KÄNGURUplus Oktober 2021
Das Stadtmagazin für Familien mit Teenagern in Köln, Bonn und Region erscheint mit folgenden Themen: Stadtleben: Jüdische Jugend in Köln Berufe-Check: Feuerwehrmann/-frau Familienleben: Selbstoptimierung Themen, Tipps und Termine rund um Berufsorientierung, Ausbildung, Studium, Freiwilligendienst
Das Stadtmagazin für Familien mit Teenagern in Köln, Bonn und Region erscheint mit folgenden Themen:
Stadtleben: Jüdische Jugend in Köln
Berufe-Check: Feuerwehrmann/-frau
Familienleben: Selbstoptimierung
Themen, Tipps und Termine rund um Berufsorientierung, Ausbildung, Studium, Freiwilligendienst
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FAMILIENLEBEN<br />
INTERVIEW MIT YVONNE BIRKEL<br />
„WIR SOLLTEN NICHT VON<br />
SELBSTOPTIMIERUNG, SONDERN VON<br />
SELBST ENTWICKLUNG SPRECHEN“<br />
Wenn Jugendliche sich Ziele setzen, finden Eltern das in der Regel klasse.<br />
Was aber, wenn Eltern diese Ziele nicht mehr verstehen?<br />
Wenn die Selbstoptimierung Grenzen erreicht, die Sorgen, Verständnislosigkeit und Wut<br />
hervorrufen? Yvonne Birkel aus Erftstadt ergreift Partei für die junge Generation.<br />
Sie betrachtet sie als die „Generation Liebe“, die ihren Selbstwert kennt und sich von alten<br />
familiären und gesellschaftlichen Mustern löst. Birkel ist selbst Mutter und gründete<br />
die erste Eltern-Community für Persönlichkeitsentwicklung in Deutschland.<br />
Im Interview schildert sie, warum Eltern ihre Kinder<br />
nicht immer verstehen müssen.<br />
Ein Beispiel: Eine 18-Jährige lebt<br />
vegan. Kommen zuhause tierische<br />
Produkte auf den Tisch, protes-<br />
tiert sie. Die Eltern verzweifeln, weil<br />
kein gemeinsames Essen mehr möglich<br />
ist. Was geht in den Eltern vor?<br />
Als Erwachsene sind wir schon lange in<br />
unserer eigenen Welt und Weltanschau-<br />
ung unterwegs. Für uns wird etwas dann<br />
problematisch, wenn es unseren Erfah-<br />
rungen und Erwartungen nicht mehr<br />
entspricht – in diesem Fall ist das der<br />
regelmäßige Genuss von Fleisch, Käse<br />
oder Eiern. Gerade in der Pubertät reifen<br />
Jugendliche heran und bilden sich ihre<br />
eigene Meinung. Verharren Erwachsene<br />
dann unflexibel in ihren Denkstrukturen<br />
und Verhaltensweisen, kommt es zum<br />
Generationenkonflikt.<br />
Sollten die Eltern in diesem Fall<br />
nur dann Wurst und Käse essen,<br />
wenn ihre Tochter nicht anwesend ist?<br />
Nein, doch sie sollten mit ihrer Tochter<br />
reden. In Familien entstehen die meisten<br />
Probleme, weil man glaubt zu wissen,<br />
was der andere denkt. Das ist oft ein<br />
Irrtum. Dialog auf Augenhöhe heißt, dass<br />
Eltern sich ehrlich für das interessieren,<br />
was ihr Kind denkt und macht. Sie kön-<br />
nen kommunizieren, dass sie die Sicht<br />
ihres Kindes verstehen und respektieren.<br />
Im Gegenzug können sie sich aber auch<br />
Respekt für ihre eigene Lebensweise<br />
wünschen. Das heißt nicht, dass ihr Kind<br />
einwilligt. Aber die Tür für eine Begeg-<br />
nung ist offen.<br />
Ein anderes Beispiel:<br />
Ein 16-jähriger Sohn trainiert<br />
seit kurzem im Fitness-Studio. Er ist<br />
stolz auf seinen Body und möchte<br />
Muskelaufbau präparate nehmen. Doch<br />
die Eltern sind wegen der gesundheit-<br />
lichen Risiken besorgt. Sollen sie es<br />
verbieten? Verbote bringen nichts. Was<br />
Eltern verbieten, holen Kinder sich an<br />
anderer Stelle wieder. Doch der Sohn<br />
sollte verstehen, warum seine Eltern<br />
besorgt reagieren. Natürlich könnte er<br />
abwehrend reagieren, weil er nicht be-<br />
lehrt werden will. Aber vielleicht googelt<br />
er die Risiken doch. Unsere Kinder sind<br />
eigenständige Seelen, die ihre Erfahrun-<br />
gen selbst machen müssen. Dennoch<br />
können wir in Gesprächen kleine Samen<br />
säen. Nur belehren sollten wir nicht.<br />
Kann aus der Selbstoptimierung<br />
der Jugendlichen so eine<br />
Familienoptimierung werden?<br />
Verhaltensweisen der Kinder betreffen<br />
alle Familienmitglieder. Doch Eltern<br />
gucken schnell weg, wenn sie ihre<br />
eigenen Themen bearbeiten müssten.<br />
Kommen wir auf das Beispiel der vegan<br />
lebenden Tochter zurück. Wenn die<br />
Eltern ihr sagen, dass ihre Ernährungs-<br />
weise ungesund sei, kann sie durchaus<br />
fragen, ob der Alkoholkonsum ihrer<br />
Eltern denn gesund sei. Jugendliche<br />
sind oft schonungslos ehrlich. Wenn die<br />
Eltern sich nicht an die Regeln halten,<br />
laufen auch die Kinder aus dem Ruder.<br />
Setzen Eltern sich hingegen bewusst mit<br />
einem Thema auseinander und sind von<br />
etwas überzeugt, spüren das auch die<br />
Jugendlichen.<br />
Warum ist es für die Persönlich-<br />
keitsentwicklung so wichtig, dass<br />
Jugendliche eine andere Meinung<br />
haben dürfen als ihre Eltern?<br />
Kinder kommen zur Welt und werden<br />
von ihrer Familie geprägt. Wir müssen<br />
sie freigeben, damit sie nicht zum Abbild<br />
unserer selbst und unserer Vorfahren<br />
werden. Sonst gäbe es keine Entwick-<br />
lung. Wenn ein Teenager aus einer<br />
Familie von Gelehrten stammt und bei<br />
der Berufswahl immer wieder hört, er<br />
solle doch auch Lehrer oder zumindest<br />
etwas Vernünftiges werden, wird er aus-<br />
brechen. Wir sollten deshalb nicht von<br />
Selbstoptimierung, sondern von Selbst-<br />
entwicklung sprechen. Optimierung<br />
heißt ja, dass etwas nicht in Ordnung ist.<br />
Wir sind aber alle in Ordnung. Dennoch<br />
dürfen wir entdecken, was noch in uns<br />
steckt.<br />
Heißt das, dass Eltern keine<br />
Grenzen setzen sollten?<br />
Das hängt vom Alter und von der<br />
Situation ab. Wenn Jugendliche<br />
beispielsweise illegale Drogen konsu-<br />
mieren, müssen Eltern Grenzen setzen.<br />
Dann ist häufig das Problem, dass Eltern<br />
nicht auf Augen höhe mit ihren Kindern<br />
reden können. Alles, was sie sagen,<br />
wirkt von oben herab. Dann ist es sinn-<br />
voll, jemanden ins Boot zu holen, der<br />
nicht parteiisch, sondern an einem ehrli-<br />
chen Dialog interessiert ist. Das kann ein<br />
Experte, das kann aber auch der<br />
Nachbar oder die Tante sein.<br />
Yvonne Birkel, Soul & Mind Coaching<br />
© Jenny Egerer Fotografie<br />
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