Burgblatt_2021_07_01-44_red
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ANNO 1926 | TEIL 9<br />
Hilpoltstein im Jahr 1926<br />
von Peter Hagenmaier<br />
Im Stadtarchiv in Hilpoltstein befinden<br />
sich die gebundenen Jahrgänge<br />
des Hilpoltsteiner Wochenblatts.<br />
Sie bilden eine sehr gute Informationsuelle<br />
über das Geschehen in<br />
unserer Kleinregion der vergangenen<br />
Epochen.<br />
Verwendete Abkürzungen:<br />
WB für Hilpoltsteiner Wochenblatt<br />
FT für Fränkisches Tagblatt<br />
HIP für Hilpoltstein<br />
Am 16.<strong>07</strong>. berichtet das FT über das<br />
französisch-englische Schuldenabkommen.<br />
Die Gesamtschulden (aus dem<br />
1. WK) betragen 650 Mill. englische Pfund.<br />
Sie müssen in 62 Jahresraten von 4 bis<br />
14 Mill. Pfund/Jahr ansteigend getilgt<br />
werden. Für verspätet eingehende Zahlungen<br />
sind Zusatzzinsen zu zahlen. 53<br />
Mill. Pfund sind zinslos. Sie sind über das<br />
französische Golddepot abgesichert. Die<br />
letzten Zahlungen erfolgten in den 1980er<br />
Jahren.<br />
Ebenfalls in der gleichen Ausgabe wird<br />
über die Ankunft der neuen Glocken für<br />
die evangelische Kirche berichtet. Sie sind<br />
gestern in HIP eingetroffen. Am Sonntag<br />
soll ihre Weihe im Innenraum der Kirche<br />
erfolgen. Morgens um 4 Uhr werden<br />
sie zur Kirche gebracht. Die größte wiegt<br />
21 Zentner und wurde aus Spenden der<br />
Pfarrgemeinde HIP finanziert. Die zwei<br />
weiteren wurden von der evangelischen<br />
Pfarrgemeinde Roth und dem Erbauer der<br />
hiesigen Kirche gespendet.<br />
Das FT mokiert sich am selben Tag über<br />
einen fahrenden Händler, der in HIP Obst,<br />
Gemüse und Südfrüchte verkaufte und<br />
so den einheimischen Geschäftsleuten<br />
schade. Gleichzeitig berichtet es über eine<br />
Neuerung in HIP und schreibt: Wir nähern<br />
uns anscheinend immer mehr den Gebräuchen<br />
der Friedenszeit. So lässt eine<br />
der hiesigen Bäckereien frühmorgens Kaffeebrot<br />
ins Haus tragen, eine Einrichtung,<br />
die vielfach - besonders früh - als angenehm<br />
empfunden wird.<br />
Über den Tod des letzten Modells von<br />
Wilhelm Leibl wird am 18.<strong>07</strong>. berichtet.<br />
Högling, In München ist an den Folgen einer<br />
schweren Operation Frau Maria März,<br />
Landwirtsgan von hier, verschieden. Die<br />
Verlebte war zu Bilde „nach Feierabend“<br />
Modell gesessen. Leibl arbeitete an dem<br />
Bild zwei Jahre, er verkaufte es nach Köln.<br />
Erstaunlich, dass dieses Ereignis damals in<br />
HIP noch Aufmerksamkeit erregte.<br />
Am 24.<strong>07</strong>. sind die Meldungen wieder<br />
ziemlich gemischt. Es wird informiert,<br />
dass die kleinste Glocke des Geläuts der<br />
evangelischen Kirche nicht der bestellten<br />
Tonart entspricht. Weil sie sich aber trotzdem<br />
gut in den Gesamtklang einfügt wird<br />
sie akzeptiert (einem geschenkten Barsch<br />
schaut man nicht ……).<br />
Aus Raubersried erfahren wir, dass ein<br />
Hilfsarbeiter Heidelbeerwein zubereiten<br />
wollte. Er stellte einige Flaschen mit dem<br />
Most in die Stube. Er selbst fuhr mit seiner<br />
Frau nach Feucht zur Kirchweih. Gegen<br />
19 Uhr vernahmen die Nachbarn aus dem<br />
Anwesen einen lauten Knall und sahen<br />
nach. Die Flaschen waren explodiert und<br />
die Schwarzbeeren hingen an Wänden,<br />
Decke und Möbeln. Das FT vermutet sinnigerweise,<br />
dass die Flaschen keinen Gärverschluss<br />
hatten.<br />
Auf Seite 1 der Ausgabe vom 25.<strong>07</strong>. werden<br />
die Leser objektiv über die derzeitigen<br />
– durch die Inflation bedingten<br />
– Finanzprobleme und dem Regierungswechsel<br />
informiert. Derartig sachliche<br />
Darstellungen – was Frankreich betri –<br />
fand man im WB früher nicht.<br />
Am 30.<strong>07</strong>. geht der Leitartikel auf einen<br />
Vortrag von Professor Barnes über die<br />
Kriegsschuldlüge in einem langen Beitrag<br />
ein. Der Vortrag ist Wasser auf die Mühlen<br />
der Nationalisten und Revanchisten.<br />
Der Angriff auf das neutrale Belgien ist für<br />
Barnes ohne jegliche Bedeutung (in den<br />
ersten Kriegstagen wurden dort ja nur ca.<br />
3000 Zivilisten erschossen). Barnes fordert<br />
die Rückgabe der ehemaligen deutschen<br />
Kolonien. Sie sind seiner Meinung<br />
nach unabdingbar für die Entwicklung der<br />
deutschen Wirtschaft.<br />
Über das am kommenden Sonntag stattfindende<br />
Landeckfest informiert ein großes<br />
Inserat des Festausschusses. Das<br />
diesjährige sogenannte „Landeckfest“ soll<br />
diesmal mehr den Charakter eines Turnfestes<br />
tragen. Turnerische Vorführungen,<br />
Gesangseinlagen, Kinderbelustigungen,<br />
Aufstieg von Luftballons, Wettkämpfe der<br />
Turnvereine HIP, Eckersmühlen, G<strong>red</strong>ing,<br />
Heideck und Thalmässing. Die Kapelle<br />
Kach aus HIP beteiligt sich mit einem Konzert<br />
und den Abschluss bildet ein nächtliches<br />
Feuerwerk.<br />
Der Eichstätter Volkzeitung ist dieses interessante<br />
Inserat zu entnehmen: „Meine<br />
Frau ging verloren, der ehrliche Finder der<br />
sie findet kann sie gleich behalten. Wer ihr<br />
etwas leiht oder borgt, hat von mir keine<br />
Bezahlung zu erwarten. Anton Wandlinger,<br />
Pietenfeld“. Ob der ehrliche Finder sie<br />
behalten hat ist nicht bekannt.<br />
Am 31.<strong>07</strong>. wurden die aktuellen Erwerbslosenzahlen<br />
veröffentlicht. Sie betrugen<br />
am <strong>01</strong>.<strong>07</strong>. 1.741.172 und sanken bis zum<br />
15.<strong>07</strong>. um 1,2 % auf 1.718.861.<br />
Unter dem Titel „Die Staatsvereinfachung<br />
in Bayern“ schreibt das FT am 04.08. und<br />
bezieht sich auf eine Veröffentlichung in<br />
der Deutschen Juristen-Zeitung: Schon<br />
seit 1920 befasst sich eine gemischte Kommission<br />
mit dem Problem einer geplanten<br />
Verwaltungsreform. Oberlandesgerichtspräsident<br />
und Staatsrat Dr. Meyer befasst<br />
sich mit der Vereinfachung der Verwaltung.<br />
Eine Einigung kam aber nicht zustande.<br />
Wie so häufig, ging diese Aktion aus,<br />
wie das Hornberger Schießen. Erst rund<br />
ein halbes Jahrhundert später gelang es<br />
– trotz großem Widerstand der Bevölkerung<br />
eine absolut sinnvolle Verwaltungsreform<br />
durchzusetzen. Im Rahmen der<br />
schnell fortschreitenden Digitalisierung<br />
entspricht diese aber den Erfordernissen<br />
des 21. Jh. auch nur mehr eingeschränkt.<br />
Am 05.08. erfahren wir, dass am Sonntagabend<br />
auf dem Wege von Brunnau nach<br />
Eismannsdorf der in Brunnau als Knecht<br />
beschäftigte Adalbert Schmidt aus Eismannsdorf<br />
mit einem Brustschuss tot<br />
aufgefunden wurde. Da nicht festgestellt<br />
werden konnte, ob ein Suizid vorliegt oder<br />
ob es sich um einen fahrlässigen Umgang<br />
mit der Waffe handelt, wurde ein kirchliches<br />
Begräbnis nicht versagt<br />
Im nächsten Heft:<br />
Hilpoltstein im Jahr 1926 – Teil 10<br />
<strong>07</strong> | <strong>2021</strong><br />
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