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WeltWeit 01 2021

Zeitschrift für Entwicklungspartnerschaft und globale Gerechtigkeit

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weltweit<br />

WERTEGRUND<br />

TEXTE: CELIA GOMEZ<br />

Am 25. Mai wurde in den USA George Floyd von der Polizei<br />

umgebracht. Dieser Mord löste etwas aus. Plötzlich fragten sich<br />

viele, ob Rassismus in ihren jeweiligen Ländern eigentlich ein<br />

Problem ist und sie selbst wirklich frei davon sind. Diese Reaktion<br />

zeigt, dass die meisten Menschen das Thema abgehackt<br />

und schubladisiert haben. «People of Colour»* beantworteten<br />

die Frage nach Rassismus als fortbestehendes Problem mit<br />

einem lauten «Ja!» und rissen viele aus ihrem Schlummertraum,<br />

in einer Welt ohne Rassismus zu leben.<br />

Also gehen wir mal kritisch, aber auch pragmatisch der unbequemen<br />

Fragestellung nach: Sind wir in irgendeiner Weise rassistisch?<br />

Auch wenn die Geschichte des Begriffs fast einen eigenen<br />

Artikel hergäbe, nennen wir hier die vom Soziologen Albert<br />

Memmi stammende Definition: Rassismus ist die verabsolutierte<br />

Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Schaden<br />

eines Opfers und Nutzen seines Anklägers, um dessen Privilegien<br />

oder Aggressionen zu rechtfertigten.<br />

Wir leben mit Vorurteilen<br />

Vorurteile sind eine Form der Verallgemeinerung, die vielfältige<br />

Fakten und Meinungen über extrem viele komplexe Themen der<br />

Welt, die wir kaum kennen oder verstehen, einebnen. Wir können<br />

gar nicht alles eingehend «untersuchen», sondern müssen oft<br />

mit schwachen Grundlagen werten und entscheiden. Psychologische<br />

Studien zeigen, dass wir uns innerhalb 15 Sekunden eine<br />

Meinung über eine Person bilden, die wir eben getroffen haben.<br />

Eine Studie über Vorstellungsgespräche ergab, dass sich ArbeitgeberInnen<br />

zutiefst von Augenkontakt, äusserlicher Erscheinung,<br />

Small Talk-Fähigkeiten und der Stärke des Händedrucks beeinflussen<br />

lassen; und sich Meinungen und Urteile aufgrund ihrer<br />

eigenen Erfahrungen bilden. Das sind völlig subjektive Grössen<br />

und können zu falschen Entscheidungen führen, vor allem dann,<br />

wenn die Person, die sich vorstellt, einen anderen Hintergrund<br />

hat. In seinem Buch «Our racist heart» spricht der Psychologe<br />

Geoffrey Beattie von einem «unbegründeten Urteil und Gefühl<br />

über eine Person oder Sache, das ohne genügend Rechtfertigung<br />

positiv oder negativ ist».<br />

am besten alle WeltbürgerInnen und fühlten uns überall zugehörig.<br />

Doch wir kommen nicht darum herum, unsere Welt zu<br />

kategorisieren.<br />

Auch die Unterscheidung von «Wir» und «Sie» gehört dazu: Untersuchungen<br />

haben gezeigt, dass wir unsere «In-Group» bevorzugen,<br />

selbst wenn diese künstlich herbeigeführt wurde (etwa<br />

mit dem Zufallsprinzip in Rot und Blau eingeteilt). Dies geht so<br />

weit, dass Problematisches von Gruppenmitgliedern akzeptiert<br />

und das gleiche Verhalten in der anderen Gruppe nicht toleriert<br />

wird. Diese Dynamik zeigt sich in Diskussionen um die Integration<br />

von MigrantInnen und Geflüchteten: Wie weit müssen sich<br />

Menschen, die nicht zu «uns» gehören, anpassen, inwieweit können<br />

sie sich bleiben, um als «Mitglied» zu gelten? Wo hört Unterschiedlichkeit<br />

auf? Viele «People of Colour» beschweren sich<br />

heute über sogenannte Farbenblindheit: Im guten Willen, Hautfarbe<br />

komplett zu übersehen, behandeln Nicht-Diskriminierte<br />

(oft Weisse) «People of Colour», als ob sie auch zu ihrer In-Group<br />

gehören. Dies führt aber dazu, mit der überbetonten Gleichbehandlung<br />

die Bedürfnisse oder Traumata letzterer zu übersehen.<br />

Darunter liegt die Forderung nach Assimilation – «Seid wie wir<br />

und ihr werdet uns gleichberechtigt sein» – die oft einem rassistischen,<br />

kulturellen oder religiösen Vorurteil entspringt.<br />

Die Zugehörigkeitsgruppe bietet mit ihrer Selbst-Harmonie einen<br />

Schutz für das Individuum. Aus dem Ethnozentrismus kann<br />

jedoch auch ein offensiver Schutz entstehen, indem Mitglieder<br />

fremder Gruppen verachtet und diskriminiert werden. Es kommt<br />

auch zum Rassismus, indem Menschen um die Integrität ihrer<br />

Gruppe fürchten und feindlich gegen Leute mit gemischter<br />

Herkunft agieren. Dies zeigt sich in der Geschichte des europäischen<br />

Kolonialismus, der Apartheid in Südafrika und der<br />

US-Bürgerrechtsbewegung.<br />

Alle leben mit Vorurteilen. Ergeben wir<br />

uns ihnen nicht, sondern erkennen<br />

Situationen, wo wir für sie anfällig sind –<br />

um anders handeln zu lernen!<br />

Von Zugehörigkeit zum Ausschluss...<br />

Sicher ist nicht bei jeder negativen Reaktion zwingend ein Vorurteil<br />

am Werk. Es ist jedoch wichtig, uns einzugestehen, dass<br />

Urteile oft vorschnell, ohne Berücksichtigung genügender Faktoren<br />

gemacht werden, zum Beispiel aufgrund des Geschlechts<br />

oder Ethnie einer Person. Am Ursprung dieser Art von Vorurteil<br />

steht ein menschlicher Wunsch nach Zugehörigkeit. Wir zählen<br />

uns zur Familie, zum Heimatort, zu unserer Schule, Religion,<br />

Partei, identifizieren uns mit unserem Beruf, Geschlecht, Alter,<br />

Hobby, Club, mit der Art, wie wir sprechen, leben usw. Unsere<br />

Gruppen sind uns wichtiger als die vielen, zu denen wir nicht<br />

gehören, wie Nicht-Familienmitglieder, Kinder anderer Klassen<br />

oder Schulen, Fans anderer Fussballmannschaften und Menschen<br />

anderer Länder. Nationalhymnen vermitteln unseren Staat<br />

als Mutter oder Vater. Viele PsychologInnen finden, wir wären<br />

... bis todbringender Feindschaft<br />

Aus Vorurteilen können Überverallgemeinerung auf Basis von<br />

Ignoranz, begrenzten Erfahrungen bis zu bösartigen Unterstellungen<br />

geschehen, mit grossen Auswirkungen auf so verurteilte<br />

Personen und Gruppen. Sind Vorurteile einmal gefällt und verfestigt,<br />

haben sie Auswirkungen auf das menschliche Handeln.<br />

Sie können eine vermeintlich «natürliche» Dynamik erschaffen,<br />

in der eine ganze Reihe von schlimmen Taten «viel einfacher»<br />

geschehen und die diskriminierten Gruppemitglieder Würde und<br />

gar ihr Menschsein absprechen.<br />

Dies ist auch durch den Antisemitismus geschehen. Eine Reihe<br />

von Vorurteilen ist schon in den ersten Jahrhunderten nach<br />

Christus entstanden und hält sich bis heute. Die Dehumani-<br />

1/<strong>2021</strong>

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