Leseprobe "Gegenwärtig! 100 Jahre neue Musik - Die Donaueschinger Musiktage

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Gordon Kampe DO-NAU- ESCHINGEN! Als ich noch Elektriker war, besuchte ich mal eine Fachmesse für Elektrotechnik und war schwer begeistert von den fabelhaften neuen Schuko-Steckdosen und vollkommen abgestoßen von der jüngsten Lötkolben-Generation. Ein knappes Vierteljahrhundert später habe ich dann dem Fachpublikum das eigene Produkt vorgestellt, allerdings auf der einschlägigen Messe für Avantgardemusik: DO-NAU- ESCHINGEN! Und – jenseits aller Routine – der Puls war am Anschlag. Dieses freundliche Städtchen in der Nähe von Villingen-Schwenningen ist für viele Komponistinnen und Komponisten ein Ort irgendwo zwischen Elysium und Mordor. Wir arbeiten ein Jahr oder länger an einem Stück – und präsentieren es dann fast ausschließlich vor Leuten aus der eigenen Branche: Wird dieses Werk endlich das 21. Jahrhundert einläuten? Wird es Standards setzen? Ist es radikal, politisch, multimax-trans -medial oder eher minimalistisch-postkonzeptuell? Hat das Werk einen Stachel, und wenn ja: wo pikst er hin und warum? Was ist eigentlich ein Werk und kann es sich, um im Jargon zu bleiben, auf dem Markt durchsetzen? Niemand weiß dies alles wirklich. Perfekt aufs Zielpublikum hin designte und wild bejubelte Stücke können sonntags heilig gesprochen werden und montags darauf schon verschwunden sein, aber auch One-Trick-Ponys brauchen ja Auslauf. Immer wieder wurde kritisch eingewandt, dieses DO-NAU-ESCHINGEN sei bloß ein Elfenbeinturm, der Welt abhandengekommen. Ich sage: Gut so. Denn wir brauchen von Zeit zu Zeit auch jene »Elfenbeintürme«, Orte, an denen präsentiert, diskutiert, gestritten und gefeiert wird. In atmosphärisch und akustisch »herausfordernden« Turn- und Mehrzweckhallen wird weitgehend schnickschnacklos ein gigantischer Aufwand betrieben, um diesen einen Moment der Aufführung so perfekt, so leidenschaftlich, so ernsthaft und – im Wortsinne – auch so schön wie nur möglich werden zu lassen. Wir brauchen solche Orte, an denen gefragt werden kann, was »Musik« eigentlich ist und wo derjenige mit der endgültigen Antwort darauf eher beargwöhnt wird. Wie überall wird es immer dann »komplex«, wenn man sich nicht mehr aus jenem schnieke eingerichteten Turm heraustraut, weil man sich dort oben lieber mit lauter anderen Avantgarde-Rapunzeln gegenseitig die Haare rauft. Alles ändert und entwickelt sich. Auch dieses mythenumwobene Festival. Im Gegensatz zum Lötkolben aber muss Musik nicht funktionieren. Vielleicht darf sie nicht einmal »funktionieren«. Sie kann es nicht jeder und jedem recht machen, und fügen sollte sie sich schon gar nicht. Komponistinnen und Komponisten, Musikerinnen und Musiker brachten hier in Donaueschingen ihre eigenen Inhalte mit und mussten nicht auf ein durch feuilletonistische Kurzzeiterregungen hervorgebrachtes Festivalmotto reagieren. Atmosphères, passage / paysage, limited approximations … et cetera: Meilensteine wie diese sind vielleicht nur in diesem kleinen Ort im Südwesten möglich gewesen. In Donaueschingen gilt alles der Musik. Der Hornist Karl Arnold mit jungen Neue-Musik-Fans, 1964
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