HERZINSUFFIZIENZ Den Schalter umlegen Leben für die Forschung Der Wissenschaftler Thomas Thum im Flur der Medizi nischen Hochschule Hannover Foto: Rafael Heygster für <strong>FOCUS</strong>-Gesundheit 52 <strong>FOCUS</strong>-<strong>GESUNDHEIT</strong>
Ein schwaches Herz galt bislang als unheilbar. Neue Therapien deutscher Forscher bauen auf die RNA-Technologie. Und wecken Hoffnung auf ein Ende der Insuffizienz Als junger Arzt hatte Thomas Thum einen Traum: Ein Heilmittel für die Herzschwäche wollte er finden, etwas, das den Patienten wirklich hilft. „Ich habe mich in meinen Forschungen von Anfang an den Herzmuskelzellen gewidmet“, sagt der Kardiologe. Heute, etwa 20 Jahre später, steht der 47-Jährige kurz vor dem Ziel. Ein von ihm entwickeltes auf RNA-Technologie basierendes Medikament hat in einer ersten Studie bei Patienten mit Herzschwäche überraschend gute Ergebnisse gezeigt. „Die tollen Daten sind der Grundstein dafür, dass wir neue Gelder für die weitere Entwicklung bekommen haben“, so der Mediziner. Eine effektivere Therapie wird dringend herbeigesehnt. Vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Herzmuskelschwäche, auch Herzinsuffizienz genannt. Mehrere Erkrankungen können dazu führen, dass das Pumporgan an Kraft verliert. Durchblutungsstörungen und Bluthochdruck sind für etwa 70 Prozent der Fälle verantwortlich. Auch defekte Herzklappen, Vorhofflimmern, angeborene Herzfehler oder Herzmuskelentzündungen können eine Insuffizienz auslösen. Das Herz ist dann nicht mehr in der Lage, das Blut mit ausreichendem Druck durch den gesamten Körper zu pumpen und alle Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Die Folgen sind dramatisch. „Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von fünf Jahren an einer unbehandelten Herzschwäche zu versterben, liegt bei 50 Prozent“, warnt Kardiologe Thum. Chance für Insuffizienz-Patienten Anfänglich sind die Patienten erschöpft und kurzatmig, wenn sie sich körperlich anstrengen. Schreitet die Krankheit voran, geraten die Betroffenen sogar in Ruhe aus der Puste. „In den vergangenen 20 Jahren haben wir zwar Fortschritte in der Behandlung gemacht. Weniger Patienten versterben. Wir können Herzinsuffizienz aber immer noch nicht heilen“, sagt Thum. Der von Thum und seinem Team entwickelte RNA-Blocker CDR132L könnte das künftig ändern. Die gängigen Medikamente verlangsamen bislang das Fortschreiten der Erkrankung (siehe Kasten Seite 54). „Verloren gegangene Herzmuskelfunktion kehrt jedoch nicht zurück“, betont Thum. Der neue Wirkstoff soll mehr können. „Unsere Therapie greift direkt am Herz an. Wir haben den molekularen Hauptschalter entdeckt, der bei Insuffizienz in die falsche Richtung umgelegt wird. Den stellt unser Therapieansatz wieder richtig ein.“ Der Zeitpunkt für eine solche Entwicklung ist günstig. Die Erfolge der mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 heizen das Interesse an dieser Forschung an. 64 Millionen Euro Risikokapital hat Thum im Sommer <strong>2021</strong> für die eigens gegründete Firma Cardior Pharmaceuticals eingesammelt. So wirkt das neue RNA-Medikament Ribonukleinsäuren (RNA) sind einsträngige, fadenförmige Moleküle, die Informationen aus der Erbsubstanz DNA tragen. Sie spielen als sogenannte Messenger-RNA (mRNA) eine zentrale Rolle bei der Bildung von Proteinen. RNA-basierte Therapeutika können auf RNA-Ebene in fehlerhafte Vorgänge eingreifen – noch bevor die Eiweiße überhaupt entstanden sind. Die Entwicklung von RNA-Therapien ist jedoch herausfordernd, unter anderem weil RNA im Körper schnell abgebaut wird. Thum zielt auf nicht kodierende microRNA. Das sind kurze Basenabschnitte, von denen keine Proteine abgelesen werden. Lange dachte man, es handele sich um Zellmüll. „Wir wissen jetzt, dass die microRNA wichtige Steuerungsmechanismen in den Zellen übernimmt“, erläutert der Wissenschaftler. Als dieser Zusammenhang klar war, eröffnete sich für die Forschung eine neue Fragestellung: Vielleicht liegt die Ursache der Herzinsuffizienz in einer Fehlfunktion solcher Steuerungs-RNA? Die Hannoveraner Forscher stießen auf eine RNA-Kette namens „microRNA-132“ (miR-132). „miR-132 hat eine Netzwerkfunktion und beeinflusst verschiedene Signalwege im Herz ungünstig“, erklärt Thum. Im Muskel laufen Umbau- Schwache Herzen Die Zahl der Patienten, die aufgrund von Herzinsuffizienz ins Krankenhaus müssen, steigt Hospitalisationsrate pro <strong>10</strong>0 000 Einwohner 364 2000 469 501 5<strong>10</strong> 2011 2015 2019 Quelle: Deutscher Herzbericht 2020 <strong>FOCUS</strong>-<strong>GESUNDHEIT</strong> 53