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Literaturverfilmung als Wahrnehmungsprozeß narrativer Texte

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4. Einzelanalyse 4.3. Die verlorene Ehre der Katharina Blum<br />

lieber alleine machen will, bezieht sich fast auf den Mord, nicht auf das Interview. Diese unterschiedlichen<br />

taktischen Merkmalen, Funktionen und die Verschiebungen zwischen den beiden <strong>Texte</strong>n beziehen sich<br />

auch auf die Merkmale der narrativen Strategien.<br />

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Die Merkmale der narrativen Strategien in der Erzählung gehen auch vor allem darauf zurück, daß hier<br />

ein fiktiver Berichterstatter vorangestellt ist, der die ganze Geschichte um einen Mordfall retrospektiv<br />

zusammenfassend, sich darüber nachdenkend und kommentierend berichtet. Er bemüht sich dabei, sich<br />

möglichst objektiv und seriös mit den zu dem Bericht zugrunde liegenden Materialien umzugehen, und<br />

damit eine vorurteilsfreie und sachliche Analyse vorzulegen. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit<br />

dies im Laufe des Berichts eingehalten ist, kann daraus eine narrative Situation herausgestellt werden, in<br />

der sich dieser Berichterstatter <strong>als</strong> Erzählinstanz befindet. Zunächst ist diese Erzählinstanz in dem Sinne<br />

<strong>als</strong> auktorial zu bezeichnen, daß alles in der Erzählung allein auf sie zurückgeht. Als Berichterstatter<br />

kontrolliert sie den gesamten Bericht. In dieser Hinsicht kann sie auch zunächst <strong>als</strong> omnipotent und<br />

omnipräsent bezeichnet werden. Aber gleichzeitig ist sie auch eine zwar anonyme, aber immerhin personifizierte<br />

Figur innerhalb der fiktiven Welt, in der sie für diesen Bericht die anderen Figuren aufgesucht<br />

und Materialien gesammelt hat. Dies bedeutet nun, daß ihre auktoriale Omnipotenz begrenzt ist, weil sie<br />

<strong>als</strong> eine Figur in dieser fiktiven Welt nur die Einzelheiten wissen kann, die ihr <strong>als</strong> Informationsmaterial zur<br />

Verfügung stehen. Diese narrative Situation stellt die Voraussetzungen dar, unter denen die Merkmale<br />

der narrativen Strategien der Erzählung betrachtet werden können.<br />

Dieser Berichterstatter in dieser narrativen Situation verfügt trotz seiner begrenzten Omnipotenz <strong>als</strong> eine<br />

personifizierte Figur über die meisten Wissen in der Erzählung. Dagegen verfügen die einzelnen Figuren<br />

jeweils nur über begrenzte Wissen. Dies geht darauf zurück, daß zwischen einigen von ihnen kein direkter<br />

Kontakt besteht. Der Wissensstand des Rezipienten, der den von dem Berichterstatter vorgelegten<br />

Bericht liest, kann dann zwischen den beiden plaziert werden. Ein deutliches Beispiel für diese Situation<br />

in bezug auf Wissen zeigt die Episode am Ende der Geschichte, wo der Erzähler dem Rezipienten verrät,<br />

woher die Tatwaffe stammt. Diese Information steht nicht den anderen Figuren in der Erzählung zur<br />

Verfügung, auch weder der Polizei, noch der ZEITUNG. Dabei beziehen sich die Wissen des Berichterstatters<br />

meistens auf die äußeren Reaktionen der Figuren und zu ihren inneren Lagen wird kein direkter<br />

Zugang gegeben, da die Informationsquellen meistens indirekt sind. Dies wird z.B. daran deutlich, daß er<br />

nicht feststellen kann, wann Katharina sich entschlossen hat, Tötges zu töten. So kann hier das Kriterium<br />

der Wissen generell <strong>als</strong> breit, aber nicht <strong>als</strong> tief bezeichnet werden. Diese Beschränkung kann einerseits<br />

auf das Wesen eines Berichts zurückgeführt werden, der in erster Linie auf vorhandenen Materialien<br />

basiert. Andererseits kann dies auch darauf zurückgeführt werden, daß hier der Berichterstatter seine<br />

narrative Kompetenz nicht ausspielt. So beschränkt er einerseits seine Omnipotenz nur auf einige wenige<br />

Stellen, wobei er Vorgänge beschreibt, die er <strong>als</strong> ein recherchierender Berichterstatter normalerweise<br />

nicht beobachten bzw. wissen konnte. Dazu kann z.B. die Beschreibung von Lüdings Anruf an die Zeitungsredaktion<br />

und vom Streit zwischen seiner Sekretärin und Köchin gehören. (RuE 5, S.446f.) Hier wird<br />

der Vorgang beschrieben, daß Lüding eine Anweisung an die Redaktion erteilt, was er innerhalb der<br />

Logik der fiktiven Welt eigentlich nicht beschreiben kann. 45 Außer solcher wenigen Ausnahmen geht er<br />

45 Vgl. RuE 5, S.446: „Sofort S. ganz raus, aber B. ganz rein.“<br />

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