ERF Antenne 0910|2021 Genug
Das Magazin von ERF – Der Sinnsender
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Ich habe ganz banal angefangen bei<br />
meinen Kleiderschränken, die unter der<br />
Fülle der Pullis, Blusen, Hosen und Blazer<br />
schon kurz vor dem Zusammenbrechen<br />
waren. „Raus damit!“ war mein Gedanke.<br />
Ich habe vieles verschenkt und manches<br />
entsorgt – und nichts vermisst. Weiter<br />
ging es im Keller, wo sich viele Sachen<br />
stapelten. Der gleiche Gedanke: „Raus<br />
damit!“ So habe ich nach und nach meine<br />
Wohnung luftig gemacht. Und das war ein<br />
unbeschreiblich gutes, befreiendes Gefühl.<br />
Der Schmerz zwingt<br />
zur Einfachheit<br />
Außerdem hat mich eine langjährige,<br />
chronische Krankheit schon vor längerer<br />
Zeit dazu gezwungen, einen einfacheren<br />
Lebensstil zu leben. Kürzer zu treten.<br />
Nicht mehr alles mitmachen zu können.<br />
Häufiges Essen gehen, Kinobesuche, Sport,<br />
unzählige Events und Begegnungen waren<br />
für mich jahrelang nicht mehr drin.<br />
Nach der Arbeit war ich meistens platt<br />
und am Abend nur noch damit beschäftigt,<br />
meinen Energietank wieder aufzufüllen,<br />
für den neuen Tag und um mit meinen<br />
Schmerzen klarzukommen. Der Verlust der<br />
Gesundheit war ein immens harter Brocken<br />
für mich. Eine chronische Dauerkranke<br />
zu sein, hat mich an den Rand der Verzweiflung<br />
gebracht. Ich habe in der Zeit viel<br />
geweint und ich habe mich gefragt, warum<br />
Gott mich in solche Abgründe hat fallen<br />
lassen. Ich war wild und kühn und auch<br />
noch jung und voller Energie. Und nun das.<br />
Andererseits hat die Krankheit<br />
zwangsweise dafür gesorgt, inwendiger zu<br />
leben, ruhiger zu leben, mehr zu beten, zu<br />
hoffen, zu glauben. Ich hatte viel Zeit, mit<br />
Gott zu reden und ich habe im wahrsten<br />
Sinne des Wortes auch viel mit Gott gerungen.<br />
Ihm Vorwürfe gemacht, ihm Fragen<br />
gestellt. Ihm den Rücken zugewandt und<br />
mich von ihm losgesagt. Und es hat lange<br />
gedauert, bis er mich auf ganz liebevolle<br />
Weise wieder eingeholt hat. Gott sei Dank!<br />
Das war ein langer, schmerzhafter Weg.<br />
Und ich habe mich sehr darüber gefreut,<br />
dass eine Hörerin einmal schrieb:<br />
„Liebe Frau Schild, ihre Andachten sind<br />
intensiver geworden, mitfühlender und<br />
viel tiefgründiger. Sie scheinen auch die<br />
schmerzhafte Seite des Lebens zu kennen.“<br />
Jawohl – so ist es.<br />
Ein fast vergessenes Wort<br />
Es gibt da ein Wort, das bei mir immer<br />
mehr in Vergessenheit geraten war.<br />
Schleichend, unbemerkt ist es aus meinem<br />
Leben verschwunden. Es ist ein Wort, das<br />
vom Aussterben bedroht ist. Bedroht von<br />
Arbeitgebern, die uns immer mehr Leistung<br />
abverlangen, von Werbung, die uns<br />
einreden will, wir seien nichts wert ohne<br />
perfekte Figur. Ohne perfekte Frisur. Ohne<br />
perfekte Wohnung. Ohne perfekte und<br />
einflussreiche Freunde. Ohne das perfekte<br />
Auto. Es ist das Wort „genug“.<br />
„<strong>Genug</strong>“ ist ein gutes Wort. Ich habe es<br />
für mich wiederentdeckt. Und ich möchte<br />
es noch viel mehr in meinem Leben<br />
wiederbeleben. Weil ich dann freier atmen<br />
und leichter leben kann.<br />
ULRIKE SCHILD, Redakteurin und leidenschaftliche Moderatorin<br />
bei <strong>ERF</strong> Plus, arbeitet seit 1984 beim <strong>ERF</strong>. Am liebsten ist sie im<br />
Gespräch mit den Hörerinnen und Hörern.<br />
Thema<br />
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