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Das Magazin von ERF – Der Sinnsender

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Ich habe ganz banal angefangen bei<br />

meinen Kleiderschränken, die unter der<br />

Fülle der Pullis, Blusen, Hosen und Blazer<br />

schon kurz vor dem Zusammenbrechen<br />

waren. „Raus damit!“ war mein Gedanke.<br />

Ich habe vieles verschenkt und manches<br />

entsorgt – und nichts vermisst. Weiter<br />

ging es im Keller, wo sich viele Sachen<br />

stapelten. Der gleiche Gedanke: „Raus<br />

damit!“ So habe ich nach und nach meine<br />

Wohnung luftig gemacht. Und das war ein<br />

unbeschreiblich gutes, befreiendes Gefühl.<br />

Der Schmerz zwingt<br />

zur Einfachheit<br />

Außerdem hat mich eine langjährige,<br />

chronische Krankheit schon vor längerer<br />

Zeit dazu gezwungen, einen einfacheren<br />

Lebensstil zu leben. Kürzer zu treten.<br />

Nicht mehr alles mitmachen zu können.<br />

Häufiges Essen gehen, Kinobesuche, Sport,<br />

unzählige Events und Begegnungen waren<br />

für mich jahrelang nicht mehr drin.<br />

Nach der Arbeit war ich meistens platt<br />

und am Abend nur noch damit beschäftigt,<br />

meinen Energietank wieder aufzufüllen,<br />

für den neuen Tag und um mit meinen<br />

Schmerzen klarzukommen. Der Verlust der<br />

Gesundheit war ein immens harter Brocken<br />

für mich. Eine chronische Dauerkranke<br />

zu sein, hat mich an den Rand der Verzweiflung<br />

gebracht. Ich habe in der Zeit viel<br />

geweint und ich habe mich gefragt, warum<br />

Gott mich in solche Abgründe hat fallen<br />

lassen. Ich war wild und kühn und auch<br />

noch jung und voller Energie. Und nun das.<br />

Andererseits hat die Krankheit<br />

zwangsweise dafür gesorgt, inwendiger zu<br />

leben, ruhiger zu leben, mehr zu beten, zu<br />

hoffen, zu glauben. Ich hatte viel Zeit, mit<br />

Gott zu reden und ich habe im wahrsten<br />

Sinne des Wortes auch viel mit Gott gerungen.<br />

Ihm Vorwürfe gemacht, ihm Fragen<br />

gestellt. Ihm den Rücken zugewandt und<br />

mich von ihm losgesagt. Und es hat lange<br />

gedauert, bis er mich auf ganz liebevolle<br />

Weise wieder eingeholt hat. Gott sei Dank!<br />

Das war ein langer, schmerzhafter Weg.<br />

Und ich habe mich sehr darüber gefreut,<br />

dass eine Hörerin einmal schrieb:<br />

„Liebe Frau Schild, ihre Andachten sind<br />

intensiver geworden, mitfühlender und<br />

viel tiefgründiger. Sie scheinen auch die<br />

schmerzhafte Seite des Lebens zu kennen.“<br />

Jawohl – so ist es.<br />

Ein fast vergessenes Wort<br />

Es gibt da ein Wort, das bei mir immer<br />

mehr in Vergessenheit geraten war.<br />

Schleichend, unbemerkt ist es aus meinem<br />

Leben verschwunden. Es ist ein Wort, das<br />

vom Aussterben bedroht ist. Bedroht von<br />

Arbeitgebern, die uns immer mehr Leistung<br />

abverlangen, von Werbung, die uns<br />

einreden will, wir seien nichts wert ohne<br />

perfekte Figur. Ohne perfekte Frisur. Ohne<br />

perfekte Wohnung. Ohne perfekte und<br />

einflussreiche Freunde. Ohne das perfekte<br />

Auto. Es ist das Wort „genug“.<br />

„<strong>Genug</strong>“ ist ein gutes Wort. Ich habe es<br />

für mich wiederentdeckt. Und ich möchte<br />

es noch viel mehr in meinem Leben<br />

wiederbeleben. Weil ich dann freier atmen<br />

und leichter leben kann.<br />

ULRIKE SCHILD, Redakteurin und leidenschaftliche Moderatorin<br />

bei <strong>ERF</strong> Plus, arbeitet seit 1984 beim <strong>ERF</strong>. Am liebsten ist sie im<br />

Gespräch mit den Hörerinnen und Hörern.<br />

Thema<br />

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