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AUSGABE 9<br />
26. Februar <strong>2022</strong><br />
KULTUR<br />
Die Normandie<br />
in den Bildern<br />
und Worten von<br />
David Hockney<br />
PANDEMIE<br />
Einsam und<br />
verletzlich: der<br />
Weltschmerz<br />
der Generation Z<br />
Der Fasten-<br />
Kompass<br />
Was Sie über den<br />
gesunden Verzicht<br />
wissen müssen –<br />
und wie er<br />
Körper und<br />
Seele schützt<br />
Fast ohne<br />
Hunger:<br />
so funktioniert<br />
Scheinfasten<br />
PUTINS ÜBERFALL<br />
Warum der russische Präsident unserer Weltordnung den Krieg<br />
erklärt – und was die Menschen in der Ukraine fürchten
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E-PAPER LESEN:
Seite 5<br />
Seite 6<br />
EDITORIAL<br />
Was Putins Endspiel mit Merkels<br />
Kanzlerschaft zu tun hat<br />
Von Robert Schneider, Chefredakteur<br />
Foto: Peter Rigaud für <strong>FOCUS</strong>-Magazin<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
seit Donnerstag, 4 Uhr, ist es Gewissheit:<br />
Wladimir Putin führt Krieg gegen die<br />
Ukraine! Seine Skrupellosigkeit wurde<br />
von vielen Staaten unterschätzt – auch<br />
von Deutschland.<br />
Wenn man heute, vor dem Hintergrund<br />
der dramatischen Ereignisse, die<br />
16 Kanzlerjahre von Angela Merkel in<br />
den Blick nimmt, dann fällt mir ein durchgängiges<br />
Muster auf: Merkels unnachahmliche<br />
Kunst, Konflikte und Problemlagen<br />
einzufrieren.<br />
Da sind zum Beispiel die Vereinbarungen<br />
von Minsk 2014/2015 zur Eindämmung<br />
der Kämpfe in der Ukraine. Deren Paten<br />
waren Deutschland und Frankreich in den<br />
Normandie-Verhandlungen mit Russland<br />
und der Ukraine. Die erste Vereinbarung<br />
von Minsk zwischen Russland, der Ukraine<br />
und der OSZE sowie in Anwesenheit<br />
von Vertretern der Separatisten wurde<br />
im September 2014 unterzeichnet. Doch<br />
schon im Januar 2015 brachen in der<br />
Ostukraine erneut schwere Kämpfe aus,<br />
sodass Minsk II fällig wurde.<br />
Heute kann man bilanzieren: Alle wesentlichen<br />
Maßnahmen der Vereinbarungen<br />
von Minsk wurden nicht eingehalten<br />
oder offen behindert, wobei sich die prorussische<br />
Seite besonders hervortat. Dennoch<br />
behaupteten sogar jüngst noch deutsche<br />
Kanzler und französische Präsidenten<br />
unverdrossen, die Minsker Vereinbarungen<br />
seien der einzige Weg zu dauerhaftem<br />
Frieden. Russlands Machthaber hielt kühl<br />
entgegen, sie seien seit Jahren tot.<br />
Ein anderes Beispiel ist der Beitritt der<br />
Ukraine, den die Nato dem Land (zusammen<br />
mit Georgien) auf ihrem Gipfel 2008<br />
in Bukarest in Aussicht gestellt hatte. Der<br />
damalige US-Präsident George W. Bush<br />
wollte seinerzeit einen schnellen Beitritt,<br />
Merkel war – zusammen mit Frankreich<br />
und Italien – dagegen. Und der damalige<br />
Bundesaußenminister Frank-Walter<br />
Steinmeier verschwieg auch nicht,<br />
aus welchem Grund: Man wolle keine<br />
Belastung der Beziehungen zu<br />
Russland. Und in der Tat wurde<br />
Merkel ja bis zuletzt eine besonders<br />
gute Beziehung zum Dauer-<br />
Kremlchef nachgesagt.<br />
Minsk und Bukarest standen zunächst<br />
für Erfolge der Kanzlerin, der man über<br />
Jahre nachsagte, sie denke als Physikerin<br />
auch in der Politik die Dinge vom Ende<br />
her. Aus heutiger Sicht will mir scheinen,<br />
dass das Gegenteil eher zutrifft: Merkel<br />
hat den eigentlichen Konflikt um den<br />
Nato-Beitritt seit 2008 nicht wirklich gelöst<br />
– weder durch Aufnahme der Ukraine in<br />
das westliche Bündnis noch durch deren<br />
endgültige Absage. Sie hat vielmehr zum<br />
Mittel des diplomatischen Vereisungssprays<br />
gegriffen. Im Sport wird eine akute<br />
Verletzung im Spiel oder Wettkampf<br />
vereist, damit der Sportler noch weitermachen<br />
kann. Danach wird die eigentliche<br />
Verletzung behandelt und auskuriert.<br />
Auf diesen entscheidenden, zweiten<br />
Teil der Behandlung aber hat Merkel<br />
mehr als einmal verzichtet. Die Vereinbarungen<br />
von Minsk haben die Spannungen<br />
in der Ostukraine, die nicht zuletzt<br />
Ausfluss des Konflikts um die Nato-Frage<br />
sind, nicht für einen einzigen Tag gelöst,<br />
sie haben sie lediglich für kurze Zeit eingefroren.<br />
Mit der Weigerung eines Russlands<br />
unter Putins Führung, den Nato-<br />
Beitritt der Ukraine egal unter welchen<br />
Umständen zu akzeptieren,<br />
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Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Ursula Münch<br />
Zinswenden, Gaspreise,<br />
Umweltprämien<br />
Die Inflation zwingt Deutschland und die EU,<br />
mit den eigenen Ansprüchen ernst zu machen<br />
Von Philippa Sigl-Glöckner Seite 2<br />
26. Februar <strong>2022</strong> | #16<br />
haben sich Merkel sowie ihre Partner<br />
Frankreich und Italien nie wirklich auseinandergesetzt.<br />
Und sie haben die kalte<br />
Entschlossenheit des 69-jährigen Ex-<br />
Spions in Moskau nicht ernst genommen,<br />
der weiß, dass er nicht mehr ewig Zeit<br />
hat, und der deshalb jetzt seinen Eintrag<br />
in die imaginären Geschichtsbücher als<br />
Bewahrer der Einheit der Völker Russlands<br />
erzwingen will – wie sich jetzt herausstellt<br />
auch mit militärischer Gewalt.<br />
Bei genauerer Betrachtung kann man<br />
zu dem Ergebnis kommen, dass Merkel<br />
mit dem Vereisungsspray auch in anderen<br />
Krisen gearbeitet hat. So ist der Konflikt<br />
in der Eurozone um die Finanz- und<br />
Haushaltsstabilität noch immer quicklebendig.<br />
Und seit Monaten hört und liest<br />
man wieder von steigenden Flüchtlingszahlen.<br />
Vor allem aber in einem Bereich<br />
sind die Probleme komplett aufgetaut:<br />
in der Energiewende und beim Klimaschutz.<br />
Der Ausstieg aus der Kernkraft<br />
nach Fukushima folgte ebenso wenig<br />
einer langfristigen Strategie wie der<br />
aus der Kohlenutzung. In beiden Fällen<br />
standen partei-, koalitions- und wahltaktische<br />
Überlegungen im Vordergrund.<br />
Und in beiden Fällen hat Merkel<br />
anschließend versäumt, die<br />
notwendigen Konsequenzen für<br />
eine sichere Energieversorgung<br />
zu schaffen – was zurückführt<br />
zum Konflikt mit Russland um die<br />
Ukraine und eben um die russischen<br />
Gaslieferungen.<br />
Ich finde es interessant, darüber<br />
nachzudenken, was geschehen wäre,<br />
wenn Präsident Bush sich 2008<br />
mit der Forderung nach einem<br />
schnellen Nato-Beitritt der Ukraine gegen<br />
damals schwache Russen durchgesetzt<br />
hätte. Möglicherweise wäre uns dieser<br />
Krieg erspart geblieben. Aber vielleicht<br />
lassen sich in der Politik viele Probleme<br />
auch gar nicht lösen, sondern bestenfalls<br />
vereisen, damit man den Schmerz<br />
weniger spürt.<br />
POLITISCHE PIROUETTEN<br />
Katharina Hamberger<br />
über Markus Söders<br />
jüngste Windungen<br />
EURO<br />
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<strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong> 3
Ernste Eskalation<br />
Russland hat mit<br />
einer Invasion auf die<br />
Ukraine begonnen.<br />
Bürger in Kiew rüsten<br />
sich zum Kampf<br />
Seite 24<br />
Schwerer Start<br />
Die ersten Wochen<br />
im Amt waren wild,<br />
doch Nancy Faeser<br />
hat einen Plan<br />
Seite 34<br />
Leuchtende Landschaft<br />
David Hockney lebt in der Normandie<br />
und malt am liebsten seine Wahlheimat.<br />
Dieses Werk heißt „Sommer“<br />
Seite 82<br />
Globaler<br />
Geschmack<br />
In 100 Gerichten<br />
um die Welt:<br />
Anthony Bourdains<br />
kulinarischer<br />
Reiseführer<br />
Seite 98<br />
Schneller Schütze Spielt Karim Adeyemi bald für den BVB? Seite 104<br />
4 <strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong>
INHALT NR. 9 | 26. FEBRUAR <strong>2022</strong><br />
Titelthema<br />
Agenda<br />
Wissen<br />
44 Die verletzliche Generation<br />
Unter Jugendlichen steigt die Suizidund<br />
Depressionsrate. Was macht die Kids,<br />
denen die Welt offensteht, so traurig?<br />
74 Fredi for Future<br />
„Nature“ zählte sie zu den zehn wichtigsten<br />
Forschenden. Jetzt schrieb Friederike Otto<br />
am neuen Bericht des Weltklimarats mit<br />
Titel: David Malan/Getty Images, Alexander Ermochenko/REUTERS<br />
Fotos: Tyler Hicks/NYT, Robert Wright, Roger Kisby/alle Redux/laif, Steffen Roth für <strong>FOCUS</strong>-Magazin, David Hockney 2021, dpa<br />
64 Wohltat für Körper und Seele<br />
Es reinigt die Zellen, stärkt die Abwehr und<br />
kann glücklich machen: Forscher entdecken<br />
die Heilkräfte des Fastens neu<br />
70 Fast ohne Hunger<br />
Mit Scheinfasten lassen sich ähnliche<br />
Effekte erzielen wie mit einer Nulldiät<br />
72 Jede Mahlzeit ein Ritual<br />
Spitzenkoch Phillipp Troppenhagen<br />
erklärt, wie es gelingt, nach dem Fasten die<br />
Ernährung auf gesund umzustellen<br />
Politik<br />
24 Putins Endspiel<br />
Begegnungen in Kiew, einer Stadt, die der<br />
Invasion trotzt<br />
29 Putin und die deutsche Dummheit<br />
Warum wir den Angriff Russlands auf die<br />
Ukraine hätten kommen sehen müssen<br />
30 Wie tickt Putin?<br />
Buchautor Mark Galeotti versucht, den<br />
russischen Präsidenten zu erklären<br />
32 „Ich fürchte, der Zug der<br />
Geschichte fährt an uns vorbei“<br />
Historikerin Woidelko über das Ende der<br />
Geschichte und Gewalt als Mittel der Politik<br />
34 Nancy und die grauen Männer<br />
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat<br />
in der Regierung einige der schwersten<br />
Aufgaben übernommen. Schafft sie das?<br />
39 Datenstrudel<br />
Lauterbach trifft Gates. Buschmann setzt<br />
sich für mehr Strafverfolgung im Netz ein<br />
40 Systemsprenger<br />
Seine FDP muss sich in der neuen Rolle erst<br />
noch finden, doch Wolfgang Kubicki zeigt<br />
klare Kante wie eh und je<br />
Wirtschaft<br />
50 Neue Arbeit, neues Glück<br />
Nie war ein Jobwechsel so einfach. Unternehmen<br />
suchen händeringend Mitarbeiter.<br />
Ungelernte ebenso wie Fachkräfte<br />
56 Diese Frau verkuppelt Deutschland<br />
Bahnvorständin Sigrid Nikutta muss<br />
jetzt liefern: Sie soll mehr Güterverkehr<br />
auf die Schiene bringen<br />
59 Klimaneutralität braucht Innovation<br />
Nur mit mehr Digitalisierung kann der<br />
Umbau der Wirtschaft gelingen, meint<br />
Infineon-Chef Reinhard Ploss<br />
60 Geldmarkt<br />
Wie Anleger vom Trend zum Smarthome<br />
profitieren können<br />
Traurige Teenager<br />
Dark-Pop-Sängerin Billie Eilish<br />
wurde mit ihren emotionalen<br />
bis düsteren Songtexten für<br />
die Generation Z zur Ikone<br />
Seite 44<br />
79 Apokalypse an einem Frühlingstag<br />
Neue Hinweise auf das Ende der Dinosaurier<br />
Kultur<br />
82 David Hockneys Normandie<br />
Seit einigen Jahren lebt die Künstlerlegende<br />
in Nordfrankreich und malt die<br />
Landschaft im Wechsel der Jahreszeiten<br />
88 Sinnliches und Übersinnliches<br />
Die Filme, Bücher und Alben der Woche<br />
90 Diesmal ohne falsche Nase<br />
Schauspieler Peter Dinklage verleiht im<br />
Musicalfilm „Cyrano“ dem tragisch Liebenden<br />
der Weltliteratur neue Glaubwürdigkeit<br />
Leben<br />
98 Essen. Schlafen. Reisen<br />
Anthony Bourdain war der Punkrocker unter<br />
den Gourmets. Posthum erscheint nun sein<br />
kulinarischer Reiseführer „World Travel“<br />
102 Spart Zeit, Energie und Abwasch<br />
Für seinen One-Pot-Reis mit Lauch braucht<br />
Yotam Ottolenghi nur den Backofen<br />
104 Pfeilschnell und rotzfrech<br />
Der erst 20-jährige Nationalspieler<br />
Karim Adeyemi spielt halb Europa<br />
schwindelig<br />
107 Die Schöpfung nach Hyundai<br />
Kombis geraten leider aus der Mode. Die<br />
gute Nachricht für alle, die jetzt nicht auf<br />
SUV umsteigen wollen, heißt Genesis G70<br />
3 Editorial<br />
6 Kolumne von<br />
Jan Fleischhauer<br />
11 Nachrichten<br />
12 Fotos der Woche<br />
18 Grafik der Woche<br />
Zwei Jahre Corona<br />
20 Menschen<br />
78 Echt irre<br />
88 Kultur-Macher<br />
Rubriken<br />
89 Salon<br />
92 Buch & Welt<br />
92 Bestseller<br />
108 Die Einflussreichen<br />
110 Leserbriefe<br />
110 Impressum<br />
112 Nachrufe<br />
112 Servicenummern<br />
114 Tagebuch<br />
Titelthemen sind rot markiert<br />
<strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong> 5
POLITIK<br />
BLINDBLIND<br />
Kriegszustand<br />
Der 24.2.<strong>2022</strong> ist eine<br />
Zeitenwende. In der ukrainischen<br />
Hauptstadt sind in den<br />
frühen Morgenstunden des<br />
Donnerstags erste Explosionen<br />
zu sehen. Auch der Flughafen<br />
Borispol wurde beschossen<br />
24 <strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong>
BLINDBLIND<br />
UKRAINE<br />
Putins Endspiel<br />
Die Hoffnungen waren vergebens: Russlands<br />
Präsident hat der Ukraine den Krieg erklärt.<br />
Russische Panzer rollen gen Westen. Es<br />
ist das Ende der europäischen Friedensordnung,<br />
wie wir sie kennen. Doch die<br />
Ukrainer wollen um ihre Freiheit kämpfen.<br />
Wie weit ist Putin bereit zu gehen?<br />
TEXT VON REINHARD KECK<br />
Fotos: Ukrainian President’s Office, action press<br />
Fatale Fehler<br />
Wie konnten wir uns<br />
so irren, fragt sich<br />
<strong>FOCUS</strong>-Autor Andreas<br />
Große-Halbuer<br />
Seite 29<br />
Lesen Sie zum Thema auch<br />
Die zwei Putins<br />
Wie tickt er? Buchautor<br />
Mark Galeotti<br />
versucht, Wladimir<br />
Putin zu erklären<br />
Seite 30<br />
Neue Ordnung<br />
Die Historikerin Gabriele<br />
Woidelko über<br />
die Lehren des Westens<br />
aus dem Konflikt<br />
Seite 32<br />
<strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong><br />
25
WISSEN<br />
Basisch<br />
Schwarze Oliven in Salzlake<br />
zählen zu den Zutaten des<br />
„Scheinfastens“<br />
Zusätzlich<br />
Wer länger fastet, sollte Vitamine<br />
und Mineralstoffe mit Pillen oder<br />
Tabletten ergänzen<br />
Genüsslich<br />
Gemüsesuppen oder -brühen<br />
enthalten wichtige sekundäre<br />
Pflanzenstoffe und bieten<br />
kleine Gaumenfreuden<br />
Der Fastenkompass<br />
Verzicht als Jungbrunnen: Eine Weile nichts (oder sehr wenig)<br />
zu essen ist eine Wohltat für Körper und Seele.<br />
Aschermittwoch und nahender Frühling bieten den idealen<br />
Anlass, es auszuprobieren<br />
TEXT VON PETRA THORBRIETZ FOTOS VON STUDIO LIKENESS<br />
Spärlich<br />
Kohlenhydrate nur in<br />
minimalen Dosen, etwa<br />
in Form ballaststoffreicher<br />
Cracker<br />
<strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong>
TITEL<br />
Reichlich<br />
Kräutertees kann es<br />
kaum genug geben: Sie<br />
liefern Flüssigkeit und<br />
haben oft heilsame<br />
Wirkungen<br />
Karger Kick<br />
Fastenkost verändert den<br />
Stoffwechsel, verbrennt Fett,<br />
aktiviert die Zellreinigung,<br />
stärkt das Immunsystem und<br />
kann die Stimmung aufhellen<br />
<strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong> 65
KLIMAFORSCHUNG<br />
Dürren, Fluten, Algorithmen<br />
Ihr Abitur machte sie mit 3,0. Nun zählt Friederike Otto zu den wichtigsten<br />
Forschenden der Welt und schrieb mit am neuen Bericht des Weltklimarats<br />
TEXT VON REINHARD KECK<br />
Foto: Andrea Artz/laif<br />
E<br />
in Montagmorgen Anfang<br />
Februar in London. Friederike<br />
Otto, 39, empfängt<br />
den Reporter im Café des<br />
Imperial College. Die Klimaforscherin<br />
trägt bei der<br />
Begrüßung eine Stoffmaske<br />
mit Haifischgrinsen. Fredi,<br />
wie sie sich nennt, bestellt einen schwarzen<br />
Americano, denn sie lebt vegan, und<br />
blickt auf den frühlingshaften Campus.<br />
Ein milder Tag beginnt, es werden 13 Grad<br />
erwartet. Das ist doppelt so warm, wie im<br />
Februar üblich. Picknickwetter im Winter?<br />
In Zeiten der Klimakrise kann man sich<br />
darüber kaum freuen.<br />
„Die Folgen des Klimawandels bemerkt<br />
man im Winter am deutlichsten“, sagt<br />
Otto. Warme Winter habe es immer wieder<br />
gegeben. Doch sie seien häufiger geworden<br />
– und bald der Normalzustand. Dann<br />
erzählt die Wissenschaftlerin, dass ein Mitglied<br />
ihres Teams am Grantham Institut<br />
für Klimaforschung untersucht hat, was<br />
die Erderwärmung für Winzer und den<br />
französischen Wein bedeutet. Fazit: Weinstöcke<br />
treiben früher aus. Das macht sie<br />
anfälliger für späten Frost. Vergangenen<br />
April richtete ein Kälteeinbruch in Europa<br />
schwere Schäden an. Frankreichs Bauern<br />
beklagten Ausfälle von zwei Milliarden<br />
Euro und die „größte landwirtschaftliche<br />
Katastrophe des frühen 21. Jahrhunderts“.<br />
Eine neue Wissenschaft<br />
Wie verändert die Klimakrise unsere<br />
Ernten, unsere Landschaften und Städte,<br />
unsere Welt? Für welche Kapriolen des<br />
Wetters und welchen Wandel der Witterung<br />
ist sie tatsächlich verantwortlich<br />
zu machen?<br />
Genau das will ein neues Feld der Forschung<br />
ergründen, das Otto mit etabliert<br />
hat. Die Wissenschaft der Attribution<br />
untersucht, wie Wetterereignisse und Temperaturanstieg<br />
zusammenhängen.<br />
So wichtig ist dieses Gebiet und so bedeutend<br />
der Beitrag der gebürtigen Kielerin,<br />
dass das amerikanische „Time“-<br />
Magazine sie zu einem der 100 einflussreichsten<br />
Menschen des Jahres 2021<br />
gekürt und die Fachzeitschrift „Nature“<br />
sie in ihren Olymp der zehn derzeit wichtigsten<br />
Forschenden aufgenommen hat.<br />
Nun hat Otto als eine Leitautorin am<br />
neuen Bericht des Weltklimarates mitgeschrieben,<br />
der am 28. Februar veröffentlicht<br />
und auf dem ganzen Globus große<br />
Beachtung finden wird.<br />
Die junge Professorin hofft, dass dieser<br />
Bericht die Welt wachrüttelt. Dass er deutlich<br />
macht, wie verletzlich viele Ökosysteme<br />
und Gesellschaften sind. Dass er dazu<br />
beiträgt, schneller den Ausstoß von Treibhausgasen<br />
zu reduzieren und Strategien<br />
zu finden, mit denen wir uns an einen<br />
überhitzten Planeten anpassen können.<br />
„Da wird es nicht nur um Technik und<br />
Ausstattung gehen“, sagt sie. „Wir müssen<br />
in gute Regierungsführung und vor allem<br />
in Bildung investieren.“<br />
In Kooperation mit einer Hochschule in<br />
den Niederlanden hat Otto 2014 die Initiative<br />
World Weather Attribution (WWA)<br />
gegründet. Inzwischen sind auch Universitäten<br />
aus den USA, Frankreich, der<br />
Schweiz und Indien sowie das Rote Kreuz<br />
an dem Verbund beteiligt. Die Forscher<br />
ermitteln oft in Rekordzeit bei extremen<br />
Dürren, Niederschlägen oder Hitzewellen<br />
den Einfluss des Klimawandels. Dazu<br />
werten sie alte Wetterdaten aus, auch aus<br />
„Die Folgen des Klimawandels<br />
bemerkt man im Winter am deutlichsten“<br />
Friederike Otto<br />
der Zeit vor der Industrialisierung, und<br />
vergleichen sie mit den aktuellen Werten<br />
unserer Treibhauswelt. Lokale Beobachtungen,<br />
etwa von Winzern, fließen mit ein.<br />
Mit ihren komplexen Rechenmodellen blicken<br />
sie auch in die Zukunft.<br />
Noch gibt es Unschärfen und Wissenslücken.<br />
Schwer greifbar ist etwa die Rolle<br />
der Wolken im Klimageschehen. Nicht<br />
allein die global steigenden Temperaturen<br />
beeinflussen das Wetter, sondern auch<br />
Rodungen von Wäldern oder künstliche<br />
Bewässerungssysteme.<br />
Untersucht haben die Attributionsforscher<br />
zum Beispiel die Hitzerekorde von<br />
bis zu 49,6 Grad in Kanada und den USA<br />
im vergangenen Jahr. Statt einmal in eintausend<br />
Jahren, so haben sie errechnet,<br />
würden solche Hitzewellen in Zukunft alle<br />
fünf bis zehn Jahre auftreten.<br />
Auch extreme Regenfälle sind wahrscheinlicher<br />
geworden. Der Deutsche Wetterdienst<br />
bat Otto um eine Einschätzung,<br />
als im vergangenen Juli bei der Katastrophe<br />
an Ahr und Erft 134 Menschen<br />
starben. Bei so kleinräumigen Wetterereignissen<br />
geraten die Klimamodelle an ihre<br />
Grenzen. Die lokale Topografie spielt eine<br />
entscheidende Rolle. Im selben Zeitraum<br />
gab es im Norden Brandenburgs ähnlich<br />
starke Niederschläge, die aber problemlos<br />
versickerten. In den engen Tälern in<br />
der Ahr-Region hingegen sammelte sich<br />
das Wasser. Brücken und Häuser stürzten<br />
ein. Als grobe Größe gaben die Forscher<br />
an: Solche Starkregenereignisse seien<br />
<strong>FOCUS</strong> 9/<strong>2022</strong> 75