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Internationales

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Wir können

gewinnen!

Ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise und dem arabischen

Frühling ist eine neue Welle des globalen Protests auf

viele Länder zugekommen. Massive Proteste und Unruhen

nehmen weltweit zu, von Chile bis in den Irak. Was

allerdings in unseren Nachrichten bei uns als Protestursache

ankommt, ist häufig nur die Spitze des Eisbergs

einer marktradikalen Wirtschaftspolitik, die sich nach

dem Ende des “kalten Kriegs” immer schonungsloser in

allen Ländern ausgebreitet hat. Viele Länder sind nach

Jahrzehnten marktradikaler Wirtschaftspolitik regelrecht

ausgeblutet und die Unzufriedenheit wächst dementsprechend

immer weiter.

Im Libanon begannen am 17. Oktober 2018 Massenproteste

gegen den Regierungsplan eine Steuer für Anrufe über Whats-

App oder andere Messenger zu erheben. Trotz des schnellen

Zurückruderns der Hariri-Regierung riefen die Demonstranten

auf den Straßen bereits den Schlachtruf des arabischen Frühlings:

„Das Volk will den Fall des Regimes!“. Keine Reaktion

der Regierung hätte die Menschen mehr von der Straße bringen

können. Angesichts der vorherrschenden konfessionellen

Spaltung Libanons, grenzt es fast an einem Wunder, dass die

Menschen dort gemeinsam gegen ihre korrupten Politiker demonstrierten.

Unabhängig von ihrer Religion standen 89% der

Bevölkerung, darunter Christen, Muslime und Drusen, auf der

Straße. Wenn man alte Begriffe auspacken darf: Das ist “Klassenkampf”

in seiner Reinform!

Aber es geht weiter: In Chile - dem Experimentierfeld der neoliberalen

Wirtschaftspolitik - löste ein Vorstoß der Regierung

unter Piñera, den Preis für das Metro-Ticket zu

erhöhen, gigantische Proteste aus. Eine für viele

Menschen untragbare Reform in einem Land, in

dem die Hälfte der Bevölkerung von umgerechnet

nur 500€ im Monat leben muss. Aber auch

in Chile handelt es sich bei dieser Reform nur um

den Tropfen der das Fass zum Überlaufen gebracht

hat: Die Demonstrierenden fordern den Sturz des

Neoliberalismus, nicht nur günstige Metro-Tickets.

In Frankreich beteiligte sich die Gelbwesten-Bewegung

an einem Generalstreik, wodurch eine

völlig neue Dynamik entfacht wurde. Die

Forderung von vor einem Jahr bleibt:

“Macron démission!” (“Macron trete

zurück!”), eine demokratische Legitimation

hat er schon lange verloren. Hongkongs

Proteste haben einen qualitativen

Schwenk vollbracht. Nach dem Rückzug

des Auslieferungsgesetzes, wurde

die Protestwelle zu einer allgemeineren

Bewegung für Demokratie, welche die

Bürokratie der sogenannten “Kommunistischen

Partei Chinas” aus Peking

herausfordert. Aber die Liste

der Massenproteste auf dem Globus

geht noch weiter: Puerto Rico,

Sudan, Haiti, Irak, Ägypten, Algerien

und Ecuador. Die Welt ist in Aufruhr

und das hat einen Grund: Die obszöne

Ungleichheit zwischen Arm

und Reich hat zugenommen und ist in manchen Ländern für

die Menschen deutlicher spürbar geworden. Die eiserne Regel,

dass die Armen und Abgehängten immer wieder für die Krise

des Kapitalismus zahlen müssen, bleibt brandaktuell und sorgt

immer wieder für Angriffe auf Sozialsysteme, Umverteilungen

von Unten nach Oben und einer Verschärfung der Lebenslage

derer Menschen, die nicht für die Krise verantwortlich sind. Dabei

sind die Ziele der Menschen sehr divers und ihr Kampf ist

nicht immer gegen den Kapitalismus gerichtet, sondern häufig

eher gegen seine Symptome. Was vielen Menschen fehlt ist ein

effektiver Hebel, um die alten Eliten ein für alle mal von ihrem

Thron zu stoßen und die Wirtschaft demokratisch durch die

Mehrheit der Bevölkerung zu lenken.

Denn die Wirtschaft agiert weitgehend unabhängig von demokratischer

Kontrolle durch die Bevölkerung. Dabei liegt hier

der Schlüssel für einen effektiven Umbau der Gesellschaft, der

so dringend notwendig ist. Erst wenn die Kontrolle über die

Wirtschaft durch demokratische Machtorgane der Bevölkerung

sichergestellt ist, können wir den Kapitalismus besiegen und

durch eine Demokratie ersetzen, die sich auch wirklich so nennen

darf.

Diese aktuelle Protestwelle ist ein gigantischer Hoffnungsträger.

In diesen vielen Ländern sind die Menschenmassen dazu

in der Lage gewesen, Politiker aus ihren Pöstchen zu jagen und

geplante marktradikale Reformen zu verhindern. Diese Massenproteste

und ihre Erfolge sind Beweis dafür, dass wir nur

durch gemeinsames Handeln gewinnen können. Dabei kann

eine koordinierte Gruppe antikapitalistischer Aktivistinnen und

Aktivisten eine wichtige Rolle spielen. Es bleibt die Frage ob die

bestehende politische Linke die Forderungen der Bewegung

richtig artikulieren kann oder ob es zu einer Neuorganisierung

der politischen Linken kommen kann. ■

OLIVER KRIEG

ist Mitglied der LINKEN Münster

© Saleem Haddad / Twitter

© Lana H. Haroun / Twitter

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