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Literaturverfilmung als Wahrnehmungsprozeß narrativer Texte

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4. Einzelanalyse 4.2. Billard um halbzehn/Nicht versöhnt<br />

Indirektheit des Romans kann auch ein grundlegender Ton des Films herausgenommen werden, die <strong>als</strong><br />

Direktheit bezeichnet werden kann. Trotz der Diskontinuität und der daraus resultierenden Schwierigkeiten<br />

sind einige bestimmte Anweisungen klar und offensichtlich, was oben in bezug auf die strategischen<br />

Merkmale herausgestellt ist.<br />

Diese Klarheit und Direktheit ohne abstrakte Symbolik können auch bei dem gesamten Stilsystem des<br />

Films deutlich festgestellt werden, das wegen der hohen Selbstbewußtheit und niedrigen Kommunikativität<br />

<strong>als</strong> unabhängig von dem Inhalt, sogar <strong>als</strong> handwerkliche Inkompetenz angenommen werden kann.<br />

Die stilistischen Merkmale im Film geben aus der Sicht einer traditionellen filmischen Narration auf den<br />

ersten Blick einen amateurhaften Eindruck, daß der Filmemacher nicht das vorausgesetzte Handwerk<br />

beherrscht. Wie oben in bezug auf die Redundanz auf der Stilebene erörtert, steckt aber dahinter ein<br />

schematisches System, das wiederum auf Straubs sehr radikale und eigenwillige Vorstellung über das<br />

Filmmedium zurückzuführen ist. Dieses Schematismus richtet sich unter diesen Voraussetzungen <strong>als</strong>o<br />

nicht auf das spielerische formale Experiment für die Modernität, sondern geht auf fast puristische Reduktion<br />

der filmischen Stilmittel auf das Wesentliche zurück. Das Stilsystem ist nicht für Selbstzweck,<br />

beruft sich auch nicht auf spielerische Motivation, sondern richtet sich gegen den ersten Eindruck gerade<br />

auf die inhaltlichen Botschaften. In diesem Sinne kann sogar davon gesprochen werden, daß hier nichts<br />

anderes <strong>als</strong> der Inhalt die Form bestimmt. Diese Feststellung kann m.E. auch durch einige Beispiele im<br />

Film bestätigt werden. So kann z.B. einige Stellen im Film, die leere Räume kurz vor dem Auftritt bzw.<br />

kurz danach zeigen und in dieser Form ein eigenwilliges Gestaltungsprinzip darstellen, bei genauer<br />

Beobachtung <strong>als</strong> inhaltlich bestimmt angesehen werden, in dem Sinne, daß sie von den „realistischen“<br />

Geräuschen auf der fiktiven Welt abhängig sind. Auch oft ist die Bildersprache trotz der Diskontinuität<br />

unmißverständlich, wie die oben erwähnten Stellen von Nettlinger und Johanna zeigen. Die stilistischen<br />

Merkmale im Film dienen <strong>als</strong>o trotz ihrer Ungewöhnlichkeit im Endeffekt dazu, die inhaltlichen Aspekte zu<br />

verdeutlichen und diese den Rezipienten bewußt zu vermitteln. Ihr Schwerpunkt liegt nicht im Erzählen<br />

selbst, sondern darin, mehr Raum für Reflexion und Analyse zu schaffen, um schließlich moralische,<br />

ideologische Botschaften aus den Geschichten sowie aus der Geschichte zu vermitteln. 70 Daß das Stilsystem<br />

in erster Linie von dem inhaltlichen Aspekt bestimmt ist, bezieht sich einerseits auf die traditionelle<br />

Rolle des Stilsystems. Aber zugleich weicht das Stilsystem von dieser Rolle ab, in dem Sinne, daß das<br />

alles nicht nur die narrativen Funktionen abzielt, sondern auch auf den anderen Bezug verweist. Solche<br />

Differenzen können aus dem Standpunkt der narrativen Modi innerhalb der Geschichte der Narration<br />

erklärt werden.<br />

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Wenn die Merkmale des Romans, die bis zu dieser Stelle beschrieben worden sind, allein aus einem<br />

formalen Standpunkt betrachtet werden, kann man im Roman zunächst feststellen, daß sie nach dem<br />

Bordwellschen Modell der narrativen Modi in erster Linie dem künstlerischen Modus zugeschrieben<br />

werden können. Die dabei eingesetzten erzähltechnischen Mittel wie erlebte Rede, innerer Monolog,<br />

komplexe Zeit- und Handlungsstruktur gehören zu den Mitteln, die die Spezifität des künstlerischen<br />

Modus ausmachen und <strong>als</strong> solche unter anderen die Subjektivität der Wahrnehmung der Realität zum<br />

70<br />

Vgl. Martin W<strong>als</strong>h, Political Formations in the Cinema of Jean-Marie Straub, in: Jump Cut no.4,(Nov.-Dec.), S.12-<br />

18, S.14: „[...] and the „spareness“ of his style functions as an invitation to reflection, to analysis.“<br />

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