KÄNGURU September 2021
Das Stadtmagazin für Familien in Köln, Bonn und Region berichtet über • Zahngesundheit: Lückenhalter und Kinderprothesen • Kindergeburtstag: Ein Grund zum Feiern • Junges Theater Bonn: „Die Schule der magischen Tiere“ feiert Premiere • Kolumne - Liebe Frau Reker und Frau Karli • Portrait: Jüdisches Familienleben in Köln • Kidical Mass: Platz da für die #fahrradgeneration • Weltkindertag • KÄNGURU-Podcast - Achtsamkeit und Meditationen für Kinder • Ming Veedel - Ehrenfeld • Raus, raus, raus: Durch die Hardt zur Milchtankstelle Gut Lerbach
Das Stadtmagazin für Familien in Köln, Bonn und Region berichtet über
• Zahngesundheit: Lückenhalter und Kinderprothesen
• Kindergeburtstag: Ein Grund zum Feiern
• Junges Theater Bonn: „Die Schule der magischen Tiere“ feiert Premiere
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• Kidical Mass: Platz da für die #fahrradgeneration
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FAMILIENLEBEN <strong>KÄNGURU</strong> 09 I 21<br />
39<br />
In diesem Jahr wird gefeiert, dass Menschen jüdischen<br />
Glaubens seit 1.700 Jahren in Deutschland leben. Zu<br />
diesem Anlass soll jüdisches Leben erlebbar gemacht<br />
und ein Zeichen gegen den erstarkenden Antisemitismus<br />
gesetzt werden. Die jüdische Gemeinde in Köln<br />
hat eine lange Geschichte und gilt sogar als die älteste<br />
nördlich der Alpen. Aber wie leben Angehörige<br />
des Judentums eigentlich heute hier in Köln? Für<br />
<strong>KÄNGURU</strong> gehe ich dieser Frage auf den Grund.<br />
Ich wähle die Nummer, die ich von einem Vorstandsmitglied der<br />
jüdischen Grundschule Lauder-Morijah in Ehrenfeld bekommen<br />
habe. Galina, die Frau am anderen Ende der Leitung, kommt gleich<br />
zur Sache: „Ich weiß nicht, ob wir so eine passende Familie für Ihren<br />
Text sind“, warnt sie mich. „Wir sind nicht religiös, essen nicht<br />
koscher und an unserer Tür hängt auch keine Mesusah. Man könnte<br />
gar nicht ahnen, dass wir zur Hälfte Juden sind.“<br />
Ich überlege einen Moment. Bin ich etwa wirklich an die falsche Familie<br />
geraten? Sollte ich für mein Vorhaben nicht besser mit Juden<br />
sprechen, die orthodox oder wenigstens religiös leben?<br />
Doch bereits ihre ersten Sätze haben mein Interesse geweckt. Da<br />
habe ich also eine Frau am Telefon, die sich nicht als gutes Beispiel<br />
versteht, obwohl sie sich selbst als Jüdin bezeichnet. Außerdem:<br />
Was bedeutet das überhaupt, wenn fünf Menschen derselben Familie<br />
„zur Hälfte Juden“ sind? Ich beschließe, sie und ihre Familie<br />
näher kennenzulernen, denn ich bin neugierig geworden.<br />
Galinas Geschichte<br />
Galina, die 47-jährige Mutter der Familie, wuchs zusammen mit<br />
ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester als Jüdin in der ehemaligen<br />
Sowjetunion auf. In einem System, in dem es keinen Platz<br />
für eine freie Religionsausübung gab. Ihre Oma war die Letzte, die<br />
vor 1917 eine jüdische Schule besucht hat und hebräisch sprach.<br />
„Aber wir sind Juden“, betont Galina, „auch wenn unsere Mutter<br />
nicht religiös ist, hat sie uns die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk<br />
und den jüdischen Traditionen weitergegeben.“<br />
Anfang der 90er haben viele Juden der zerfallenden Sowjetunion<br />
nach Wegen gesucht, in ein anderes Land zu gehen, so auch Galinas<br />
Eltern. Als das Programm der Bundesrepublik kam, sowjetische<br />
Juden in Deutschland aufzunehmen, war die Entscheidung<br />
klar. So kam Galina 1992, als Neunzehnjährige, zusammen mit ihrer<br />
Familie aus der Ukraine nach Köln, wo sie nach einer sprachlichen<br />
Ausbildung ihr Studium begann.<br />
„Es war gut, so früh zu kommen“, findet Galina heute. „1992 waren<br />
wir als einige der ersten Kontingentflüchtlinge gezwungen,<br />
uns schnell zu integrieren. Unsere Einstellung war nicht, hier in<br />
Deutschland Russen zu bleiben, sondern nach vorne zu schauen.“<br />
Und das tat jede:r auf seine:ihre Weise. Während Galina sich auf<br />
ihr Studium konzentrierte, versuchten ihre Eltern, mit ihrem Beruf<br />
als Mathematiklehrer:innen in Köln Fuß zu fassen. Als das nicht<br />
klappte, beteiligten sich beide ehrenamtlich am gesellschaftlichen<br />
Leben. Galinas Vater, der wie der Rest der Familie in der Sowjetunion<br />
keinen Zugang zu seiner Religion fand, entdeckte so hier in<br />
Deutschland sein Interesse für das Judentum:<br />
„Es gibt nicht viele Gemeindemitglieder, die es schaffen, jeden<br />
Morgen um sieben Uhr in der Synagoge zu sein, aber mein Vater<br />
gehört dazu“, erzählt Galina. „Er ist bekannt in der Kölner Gemeinde<br />
und ist der Religiöseste von uns geworden.“<br />
Noch während ihres Studiums hat Galina Thomas kennengelernt,<br />
der ebenfalls in Köln studierte. Heute leben die beiden mit ihren<br />
Kindern David (16), Clara (11) und Martha (8) in der Kölner Südstadt,<br />
im selben Haus wie Galinas Eltern. Alle drei Kinder haben<br />
den jüdischen Kindergarten besucht und die beiden Töchter auch<br />
die jüdische Grundschule.<br />
Familienleben, Tradition und Religion<br />
Mich interessiert, welche Rolle die jüdische Religion heute im Leben<br />
der Familie hat. Galina erzählt mir, dass sie damals überrascht<br />
war, dass Judentum in Deutschland so viel mit Religion in Verbindung<br />
gebracht wurde. „Für mich ist Judentum die Zugehörigkeit<br />
zu einem Volk, nicht mehr und nicht weniger. Es ist nicht die Religion,<br />
die für mich im Vordergrund steht. Traditionen und Feste<br />
schon, aber nicht die Religion.“ Im Frühling suchen sie Ostereier,<br />
am Pessach-Abend gibt es ein festliches Essen bei Galinas Eltern.<br />
Und besonders im Dezember feiern sie sehr viel: Weihnachten, Nikolaus<br />
und Chanukka.<br />
Martha, die Jüngste, mag Chanukka noch ein bisschen lieber als<br />
Weihnachten, „denn da bekommt man acht Tage lang ein Geschenk“,<br />
erklärt sie. Als ich sie nach ihrem Lieblingsfest frage, erzählt<br />
sie mir von Purim: „Ein Mann wollte, dass die Juden sterben.<br />
Aber auf die Art, wie er das gemacht hat, ist er selbst gestorben.<br />
Deshalb ist Purim das Fest, wo alles umgekehrt ist.“ Wie im Karneval<br />
verkleiden sich die Kinder, ziehen ihre Kleider falsch herum<br />
an oder gehen im Pyjama zur Schule. „Ich mag auch das jüdische<br />
Neujahr, Rosch Haschana“, erklärt sie weiter. „Da essen wir Äpfel<br />
mit Honig und eine Challah mit Zucker überstreut, damit es ein<br />
süßes neues Jahr wird.“<br />
Galina freut es, dass ihre Kinder die jüdischen Feste und Traditionen<br />
und die hebräische Sprache kennenlernen können – das, was<br />
sie selbst damals in der Sowjetunion nie konnte. Dadurch bekam<br />
auch sie einen ganz anderen Zugang zum Judentum. Trotzdem ist<br />
für die Familie die Synagoge vor allem ein soziales Zentrum. Sie<br />
gehen hier zu den Festen oder ins Theater, David und Clara hatten<br />
hier auch Schachunterricht.<br />
Ich frage die Kinder, was Judentum für sie bedeutet und ob sie sich<br />
als Juden bezeichnen. Von der Religion und Traditionen haben sie<br />
viel mitbekommen, aber wie sehr identifizieren sie sich damit?<br />
David kann mit Religion im Allgemeinen am wenigsten anfangen.<br />
Er sagt: „Ich persönlich würde mich eher nicht als Juden bezeichnen,<br />
denn ich bete nicht und gehe nicht regelmäßig in die Synagoge.<br />
Ich bin Deutscher, zum Teil Ukrainer mit jüdischen Wurzeln,<br />
aber ich sehe das nicht so, dass wenn ich jüdische Wurzeln habe,<br />
ich zwingend jüdisch sein muss.“<br />
Die achtjährige Martha meint: „In der Schule sagen alle, sie sind<br />
zur Hälfte Jude, weil sie nicht koscher essen. Also sage ich auch,<br />
ich bin zur Hälfte Jüdin, denn ich esse ganz normal.“<br />
Marthas große Schwester Clara feiert bald ihre Bat Mitzwa. Hierbei<br />
entscheiden Mädchen mit zwölf Jahren, wie sie in Zukunft die