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Sonepar_Report_Juni 2021

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Bauen im Bestand<br />

Aus Alt mach<br />

anders<br />

Seit Corona ganze Branchen ins Homeoffice geschickt hat, stehen<br />

Bürogebäude selbst in den beliebtesten Metropolen leer und<br />

„Umwidmung statt Neubau“ wieder ganz oben auf der Agenda.<br />

Haben Sie in letzter Zeit mal in eines der<br />

einschlägigen Immobilienportale geschaut,<br />

Untermenü „Mieten – Büros“? Um das in<br />

Boomstädten wie Frankfurt, Stuttgart oder<br />

gar München, Deutschlands teuerstem<br />

Großstadtpflaster, zu tun, brauchte es bis vor<br />

Kurzem eine Menge Frustrationstoleranz.<br />

Das Angebot war dünn und überteuert.<br />

Und jetzt? Sie werden sich wundern. Auf<br />

www.immobilienscout24.de beispielsweise<br />

ist der Ertrag für München vierstellig, runde<br />

4.000 Angebote meldet die Suchmaschine<br />

prompt. Sogar wer Innenstadtlage und für<br />

die Bayernmetropole bislang kaum denkbare<br />

„unter 20 Euro pro Quadratmeter“ sucht, bekommt<br />

reichlich Offerten angezeigt.<br />

Schuld (aus Maklersicht) ist die Pandemie,<br />

die ganze Branchen ins Homeoffice verbannt<br />

und die Einsicht befördert hat, dass es auch<br />

anders geht in Sachen Büroarbeit. Und dass<br />

nicht wenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-<br />

nehmern daheim zu arbeiten durchaus gut<br />

gefällt, oft sogar besser als die bis dato<br />

typische „Nine-to-five“-Präsenzkultur.<br />

Kreative Ideen contra Flächenversiegelung<br />

Mit dieser Erkenntnis weitet sich die Perspektive<br />

mancher Investoren und Stadtplaner,<br />

wenn es darum geht, wie und wo bezahlbarer<br />

Wohnraum entstehen kann. Das schafft<br />

gedank lichen Raum auch für ökologische<br />

Kriterien, die noch immer – und oftmals<br />

ausgerechnet in den beliebtesten deutschen<br />

Städten – als Randaspekte behandelt werden.<br />

Denn während die jüngere Generation, aber<br />

auch umweltbewusste Ältere nach Alter-<br />

nativen für die Gestaltung von Arbeitsplätzen<br />

und Lebens räumen suchen, sich in Co-<br />

Working-Spaces organisieren und beim<br />

Tiny-House-Handwerker auf der langen<br />

Warteliste stehen, geht in Deutschlands<br />

Großstädten die Flächenversiegelung weiter,<br />

ohne an deren Folgen zu denken.<br />

Seit Jahrzehnten wird im Bürogebäudesektor<br />

nicht gekleckert, sondern geklotzt.<br />

Nachhaltigkeits-Experten aus Architektur<br />

und Ökologie empfehlen jetzt an ge -<br />

eig neten Standorten die Umwidmung.<br />

(Foto: Yuri Bizgaimer/stock.adobe.com)<br />

Dabei ist Umbauen meist nachhaltiger, als<br />

neu zu bauen. Und es lässt neue Angebote<br />

und Märkte entstehen. Wissenschaftler sehen<br />

alleine bis 2025 ein Potenzial von 235.000 „Ex-<br />

Büro-Wohnungen“ in den Innenstädten, so eine<br />

aktuelle Studie* des Bauforschungsinstituts<br />

ARGE in Kiel. Dieses hat errechnet, dass der<br />

Büroumbau zur Wohnung im Schnitt gerade<br />

einmal 1.108 Euro pro Quadratmeter kostet.<br />

Zum Vergleich: Bei der Modernisierung eines<br />

Altbaus fallen Durchschnittskosten von 2.214<br />

Euro/m 2 an, beim Neubau sogar 2.978 Euro.<br />

Alte Hindernisse und neue Herausforderungen<br />

Dabei ist die Umwidmung nur auf den ersten<br />

Blick eine neue Idee. Tatsächlich werden seit<br />

Jahrhunderten ausgemusterte Werkstätten,<br />

Schulen und andere Funktionsgebäude umgewandelt<br />

zu Wohnungen – und seit dem 20.<br />

Jahrhundert Bürokomplexe immer dann, wenn<br />

eine Boomblase platzt.<br />

Aber es gab und gibt Hindernisse, die zu<br />

überwinden sind. Der Umwandlung entgegen<br />

standen bislang in erster Linie bürokratische<br />

Hürden. In Zeiten der Wohnungsnot könnten<br />

sich Kommunalpolitik und Bauverwaltung<br />

gegenüber sinnvollen Umnutzungen allerdings<br />

flexibler zeigen – und tun es zum Teil bereits.<br />

Technisch sind es die drei Größen Schallschutz,<br />

Brandschutz und Wärmedämmung,<br />

die beim Umbau von Büros in Bewohnbares<br />

die ersten Herausforderungen darstellen. Dazu<br />

kommen Umstrukturierungen, wenn kleinere<br />

Einheiten mit mehr Freiflächen und Tageslichtbedarf<br />

entstehen sollen, und mindestens eine<br />

Teilindividualisierung der Gebäudetechnik. Das<br />

bedeutet gute Umsatzchancen auch für das<br />

E-Handwerk.<br />

Die Bürowelt wird eine andere bleiben<br />

Aber kann sich dieser Aufwand überhaupt<br />

lohnen? Um diese Frage zu beantworten,<br />

muss man sich die derzeitige Verwandlung<br />

der Arbeitswelt ansehen: Das Präsenzbüro<br />

Aus Büro wird Wohnung. Schon bald<br />

könnte aus diesem aktuellen Trend eine<br />

langfristige Option werden – mit guten<br />

Umsatzchancen für das Handwerk.<br />

(Fotos: Grispb, Julien Tromeur/<br />

stock.adobe.com)<br />

wird wohl auch „nach Corona“ nicht mehr in<br />

seiner alten Form zurückkehren. Stattdessen<br />

wird es Mischarbeitskulturen geben, die Teilzeit-Präsenz,<br />

mobiles Arbeiten und Homeoffice<br />

vereinen. Auch neue Tools entstehen in<br />

der Bugwelle der Pandemie: beispielsweise<br />

Buchungs- und Belegungs-Apps wie die von<br />

Siemens entwickelte Work-Place-App „Comfy“,<br />

die nicht bloß für einen freien Büroplatz sorgt,<br />

sondern gleich auch für die nötige gesundheitliche<br />

Sicherheit – weil man auf den ersten<br />

Blick sieht, wo gerade besonders viele Kollegen<br />

anwesend sind.<br />

Alte Leisten und neuer Mut<br />

Ob die Chance auf anderes Wohnen und Arbeiten<br />

tatsächlich so weiträumig genutzt wird,<br />

wie es theoretisch möglich wäre, hängt in<br />

erster Linie vom Willen zum Umdenken ab –<br />

von mutigen Stadtplanern und von Architekten<br />

und Handwerksbetrieben, die gewillt sind,<br />

dieses Marktsegment mit ihrer Expertise<br />

zu füllen. Freilich: Investoren, die nur nach<br />

einem möglichst schnellen und hohen „Return<br />

on Investment“ schauen, werden die Umwidmung<br />

scheuen und lieber bei ihren „alten<br />

Leisten“ bleiben. Schließlich fand sich für eine<br />

Gewerbeimmobilie mitsamt Grundstück in den<br />

vergangenen Jahren immer irgendein internationaler<br />

Käufer. Außerdem, so liest man in den<br />

Immobilienportalen, hoffen die Makler jetzt auf<br />

„Rückkehreffekte“: Die Büros sollen bald wieder<br />

genau so voll sein wie vor der Pandemie ...<br />

In der Zwischenzeit werden eben Mietwohnungen<br />

vermittelt. In München sind deren Preise<br />

in den letzten 12 Monaten übrigens schon<br />

wieder gestiegen. Mit 30 Euro Nettokaltmiete<br />

pro Quadratmeter muss man derzeit rechnen.<br />

Darum geht es<br />

„Viele Unternehmen haben bereits angekündigt,<br />

dass auch nach der Überwindung<br />

der Pandemie Homeoffice-Angebote bestehen<br />

bleiben sollen. Die Angebote an die<br />

Mitarbeiter sind für die Unternehmen sinnvoll,<br />

wenn dadurch Büroflächen abgebaut<br />

werden können. Nach Schätzungen gibt es<br />

in Deutschland 350 bis 380 Millionen m²<br />

Bürofläche, deren Umnutzung zu Wohn-<br />

flächen häufig mit überschaubarem<br />

Aufwand möglich ist. Jedes Prozent<br />

Bürofläche, das wegen der dauerhaften<br />

Homeoffice-Ausweitung zu Wohnungen<br />

umgenutzt werden kann, lässt die Schaffung<br />

von rund 50.000 Wohnungen mit je<br />

70 m² zu.“<br />

Quelle: Die Studie „Bezahlbarer Wohnraum <strong>2021</strong>“<br />

* gibt es bei der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes<br />

Bauen e. V. kostenlos zum Download:<br />

https://arge-ev.de/arge-ev/publikationen/<br />

sonderveroeffentlichungen/<br />

6<br />

<strong>Sonepar</strong> <strong>Report</strong> 223 | Titelstory<br />

<strong>Sonepar</strong> <strong>Report</strong> 223 | Titelstory 7

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