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Eurogast Insights Frühjahr 2021

Im neuen Eurogast Insights finden Sie alle News und Trends aus der Gastronomiewelt sowie spannende Einblicke in die Welt von Eurogast Österreich und vieles mehr.

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COVERSTORY<br />

COVERSTORY<br />

„Man könnte<br />

sagen, wir<br />

sind schneller<br />

mutiert<br />

als das Virus“.<br />

Moriz Piffl,<br />

Vollpension-Gesellschafter<br />

S<br />

chmeckt fast so gut wie bei<br />

Oma – das ist ein Prädikat<br />

für gute Kuchen. Und das<br />

mit gutem Grund. Jahrzehnte<br />

der Erfahrung haben<br />

den älteren Semestern<br />

Kniffe gelehrt, die Jüngere<br />

erst über viele mittelprächtige<br />

Torten hinweg erlernen<br />

müssen. In den Genuss der Leckereien<br />

kommen Backlaien in der seit 2015 bestehenden<br />

Vollpension dennoch, dort stellen<br />

nämlich Senioren die Hälfte des Teams im<br />

Generationencafé und finden so nach der<br />

Pensionierung ein Einkommen und eine<br />

Aufgabe. Mit Beginn der Pandemie kam<br />

die Vollpension in Bedrängnis, doch man<br />

passte sich an und machte, wie es Gesellschafter<br />

und Kreativmastermind Moriz<br />

Piffl formuliert, „aus der Not eine Tugend“.<br />

GEMEINSAMER KRAFTAKT<br />

Dass die Vollpension die ersten Monate<br />

der Pandemie überstehen würde, war<br />

zunächst unklar. Das Stammhaus in der<br />

Wie sich die Senioren<br />

vor der Kamera schlagen<br />

würden, wusste vor<br />

Beginn der Dreharbeiten<br />

niemand. Einige übertrafen<br />

jedoch alle Erwartungen<br />

und schlugen sich<br />

laut Piffl „bombastisch“.<br />

Schleifmühlgasse wollte einen staatlich<br />

besicherten Kredit von 100.000 Euro aufnehmen,<br />

doch dieser wurde nicht gewährt.<br />

Man stellte zwar Anträge auf Kurzarbeit,<br />

bis zur positiven Antwort vergingen aber<br />

zwei Monate. Noch dazu hatten die Backomas,<br />

das Herz des Unternehmens, keinen<br />

Anspruch darauf. Für Piffl gab es klare<br />

Ziele: „die Senioren in Beschäftigung<br />

halten und als Unternehmen die Krise<br />

überstehen.“<br />

LÖSUNGSANSÄTZE<br />

Mitarbeiter, Senioren sowie Mitstreiter<br />

aus der Kreativ- und Start-up-Szene setzten<br />

sich am virtuellen Tisch zusammen.<br />

Letztlich wurden zwei konkrete Ideen angegangen:<br />

eine Crowdfundingkampagne<br />

gegen den massiven finanziellen Einbruch<br />

und der Aufbau der Backademie, einer<br />

Streamingplattform für eigene Backkurse.<br />

Das Crowdfunding startete im<br />

April. Ziel waren 40.000 Euro, geworden<br />

sind es 140.000. Damit war die Absage des<br />

Kredits kompensiert. Piffl erinnert sich:<br />

© Mark Glassner, Oliver Capuder<br />

„Ohne das Crowdfunding hätte der Betrieb<br />

es nicht einmal mehr geschafft, die Gelder<br />

von der Kurzarbeit abzuwarten.“ Mit der<br />

Arbeit an der Backademie begann das<br />

Team kurz darauf im Mai.<br />

ZWISCHENSPIEL<br />

Die Öffnung der Gastronomie im Sommer<br />

stellte die Vollpension vor ein neues Problem,<br />

denn mit halber Sitzplatzzahl ging<br />

die Rechnung als sozialgastronomischer<br />

Betrieb nicht mehr auf. Die Touristen, im<br />

Sommer des Vorjahres zwei Drittel der<br />

Gäste, blieben noch dazu aus. Also rief<br />

man das Flatratemodell Halbpension ins<br />

Leben, bei dem die Kunden für die verbrachte<br />

Zeit im Café bezahlten. Das Team<br />

traute der Öffnung trotzdem nie ganz über<br />

den Weg und stellte eigene Überlegungen<br />

zu kommenden Lockdowns an, so Piffl: „Es<br />

ist oft besser, sich eigene Rahmenbedingungen<br />

zu setzen, wenn von außen keine<br />

klaren Ansagen kommen.“<br />

FILM AB<br />

Unterdessen wurde in der Vollpension ein<br />

professionelles Filmstudio mit vier Kameras<br />

aufgebaut. 50 Menschen arbeiteten an<br />

dem Projekt, ohne zu wissen, ob es Geld<br />

einbringen würde. Wie sich die Senioren<br />

vor der Kamera schlagen würden, war<br />

unklar, noch dazu musste sichergestellt<br />

werden, dass sich niemand am Set infizierte.<br />

Vor jedem Dreh unterzog sich also<br />

Die Vollpension zu<br />

retten, bedeutete jede<br />

Menge persönlichen<br />

Einsatz. Ein Jahr lang<br />

wurde praktisch<br />

durchgearbeitet.<br />

Vor der Pandemie verköstigte die Vollpension ihre Gäste an zwei<br />

Standorten in Wien. Durch die Onlineangebote ist es nun gelungen,<br />

eine breiter gestreute Kundschaft anzusprechen.<br />

das gesamte Team den damals noch wenig<br />

bekannten Schnelltests.<br />

Die fertigen Episoden stehen<br />

heute gegen einen Obolus auf der Website<br />

der Vollpension zur Verfügung: In den<br />

„Omasterclasses“ wird je ein Themenschwerpunkt<br />

behandelt, von Kuchen über<br />

Kekse bis hin zu veganem Backen. Neben<br />

dem Streamingangebot gibt es auch die<br />

Möglichkeit, online an Livekursen teilzunehmen<br />

und gemeinsam mit den Senioren<br />

zu backen. Nicht nur die Einkünfte, die das<br />

Projekt abwarf, gaben dem Team Auftrieb,<br />

sondern auch die Beschäftigung damit:<br />

„Jeder war froh, etwas tun zu können und<br />

nicht nur ohnmächtig darauf zu warten,<br />

was jetzt kommt.“<br />

BREIT AUFGESTELLT<br />

Die Contentproduktion ging weiter. Man<br />

gab ein Backbuch und Rezeptkartensets<br />

heraus, für Servus TV produziert das<br />

Team ein wöchentliches TV-Format. Die<br />

Fülle an bespielten Medienkanälen erklärt<br />

Piffl so: „Man muss sagen, dass wir keinen<br />

gastronomischen, sondern einen breiter<br />

aufgestellten sozialunternehmerischen<br />

Hintergrund haben.“<br />

Mit zusätzlichen Aktionen wie<br />

den Buchteln to go im Februar gewann<br />

man weitere Kunden, die Ideen gehen<br />

den Machern der Vollpension nach wie vor<br />

nicht aus. Moriz Piffl über die wohl größte<br />

Stärke des Unternehmens in der Krise:<br />

„Man könnte sagen, wir sind schneller<br />

mutiert als das Virus.“<br />

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