6 <strong>Herkunft</strong> Lebensmittel Lieber aus der Region Trendforscher stellen in Europa und in den USA ein «neues Bewusstsein für Nahrung» fest. Dabei spielt neben der guten Qualität vor allem die <strong>Herkunft</strong> eine zentrale Rolle. Lebensmittel, die aus der Region stammen oder deren <strong>Herkunft</strong> klar überprüfbar ist, ermöglichen eine emotionale Bindung, die im Zeitalter der Globalisierung zunehmend wichtiger wird. <strong>bulletin</strong> 1/<strong>11</strong> Credit Suisse
Lebensmittel <strong>Herkunft</strong> 7 Foto: Valentyn Volkov, Shutterstock Text: Beat Stauffer Beim Blick in die Speisekarte des Restaurants Krafft in Basel fällt dem Gast sofort auf: Hier gibt es nur relativ wenige Gerichte, doch sind diese umso ausführlicher beschrieben. Ein dreigängiges Menü könnte wie folgt aussehen: Nach einem «Zweierlei von der Zeininger Räucherforelle» werden «Rapssamen-Capuns im Bodensee-Ver jus- Sud, Shitakepilze und Belperknolle» aufgetragen. Als Nachspeise stehen Schweizer Rohmilch-Käsespezialitäten auf dem Programm. Dazu gibts weiter hinten detaillierte Angaben zur <strong>Herkunft</strong> von Fleisch, Gemüse, Fischen und Meeresfrüchten. Dasselbe gilt für den Wein, der ausschliesslich aus identifizierbaren Betrieben stammt. Wer noch mehr wissen möchte – etwa über die <strong>Herkunft</strong> von Olivenöl oder Süssigkeiten – , wird auf der Website des altehrwürdigen Hotel-Restaurants fündig. Kaum zehn Minuten vom Hotel-Restaurant Krafft entfernt und in unmittelbarer Nachbarschaft zu grossen Produktionsstätten des Pharmamultis Novartis liegt der Matthäusplatz – eine Oase inmitten eines dicht bewohnten Viertels. Hier findet jeweils am Samstag ein lebendiger, farbiger Markt statt. Es handelt sich um einen echten Produzentenmarkt; rund 80 Prozent der angebotenen Waren sind aus eigenem Anbau oder eigener Herstellung. Gemüsebauern aus der Umgebung von Basel – viele aus dem angrenzenden Süddeutschland – verkaufen Obst und Gemüse, Brot und Blumen und dazu eine Reihe von Spezialitäten wie Honig, selbst gemachtem Essig oder Schnaps. Der 2006 ins Leben gerufene Markt, dessen Initianten kürzlich einen Förderpreis der Stadt Basel entgegennehmen durften, ist ein voller Erfolg und zieht mittlerweile zahlreiche Besucher aus anderen Quartieren an. Er liegt, so Christof Dietler, Mitinhaber der Beratungsfirma Pluswert, voll im Trend. Derartige Experimente würden von Experten der Nahrungsmittelindustrie und der Trendforschung im Bereich Lebensmittel sehr aufmerksam verfolgt, weil sie zukünftige Entwicklungen vorwegnähmen. Irreführende Bezeichnungen Heute haben viele Konsumenten das ungute Gefühl, nur ungenügend über die <strong>Herkunft</strong> von Lebensmitteln informiert oder gelegentlich gar betrogen zu werden. Dass Italien seit langen Jahren weit mehr Olivenöl exportiert als es selbst herstellt, dass das so genannte Bündner Fleisch häufig mit argentinischem Rindfleisch hergestellt wird, wissen mittlerweile nicht nur Eingeweihte. Dazu kommt eine grosse Verunsicherung der Konsumenten betreffend die Verwendung von Zusatzstoffen und Konservierungsmitteln bei der Herstellung vieler Lebensmittel. Für Christof Dietler steht fest, dass die überprüfbare und nach Möglichkeit regionale <strong>Herkunft</strong> eines Lebensmittels eine immer wichtigere Rolle beim Kauf eines Produktes spielt. Es handle sich um einen Trend, der auch international zu beobachten sei, erklärt Dietler. Ganz ähnlich schätzt auch Denise Stadler, Mediensprecherin von Coop, die Lage ein. Viele Konsumenten wünschten sich nicht nur nachhaltig produzierte Lebensmittel, sondern auch solche aus regionaler Produktion. «Wir stellen immer mehr fest, dass die Konsumenten sich nach der <strong>Herkunft</strong> der Ware erkundigen», sagt Stadler. Dies gelte im besonderen Mass für die «bio-affine Kundschaft », wie dieses Kundensegment in der Fachsprache der Marketingexperten heisst. Für Dietler ist bei diesen Konsumenten die regionale <strong>Herkunft</strong> oft sogar wichtiger als eine zertifizierte biologische Produktionsweise. Was steht hinter diesem Wunsch nach Lebensmitteln aus regionaler Produktion? Zum einen spielt offenbar der Faktor Vertrauen eine gewisse Rolle. «Man hat mehr Vertrauen in Produkte, die in der Region hergestellt werden», sagt Stadler. Bei solchen Produkten lasse sich gegebenenfalls auch überprüfen, ob die Vorgaben stimmten. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der ökologische Aspekt. Bei lokal hergestellten Lebensmitteln sind die Transportwege wesentlich kürzer; somit sieht die Ökobilanz in den meisten Fällen auch deutlich besser aus als bei importierten Produkten. Ein dritter, sehr wichtiger Faktor ist aber emotionaler Art: Es geht, so die beiden Experten übereinstimmend, um Heimat, Identifikation, Verankerung, Beziehung. Gerade im Zeitalter der Globalisierung scheint dieses Bedürfnis zuzunehmen; in einer Welt, in der regionale, bis anhin selbstständige Produzenten aufgekauft und in multinationalen Firmen eingegliedert werden, die dann weltweit dieselben Produkte verkaufen, wird das Bedürfnis nach «Heimat» zunehmend wichtig. Eine gewisse Rolle spielt auch ein Trend unter gut verdienenden, urbanen Menschen, der sich unter dem Begriff LOHAS von den USA aus in die westlichen Länder verbreitet hat. LOHAS (siehe Box Seite 8) steht für eine Lebenshaltung, in der gesunde Ernährung und Verantwortung für die Umwelt zusammenfinden sollen. Oder ist LOHAS vielleicht eher der schichtspezifische Ausdruck desselben Trends, der Konsumenten einer anderen Kaufkraftklasse dazu bewegt, im Winter auf eingeflogene Bohnen oder Spargeln zu verzichten und stattdessen Wurzelgemüse vom Gemüsebauern aus dem Dorf nebenan einzukaufen? Das Bedürfnis nach genauen <strong>Herkunft</strong>sbezeichnungen bei Lebensmitteln ist nicht neu. Bei Qualitätsweinen wird der genaue Produktionsort schon seit Langem auf der Etikette vermerkt und auch bei gewissen Käsesorten spielt die <strong>Herkunft</strong> eine wichtige Rolle. Mit den gesetzlich geschützten Ursprungsbezeichnungen AOC und IGP (siehe Box Seite 8) versuchen die Hersteller schon seit den 1990er-Jahren, ihre «authentischen» von qualitativ weniger wertvollen Produkten abzugrenzen. Dabei spielt auch der Begriff des Terroir eine wichtige Rolle. International hatte schliesslich die «Slow Food»- Bewegung den Bemühungen um echte, unverfälschte und einzigartige Lebensmittel, die einen hohen Genuss bieten, einen wichtigen Anstoss gegeben. Nachhaltige Beschaffungsketten Kleine, lebhafte Produzentenmärkte und Restaurants wie das «Krafft» in Basel mögen zwar wichtige Impulse geben, doch können sie die Probleme nicht lösen, die durch nicht nachhaltig produzierte Lebensmittel und durch gewaltige Transportwege entstehen. Entscheidend sei, sagt Dietler, dass bei den Schweizer Grossverteilern in dieser Hinsicht quantitativ Erhebliches in Gang gebracht wurde. Denn hier gehe es um Tausende von Tieren, die besser gehalten werden, um gewaltige Mengen an Pestiziden, auf die vielleicht verzichtet wird, um Hunderttausende von Kilometern Lastwagentransporte, die vielleicht wegfallen. «Es geht letztlich um nachhaltige Beschaffungsketten, von denen alle Beteiligten profitieren können», sagt Dietler. Produkte, die in den jeweiligen Regionen hergestellt werden, schneiden dabei logischerweise besser ab. Die beiden Schweizer Grossverteiler Coop und Migros hätten in Sachen Nachhaltigkeit und Regionalität von Lebensmitteln schon beachtliche Schritte unternommen, sagt Dietler. Die Rede ist von wachsenden Programmen mit Namen wie «Naturaplan» (Coop, Bio mit Knospe, 760 Millionen Umsatz), «Naturafarm» (Coop, Tier- > Credit Suisse <strong>bulletin</strong> 1/<strong>11</strong>