600 JAHRE BASILIKA ST. MARTIN Amberg 1421 – 2021
Jubiläumschronik
Jubiläumschronik
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>600</strong> <strong>JAHRE</strong><br />
<strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
<strong>1421</strong> <strong>–</strong> <strong>2021</strong> HERAUSGEBER<br />
Katholische Kirchenstiftung St. Martin <strong>Amberg</strong>
<strong>600</strong> <strong>JAHRE</strong><br />
<strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
<strong>1421</strong> <strong>–</strong> <strong>2021</strong><br />
HERAUSGEBER<br />
Katholische Kirchenstiftung St. Martin <strong>Amberg</strong>
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,<br />
die Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong>, nach dem Regensburger Dom der bedeutendste<br />
gotische Kirchenbau der Oberpfalz, kann im Jahre <strong>2021</strong> den <strong>600</strong>. Jahrestag ihrer Grundsteinlegung<br />
feiern.<br />
Es war die wohlhabende und selbstbewusste Bürgerschaft der Stadt <strong>Amberg</strong>, die am<br />
„Urbanstag“, dem 25. Mai des Jahres <strong>1421</strong>, mit der Grundsteinlegung den Bau begann,<br />
der über 100 Jahre dauern sollte. Die mächtige Kirche mit ihrem herausragenden Turm<br />
am Ufer der Vils ist nicht nur eines der Wahrzeichen der Stadt <strong>Amberg</strong>, sondern auch<br />
ein steinernes Zeugnis des Glaubens und der Frömmigkeit unserer Vorfahren. Man muss<br />
sich vor Augen halten, dass jene, die den Bau damals begannen, dies in der Gewissheit<br />
taten, nie selbst die Fertigstellung zu erleben. Sie sahen sich als Teil eines größeren<br />
Ganzen und wollten so ihren Beitrag zum Haus Gottes, in dem er selbst wohnt und sein<br />
Name angerufen wird, leisten.<br />
In den <strong>600</strong> Jahren seither hat dieses Gotteshaus eine sehr abwechslungsreiche und<br />
spannende Geschichte erlebt. Die Basilika St. Martin nicht nur als prächtigen Kirchenbau<br />
zu erhalten und ihre Geschichte weiterzuschreiben, sondern sie als Haus Gottes auch<br />
mit Gebet und Leben zu füllen, ist uns Aufgabe und Verpflichtung.<br />
Anlässlich des <strong>600</strong>. Jahrestages der Grundsteinlegung gibt die Katholische Kirchenstiftung<br />
St. Martin <strong>Amberg</strong> die vorliegende Jubiläums-Chronik heraus. In dem umfangreichen<br />
Werk werden viele verschiedene Facetten beleuchtet, zahlreiche Daten, Fakten<br />
und Geschichten aus der Vergangenheit erzählt und dem schon Bekannten sehr viele neue<br />
Aspekte hinzugefügt.<br />
Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich allen Autorinnen und Autoren für ihre wertvollen<br />
und interessanten Beiträge zur Geschichte der Stadtpfarrkirche und der Pfarrei<br />
St. Martin. In meinen Dank möchte ich aber auch all jene einschließen, die sich heute<br />
um den Erhalt und Fortbestand der Basilika St. Martin kümmern und die sie mit Leben<br />
erfüllen, indem sie darin zusammenkommen, um das Leben und den Glauben zu feiern<br />
und das Lob des Herrn zu verkünden.<br />
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine gewinnbringende Lektüre dieser<br />
Jubiläums-Chronik, die unser Gotteshaus wieder neu sehen und wertschätzen lässt<br />
und zum Besuch einlädt.<br />
IHR <strong>ST</strong>ADTPFARRER THOMAS HELM<br />
4<br />
5
INHALT<br />
14 GRUNDRISS<br />
16 VERPAS<strong>ST</strong>E CHANCE IN DER VERGANGENHEIT,<br />
HI<strong>ST</strong>ORISCHES POTENTIAL IN DER ZUKUNFT<br />
Archäologisch-historische Bemerkungen zu Frühgeschichte<br />
und Vorgängerbauten<br />
—— Mathias Hensch<br />
44 SELB<strong>ST</strong>BEWUS<strong>ST</strong>E REPRÄSENTATION ODER GRÖSSENWAHN?<br />
St. Martin <strong>–</strong> eine (zu) große Kirche für <strong>Amberg</strong>.<br />
Motive <strong>–</strong> Bau <strong>–</strong> Ausstattung<br />
—— Johannes Laschinger<br />
70 DACH<strong>ST</strong>UHL UND GEWÖLBE DER <strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Einzigartige Leistung der Zimmerleute und Bauhandwerker von einst<br />
—— Karl Müller<br />
92 DER TURM DER <strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Die Restaurierungsarbeiten von 2012 bis 2017<br />
—— Josef Beer<br />
110 DIE GLOCKEN IM TURM DER <strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Über Umschriften, Glockenzier und Namensherkunft<br />
—— Josef Beer<br />
134 DIE FÜR<strong>ST</strong>ENGRÄBER IN DER <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong>SKIRCHE<br />
Ein Stück wittelsbachischer Memorialkultur<br />
—— Johannes Laschinger<br />
150 FLÄMISCHER BAROCK IN <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Die Leinwandbilder Caspar de Crayers<br />
—— Daniel Rimsl<br />
164 AB MIT DEN ALTEN ZÖPFEN!<br />
Die Restaurierung und neugotische Umgestaltung<br />
von St. Martin im 19. Jahrhundert<br />
—— Susanne Wanninger<br />
184 GOTTESLOB UND BÜRGER<strong>ST</strong>OLZ<br />
Die Glasgemälde von St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
—— Claudia Schumacher<br />
224 GEI<strong>ST</strong>LICHE IM PORTRÄT<br />
Die Pfarrer von St. Martin von 1630 bis 1981 <strong>–</strong><br />
vorgestellt in Bild und Wort.<br />
—— Werner Schrüfer<br />
256 GESCHICHTE DES KIRCHENCHORES<br />
700 Jahre Musik in St. Martin zu <strong>Amberg</strong><br />
—— Franz Meier<br />
282 DAS APO<strong>ST</strong>OLISCHE SCHREIBEN „INTER TEMPLA“<br />
Wie die Stadtpfarrkirche St. Martin eine Päpstliche Basilika wurde<br />
—— Thomas Helm<br />
292 IMPRESSUM<br />
6<br />
7
9
10
13
GRUNDRISS<br />
10<br />
9<br />
11<br />
M 1 / 200<br />
20.06.2011<br />
MARKTPLATZ<br />
7<br />
6<br />
PORTAL<br />
8 12<br />
b<br />
5 15<br />
4 16<br />
1 e<br />
a<br />
3 17<br />
2 18<br />
TURM<br />
c<br />
d<br />
13<br />
14<br />
f 19<br />
SAKRI<strong>ST</strong>EI<br />
BAUFUGE<br />
SALZ<strong>ST</strong>ADELPLATZ<br />
P L A N U N G B A U V O R H A B E N P L A N I N H A L T<br />
ÜBERSICHT<br />
GRUNDRISS KIRCHE<br />
Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
B A U H E R R<br />
Kath. Kirchenstiftung <strong>Amberg</strong><br />
vertreten durch: Herrn Pfarrer Meiler<br />
Rathausstr. 8<br />
92224 <strong>Amberg</strong><br />
Werftstrasse 11<br />
93059 Regensburg<br />
FON: 0941 / 5674491<br />
CAROLA SETZ<br />
Architektin Dipl. Ing (FH)<br />
FAX: 0941 / 5674493<br />
CHRONIK<br />
• Grundsteinlegung: 25. Mai <strong>1421</strong><br />
• Erhebung zur Basilika: 27. September 1980<br />
• Patrozinium: 11. November (Gedenktag des hl. Martin)<br />
• Dekanat: <strong>Amberg</strong>-Ensdorf<br />
• Diözese: Regensburg<br />
• Architektur: spätgotische Hallenkirche<br />
LEGENDE GRUNDRISS<br />
a<br />
b<br />
c<br />
d<br />
e<br />
Tumba des Pfalzgrafen Pipan<br />
Tafelbild „Kreuzauffindung“,<br />
Jan Polack<br />
Ehem. Hochaltarbild,<br />
Caspar de Crayer<br />
Leinwandbild „Maria mit Heiligen“,<br />
Caspar de Crayer<br />
Leinwandbild „Der enthauptete Johannes der Täufer“,<br />
Caspar de Crayer<br />
PATROZINIEN DER KAPELLEN<br />
1 Leonhard<br />
2 Helena<br />
3 Barbara<br />
4 Wolfgang<br />
5 Sebastian<br />
6 Johannes Nepomuk<br />
7 Anna<br />
8 Herz Mariä<br />
9 Vierzehn Nothelfer<br />
10 Sakramentskapelle<br />
11 Josef<br />
12 Laurentius<br />
13 Maria Magdalena<br />
14 Herz Jesu<br />
15 Afra<br />
16 Heilig Kreuz<br />
f<br />
Leinwandbild „Petrus und der Gelähmte“,<br />
niederländischer Caravaggist<br />
17 Franz Xaver<br />
18 Johannes der Täufer<br />
19 Heilige Dreifaltigkeit<br />
14<br />
15
VERPAS<strong>ST</strong>E CHANCEN IN DER VERGANGENHEIT,<br />
HI<strong>ST</strong>ORISCHES POTENTIAL IN DER ZUKUNFT<br />
Archäologisch-historische Bemerkungen<br />
zu Frühgeschichte und Vorgängerbauten<br />
der <strong>Amberg</strong>er Martinskirche<br />
—— Mathias Hensch<br />
ABB. 1<br />
Die <strong>Amberg</strong>er Martinskirche<br />
des 15. Jahrhunderts<br />
im Zentrum der<br />
heutigen Altstadt<br />
W<br />
enn sich <strong>2021</strong> die Grundsteinlegung<br />
der gotischen<br />
Martinskirche zum <strong>600</strong>. Mal<br />
jährt, so ist dieses Jubiläum<br />
zweifelsohne ein Grund zu feiern. Das imposante<br />
Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert, die<br />
größte Hallenkirche Nordbayerns, überliefert<br />
bis heute das Selbstbewusstsein und die ökonomische<br />
Potenz der <strong>Amberg</strong>er Bürgerschaft<br />
im ausgehenden Mittelalter (Abb. 1). So wichtig<br />
das Jahr <strong>1421</strong> für die Geschichte des Gotteshauses<br />
ist, so wenig sagt uns dieses Datum<br />
aber etwas über die Anfänge, die ältere Baugeschichte<br />
der Martinskirche und die historischen<br />
Rahmenbedingungen ihrer Gründung.<br />
Denn sicher ist, das uns vertraute und beeindruckende<br />
Gebäude ist nicht der erste Sakralbau<br />
an dieser Stelle, und es ist auch nicht das<br />
Bauwerk, das das mittelalterliche <strong>Amberg</strong><br />
prägte, denn die Eckdaten der Grundsteinlegung<br />
(<strong>1421</strong>) und der Aufrichtung der Dachwerke<br />
von Chor (1435 bis 1438) und Langhaus<br />
(1479/80)1 reichen lediglich rund 80 Jahre in<br />
das letzte Jahrhundert des deutschsprachigen<br />
Mittelalters zurück.<br />
Aus dieser ebenso einfachen wie wichtigen<br />
Erkenntnis ergibt sich ein ganzes Bündel an<br />
Fragen und Aspekten, die die älteste Entwicklung<br />
der Kirche vor dem Hintergrund ihres<br />
historischen und topografischen Umfelds<br />
fokussieren. Und genau hier liegt die Krux: Die<br />
schriftliche Überlieferung zur frühen Geschichte<br />
der Kirche bietet keine tragfähige<br />
Grundlage für die Erstellung eines schärferen<br />
historischen Bildes von ihrer baulichen Entwicklung<br />
und ihrer Bedeutung. Im Gegensatz<br />
zur Georgskirche, für die es immerhin eine<br />
frühe Nennung aus dem Jahr 1094 2 und eine<br />
vergleichsweise gut dokumentierte archäo -<br />
lo gische Untersuchung gibt 3 , fehlen für<br />
St. Martin frühe Nachrichten ebenso wie professionell<br />
betreute Ausgrabungen. So ist es<br />
nicht verwunderlich, wenn Ausführungen zur<br />
frühen Geschichte und zur Baugeschichte<br />
der Martinskirche, wie etwa im <strong>Amberg</strong>-Band<br />
der „Kunstdenkmäler von Bayern“ von Felix<br />
Mader 4 oder von Paul Mai in dessen Beitrag<br />
zur „Kirchengeschichte <strong>Amberg</strong>s bis zur<br />
Reformation“ im Jubiläumsband „Aus tausend<br />
Jahren Stadtgeschichte“ von 1984 5 , äußerst<br />
knapp bemessen sind. So desperat die schriftliche<br />
Quellenlage mit unmittelbarem Bezug<br />
zur Frühzeit der Kirche also einerseits ist, so<br />
berechtigt ist diesbezüglich doch andererseits<br />
die Erarbeitung begründeter Thesen anhand<br />
einer kritischen Analyse aller Quellen, die<br />
zumindest vorsichtige Aussagen zur baulichen<br />
und funktionalen Entwicklung der Martinskirche<br />
im Kontext der bislang bekannten<br />
mittelalterlichen Siedlungs- und Herrschaftsgeschichte<br />
<strong>Amberg</strong>s zulassen können. Zu<br />
diesen gehören neben der ältesten schriftlichen<br />
Überlieferung zur Siedlung Ammenberg<br />
auch historisch-topografische und insbesondere<br />
archäologische Quellen.<br />
Verpasste Chancen in der Vergangenheit, historisches Potential in der Zukunft<br />
17
SELB<strong>ST</strong>BEWUS<strong>ST</strong>E REPRÄSENTATION<br />
ODER GRÖSSENWAHN?<br />
St. Martin <strong>–</strong> eine (zu) große Kirche für <strong>Amberg</strong>.<br />
Motive <strong>–</strong> Bau <strong>–</strong> Ausstattung<br />
—— Johannes Laschinger<br />
ABB. 1<br />
Steinerne Geburtsurkunde:<br />
eine Inschrift<br />
auf einer roten Marmorplatte,<br />
die das Datum<br />
der Grundsteinlegung<br />
der Martinskirche, den<br />
25. Mai <strong>1421</strong>, überliefert.<br />
1. VON DER IDEE BIS ZUM BAUBEGINN<br />
„Der mächtige Baukörper der dreischiffigen<br />
Hallenkirche […] beherrscht den Marktplatz<br />
<strong>Amberg</strong>s und von jedem erhöhten Standpunkt<br />
außerhalb der Stadt das gesamte Stadtbild.“<br />
1 Der mächtige Bau „mit 72 m Länge, 28<br />
m Breite und einer Firsthöhe von rund 40 m“ 2<br />
drängt nach Beantwortung der Frage, warum<br />
sich die Bewohner <strong>Amberg</strong>s des 14. und<br />
15. Jahrhunderts zur Errichtung einer derart<br />
großen Kirche entschieden haben. Obwohl<br />
es nur wenige Quellen gibt, soll ihr im Zusammenhang<br />
mit der Vorgeschichte der Errichtung<br />
des gewaltigen Bauwerks nachgegangen<br />
werden.<br />
Die Beschäftigung mit der Frage ist keineswegs<br />
neu; schon vor 100 Jahren stellte sie<br />
Stadt archivar Dr. Joseph Franz Knöpfler in<br />
dem „Gedenkblatt zur 500 sten Wiederkehr des<br />
Tages der Grundsteinlegung zu dieser Kirche“ 3<br />
an den Anfang seiner Ausführungen. Er ging<br />
davon aus, dass zu deren Beantwortung ein<br />
Blick auf die Entwicklung der Stadt <strong>Amberg</strong> zu<br />
werfen wäre. Knöpfler zufolge war <strong>Amberg</strong><br />
durch die „Privilegien der Kaiser und besonders<br />
der bayer. Herzoge und Pfalzgrafen <strong>–</strong> wir<br />
erinnern an die Handels- und Bergbaufreiheiten,<br />
an die durch die Gründung des Spitals 1317<br />
veranlaßte Stadterweiterung <strong>–</strong> […] im 14. und<br />
ganz besonders zu Beginn des 15. Jahrhunderts<br />
eine reiche und mächtige Stadt geworden“ 4 .<br />
Darüber hinaus hob Knöpfler auf die Statthalterschaft<br />
der pfälzischen Erbprinzen und<br />
den Bau eines stattlichen Schlosses ab. Zusammenfassend<br />
sah er den steigenden Reichtum<br />
der Bürgerschaft und den Raummangel in<br />
der alten Martinskirche als Hauptmotive,<br />
„St. Martin neu und in stattlicher Größe erstehen<br />
zu lassen“. 5 Mit weniger Inhalt, dafür<br />
aber umso pathetischer schrieb die „<strong>Amberg</strong>er<br />
Volkszeitung“ anlässlich der Begrüßung des<br />
Regensburger Diözesanbischofs Antonius von<br />
Henle, der 1921 zum 500-jährigen Jubiläum<br />
der Grundsteinlegung nach <strong>Amberg</strong> gekommen<br />
war: „Aus solchem Schaffensmut und<br />
edlem Stolz erwuchs wohl der Gedanke, einen<br />
Ausdruck für den gesteigerten Stand der Stadt<br />
zu finden. Und Sankt Martin ist dieses werktätigen<br />
Bürgerstolzes sichtbarer Ausdruck<br />
und hochragendes Denkmal geworden. Und<br />
zeugt nicht der ragende Gottesbau auch vom<br />
Gemeinschaftsgeist, vom starken Zusammenhalten?“<br />
6 Als dritte Wurzel führte das Blatt den<br />
starken Glauben der Menschen in der damaligen<br />
Zeit an.<br />
Um sich der Beantwortung der Frage zu<br />
nähern, soll aufgrund des Fehlens anderer<br />
Quellen zunächst ein Blick in die Chroniken,<br />
die der Geschichte der Stadt <strong>Amberg</strong> gewidmet<br />
wurden, geworfen werden. Dabei zeigt sich,<br />
dass sich in deren ältester, die der Bürgermeister<br />
Michael Schwaiger 1559 zum Abschluss<br />
brachte, die 1564 gegen seinen Willen in Wittenberg<br />
im Druck erschien und die der Erbauungszeit<br />
der Martinskirche zeitlich am nächs-<br />
Selbstbewusste Repräsentation oder Größenwahn?<br />
45
DACH<strong>ST</strong>UHL UND GEWÖLBE DER<br />
<strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong> IN AMBERG<br />
Eine einzigartige Leistung der Zimmerleute<br />
und Bauhandwerker von einst<br />
—— Karl Müller<br />
ABB. 1<br />
Viel verbautes Holz <strong>–</strong><br />
die unübersichtliche<br />
Dachkonstruktion trägt<br />
das riesige Dach der<br />
Basilika seit fast <strong>600</strong><br />
Jahren.<br />
Zimmermeister Josef Hauer fertigte<br />
in 15 Jahren seines Ruhestands<br />
schon 34 historische Dachstühle.<br />
Sein „Modellbau-Meisterstück“<br />
war aber das Modell des weitgespannten<br />
Dachstuhls von St. Martin in <strong>Amberg</strong>. Er hat<br />
dieses Modell originalgetreu bestehend aus<br />
1535 einzelnen Teilen in ca. 1700 Stunden<br />
angefertigt.<br />
Wie der Dachstuhl einst im Original<br />
so ist auch das Modell von keinem Eisenteil<br />
(Schrauben, Nägel, Winkel etc.) zusammengehalten.<br />
Die Hölzer wurden mit 836 Verkämmungen,<br />
1362 Schwalbenschwanzblättern,<br />
360 Überblattungen und 811 Zapfenverbindungen<br />
zusammengesteckt und mit<br />
2480 Holznägeln befestigt.<br />
Das Modell mit 48 Balken und 96 Sparren<br />
in gleicher Länge waren die Hauptteile,<br />
die zunächst hergerichtet und zwischengelagert<br />
werden mussten. Da diese im<br />
Original 28 m lang waren und je ca.zwei<br />
Tonnen wogen, hat Hauer sich stets Gedanken<br />
gemacht, wie die Zimmerleute von einst<br />
den Abbund und die Montage unter den<br />
damaligen Bedingungen bewältigten. Das<br />
war schon im Modellbau nicht einfach, da<br />
alle, auch die weiteren 1390 Teile, mehrfach<br />
bearbeitet werden mussten. Um diese nicht<br />
durcheinander zu bringen hat er sie in mehreren<br />
Regalen zwischengelagert und wie<br />
im Original mit Abbundzeichen gekennzeichnet.<br />
WIE ABER WAR DAS VOR<br />
NAHEZU <strong>600</strong> <strong>JAHRE</strong>N AUF DEM<br />
ABBUNDPLATZ?<br />
Wenn man bedenkt, dass damals wohl<br />
10 bis 20 Zimmerleute gleichzeitig die<br />
schweren und langen Teile bearbeiten und<br />
wieder zwischenlagern mussten, so war<br />
dieser Abbund nur möglich, wenn der Meister<br />
mit klarem Kopf stets für Ordnung und<br />
Übersicht sorgte.<br />
Der Abbundplatz war vermutlich dort,<br />
wo sich heute das Kurfürstenbad befindet.<br />
Die Hölzer, mindestens 150 Fichten-Bäume<br />
mit einer Höhe von 40 bis 50 m, wurden<br />
wahrscheinlich in den umliegenden Wäldern<br />
gefällt, dort schon grob vorbehauen<br />
und dann zum Abbundplatz transportiert.<br />
Mehrere Monate wenn nicht sogar Jahre<br />
haben wohl etwa 20 Zimmerleute gearbeitet,<br />
bis man alle Einzelteile fertig bearbeitet<br />
und eingepasst (abgebunden) hatte.<br />
Den Transport zur Baustelle und das<br />
Aufbringen der langen schweren Balken auf<br />
die 20 Meter hohen Mauern sowie das Errichten<br />
der Dachkonstruktion in luftiger<br />
Höhe können sich schon die Fachleute von<br />
heute kaum mehr vorstellen erst recht nicht<br />
die Laien. Was die Zimmerleute vor fast <strong>600</strong><br />
Jahren sich erdacht und mit großer Mühe<br />
gefertigt und aufgerichtet haben, ist eine<br />
aus heutiger Sicht in Fachkreisen höchst<br />
anerkennenswerte Leistung und noch nicht<br />
endgültig untersucht und erforscht.<br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
71
ABB. 10<br />
So hat die Baustelle<br />
wohl im Jahr <strong>1421</strong> bei<br />
der Grundsteinlegung<br />
ausgesehen.<br />
Im Westen stand noch<br />
der Vorgängerbau, deshalb<br />
wird in zwei Bauabschnitten<br />
gebaut.<br />
Die Fundamentierung<br />
wurde wohl in mühsamer<br />
Handarbeit ausgeführt.<br />
ABB. 13<br />
Vorarbeiten für die<br />
Aufrichtung des Dachstuhls<br />
Zunächst musste ein ca.<br />
19 m hohes Trag gerüst,<br />
das zugleich Arbeitsbühne<br />
war, errichtet werden.<br />
ABB. 11<br />
Die Mauern des<br />
1. Bauabschnitts<br />
10 <strong>–</strong> 15 Jahre hat man<br />
wohl gebraucht, um die<br />
Außenmauern zu errichten.<br />
Die 20 Meter hohen Mauern<br />
sind nur mit Mauerpfeilern<br />
an der Innenseite<br />
abgestützt. Die Steine<br />
wurden in einem Steinbruch<br />
vorgeformt und<br />
zur Baustelle gebracht,<br />
wo sie von den Steinmetzen<br />
die endgültige Form<br />
erhielten.<br />
ABB. 14<br />
Unterzüge und Schwellen<br />
wurden verlegt.<br />
ABB. 12<br />
Das steile hohe Dach<br />
sollte alle Gebäude der<br />
Stadt überragen.<br />
Die neue Kirche war<br />
28 m breit und musste<br />
mit einem 60° geneigten<br />
Dach abgeschlossen<br />
werden: eine große<br />
Herausforderung für<br />
die Handwerker vor<br />
<strong>600</strong> Jahren.<br />
ABB. 15<br />
Die Balkenlage wurde<br />
aufgelegt.<br />
Die Balken mit der Länge<br />
von 28 m und einem<br />
mittleren Querschnitt<br />
von ca. 28/36 cm wurden<br />
aufgebracht. Jeder<br />
hatte ein Volumen von<br />
ca. 2,8 m³ und somit ein<br />
Gewicht von zwei Tonnen.<br />
Im Folgenden ein Darstellungsversuch,<br />
wie<br />
diese Meisterleistung<br />
entstanden sein könnte.<br />
74<br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
75
ABB. 43<br />
Seit 1446 ziert dieses<br />
Gewölbe die Basilika.<br />
Das von schlanken Pfeilern<br />
getragene Netz aus<br />
steinernen Rippen war<br />
für die damalige Zeit ein<br />
besonderes Meisterwerk,<br />
das bis in die heu tige Zeit<br />
unverändert erhalten ist.<br />
84<br />
85
ABB. 44<br />
Wände des 2. Bauabschnittes<br />
Nach Fertigstellung des<br />
BA 1 und Abbruch des<br />
Vorgängerbaus konnten<br />
die Wände des BA 2<br />
einschl. der Turmmauern<br />
hochgezogen werden.<br />
ABB. 47<br />
Das gesamte Dach<br />
ist fertig.<br />
Der Turm wurde über<br />
dem First zunächst nur<br />
mit einem Notdach versehen.<br />
ABB. 45<br />
Dachkonstruktion des<br />
2. Bauabschnittes<br />
Die im Detail leicht geänderte<br />
Dachkonstruktion<br />
entspricht ansonsten der<br />
des 1. Bauabschnitts, der<br />
42 Jahre früher errichtet<br />
worden war.<br />
ABB. 48<br />
Der Turm wurde erst<br />
später in verschiedenen<br />
Phasen errichtet und hat<br />
das heutige Aussehen<br />
erst seit dem Ende des<br />
19. Jahrhunderts.<br />
ABB. 46<br />
Turm und Dachstuhlanpassung<br />
Der Turm und die seitliche<br />
Dachanpassung gibt<br />
wegen der Fensteranordnung<br />
über der Balkenlage<br />
heute noch Rätsel auf.<br />
In den gesamten Dachstuhl wurden ca. 1.535 Holzteile eingebaut.<br />
Hintereinander gelegt ergeben sie eine Länge von ca. 15 km, mit<br />
einem Volumen von etwa 800 m 3 und einem Gesamtgewicht von<br />
ca. 500 Tonnen. Hinzu kommen noch ca. 22 km Dachlatten und<br />
ca. 120.000 Dach ziegel, mit einem Gewicht von ca. 310 Tonnen.<br />
86<br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
87
ABB. 49<br />
Links: Der Dachstuhl<br />
wurde mit allen Einzelheiten<br />
im Jahr 2016 von<br />
Zimmerermeister Josef<br />
Hauer aus Parkstein im<br />
Modell M1:15 nachgebaut.<br />
An diesem Modell<br />
können die Betrachter<br />
erkennen, wie die Zimmerleute<br />
von einst die<br />
vielen Hölzer ganz ohne<br />
Eisenteile zu einer einzigartigen<br />
Konstruktion<br />
zusammengefügt haben.<br />
ABB. 50, 51<br />
Rechts und unten: Ein<br />
Modell, das die Errichtung<br />
des Gewölbes verdeutlicht,<br />
wird derzeit<br />
gebaut. Es soll aufzeigen,<br />
welcher Sachverstand<br />
und Aufwand notwendig<br />
waren, um aus einzelnen<br />
gebrochenen Steinen<br />
ein so kunstvolles und<br />
tragfähiges Gewölbe zu<br />
errichten.<br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
Dachstuhl und Gewölbe der Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
89
ABB. 52<br />
Der außen alles überragende<br />
Dachstuhl<br />
weist im Inneren einzigartige<br />
Konstruktionsmerkmale<br />
auf.<br />
Abbildungsnachweis:<br />
Abb. 1-7, 43, 49, 52:<br />
Manfred Wilhelm/<br />
Büro Wilhelm<br />
Abb. 8-42, 44-48:<br />
Karl Müller<br />
Abb. 50, 51:<br />
Josef Hauer<br />
90<br />
91
ABB. 1<br />
Turmhaube nach Neueindeckung<br />
mit Kupferblech<br />
und Vergoldung der<br />
Turmkugel und Wetterfahne<br />
am 13.10.2015<br />
DER TURM DER <strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Die Restaurierungsarbeiten von 2012 bis 2017<br />
—— Josef Beer<br />
ABB. 2<br />
Vorgespräch im Pfarrheim<br />
St. Martin (von<br />
links): Gerhard Hackl<br />
(Bischöfliches Baureferat),<br />
Paul Zimmermann<br />
(Unt. Denkmalschutzbehörde<br />
der Stadt <strong>Amberg</strong>),<br />
Stadtpfarrer Msgr. Franz<br />
Meiler (†), eine Mitarbeiterin<br />
der Denkmalschutzbehörde,<br />
Beate Wolters<br />
(Stadtheimatpflegerin),<br />
Friedrich Roskamp<br />
(Gebietsreferent, Bayerisches<br />
Landesamt für<br />
Denkmalpflege) und<br />
Anton Landgraf (Dipl.-<br />
Ing., ALS)<br />
Am 8. Februar 2012 beschloss die<br />
Kirchenverwaltung St. Martin<br />
unter dem Kirchenverwaltungsvorstand<br />
Stadtpfarrer Msgr. Franz<br />
Meiler (†) einstimmig die Sanierung des<br />
Turms, der Fassade und der Kirchenfenster.<br />
Beziffert wurde diese Maßnahme mit einem<br />
Gesamtvolumen von 5,7 Mio. Euro. Dem Beschluss<br />
gingen ab Mai 2011 intensive Gespräche<br />
mit verschiedenen möglichen Förderstellen<br />
voraus. In einem großen Finanzierungsgespräch<br />
am 14. Dezember 2011 erklärten sich<br />
als Zuwendungsgeber die Bischöfliche Finanzkammer<br />
der Diözese Regensburg, das Bayerisches<br />
Staatsministerium für Wissenschaft,<br />
Forschung und Kunst (Mittel aus dem Entschädigungsfonds),<br />
die Bayerische Landesstiftung,<br />
der Bund (Mittel aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm<br />
II), die Deutsche<br />
Stiftung Denkmalschutz, der Bezirk Oberpfalz<br />
und die Stadt <strong>Amberg</strong> bereit, die Sanierungsmaßnahmen<br />
zu bezuschussen.<br />
Nach Erstellung der für die Beantragungen<br />
benötigten Unterlagen durch das Architekturbüro<br />
Carola Setz, Regensburg, und dem Eingang<br />
der jeweiligen Förderzusagen und Genehmigungen<br />
konnte im August 2012 die Baumaßnahme<br />
starten. Vorausgegangen war ein Architektenwettbewerb,<br />
an dem drei Bewerber<br />
teilgenommen hatten. Die Kirchenverwaltung<br />
entschied sich schließlich für Carola Setz.<br />
Da auch in vergangenen Jahrzehnten große<br />
Schäden am Sandsteinmauerwerk in Form<br />
von Rissen zu beobachten waren, führte im<br />
Vorfeld der jetzigen Sanierung das Ingenieurbüro<br />
ALS, <strong>Amberg</strong>, intensive Begutachtungen<br />
des Baugrundes und des statischen Tragsystems<br />
durch. Der Tragwerksplaner Anton Landgraf<br />
benannte Bewegungen im Baugrund und<br />
daraus resultierend Schäden am Fundament<br />
als ursächlich für die Schäden am Turmmauerwerk.<br />
So ist der Turm teilweise auf Schwemmsand<br />
und Gesteinsbrocken, also auf einem<br />
nicht ausreichend tragfähigen Boden gegründet.<br />
Er steht nicht auf Pfählen, wie ursprünglich<br />
vermutet, sondern auf in den Schlamm<br />
gedrückten Steinen. Unter dem zwei Meter<br />
mächtigen Fundament liegt etwa vier Meter<br />
schlechter Baugrund.<br />
Der Turm der Basilika St. Martin <strong>–</strong> die Restaurierungsarbeiten von 2012 bis 2017<br />
93
DIE GLOCKEN IM TURM DER <strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Über Umschriften, Glockenzier<br />
und Namensherkunft<br />
—— Josef Beer<br />
ABB. 1<br />
Glockenstuhl 1 der<br />
Glocken 1 bis 4 von oben<br />
Abbildungsnachweis:<br />
Falls nicht anders<br />
an gegeben, stammen<br />
die Glockenfotos von<br />
Michael Golinski.<br />
Abb. 2:<br />
Andreasdz,<br />
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:<br />
Glockenteile.jpg<br />
(zuletzt eingesehen<br />
am 23. Februar <strong>2021</strong>)<br />
Quelle:<br />
1<br />
Gerhard Hackl, Glockensachverständiger<br />
/<br />
Stellvertretender Leiter<br />
Bischöfliches Baureferat<br />
Regensburg<br />
2<br />
Oldenburg Verlag: Die<br />
Kunstdenkmäler von<br />
Bayern, Stadt <strong>Amberg</strong><br />
3<br />
Erläuterungen zum<br />
Glockenstuhl, https://<br />
de.wikipedia.org/wiki/<br />
Glockenstuhl<br />
(zuletzt eingesehen am<br />
23. Februar <strong>2021</strong>)<br />
4<br />
vgl. Anm. 2<br />
Durch die exponierte Lage mitten<br />
in der Altstadt ist die Martinskirche<br />
mit ihrem 92 m hohen Turm<br />
als eines der wichtigsten Bauwerke<br />
der Stadt <strong>Amberg</strong> einzustufen und<br />
prägt weithin das Stadtbild. Schon von weitem<br />
sieht man den hoch aufragenden Kirchturm,<br />
der auch für Auswärtige eine gute<br />
Orientierung bietet. Wie der Turm zur Kirche,<br />
so gehören die Glocken zum Turm. Die<br />
Glocken schlagen die Stunde an, rufen zum<br />
Gottesdienst, begrüßen den Täufling, freuen<br />
sich mit den Brautleuten, kündigen vom<br />
Tod des Menschen. Man erwartete von den<br />
Glocken, dass sie Gewitter fernhalten und<br />
Unheil abwenden. Das Glockengeläut bestimmte<br />
früher den Tagesablauf, warnte vor<br />
dem nahenden Feind und riefen bei Feuersbrünsten<br />
die Helfer herbei.<br />
BESCHREIBUNG DER GLOCKEN 1<br />
Im Turm von St. Martin hängen insgesamt<br />
neun Glocken. Sie sind verteilt auf zwei<br />
Glockenstuben. Der Glockenbestand der<br />
Basilika ist sehr wertvoll.<br />
• In der unteren Glockenstube hängt das<br />
Hauptgeläut.<br />
• Die Glocken 1-4 sind nebeneinander im<br />
einem Glockenstuhl aus Holz auf einer<br />
Turm-Höhe von ca. 45 m montiert. Die<br />
historische Bockkonstruktion ist zimmermannsmäßig<br />
sehr hochwertig gefertigt<br />
und wurde in späteren Jahren mit<br />
Stahlklammern verstärkt.<br />
• Die Glocken 1-5 hängen teilweise an<br />
gekröpften Stahljochen, die Glocken 6-9<br />
haben Holzjoche.<br />
• Die Glocken 5-7 sind auf derselben Ebene<br />
in der Glockenstube seitlich in einem<br />
eigenständigen höheren Holzglockenstuhl<br />
montiert.<br />
• Die Kröpfung bei der Glocke 3 und 4 wird<br />
durch relativ dicke Holzunterlagen zwischen<br />
Joch und Krone nahezu wieder<br />
aufgehoben.<br />
• Die Glocken 1 und 3 sind mit Schlagwerken<br />
für den Stundenschlag ausgestattet.<br />
• Die Läutemotoren der Glocken 1-4 befinden<br />
sich oberhalb der Glockenstube und<br />
sind an den Deckenbalken montiert.<br />
Die Motoren der Glocken 5 und 6 sind<br />
im Glockenstuhl integriert.<br />
• Im obersten Turmgeschoss befinden sich<br />
in einer eigenen Glockenstube auf einer<br />
Höhe von ca. 64 m die Glocken 8 und 9.<br />
• Auch dieser zweifache, kleinere Glockenstuhl<br />
ist aus Holz. Die Glocke 8 wird mit<br />
einem Seil per Hand geläutet, die Glocke<br />
9 kann nur angeschlagen werden.<br />
• Das Material aller neun Glocken ist<br />
Bronze.<br />
• Jede Glocke hat einen Namen.<br />
• Drei Glocken (nämlich Elfer-, Vesperund<br />
Sterbeglocke) stammen noch aus<br />
der Vorgängerkirche. 2<br />
Die Glocken im Turm der Basilika St. Martin<br />
111
DIE FÜR<strong>ST</strong>ENGRÄBER<br />
IN DER <strong>MARTIN</strong>SKIRCHE<br />
Ein Stück wittelsbachischer Memorialkultur<br />
—— Johannes Laschinger<br />
ABB. 1<br />
Das Tumbengrabmal<br />
Pfalzgraf Ruprecht<br />
Pipans hinter dem Hochaltar<br />
der Martinskirche<br />
„Die merkwürdigsten Begräbnisse sind<br />
das Grab des Pfalzgrafen Rupert von 1397<br />
und der fürstlichen Kinder Johann Friedrich,<br />
Philipp, Dorothea, Friedrich Philipp,<br />
Dorothea Agnes […]“, schrieb Joseph Anton<br />
von Destouches zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
über die Fürstengräber in der <strong>Amberg</strong>er<br />
Martinskirche. 1 Mit Ausnahme des Grabmals<br />
der Dorothea Agnes existieren sie<br />
heute noch. Im Gegensatz zu den anderen<br />
von Destouches genannten fürstlichen Kindern<br />
entstammte Letztere nicht der Ehe<br />
Kurfürst Ludwigs VI. (1539-1583) und seiner<br />
Gemahlin Elisabeth von Hessen (1539-1582),<br />
sondern war eine Tochter Pfalzgraf Wolfgangs<br />
von Zweibrücken (1526-1560) 2 und<br />
seiner Gemahlin Anna von Hessen (1529-<br />
1591). Der evangelisch-lutherisch gesonnene<br />
Wolfgang, der von 1551-1557 als Statthalter<br />
der Oberpfalz in <strong>Amberg</strong> residierte, war ein<br />
Bruder der Kurfürsten Ludwig V., der 1544<br />
starb, und Friedrich II., der Ludwig 1544<br />
nachfolgte. Das Epitaph der Dorothea Agnes<br />
findet sich in der Beschreibung der Grabsteine<br />
in der Martinskirche vom 24. Juli 1756 3<br />
genauso erwähnt wie in der Chronik des<br />
Johann Kaspar von Wiltmaister. 4 Beide<br />
Quellen überliefern, dass sich der Stein<br />
„vom Eingang in die Kirche rechter Hand“<br />
befunden und seine Inschrift ausgewiesen<br />
habe, dass die Pfalzgräfin Dorothea Agnes<br />
am 24. Februar 1552 im Alter von 14 Wochen<br />
verstorben wäre. 5 Ihr Epitaph, das der Chronist<br />
Johann Baptist Schenkl 1817 noch gesehen<br />
hat, 6 lag nach Christian Häutle am Fuße<br />
des Hochaltars und war bereits sehr abgetreten.<br />
7 Zwischenzeitlich ist es zerstört oder<br />
verschollen. Letzteres gilt in gleicher Weise<br />
für den Grabstein der Elisabeth, einer<br />
Schwester der Dorothea Agnes und weiteren<br />
Tochter Pfalzgraf Wolfgangs, die ebenfalls<br />
während seiner Statthalterschaft in <strong>Amberg</strong><br />
geboren und nach ihrem frühen Tod in der<br />
Martinskirche beigesetzt wurde. 8 Pfalzgräfin<br />
Anna brachte in <strong>Amberg</strong> drei weitere Kinder<br />
zur Welt, die Töchter Anna und Elisabeth<br />
(II.) sowie den Sohn Otto Heinrich, den<br />
späteren Pfalzgrafen und Herzog von Pfalz-<br />
Sulzbach, gelegentlich Ottheinrich II. genannt<br />
(1556-1604). 9<br />
1. DAS HOCHGRAB PFALZGRAF<br />
RUPRECHT (RUPERT) PIPANS<br />
a) Leben und Tod des Pfalzgrafen<br />
Das spektakulärste, gleichzeitig das älteste<br />
der Fürstengräber in der <strong>Amberg</strong>er Martinskirche<br />
ist die Tumba für Kurprinz Ruprecht<br />
Pipan 10 , der am 20. Februar 1375 in der<br />
<strong>Amberg</strong>er Residenz als Sohn von Kurfürst<br />
Ruprecht III., 11 der von 1400 bis 1410 die<br />
Krone des Deutschen Reiches trug, und<br />
seiner Gemahlin Elisabeth (1358-1411), einer<br />
Tochter des Nürnberger Burggrafen Friedrichs<br />
V., geboren wurde. Somit wäre er dank<br />
der Namensmonotonie der Pfälzer Wittelsbacher<br />
nach seinem Großvater, dessen<br />
Onkel und seinem Vater der vierte Träger<br />
des Namens Ruprecht, also Ruprecht der<br />
„allerjüngste“ gewesen, weshalb er den<br />
Namenszusatz Pipan erhielt. 12 Welche gro-<br />
Die Fürstengräber in der Martinskirche<br />
135
FLÄMISCHER BAROCK IN <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
Die Leinwandbilder Caspar de Crayers<br />
—— Daniel Rimsl<br />
ABB. 1<br />
Caspar de Crayer,<br />
ehemaliges Hochaltarbild,<br />
1658<br />
Seit der Grundsteinlegung vor <strong>600</strong><br />
Jahren hat das Innere der Martinskirche<br />
mehrere tiefgreifende Umgestaltungen<br />
erfahren. Als Reste der barocken<br />
Ausstattung haben sich Leinwandbilder<br />
des flämischen Malers Caspar de Crayer erhalten:<br />
1 So groß ihre Bedeutung ist, so wenig<br />
bekannt sind sie der Fachwelt und der breiten<br />
Öffentlichkeit. Eine umfassende Abhandlung<br />
über alle Gemälde Caspar de Crayers in <strong>Amberg</strong><br />
ist in Vorbereitung; 2 der vorliegende<br />
Aufsatz versteht sich als Vorarbeit dazu.<br />
REFORMATION UND<br />
KONFESSIONALISIERUNG<br />
Ihre Anschaffung ist vor dem Hintergrund<br />
der Konfessionalisierung zu sehen und dem<br />
damit verbundenen mehrfachen Wechsel des<br />
Bekenntnisses im 16. und 17. Jahrhundert.<br />
Nachdem der <strong>Amberg</strong>er Stadtrat sich 1538<br />
zum lutherischen Glauben bekannt hatte, ließ<br />
Kurfürst Ottheinrich 1557 alle Bildwerke aus<br />
der Kirche entfernen; Kurfürst Friedrich III.<br />
veranlasste 1568/69 einen radikalen Bildersturm,<br />
bei dem sogar die Wandmalereien<br />
abgekratzt werden mussten. Im Chorraum<br />
stand nur noch ein hölzerner Altartisch, auf<br />
dem ein großes, mit einem roten Teppich<br />
hinterfangenes Kreuz aufgestellt war. Nach<br />
mehrmaligem Konfessionswechsel zwischen<br />
Luthertum und Calvinismus besetzten 1621<br />
bayerische Truppen <strong>Amberg</strong>, 1625 mussten die<br />
Calvinisten die Martinskirche an die Jesuiten<br />
übergeben, die die Rekatholisierung einleiteten;<br />
1629 wurden die Pfarrrechte von St. Georg<br />
auf St. Martin übertragen. Bereits 1627 hatte<br />
die Regierung in München den Jesuiten finanzielle<br />
Unterstützung für die Neuausstattung<br />
des Altares in Aussicht gestellt, was allerdings<br />
wegen des Dreißigjährigen Krieges nicht weiterverfolgt<br />
werden konnte. 1653 wurde den<br />
<strong>Amberg</strong>ern aus München wiederum eine<br />
Summe von 1.000 Gulden zugesagt; im November<br />
1656 schließlich wurden der Stadt 1.500<br />
Gulden ausbezahlt.<br />
Als sichtbarer Ausdruck der in St. Martin<br />
wieder etablierten katholischen Konfession<br />
sollte ein bis zum Gewölbe reichendes Retabel<br />
den Hochaltar im ganzen Raum präsent sein<br />
lassen und als Träger eines großen Gemäldes<br />
dienen. Die Regierung in München hatte sich<br />
erst um ein Gemälde aus dem Nachlass des<br />
1640 verstorbenen Rubens bemüht. 3<br />
PETER PAUL RUBENS<br />
Peter Paul Rubens (1577<strong>–</strong>1640) war <strong>–</strong> auch<br />
über die Grenzen Flanderns hinaus <strong>–</strong> einer<br />
der einflussreichsten Maler des Barocks und<br />
wurde von seinen Zeitgenossen außerordentlich<br />
hochgeschätzt. Malerische Meisterschaft<br />
verband er mit Bilderfindungen von großer<br />
gedanklicher Tiefe, in denen ein durch die<br />
katholische Reform neu gewonnenes katholisches<br />
Selbstbewusstsein eindrucksvoll Gestalt<br />
annahm. So wurden seine sakralen Gemälde<br />
gewissermaßen zu einem Instrument gegenreformatorischer<br />
Kunstpolitik, indem sie eine<br />
Flämischer Barock in St. Martin<br />
151
AB MIT DEN ALTEN ZÖPFEN!<br />
Die Restaurierung und neugotische Umgestaltung<br />
von St. Martin im 19. Jahrhundert<br />
—— Susanne Wanninger<br />
ABB. 1<br />
Wenige Monate nach<br />
seinem Amtsantritt im<br />
Frühjahr 1867 nahm<br />
Stadtpfarrer Michael<br />
Helmberger die Restaurierung<br />
und Umgestaltung<br />
der Martinskirche in<br />
Angriff. Zahlreiche Ausstattungsgegenstände<br />
wie<br />
der Hochaltar und die<br />
Kanzel, die damals neu<br />
angeschafft wurden,<br />
zieren die Basilika noch<br />
heute.<br />
„Die äußeren Solbänke und Gurten-Gesimse<br />
dieser herrlichen spät-gothischen Kirche<br />
waren ausgefressen, zerklüftet und ruinös, die<br />
steinernen Fenster-Rippen locker und schadhaft.<br />
Die inneren Gewölbe u. Wände schmutzig<br />
u. voll von Spinnen-Geweben, die Capellen-<br />
Rippen der Seitenschiffe theilweise zerstoert,<br />
ja in den letzten 4 Großfenstern links u. rechts<br />
vom Musikchore, der von West nach Ost in die<br />
schönen u. schlanken 2 letzten Säulen wüst<br />
eingebaucht war, befanden sich nur Eisenstangen<br />
statt der Stein-Rippen, über und unter<br />
dem Musikchore waren noch keine Gewölbe,<br />
sondern ein freier Raum zum Aufziehen der<br />
Bau-Utensilien nach dem Kirchenboden. Ein<br />
mächtiger Zopfaltar verdeckte im Presbyterium<br />
den Ausblick nach der östl. wunderschönen<br />
Apsis der Kirche, auch die Kanzel war<br />
nicht viel besser, und die Seiten-Altäre stammten<br />
alle aus der schlechtesten Zopf-Bauzeit.<br />
Um die inneren Flächen der Kirche waren die<br />
Grabtafeln der hier begrabenen Geschlechter<br />
in willkürlicher Mischung vertheilt, meist<br />
einfach mit einigen Eisensteften angeheftet.<br />
Die beiden Hauptportale nach Nord u. Ost<br />
waren total defect in Bezug auf Ornamentik.<br />
Das Fensterglas […] war vielfach zertrümmert<br />
u. wenn ein Sturm brauste, klirrten die Scheiben<br />
in den losen Fenster-Rippen u. Eisenstangen,<br />
dass man Bange haben mußte, wenn man<br />
in der Kirche war“ 1 .<br />
DAS „KOMITEE ZUR RE<strong>ST</strong>AURIERUNG<br />
DER <strong>ST</strong>ADTPFARRKIRCHE“ UND DIE<br />
BAULEITUNG<br />
Dieses Bild von der Martinskirche im Jahr<br />
1867, das der langjährige Stadtpfarrer Michael<br />
Helmberger 2 in der Pfarrchronik entwarf, mag<br />
so gar nicht zu dem feierlichen Rahmen passen,<br />
von dem nur wenige Seiten zuvor im Zusammenhang<br />
mit seiner Amtseinführung die<br />
Rede gewesen war. Es ist daher nicht weiter<br />
überraschend, dass der 46-Jährige kaum vier<br />
Monate nach seinem Eintreffen in <strong>Amberg</strong><br />
begann, diese Situation grundlegend zu ändern.<br />
Ziel war die Beseitigung der Baumängel<br />
sowie die Umgestaltung des Kircheninneren<br />
im neugotischen Stil; die Ausstattung sollte in<br />
stilistischer Hinsicht also wieder an die Architektur<br />
des Kirchengebäudes angeglichen werden.<br />
3 Wie ernst es Helmberger mit „diese[m]<br />
riesige[n] Werk“ war, das bisher „kein Pfarrer<br />
zu unternehmen [ge]wagt [hatte], sondern<br />
seinem jüngeren Nachfolger […] überließ,<br />
zumal die Kosten unerschwinglich schienen“ 4 ,<br />
dürfte den Zeitgenossen schnell klar geworden<br />
sein: Bereits am 11. August 1867 trat das „Komitee<br />
zur Restaurierung der Stadtpfarrkirche“<br />
zu seiner Gründungsversammlung im Pfarrhaus<br />
zusammen. Die Vorstandschaft teilte sich<br />
Helmberger zunächst mit dem rechtskundigen<br />
Bürgermeister Vinzenz König 5 ; des Weiteren<br />
Die Restaurierung und neugotische Umgestaltung im 19. Jahrhundert<br />
165
GOTTESLOB UND BÜRGER<strong>ST</strong>OLZ<br />
Die Glasgemälde von St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
—— Claudia Schumacher<br />
ABB. 1<br />
Blick von der Empore<br />
auf die Obergadenfenster<br />
NORD II (links) und<br />
O<strong>ST</strong> I (rechts) im Chorhaupt<br />
Von jeher spielen Fenster eine<br />
maßgebliche Rolle bei der Wirkung<br />
eines Kirchenraums. Mit<br />
ihrem Farb- und Lichtspiel<br />
tragen Glasmalereien seit Jahrhunderten<br />
zur ‚Aura‘ unserer Gotteshäuser bei. Die<br />
Fensterverschlüsse dienten zunächst der<br />
Beleuchtung des Kirchenraums und führten<br />
den im Mittelalter selten des Lesens kundigen<br />
Betrachtern die Bibel und Heilsgeschichte<br />
in all ihren Facetten vor. Darüber<br />
hinaus symbolisierte ihr farbiges Licht das<br />
Göttliche selbst und verwies <strong>–</strong> gleich funkelndem<br />
Gold und Edelsteinen <strong>–</strong> auf die<br />
Pracht des Himmlischen Jerusalems. 1<br />
Auch die dreischiffige Hallenkirche Sankt<br />
Martin wird <strong>–</strong> sowohl im Äußeren als auch<br />
im Inneren <strong>–</strong> maßgeblich von ihren Fenstern<br />
geprägt. Gleich in zwei Ebenen umfängt<br />
ein regelmäßiger Kranz von Glasmalereien<br />
den Baukörper und taucht den Innenraum<br />
in farbiges, funkelndes Licht. Das nach dem<br />
Regensburger Dom wohl bedeutendste und<br />
größte, im Rang einer ‚basilica minor‘ stehende<br />
gotische Gotteshaus der Oberpfalz<br />
wurde ab dem Jahr <strong>1421</strong> 2 in rund 100 Jahren<br />
an der Stelle einer romanischen Vorgängerkirche<br />
in monumentaler, geschlossener<br />
Bauweise aus Sandstein errichtet 3 . Das querhauslose,<br />
acht Joche messende Schiff geht<br />
nahtlos in einen 7/12-Chor über; über dem<br />
westlichen Joch erhebt sich ein mächtiger<br />
Turm weithin sichtbar über der Vils. Durch<br />
die Verlegung der Strebepfeiler nach innen<br />
wird der Kirchenraum von 19 Kapellen<br />
gesäumt, über denen sich eine umlaufende<br />
Empore erstreckt. Die spitzbogigen Maßwerkfenster<br />
sind in gleichmäßiger Folge in<br />
die Raumschale eingefügt. Doch stammen<br />
die vierbahnigen Kapellen- und dreibahnigen<br />
Emporenverglasungen heute nicht mehr<br />
aus der Erbauungszeit. Sie wurden in der<br />
Zeit des Historismus in der zweiten Hälfte<br />
des 19. Jahrhunderts neu hergestellt. 33<br />
Glasgemälde umfasst der prachtvolle Fensterschmuck,<br />
der sich auf 17 Kapellen und<br />
16 Obergadenfenster verteilt (siehe S. 215).<br />
DIE MITTELALTERLICHE VERGLASUNG<br />
Die Stadt <strong>Amberg</strong> verdankte ihre Prosperität<br />
im Mittelalter dem Eisenerzbergbau<br />
und Handel. In dieser Blütezeit errichtet,<br />
bildet St. Martin den südlichen Abschluss<br />
des Marktplatzes und war von Beginn an<br />
Bürgerkirche. Die Kapellen des Gotteshauses<br />
dienten auch der bürgerlichen Repräsentation.<br />
Sie wurden von Patrizierfamilien,<br />
wohlhabenden Handwerkern, Ratsmitgliedern<br />
und Zünften mit reichen Stiftungen<br />
bedacht. Obwohl diese Ausstattung während<br />
der Bilderstürme im ausgehenden 16. Jahrhundert<br />
starke Verluste erlitt 4 , zeugen noch<br />
heute u. a. repräsentative Wappen an den<br />
Bogenöffnungen, Kapellengewölben und<br />
Emporenbrüstungen von den jeweiligen<br />
Stifterfamilien und Ratsgeschlechtern des<br />
15. Jahrhunderts 5 . Es sind dies beispielsweise<br />
die Familien Auern von Brennberg (Leonhardskapelle),<br />
Modler (Helenenkapelle),<br />
Kastner (Barbara- und Vierzehn Nothelfer-<br />
Kapelle), Baumgartner (Annen- und Franz-<br />
Xaver-Kapelle) oder Kohler (Herz-Mariäund<br />
Franz-Xaver-Kapelle). Aber auch die<br />
damaligen Zünfte lassen sich ablesen:<br />
So haben z.B. die Schuster und Schneider<br />
an der Herz-Jesu- und Johannes-Kapelle,<br />
die Weber und Tuchmacher über dem südlichen<br />
Hauptportal und die Fischer, Schiffer<br />
und Maler an der Brüstung über der Franz-<br />
Xaver-Kapelle ihre Wappen hinterlassen.<br />
Gotteslob und Bürgerstolz <strong>–</strong> die Glasgemälde von St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
185
ABB. 10<br />
Kapellenfenster nord III,<br />
Mantelteilung des hl.<br />
Martin<br />
ABB. 11<br />
Kapellenfenster nord XI,<br />
Armenspeisung der hl.<br />
Elisabeth<br />
Wohltätigkeitsanstalten und die Gründung<br />
der <strong>Amberg</strong>er Volks-Zeitung <strong>–</strong> auch die<br />
Abhaltung des Katholikentages 1884 in der<br />
Stadt geht maßgeblich auf ihn zurück 17 .<br />
Ein direkter namentlicher Bezug zwischen<br />
den mittelalterlichen Kapellenstiftern<br />
und den Spendern der Glasmalereien des<br />
19. Jahrhunderts lässt sich nicht herstellen.<br />
Offenbar waren die überlieferten Geschlechter<br />
der Erbauungszeit längst ausgestorben 18 .<br />
Und auch thematisch nehmen die historistischen<br />
Glasmalereien auf die Kapellen und<br />
ihre ursprünglichen Patrozinien keinen<br />
Bezug 19 .<br />
ZUR IKONOGRAPHIE DER<br />
GLASGEMÄLDE<br />
Während die Kapellenfenster vornehmlich<br />
Ereignisse aus der Bibel oder dem Leben<br />
verschiedener Heiliger erzählen, sind die<br />
Emporenfenster hauptsächlich mit Standfiguren<br />
in architektonischen Rahmungen<br />
geschmückt. Dabei folgten die Fensterstiftungen<br />
keinem übergreifenden ikonographischen<br />
Programm. Die Auswahl der dargestellten<br />
Szenen oblag demnach vermutlich<br />
den jeweiligen Donatoren. Zentrale Ereignisse<br />
der Heilsgeschichte wie die Verkündigung<br />
und Heimsuchung (Abb. 6, 8), die Geburt<br />
Christi bzw. Anbetung der Hirten (Abb.<br />
9), die Wiederauffindung des Knaben Jesus<br />
im Tempel, die Auferstehung Jesu (Abb. 4)<br />
oder die Himmelfahrt Mariens (Abb. 7)<br />
durften im Fensterzyklus jedoch nicht fehlen<br />
20 . In Fenster nord III, nord XI und süd<br />
III werden den Gläubigen darüber hinaus<br />
Geschichten aus dem Leben beliebter Heiliger<br />
in reicher Ausschmückung erzählt. Die<br />
Mantelteilung des hl. Martin, des Patrons<br />
der Kirche, bot sich dazu besonders an (Abb.<br />
10). Wie die Brotspende der hl. Elisabeth von<br />
Thüringen (Abb. 11) ruft sie die Gläubigen<br />
zur Barmherzigkeit auf. Der ebenfalls geschilderte<br />
Kampf des hl. Georg mit dem<br />
Drachen führt dem Betrachter den mutigen<br />
Einsatz gegen das Böse vor (Abb. 12).<br />
Einfach zu erklären ist die Themenwahl<br />
des ‚Letzten Abendmahls‘ im Achsfenster<br />
der Sakramentskapelle: Die Glasmalerei<br />
nimmt auf den nahen Zelebrationsaltar<br />
Bezug (Abb. 15). Weitere Kapellenfenster<br />
zeigen, wie schon erwähnt, die naheliegende<br />
Darstellung der Schutzpatrone der jeweiligen<br />
Stifter: die Bergleute wählten die<br />
hl. Barbara (nord II, Abb. 2), der Liederkranz<br />
die hl. Cäcilia als Sujet (süd II). Usus war es<br />
auch, die eigenen Namenspatrone<br />
als Standfiguren in seinen Fenstern darstellen<br />
zu lassen: So sieht man in der von Franziska<br />
Bredauer gestifteten Buntverglasung<br />
die hl. Franziska Romana; diejenige von<br />
Johann Auerhammer zeigt den hl. Johannes<br />
den Täufer (SÜD II und VIII). Thomas<br />
Prechtl ließ den hl. Thomas darstellen; Andreas<br />
und Theresia Hilpert wiederum die<br />
Hll. Andreas und Theresia (SÜD IX, NORD<br />
VIII). Der Beneficat Xaver Ibler schließlich<br />
wählte den Tod des Franz Xaver als Bildthema<br />
(nord IV).<br />
Nicht immer greift eine solche Namensverwandtschaft.<br />
Insgesamt zählen die Glas-<br />
192<br />
Gotteslob und Bürgerstolz <strong>–</strong> die Glasgemälde von St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
Gotteslob und Bürgerstolz <strong>–</strong> die Glasgemälde von St. Martin in <strong>Amberg</strong><br />
193
ABB. 47<br />
Blick in den Chor mit<br />
umlaufenden Kapellenund<br />
Emporenfenstern<br />
216<br />
217
GEI<strong>ST</strong>LICHE IM PORTRÄT.<br />
Die Pfarrer von St. Martin von 1630 bis 1981<br />
<strong>–</strong> vorgestellt in Wort und Bild<br />
Dem Andenken von<br />
Pfarrer Franz X. Meiler<br />
(1948 <strong>–</strong> 2017) gewidmet<br />
—— Werner Schrüfer<br />
ABB. 1<br />
Ausschnitt der Porträtgalerie<br />
(Fassung 1961/62)<br />
im ehem. Pfarrhof Rathausstraße<br />
8, Porträts<br />
bereits abgehängt<br />
Bis zu den Veränderungen des Jahres<br />
2020 (Umzug von Pfarrer und Pfarramt,<br />
Umnutzung des Gebäudes)<br />
wurden Besucher des <strong>Amberg</strong>er<br />
Dechanthofes in der Rathausstraße 8 von einer<br />
Rarität begrüßt, die in ihrem Umfang und ihrer<br />
Qualität kunst- wie pfarrhistorisch in den<br />
katholischen Bistümern Bayerns wohl ihresgleichen<br />
sucht: einer Galerie von 20 Ölgemälden<br />
mit den Pfarrern von St. Martin von den<br />
1630er Jahren bis 1981. 1 Diese künstlerische<br />
Dokumentation bildet die sinnenhafte wie<br />
motivische Grundlage für den hier vorgestellten<br />
Einblick in die Geschichte der leitenden<br />
Stadtgeistlichkeit in <strong>Amberg</strong> seit Wiedereinführung<br />
des katholischen Glaubens während<br />
des Dreißigjährigen Krieges.<br />
DIE PFARRER VON <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong> <strong>–</strong><br />
EIN ÜBERBLICK 2<br />
Die erstmalige Erwähnung einer Kirche in<br />
<strong>Amberg</strong> 1094 ist nicht nur ein Datum, sondern<br />
eine für Jahrhunderte prägende Weichenstellung.<br />
Diese Pfarrkirche, Vorgängerbau der<br />
heutigen Georgskirche, lag außerhalb des<br />
<strong>Amberg</strong>er Ortskerns in einem Gebiet, das,<br />
belegt 1109, in den Einflussbereich des Bistums<br />
Bamberg gehörte. Obwohl der Regensburger<br />
Kirche zugeordnet, machte ab dem beginnenden<br />
12. Jahrhundert der Bamberger Bischof<br />
seine Rechte hier geltend, besonders dadurch,<br />
dass er dem in der Nähe des Bamberger Domberges<br />
liegenden Kollegiatstift St. Jakob das<br />
Präsentationsrecht über die <strong>Amberg</strong>er Pfarrei<br />
einverleibte. Die Befugnis, diese kirchliche<br />
Pfründe mit dem Pfarrsitz St. Georg mit einem<br />
Geistlichen zu besetzen, hielt sich (zunächst)<br />
bis in das Zeitalter der Glaubensspaltung.<br />
Aus der kleinen Siedlung „Ammenberg“<br />
wurde, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen<br />
(Eisenerzbergbau, Salzhandel), recht bald im<br />
hohen und späten Mittelalter die bedeutende<br />
Stadt „<strong>Amberg</strong>“. Parallel dazu entwickelte sich<br />
der Ort an der Vils zur Metropole der Oberen<br />
Pfalz sowie <strong>–</strong> ab 1329 <strong>–</strong> zur kurpfälzischen<br />
Residenzstadt, in der sich auch der Pfarrer von<br />
<strong>Amberg</strong> zu einer nicht unbedeutenden gesellschaftlich-kirchlichen<br />
Größe entfalten konnte.<br />
Eine Momentaufnahme hierzu: Am Beginn des<br />
16. Jahrhunderts unterstehen dem „parochus<br />
<strong>Amberg</strong>ae“ über 40 Geistliche, die zumeist die<br />
zahlreichen Messstiftungen an den diversen<br />
Altären in St. Georg und St. Martin zu bedienen<br />
hatten.<br />
Als in der Oberpfalz ab den 1530er Jahren<br />
Lehre und Praxis der lutherischen Reformation<br />
Einzug hielten, veränderte sich das kirchliche<br />
Leben grundlegend, auch und beispielhaft<br />
im Hauptort: Aus den vielen „Messpfaffen“<br />
wurden nun zahlreiche Prediger, die<br />
natürlich auch einem Pfarrer unterstanden,<br />
der allerdings nicht mehr aus dem genannten<br />
Bamberger Kloster präsentiert und eingesetzt<br />
wurde, sondern vom städtischen Rat mit Gutheißung<br />
der pfälzischen Regierungen in Heidelberg<br />
und <strong>Amberg</strong>. Während der Jahrzehnte<br />
reformatorischer Prägung wurde die Stadt an<br />
der Vils zum unbestrittenen administrativen<br />
Zentrum der gesamten Oberpfalz, Mittelpunkt<br />
ihrer intellektuellen Beziehungen und damit<br />
auch Motor der konfessionellen Orientierung<br />
(Volker Press). Auch wenn sich das religiöse<br />
Leben aufgrund steter konfessioneller Konflikte<br />
in jenen Jahren nicht ruhig entwickeln<br />
konnte, der <strong>Amberg</strong>er Pfarrerschaft bescheinigen<br />
die kirchenhistorischen Chronisten ein<br />
beträchtliches intellektuelles Potential und<br />
Geistliche im Porträt <strong>–</strong> die Pfarrer von St. Martin von 1630 bis 1981<br />
225
ABB. 28<br />
Porträtwand im<br />
neuen Pfarrhof, Franz-<br />
Meiler-Platz-1<br />
248<br />
249
GESCHICHTE DES KIRCHENCHORES<br />
<strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong> ZU AMBERG<br />
700 Jahre Musik in St. Martin<br />
—— Franz Meier<br />
ABB. 1<br />
Chor vor Orgel auf<br />
Empore, Erhebung zur<br />
Basilika, 1980<br />
Der Kirchenchor St. Martin blickt auf<br />
eine Jahrhunderte alte Tradition<br />
zurück, die bis in die Zeit der Vorgängerkirche<br />
reicht. Leider gibt es<br />
aber dazu keine Gründungsurkunde oder<br />
sonstige stichhaltige Nachweise. Grundsätzlich<br />
lässt sich sagen, dass die Chorsänger <strong>–</strong> ursprünglich<br />
mit Lateinschülern begonnen <strong>–</strong> bis<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts für alle katholischen<br />
Kirchen im damaligen Stadtgebiet (einschließlich<br />
St. Sebastian, St. Katharina, Frauenkirche,<br />
Spitalkirche, Schulkirche, Dreifaltigkeitskapelle,<br />
Mariahilfbergkirche und bis zur<br />
Säkularisation auch für Paulanerkirche) zuständig<br />
waren und schon vor den Religionswirren<br />
(ca. 1540) und bis zur Rekatholisierung<br />
immer wieder Ausgaben für Sänger in den<br />
Ratsbüchern und in den Kirchenrechnungen<br />
zu finden sind. 1 Ab 1630 ging man an die Verpflichtung<br />
fest besoldeter Sänger und Knaben.<br />
Diese wurden sowohl vom Magistrat der Stadt<br />
<strong>Amberg</strong> als auch von der Kirchenverwaltung<br />
bezahlt. Weitere Zuwendungen erhielten sie<br />
bei besonderen Aufgaben, etwa von den Bruderschaften,<br />
bei Hochzeiten und bei Beerdigungen.<br />
Die Alt- und Sopranstimmen (Diskant)<br />
hatten bis Ende des 19. Jahrhunderts<br />
Knaben zu übernehmen. Erst ab dieser Zeit<br />
wurden sie mit Frauen besetzt. Diese Praxis<br />
hatte bis zum 2. Weltkrieg Bestand. Ein Chor<br />
im heutigen Sinne entwickelte sich erst danach.<br />
DIE ER<strong>ST</strong>EN FASSBAREN HINWEISE<br />
Die ersten chorischen Gesänge waren von<br />
ausgebildeten Lateinschülern zu erwarten. Die<br />
Anfänge dazu gehen sicher auf eine seit 1385<br />
belegbare Pfarrschule 2 der damaligen „Reichskirche“<br />
St. Martin, also schon auf die Vorgängerkirche,<br />
zurück, deren Aufgabe es war, geeignete<br />
Schüler für den gesanglichen Teil des<br />
Gottesdienstes und die gottesdienstlichen<br />
Handlungen auszubilden, und die dann in<br />
einer Lateinschule aufging. Sie dürfte wohl im<br />
13. Jahrhundert entstanden sein, da vergleichbare<br />
Schulen in Nabburg in den Jahren 1273,<br />
1283 und 1315, in Auerbach 1352, in Cham 1353<br />
und im nahen Sulzbach 1320 nachweisbar<br />
sind 3 . So dürften die Bürger der Stadt <strong>Amberg</strong>,<br />
in dieser Zeit ein aufblühendes Gemeinwesen,<br />
ebenfalls für ihre Kinder, die künftigen Handwerker,<br />
Kaufleute und Ratsherren, auch für<br />
angehende Studenten über eine solche nicht<br />
unbedeutende Bildungsstätte verfügt haben 4 ,<br />
denn bereits am 5. Oktober 1325 wurde in<br />
einer Urkunde vom liturgischen Geschehen<br />
berichtet. In ihr wünscht Kaiser Ludwig der<br />
Baier:<br />
[…] daz sie aller iaerlich an unsers vaters,<br />
hertzog Ludowiges, dem got genade,<br />
iartach, daz ist an sand Blasii tach, alle<br />
auz der selben techeneye ze sammen<br />
chomen, schülen in unser stat ze Amberch<br />
und schulen alle mit einander<br />
durch des vorgenannten unsers vaters<br />
und alle unsrer vordern sel willen des<br />
selben abents ein gemaine vigilige singen<br />
in der chirchen zu Amberch und des<br />
naechsten morgens dar nach ein selmesse<br />
da selbe singen […]. 5<br />
Somit müssen zu diesem Zeitpunkt<br />
bereits ausgebildete Sänger zur Verfügung<br />
gestanden haben.<br />
In einer Schenkungsurkunde von 1357 ist<br />
Geschichte des Kirchenchores St. Martin zu <strong>Amberg</strong><br />
257
ABB. 13<br />
Nach der Ostermesse<br />
2019 stellte sich der<br />
Kirchenchor mit den<br />
„Martinsgänsen“ dem<br />
Fotografen<br />
ABB. 14<br />
Chorleiter Bernhard<br />
Müllers<br />
Trotz zunehmender Schwierigkeiten war<br />
auch 1935 noch öffentlichkeitswirksame Kirchenmusik<br />
zu hören. In St. Martin wurden zu<br />
Ostern und Weihnachten neben den bekannten<br />
Cäcilien-Messen und -Motetten die Festmesse<br />
„Jesus Deus Pacis“ des Stadtamhofer<br />
Chorregenten Wenzel Bicherl (op. 75) für<br />
gemischten Chor, Orgel und Orchester zu<br />
Weihnachten, ein deutsches Weihnachtsevangelium<br />
von Frey für Sopran, Chor und Orgel,<br />
sowie die Missa in G von Karl Maria Pembauer<br />
(1876 - 1939) aufgeführt.<br />
1944 schreibt Bischöflich Geistlicher Rat<br />
Pronadl an den Bischof (Auszug): 64<br />
St. Martin - <strong>Amberg</strong> hat noch einen<br />
Kirchenchor, auch für die werktäglichen<br />
Verrichtungen. Für die Gottesdienste an<br />
Sonn- und Feiertagen stellen sich freiwillige<br />
Kräfte zur Verfügung. Ein großes<br />
Verdienst daran hat Hr. Studienprofessor<br />
Bischöfl. Geistl. Rat Bauer. Chordirektor<br />
Weinmann und Organist Zrenner sind<br />
zur Wehrmacht einberufen. Stadtpfarrer<br />
Pronadl und Religionslehrer Dimpfl<br />
leiten stellvertretend den Kirchenchor.<br />
Sonst versehen Laienkräfte den Organistendienst.<br />
DIE ZEIT DANACH<br />
Erst nach Kriegsende konnte aus freiwilligen<br />
Sängern wieder ein Chor aufgebaut werden,<br />
der sich hauptsächlich aus nebenamtlichen<br />
Hobby- Sängerinnen und -Sängern zusammensetzte.<br />
Schon bald konnte ein „Pflichtchor“<br />
daraus gebildet werden, der auch über<br />
die Jahrtausendwende hinaus für Requien,<br />
Beerdigungen und für die Festwoche auf dem<br />
Mariahilfberg zur Verfügung stand. 65 Natürlich<br />
ist auch aus dieser Epoche umfangreiche Chorliteratur<br />
jeglicher Couleur vorhanden.<br />
Herr Chordirektor Weinmann versah<br />
seinen Dienst von 1922 bis 1954. Sein Nachfolger<br />
war Josef Schuster, der den Chor bereits<br />
1958 an Hermann Englhardt übergab.<br />
Mit Chordirektor Josef Ziob, der am<br />
1. März 1961 den Chor übernahm, begann eine<br />
sehr erfolgreiche Ära. Unter seinem Wirken<br />
wurde der Chor nicht nur quantitativ, sondern<br />
vor allem qualitativ mit aufsehenerregenden<br />
Konzerten (u.a. einige Rundfunk- und Fernsehaufnahmen)<br />
weit über die Grenzen von<br />
<strong>Amberg</strong> hinaus bekannt. Neben Gregorianik<br />
und A-Capella-Gesang, neben Raselius, Bach,<br />
Brahms, Mozart und Schubert hat der Chordirektor<br />
und spätere Regionalkantor der mittleren<br />
Oberpfalz auch zeitgenössische Musik<br />
(Hugo Distler, Max Baumann, Joh. Nepomuk<br />
David, Hermann Schroeder und Karl Norbert<br />
Schmidt) schmackhaft gemacht. Vor allem<br />
die „Geistlichen Abendkonzerte“ - meist zur<br />
Adventszeit - bildeten unter seiner Leitung<br />
einen Jahreshöhepunkt. 66<br />
Als am 1.1.1990 Bernhard Müllers seinen<br />
Dienst antrat, übernahm er einen gut ausgebildeten<br />
und starken Laienchor. Damit konnte er<br />
sich auf ein breites Repertoire stützen und<br />
weitere Werke erarbeiten, so dass der Chor<br />
Orgel- und Orchestermessen unter anderem<br />
von Johann Georg Albrechtsberger, Cesar<br />
Bresgen, Anton Bruckner, Giovanni Battista<br />
Casali, Anton Diabelli, Anton Faist, Giovanni<br />
Giacomo Gastoldi, Charles Gounod, Michael<br />
Haydn, Joseph Haydn (fünf Messen), Hans Leo<br />
Haßler (zwei Messen), Johann Nepomuk<br />
Hummel, Karl Kempter, Antonio Lotti, Wolfram<br />
Menschik (vier Messen), Claudio Monteverdi,<br />
Wolfgang Amadeus Mozart (sechs Messen),<br />
Otto Nicolai, Flor Peters, Josef Rheinberger,<br />
Karl Norbert Schmid oder Franz Schubert<br />
abrufen und darbieten kann. Zusätzlich hat<br />
Herr Müllers mit den „Martinsgänsen“ einen<br />
weiteren Chor aufgebaut, der mehr das neue<br />
geistliche Liedgut pflegt, Gottesdienste mitgestaltet<br />
aber auch bei besonderen Anlässen, wie<br />
z.B. Festtagsmessen, den Kirchenchor verstärkt.<br />
Selbstverständlich werden zu gegebener<br />
Zeit und besonderem Anlass Werke alter<br />
Meister a cappella dargeboten, z.B. von Orlando<br />
di Lasso, Giovanni Pierluigi da Palestrina,<br />
Dietrich Buxtehude, Michael Praetorius,<br />
Johann Pachelbel, Johann Sebastian Bach,<br />
Johann Valentin Rathgeber, usw. Auch für den<br />
Bayerischen Rundfunk konnten einige Gottesdienste<br />
mitgestaltet werden. Viele zusätzliche<br />
geistliche Konzerte prägen die neuere <strong>Amberg</strong>er<br />
Kirchenmusikgeschichte. Nicht nur die<br />
sonntäglichen Messen wurden zum Erlebnis,<br />
sondern darüber hinaus entwickelte sich die<br />
Kirchenmusik in St. Martin zu einem Highlight<br />
der <strong>Amberg</strong>er Kulturwelt.<br />
278<br />
Geschichte des Kirchenchores St. Martin zu <strong>Amberg</strong><br />
Geschichte des Kirchenchores St. Martin zu <strong>Amberg</strong><br />
279
DAS APO<strong>ST</strong>OLISCHE SCHREIBEN<br />
„INTER TEMPLA“<br />
Wie die Stadtpfarrkirche St. Martin<br />
eine päpstliche Basilika wurde.<br />
—— Thomas Helm<br />
ABB. 1<br />
Oberes Wappen von<br />
Papst Johannes Paul II.<br />
über dem Hauptportal<br />
der Basilika St. Martin,<br />
unteres Wappen von<br />
Papst Franziskus<br />
(unteres Wappen je -<br />
weils vom aktuell amtierenden<br />
Papst)<br />
Wenn wir anlässlich des <strong>600</strong>.<br />
Jahrestages der Grundsteinlegung<br />
der Stadtpfarrkirche<br />
St. Martin in dieser Jubiläums-Chronik<br />
ihre spannende und wechselvolle<br />
Geschichte, ihre besondere Architektur<br />
und auch ihre reichhaltige Ausstattung<br />
würdigen, dann darf dabei keinesfalls<br />
die Erhebung zur päpstlichen Basilika am<br />
27. September 1980 durch Papst Johannes<br />
Paul II. fehlen, eine besondere Auszeichnung,<br />
die nur wenigen Kirchen zukommt.<br />
Wenn man von Basilika spricht, ist bei<br />
diesem Begriff eine kunstgeschichtliche und<br />
eine kirchenrechtlich-liturgische Bedeutung<br />
zu unterscheiden. Während kunstgeschichtlich<br />
die Basilika einen architektonischen<br />
Bautyp 1 bezeichnet, versteht man unter einer<br />
(päpstlichen) Basilika im liturgischen bzw.<br />
kirchenrechtlichen Sinn eine mit besonderen<br />
Privilegien ausgezeichnete Kirche. Unterschieden<br />
wird dabei zwischen einer „Basilica<br />
maior“ und einer „Basilica minor“. Den Titel<br />
einer „Basilica maior“ tragen lediglich die<br />
vier Papstbasiliken in Rom (Lateranbasilika,<br />
S. Maria Maggiore, St. Peter, St. Paul vor den<br />
Mauern) sowie die beiden Gotteshäuser San<br />
Francesco und Santa Maria degli angeli in<br />
Assisi. Die Zahl der „Basilicae minores“ hingegen<br />
ist weitaus größer. Weltweit gibt es<br />
derzeit 1.822 Kirchen 2 mit diesem Ehrentitel.<br />
Doch was genau ist eine Basilika, und was<br />
macht sie aus? Wie kam es zu diesem Privileg,<br />
und welcher Anspruch ist in damit verbunden?<br />
Diesen Fragen will vorliegender<br />
Beitrag nachgehen.<br />
Die Kriterien für die Vergabe des Titels<br />
„Basilica minor“ sind im Dekret „Domus dei -<br />
über den Titel einer Basilika niederen Grades“<br />
3 der Römischen Ritenkongregation<br />
vom 6. Juni 1968 festgehalten. Sie wurden<br />
dann schließlich im Dekret „Domus ecclesiae“<br />
der Kongregation für den Gottesdienst<br />
und die Sakramentenordnung vom<br />
9. November 1989 aktualisiert. Zum Zeitpunkt<br />
der Basilikaerhebung von St. Martin<br />
besaß Ersteres Gültigkeit.<br />
Der Ehrentitel einer „Basilica minor“<br />
wird besonderen Kirchen von überregionaler<br />
Bedeutung auf Antrag des zuständigen<br />
Diözesanbischofs und mit Erteilung des<br />
„Nihil obstat“ der jeweiligen Bischofskonferenz<br />
verliehen.<br />
Als Voraussetzungen für entsprechende<br />
Kirchen werden im Dekret genannt: hinreichende<br />
Größe, künstlerische und überregionale<br />
Bedeutung, herausragende Liturgie und<br />
Kirchenmusik. Außerdem muss die Kirche<br />
allen gültigen liturgischen Normen entsprechen.<br />
Weiter werden die regelmäßige Feier<br />
der Sakramente, insbesondere der Eucharistie<br />
und der Buße, sowie häufige Predigt und<br />
eine ausreichende Anzahl an Priestern und<br />
verschiedenen liturgischen Diensten sowie<br />
ein bestehender Kirchenchor als wichtige<br />
Kriterien aufgeführt.<br />
Das Apostolische Schreiben „Inter templa“<br />
283
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER:<br />
Katholische Kirchenstiftung<br />
St. Martin <strong>Amberg</strong><br />
Pfarrer-Meiler-Platz 1<br />
92224 <strong>Amberg</strong><br />
Telefon: 09621 12455<br />
st-martin.amberg@bistum-regensburg.de<br />
Inhaltlich verantwortlich:<br />
Thomas Helm (Anschrift wie oben)<br />
Konzeption und Gestaltung:<br />
Philipp Koch, Manfred Wilhelm<br />
Büro Wilhelm. Designagentur<br />
www.buero-wilhelm.de<br />
Wissenschaftliches Lektorat<br />
(Beiträge Matthias Hensch, Johannes<br />
Laschinger, Daniel Rimsl, Susanne<br />
Wanninger, Werner Schrüfer, Franz Meier):<br />
Dr. Barbara Dienst<br />
Lektorat:<br />
Hermann Glombitza<br />
Schriften:<br />
Chronicle Text<br />
Praho Pro<br />
Papier:<br />
Magno Volume, 135 g/m 2<br />
Druck:<br />
Frischmann Druck & Medien<br />
Sulzbacher Straße 93<br />
92224 <strong>Amberg</strong><br />
www.frischmann-net.de<br />
Verlag:<br />
Büro Wilhelm. Verlag<br />
Lederergasse 5-7<br />
92224 <strong>Amberg</strong><br />
www.buero-wilhelm-verlag.de<br />
AUTOREN:<br />
Dr. Mathias Hensch,<br />
Referent für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie,<br />
Landesamt für Denkmalpflege im<br />
Regierungspräsidium Stuttgart, Tübingen<br />
Dr. Johannes Laschinger,<br />
Leiter des Stadtarchivs a. D.,<br />
<strong>Amberg</strong><br />
Karl Müller,<br />
Berufsschullehrer für Schreiner und<br />
Zimmerer i.R., <strong>Amberg</strong><br />
Josef Beer,<br />
Kirchenpfleger der Pfarrei St. Martin,<br />
<strong>Amberg</strong><br />
Dr. Daniel Rimsl,<br />
Referent für Inventarisierung und Pflege des<br />
kirchlichen Kunstgutes, Kunstsammlungen<br />
des Bistums Regensburg, Regensburg<br />
Dr. Susanne Wanninger,<br />
Archivrätin i.K., Bischöfliches Zentralarchiv,<br />
Regensburg<br />
Claudia Schumacher M.A.,<br />
Mitarbeiterin im Sachverständigenbüro<br />
Dr. Ivo Rauch für Kunst und Denkmalpflege,<br />
Koblenz<br />
Msgr. Dr. Werner Schrüfer,<br />
Domvikar, Regensburg<br />
Franz Meier,<br />
Vorsitzender des<br />
„Projekt Orgel St. Martin“ e. V., <strong>Amberg</strong><br />
Thomas Helm,<br />
Stadtpfarrer der Pfarrei St. Martin, <strong>Amberg</strong><br />
FOTOS:<br />
Umschlag vorne und hinten,<br />
Vorsatz und Nachsatz sowie Seite 8-15:<br />
Manfred Wilhelm/Büro Wilhelm<br />
Luftaufnahme Vorsatz:<br />
Alexander Viebig<br />
Quelle Grundriss S. 14:<br />
ALS Ingenieure<br />
Weitere Fotos: Siehe Abbildungsnachweise<br />
bei den jeweiligen Beiträgen<br />
DANK:<br />
Mit freundlicher Unterstützung der <strong>Amberg</strong>er<br />
Bürgerstiftung <strong>–</strong> OB Wolfgang Dandorfer<br />
ISBN: 978-3-948137-35-9<br />
Preis: 24,80 €<br />
Printed in Germany<br />
© <strong>2021</strong>, Büro Wilhelm. Verlag<br />
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme<br />
Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. Das<br />
Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Genehmigung<br />
des Heraus gebers oder des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere<br />
für Ver vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung<br />
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />
292
<strong>600</strong> <strong>JAHRE</strong><br />
<strong>BASILIKA</strong> <strong>ST</strong>. <strong>MARTIN</strong><br />
<strong>1421</strong> <strong>–</strong> <strong>2021</strong><br />
Die Basilika St. Martin in <strong>Amberg</strong> ist nach dem Regensburger Dom der<br />
bedeutendste gotische Kirchenbau der Oberpfalz.<br />
Es war die wohlhabende und selbstbewusste Bürgerschaft der Stadt <strong>Amberg</strong>,<br />
die im Jahr <strong>1421</strong> mit der Grundsteinlegung den Bau begann, der über 100<br />
Jahre dauern sollte. Die mächtige Kirche mit ihrem herausragenden Turm<br />
am Ufer der Vils ist nicht nur eines der Wahr zeichen der Stadt <strong>Amberg</strong>,<br />
sondern auch ein steinernes Zeugnis des Glaubens und der Frömmigkeit<br />
der Menschen jener Zeit.<br />
Seit dieser Zeit hat das Gotteshaus eine sehr wechselvolle und spannende<br />
Geschichte erlebt, die in diesem Buch ihren Niederschlag findet.<br />
Darin werden nicht nur der imposante Bau und die prächtige Ausstattung<br />
der Martinskirche beschrieben, sondern auch zahlreiche Geschichten aus<br />
diesen <strong>600</strong> Jahren erzählt. Diese Jubiläums-Chronik bietet viele interessante<br />
Einblicke und Erkenntnisse <strong>–</strong> ein spannendes Werk nicht nur für <strong>Amberg</strong>er<br />
und historisch Interessierte …<br />
HERAUSGEBER<br />
Katholische Kirchenstiftung<br />
St. Martin <strong>Amberg</strong><br />
ISBN: 978-3-948137-35-9<br />
Preis: 24,80 €<br />
www.buero-wilhelm-verlag.de