu einem Gespräch.<br />

Aufgezeichnet: Christian Capacoel<br />

Bild: zVg<br />

Wie hast du, Ruth, die Einführung<br />

des Frauenstimmrechts erlebt?<br />

Ruth Dreifuss: Wir waren zufrieden,<br />

wir hatten ein Menschenrecht und<br />

ein weiteres Mittel zur politischen<br />

Einflussnahme gewonnen – nach<br />

einem hundertjährigen Kampf. In<br />

Genf konnte ich seit 1960 abstimmen.<br />

Dafür hatte ich mich schon<br />

eingesetzt und ich engagierte mich<br />

stark während den folgenden elf<br />

Jahren.<br />

Und die Gewerkschaften?<br />

Die Gewerkschaften haben ihren<br />

Beitrag geleistet. Die treibenden<br />

Kräfte waren jedoch die alten und<br />

die neuen Frauenbewegungen.<br />

Welche Bedeutung hat dieses<br />

Ereignis für dich, Tamara?<br />

Tamara Funiciello: Ich kann mir<br />

nicht vorstellen, dass mir Rechte<br />

verweigert werden, nur weil ich eine<br />

Frau bin. Es ist absurd, dass das<br />

vor nicht allzu langer Zeit in der<br />

Schweiz noch so war. Es würde mich<br />

rasend machen.<br />

Ruth: Das habe ich 1959 erlebt. Die<br />

Kampagne gegen das Frauenwahlund<br />

-stimmrecht war eine tiefe<br />

Belei digung. Frauen wurden als<br />

Hexen, ja politische Un-Wesen dargestellt.<br />

Es war brutal. Auf der Frauenseite<br />

wurde appelliert und gefordert,<br />

aber kämpferische Figuren wie<br />

Iris von Roten wurden an den Rand<br />

gedrängt. Man fürchtete, dass Provokationen<br />

dem Anliegen der Frauen<br />

schaden würden. 1971 war es dann<br />

klar, dass der Durchbruch gelingt.<br />

Deshalb waren die Gegenargumente<br />

gemässigt, zum Teil aber immer<br />

noch paternalistisch: «Aus Liebe für<br />

die Frau», als würden wir um Liebe<br />

betteln, und nicht einfach ein<br />

Grundrecht erobern.<br />

Tamara: Spätestens seit dem Frauenstreik<br />

2019 schreibt sich jede Partei<br />

die Gleichstellung auf die Fahne.<br />

Doch wenn es ernst wird, fallen die<br />

Bürgerlichen zurück. Wie jetzt bei<br />

der AHV-Revision, die zulasten der<br />

Frauen gehen soll. Ich empfinde<br />

das, ich kann es nicht anders sagen,<br />

als Verarschung, es zeigt mir, dass<br />

die Stimme der Frauen nicht wirklich<br />

ernst genommen wird.<br />

Ruth: Ich empfinde das nicht so.<br />

Für mich stehen die Fortschritte im<br />

Vordergrund. Klar, es gibt noch viel<br />

zu tun. Ich würde trotzdem sagen,<br />

dass Frauen als politische Kraft<br />

ernst genommen werden. Es gab<br />

schon 12 Abstimmungen, wo die<br />

Männer überstimmt wurden, wie<br />

beim Eherecht, der Rassismus-Strafnorm<br />

oder der erleichterten Einbürgerung.<br />

«Pink-Washing» wird betrieben,<br />

weil wir als politische Kraft<br />

anerkannt werden. Persönlich habe<br />

ich mich in der Politik immer ernst<br />

genommen gefühlt, bei den Gewerkschaften<br />

war es etwas schwieriger.<br />

Als ich in den VPOD eintrat, waren<br />

Frauenthemen keine Priorität. Wir<br />

haben die Frauenkommission ohne<br />

Einverständnis der Gewerkschaftsspitze<br />

einberufen. Uns wurde vorgeworfen,<br />

dass wir die Gewerkschaft<br />

spalten. Wir blieben standhaft und<br />

erzwangen eine Anpassung der Statuten.<br />

Die Gewerkschaftsbewegung<br />

war auf die Männer als Alleinverdiener<br />

ausgerichtet. In gewissen Berufen<br />

wurden Frauen nicht aufgenommen<br />

und es kam vor, dass Frauen<br />

ihre Stelle verloren, sobald sie heirateten.<br />

Man träumte vom Familienernährer.<br />

Die Frau sollte von Arbeit<br />

befreit werden. Das hast du so nicht<br />

erlebt Tamara, oder? [Beide lachen.]<br />

Tamara: Nein, das habe ich nicht.<br />

Ich finde den Gedanken schön, dass<br />

wir heute auf euren Schultern stehen,<br />

und hoffe, dass die nächste<br />

Genera tion auf unseren Schultern<br />

stehen wird. Wir kämpfen um<br />

Wahlfreiheit unabhängig vom Geschlecht.<br />

Alle sollen entscheiden<br />

können, ob Erwerb oder Care-Arbeit<br />

Vorrang hat. Das benötigt gute Löhne,<br />

das haben die Gewerkschaften<br />

erkannt. Mehr Engagement wünsche<br />

ich mir für die Anerkennung<br />

der Care-Arbeit. Diese bis in die Gesamtarbeitsverträge<br />

mitzudenken,<br />

das gehört zu einer feministischen<br />

Gewerkschaftspolitik. Dieser Arbeit<br />

muss Zeit eingeräumt werden. Der<br />

Kampf um die Arbeitszeit wird ein<br />

entscheidender Kampf für die Gewerkschaften.<br />

Die letzte Abstimmung<br />

dazu liegt 20 Jahre zurück.<br />

Ruth: Bei der Arbeitszeit sind wir<br />

auf dem Stand der 60er-Jahre. Stillstand<br />

auch bei den Ferien. 1984<br />

konnten wir mit der Ferien-Initiative<br />

4 Ferienwochen erkämpfen. Wir<br />

hatten noch eine 5. Woche ab 50 gefordert.<br />

Als der Gegenvorschlag mit<br />

dem Sprung von zwei auf vier Wochen<br />

auf dem Tisch lag, hätte ich<br />

gerne die Initiative zurückgezogen.<br />

Es war nicht möglich, die Gremien<br />

davon zu überzeugen. Zu viele Kolleg*innen<br />

wollten einen totalen<br />

Sieg. Wir gingen also in den Abstimmungskampf<br />

und verloren schmerzhaft<br />

deutlich.<br />

Tamara: Etwas zu verteidigen im<br />

Wissen, dass es hinter den Erwartungen<br />

zurückbleibt, gehört zum


«Um ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen Care-Arbeit, Erwerbsarbeit und Familienoder<br />

Privatleben, ist die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit der Schlüssel.» Ruth Dreifuss<br />

23<br />

Schwierigsten. Auch wenn man<br />

überzeugt ist, dass es das bestmögliche<br />

Resultat ist. Ich kann hinter<br />

Kompromissen stehen, wenn sie in<br />

die richtige Richtung zeigen und einen<br />

Fortschritt darstellen. Dennoch<br />

braucht es die Kolleg*innen, die<br />

mehr fordern, die uns sagen: Das<br />

genügt nicht. Der Druck der Strasse<br />

treibt uns an, weiterzumachen.<br />

Ruth: Ja, es braucht den Druck von<br />

aussen. Gerade muss die Klima-<br />

Bewegung abwägen, ob sie einen<br />

Kompromiss beim CO2-Gesetz, der<br />

in die richtige Richtung geht, akzeptiert<br />

und für den nächsten Schritt<br />

auf rüstet. Oder ob sie den Kompromiss<br />

ablehnt und hofft, so ein besseres<br />

Gesetz erzwingen zu können.<br />

Meiner Meinung nach ist es nicht<br />

realistisch.<br />

Tamara: Auch ich hoffe, dass das<br />

CO2-Gesetz durchkommt. Ich sehe<br />

die Schwächen und dass es weiter<br />

gehen müsste. Es wäre trotz allem<br />

ein Fortschritt. Ein wichtiger Schritt<br />

auf der richtigen Strasse, die es aber<br />

weiterzugehen gilt.<br />

Ruth: Man muss dann aber sofort<br />

ansetzen. Man darf nicht hoffen,<br />

dass sich danach alles einfach entwickelt.<br />

Man muss es mit voller<br />

Kraft vorantreiben. Sonst geht es<br />

wie bei der AHV oder beim KVG.<br />

Dort herrscht Stillstand.<br />

Tamara: Wie war das 1997 bei der<br />

10. AHV-Revision? Ich habe den Eindruck,<br />

dass die Frauen gut eingebunden<br />

waren. In der aktuellen Diskussion<br />

kommen die Frauen zu<br />

kurz. Vor allem die bürgerliche Seite<br />

täte gut daran, dies zu ändern.<br />

Ruth: Heute ist es schwieriger, weil<br />

die Frauen nicht geeint sind. Es gibt<br />

Frauenstimmen, die eine Rentenaltererhöhung<br />

für Frauen befürworten.<br />

Doch du hast schon recht. Bei<br />

der 10. AHV-Revision – und da muss<br />

ich ein Loblied auf die Gewerkschaften<br />

singen – kam der «Gegenvorschlag»<br />

auf den eher konservativen<br />

Gesetzentwurf des Bundesrats von<br />

den Gewerkschaften und der Frauenbewegung<br />

ausserhalb des Parlaments.<br />

Das war schon ungewöhnlich,<br />

aber erfolgreich.<br />

Tamara: Wir sollten daraus lernen.<br />

Gewerkschaften und Frauenbewegungen<br />

sollten gemeinsam Gegenvorschläge<br />

entwickeln. Was wir heute<br />

auf dem Tisch haben, ist für die<br />

Frauen und Arbeiter*innen zu wenig.<br />

Ich bin gegen eine Erhöhung<br />

des Frauenrentenalters und ich bin<br />

prinzipiell gegen jegliche Erhöhung<br />

des Rentenalters. Es wäre eine weitere<br />

Umverteilung zugunsten der<br />

Reichsten, die in den letzten Jahren<br />

immer reicher geworden sind. Es<br />

braucht wieder eine Rückverteilung<br />

zugunsten der Arbeiter*innen.<br />

Ruth: Das Rentenalter ist wichtig.<br />

Doch wenn es um die Verkürzung<br />

der Arbeitszeit geht, steht für mich<br />

die Wochenarbeitszeit im Vordergrund.<br />

Um ein Gleichgewicht zu<br />

schaffen zwischen Care-Arbeit, Erwerbsarbeit<br />

und Familien- oder Privatleben,<br />

ist die wöchentliche Arbeitszeit<br />

der Schlüssel.<br />

Tamara: Völlig einverstanden.<br />

Wenn ich wählen müsste, würde ich<br />

mich ebenfalls für die Verkürzung<br />

der Wochenarbeitszeit entscheiden.<br />

Mir ist es dennoch wichtig, die Diskussion<br />

um das Rentenalter mit der<br />

um die Arbeitszeit zu verbinden.<br />

Ruth: Die Arbeitszeitfrage ist umso<br />

wichtiger, als die Arbeitgeber unter<br />

dem Deckmantel der Flexibilisierung<br />

die Arbeitszeit ausdehnen<br />

möchten. Dazu wird die Arbeitszeit<br />

immer mehr kontrolliert und optimiert.<br />

Zum Beispiel bei den Pöstler*innen,<br />

die im Sekunden- oder<br />

Minutentakt kontrolliert werden.<br />

Damit geht das Soziale verloren in<br />

einem Beruf, den sie als guten und<br />

stolzen Beruf betrachten. Es wird<br />

aber Überzeugungsarbeit brauchen.<br />

Denn einige fürchten sich bei einer<br />

kürzeren Arbeitszeit vor einer weiteren<br />

Verdichtung der Arbeit.<br />

Tamara: Private Paketzusteller*innen<br />

arbeiten teilweise im Akkord.<br />

Das ist eine Frechheit. Es wird behauptet,<br />

die Arbeiter*innen profitieren,<br />

wenn sie sich ihre Arbeit<br />

selbständig einteilen können. Das<br />

stimmt schlicht nicht. Der Grossteil<br />

arbeitet länger oder dann intensiver.<br />

Unkontrollierte Flexibilisierung<br />

bringt in der Regel eine Verschlechterung<br />

der Arbeitsbedingungen.<br />

Ruth: Um den Bedenken der Arbeitnehmer*innen<br />

entgegenzuwirken,<br />

ist es wichtig, dass die interne<br />

Demokra tie der Gewerkschaften<br />

funktioniert. Man muss auf die Kolleg*innen<br />

hören, die Tag für Tag<br />

an der Arbeitsfront schuften. Es<br />

braucht also nicht nur Überzeugungsarbeit<br />

von oben nach unten,<br />

sondern auch die Fähigkeit zuzuhören.<br />

Tamara: Und genau deshalb ist es<br />

wichtig, dass wir möglichst viele<br />

Kolleg*innen in den Gewerkschaften<br />

organisieren und aktivieren. Damit<br />

wir diese Diskussionen breit<br />

führen können. So können wir geeint<br />

auftreten und lassen uns nicht<br />

gegeneinander ausspielen.<br />

Jubiläums-Webseite zum Frauenstimmrecht:<br />

Hommage20<strong>21</strong>.ch


24 Politik<br />

Nur eine soziale Schweiz<br />

hat Zukunft<br />

Von Daniel Lampart, Chefökonom<br />

des SGB (Bild: SGB)<br />

Die Corona-Krise hat Anfang 2020<br />

wohl alle auf dem falschen Fuss erwischt.<br />

Doch während sich die<br />

Gewerk schaften früh sorgten, dass<br />

daraus auch eine schwere Wirtschaftskrise<br />

werden könnte, träumten<br />

Economiesuisse und Seco von<br />

einem kurzen Einbruch, der schon<br />

bald wieder vorbei sei. Träumen ist<br />

ja nicht verboten. Doch dieses Verharmlosen<br />

der schwierigen Lage<br />

bremste die Massnahmen zum<br />

Schutz der Löhne und Arbeitsplätze<br />

über Wochen aus. Es brauchte grossen<br />

Druck auf den Bundesrat, bis er<br />

die von uns Gewerkschaften geforderten<br />

Lohngarantien einführte.<br />

Prekäre Jobs besonders getroffen<br />

Endlich wurde die Kurzarbeit stark<br />

beschleunigt und ausgeweitet. Damit<br />

erhielten die Arbeitnehmenden<br />

in den geschlossenen Restaurants<br />

und Läden 80 Prozent ihres Lohnes<br />

und konnten ihre Stelle behalten.<br />

Es gab Lohnersatz für Eltern, die zu<br />

Hause zu ihren Kindern schauen<br />

mussten, und Gelder für Kulturschaffende<br />

und Selbständige.<br />

Dank Lohngarantien konnten<br />

viele Einkommen gesichert und<br />

viele Arbeitsplätze erhalten werden.<br />

Trotzdem ist die Lage nach wie vor<br />

sehr ernst. 50 000 Personen sind<br />

trotz Stabilisierungsmassnahmen<br />

arbeitslos geworden. Mehrere Hunderttausend<br />

Arbeitnehmende sind<br />

in Kurzarbeit. Im Januar 20<strong>21</strong> dürften<br />

mehr als 10 Prozent der Berufstätigen<br />

ohne Arbeit gewesen sein.<br />

Besonders schlimm trifft die<br />

Krise die Menschen, die bereits in<br />

normalen Zeiten Mühe haben, mit<br />

dem Lohn über die Runden zu kommen.<br />

Oder die befristet angestellt<br />

oder auf Stellensuche waren. Sie<br />

arbeiten oft in den behördlich geschlossenen<br />

Branchen – im Gastgewerbe,<br />

im Detailhandel oder in<br />

der Kulturbranche. Junge und ältere<br />

Arbeitslose haben es noch schwerer,<br />

wieder eine Stelle zu finden. Es<br />

droht die Aussteuerung.<br />

Psychisch ist die Krise für viele<br />

belastend. Für das Pflegepersonal,<br />

aber auch für die Paketlogistik, wo<br />

es enorme Mehrbelastungen gibt.<br />

Diese Arbeitnehmenden hätten eine<br />

gute Lohnerhöhung mehr als verdient.<br />

Auch das Homeoffice finden<br />

nicht alle gleich erträglich. Insbesondere,<br />

wenn Spannungen in der<br />

Familie auftreten. Oder wenn die<br />

Chefs Vorgaben machen, die im<br />

Homeoffice nicht zu erreichen sind.<br />

Arbeitslosigkeit rasch bekämpfen<br />

Die Sicherung der Löhne und Arbeitsplätze<br />

ist nicht nur heute, sondern<br />

auch für die Zukunft wichtig.<br />

Wir müssen in dieser schweren Krise<br />

die Strukturen möglichst erhalten.<br />

Damit es nachher rasch wieder<br />

aufwärts geht. Jeder Arbeitsplatz<br />

und jede Firma, die erhalten bleiben,<br />

sind bei einer Wiederaufnahme<br />

der Aktivität sofort produktiv.<br />

Was jetzt zerstört wird, muss mühsam<br />

wieder aufgebaut werden.<br />

Am dringlichsten ist die Verhinderung<br />

von Entlassungen. In erster<br />

Linie mit einer unbürokratischen<br />

Vergabe von Kurzarbeits- und Härtefallgeldern.<br />

Um Aussteuerung zu<br />

verhindern, braucht es zusätzliche<br />

ALV-Taggelder. Und Arbeitnehmende<br />

in Kurzarbeit sollen den vollen<br />

Lohn erhalten. Leider braucht es<br />

nach wie vor grossen Druck, damit<br />

sich der Bundesrat und insbesondere<br />

das Departement von Bundespräsident<br />

Parmelin bewegt.<br />

Zeit nach der Krise vorbereiten<br />

Wichtig ist auch, dass Bund und<br />

Kantone nun die Zeit nach der Krise<br />

vorbereiten. Die Arbeitslosigkeit<br />

muss rasch sinken. Früher hat die<br />

Schweiz immer wieder Krisen durch<br />

staatliche Sparprogramme verlängert.<br />

In den 90er-Jahren dauerte die<br />

Rezession bei uns zwei Jahre länger<br />

als im übrigen Europa. Konkret: Die<br />

in der Corona-Krise aufgelaufenen<br />

Defizite dürfen nicht über die Schuldenbremse<br />

wieder weggespart werden.<br />

Schliesslich hat die öffentliche<br />

Hand in den letzten Jahren für Krisen<br />

Reserven von über 50 Milliarden<br />

Franken angehäuft, die nun zur Verfügung<br />

stehen. Damit die Wirtschaft<br />

rasch wieder in Schwung kommt,<br />

sollten zudem die 5 Mrd. Franken<br />

an überschüssigen Reserven in den<br />

Krankenkassen nach dem Sommer<br />

an die Bevölkerung zurückgegeben<br />

werden. Das gibt etwas zusätzliche<br />

Kaufkraft zu einem Zeitpunkt, da sie<br />

dringend gebraucht wird.<br />

Die Krise hat der Schweiz wieder<br />

einmal die traurige Realität bei der<br />

Verteilung der Einkommen und der<br />

beruflichen Chancen vor Augen geführt.<br />

Gewerkschaftlich ist das eine<br />

der Grossbaustellen nach der Krise.<br />

Nachdem die Löhne mehr als vier<br />

Jahre kaum vom Fleck gekommen<br />

sind, braucht es einen Schub. Auch<br />

bei den Sozialabgaben ist die soziale<br />

Wende überfällig. Die Krankenkassenprämien<br />

steigen und steigen,<br />

während die Prämienverbilligungen<br />

in den Kantonen teilweise sogar zurückgefahren<br />

wurden. Die Altersvorsorge<br />

ist in Totalrevision. Das Parlament<br />

arbeitet auf Rentensenkungen<br />

hin. Die Gewerkschaften setzen sich<br />

hingegen dafür ein, dass die Renten<br />

nicht weiter sinken, sondern dass es<br />

wieder mehr Rente fürs Geld gibt –<br />

mit unserer Volksinitiative für die<br />

13. AHV-Rente.


Recht so!<br />

25<br />

Grüezi,<br />

ich habe eine Frage zur Überwachung<br />

am Arbeitsplatz: Ich arbeite in einem Callcenter.<br />

Meinen Kolleg*innen und mir wurde<br />

mitgeteilt, dass unsere Telefongespräche<br />

mit den Kundinnen und Kunden neu überwacht<br />

werden – angeblich zur Qualitätskontrolle.<br />

Ist das legal?<br />

Gibt es dafür allenfalls bestimmte<br />

Rahmen bedingungen oder kann mein<br />

Arbeitgeber nach seinem Gutdünken<br />

vorgehen?<br />

Ist auch eine durchgehende Überwachung<br />

zulässig oder muss sie zeitlich begrenzt<br />

sein? Was geschieht, wenn sich der Arbeitgeber<br />

nicht an eine allfällige zeitliche<br />

Begrenzung hält?<br />

Antwort des <strong>syndicom</strong>-Rechtsdienstes<br />

Gemäss dem Datenschutzbeauftragten des Bundes<br />

(EDÖB) dürfen geschäftliche Gesprächsinhalte vom<br />

Arbeit geber nur abgehört oder aufgenommen werden,<br />

wenn sie der Beweissicherung oder der Leistungskontrolle<br />

dienen. Ausschliesslich in diesem Rahmen<br />

ist diese Praxis also rechtmässig.<br />

Private Telefongespräche hingegen dürfen vom Arbeitgeber<br />

nicht überwacht werden, denn dies ist zur Durchführung<br />

des Arbeitsvertrages nicht erforderlich und stellt<br />

einen Verstoss gegen den Persönlichkeitsschutz dar.<br />

Dies kann ausserdem strafrechtlich verfolgt werden.<br />

Das Strafgesetzbuch setzt für eine rechtmässige Abhörung<br />

oder Aufnahme von Gesprächen die Einwilligung aller<br />

Gesprächsteilnehmenden voraus. Die Personen, deren<br />

Gespräch aufgezeichnet oder mitgehört wird, müssen davon<br />

eindeutig und rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden<br />

und damit einverstanden sein.<br />

Gelegentliches Abhören oder Aufzeichnen fremder Gespräche,<br />

d. h. zwischen Angestellten und Kundinnen und<br />

Kunden, ist in einem Callcenter denkbar. Die Information<br />

der Angestellten über die Abhörung erfolgt in der<br />

Regel bei jedem einzelnen Gespräch durch ein optisches<br />

oder akustisches Signal.<br />

Eine ununterbrochene Überwachung ist nicht mit dem<br />

Persönlichkeitsschutz vereinbar. Für die Qualitätskontrolle<br />

im Interesse des Arbeitgebers ist es mit dem Persönlichkeitsschutz<br />

hingegen vereinbar, wenn Gespräche nur<br />

über eine ausgewählte Zeitspanne abgehört und aufgezeichnet<br />

werden. In diesem Fall müssen die Angestellten<br />

rechtzeitig und eindeutig über die Zeitspanne informiert<br />

werden, während der sie auf diese Weise überwacht werden<br />

könnten. Dauer und Häufigkeit der Abhörungen müssen<br />

aus Gründen des Persönlichkeits- und Gesundheitsschutzes<br />

am Arbeitsplatz verhältnismässig sein.<br />

Wenn der Arbeitgeber die Voraussetzungen und Regeln<br />

bei der Telefonüberwachung nicht einhält, kann dies<br />

als widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung gemäss<br />

dem Datenschutzgesetz (DSG) gerichtlich angefochten<br />

werden. Auch strafrechtliche Sanktionen sind möglich.<br />

Schliesslich darf der Arbeitgeber die Aufzeichnungen<br />

bis zur Erfüllung des entsprechenden Zweckes aufbewahren<br />

und muss sie anschliessend vernichten.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/rechtso


26 Freizeit<br />

Tipps<br />

© ILO<br />

Rentenplanung: Welches<br />

Einkommen habe ich im Alter?<br />

Die finanzielle Situation nach der<br />

Pensionierung zu planen und zu berechnen,<br />

ist nicht einfach. Um dies<br />

zu lernen, organisiert Movendo –<br />

das Bildungsinstitut der Gewerkschaften<br />

– einen eintägigen Kurs.<br />

Unter anderem wird dir erklärt und<br />

gezeigt, wie du deine AHV-Rente<br />

berechnest, wie hoch deine Rente<br />

aus der Pensionskasse sein wird,<br />

wie du deinen Vorsorgeausweis liest<br />

und wie deine Ergänzungsleistungen<br />

funktionieren und wie du sie<br />

beantragen kannst.<br />

Den Mitgliedern von <strong>syndicom</strong><br />

werden die Kosten für den Kurs inklusive<br />

der Verpflegung erstattet<br />

(pro Jahr ein Kurs).<br />

Interessiert daran, mehr über<br />

deine finanzielle Situation nach der<br />

Pensionierung zu erfahren? Dann<br />

melde dich an zum Kurs «Rentenplanung:<br />

Welches Einkommen habe<br />

ich im Alter?»<br />

Wann: 7. Juni 20<strong>21</strong><br />

9.15 Uhr bis 16.45 Uhr<br />

Wo: Basel, Hotel Odelya<br />

Wer: Ruzhdi Ibrahimi (Unia)<br />

Nimm den Vorsorgeausweis deiner<br />

Pensionskasse mit!<br />

Sharada Iser<br />

Alle Kurse:<br />

Movendo.ch<br />

ILO: «First Person Covid-19<br />

stories»<br />

Um den Stimmen aus der globalen<br />

Arbeitswelt des Corona-Jahres 2020<br />

genug Aufmerksamkeit zu schenken,<br />

hat die Internationale Arbeitsorganisation<br />

(ILO) 75 Videos zusammengetragen:<br />

Arbeitnehmende,<br />

Studierende, Politikerinnen und<br />

Arbeit geber erzählen, wie sie die<br />

Corona­ Krise erlebt haben und was<br />

getan werden muss, um die Krise zu<br />

bewältigen. Schau rein und mach<br />

dir ein Bild über die Situation der<br />

Arbeitnehmenden auf der ganzen<br />

Welt! Die Videos werden laufend<br />

ergänzt.<br />

So hat etwa der Arbeitgeberverband<br />

in Kamerun Arbeitgebende<br />

aufgefordert, keine Entlassungen<br />

vorzunehmen, sagt dessen Präsident<br />

Célestin Tawamba in seinem<br />

Video. Stattdessen sollten sie sich<br />

anpassen und verändern, insbesondere<br />

durch die Reduzierung der Arbeitszeit<br />

oder die Einführung von<br />

Teil urlaub. Er betont, dass die Menschen<br />

im Zentrum der Entwicklung<br />

stehen müssen.<br />

Da viele Leute ihren Job verloren<br />

haben, sind Gewerkschaften hochbeschäftigt,<br />

sagt Inga Ruginiene,<br />

Präsidentin des Litauischen Gewerkschaftsbunds.<br />

Denn Covid-19<br />

ist etwas Neues, das noch durch<br />

kein bestehendes Gesetz zum<br />

Arbeits schutz abgedeckt ist, meint<br />

auch Maria Fernanda, die stellvertretende<br />

Generalsekretärin der<br />

Gewerk schaft der angolanischen<br />

Arbei ter*innen. Die Präsidentin des<br />

japanischen Gewerkschaftsbundes,<br />

Akiko Gono, betont ausserdem,<br />

dass besonders Teilzeitbeschäftigte<br />

betroffen seien, da es ihnen an Arbeitsrechten<br />

fehlt.<br />

Die Stimmen aus aller Welt zeigen,<br />

dass Gewerkschaften eine<br />

enorm wichtige Rolle spielen – jetzt<br />

mehr denn je!<br />

Sharada Iser<br />

Zu den Videos:<br />

ilo.org/covid-19-stories<br />

Festival der Menschenrechte<br />

auch 20<strong>21</strong> online<br />

2020 fiel das Internationale Filmfestival<br />

und Forum für Menschenrechte<br />

(FIFDH) der Pandemie zum<br />

Opfer. Das Festival, das jährlich in<br />

Genf zeitgleich mit der Hauptsession<br />

des UNO-Menschenrechtsrats stattfindet,<br />

konnte nur virtuell durchgeführt<br />

werden. Auch andere Veranstaltungen<br />

weltweit übernahmen<br />

das durch die Pandemie erzwungene<br />

Modell des Online-Festivals.<br />

140 000 Menschen sahen sich auf<br />

YouTube und Facebook die dreissig<br />

Debatten an, die auf dem Programm<br />

standen. Aus den Gesprächen mit<br />

den geladenen Gästen entstand<br />

zudem der erfolgreiche Pod cast<br />

«Utopia 3 ».<br />

Auch das diesjährige FIFDH findet<br />

online statt. Vom 5. bis 14. März<br />

werden im Internet die besten Filme<br />

zu Themen wie Klimawandel,<br />

soziale Kluft und Menschenrechte<br />

zu sehen sein. Themen, die durch<br />

die Pandemie (und die folgende<br />

Wirtschaftskrise) nicht verdrängt<br />

wurden und mit Aktivistinnen,<br />

Künstlern und Vertreterinnen von<br />

NGOs und Institutionen diskutiert<br />

werden.<br />

Die Durchführung im Inter net<br />

bietet auch Vorteile und ermöglicht<br />

einem breiteren Publikum die Teilnahme:<br />

Jeden Abend können auf<br />

der Website des FIFDH Diskussionen<br />

mit internationalen Gästen (wie<br />

Angela Davis) verfolgt und Fragen<br />

gestellt werden. Bestätigt ist auch<br />

die Teilnahme des chinesischen<br />

Künstlers Ai Weiwei. Er ist Autor des<br />

Dokumentarfilms «Coronation», der<br />

während der Pandemie in Wuhan<br />

heimlich gedreht wurde. Zum<br />

50-Jahre-Jubiläum des Frauenstimmrechts<br />

in der Schweiz folgt<br />

das Festival ab März den Spuren von<br />

Frauen, die den öffentlichen Raum<br />

erobert haben.<br />

Giovanni Valerio<br />

Internationales Festival und Forum für<br />

Menschenrechte: FIFDH.org


1000 Worte<br />

Ruedi Widmer<br />

27


28 Bisch im Bild Februar 20<strong>21</strong>: Homeoffice hat uns alle fest im Griff. Auch <strong>syndicom</strong>! Als Gewerkschaft<br />

wissen wir natürlich, dass hinter jedem Arbeitsplatz – egal ob im Betrieb<br />

oder zu Hause – ein Mensch steckt. Kannst du raten, hinter welchem Arbeitsplatz<br />

welche*r <strong>syndicom</strong>-Mitarbeiter*in steckt? Auflösung rechts oben!<br />

1<br />

Elisabeth Fannin<br />

Regionalsekretärin Buch<br />

in Zürich<br />

«Ich liebe Besuch, um gemeinsam zu<br />

essen und zu diskutieren.<br />

Zum Glück hat es genug Platz, um bei<br />

fortgeschrittenem Abend zu tanzen.<br />

Ich freue mich darauf!»<br />

2<br />

Nicola Morellato<br />

Regionalsekretär<br />

im Tessin<br />

«Die Arbeit und das Familienleben finden<br />

am gleichen Tisch statt!»<br />

3<br />

Virginie Zürcher<br />

Regionalsekretärin Logistik<br />

in Lausanne<br />

«Ich brauche keinen Hintergrund-Effekt<br />

auf Teams, ich habe schon die perfekte<br />

Wand!»<br />

(Alle Fotos wurden von privat zur Verfügung gestellt!)


1. Die ultimative Wand von Virginie Zürcher, Regionalsekretärin Logistik in Lausanne<br />

2. Der Wohn-Arbeitsplatz (und die Drohne) von Rodolphe Bongiovanni, Mitarbeiter Administration,<br />

Romandie<br />

3. Das belebte Spielzimmer von Azra Ganic, Regionalsekretärin ICT in Zürich<br />

4. Die nicht zu knappe Bibliothek von Elisabeth Fannin, Regionalsekretärin Buch in Zürich<br />

5. Die Arbeitsecke mit «Votivbild» von Fabio Wihler, Regionalsekretär Logistik in Biel<br />

6. Der ganz grosse Tisch von Nicola Morellato, Regionalsekretär im Tessin<br />

29<br />

Rodolphe Bongiovanni<br />

Mitarbeiter Administration<br />

in der Romandie<br />

«Im Büro oder wie hier bei uns zu Hause<br />

bin ich eine der ersten Kontaktpersonen<br />

für unsere Mitglieder. Passt gut auf<br />

euch auf und zögert nicht, uns bei<br />

Problemen anzusprechen!»<br />

4<br />

5<br />

Azra Ganic<br />

Regionalsekretärin ICT<br />

in Zürich<br />

«Durch das Homeoffice habe ich mehr<br />

Zeit für meine Kinder, da der Arbeitsweg<br />

wegfällt und ich über die Mittagszeit zu<br />

Hause bin.»<br />

6<br />

Fabio Wihler<br />

Regionalsekretär Logistik<br />

in Biel<br />

«Jimi und ich im Homeoffice, da kommt<br />

gute Stimmung auf, das ist sicher!»


30<br />

Aus dem<br />

Leben von ...<br />

Thomas Burger: «Freiheit und Solidarität<br />

sind die zwei Seiten einer Medaille»<br />

Thomas Burger, geboren am 2. April<br />

1952, aufgewachsen in Zürich-Altstetten,<br />

Lehre als Fernmelde-, Elektro- und<br />

Apparate-Monteur (FEAM) bei Siemens<br />

Albis. 1988 Beginn der Ausbildung als<br />

Fernmeldespezialist bei der damaligen<br />

PTT, Weiterbildung an der Technikerschule,<br />

Wechsel in die Informatik,<br />

Nachdiplom u. a. in Betriebswirtschaft<br />

und Projektmanagement. Bis zur Pensionierung<br />

2017 bei Swisscom tätig.<br />

Eintritt in die Gewerkschaft 1989<br />

(PTT-Union), Engagements u. a. im Vorstand<br />

der Sektion Zürich Telecom, in<br />

Branchen- und Firmenkonferenzen,<br />

Präsident der Interessengruppe (IG)<br />

Pensionierte seit Frühling 2019. Wohnt<br />

seit 2015 in einer 2½-Zimmer-Genossenschaftswohnung<br />

auf dem Hunziker-<br />

Areal in Zürich-Oerlikon.<br />

Text: Suleika Baumgartner<br />

Bild: Patrick Gutenberg<br />

Immer in Bewegung<br />

«Heute Morgen war ich zwei Stunden<br />

zu Fuss unterwegs. Ich konnte sehen,<br />

wie die Sonne aufging, und hatte<br />

eine prächtige Aussicht über die<br />

Stadt Zürich. Das macht gleich gute<br />

Laune! Seit ich pensioniert bin, mache<br />

ich das fast täglich. Oder ich fahre<br />

Velo oder schwimme. Wenn ich<br />

mich nicht bewege, dann fehlt mir<br />

etwas. Ich würde sogar meinen, dass<br />

mich die körperlichen Aktivitäten davor<br />

geschützt haben, während der<br />

anspruchsvollen letzten Berufsjahre<br />

auszubrennen.<br />

In die PTT-Union eingetreten bin<br />

ich 1989, nachdem ich im Jahr zuvor<br />

eine Ausbildung bei der Telecom<br />

PTT begonnen hatte. Als Sohn eines<br />

Gewerkschafters war es für mich<br />

selbstverständlich, auch einer zu<br />

werden. Schon bald wurde ich für<br />

den Vorstand der Sektion Zürich<br />

Telecom angefragt. Später war ich<br />

noch in weiteren Gremien tätig – in<br />

der zweiten Hälfte meines Berufslebens<br />

war ich immer mehr zum Informatiker<br />

geworden, und mein Arbeitgeber<br />

hiess mittlerweile Swisscom.<br />

Allerdings reduzierte ich Mitte der<br />

1990er-Jahre mein gewerkschaftliches<br />

Engagement. Mein Vater, der<br />

seit dem frühen Tod meiner Mutter<br />

allein lebte, erkrankte an Parkinson.<br />

Ich unterstützte und pflegte ihn bis<br />

zu seinem Tod.<br />

Für mich zählen das Gemeinwohl<br />

und die Selbstbestimmung. Solidarität<br />

und Freiheit sind die zwei Seiten<br />

derselben Medaille. Und deshalb ist<br />

meine zweite Herzensangelegenheit<br />

die Genossenschaft. Ich engagiere<br />

mich in zwei Quartiergruppen auf<br />

dem Hunziker-Areal in Oerlikon.<br />

Hier wohnen in 13 Gebäuden mehr<br />

als 1200 Menschen.<br />

Mit meiner langjährigen Partnerin,<br />

die in Zürich-Höngg wohnt, teile<br />

ich das Interesse an Live-Musik.<br />

Geistig fit halte ich mich mit dem<br />

Lesen von Fachliteratur: Mich interessieren<br />

Soziologie und Wirtschaftspolitik.<br />

Ich bin gerne gefordert, doch alleine<br />

kann ich wenig erreichen. Auch<br />

als Präsident der IG Pensionierte<br />

sehe ich mich als Mannschaftsspieler.<br />

In meinen ersten 20 Monaten ist<br />

es mir gelungen, ein Dutzend Kolleg*innen<br />

zu finden, die mithelfen,<br />

dass die Interessen der Pensionierten<br />

auch innerhalb von <strong>syndicom</strong><br />

besser wahrgenommen werden.<br />

Wir möchten Ideen entwickeln, um<br />

gemeinsam voranzukommen. Bewegung<br />

in einer Organisation ist nur<br />

miteinander möglich. Die überarbeitete<br />

Webseite steht kurz vor der Lancierung.<br />

Nun geht es darum, bei sozialpolitischen<br />

Themen wirkungsvoll<br />

zu agieren, sei das die Altersvorsorge,<br />

die Gesundheit, der Service public<br />

oder die Digitalisierung. Hierbei<br />

ist es mir ein Anliegen, dass wir uns<br />

als IG stärker in den Dachorganisationen<br />

einbringen.<br />

Weil zwei meiner drei Schwestern<br />

im Wallis leben, bin ich immer wieder<br />

gerne bei ihnen zu Besuch. Half<br />

ich früher im Sommer auf dem Bauernhof<br />

aus, sind es heute Bergtouren<br />

und Ausflüge mit den Schneeschuhen,<br />

die mich dorthin ziehen. Und<br />

immer bin ich in Bewegung.»<br />

Hier gehts zur neuen Webseite der IGP:<br />

https://pensionierte.<strong>syndicom</strong>.ch


Impressum<br />

Redaktion: Christian Capacoel, Giovanni Valerio,<br />

Marc Rezzonico<br />

Tel. 058 817 18 18, redaktion@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Freie Mitarbeit: Rieke Krüger<br />

Porträts, Zeichnungen: Katja Leudolph<br />

Fotos ohne ©Copyright-Vermerk: zVg<br />

Layout und Druck: Stämpfli AG, Wölflistrasse 1, Bern<br />

Adressänderungen: <strong>syndicom</strong>, Adressverwaltung,<br />

Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern<br />

Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17<br />

Inserate: priska.zuercher@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Abobestellung: info@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Abopreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für<br />

Nichtmitglieder: Fr. 50.– (Inland), Fr. 70.– (Ausland)<br />

Verlegerin: <strong>syndicom</strong> – Gewerkschaft<br />

Medien und Kommunikation, Monbijoustr. 33,<br />

Postfach, 3001 Bern<br />

ISSN 2571-5992<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.<br />

Ausgabe <strong>Nr</strong>. 22 erscheint am 16. April 20<strong>21</strong><br />

Redaktionsschluss: 8. März 20<strong>21</strong>.<br />

31<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Kreuzworträtsel<br />

Zu gewinnen gibt es wieder einen Coop-<br />

Gutschein im Wert von 40 Franken, gespendet<br />

von unserer Dienstleistungspartnerin<br />

Coop. Das Lösungswort wird<br />

in der nächsten Ausgabe zusammen mit<br />

dem Namen der Gewinnerin oder des<br />

Gewinners veröffentlicht.<br />

Lösungswort und Absender auf einer<br />

A6-Postkarte senden an: <strong>syndicom</strong>-<br />

Magazin, Monbijoustrasse 33, Postfach,<br />

3001 Bern.<br />

Einsendeschluss ist der 8. März.<br />

Der Gewinner<br />

Die Lösung des Kreuzwort rätsels aus<br />

dem <strong>syndicom</strong>-Magazin <strong>Nr</strong>. 20 lautet:<br />

GUTES HOMEOFFICE.<br />

Gewonnen hat Peter Schwab aus Siselen.<br />

Der Gutschein unserer Partnerin Coop<br />

ist unterwegs.<br />

Wir gratulieren herzlich!<br />

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