01.02.2023 Aufrufe

syndicom magazin Nr. 33

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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syndicom

Nr. 33 Januar-Februar 2023

magazin

Wir alle

sind die

Schweiz


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Klimafreundliche

Banken?

Ja, das geht.

Wir haben Träume.

Und verwirklichen sie.

Jetzt aktiv werden.

#dreampeace


Inhalt

4 Kurz und bündig

5 Gastautorin

6 Dossier:

Arbeit und Migration

14 Bessere Arbeitswelt

18 Politik

20 Die andere Seite

21 Recht so!

22 Freizeit

24 Bisch im Bild

26 Aus dem Leben von ...

27 Kreuzworträtsel

Liebe Leserinnen und Leser

Und was arbeitest du?

Das ist eine der ersten Fragen, die man häufig

auf Partys, bei einem Abendessen oder in einer

Bar hört, wenn man sich vorstellt. Die Arbeit

charakterisiert uns und steckt uns in eine

Schublade.

Unsere Arbeit prägt auch den Kreis unserer

Bekannten und Freund:innen. Die Arbeit bietet

ein hervorragendes Mittel zur Integration.

Am Arbeitsplatz lernt man die Gepflogenheiten

und das Zusammenleben einer Gesellschaft. Im

Idealfall verwirklicht man sich und fühlt sich als

Teil der Gemeinschaft, mit Kolleg:innen, die

auch an einer anderen Kultur interessiert sind.

Der Arbeitsplatz ist auch der einzige Ort, an

dem ausländische Arbeitnehmende eine Stimme

haben. Sonst vom Stimmrecht ausgeschlossen,

können sie sich in Personalkommissionen und

Gewerkschaften für ihre Rechte und die Rechte

ihrer Kolleg:innen einsetzen und für sie kämpfen.

Kurzum: Politik machen. Inklusion und Partizipation

beginnen genau hier, am Arbeitsplatz.

Deshalb unterstützt syndicom ausländische

Arbeitnehmende durch Interessengruppen.

Dies zeigen die Erfolgsgeschichten von Augustin

Mukamba, einem Angestellten der Schweizerischen

Post (Seite 8), und dem kurdischen Journalisten

Rüstü Demirkaya (Seite 12), die in dieser

Ausgabe zum Thema Migration, Arbeit und

Gewerkschaften erzählt werden.

Gute Lektüre!

6

18

20

Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung und

Mitglied der Geschäftsleitung bei syndicom


4 Kurz und

bündig

Kompromiss bei Payot-Buchläden \ Wertlose Rentenzuschläge

dank AHV21 \ Lohnpetition an die Post \ Mehr Geld in den Callcentern \

Aktionen für mehr Lohn bei PostAuto \ Christian Tirefort verstorben \

Post-GAV verlängert

Schutz für Personal von Payot

Payot, die Buchladenkette in der Westschweiz,

steckt in finanziellen Schwierigkeiten

und droht mit massiven

Kürzungen. Durch den ausgehandelten

Kompromiss können Entlassungen vermieden

und weitere Verschlechterungen

verhindert oder zeitlich begrenzt werden.

Die Mitarbeitenden haben mit

80,9 % zugestimmt (Beteiligung: 81,6 %).

syndicom und Unia unterzeichneten die

Vereinbarung, kritisierten jedoch, dass

weder Peko noch Gewerkschaften in das

Stimmverfahren einbezogen waren.

Neuer Hohn bei AHV21

Mit der AHV21-Reform wurde versprochen,

dass Frauen, die von der Anhebung

ihres Rentenalters betroffen sind,

Rentenzuschläge erhalten würden. Aber

jetzt hat der Bundesrat ein technisches

Schlupfloch gefunden. Folge: Wenn die

Inflation unverändert bleibt, sind die

zugesagten Zuschüsse in 20 Jahren nur

noch die Hälfte wert, die Jahrgänge

der Übergangsperiode bleiben auf der

Strecke. Der SGB hatte bereits zum Referendum

angemahnt, die Ausgleichsmassnahmen

seien unzureichend. In der

vom Bundesrat vorgeschlagenen Umsetzung

klingen sie wie ein Hohn.

8400 Unterschriften für

Lohnerhöhung bei der Post

In den diesjährigen Lohnverhandlungen

fordert syndicom 4,4 % der Lohnsumme

für Lohnerhöhungen. Alle sollten mindestens

200 Franken pro Monat mehr

erhalten (inkl. 13.). 8400 Postangestellte

(fast ein Drittel der dem GAV Unterstellten)

unterzeichneten eine Petition

dazu. Die Unterschriften wurden am

14. Dezember an Valérie Schelker, Konzernleitung

Post, am Hauptsitz in Bern

übergeben (auf dem Foto mit Matteo

Antonini, Leiter Logistik syndicom).

Contact- und Callcenter +3 %

Gute Neuigkeiten für 4400 Arbeitende

in der Contact- und Callcenter-Branche.

Die im Gesamtarbeitsvertrag festgelegten

Mindestlöhne werden je nach

Lohnregion um 1,5 % bzw. 3 % angehoben.

Für eine Angestellte im Bereich

Kundenbeziehungen in der Region

Mittelland gibt es nun 4428 Franken/

Monat, eine Erhöhung um 3 %.

Aktionen bei PostAuto

Nach der ersten Lohnverhandlungsrunde

vom Montag, 23. Januar, haben Angestellte

von PostAuto ihre Forderungen

mit einem offenen Brief an die

Geschäftsleitung unterstrichen. In

allen fünf PostAuto-Gebieten fanden

Aktionen auf den Betriebshöfen statt

und der Brief wurde symbolisch unterschrieben.

Angesichts der grossen

psychischen und physischen Belastungen

durch die Arbeit fordern die Fahrer:innen

eine echte Reallohnerhöhung.

Adieu, Kamerad Tirefort

Er war Schriftsetzer, Präsident der

Gewerkschaften Druck und Papier und

comedia, einer der Protagonisten des

Streiks von 1977, der die 40-Stunden-

Woche für die grafische Industrie

brachte, ein untypischer Arbeiter und

untypischer Intellektueller: so könnte

man Christian Tirefort beschreiben.

Er starb am 14. Dezember 2022 im Alter

von 79 Jahren. Als bedeutende Gewerkschaftsfigur

begleitete er seine praktische

Arbeit mit einer tiefgreifenden

theoretischen Reflexion. Zu seinen

Schriften zählt das Manifeste pour

un nouveau contrat social (2013).

Lese empfehlung – heute mehr denn je.

GAV Post und PostFinance

verlängert bis 2024

Der sog. Dach-GAV und die beiden Firmen-GAV

Post CH und PostFinance AG

werden bis Ende 2024 verlängert.

Das haben die Sozialpartner Post, die

Gewerkschaft syndicom und der Personalverband

transfair gemeinsam entschieden.

Sie setzen so ein Zeichen für

Kontinuität und Stabilität. Die Sozialpartner

können im Verlängerungsjahr

wenn nötig einzelne GAV-Bestimmungen

im gegenseitigen Einvernehmen

anpassen.

Agenda

Februar

22. 02., 16–18 Uhr

Gewerkschaftsjugend im

Tower Zürich

Die Interessengruppe Jugend syndicom

darf der Flugsicherung in Zürich

über die Schultern schauen. Anmeldung

nur noch bis 8. Februar! Kostenlos,

für Mitglieder, via my.syndicom.ch.

noch bis 26. 02.

Swiss Press Photo 22

Im Nationalmuseum Schloss Prangins

sind wieder die besten Schweizer

Pressefotos des vergangenen Jahres

ausgestellt. Chateaudeprangins.ch

28. 02., 18.30–20 Uhr

Kann KI gerecht sein?

Die Vortragsreihe über Künstliche Intelligenz

im Musée de la Main der Uni

Lausanne geht weiter mit dem Referat

«L'IA peut-elle être juste?» (Kann KI

gerecht sein?). Weitere Vorträge bis

Ende April, Museedelamain.ch.

März

21. 03.

Internationaler Tag gegen

Rassismus

Bei einer Demo gegen ein rassistisches

Pass-Gesetz 1960 in Südafrika schossen

Polizisten aus der Wache heraus

auf die schwarzen Demonstrant:innen

und töteten 69 Personen. Als Folge des

nationalen und internationalen Entsetzens

wurde von der UNO der Tag gegen

Rassismus eingeführt – und in Südafrika

begann der jahrzehntelange

Kampf gegen die Apartheid.

10. 03. (Bern) und 17. 03. (online)

Workshop Vertrauensleute ICT

300 neue Mitglieder im Sektor ICT für

das Jahr 2023: Das ist der Plan. Unterstützung

kommt in Form eines Workshops

für Auftrittskompetenz (Selbstsicherheit,

Rhetorik...) mit Sibylle

Sommerer, Trainerin und Coach bei

Speak. Anmelden via my.syndicom.ch.

syndicom.ch/agenda


Gastautorin

Im Bundesparlament ist immer

wieder zu hören, die Zuwanderung von

Arbeitnehmenden müsse sich am Bedarf des

Arbeits marktes orientieren und damit als

« Konjunkturpuffer» wirken. Aufgabe der Behörden

sei es deshalb, die Zuwanderung zu

kontrollieren und abzuwehren, wenn sie für

die Arbeitgeber nicht mehr von Nutzen ist.

Dazu werden immer restriktivere Gesetze

geschaffen. Das Ausländer- und Integrationsgesetz

(AIG) etwa sieht in Artikel 62 Abs. 1 Buchstabe

e und Artikel 63 Abs. 1 Buchstabe c vor,

dass Personen mit Bewilligung L, B und sogar C,

die auf Sozialhilfe angewiesen sind, die Bewilligung

entzogen werden kann.

Dieses System führt zu Ungleichheit und Diskriminierung.

So kann die gesetzliche Wartefrist

für einen Ausweis C je nach Herkunftsland erheblich

variieren. Die Schweiz ist auch eines der

letzten demokratischen Länder, für deren Bürgerrecht

allein das Jus sanguinis massgebend

ist. Zehntausende Menschen werden so bis zur

dritten Generation und noch weiter von der

Schweizer Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

Für Menschen mit Migrationserfahrung sind

die Arbeitsbedingungen schwieriger und prekärer.

Im Gesundheitswesen, im Bau und Verkehr,

im Gastgewerbe und im Verkauf, in der Hausarbeit

usw. sind es vor allem sie, die unter den

Folgen der Pandemie, des Klimawandels und der

Sozialkrise leiden.

Sie sind zudem einem stigmatisierenden Diskurs

seitens der politischen Rechten und der

Behörden ausgesetzt, welcher die Arbeitswelt

spaltet. Hinter diesem Staatsrassismus werden

unsere Löhne, unsere Arbeitsbedingungen und

sämtliche unsere Rechte ins Visier genommen.

Jeglicher Reichtum wird durch Arbeit erzeugt,

auch wenn das Kapital einen immer grösseren

Anteil für sich beansprucht. Wir sind die riesige

Zahl, die nicht um ihre Stärke weiss. Schliessen

wir uns zusammen!

Stoppen wir die Diskriminierungsmaschine

Stéfanie Prezioso (53) ist in La Chauxde-Fonds

und Yverdon aufgewachsen.

Sie ist die Tochter von italienischen

Eingewanderten, beide Aktivist:innen.

Nach dem Studium der Geschichte an

der Universität Lausanne und an der

Universität Florenz promovierte sie über

das Leben eines italienischen Antifaschisten

im Exil in der Schweiz. Heute

ist sie Professorin für Zeitgeschichte an

der Universität Lausanne und Nationalrätin

des Ensemble à Gauche. Sie kandidiert

bei den nächsten kantonalen Wahlen

in Genf auf der Liste der Union

populaire.

5


Dossier

8 Das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Gewerkschaften

und ausländischen Arbeitenden

10 Wir sind alle Migrant:innen. Es ist keine Frage der «Rasse»,

sondern der Klasse

12 Reset und neu anfangen: ein kurdischer Journalist in der Schweiz

Ein anderer

Blick auf

die Anderen


7


8

Dossier

Arbeit, Freiheit, Partizipation

Eine kurze Geschichte der Beziehung

zwischen den Arbeitsmigrant:innen in der

Schweiz und ihren Gewerkschaften –

von 1970 bis heute.

Text: Mattia Lento

Foto: Patrick Gutenberg

Mitten in der Kampagne gegen die Schwarzenbach-Initiative

1970 war in der italienischsprachigen Schweizer Presse

von einer der zentralen Figuren der Migrantenbewegung

Folgendes zu lesen: «Der Skandal für die Emigranten

ist nicht Schwarzenbach, sondern das Saisonnierstatut.

Diese Stellung, die in der Schweiz wie auch in Frankreich

für uns vorgesehen ist. Dass man uns so leicht wieder in

unser Land zurückschicken kann. Dass eine Wirtschaft

mit uns, aber ohne Möglichkeit für eine politische Beteiligung

organisiert werden kann.»

Dies schrieb Leonardo Zanier (1935–2017), der grosse

politische und gewerkschaftliche Leader und Präsident

der Federa zione delle Colonie Libere Italiane in Svizzera

– des antifaschistischen Vereins, der eine entscheidende

politische und gesellschaftliche Rolle bei der Verteidigung

der Interessen der Migrationsbevölkerung in der

Schweiz spielte. Zanier war auch ein Poet und Liedermacher

der Emigration, vehe menter Bekämpfer der Initiative

des fremdenfeindlichen Politikers James Schwarzenbach,

die die Massenausweisung Hunderttausender

Personen ohne Schweizer Pass wollte. Zanier setzte sich

auch für die Mitsprache und Gleichbehandlung der ausländischen

Arbeiterinnen und Arbeiter in der Schweizer

Gesellschaft ein.

Fremdenangst in den Gewerkschaften

Für Zanier und die Migrantenvereine war es wichtig, dass

die Arbeiterinnen und Arbeiter den Schweizer Gewerkschaften

beitraten und sich – wenn auch ohne Stimmrecht

– am politischen Leben beteiligten. Kijan Espahangizi,

Migrationshistoriker und -theoretiker an der

Universität Zürich, sagt: «Diese Forderung entstand Ende

der 1960er-, Anfang der 70er-Jahre, als die Verantwortlichen

der Migrationsvereine zur Erkenntnis kamen, dass

nicht alle italienischen oder spanischen Arbeitskräfte in

ihr Land zurückkehren wollten, nachdem sie einige Jahre

in der Schweiz gearbeitet hatten. Anfangs wurde das Rotationsmodell,

das die Migrationspolitik in der Schweiz bestimmte,

selbst von den sogenannten Gastarbeitern

grundsätzlich akzeptiert.»

Zuvor waren die Schweizer Gewerkschaften – vielleicht

auch, weil Figuren wie Zanier zu wenig auf sie zugingen –

ausländischen Arbeiter:innen gegenüber zugeknöpft und

neigten dazu, einheimische Arbeitskräfte zu schützen.

Vasco Pedrina, der langjährige frühere Präsident des

Gewerk schaftsbundes SGB, erklärt: «Gerade bestimmte

gewerkschaftliche Positionen aus der Zeit vor der ersten

Überfremdungsinitiative trugen dazu bei, in der Schweizer

Arbeiterklasse Ängste vor dem Fremden zu schüren.

Diese Ängste wurden vom Populisten Schwarzenbach ausgenutzt,

manipuliert und verstärkt.»

Erste Anzeichen für eine Öffnung zur ausländischen

Bevölkerung, so Espahangizi, «wurden in den christlich-sozialen

Gewerkschaften in den 60er-Jahren beobachtet.

Innerhalb des SGB bewirkte Ezio Canonica einen

Wandel der Ausländerpolitik.» Er verlangte Gewerkschaftssekretäre

mit Migrationserfahrung und behandelte

die Migrantenvereine als bevorzugte Ansprechpartner,

um eine offenere und solidarischere Ausrichtung der Gewerkschaften

zu definieren. Auch dank ihm wurde Schwarzenbach

an der Urne geschlagen, wenn auch nur knapp.

Die Mitenand-Bewegung

Die «Mitenand-Bewegung» formierte sich als Reaktion auf

Schwarzenbachs populistischen Vorstoss und setzte sich

für eine Änderung der Migrationspolitik auf Verfassungsebene

ein – ein absolutes Novum in der Schweiz. Auch hier

hatten die christlich-sozialen Arbeitnehmervereinigungen

eine Pionierrolle. Gemeinsam mit den Migrantenorganisationen

gelang es ihnen in kurzer Zeit, die unterschiedlichsten

Kräfte, darunter die Gewerkschaften des

SGB, anzusprechen. Laut Espahangizi handelte es sich

um eine Bewegung, «die von ähnlichen Erfahrungen auf

internationaler Ebene inspiriert war. Die Mitenand-Bewegung

ging davon aus, dass sich die ganze Gesellschaft verändern

müsse und die Demokratisierung der Gesellschaft

unabdingbar sei, um eine echte Integration der zugewanderten

Bevölkerung zu erreichen.» Die Bewegung sammelte

genügend Unterschriften für eine Initiative, die einen

tiefgreifenden Wandel hin zu einer solidarischen Schweizer

Migrationspolitik bewirken wollte.

In der Volksabstimmung 1981 wurde sie aber mit 84 %

der Stimmen abgeschmettert. Espahangizi meint, dass

«die Bewegung unabhängig vom Ergebnis der Initiative

äusserst wichtig war, da sie für viele positive Veränderungen

in der Gesellschaft und in der Gewerkschaftsbewegung

den Weg bereitete». Ab den 1990er-Jahren öffneten

sich die Gewerkschaften dann für die ausländischen Arbeitnehmenden,

ohne dass dies auf Protest gestossen

wäre. In den SGB-Gewerkschaften entstanden Interessengruppen

für Migration, die politisch und gewerkschaftspolitisch

noch immer etwas zu sagen haben.

«Mitenand»

änderte den

Blick der

Gewerkschaft

auf die

«Ausländer»


Freizügigkeit ist nicht für alle

Mit der Einführung des Freizügigkeitsabkommens (FZA)

zwischen der Schweiz und der Europä ischen Union 2002

– mit dem das Saisonnierstatut endgültig abgeschafft

wurde – öffneten sich für Arbeitnehmende aus EU-Ländern

neue Perspektiven hinsichtlich der Aufenthaltssicherheit

und der Beschäftigungsmöglichkeiten in der

Schweiz. Für Arbeitnehmende aus so genannten Drittländern

– aus serhalb von EU/EFTA –, die strikt kontingentiert

sind, gelten die im FZA garantierten Rechte nicht. Sie sind

dem Schweizer Ausländerrecht unterstellt. Sie haben

nicht nur keine politischen Rechte – abgesehen von lokalen

Ausnahmen hauptsächlich in der Romandie. Es ist für

sie auch viel schwieriger, die Niederlassung oder den Familiennachzug

zu erlangen. Für diese Personen werden

Gewerkschaften häufig zu einer Möglichkeit, ihre Interessen

zu verteidigen und am politischen und gesellschaftlichen

Leben teilzunehmen.

So war es auch für den in Kongo geborenen Post-Angestellten

Augustin Mukamba. Mit Fatima Lee präsidiert er

heute die nationale IG Migration von syndicom. In einem

langen, angenehmen Gespräch hat er uns seine Geschichte

erzählt: «Schon in Kongo war ich politisch sehr engagiert.

Dann bin ich nach Euro pa ausgewandert, aber ich

habe mich nicht in mich selbst zurückgezogen. Ich bin

auf die lokalen politischen Parteien zugegangen, habe

mich in der Jugendarbeit engagiert und mein Abenteuer

als Gewerkschafter bei syndicom begonnen. Kurz nach

meiner Ankunft in der Schweiz wurde ich von der Post eingestellt.

Als Gewerkschaftsmitglied mit Migrationshintergrund

habe ich mich für die Anerkennung ausländischer

Diplome von Personen mit Migrationshintergrund, für

die Stärkung der Aus- und Weiterbildung und für echte

Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung auch

für Personen aus Drittstaaten eingesetzt und tue dies weiter.

Noch ein Thema liegt mir sehr am Herzen: das Klima.

In den Entwicklungsländern findet das Entscheidungsspiel

statt, zum Beispiel um die Erhaltung der Regenwälder.

Dafür habe ich mich auch im SGB engagiert.»

«Wir Migrant:innen

müssen mehr wagen

und für unsere Rechte

einstehen.» Augustin Mukamba

Mukambas Modellgemeinde Renens

Mukamba ist stolz auf das, was er bisher erreicht hat. Er

ist nicht nur ein wichtiges Mitglied von syndicom geworden,

sondern war auch lokaler und kantonaler Vizepräsident

der Partei der Arbeit der Schweiz sowie Präsident des

Forum des associations von Renens in der Agglomeration

von Lausanne. Er ist auch stolz darauf, in dieser Waadtländer

Gemeinde zu leben, der sehr viele Menschen ohne

roten Pass angehören. «Hier in Renens sind 120 bis 130

Länder vertreten. Diese Gemeinde macht die Öffnung und

soziale Inklusion zu ihrem Aushängeschild. Verschiedene

Kulturen, Religionen und Ethnien leben hier zusammen.

All dies ist ein Reichtum, nicht ein Problem. Ich glaube,

dass meine Gemeinde ein Modell ist, dem in der Schweiz,

aber auch in Europa nachgelebt werden kann. Nicht alle

Städte haben diese Fähigkeit zur Integration.» Zu den Bürger:innen

von Renens gehört auch Pierre-Yves Maillard,

SGB-Präsident, den Mukamba gut kennt. «Maillard ermutigt

mich und sagt mir oft, dass er von einem Land träumt,

wo nicht die Hautfarbe oder Herkunft zählt, sondern die

Kompetenz. Ich bin mit ihm d'accord – aber um das zu erreichen,

müssen wir Migrantinnen und Migranten mehr

wagen und für unsere Rechte einstehen.»


10 Dossier

Migration ist die Lösung,

nicht das Problem

Das Kapital zirkuliert frei, die Menschen aber

bleiben in Grenzzäunen hängen. So verheddert

sich der autoritäre Kapitalismus in seinen

Widersprüchen.

Text: Oliver Fahrni

Bilder: Patrick Gutenberg

«Oli! Was machst du hier?» Der Mann, der das ruft, sitzt in

einem Café im Marseiller Quartier 5 Avenues, wo ich gelegentlich

meine Zigaretten hole. Silvio kenne ich aus Bern.

Wir hatten Handball gespielt und ein Soldatenkomitee organisiert.

Ewig nicht gesehen. «Ich lebe hier», sage ich.

Er auch, erklärt der Handballer, «wenigstens solange

mich die Franzosen lassen. Mein Business ist in Marseille.

Ich weigere mich, in die Schweiz zurückzukehren.» Wer

ihn denn dazu zwingen wolle? «Die SVP», sagt er. Unter

Schweizer:innen in Frankreich herrsche gerade Panik,

weil die Stimmberechtigten gefühlt zum 1000. Mal über

eine fremdenfeindliche Abschottungs-Initiative der SVP

abstimmen sollten. Wird die Personenfreizügigkeit mit

der EU gekündigt, könnten wir ausgewiesen werden, sagt

Silvio. Wie es etlichen Briten nach dem Brexit widerfahren

sei. Oder es täglich mit Menschen aus Afrika, Nahost und

Asien geschieht.

Der Schweizer Pass als Last

Ein Kellner hat mitgehört und mischt sich ein. Er stammt

aus der Waadt. Ohne Personenfreizügigkeit bräuchte er

eine Arbeitsbewilligung und eine Aufenthaltsbewilligung.

Chancenlos, in seinem Beruf. Er müsste zurück,

nach Yverdon. Oder schwarz arbeiten, auf der Hut vor

Kontrollen. Also trinken wir Kaffee und reden darüber,

was zu tun sei. Er kaufe sich auf dem Schwarzmarkt einen

EU-Pass, sagt der eine. Der zweite wollte politisches Asyl

in Frankreich beantragen, wegen der SVP. Gelächter. In

Paris wüten die Faschisten von der «Nationalen Sammlung».

Darum gebe es nur einen Weg, deklamiert der dritte:

die Papier-Heirat mit einer EU-Bürgerin.

Das war im August 2020. Ein paar Wochen später scheiterte

die Kündigung der Personenfreizügigkeit an der

Urne. Allerdings hat die Schweiz ihr Problem mit der EU

seither bloss aufgeschoben. Der Zwist treibt gerade einem

neuen Höhepunkt zu – und vor den eidgenössischen Wahlen

im Herbst 2023 wollen daran nur wenige Politiker:innen

rühren. Sie fürchten die Kampagnen der Rechtsradikalen

um den Blocher-Clan. Eigentlich eine seltsame

Feigheit: Umfragen und Abstimmungen zeigen, dass die

Mehrheit im Land ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu

unseren Nachbarn von der EU hat.

Morgen bin ich dann weg

Über mehr als ein halbes Jahrtausend war die Schweiz ein

typisches Auswanderungsland. Ab dem 16. Jahrhundert

und bis zum Zweiten Weltkrieg flüchteten Hunderttau-

«Hier in Marseille sind

alle fremd, also ist es

keiner.»


Dossier

«Wohl die grösste historische Leistung der Gewerkschaften

war es, das Spiel der Arbeitsmigration durchschaut und die

Fremdenfeindlichkeit bekämpft zu haben.» Oliver Fahrni

11

sende vor Hunger, Arbeitslosigkeit und Not, vor politischer

Repression und Enge aus der Schweiz nach Europa

und Übersee. Allein von 1880 bis 1890 waren es 90 000, danach

pro Jahrzehnt rund 50 000. Private Auswanderungsbüros

machten mit den Emigrant:innen und den Schweizer

Kolonien fette Geschäfte. So bot etwa eine Basler

«Agentur Zwilchenbart» 1883 per Inserat im Neuenburger

Anzeiger «Transporte nach New York (1. September), Kanada

(8. September), Labrador (15. September) und in die

Normandie (22. September)» an. Ein «Eidgenössisches

Auswanderungsamt» überwachte diese Migrationsbewegungen.

Heute leben rund 800 000 Schweizer:innen im

Ausland.

Sie taten und tun, was Migrant:innen immer tun: Mit

Fleiss bauten sie eine neue Existenz, kurbelten also die

Ökonomie ihres neuen Lebensortes an. Immigration und

Innovation waren schon immer eng verknüpft. So hätte es

etwa ohne die geflüchteten französischen Hugenotten nie

eine Schweizer Uhrenindustrie gegeben.

Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von

Wanderungsbewegungen. Migration ist ein mächtiger

Motor, sie ist die historische Normalität, seit sich der moderne

Mensch aus Afrika aufgemacht hat, die Welt zu besiedeln.

Eine neue Wissenschaft, die Archäogenetik, zieht

heute aufregende Schlüsse wie den Nachweis, dass wir

Europä er:innen alle mal sehr dunkelhäutig waren oder

dass Einwanderungswellen aus Anatolien uns grundlegend

geprägt haben. Nebenbei durchschauen wir den blutigen

Schwindel aller Rassentheorien, weil es wissenschaftlich

keine Rassen gibt. Und dass fast alle Menschen

genetisch gut durchgemischt sind. Im Falle des Autors:

1/4 Hugenotte. 1/4 Ostschlesier. 1/4 Roma (Zigeuner). 1/4

Emmentaler. Ein ganz gewöhnlicher «Schweizer» also.

Aber das ist eigentlich egal, Abstammung und Identitäten

sind blosse Halluzinationen.

Nicht die Rasse, die Klasse ist die Frage

Migration wird oft erzwungen, durch Kriege, mörderische

Regime und heute zunehmend durch Klimakatastrophen.

Doch Migration regulierte auch Konflikte und minderte

Hungersnöte. Alte Erzählungen und Gründermythen zeigen

uns Emigration als Chance, als ein menschliches

Grundrecht, in die Welt aufzubrechen und sich frei niederzulassen,

wo das Leben milder oder interessanter

scheint. Grenzen und Pässe sind neuere Erfindungen.

Ab den 1950er-Jahren holten sich Konzerne massenweise

billige Arbeitskräfte für Industrie und Bau, die

Schweiz wandelte sich zum Einwanderungsland. Anwerbe-Büros

in Italien, Jugoslawien, Spanien sorgten für den

steten Nachschub an Arbeitenden, die eine neue Schweiz

bauten. Diskriminierende Gesetze wie das Saisonnier-Statut

und Kontingente drückten derweil die Löhne und hielten

die Migrant:innen in der «Baracken-Schweiz» unterm

Joch. Gleichzeitig begann der Aufstieg der ultrarechten

«Wir Europäer:innen

waren alle mal sehr

dunkelhäutig.»

Parteien, die eine angebliche «Überfremdung» zum Feindbild

erklärten. Die Seuche Nationalismus und der Rassenwahn

gedeihen im globalisierten Kapitalismus besonders

prächtig. Das Kapital zirkuliert frei, die Menschen aber ersaufen

im Mittelmeer oder bleiben in osteuropäischen

Grenzzäunen hängen. Ex-Bundesrat und Milliardär Christoph

Blocher verkörpert diese Schizophrenie: Bei jeder

SVP-Initiative gegen Migration und Personenfreizügigkeit

versicherte er seinen Kapitalistenfreunden in kleinem

Kreis, sie würden selbstverständlich jede und jeden

ausländischen Arbeitenden bekommen, den sie bräuchten.

Die Ökonomie macht die Migration.

Wohl die grösste historische Leistung der Gewerkschaften

war es, dieses Spiel früh durchschaut und die

Ausländerfeindlichkeit bekämpft zu haben – bis in die eigenen

Reihen hinein. Sie haben nicht nur das Saisonnier-Statut

gekippt, sie haben deutlich gemacht, dass die

Politik der Rechten gegen die Migrant:innen in Wahrheit

darauf zielte, sämtliche Arbeitenden, egal welcher Nationalität,

unter Druck und die Löhne tief zu halten. Einziges

Gegenrezept: Freier Personenverkehr und grenzüberschreitende

Solidarität aller Arbeitenden – Klasse statt

Herkunft.

Die Rückkehr der Anwerbe-Büros

Wie hart dieser Streit geführt wird, enthüllte ein Zwischenfall

im Sommer 2022. Die Eidgenössische Finanzaufsicht,

die den Interessen des Kapitals ganz ergeben ist,

ritt einen scharfen Angriff auf die Lohnkontrollen im Rahmen

der Flankierenden Massnahmen (FLAM). Die FLAM

sollen Lohn- und Sozialdumping der Firmen verhindern

(«Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort»). Das

sichert die Zustimmung der Bevölkerung zur Personenfreizügigkeit.

Internationale Konzerne, aber auch die

Lobbyverbände Economiesuisse und Avenir Suisse wollen

die Lohnkontrollen kippen.

Kurz vor Jahresende reiste ein Manager des Kantonsspitals

Aarau nach Rom, um dort per Casting Pflegepersonal

und Ärzt:innen zu rekrutieren. Nicht erst seit der Covid-Epidemie

laviert unsere Gesundheitsversorgung am

Rande des Zusammenbruchs. Tausende ausländischer

Spezialist:innen haben ihn bisher verhindert. In manchen

Kantons- und Unispitälern sind eingewanderte Mediziner:innen

in der Mehrzahl. Ursache ist die neoliberale

Sparpolitik – die Schweiz bildet zu wenig Fachpersonen

aus. Derzeit fehlen zudem 4000 Hausärzte und Hausärztinnen.

Und jeden Monat verlassen 300 Pflegende den Beruf,

weil die Arbeitsbedingungen zu mörderisch sind.

Mit hohen Löhnen zu winken, löst das Problem nicht

mehr. Manche europäischen Länder haben es satt, teuer

Leute auszubilden, die dann in Basel, Genf oder Zürich arbeiten.

Deutschland hat mit Anreizen schon so viele Fachleute

zurückgeholt, dass sich dies in der Ausländerstatistik

mit einem negativen Wanderungssaldo der Deutschen

niederschlägt.

Ähnlich ist die Lage in IT-Berufen, Mathematik und

Technik. Die Ökonomen der Grossbank UBS schätzten

2019 den zusätzlichen Bedarf an Fachpersonen auf «mehrere

Hunderttausende». Die Lage ist akut und brisant. Sie

ruft einerseits nach hohen Investitionen in die Ausbildung.

Vor allem aber reisst gerade ein scharfer politischer

Konflikt auf – zwischen Entfesselung der Migration und

Abschottung. In Marseille haben wir das Problem gelöst:

hier sind alle fremd, also ist es keiner.


12

Dossier

Schluss mit dem Zwang,

wieder ganz unten anzufangen

Wertlose Diplome und Zeugnisse, geisterhafte

Bewerbungsdossiers und die Teilnahme am

politischen Leben: ein Journalist und syndicom-Mitglied

berichtet.

Text: Rüstü Demirkaya

Als ich mit meiner Arbeit als Journalist in der Türkei angefangen

habe, war ich mir der Risiken bewusst. Kurdischer

Journalist zu sein, braucht viel Mut. Aber ich hätte

nie gedacht, dass ich eines Tages ein Geflüchteter in der

Schweiz sein würde.

In der Türkei schrieb ich oft über die Geschichten von

Geflüchteten und die Schwierigkeiten, denen sie begegnen.

Nun schreibe ich meine eigene Geschichte. Eine

neue Sprache und Kultur zu entdecken, ist aufregend.

Aber meistens ist das Leben der Geflüchteten keine Geschichte

über ein «Wunderland». Oft sind sie «Arbeitskräfte,

die ausgebeutet werden», oder «Opfer, mit denen man

Mitleid haben muss». Sie werden als «Parasiten», «Kriminelle»,

«Idioten», «Ignoranten» behandelt.

In der Türkei war ich viele Jahre Reporter und Chefredaktor

für kurdische und türkische Medien. Wegen meiner

Arbeit musste ich die Türkei verlassen und in die

Schweiz flüchten, wo ich wahrscheinlich den Rest meines

Lebens verbringe. Ich habe beschlossen, meine Arbeit

hier fortzusetzen. Ich habe mich bei vielen Schweizer Medien

beworben. Nach einer Weile habe ich festgestellt,

dass meine berufliche Erfahrung und Ausbildung hier

nichts wert sind. Ich musste wieder von vorne anfangen.

In einem Café, wo ich damals über alle diese Probleme

nachdachte, bestellte ich einen Schwarztee. Als die Bedienung

ihn mir brachte, erklärte sie mir: «Zuerst muss man

den Beutel ins heisse Wasser hängen, dann rührst du mit

diesem Löffel gut um! Sobald sich die Farbe verändert hat,

ist der Tee bereit.» Sie machte nicht etwa einen Witz. Sie

dachte wirklich, dass ich nicht wusste, wie man Tee trinkt.

Ich dankte ihr lächelnd und gab den Beutel, auf dem

«Made in Turkey» stand, ins heisse Wasser. Später «lernte»

ich dann auch, wie man Toiletten benutzt. Dennoch hatte

ich mehr Glück als ein Freund, der lernen musste, wie

man Papier in ein Dossier ablegt.

Und so fing ich wieder beim Anfang an. Dann lernte ich

Deutsch und Französisch. Ich machte einen Bachelor in

Internationalen Bezie hungen und einen Master in Politischer

und Kulturgeografie an der Universität Genf. Bald

beginne ich mit meiner Doktorarbeit. Ich bin Gründer einer

internationalen Stiftung und arbeite für eine kurdische

Presseagentur. Alle diese Erfahrungen haben mich

gezwungen, mich aktiv mit den Rechten von Geflüchteten

und mit dem Arbeitsrecht zu befassen. Deshalb bin ich

seit 2011 in der Interessengruppe Migration von syndicom,

deren Mitglieder der Meinung sind, dass Integration

nicht mit der Formatierung eines PCs gleichgesetzt werden

sollte. Dass Integration nicht darin besteht, alle

«Sie dachte wirklich,

dass ich nicht wusste,

wie man Tee trinkt.»

Kenntnisse und Erfahrungen der Geflüchteten unberücksichtigt

zu lassen und sie zu zwingen, neu anzufangen.

Sie glauben vielmehr daran, dass Mechanismen geschaffen

und/oder die bestehenden Mechanismen gestärkt

werden sollten, damit Geflüchtete ihr Wissen und

ihre Erfahrungen effizienter einsetzen können. Wir wollen

daran erinnern, dass Geflüchtete nicht «auszubeutende

Arbeitskräfte» oder «bemitleidenswerte Opfer» oder

«Kriminelle» sind. Sie sind Menschen mit enormem Wissen

und Erfahrungen, die eine humanere Behandlung verdienen.

Wir wollen der Ungleichheit und Ausbeutung, die

mit rassistischen und diskriminierenden Argumenten begründet

werden, ein Ende setzen. Denn wir glauben, dass

wir viel voneinander lernen können. Und was glaubt Ihr?

Fotostrecke

Zur Stiftung Mesopotamia Observatory of Justice,

Mojust.org

Um die tausend Gesichter der ausländischen Arbeitnehmerinnen

und Arbeitsmigranten in der Schweiz zu porträtieren,

begleitete der Fotograf Patrick Gutenberg die Aktion der

Interessengruppe Migration von syndicom in Zürich anlässlich

des Internationalen Tags der Migrantinnen und Migranten

am 18. Dezember und an die anschliessende Sitzung.

Sein Dank geht an Präsidentin Fatima Lee und die gesamte

IG. Patrick hat sich bei dieser Fotoreportage auf Details, Gesichter

und Blicke konzentriert und sie zu dem auf der Doppelseite

6 und 7 gezeigten Mosaik zusammengefügt.

Patrick Gutenberg lebt und arbeitet in Zürich, sowohl für Tamedia

als auch als freischaffender Fotograf. Seine Lieblingsthemen

sind Menschen und ihre Geschichten. Er arbeitet als

Erwachsenenbildner und gibt Fotografiekurse.

Patrick arbeitet mit «Welcome to School» zusammen, dem

Zürcher Ausbildungszentrum, das junge Menschen mit

Migrations- oder Fluchthintergrund begleitet, damit sie sich

in der Schweiz integrieren und Arbeit finden können.

kontrast.ch/gutenberg


Migration in der Schweiz

Die Schweizer Wirtschaft ohne ausländische Arbeitskräfte? Undenkbar.

Doch der immense Beitrag von Migrant:innen zu unserem Wohlstand

wird oft verkannt oder schlecht honoriert. Gleichzeitig sind ausländische

Arbeitnehmer:innen immer wieder von Diskriminierung betroffen.

260 CHF monatlich für ein würdiges Leben

Seit 2008 sind Personen, deren Asylgesuch in der Schweiz

abgelehnt wurde, gemäss Gesetz von der Sozialhilfe ausgeschlossen.

Sie leben von Nothilfe. Diese ist je nach Kanton und Zivilstand

der betroffenen Personen unterschiedlich hoch. Sie erlaubt aber

kein «menschen-würdiges Dasein», wie es Artikel 12 der Bundesverfassung

vorsieht. In einem kürzlich in der Schweizer Zeitschrift

zu Integration und Migration erschienenen Artikel etwa berichten

zwei abgewiesene Asylsuchende, dass sie mit einer Nothilfe von

260 Franken pro Monat durchkommen müssen.

+280 %

Die Erwerbslosenquote

der Personen mit

Migrationshintergrund

ausserhalb der EU27 ist

dreimal höher als jene der

Schweizer:innen (2021:

14,6 % gegenüber 5,1 %).

6988 CHF

6029 CHF

Lohnungleichheit

6988 CHF gegenüber

6029 CHF monatlich.

2020 war der Medianlohn

von Angestellten mit

Schweizer Pass fast 1000

Franken höher als jener

von Angestellten ohne

Schweizer Pass.

Diskriminierung bei der Einstellung

Gemäss einer Studie der ETHZ –

deren Ergebnisse auf einem

Algorithmus beruhen, der zur Analyse

des Suchverhaltens der Rekrutierenden

auf Online-Stellenbörsen

entwickelt wurde –, haben Personen

mit Migrationshintergrund und

Angehörige ethnischer Minderheiten

eine bis zu 19 % tiefere Wahrscheinlichkeit,

auf eine Bewerbung hin

kontaktiert zu werden.

–19 %

Quelle: BFS

Quelle: ETHZ

Zuwanderung in den Schweizer Arbeitsmarkt

nach Nationalität

Im Jahr 2021 betrug die Zuwanderung von

Erwerbstätigen aus EU/EFTA-Staaten (61 656

Personen) und Nicht-EU-Mitgliedstaaten

(10 299 Personen) in die ständige ausländische

Wohnbevölkerung 71 955 Personen.

2021 sind 79 % der Zugewanderten im

Schweizer Arbeitsmarkt im Tertiärsektor

beschäftigt, 18 % in Industrie, Bau und

Gewerbe und 3 % in der Landwirtschaft.

Quelle: BFS

1 % Eritrea

1 % Syrien

1 % USA

1 % China

2 % Indien

2 % Vereinigtes Königreich

2 % Afghanistan

EU/EFTA

Drittstaaten

6 % Übrige Drittstaaten

19 % Übrige EU/EFTA

5 % Polen

71 955

19 % Deutschland

13 % Italien

12 % Frankreich

7 % Portugal

5 % Spanien

5 % Rumänien

Ausländische Arbeitskräfte in der Schweizer Wirtschaft

Der Anteil der Erwerbstätigen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist von 25,6 % im Jahr 1991

auf 32,2 % im Jahr 2021 gestiegen. Während der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte bis Anfang

der 2000er-Jahre leicht rückläufig war, nimmt er seit 2004 jedes Jahr stetig zu und leistet damit

einen wichtigen Beitrag zum Schweizer Arbeitsmarkt.

40 %

35 %

32,2 %

Diskriminierung am

Arbeitsplatz

50 % der von Diskriminierung betroffenen

befragten migrantischen Personen erlebten

diese im beruflichen Umfeld.

50 %

30 %

25 %

25,6 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0

1991

1993

1995

1997

1999

2001

2003

2005

2007

2009

2011

2013

2015

2017

2019

2021

Quelle: BFS

Quelle: Fachstelle für Rassismusbekämpfung


14

Eine bessere

Arbeitswelt

Schluss mit Gewalt gegen Journis

Das BAKOM erarbeitet einen Nationalen Aktionsplan zur Sicherheit

von Medienschaffenden. Die Erwartungen daran sind hoch.

Die Schweiz ist ein sicheres Land für

Medienschaffende. Auf Ranglisten

der Pressefreiheit und Sicherheit rangiert

die Schweiz stets in den Top 20.

Morde an Journalist:innen, staatliche

Verfolgung oder grossangelegte Desinformationskampagnen

sind nichts,

womit Medienleute sich hierzulande

täglich auseinandersetzen müssten.

Dennoch: Angriffe auf Presseleute,

etwa bei Demonstrationen, nahmen

während Corona drastisch zu, auch

Übergriffe durch Polizist:innen werden

immer mehr ein Schweizer Thema.

Hinzu kommen Drohungen im

digitalen Raum, Belästigung und Klagen

durch Unternehmen oder Private,

die kritische Berichterstattung verhindern

wollen.

Diese Entwicklungen sind allesamt

Gründe, warum sich das Bundesamt

für Kommunikation (BAKOM) im

Frühjahr 2022 daran gemacht hat, unter

Einbindung von Medienschaffenden,

Gewerkschaften, Schulen, Verlagen

und Verbänden einen nationalen

Aktionsplan (NAP) zum Schutz von

Medienschaffenden zu erarbeiten.

Auch die Branche Medien bei syndicom

war von Anfang an mit dabei.

«Von Mitgliedern hören wir öfter,

mit welchen sicherheitsrelevanten

Problemen die Medienschaffenden

beim Arbeiten konfrontiert sind», sagt

Stephanie Vonarburg, Leiterin Sektor

Medien.» Entsprechend begrüsst syndicom

die Pläne des BAKOM: «Seit

sich das Wort ‹Fake News› etabliert

hat, leiden die Arbeit und das Ansehen

der Journalist:innen darunter. Dass

sie an Recherchen und Berichterstattung

gehindert werden und dabei physische

Gewalt oder psychischen Druck

erfahren müssen, ist inakzeptabel.

Mit einem Nationalen Aktionsplan

zum Schutz der Medienschaffenden

setzt sich die Schweiz für einen starken

Journalismus ein», sagt Barbara

Roelli, Journalistin und Co-Präsidentin

des Branchenvorstands Presse.

Der Plan soll drei Aktionsfelder

umfassen. Das erste: Sensibilisierung

und Prävention. Informationskampagnen,

ein Dialog mit Blaulicht-Organisationen,

einheitliches Monitoring

zur Sicherheit der Medienschaffenden

in der Schweiz und die Vereinheitlichung

von Presseausweisen sollen

den Journalismus in der Schweiz aufwerten.

Das zweite Feld ist der Schutz

vor Gewalt und Drohung, sowohl im

digitalen als auch im analogen Raum,

eine Anlaufstelle für bedrohte Schweizer

Medienschaffende im Ausland ist

angedacht sowie ein One-Stop-Shop

für Betroffene in der Schweiz. Das dritte

Handlungsfeld ist die rechtliche

Sphäre und der Umgang mit missbräuchlichen

Klagen. Der NAP soll im

Frühjahr 2023 öffentlich werden.

Natalia Widla

Dieser Beitrag erschien in einer

längeren Fassung zuerst im

Medienmagazin Edito 4/22.

Ob in den Redaktionen oder vor Ort, online oder physisch, die Angriffe auf Medienschaffende nehmen zu: Es ist notwendig, darauf zu reagieren. (© Keystone)


«Die Belegschaft von Planzer ist hartnäckig

und scheut nicht den Konflikt.» Urs Zbinden

15

Mobilisierung lohnt sich:

Planzer KEP bekommt einen GAV

Es brauchte eine energische Basisbewegung, aber auch den

Eklat beim «Kassensturz».

Die Leute vom Planzer-Depot baten syndicom um ihre Mitarbeit. (© Keystone/Laurent Gilliéron)

Im Juni 2022 meldeten sich Chauffeure

von Planzer KEP Zürich Altstetten

bei uns. Sie erzählten, die Arbeitsverhältnisse

im Depot seien prekär, lange

Arbeitstage, kurzfristige Planung und

überladene Fahrzeuge an der Tagesordnung.

Es bestehe eine Gruppe, die

bereits intern erfolglos versucht hätte,

die Missstände zur Sprache zu bringen.

Für uns kam diese Nachricht

überraschend, hatten wir den Fokus

in der Branche doch bisher auf DHL

oder DPD gelegt. Planzer KEP ist seit

rund 4 Jahren im Paketmarkt aktiv, beschäftigt

praktisch keine Subunternehmen

und stellte sich gegen aussen

als Familienunternehmen dar.

Mit einem Brief suchten wir im Juli

den Dialog mit Planzer. Um den genannten

Punkten Nachdruck zu verleihen,

unterschrieben bis Ende September

rund 75 % der Belegschaft in

Zürich ein Mandat. Die Betriebsgruppe

formalisierte sich in der Zwischenzeit

und gab sich den Namen «Progress

@Planzer». Doch die Versuche,

mit Planzer ins Gespräch zu kommen,

stiessen vorerst auf taube Ohren.

Es brauchte noch Druck, damit es am

28. November endlich zu einem Gespräch

kommen konnte. Leider löste

auch dieses Gespräch die Blockade

nicht auf und es kam zur medialen Eskalation

im «Kassensturz» vom 13. Dezember.

Danach ging es schnell: nach

der Ankündigung eines Sofortprogramms

war Planzer KEP bereit, Verhandlungen

über einen Gesamtarbeitsvertrag

aufzunehmen.

Die anstehenden GAV-Verhandlungen

bei Planzer KEP sind das Resultat

einer hartnäckigen und den

Konflikt nicht scheuenden Basisbewegung.

Es ist wichtig, diesen Punkt

in aller Deutlichkeit festzuhalten.

Denn das historische Gedächtnis

ist auch bei Gewerkschaften zuweilen

kurz. Wer erinnert sich noch daran,

dass dem GAV in der Contact- und

Callcenter-Branche ein «Kassensturz»-

Beitrag und beinah eine Protest pause

bei Avocis (heute Capita) vorausgegangen

war? Oder dass die Personalvertretung

bei Google Zürich durch

eine Basis bewegung gegen den Willen

des US-Managements durchgesetzt

wurde?

Im Februar beginnen nun die GAV-

Verhandlungen bei Planzer. Bis dahin

wird syndicom in allen Depots präsent

sein und mit einer Umfrage die Bedürfnisse

der ganzen Belegschaft abholen.

In den Verhandlungen werden

«Progress @Planzer» und syndicom

einen alten Faden aufnehmen: Bereits

in den 2000er- und 2010er-Jahren bestand

ein progressiver Firmen-GAV

mit DPD. Gute Zeichen für die Arbeiter:innen

der Branche über Planzer

KEP hinaus.

Urs Zbinden

Scheinlösungen für

Scheinprobleme

Daniel Hügli, Leiter Sektor ICT und Mitglied der

Geschäftsleitung

Die Sozialpartnerschaft hat eine bald

hundertjährige Geschichte und wird

von allen Seiten gelobt. So vom Wirtschaftsdepartement,

das sie als wichtigen

Pfeiler und Markenzeichen des

schweizerischen Erfolgsmodells bezeichnet

– auch für die anstehenden

Herausforderungen. Trotzdem gibt es

immer wieder Angriffe auf die Sozialpartnerschaft.

Etwa in der letzten

Wintersession der eidgenössischen

Räte, als die Vorstösse von Erich Ettlin/Obwalden

und Andrea Gmür-Schönenberger/Luzern

(beide in der Mitte-

Fraktion) behandelt wurden.

Ettlin verlangt, dass die kantonalen

Mindestlöhne nicht für Branchen

gelten, wo es allgemeinverbindliche

Gesamtarbeitsverträge gibt. Doch es

sind nur zwei Kantone, Genf und

Neuenburg, die dies aktuell anders regeln.

Kommt hinzu, dass die Stundenlöhne

von Fr. 23.27 (Genf) respektive

Fr. 20.08 gerade die Arbeitnehmenden

im Tieflohn schützen sollen.

Der Vorstoss Gmür fordert, dass

bei einer Energiemangellage die Arbeitszeitbestimmungen

flexibilisiert

werden – und somit Nacht- und Sonntagsarbeit

einfacher möglich sind.

Doch bereits heute lässt das Arbeitsgesetz

den Unternehmen genug Spielraum

für Bewilligungen im öffentlichen

Interesse.

Anstatt sich also bei den Arbeitgebern

mit Scheinlösungen für Scheinprobleme

anzubiedern, würde sich

die Mitte besser für Entlastungen der

Bevölkerung angesichts der Teuerung

einsetzen, wie sie versprochen hatte.


16 Arbeitswelt

«Kein Wunder, dass die Privatsender die

Berufsanfänger:innen nicht halten können.» Stephanie Vonarburg

Die erste kollektive Vereinbarung

beim privaten Radio und TV

Die Sozialpartner haben eine Vereinbarung über die Mindestarbeitsbedingungen

unterschrieben. Das ist für die Deutschschweiz,

das Tessin und einige Sender der Romandie neu.

Endlich besserer Lohn für die Beschäftigten des privaten Rundfunks. (© Keystone/ Christian Beutler)

Im Rahmen der kommenden Ausschreibung

der neuen Konzessionen

für Radio- und TV-Sender soll eine

branchenübliche Mindestregelung

etabliert werden. Bisher gab es nur

einseitig von den Arbeitgebern erlassene

Standards, die auch seit 2007 auf

tiefem Niveau stagnierten.

So sah die bisherige Grundlage einen

Mindestlohn von lediglich 4000

Franken vor – und keine über die gesetzlichen

Mindeststandards hinausgehenden

Leistungen. Kein Wunder,

dass auch die tatsächlich in dieser

Teilbranche ausbezahlten Löhne der

Arbeitnehmenden tief und die privaten

Sender für viele Medienschaffende

nur die Eintrittspforte in den Beruf

blieben.

Substanziell besserer Mindestlohn

syndicom konnte über mehrere Verhandlungsrunden

zusammen mit den

Sozialpartnern nun den Mindestlohn

in einem Schritt auf 4800 Franken monatlich

erhöhen und den Anspruch

auf einen 13. Monatslohn einführen.

Zudem haben die Programmschaffenden

Anspruch auf eine Woche mehr

Ferien als das gesetzliche Minimum.

Nebst weiteren Verbesserungen

der Arbeitsbedingungen unter anderem

beim Mutter- und Vaterschaftsurlaub

ist es erstmals gelungen, zumindest

bei den Privat-Fernsehsendern

Mindestlöhne für die Ausbildungszeit

einzuführen: im Praktikum (1 bis 6

Monate) sind es mindestens 1500

Franken, im ersten Jahr des Volontariats

(oder Stages) sind es 2500 und im

zweiten Jahr 3500 Franken.

Leider ohne die Privatradios

Sehr bedauerlich und kaum nachvollziehbar

ist, dass der Verband der

Privat-Radios sich diesen Minima für

den Berufseinstieg nicht anschliessen

konnte und lediglich eine Empfehlung

zu angemessener Entlöhnung

abgibt. Gerade während des beruflichen

Einstiegs ist es besonders wichtig,

die jungen Medienschaffenden zu

schützen und ihnen eine Perspektive

in den Medien zu geben. Trotzdem

steht syndicom zu diesem Verhandlungsergebnis

und sieht darin einen

Schritt in die richtige Richtung, um

zusammen mit den Beschäftigten darauf

aufzubauen.

Die Gewerkschaft wird die Redaktionen

kollektiv auf Betriebsebene

und individuell bei Lohngesprächen

unterstützen, fairere effektive Löhne

auszuhandeln.

Stephanie Vonarburg

Zum Vertragstext

«Die Jungen wollen

nicht mehr arbeiten»

Jane Bossard, Jugendsekretärin bei syndicom

Bis zu diesem Satz war es eigentlich

eine normale Diskussion am Familientisch.

Aber das – das nehme ich persönlich.

Diese Aussage macht mich

wütend. Denn nicht wir jungen Menschen

sind das Problem. Das Problem

ist, dass man hart arbeiten, sich körperlich,

seelisch und geistig aufopfern

muss, um ein vollwertiges Mitglied

dieser Leistungsgesellschaft zu sein.

Wir wollen arbeiten, wir wollen

einen Job, der Spass macht, der unser

Leben sogar bereichert, aber wir wollen

uns auch nicht kaputt machen und

nicht nur für die Arbeit leben, wir wollen

leben – ist das falsch? Ist das nicht

genau das, wofür die Gewerkschaften

kämpfen? Wir haben unser ganzes Leben

lang beobachten können, wie hart

unsere Eltern und Grosseltern schufteten,

damit es am Ende des Monats

reichte. Wir haben zugesehen, wie

sich die Menschen für die Arbeit kaputt

machten, für viel zu wenig im

Portemonnaie. Und genau das wollen

wir nicht mehr. Weil wir eben auch zusehen

konnten, wie sich die Welt ändern

kann und dass sich Arbeitsbedingungen

verbessern können.

Das hat nichts mit Faulheit oder

mangelndem Willen zu tun. Sondern

mit dem Bewusstsein, dass wir uns

nicht für die Arbeit aufopfern müssen,

weil wir nicht nur Pflichten, sondern

auch Rechte haben. Dank der Arbeit

der Gewerkschaften und den Generationen

vor uns haben wir Rechte, wie

etwa das Recht auf Nichterreichbarkeit

oder auf Arbeitszeiterfassung.

Und die fordern wir auch ein.


«Gesicherte Renten bleiben ein Kernanliegen der

Gewerkschaften.» Daniel Münger, Präsident syndicom

17

Starke Rente, Leben in Würde

Die Tagung der Pensionierten syndicom war der Startschuss einer

sozialpolitischen Bewegung: «In Bewegung» war das Motto.

Sehr grosses Interesse an der Sozialpolitik bei den Pensionierten der Gewerkschaft. (© R. Aeschlimann)

Nach der Pensionierung weiterhin aktiv

etwas bewegen: An diesem Punkt

möchten die Pensionierten syndicom

ansetzen. So ist auch die von ihnen initiierte,

zweisprachige Tagung «In Bewegung/En

mouvement» vom 10. Januar

restlos ausgebucht. Sie ist der

Startschuss einer sozialpolitischen

Bewegung, die für bessere Renten und

ein Leben in Würde eintritt.

Gesicherte Renten sind ein Kernanliegen

der Gewerkschaft, wie Daniel

Münger in seinem Begrüssungswort

festhält: «Trotz der Krisen des vergangenen

Jahres verändern sich die

Grundwerte nicht: Ein Leben in Würde

und Chancengerechtigkeit. Für

diese Werte stehen wir bei der Gewerkschaft

ein.» Drei hochkarätige

Redner:innen waren eingeladen: Paul

Rechsteiner, Alt-Ständerat, Doris Bianchi,

Direktorin der Pensionskasse

Publica, und Giorgio Pardini, vor seiner

Pensionierung u. a. Leiter des Sektors

ICT bei syndicom.

Paul Rechsteiner fokussierte auf

die Abstimmung «AHV 21», die nicht

im Sinne der Gewerkschaften ausfiel.

Dennoch stimmt ihn das knappe

Resultat zuversichtlich: «Das Forschungsinstitut

GFS hat eine Zustimmungsquote

von 60 % prognostiziert.

Zuletzt haben lediglich 30 000 Stimmen

den Unterschied gemacht.» Doris

Bianchi hebt die Vorteile des 2-Säulen-Systems

hervor. Es sei trotz angespannter

wirtschaftlicher Lage grundsätzlich

stabil. Leider könne rein

strukturell die Teuerung nicht in der

2. Säule ausgeglichen werden. Rentenverbesserungen

können nur über die

AHV erfolgen. Darum sind starke Gewerkschaften

gefragt. Giorgio Pardini

thematisierte die Schwachstellen der

anstehenden BVG-Reform. Unter dem

Deckmantel der Verbesserung für die

tiefsten Einkommen, was vor allem

Frauen mit tiefen Löhnen und Teilzeitpensen

betrifft, sei insgesamt ein

Abbau für alle geplant.

Einig sind sich alle drei Redner:innen

in einem Punkt: Solidarität zwischen

den Generationen ist der

Schlüssel, um die Abbauprogramme

wirksam zu bekämpfen. Diese Solidarität

gilt es zu stärken. Um es in den

Worten von Mit-Organisator Thomas

Burger zu sagen: «Eine sozialgerechte

Zukunft lohnt sich auch für Pensionierte.»

Als nächster Schritt sollen

eine Arbeitsgruppe zum Thema Altersvorsorge

und ein Netzwerk von aktiven

Personen gebildet werden. Thomas

Burger ergänzt: «Die Gewerkschaftsgeschichte

hat gezeigt, dass wir dann

erfolgreich waren, wenn wir uns zusammengeschlossen

haben.»

Catalina Gajardo

Lohnerhöhung in den

ersten Medienhäusern

Stephanie Vonarburg, Leiterin Sektor Medien und

Vizepräsidentin syndicom

Zum ersten Mal seit langem erhöhen

Medienunternehmen die Löhne. Fast

ein Tabubruch – seit vielen Jahren hat

kein Verlag mehr die Löhne generell

erhöht. Wenn, dann kam es nur zu individuellen,

leistungsabhängigen Erhöhungen.

Was notabene zu unfairer

Bevor zugung, zum Auseinanderdriften

der Lohnschere und zu Diskriminierung

führt.

Viele Medienschaffende erfuhren

einen schleichenden Reallohnverlust,

Berufseinsteiger:innen erhielten immer

tiefere Löhne. Kein Wunder, sinken

die Löhne in der Branche laufend.

Die Jahresteuerung 2022 von 2,8 %

scheint ein Umdenken gebracht zu haben.

Die Gruppe um den K-Tipp gewährt

einen generellen, prozentualen

Lohnanstieg zur Abfederung der Teuerung.

Bei Keystone-SDA gibt es mehr

für gut die Hälfte des Personals (immerhin

jene mit tieferen Löhnen).

Beim Branchenprimus, dem wohlhabendsten

Verlag, Tamedia, werden

die Personalkommissionen weiter

hingehalten. Auch bei CH Media ist

das Personal nicht zufrieden, weil es

mit Peanuts abgespeist wird.

Bei Ringier, Ringier Axel Springer

Schweiz und der NZZ gibt es einmalig

eine fixe Summe, die bei der Mehrheit

der Beschäftigten die Teuerungsentwicklung

ausgleichen wird – das bedeutet

dann ab 2024 einen Reallohnverlust,

wenn die Erhöhung nicht

verstetigt wird.

Die ausgehandelten Lohnerhöhungen

sind ein erster Schritt und zeigen,

dass Bewegung bei den Löhnen

möglich ist. Die Lohnsituation in den

privaten Medienhäusern muss nachhaltig

verbessert werden. Darum ist

klar: wir bleiben dran, zusammen mit

den Personalkommissionen und dem

ganzen Personal.

Die Medien haben ein Problem,

wenn sie das Personal bezüglich Lohnentwicklung

und Arbeitsbedingungen

weiterhin geringschätzen.


18 Politik

Mehr Sicherheit

für Arbeitsmigrant:innen

Die SGB-Migrationskommission sichert den Informationsfluss

zum Thema Migration zwischen den Gewerkschaften und entwickelt

Vorschläge zur Verbesserung der Situation von

Migrant:innen in der Schweiz. Neben dem Präsidenten Hilmi

Gashi (Unia) ist Regula Bühlmann, Zentralsekretärin SGB,

zuständig für das Dossier. Sie beleuchtet für uns die Höhen,

Tiefen und Ziele der gewerkschaftlichen Migrationspolitik.

Text: Regula Bühlmann (SGB)

Bild: Keystone/Laurent Gilliéron

Migrant:innen in den

Gewerkschaften

Die Schweiz ist ein Einwanderungsland.

Ohne Migrant:innen, die rund

40 Prozent der Bevölkerung ausmachen,

würden Gesellschaft und

Wirtschaft nicht funktionieren. Das

zeigt sich auch in den Gewerkschaften.

Die Unia ist daher die grösste

Migrant:innen-Organisation der

Schweiz, mehr als die Hälfte ihrer

Mitglieder sind keine Schweizer

Staatsangehörigen. Selbstverständlich

haben in den Gewerkschaften

auch Menschen ohne Schweizer

Pass das volle Mitspracherecht.

Leider funktioniert die Schweizer

Politik nicht wie die SGB-Gewerkschaften.

Im Gegenteil: In den

letzten Jahren haben Bundesrat und

Parlament die Ausländer:innen-Gesetzgebung

immer mehr verschärft

und Sozialhilfe und Migrationspolitik

auf unmenschliche Art verknüpft.

Armutsrisiko Migration

Menschen ohne Schweizer Pass dürfen

ihr Umfeld poli tisch nicht mitgestalten,

sondern werden in die

Prekarität gedrängt. Je prekärer, je

schlechter ihre wirtschaftliche Situation,

desto schlechter werden ihre

Chancen auf stabile Aufenthaltsverhältnisse,

finanzielle Sicherheit und

Schweizer Bürger:innen-Rechte.

Diesen Teufelskreis bekämpfen die

SGB-Gewerkschaften.

Unter den Armutsbetroffenen sind

Migrant:innen überdurchschnittlich

vertreten: Die Armutsquote von

Schweizer:innen liegt bei 7,5 Prozent,

von Menschen anderer Nationalitäten

bei 10,5 Prozent. Nicht nur

sind die Löhne migrantischer Arbeitnehmender

tiefer als die Löhne

von Schweizer:innen. Auch setzt die

nationale Politik zurzeit alles daran,

den Sozialhilfebezug von Migrant:-

innen tief zu halten.

Letztes Jahr hat der Bundesrat

eine Änderung des Ausländer:innen-

und Integrationsgesetzes (AIG)

in die Vernehmlassung geschickt,

mit dem er Angehörigen von Drittstaaten

die Sozialhilfe kürzen will.

Diese Änderung verletzt gleich zwei

Verfassungsgrundsätze: die Rechtsgleichheit

aller Menschen (Art. 8

Abs. 1) und das Recht auf Hilfe in

Notlagen (Art. 12). Dieser Vorschlag

des Bundesrats ist ein neuer Tiefpunkt

in einer Abwärtsentwicklung

hin zu immer mehr Diskriminierungen

von Armutsbetroffenen.

Das neue AIG gefährdet seit

dem 1. Januar 2019 die Aufenthaltssicherheit

von Menschen ohne

Schweizer Pass: Während zuvor eine

Niederlassungs bewilligung nur in

Ausnahmefällen entzogen wurde

und nach 15-jährigem Aufenthalt

gesichert war, kann das Beziehen

von Sozialhilfe neu immer zur Ausweisung

oder zur Rückstufung der

Bewilligung führen. Die Kriminalisierung

der Armut hat zur Folge,

dass viele armutsbetroffene Menschen

nicht zum Sozialamt gehen,

um ihr Aufenthalts- oder Niederlassungsrecht

zu schützen.

Armut ist kein Verbrechen

Doch es gibt auch eine Gegenbewegung:

Auf Druck gewerkschaftlicher

und zivilgesellschaftlicher

Akteur: innen hat der Nationalrat im

September 2022 der parlamentarischen

Initiative 20.451 «Armut ist

kein Verbrechen» Folge gegeben.

Nach zehnjährigem Aufenthalt in

der Schweiz sollen Aufenthalts- bzw.

Niederlassungsbewilligung auch bei

Sozialhilfebezug nicht mehr entzogen

werden dürfen. Dies ist ein

wichtiges Leuchtsignal an Kreise,

die die Grundrechte von Menschen

ohne Schweizer Pass immer weiter

beschränken wollen.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Das Ziel rechter Politiker:innen, mit

Sozialhilfekürzungen Anreize für

die Arbeitsintegration setzen, ist

mehr als zynisch. Die Arbeitsintegration

ist nicht in erster Linie

eine Frage von gutem Willen der

Betroffenen, es braucht vor allem

einen Arbeitsmarkt, zu dem auch

Menschen ohne Schweizer Pass

Zugang haben. Und Menschen, die

keine Schweizer Ausbildung haben

oder nicht mit dem Schweizer Arbeitsmarkt

vertraut sind, müssen

wir unter stützen, damit sie im Erwerbsleben

Fuss fassen können.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund

begleitet deshalb die Programme

eng, mit denen der Bund


«Für die Integration braucht es vor allem

einen Arbeitsmarkt, zu dem Menschen ohne

Schweizer Pass auch Zugang haben.»

Regula Bühlmann,

Schweizerischer Gewerkschaftsbund

Riesige Arbeit

der Gewerkschaft

für die

Menschen

Migrant:innen besser in den Arbeitsmarkt

integrieren will: Mit der

Integrations-Vorlehre werden seit

2018 anerkannte Flüchtlinge und

vorläufig Aufgenommene auf eine

Berufslehre vorbereitet, seit Sommer

2021 auch andere spät

zugewanderte Jugendliche und junge

Erwachsene. Arbeitgeber, die

Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene

mit einem grösseren Bedarf

an Ein arbeitung einstellen, erhalten

finanzielle Zuschüsse. Der

SGB setzt sich dafür ein, dass dank

diesen Programmen Migrant:innen

Zugang zum Arbeitsmarkt finden,

ohne als billige Arbeitskräfte missbraucht

zu werden.

SGB streitet für

leichtere Einbürgerung

Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung

hat keinen Schweizer Pass und

somit auch keine politischen Rechte.

Die Einbürgerung ist kantonal

und kommunal unterschiedlich geregelt

– die Entscheide sind entsprechend

willkürlich. Mit wenigen Ausnahmen

verstehen die politischen

Behörden das Bürgerrecht als Privileg,

das es sich zu verdienen gilt,

und nicht als Grundrecht derjenigen,

die hier leben.

Etwas Bewegung ausgelöst hat

die vom SGB 2017 lancierte Einbürgerungs-Offensive:

In einigen Gemeinden

wurden Hürden abgebaut

und Einwohner:innen, welche die

Voraussetzungen für die Einbürgerung

erfüllen, aktiv eingeladen,

Schweizer Bürger:innen zu werden.

Der Ständerat hat eine Motion

von Lisa Mazzone zur erleichterten

Einbürgerung von Ausländer:innen

der zweiten Generation an die Kommission

zur Vor beratung überwiesen.

Eine weiter gehende Motion des

ehemaligen SGB-Präsidenten Paul

Rechsteiner, der ein Recht auf das

Schweizer Bürgerrecht für in der

Schweiz Geborene forderte, hat das

Parlament leider abgelehnt.

Im Verein «Aktion Vierviertel»

kämpfen auch viele Gewerkschafter:innen

für ein Grundrecht auf

Einbürgerung, damit wir 50 Jahre

nach Einführung des Stimmrechts

für Frauen eine vollständige «Vierviertel»-Demokratie

haben. Es ist

eine Initiative in Arbeit, mit der dieses

Ziel erreicht werden soll.

Die Schweiz kann solidarisch sein

Dass die Schweiz solidarisch sein

kann, zeigt sie mit der Aufnahme

der vor Putins Angriffskrieg geflüchteten

Ukrainer:innen. Diese Solidarität

muss sie allen Menschen zukommen

lassen, die auf der Suche

nach Schutz und Sicherheit hierher

kommen – egal woher. Sie muss ihnen

den Weg aus der Armut ermöglichen

und ihnen ein stabiles Daheim

bieten. Die Schweiz muss

zulassen, dass alle Einwohner:innen

dieses Daheim politisch mitgestalten

können. Damit diese Vision

Wirklichkeit wird, setzt sich der SGB

weiter ein für Aufenthaltssicherheit

und Teilhabe und für ein Ende von

Prekarität und Kriminalisierung.

Zur Migrationskommission

des SGB

Meine Eltern sind aus Italien und

Österreich in die Schweiz gekommen,

um hier zu arbeiten, als man

Arbeitskräfte gerufen hatte, aber

Menschen kamen. Hier geboren,

bekam ich die Nachwehen der

Schwarzenbach-Initiative mit, welche

glücklicherweise abgelehnt

wurde. Mit 20 wurde ich «erleichtert

eingebürgert». Da meine Eltern in

der Gewerkschaft organisiert waren,

wusste ich um deren elementare

Unterstützung für die ausländischen

Angestellten. Ich bin stolz auf

die riesige Integrationsarbeit, die

die Gewerkschaften leisteten und

leisten.

Die IG Migration bei syndicom

Bei syndicom kommen Migrantinnen

und Migranten zu Wort und zu

ihrem guten Recht. In allen Gremien

sind sie willkommen und eingeladen,

aktiv mitzuwirken. In den

Branchen wie in der branchenübergreifenden

IG Migration, deren zentrales

Anliegen es ist, die Arbeitsbedingungen

von Migrantinnen und

Migranten zu verbessern und ihren

Bedürfnissen Gehör zu verschaffen.

Aktuell sind in der IG Migration

Mitglieder aus Ländern wie Kongo,

Marokko, Albanien, Ägypten, Iran,

Kirgisien und Türkei (Kurd:innen)

aktiv.

Die IG unterstützt aktuell die

Aktion Vierviertel, siehe nebenstehenden

Text, und engagiert sich gegen

Rassismus auf der Arbeit und

im Alltag. Dazu lancierte sie vor

einiger Zeit Videostatements und

entwickelt neue Ideen. Wichtig ist

neben der erreichten Verankerung

des Schutzes vor Diskriminierung

aufgrund von Kultur und Herkunft

in den Gesamtarbeitsverträgen,

dass die Unternehmen bei Rassismus

– gleich wie bei Sexismus –

eine Haltung der Nulltoleranz leben.

In Zürich besteht seit vielen Jahren

zudem eine regionale Migrationsgruppe

von syndicom, die jedes Jahr

am Lauf gegen Rassismus teilnimmt.

Patrizia Mordini

Zur syndicom-Interessengruppe

Migration


20 Die andere

Seite

«Eine Branche, die

nicht ausbildet, ist tot»

Beat Kneubühler ist seit dem

1. Oktober 2022 der neue

Direktor des Arbeitgeberverbandes

der grafischen Industrie,

viscom p+c. Er geht im

Gespräch ein auf die künftigen

Herausforderungen der

Papier- und Druck-Branche.

Fragen: Redaktion

Bild: Thoa van Tran für viscom p+c

Herr Kneubühler, wie waren die

ersten Monate Ihrer Tätigkeit?

Mit grosser Befriedigung blicke ich

auf die ersten Monate. Zusammen

mit meinem Team am visCampus in

Aarau haben wir zentrale Themen

der Verbandsstrategie 22–25 auf den

Weg gebracht.

Zum künftigen Fachkräftebedarf

läuft eine umfangreiche Studie,

daraus leiten wir Massnahmen ab,

um einem drohenden Mangel

mög lichst optimal zu begegnen.

Dieses Thema wird uns also auch in

Zukunft begleiten. Politisch haben

wir an allen Fronten die Motion

Katja Christ bekämpft. Diese

Motion hätte Betriebe und Arbeitsplätze

in unserer Branche gefährdet.

Die von Katja Christ heraufbeschworenen

«Abfallberge» sind ein Hirngespinst,

das in der Praxis nicht

existiert. Im Gegenteil: Altpapier ist

ein wertvoller Rohstoff.

Hier sieht man schön zwei

weitere Handlungsfelder für den

Verband: Unsere Branche ist

nachhaltig und verfügt über

geschlossene Kreisläufe. Wir haben

im Papier- und Karton-Recycling

Traumquoten und sind Partner im

ältesten Gesamtarbeitsvertrag der

Schweiz. Zeit also, dass man die

Kampagne «Printed in Switzerland»

in eine neue Richtung lenkt. Dazu

erfolgen ab Januar 2023 verschiedene

Aktionen.

Und im April werden wir im

Rahmen der Mitgliederversammlung

im Verband p+c eine Namensänderung

sowie einen neuen

visuellen Auftritt lancieren.

Die Branche ist seit Jahren in einem

enormen Umbruch. Schrumpft sie

noch weiter oder gehen wir bereits

in Richtung Stabilität?

Es ist davon auszugehen, dass die

Branche noch einmal schrumpft.

Dies ist der Substituierung von Print

durch andere Kanäle geschuldet.

Dadurch wird generell weniger

gedruckt. Teilweise messbar ist

auch die Abwanderung von Druckaufträgen

ins Ausland. In der

Tendenz stellen wir eine Stabilisierung

fest, bleiben aber Nettoimporteur.

Von der oft angepriesenen

Regionalisierung spürt man im

Print wenig. In China steigen nach

der Pandemie die Exporte von

Drucksachen in den EU-Raum und

erreichen nie gesehene Quoten.

Wie kann die Sozialpartnerschaft

gestärkt werden?

Zentral ist die Bereitschaft, weiter

auf Fachkräfte zu setzen. Damit

verbunden ist die berufliche

Grund- und Weiterbildung. Ein

Brain-Drain hätte schwerwiegende

Konsequenzen für die grafische

Industrie. In einer Branche, in der

das Wissen eine sehr kurze Halbwertszeit

hat, ist der Wille zur

ständigen persönlichen Weiterbildung

genauso wichtig wie ein gutes

Angebot an Ausbildungsplätzen.

Was könnte getan werden, um

weitere Unternehmen zum Beitritt

in den GAV zu bewegen?

Die Branche ist heute sehr heterogen.

Dienstleistungen und Produkte

werden vielfältiger und die Grenzen

zu anderen Branchen sind fliessend.

Eine klare Trennung von Sektoren

wird in der grafischen Industrie

immer komplexer, das sieht man

in der Grundbildung, wo es immer

wieder zu Überschneidungen mit

branchenfremden Berufen kommt.

Trotzdem muss es gelingen, auch

künftig eine überbetriebliche

Sozialpartnerschaft zu pflegen.

Wie beurteilen Sie die Grund- und

Weiterbildung in der Branche?

Eine Branche, die nicht ausbildet,

ist tot. Wir müssen alles daransetzen,

dass ausgebildet wird. Natürlich

muss man im Bereich Quereinsteiger

neue Wege gehen und etwa

Einsteigerkurse anbieten. Mit

Helias haben wir ein ausgezeichnetes

Instrument, nur müssen wir

gemeinsam die Lehrgänge noch

bekannter machen. Wichtig ist, dass

am Ende immer ein eidgenössischer

Abschluss absolviert wird. Für die

Branche und bei uns im Verband ist

das Thema Bildung zentral.


Recht so!

21

Liebe Rechtsberatung

Ich arbeite als Netzelektriker für eine Firma mit Sitz im

Kanton Bern. Mein Chef erwähnte im Herbst, dass

noch nicht klar sei, ob der Bundesrat die Verlängerung

der Allgemeinverbindlicherklärung des GAV Netzinfrastruktur

rechtzeitig bewilligt, damit eine lückenlose

Weitergeltung gewährleistet ist. Gerüchte machten

die Runde, wonach sich deswegen die Lohn- und Arbeitsbedingungen

verschlechtern würden. Gilt der GAV

Netzinfrastruktur noch?

Auf der Grossbaustelle im Kanton Bern, auf der ich aktuell

tätig bin, arbeiten befristet auch Netzelektriker

aus Polen, die bei einer polnischen Unternehmung

angestellt sind. Sie sind seit mehreren Monaten auf

der Baustelle tätig und kehren sporadisch nach Polen

zurück. Die polnischen Kollegen sind am Morgen meist

früher vor Ort, machen kaum Pausen und arbeiten

noch, wenn ich Feierabend mache. Welche Regeln zur

Arbeitszeit gelten für die Kollegen aus Polen und welcher

Lohn steht ihnen zu?

Es zeigte sich, dass mehreren polnischen Arbeitern

nicht der im GAV festgelegte Mindestlohn bezahlt wird

und die Arbeits bedingungen gemäss Branchen-GAV,

ArG und ArV nicht eingehalten werden. An wen können

sich die polnischen Kollegen wenden, um auf die systematischen

Verfehlungen ihres Arbeitgebers aufmerksam

zu machen?

Antwort des syndicom-Rechtsdienstes

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2022 verlängerte

der Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeit

(AVE) des GAV Netzinfrastruktur

ohne Unterbruch bis zum 31. Dezember

2026. Mit der AVE-Verlängerung bleibt der

Geltungsbereich des GAV auf alle Arbeitnehmenden

und Arbeitgeber der Netzinfrastruktur-Branche

anwendbar. Damit sind

alle Arbeitgeber der Netzinfrastruktur weiterhin

verpflichtet, die im GAV festgelegten

Lohn- und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

Wenn ein Arbeitgeber Arbeitnehmende für

einen bestimmten Zeitraum zum Arbeiten

in ein anderes Land entsendet als das, wo er

seinen Sitz hat und wo diese gewöhnlich

ihre Arbeit verrichten, liegt eine Entsendung

vor. Das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber

und entsandten Arbeitnehmenden

bleibt während des Zeitraums der Entsendung

weiterhin bestehen.

Unter anderem zum Schutz ent sandter

Arbeitnehmender hat das Parlament das

Entsendegesetz (EntsG) erlassen. Dieses

sieht vor, dass die für inländische Arbeitnehmende

geltenden Normen in der

Schweiz auch auf entsandte Arbeitnehmerinnen

und Arbeitnehmer angewandt

werden müssen. Auch für die Kollegen aus

Polen gelten namentlich die sich aus dem

Arbeitsgesetz (ArG), den Arbeitsverordnungen

(ArV) und dem allgemeinverbindlich erklärten

GAV Netzinfrastruktur ergebenden

Regeln zur Arbeits- und Ruhezeit und zum

Lohn aufgrund von Art. 2 Abs. 1 Bst. a und b

des EntsG.

Die Verstösse gegen die sich aus dem allgemeinverbindlichen

GAV Netz infra struktur

ergebenden Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen

sind an die Paritätische Kommission

Netzinfrastruktur-Branche zu melden,

während Verfehlungen bezüglich ArG und

ArV in die Kompetenz der kantonalen Arbeitsmarktbehörde

(Arbeitsmarktkontrolle

Bern, AMKBE) fallen.

syndicom.ch/rechtso


22 Freizeit

Tipps

Movendo war früher die

«Schweizer Arbeiterschule»

1946 wurde die Stiftung Gewerkschaftsschule

Schweiz als «Arbeiterschule»

gegründet. In der Pandemie

2021 hatte sie ihr 75-Jahr-Jubiläum.

Weil das nicht angemessen gefeiert

werden konnte, hat Movendo stattdessen

als «elektronische Festschrift»

eine Webseite gestaltet:

Arbeiterschule.ch.

Der Historiker Adrian Zimmermann

hat die Geschichte der Gewerkschaftsschule

erforscht und

aufgeschrieben. Zwischen den Texten

sind zahlreiche Dokumente und

Fotografien zu entdecken, dazu

kommen Video-Porträts von Absolvent:innen

und Bildungsverantwortlichen,

die die Arbeiterschule erlebt

und geprägt haben.

Gewerkschaftliche Bildung muss

bezahlbar sein. Dies ermöglicht

heute der Förderverein der Stiftung

Gewerkschaftsschule Schweiz. Die

Mitglieder des Vereins unterstützen

die Weiterbildung von Mitgliedern

von Personalvertretungen und

Vertrauens leuten und den Ausbildungslehrgang

Gewerkschaftssekretär:in.

Ihr solidarisches Engagement

trägt zu einer guten

Bildung des gewerkschaftlichen

Nachwuchses bei. Neuzugänge sind

willkommen!

Movendo blickt auch in die Zukunft:

Der Kurs «Politische Herausforderungen

und Perspektiven der

Gewerkschaftsbewegung» schaut als

Teil des aktuellen Lehrgangs Gewerkschaftssekretär:in

auf den Sozialstaat,

den sozialen Wandel und

Wandel der Arbeits welt, besonders

das Dreigestirn Digitali sierung, Flexibilisierung

und Privatisierung.

Der drei tägige Kurs (22.–24.2.2023)

mit Übernachtungen im Hotel Ambassador

in Bern kann nicht gratis

angeboten werden, ist aber offen für

weitere Interessierte.

Adrian Zimmermann/Red.

«Gezeichnet 2022»

Das vergangene Jahr humoristisch

Revue passieren lassen: Das verspricht

die Ausstellung «Gezeichnet

2022», die im Museum für Kommunikation

in Bern derzeit zu sehen

ist. 50 Schweizer Karikaturist:innen

und Pressezeichner:innen stellen

insgesamt 200 ihrer wichtigsten und

besten Pressezeichnungen aus.

Mal lustig, mal verspielt, mal

nachdenklich, präsentieren sich der

Ausstellungsbesucherin die Debatten

und Ereignisse der letzten zwölf

Monate. Es dominieren der Krieg in

der Ukraine (Ueli Johner zeichnete

das Bild oben), der drohende Energiemangel

und die Klimakrise.

Ist es möglich, diesen komplexen

und ernsthaften Themen auf eine

humoristische Art zu begegnen?

Wie weit darf Satire gehen?

Je nach Publikation geben die

Künstler:innen unterschiedliche

Antworten auf diese Fragen. Wo die

einen Zeichnungen sich an der

Grenze der Geschmacklosigkeit

bewegen, regen die anderen zum

Nachdenken an. Allen gemeinsam

ist aber, dass sie den Kern der aktuellen

Debatte mit einem Bild, mit

einem Satz auf den Punkt bringen.

Spannend ist auch das Zusammenspiel

zwischen Bild und Text, die gemeinsam

ihre Wirkung entfalten.

Oft bleibt dabei das Lachen im Hals

stecken. Kalt lassen die Bilder die

Besuchenden niemals und sie hallen

noch länger nach. Die Ausstellung

bietet einen vielfältigen Blick

über den eigenen Tellerrand hinweg

und ermöglicht es den Betrachter:innen,

die Tagesereignisse anders

wahrzunehmen.

Catalina Gajardo

© Ueli Johner/MFK Bern © EKF

Podcast «sie und sie»

Ob Millennial, Gen Z oder Babyboomer,

es gibt kaum eine politische

Debatte, die nicht früher oder später

mit einem angeblichen Generationengraben

in Verbindung gebracht

wird. Der «sie & sie»-Podcast der eidgenössischen

Kommission für Frauenfragen

EKF bringt jeweils zwei

Frauen unterschiedlichen Alters zusammen,

die im selben politischen

Feld aktiv sind. Jede Folge ist einem

Thema gewidmet. Was verbindet die

junge Klimaaktivistin mit der engagierten

Frau aus der Anti-AKW-Bewegung?

Wo werden Frauen in der

Politik mit Sexismus konfrontiert?

Was bedeutet es für eine Woman of

Colour, in der Schweiz zu leben?

Die Gespräche gehen einerseits

auf die individuellen Erfahrungen

und Werdegänge ein, andererseits

werden diese Erfahrungen auch

in einen grösseren historischen

Kontext eingeordnet. Der Podcast

bemüht sich, Frauen aus allen

(gesprächsbereiten) politischen

Richtungen zu berücksichtigen.

Jungfreisinnige und Mitte-Politikerinnen

kommen genauso zu Wort

wie die Präsidentin der Milchjugend

(Anm.: queere Jugendorganisation)

und die Klimaaktivistin. Er zeigt

auf, was bereits erreicht wurde und

wo noch Handlungsbedarf besteht.

Er zeigt aber vor allem eines: So

unter schiedlich die Frauen und ihre

Hintergründe auch sind, in jedem

Gespräch finden die Protagonistinnen

jeweils mehr Gemeinsamkeiten

als Unterschiede. Alles in allem ist

er ein spannender Beitrag über aktuelle

politische Debatten aus feministischer

Perspektive.

Catalina Gajardo

Movendo einst: Arbeiterschule.ch,

und jetzt (mit allen Kursen): Movendo.ch

Die Ausstellung «Gezeichnet 2022» ist noch

bis 26. Februar 2023 im Museum für Kommunikation

in Bern zu sehen, MFK.ch.

Kann über jeden Podcatcher gefunden

und kostenfrei gehört werden.


1000 Worte

Ruedi Widmer

23


24 Bisch im Bild Das ist syndicom: 57. Kongress des Gewerkschaftsbundes \ feierliche Übergabe

der Unterschriften zur Konzernverantwortungs-Petition \ Mobilisierung für den

Erhalt des Postamtes St-François in Lausanne \ Internationaler Tag der Migrant:-

innen 2022 \ erste Sozialpolitische Konferenz der Pensionierten syndicom.

1

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1 Gruppenfoto für die Delegierten des 57. Kongresses des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes am 25. und 26. November in Interlaken. (© SGB)

2 Am SGB-Kongress: Zahra Rahzavis leidenschaftliche Rede zur Unterstützung des Kampfes der Frauen in Iran. (© SGB)

3 Und der Situationsbericht der Grafikerin und Menschenrechtsaktivistin Shiva Khosravi. (© SGB)

4 Die Delegierten applaudieren in Unterstützung der iranischen Frauen. (© SGB)

5 Übergabe der Unterschriften für die Petition zur Konzernverantwortung am 1. Dezember in Bern. (© syndicom)

6 Mehr als 200 000 gesammelte Unterschriften in hundert Tagen: Lydia Schebesta (li.) und Patrizia Mordini zufrieden. (© syndicom)

7–8 Kampf um die Rettung des historischen Postamts Saint-François in Lausanne, das an eine Zürcher Immobiliengesellschaft verkauft wurde. (© syndicom)

9–10 Verteilen von Flugblättern durch die IG Migration Zürich zum Internationalen Tag der Migrant:innen, 18. Dezember. (© Patrick Gutenberg)

11–12 Paul Rechsteiner, Alt-SGB, und Giorgio Pardini, Alt-syndicom, an der Sozialpolitischen Konferenz vom 10. Januar. (© Rodolphe Aeschlimann)

25

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12


26

Aus dem

Leben von ...

Sara Winter Sayilir:

«Eingebettet in eine weltweite Bewegung»

Sara Winter Sayilir hat Turkologie,

Islamwissenschaft und Politik in Berlin

und Baku studiert und lebt seit 14 Jahren

in der Schweiz. Das syndicom-

Mitglied gehört zum Leitungsteam des

Strassenmagazins Surprise. Seit knapp

zehn Jahren ist sie ehrenamtlich im

Vorstand zweier Exilmedien, die in und

für Aserbaidschan und Russland um

unabhängige Berichterstattung kämpfen.

Winter Sayilir ist Mitbegründerin

und Co-Vorsitzende der Neuen Schweizer

Medienmacher:innen und wünscht

sich eine rassismussensible Schweizer

Medienbranche, die diverser besetzt

ist und diskriminierungsfrei berichtet.

Text: Sara Winter Sayilir

Bild: Miriam Künzli

«Armut und Migration

sind eng verzahnt»

Das Wort Gewerkschaft kannte ich,

bevor ich wusste, was damit gemeint

war. Mein Vater leitete den lokalen

Gewerkschaftschor, vielleicht sang

ich schon Lieder der internationalen

Arbeiterbewegung mit, bevor ich

einen ganzen Satz sagen konnte.

Ich lebte in einer WG, die Eltern

teilten sich die Haus- und Care-

Arbeit, 1.-Mai- und Anti-Atomkraft-

Demos, 35-Stunden-Woche-Kampagnen

– das prägte meine Kindheit.

Später fand ich die Lebenswelt der

damals noch Gastarbeiter-Kinder

genannten Menschen in meiner Umgebung

spannender als meine Mitgymnasiast:innen.

Mit 15 belegte ich

einen ersten Türkischkurs, mein Abitur

fiel in die Zeit von Kanak Attak,

ich ging zum Studium nach Berlin.

Von dort verschlug es mich nach

Aserbaidschan. Hier fing ich auch

mit dem journalistischen Schreiben

an – für Zenith, das damals noch

«Magazin für den Orient» hiess.

Als ich ein Jahr in Baku studierte,

kam es dort zum Generationswechsel

in der Präsidentschaft: Das Ölgeld

floss in Strömen und es wurde

immer enger, was die politischen

Freiheiten anging. Jahre später floh

ein Freund nach Berlin und gründete

mit anderen in der Diaspora einen

Exilsender, Meydan TV. Ich unterstützte

ihn, so gut ich konnte, und

bin dem Projekt weiter verbunden.

Derweil hatte ich in Basel geheiratet,

mich auf der WOZ herumgetrieben

und ein Kind bekommen.

Schliesslich landete ich bei Surprise.

In der Strassenzeitungswelt fühle ich

mich sehr zu Hause: Wir machen mit

unserer kleinen Redaktion spannenden,

unabhängigen, anwaltschaftlichen

Journalismus, ohne den Druck

in der restlichen Schweizer Medienwelt

direkt abzubekommen, und

sind über das Netzwerk der Strassenzeitungen

eingebettet in eine weltweite

Bewegung gegen Armut, Ausgrenzung

und Obdachlosigkeit.

Bei Surprise merken wir direkt,

wie eng Armut mit Migration verzahnt

ist. Rassismus erschwert oft

den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt.

Auch in der Medienbranche

wird dies zum Problem: Die postmigrantische

Vielfalt unserer Gesellschaft,

in der mindestens ein Drittel

eine Migrationsgeschichte hat, spiegelt

sich weder im Personal noch in

der unbewusst perspektivenarmen

Berichterstattung, die meist nur die

weisse, privilegierte Mehrheit vor

Augen hat. Auch deswegen habe ich

im Sommer 2020 mit einigen Gleichgesinnten

die Neuen Schweizer Medienmacher:innen

gegründet. Wir

möchten die Branche öffnen: Es sollen

mehr Menschen mit Migrationsgeschichte

berichterstatten und die

Berichterstattung muss antirassistisch

sein. syndicom unterstützt uns

dabei, was wir schätzen. Ich bin

überzeugt, wir sitzen alle im selben

Boot und sind es unserer Demokratie

schuldig, für Chancengleichheit,

Gerechtigkeit, Freiheit und Teilhabe

tagtäglich einzustehen.

https://surprise.ngo

https://neuemedienmacherinnen.ch


Impressum

Redaktion: Robin Moret und Giovanni Valerio

(Co-Leitung), Rieke Krüger, Catalina Gajardo

redaktion@syndicom.ch, Tel. 058 817 18 18

Übersetzungen: Alexandrine Bieri, Gabriele Alleva,

Laurence Strasser

Porträtzeichnungen: Katja Leudolph

Layout und Druck: Stämpfli Kommunikation, Bern

Adressänderungen: syndicom, Adressverwaltung,

Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern

Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17

Inserate: priska.zuercher@syndicom.ch

Das Abo ist für Mitglieder kostenlos. Für Nichtmitglieder:

Fr. 35.– (Inland), Fr. 50.– (Ausland)

Abo-Bestellung: info@syndicom.ch

27

Verlegerin: syndicom – Gewerkschaft

Medien und Kommunikation, Monbijoustr. 33,

Postfach, 3001 Bern

Das syndicom-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.

Die Nummer 34 erscheint am 13. April 2023.

Das syndicom-Kreuzworträtsel

Günstiger übernachten: Zu gewinnen

gibt es diesmal eine HotelCard.

Das Lösungswort wird in der nächsten

Ausgabe zusammen mit dem Namen

der Gewinnerin oder des Gewinners

veröffentlicht.

Lösungswort und Absender an:

admin@syndicom.ch oder per Postkarte

an: syndicom-Magazin, Monbijoustrasse

33, Postfach, 3001 Bern.

Einsendeschluss: 6. 3. 23

Der Gewinner

Die Lösung des Rätsels aus dem syndicom-Magazin

Nr. 32 lautet: FULFILLMENT.

Gewonnen hat Cornelia Schaad aus

Beringen. Der Coop-Gutschein ist

unterwegs. Wir gratulieren herzlich!

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Das Bildungsinstitut der Gewerkschaften

Kurs für Vertrauensleute, aktive Mitglieder

und Mitarbeitende von Gewerkschaften

3.–4. April 2023 in Sigriswil, Kurs Nr. D1.8.2307 Protokollführung

Protokolle dienen der Information und Kontrolle und sind ein wichtiges Führungsinstrument.

Protokollführung ist anspruchsvoll. Lerne die wesentlichen Aussagen und Entscheidungen

schriftlich festzuhalten. Melde dich an unter www.movendo.ch oder 031 370 00 70

movendo.ch


28 Inter-aktiv

syndicom social

Iran: Journalist:innen unter Beschuss

15.01.2023

Es ist schwierig, eine genaue Schätzung

der Verhaftungen im Iran nach dem Tod

von Mahsa Amini vorzunehmen. Unter ihnen befinden

sich viele Journalist:innen, die gehindert werden, ihrer

Arbeit nachzugehen (und über die Proteste gegen das

islamische Regime zu berichten). Nach Angaben des CPJ

(Komitee zum Schutz von Journalisten) wurden mindestens

88 Journalisten und Fotografen verhaftet (Stand:

15. Januar). Die Islamische Republik bestreitet, dass

diese Medienschaffenden aufgrund ihrer beruflichen

Tätigkeit verhaftet worden sind.

Vom Wert der Gewerkschaften 11.01.2023

Eine Studie des SGB hat die Auswirkungen von Gewerkschaften

und GAV auf das Lohnniveau, die Arbeitsbedingungen

und die Produktivität bewertet. Sie steht

unter syndicom.ch/k8k37 zum Download bereit.

Musikvideo zur Petitionsübergabe 15.12.2022

Die Petition «Preise steigen! Löhne rauf!»,

die von 8436 Post-Angestellten unterzeichnet

wurde, fordert mindestens 200 Franken

mehr Lohn pro Monat. Schau dir das Video der

Petitionsübergabe an: syndicom.ch/yspij

Wasser predigen – Wein trinken

13.01.2023

Eine von Greenpeace beauftragte

Studie zeigt: Die Privatflüge ans

Weltwirtschaftsforum 2022 in Davos

verursachten viermal mehr CO2 als

eine normale Woche. Wenn sich die

Reichen treffen, um über Klima und

Ungleichheit zu sprechen, benutzen

sie das umweltschädlichste Verkehrsmittel.

syndicom.ch/0aujc

Wundersame Vermehrung der Gelder 06.12.2022

Auf dem Papier haben sich die Beiträge der Schweiz an

Klimaschutz in Entwicklungs- und Schwellenländern in

zehn Jahren verdreifacht. Leider zu schön, um wahr zu

sein, analysiert Alliancesud.ch.

Löhne und GAV = mehr Arbeit 05.01.2023

Die Forbes-Prognosen für den Tech-Bereich 20.12.2022

Autonome (fahrerlose) Taxis, massive Investitionen in

die Entwicklung humanoider Roboter, KI-Agenten, die

anstelle der heutigen Link-Listen für Google Online-

Suchanfragen beantworten: Dies sind einige der Prognosen

des Wirtschaftsmagazins Forbes für 2023.

Zur Archivseite der Wayback Machine: archive.ph/IkRxT

Rising Together: UNI Global Union 01.01.2023

Der Kongress von UNI Global Union – des Gewerkschaftsverbands,

der über 20 Millionen Beschäftigte in 150 Ländern

und 900 Gewerkschaften vertritt – findet vom 27. bis

30. August in Philadelphia statt. Uniglobalunion.org

Ein gängiges Klischee: Höhere Löhne führen

zu mehr Arbeitslosigkeit. Das widerlegt

der neue Bericht des @SGB. Im Gegenteil: Gesamtarbeitsverträge

und höhere Löhne führen zu mehr

Beschäftigten.

Paris 2026, IJF-Kongress 29.06.2022

Die Internationale Journalist:innen-

Föderation (IJF) gibt bekannt, dass

ihr nächster Kongress 2026 in Paris

stattfindet, wo sie 1926 gegründet

worden ist. Sie erinnert auch, dass

der Fonds für Journalist:innen, die

von Gewalt bedroht sind oder medizinische

Behandlung benötigen, jederzeit

unterstützt werden kann.

www.ifj.org/safety-fund

Massive Repression in Russland 24.1.2023

Elf Monate nach Beginn des Ukraine-Konflikts unterdrücken

die russischen Behörden weiterhin öffentliche

Proteste und unterbinden die Berichterstattung. Der

Bericht «You will be arrested anyway» von Amnesty

International dokumentiert diese Situation: Amnesty.ch

Die Zeit ist unser einziger Feind 06.12.2022

Durch neue Lebensmitteltechnologien könnten 80 %

des Agrarlandes an die Natur zurückgegeben werden.

Laut Forschungen der EU könnten weniger als 20 % des

bestehenden Ackerlandes den weltweiten Nahrungsmittelbedarf

decken. Allerdings wird es ein Jahrhundert

dauern, bis diese Technologien entwickelt sind.

Zu lange, um den Planeten zu retten.

Folge uns auf allen

gängigen Kanälen!

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