Leseprobe: Hansjörg Betschart: Fake You
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Seit der Renaissance zeugen Selbstbildnisse von der Inszenierung des Selbst und Versuchen gegen die Vergänglichkeit.<br />
Seit der Renaissance zeugen Selbstbildnisse vom Selbstbewusstsein<br />
des Menschen, teils als Inszenierung, teils als Selbstbefragung, teils<br />
als Versuch gegen die Vergänglichkeit. Je reissender der Fluss der<br />
Zeit, desto bestimmter halten Menschen sich fest. 93 Millionen Selfies<br />
werden heute weltweit täglich gemacht. Circa 30 000 Selfies<br />
haben Menschen im Alter von fünfunddreissig 2020 im Durchschnitt<br />
von sich geschossen. Jugendliche verbreiten durchschnittlich<br />
neun Selfies pro Woche und verwenden darauf wöchentlich eine<br />
Stunde Zeit.<br />
Die alten Ägypter kannten bereits geschliffene Spiegel aus Bronze,<br />
in denen sie ihr Selfie zumindest live betrachten konnten. Die frühesten<br />
uns bekannten Selfies stammten von Steinmetzen, die eigentlich<br />
im Auftrag von Tempelherren Porträtreliefs der Götter in Stein<br />
meisselten und gerne in den Gruppenporträts auch ihr eigenes<br />
Selbstporträt versteckten. So hinterliess der Grieche Phidias auf dem<br />
Schild der von ihm aus Stein gehauenen Athene Parthenos sein<br />
Selbstbildnis – das wahrscheinlich erste erhaltene Selfie.<br />
Wie reagiert unser Gehirn auf ein stark vom eigenen Ego beherrschtes<br />
Bild? Die Frage stellten sich Forscher an der Universität<br />
Graz um den Psychologen Emanuel Jauk. Das Team untersuchte<br />
Probanden, die gemäss Narcissistic Personality (NPI)-Vortest besonders<br />
hohe beziehungsweise geringe Grade an Narzissmus aufwiesen.<br />
1 Die Psychologinnen beobachteten mittels fMRt-Scans die<br />
Live-Gehirnaktivität von Probandinnen, die Bilder von Freunden,<br />
Fremden und sich selbst anschauten. Tatsächlich waren bei den Probanden<br />
mit überhöht positivem Selbstbild jene Hirnregionen, die<br />
für starkes Verlangen oder Genussreaktionen verantwortlich sind,<br />
signifikant aktiver, wenn sie Fotos von sich selbst betrachteten, als<br />
dies bei den nicht-narzisstischen Teilnehmern der Fall war. Erklärt<br />
das die Faszination der Selfies? Was treibt den Menschen an, sich<br />
selber abbilden zu wollen? Erfahren wir im Selfie vielleicht, wie wir<br />
uns darstellen, wie andere uns dargestellt sehen oder gar, wie andere<br />
uns darstellen könnten? Wir kommen zu unserer ersten App.<br />
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