ERF Antenne 0910|2021 Genug
Das Magazin von ERF – Der Sinnsender
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»Wer einfach leben<br />
will in unserer Konsumgesellschaft,<br />
der hat<br />
dazu keine Chance«<br />
„Viel Kraft!“ Mit diesen Worten zog nach der Flut im<br />
Ahrtal eine Frau einen Wagen hinter sich her mit Lebensmitteln<br />
und Getränken für die Flutopfer und ihre<br />
Helfer und sie legte ihnen die Hand auf die Schulter.<br />
Eine einfache kleine Geste, völlig unspektakulär, die<br />
in diesen Momenten aber doch Menschen stärken und<br />
im wahrsten Sinne des Wortes Schutt- und Schlammberge<br />
versetzen konnte. Ich schätze, dass man sich<br />
noch lange an diese Frau erinnern wird, genauso wie<br />
an den einen oder andere improvisierten Grillabend<br />
mit den Helfern, während manches routiniert luxuriöse<br />
Buffet aus „Normalzeiten“ bald in Vergessenheit<br />
geraten dürfte.<br />
Musste erst die Flut kommen, um uns neu ins<br />
Gedächtnis zu rufen, was wirklich wichtig ist, was<br />
wirklich zählt im Leben?<br />
Ich bin kein Goldrandtyp<br />
Ich mag nicht für die Menschen in den Flutgebieten<br />
entscheiden, wie sie diese Situation zu empfinden<br />
haben, das maße ich mir nicht an. Mir kommt aber<br />
entgegen, dass ich kein Goldrandtyp bin. Natürlich<br />
habe ich nichts dagegen, wenn das Ambiente gepflegt<br />
und das Geschirr sauber ist. Aber die Tasse muss nicht<br />
zwingend aus Meißner Porzellan sein. Wichtiger sind<br />
mir andere Dinge – Ruhe, Geborgenheit, ein schöner<br />
Moment, ein guter Kaffee nach einem strapaziösen<br />
Tag, der Sonntag auf dem Spielplatz mit den Enkeln,<br />
Klönen mit Freunden und Familie, das ausführliche<br />
Frühstück mit meiner Frau, Zusammensein mit Menschen,<br />
die ich mag. Im Augenblick ruhen und das im<br />
Deutschen so schön wörtlich ausgedrückte „Da-sein“<br />
genießen, als wenn die Zeit stehen geblieben wäre, das<br />
sind für mich die wertvollsten Momente.<br />
Geistlich ist das ähnlich. Als „Berufschrist“ bin<br />
ich viel herumgekommen, habe unzählige kirchliche<br />
Veranstaltungen, Gottesdienste und christliche<br />
Festivals erlebt und manches davon mitgestaltet und<br />
mitverantwortet. Ich stelle fest: auch hier reicht mir<br />
ein schlichter, stiller Andachtsraum mit einem Kreuz,<br />
an dessen Eingangstür ein Schild hängt mit der Bitte,<br />
einfach mal still zu sein, und allein Gott reden lassen.<br />
Angeblich wollen wir es alle einfach<br />
Ich sehne mich nach dem Einfachen. Angeblich stehe<br />
ich mit dieser Sehnsucht nicht allein. Der Zukunftsforscher<br />
Matthias Horx hat diese Suche nach dem<br />
Einfachen im vorigen Jahr mitten in der Corona-<br />
Krise als Megatrend der 20er Jahre des 21. Jahrhunderts<br />
identifiziert, zumindest was die weltliche Seite<br />
betrifft. Seine These: Durch die Beschränkungen<br />
würden wir erkennen, „was wirklich zählt im Leben“.<br />
Wir würden weniger Kreuz- und Urlaubsfahrten brauchen,<br />
weniger Konzert- und Restaurantbesuche, das<br />
Leben würde einfach schlichter werden mit einem<br />
neuen Blick fürs Wesentliche.<br />
Doch der Blick fürs Wesentliche richtete sich in der<br />
meinungserforschten Bevölkerung vor der Flut dann<br />
doch eher in Richtung Konsum. So fielen die vermeintlichen<br />
Verfechter des einfachen Lebens unter anderem<br />
in Baumärkte ein und zerrten in bislang ungeahntem<br />
Ausmaß Swimmingpools, Hochbeete, monströse Grillstationen<br />
sowie jede Menge Renovierungsmaterial<br />
nach Hause.<br />
Einfach leben ist nicht so einfach<br />
Die Folgen treffen auch andere Bereiche. Als Freunde<br />
von uns sich zu Weihnachten per Gutschein gegenseitig<br />
Fahrräder schenkten („Auch bei uns gibt es noch<br />
sooo viele schöne Ecken zu entdecken“), mussten sie<br />
feststellen, dass die Räder über den Jahreswechsel um<br />
ein paar hundert Euro teurer geworden waren. Wer<br />
„einfach leben“ will in unserer Konsumgesellschaft,<br />
der hat dazu keine Chance.<br />
Wenn diese Konsumgesellschaft erst einmal das<br />
einfache Leben als Einnahmequelle entdeckt hat, ist<br />
das einzig Karge am Ende die Leere im Portemonnaie.<br />
Aber so war das mit dem einfachen Leben garantiert<br />
nicht gemeint.<br />
Thema<br />
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