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Magazin Souffleur Ausgabe 01/2021

"Zeit/Gegenwart/2021 im Bild". Wie Fotografen die Welt sehen.

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SOUFFLEUR #<strong>01</strong>/<strong>2021</strong><br />

Entzug von Nähe zu malträtieren.<br />

Den eindimensionalen Standpunkt, selber schuld, wärst<br />

du halt nicht kriminell geworden, kann ich zum einen Teil<br />

verstehen, zum anderen Teil spricht aus ihm maßlose<br />

Überheblichkeit. Und es geht auch gar nicht darum, ob<br />

man die Meinung teilt, jeder von uns kann in diese Lage<br />

kommen, straffällig geworden zu sein. Nein, es geht darum,<br />

dass es straffällig Gewordene nun eben einmal gibt!<br />

Es geht darum, dass es sie immer geben wird, dass sie<br />

für bestimmte Vergehen aber nicht getötet oder ewig<br />

lange weggesperrt werden können. Und es geht darum,<br />

dass der Strafvollzug, wie er heute ist, nämlich eine zum<br />

Teil fahrlässige, zum Teil bewusste Folter auf emotionaler<br />

Ebene, schlichtweg schädlich ist für eine gesamte<br />

Gesellschaft.<br />

Die Zeit danach<br />

In einem Satz zusammengefasst: Mein Problem mit Eifersucht<br />

habe ich Gott sei Dank überwunden. Die Beziehung<br />

mit der Frau, die zum Zeitpunkt der Katastrophe<br />

meine Freundin war, blieb bis zum Antritt meiner Haftstrafe<br />

aufrecht. Danach ist der Abstand immer größer<br />

geworden, bis schließlich ich von mir aus den Kontakt<br />

abgebrochen habe.<br />

Die Zeit in Haft und die Jahre danach waren gekennzeichnet<br />

von einer unendlichen Einsamkeit. Eine Einsamkeit,<br />

die im Gefängnis zu einer massiven Angststörung<br />

geworden ist, die aber auch nach meiner Entlassung<br />

nicht von heute auf morgen weg war.<br />

Und ja: Einsamkeit war wohl immer, nämlich auch schon<br />

vor meiner Zeit im Bau, ein unbewusstes Thema. Ein gestörtes<br />

Selbstwertgefühl hat in mir schon sehr früh eine<br />

innere Leere erzeugt, eine Form der Einsamkeit. Daraus<br />

ist meine so zerstörerische Form der Eifersucht<br />

entstanden.<br />

Sehr, sehr viele Menschen, auch die stärksten und härtesten<br />

Kerle, stecken eine Haftstrafe nicht einfach so<br />

weg. Nach meiner Zeit in der Karlau (Anm.d.Red.: Justizvollzugsanstalt<br />

in Graz) bin ich freiwillig für drei Monate<br />

instationären Aufenthalt in eine Nervenklinik gegangen.<br />

Danach war ich für zwei Jahre in Behandlung bei einer<br />

guten Psychologin. Durch die jahrelange Arbeit an mir<br />

habe ich immer mehr zu einer inneren Freiheit finden<br />

können. Nach und nach wurde dieses Gefühl der Ruhe<br />

größer und stärker.<br />

All-Einigkeit<br />

Es hat sich der Blick auf mich selbst geändert. Ich habe<br />

das erste Mal in meinem Leben ein Bewusstsein für mich<br />

selber entwickelt, mich irgendwann nicht mehr mit anderen<br />

verglichen. Endlich, muss ich heute sagen, hatte<br />

ich in meinem Leben eine Zeit ganz mit mir allein. Alleinigkeit,<br />

aber ganz und gar keine Einsamkeit. All-<br />

Einigkeit gewissermaßen.<br />

Ich begann jeden Tag zu genießen! Meine Wohnung nur<br />

für mich allein, ohne, dass ich mich wie früher<br />

durchgehend beschäftigen musste, nur, um<br />

mich von meiner Einsamkeit abzulenken. Ich<br />

genoss meine Spaziergänge durch Fußgängerzonen<br />

und Buchenwälder, ich genoss das Beobachten<br />

von alten Ehepaaren im Park, ohne<br />

mich dabei einsam zu fühlen. Mir fehlte nichts.<br />

Meine ehemalige Freundin wollte in dieser Zeit<br />

Kontakt mit mir aufnehmen, wollte Annäherung,<br />

ich aber entschied mich bewusst dagegen.<br />

Ich war nun in einer Zeit mit mir alleine<br />

angekommen.<br />

Und ich genoss all das umso mehr, weil ich nie<br />

zuvor dieses Bewusstsein hatte für mein eigenes<br />

Leben, meine eigene Freiheit. Zu sehr war<br />

ich immer beschäftigt damit, etwas tun, etwas<br />

erreichen, etwas schaffen zu müssen.<br />

Mein Verhältnis zu Frauen änderte sich<br />

dadurch von Grund auf. Ich hatte (und habe)<br />

nun mein eigenes, erfülltes, ja, vollkommenes<br />

Leben. Wenn ich fortan Damenbekanntschaften<br />

machte, kam nun nicht immer sofort das<br />

Gefühl auf, gleich eine Beziehung eingehen zu<br />

müssen, gleich alles in meinem Leben der entsprechenden<br />

Frau nach auszurichten. Ganz im<br />

Gegenteil: Bekanntschaft ja, Liebe ja, aber<br />

meine Freiheit sollte von nun an immer Platz<br />

haben. Lange Zeit war ich mir sogar sicher:<br />

Bekanntschaften, Liebeleien gern, aber klassische<br />

Beziehung nie mehr. Zu sehr liebte ich<br />

mein Alleinsein, das nun ja kein Einsamsein<br />

mehr war.<br />

Täter-Opfer-Umkehr<br />

Oft kommt unverhofft, und so lernte ich vor<br />

acht Jahren meine heutige Frau kennen. Die<br />

Annäherung geschah langsam, wir hatten und<br />

haben beide unsere Leben, unsere Geschichte<br />

und Eigenheiten. Es gibt zwei emanzipierte<br />

Ichs, dadurch ein sehr wertvolles Wir. Eifersucht?<br />

So wie vor dreißig Jahren habe ich Eifersucht<br />

nie wieder erlebt.<br />

In den Jahren nach Haft und Nervenklinik wurde<br />

mir immer klarer: Übermäßige Eifersucht,<br />

die einem Partner gegenüber ausgelebt wird,<br />

ist eine Form der Gewalt. Ganz besonders<br />

schlimm ist Gewalt, wenn eine Täter-Opfer-<br />

Umkehr geschieht. Im Falle von sexueller Belästigung<br />

funktioniert dieses Verdrehen der<br />

Tatsachen, diese Verzerrung der Wirklichkeit<br />

mit Schutzbehauptungen: "Du hast doch nicht<br />

nein gesagt" oder "Du hast mit Deiner Kleidung<br />

provoziert". Wenn es um Eifersucht geht,<br />

wollen Vorwürfe wie "Du hast Dich nur für<br />

andere so zurecht gemacht" oder "Du hast<br />

dem/der Fremden schöne Augen gemacht"<br />

dem anderen Menschen eine Mitschuld, eine<br />

Schuld am eigenen irrationalen und<br />

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