LEBEN Was mir mein Hund sagen will Hunde sprechen zu uns mit ihren Augen, ihren Ohren, Ruten und allem, was an ihnen dran ist. Trotzdem verstehen wir sie oft falsch. Das lässt sich ändern. Mit geschultem Blick Blickaustausch Hunde sind Meister darin, in den Gesichtern von Menschen zu lesen, umgekehrt fällt uns das oft sehr schwer 28 <strong>FOCUS</strong>-TIERDOKTOR
Fotos: Plainpicture, Katja Krauß/Gabi Maue (3) Natürlich kann ich meine Hündin lesen, ich kenne sie genau. Mit einem Blick sagt sie mir, dass es jetzt an der Zeit wäre, das Abendessen aufzutischen. Ein Schmatzen verrät mir, dass sie etwas Unheimliches gehört hat, vielleicht ein Donnergrollen von fern. Und auf unseren Spaziergängen gibt sie die Richtung vor. Da reicht ihr ein kurzes Innehalten, um mir klarzumachen, welchen Weg sie einschlagen will. Doch wenn Merle mich begrüßt, stehe ich jedes Mal vor einem Rätsel. Obwohl wir schon seit acht Jahren zusammen sind. Komme ich nach Hause, zeigt sie alle Anzeichen eines ängstlichen Tieres. Sie duckt sich, dreht ihre Schlappohren so weit nach hinten, wie es nur geht, pfötelt, winselt, kurz: Sie verhält sich wie ein unterwürfiger Hund, der sich vor mir zu fürchten scheint. Merle stammt aus dem Tierheim und war, als sie bei uns einzog, tatsächlich ein verängstigtes Tier. Doch warum ist sie das immer noch? Oder besser gesagt: Warum ist sie das ausschließlich bei der Begrüßung? Längst hat sie sich zu einer fröhlichen Hündin entwickelt, die unbefangen ihre Wünsche äußert. Da passt was nicht zusammen. Das Begrüßungsritual – ein Missverständnis? Und das tut es auch tatsächlich nicht – nur anders als vermutet. Ich habe das Begrüßungsritual meiner Hündin falsch verstanden. Sie hat keine Angst, sondern empfängt mich nur innig auf ihre Art. Aber das weiß ich erst jetzt, nach der Lektüre eines Buches von mehr als 600 Seiten. Es heißt „Emotionen bei Hunden sehen lernen“ und ist eine Art Blickschule, geschrieben von den Hundetrainerinnen Gabi Maue und Katja Krauß. Darin stoße ich auf ein Wort, das mir fremd war, obwohl ich seit Jahrzehnten Hunde halte: „Zugehörigkeitsgesten“. Es meint ein Verhalten, das wie Unterwürfigkeit aussieht, aber in Wahrheit etwas ganz anderes bedeutet: die pure Freude, ein Familienmitglied, sei es Hund oder Mensch, wiederzusehen. Ein Missverständnis also. Eines von unzähligen, die Menschen im Umgang mit Hunden widerfahren. Dabei leben wir seit mehr als 30 000 Jahren zusammen. Die Hunde haben sich im Lauf der Domestikation zu kompetenten Menschenkennern entwickelt. Sie lesen in unseren Gesichtern, verstehen unseren Tonfall und sogar die Bedeutung vieler Wörter, sie riechen unsere Angst und schließen aus unseren Zeigegesten, in welche Richtung sie laufen sollen. Wir hingegen sind nicht besonders gut darin, ihre Körpersprache zu verstehen. Im Vergleich mit ihren Meisterleistungen sind wir bestenfalls Grundschüler. Hundetrainer wissen das. Sie haben täglich mit Missverständnissen zu tun, die sich von langer Hand ankündigen, ohne dass der Mensch sie kommen sieht. Das war auch der Impuls der Autorinnen Gabi Maue und Katja Krauß, ihr Buch zu schreiben. Zwölf Jahre lang haben die beiden Hundetrainerinnen an ihrem Werk gearbeitet, haben zahllose Fotos von Ohren, Augen, Ruten, Lefzen, Pfoten und Körperhaltungen gesammelt, um Hundeverhalten anschaulich zu machen. Entstanden ist dabei quasi das Wörterbuch einer sehr reichen Sprache. Denn Hunde pflegen eine subtile Kommunikation mit vielen Höflichkeitsgesten und feinen Abstimmungen in der Tonart. Das liegt auch an ihrem tief sitzenden Bedürfnis, Konflikte zu vermeiden. Hunde sagen nicht einfach „Platz da!“, sondern eher: „Guten Tag, ich freue mich, dich zu sehen, aber da ich dich nicht kenne, wäre es mir lieber, wir hielten ein wenig Abstand.“ Das klingt, als wäre diese Sprache schwer zu erlernen. Stimmt das denn? „Aber nein“, sagt Katja Krauß, die Unbehagen Die nach hinten gedrehten und flach gehaltenen Ohren (ganz oben) deuten auf Unsicherheit hin Zwiespalt Das rechte Ohr leicht zur Seite gedreht, das linke deutlich flacher – das signalisiert widersprüchliche Gefühle Aufmerksam Beide Ohren sind aufgestellt. Die Ohrmuschel ist nach vorne ausgerichtet und im Ansatz aufrecht gehalten <strong>FOCUS</strong>-TIERDOKTOR 29